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L. He rma n n : Notizen zur Muskelphysiologie. 369 (Aus dem physiologischen Laboratorium in Ziirich.) Notizen zur Muskelphysiologie. Von L. Hermann. 1. Ueber die Beziehungen zwischen Last und Hubh~he. Die ira 12. Bande dieses Archivs, p. 133ff., von Tiegel mit- getheilten Versuche fiber die Beziehungen zwischen Last und Hub- h(ihe habe ich wiederholt, weil sie mit fr~iheren unpublicirten Ver- suchen von mir tiber den gleichen Gegenstand nicht ttbereinstimmten. Der h~lzerne Hebel meines Myographions wog sammt Stahlaxe und federnder M ar e y'scher Schreibspitze nur 3,08 Gramm, sein Moment am Muskel betrug 0,4 Gramm, der Eimer wog 6 Gramm; zut Be- lastung resp. Ueberlastung dienten Bleikugeln von 5,4 Gramm. Das constante Reizintervall betrug durchweg 30 Secunden (ich ver- mied die grosse Reizfrequenz T i e g e l's), der erregende Oeffnungs- inductionsschlag wurde durch das Pendel des Pendelmyographions ausgeliist und der Schliessungsschlag abgeblendet. Der Cylinder wurde zwischen je 2 Zuekungen mittels Zahnrad, Schraube ohne Ende und getheilter Drehscheibe um immer gleiche Stiicke vor- geschoben. Das Pr~iparat bestand regelmassig aus Triceps mit Gastrocnemius. Das Resultat dieser Versuche, deren Originalta ich Fach- genossen gern zur Disposition stelle, ist ausnahmslos das gleiehe, und vom Tiegel'schen durchaus abweiehend. Sowohl bei den Ueberlastungs- als bel den Belastungsversuchen, sowohl bei frischen als bel ermiideten Muskeln, sowohl bei maximaler als bei unter- maximaler Reizung, sowohl in dem Versuchstheil mit zunehmender wie in dem mit abnehmender Last ist die Verbindungslinie der oberen Zuckungsendpunkte eine Curve von regelmiissiger, nach unten convexer Krtimmung; die Krtimmung nimmt mit zunehmenden Lasten ab, ist aber noch in jedem kleinsten Curvensttick deutlich zu er- kennen. Dieselbe Gestalt hat auch die untere Verbindungslinie bei

Notizen zur Muskelphysiologie

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L. He r m a n n : Notizen zur Muskelphysiologie. 369

(Aus dem physiologischen Laborator ium in Ziirich.)

N o t i z e n z u r M u s k e l p h y s i o l o g i e .

Von

L. Hermann.

1. Ueber die Beziehungen zwischen Last und Hubh~he.

Die ira 12. Bande dieses Archivs, p. 133ff., von T i e g e l mit- getheilten Versuche fiber die Beziehungen zwischen Last und Hub- h(ihe habe ich wiederholt, weil sie mit fr~iheren unpublicirten Ver- suchen von mir tiber den gleichen Gegenstand nicht ttbereinstimmten. Der h~lzerne Hebel meines Myographions wog sammt Stahlaxe und federnder M ar e y'scher Schreibspitze nur 3,08 Gramm, sein Moment am Muskel betrug 0,4 Gramm, der Eimer wog 6 Gramm; zut Be- lastung resp. Ueberlastung dienten Bleikugeln von 5,4 Gramm. Das constante Reizintervall betrug durchweg 30 Secunden (ich ver- mied die grosse Reizfrequenz T i e g e l's), der erregende Oeffnungs- inductionsschlag wurde durch das Pendel des Pendelmyographions ausgeliist und der Schliessungsschlag abgeblendet. Der Cylinder wurde zwischen je 2 Zuekungen mittels Zahnrad, Schraube ohne Ende und getheilter Drehscheibe um immer gleiche Stiicke vor- geschoben. Das Pr~iparat bestand regelmassig aus Triceps mit Gastrocnemius.

Das Resultat dieser Versuche, deren Originalta�9 ich Fach- genossen gern zur Disposition stelle, ist ausnahmslos das gleiehe, und vom Tiegel ' schen durchaus abweiehend. Sowohl bei den Ueberlastungs- als bel den Belastungsversuchen, sowohl bei frischen als bel ermiideten Muskeln , sowohl bei maximaler als bei unter- maximaler Reizung, sowohl in dem Versuchstheil mit zunehmender wie in dem mit abnehmender Last ist die Verbindungslinie der oberen Zuckungsendpunkte eine Curve von regelmiissiger, nach unten convexer Krtimmung; die Krtimmung nimmt mit zunehmenden Lasten ab, ist aber noch in jedem kleinsten Curvensttick deutlich zu er- kennen. Dieselbe Gestalt hat auch die untere Verbindungslinie bei

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den Belastungsversuchen, d. h. die Dehnungscurve des ruhenden Muskels; von letzterer giebt dies auch Tiege l an.

Mit genau gleichem Resultate wie an gewShnlichen Muskeln gelingen die Versuche an curarisirten und entbluteten; ich habe die letztere von T i e gel gegcbene Vorschrift �9 cinige Versuchsreihen befolgt, obgleich ich nicht einzusehen vermag, welche Bedeutung die Ausschaltung der Nerven ftir die Beziehung zwischen Last und Hubhiihe haben kann, und die geringf0gigen Blutreste im ausge- schnittenen Muskel doch gewiss keine physiologischc Bedeutung haben.

Da meine Versuche mit Vermeidung aller erdenklichen Fehler- quellen angestellt sind, so muss ich es T i e g e l fiberlassen, den Grund der Divergenz aufzukliiren. Bis dahin unterlasse ich es auch auf theoretische ErSrterungen einzugehen, obgleich es leicht ist dar- zuthun, dass das Ti eg el'sche Gradlinigkeitsgesetz ftir die Ueber- lastungsversuche theoretisch ausserst unwahrscheinlich, ftir die Be- lastungsversuche so gut wie unmSglich ist, und zwar ohne alle Be- riicksichtigung des Weber 'schen Schemas der Contraction. In Bezug auf letzteres bemerke ich nur noch, dass ihm das von T iegel ana Schluss seiner Arbeit erw~thnte Fehlen der Weber'schen nega- tiven HubhShen keineswegs widcrspricht; schon F i c k bat letztere Thatsache constatirt, sic aber unter der einfachen Voraussetzung mit dem Weber 'schen Schema vereinbart, dass die beiden Deh- nungscurven sich nicht wie W eb er meinte schnciden, sondern sich asymptotisch einander anschliessen 0.

2. Ueber den Verkfirzungsriickstand der ~Iuskeln.

Unter dem nicht ganz gl~icklichen Namen ))Contractury beschreibt T i ege l in diesem Archiv Bd.XIII, p. 71ff. eine Erscheinung, welche ich schon vor 17 Jahren in raciner Inauguraldissertation mitgetheilt habe (de tono ac motu musculorum nonnulla, Berolini 1859; ein Referat befindet sich in Cans ta t t ' s Jahresbericht). Ich hielt es nicht fiir n~)thig um sie noch einmal in einer Zeitschrift zu pu- bliciren, doch habe ich sie in raciner Arbeit iiber den Muskeltonus ira Archiv f. Anat. u. Physiol. (1861, p. 350) in einer Anmerkung erw~hnt und in s~mmtlichen Auflagen meines Grundrisses der Phy- siologie (1. Aufl. p. 195, 5. Aufl. p. 235) mit den Worten berticksich-

1) Ygl. F i c k , Untersuchungen iiber Muskelarbeit. Basel 1867. p. 47; H e r m a n n , Grundriss d. Physiol. 5. Anti. 1874. p. 241. Anm.

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tigt: �87 der Muskel gar nicht belastet, auch nicht durch sein eigenes Gewicht (z. B. wenn er auf Quecksilber liegt), so behiilt er ungef~:hr die Form, die er ira Moment der hiichsten Verkiirzung hatte (Ki ihne) ; ist er nur schwach belastet, so erreicht er die ursprtingliche Liinge nur anniihernd wieder ( H e r m a n n).y

Jene in meiner Erstlingsarbeit mitgetheilten, auf du Bois - R e y m o n d 's Anregung angestellten Versuche waren siimmtlich mit d i r e c t e r Reizung vorgenommen. Es musste mir daher ent- gehen, dass der V~rktirzungsrtickstand, wie T iege l jetzt findet, nur bei dieser auftritt (doch finde ich ganz bestimmte, wenn auch schwache Spuren davon auch bei indirecter Reizung in meinen Myographiontiifelchen aus den letzten Jahren). Meine damalige An- nahme:, dass der Verktirzungsrtiekstand immer nur auf einem innern mechanischen Widerstande, der bel der Wiederverl~ingerung zu tiber- winden ist, beruhe, wiire hiernach nicht mehr zul~ssig.

So ohne Beispiel aber, wie T i ege l annimmt, scheint mir die Erscheinung auch jetzt nicht in der Muskelphysiologie dazustehen. Nach T i e g e l 's Angaben tritt sie nur bei sehr heftiger (wahr- scheinlich deshalb hauptsiichlich bei directer) Reizung, und beson- ders stark bel ermtideten oder sonst nicht ganz normalen Muskeln auf. Das Phii.nomen ist also nichts anderes als die sogenannte i d i o m u s c u l ~ r e Con t rac t ion . Aueh diese ist eine abnorm lang anhaltende Contraction auf heftigen directen Reiz, besonders bei ermtideten oder absterbenden Muskeln.

Auch die Toxicologie bietet uns ein sehr naheliegendes Ana- logon, n~tmlich den toxischen Verkfirzungsriickstand durch Veratrin (vgl. die Zusammenstellung der einschl~igigen Arbeiten in meinem Lehrb. d. exper. Toxicologie p, 346 ff.) und einige andere Gifte.

Die Erkl~trung all dieser Erscheinungen diirfte e t i a in der Richtung zu suchen sein, wo sie F ick und Bi ihm fiir den letzto genannten Fall gesucht haben; die Processe, welche mit der Rtick- kehr aus dem verkiirzten in den Ruhezustand verbunden sind (die Existenz solcher Processe ist noch neuerdings von Fick , s. Beitriige der Schiiler Ludwig ' s , I. p. 153, und unter H e i d e n h a i n ' s Leitung von S t e i n e r , s. dies Archiv XI, p. 196, du reh die thermischen Erscheinungen dargethan worden), werden durch gewisse Abnor- mit~ten, wie starke Ermiidung, AbSterben, ErnahrungsstSrungen und viele Gifte (Veratrin, Antiarin, Digitalin, Coffein etc.) verz5gert oder selbst verhindert. Nach meinen Anschauungen ttber das Wesen

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der Contraction, wonaeh dieselbe ein der Starre durehweg analoger, aber rasch vor~ibergehender Zustand ist, wiiren die in Rede stehen- rien Erscheinungen als abnorme Ver]~ingerung dieses Zustandes, so- mit als ein Uebergangszustand in der Richtung zur wirklichen Er- starrung aufzufassen.

Naehschrift.

In einer sp~iteren, soeben mir zugegangenen Arbeit von Tiege l (dies Archiv XIII. p. 277) findet sich die Bemerkung, dass ein grad- liniger Abfall unter Umstiinden dureh Reibung an der Schreibfliiche oder an der Hebelaxe in eine nach unten convexe Curve verwandelt werden kann. Dies veranlasst mieh, um einem etwa hierauf ge- grtindeten Einwand Tie g e l 's zuvorzuk0mmen, zu der ausdriick- lichen Bemerkung, dass die Reibung in meinen Versuchen iiusserst gering war, vermuthlich geringer als am Tiegel 'schen Apparat. Meine Hebelaxe geht in polirten Stahlspitzen, meine Schreibfeder ist ein sehr weiches dtinnes Bl~tttchen, nur soweit anfedernd als zum sicheren Sehreiben nSthig ist. Uebrigens sollte man meinen, dass in unserm Falle Reibung eher die Convexit~s zu verwischen tendirt; denn ihr Einfluss muss um so kleiner sein je grSsser die bewegte Masse und je niedriger der Zuckungsstrich; also wird sie germe die relativ hohen Zuekungen bel kleinen Lasten zu vermindern, die Curve mithin der Graden zu niihern streben.

Ich habe neuerdings noeh eine Anzahl Versuche mit einer Reizfrequenz von 15 Secunden angestellt. Auch hier sieht man die absolut regelmiissige Convexit~it nach unten aufs Schiinste; nur darf man sich bei kurzen Curvenstiicken, d .h . bei Ueberlastungsreihen mit schwachem Reize, nicht auf den blossen oberfl~ichlichen Anblick verlassen, sondern muss das Lineal anlegen oder die ttShen messen.