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Nr. 50 29. Jahrgang 2005 MedReport 3 D as Deutsche Gesundheitswesen mit seiner starren Trennung zwischen ambulantem und sta- tionären Sektor ist verwirrend. Bei der Diskussion dieser Thematik muss man einerseits zwischen den medizinischen Bedürfnissen einschl. der Leitlinien und andererseits den formalen Defini- tionen von „ambulant“ und „statio- när“ unterscheiden. Was sagen die Leitlinien? In den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (zuletzt publiziert 1997) heißt es: „Nach unkomplizierter PTCA können die Patienten nach 24 bis 48 Stunden aus der Überwachung entlassen werden“. Die Begriffe „ambulant“ bzw. „statio- när“ werden hier nicht erwähnt. Das zurzeit in Arbeit befindliche Update sieht folgenden Satz vor: „Bei unkom- plizierter PCI, unauffälliger Nachbe- obachtung und Niedrigrisikopatien- ten kann die Nachbetreuung von 24 Stunden auf die nachfolgende Nacht und 16 bis 20 Stunden abgekürzt wer- den“. Auch hier werden die Worte „ambulant“ bzw. „stationär“ nicht ver- wendet. Formale Unterschiede zwischen „ambulant“ und „stationär“ Der wesentliche Unterschied zwischen einer ambulanten und stationären Behandlung ist der Einweisungsschein („Verordnung von Krankenhausbe- handlung“). Wird eine solche Verord- nung nicht ausgefüllt, liegt eine ambu- lante Behandlung vor, auch wenn der Patient sich tagelang in einer Klini- kumgebung (z. B. Praxisklinik) befin- det. Somit ergibt sich die in Tabelle 1 beschriebene Situation. Unterschiedliche Vergütungs- systeme für die gleiche PCI Die ambulante PCI wird nach EBM „vergütet“, die stationäre PCI dagegen nach DRG (± Zusatzentgelt): Ambulante PCI: Bei einem angenommenen Punktwert von 5,11 Cents (das ist aber in Deutschland die Ausnahme) errechnet sich aus dem EBM für eine ambulante PCI 1.218,- für die ärztliche Leistung, zusätzlich 1.058,- Sachkostenpau- schale = 2.276,-. Mit Ausnahme der zusätzlichen Sachkostenpauschale von 690,- für eine Mehrgefäß-PCI gibt es im EBM keine analoge Differenzie- rung wie sie im stationären System abgebildet ist (Tab. 2). Stationäre PCI: Für eine „einfache“ stationäre PCI ergeben sich die in Tabelle 2 aufge- führten Beträge. Selbst im günstigsten Falle (F58Z, PTCA einfach ohne Stent) ist die ambulante PCI ein- schließlich Stentimplantation immer noch kostengünstiger als die stationäre PCI ohne Stentimplantation. Zukünftige Modelle Ziel zukünftiger Entwicklungen muss es sein, dass dieselbe Leistung gleich vergütet wird – unabhängig, ob sie „ambulant“ oder „stationär“, d. h. vertragsärztlich oder krankenhaus- ärztlich erbracht wird. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass Vertragsärzte – aufgrund ihrer selb- ständigen Tätigkeit – Personal, Geräte, Miete usw. selbst finanzieren müssen, während für Krankenhausärzte (Ange- stellte) dies nicht zutrifft. Die Ziele zukünftiger Entwicklungen sind in Tabelle 3 aufgeführt. Zusammenfassung Die Koronarintervention (PCI) muss nicht obligat stationär erfolgen. Ent- scheidend ist die Überwachungsdauer und Überwachungsqualität nach der PCI. Diese sind unabhängig davon, ob sie „ambulant“ oder „stationär“ erbracht wurden und richten sich nach den medizinischen Bedürfnissen der Patienten. Die derzeit im ambulanten und stationären Bereich festgeschrie- bene unterschiedliche Vergütung von Arzt- und Materialkosten für identi- sche Koronarinterventionen ist inak- zeptabel. Die integrierte Versorgung bietet eine Möglichkeit, die „Sekto- rengrenzen“ auszuheben, gerechte Vergütungssysteme aufzubauen und darüber hinaus relevante Innovatio- nen rasch den Patienten zukommen zu lassen. Änderungen der ambulanten (EBM) und stationären (DRG) Vergü- tungssysteme sind zu schwerfällig und entsprechen nicht dem medizinischen Bedarf der Patienten. Zentrales Pro- blem des Gesundheitswesens in Deutschland ist die Bindung der für die Versorgung der Patienten zur Ver- fügung stehenden Mittel an die Bei- tragsstabilität. Solange dem Dogma der Beitragsstabilität eine höhere Prio- rität als der Qualität der Krankenver- sorgung zukommt, wird es – insbe- sondere in Anbetracht der zunehmen- den Arbeitslosigkeit und steigenden Lebenserwartung – eher zu einer Ver- schärfung als zu einer Lösung der Pro- bleme kommen. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Sigmund Silber F.A.C.C., F.E.S.C. 1. Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen e.V. (BNK) Kardiologische Praxis und Praxisklinik Am Isarkanal 36, 81379 München Tel. (089) 74 21 51 30 Fax (089) 74 21 51 31 [email protected] www.sigmund-silber.com Koronarinterventionen (PCI): obligat stationär? SIGMUND SILBER, MÜNCHEN Die Frage, ob Koronarinterventionen nicht nur stationär, sondern auch ambulant durchgeführt werden können bzw. dürfen, wird seit Jahren zunehmend gestellt. Dies ist umso verwirrender, als man in Deutschland „ambulant“ in einem Überwachungsbett über Nacht bleiben kann, andererseits auch „stationär“ am selben Tag entlassen werden kann. Prof. Dr. Sigmund Silber am Katheterarbeitsplatz Formal kann man aus der Länge des Aufenthaltes nicht zwischen „ambulant“ und „stationär“ unerscheiden. Der Unterschied ergibt sich ausschließlich aus dem Ausstellen eines Einweisungsscheins für stationäre Behandlung. ambulant: stationär: am selben Tag entlassen am selben Tag entlassen am nächsten Tag entlassen am nächsten Tag entlassen nach einigen Tagen entlassen nach einigen Tagen entlassen Tab. 1: Vergütung einer stationären PCI im G-DRG 2005, berechnet für eine Baserate von 3.100,-. Selbst im günstigsten Falle (F58Z, PTCA einfach ohne Stent) ist die ambulante PCI einschließlich Stentimplantation mit 2.276,- immer noch kostengünstiger als die stationäre PCI ohne Stentimplantation mit 2.375,-. (UGVD: untere Grenzverweildauer, MGVD: mittlere Grenzverweildauer). UGVW MGVW MGVW Anzahl Anzahl Betrag € Nächte Nächte F15Z PTCA mit komplizierenden 4 14 9609,60 Prozeduren F 19 Z PTCA, mit äußerst schweren CC 3 9 4941,19 F 52 Z PTCA, einfach mit 3 10 4755,14 komplexen Diagnosen F 55 Z PTCA, ohne äußerst schwere CC/ 2 5 3803,49 z.B. Cutting Ballon, Brachytherapie F 56 Z PTCA mit hochkomplexer 2 6 3701,20 Intervention F 57 Z PTCA, mit komplexer Intervention 2 6 2861,14 F 58 Z PTCA, einfach ohne Stent 2 5 2374,50 Tab. 2: Eckpunkte zukünftiger Versorgungsstrukturen. Aufhebung der „Sektorengrenzen“ zwischen ambulant und stationär Gleiches Geld für gleiche Leistung – egal ob „ambulant“ oder „stationär“ erbracht Wegfall der sektoralen Budgetierung Möglichkeit der raschen Einführung medizinischer Innovationen („Innovationspauschalen“) – lange bevor Gemeinsamer Bundesausschuss, EBM oder DRG es ermöglichen würden. Tab. 3:

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Page 1: Nr. 50 Koronarinterventionen (PCI): obligat stationär? · PDF fileNr. 50 29. Jahrgang 2005 MedReport 3 D as Deutsche Gesundheitswesen mit seiner starren Trennung zwischen ambulantem

Nr. 50 � 29. Jahrgang 2005 MedReport � 3

Das Deutsche Gesundheitswesenmit seiner starren Trennungzwischen ambulantem und sta-

tionären Sektor ist verwirrend. Bei derDiskussion dieser Thematik muss maneinerseits zwischen den medizinischenBedürfnissen einschl. der Leitlinienund andererseits den formalen Defini-tionen von „ambulant“ und „statio-när“ unterscheiden.

Was sagen die Leitlinien?

In den Empfehlungen der DeutschenGesellschaft für Kardiologie (zuletztpubliziert 1997) heißt es: „Nach

unkomplizierter PTCA können diePatienten nach 24 bis 48 Stunden ausder Überwachung entlassen werden“.Die Begriffe „ambulant“ bzw. „statio-när“ werden hier nicht erwähnt. Daszurzeit in Arbeit befindliche Updatesieht folgenden Satz vor: „Bei unkom-plizierter PCI, unauffälliger Nachbe-obachtung und Niedrigrisikopatien-ten kann die Nachbetreuung von 24Stunden auf die nachfolgende Nachtund 16 bis 20 Stunden abgekürzt wer-den“. Auch hier werden die Worte„ambulant“ bzw. „stationär“ nicht ver-wendet.

Formale Unterschiede zwischen„ambulant“ und „stationär“

Der wesentliche Unterschied zwischeneiner ambulanten und stationärenBehandlung ist der Einweisungsschein(„Verordnung von Krankenhausbe-handlung“). Wird eine solche Verord-nung nicht ausgefüllt, liegt eine ambu-lante Behandlung vor, auch wenn derPatient sich tagelang in einer Klini-kumgebung (z. B. Praxisklinik) befin-det. Somit ergibt sich die in Tabelle 1beschriebene Situation.

Unterschiedliche Vergütungs-systeme für die gleiche PCI

Die ambulante PCI wird nach EBM„vergütet“, die stationäre PCI dagegennach DRG (± Zusatzentgelt):

Ambulante PCI:Bei einem angenommenen Punktwertvon 5,11 Cents (das ist aber inDeutschland die Ausnahme) errechnetsich aus dem EBM für eine ambulantePCI € 1.218,- für die ärztliche Leistung,zusätzlich € 1.058,- Sachkostenpau-schale = € 2.276,-. Mit Ausnahme derzusätzlichen Sachkostenpauschale von€ 690,- für eine Mehrgefäß-PCI gibt esim EBM keine analoge Differenzie-rung wie sie im stationären Systemabgebildet ist (Tab. 2).

Stationäre PCI:Für eine „einfache“ stationäre PCIergeben sich die in Tabelle 2 aufge-führten Beträge. Selbst im günstigstenFalle (F58Z, PTCA einfach ohneStent) ist die ambulante PCI ein-schließlich Stentimplantation immernoch kostengünstiger als die stationärePCI ohne Stentimplantation.

Zukünftige Modelle

Ziel zukünftiger Entwicklungen musses sein, dass dieselbe Leistung gleich

vergütet wird – unabhängig, ob sie„ambulant“ oder „stationär“, d. h.vertragsärztlich oder krankenhaus-ärztlich erbracht wird. Hierbei mussallerdings berücksichtigt werden, dassVertragsärzte – aufgrund ihrer selb-ständigen Tätigkeit – Personal, Geräte,Miete usw. selbst finanzieren müssen,während für Krankenhausärzte (Ange-stellte) dies nicht zutrifft. Die Zielezukünftiger Entwicklungen sind inTabelle 3 aufgeführt.

Zusammenfassung

Die Koronarintervention (PCI) mussnicht obligat stationär erfolgen. Ent-scheidend ist die Überwachungsdauerund Überwachungsqualität nach derPCI. Diese sind unabhängig davon, obsie „ambulant“ oder „stationär“erbracht wurden und richten sich nachden medizinischen Bedürfnissen derPatienten. Die derzeit im ambulantenund stationären Bereich festgeschrie-bene unterschiedliche Vergütung vonArzt- und Materialkosten für identi-sche Koronarinterventionen ist inak-zeptabel. Die integrierte Versorgungbietet eine Möglichkeit, die „Sekto-rengrenzen“ auszuheben, gerechteVergütungssysteme aufzubauen unddarüber hinaus relevante Innovatio-

nen rasch den Patienten zukommen zulassen. Änderungen der ambulanten(EBM) und stationären (DRG) Vergü-tungssysteme sind zu schwerfällig undentsprechen nicht dem medizinischenBedarf der Patienten. Zentrales Pro-blem des Gesundheitswesens inDeutschland ist die Bindung der fürdie Versorgung der Patienten zur Ver-fügung stehenden Mittel an die Bei-tragsstabilität. Solange dem Dogmader Beitragsstabilität eine höhere Prio-rität als der Qualität der Krankenver-sorgung zukommt, wird es – insbe-sondere in Anbetracht der zunehmen-den Arbeitslosigkeit und steigendenLebenserwartung – eher zu einer Ver-schärfung als zu einer Lösung der Pro-bleme kommen.

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. med. Sigmund SilberF.A.C.C., F.E.S.C.1. Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen e.V. (BNK)Kardiologische Praxis und PraxisklinikAm Isarkanal 36, 81379 MünchenTel. (089) 74 21 51 30Fax (089) 74 21 51 [email protected]

Koronarinterventionen (PCI): obligat stationär?S I G M U N D S I L B E R , M Ü N C H E N

Die Frage, ob Koronarinterventionen nicht nur stationär, sondern auch ambulant durchgeführt werden können bzw.dürfen, wird seit Jahren zunehmend gestellt. Dies ist umso verwirrender, als man in Deutschland „ambulant“ in einemÜberwachungsbett über Nacht bleiben kann, andererseits auch „stationär“ am selben Tag entlassen werden kann.

Prof. Dr. Sigmund Silber am Katheterarbeitsplatz

Formal kann man aus der Länge des Aufenthaltes nicht zwischen„ambulant“ und „stationär“ unerscheiden. Der Unterschied ergibt sichausschließlich aus dem Ausstellen eines Einweisungsscheins für stationäreBehandlung.

ambulant: stationär:

am selben Tag entlassen am selben Tag entlassenam nächsten Tag entlassen am nächsten Tag entlassennach einigen Tagen entlassen nach einigen Tagen entlassen

Tab. 1:

Vergütung einer stationären PCI im G-DRG 2005, berechnet für eineBaserate von € 3.100,-. Selbst im günstigsten Falle (F58Z, PTCA einfach ohneStent) ist die ambulante PCI einschließlich Stentimplantation mit € 2.276,-immer noch kostengünstiger als die stationäre PCI ohne Stentimplantation mit€ 2.375,-. (UGVD: untere Grenzverweildauer, MGVD: mittlereGrenzverweildauer).

UGVW MGVW MGVW Anzahl Anzahl Betrag € Nächte Nächte

F15Z PTCA mit komplizierenden 4 14 9609,60 Prozeduren

F 19 Z PTCA, mit äußerst schweren CC 3 9 4941,19

F 52 Z PTCA, einfach mit 3 10 4755,14 komplexen Diagnosen

F 55 Z PTCA, ohne äußerst schwere CC/ 2 5 3803,49 z.B. Cutting Ballon, Brachytherapie

F 56 Z PTCA mit hochkomplexer 2 6 3701,20 Intervention

F 57 Z PTCA, mit komplexer Intervention 2 6 2861,14

F 58 Z PTCA, einfach ohne Stent 2 5 2374,50

Tab. 2:

Eckpunkte zukünftiger Versorgungsstrukturen.

� Aufhebung der „Sektorengrenzen“ zwischen ambulant und stationär� Gleiches Geld für gleiche Leistung – egal ob „ambulant“ oder „stationär“

erbracht� Wegfall der sektoralen Budgetierung� Möglichkeit der raschen Einführung medizinischer Innovationen

(„Innovationspauschalen“) – lange bevor Gemeinsamer Bundesausschuss,EBM oder DRG es ermöglichen würden.

Tab. 3: