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BEACHTLICH GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland über Lebensversicherungen & Lobbyismus. BEDAUERLICH, aber nötig: Schutz gegen Mobbing und Rufschädigung im Netz. posıtıonen ZU POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT BEDROHLICH Aggressives Fahrverhalten führt viel zu häufig zu Autounfällen. NR. 88 MÄRZ 2013 PREIS 2 EURO C 44755 ENDLICH FRÜHLING! Für manche Autoliebhaber beginnt jetzt die schönste Zeit des Jahres: Der Oldtimer darf wieder aus der Garage.

NR. 88 MÄRZ 2013 PREIS 2 EURO C 44755 pos t onen · BEACHTLICH GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland über Lebensversicherungen & Lobbyismus. BEDAUERLICH , aber nötig: Schutz gegen

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beachtlich GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland über Lebensversicherungen & Lobbyismus.

bedauerlich, aber nötig: Schutz gegen Mobbing und Rufschädigung im Netz.

posıtıonenzu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

bedrohlich Aggressives Fahrverhalten führt viel zu häufig zu Autounfällen.

N r . 8 8 März 2013 P r e i s 2 e u r o c 4 4 7 5 5

eNdlich FrühliNg !Für manche Autoliebhaber beginnt jetzt die schönste Zeit des Jahres:

Der Oldtimer darf wieder aus der Garage.

Aktuell 3

titel 4

Herrlich altmodisch!

Die Oldtimer rollen bald wieder aus der

Garage auf unsere Landstraßen.

Ein Frühlingsbericht.

HiNteRGRuND 10

Ist der Ruf erst ruiniert …

Versicherer bieten neue Produkte an gegen

Mobbing und Rufschädigung im Internet.

NACHGeFRAGt – DAS iNteRVieW 12

Alexander Erdland, Präsident des GDV,

über die aktuelle Niedrigzinspolitik, seine Arbeit

als „Cheflobbyist“ und das Bild der Versicherer

in der öffentlichen Wahrnehmung.

HiNteRGRuND 16

Kampfmaschine Auto

Aggressives Fahrverhalten führt womöglich weit

häufiger zu Unfällen als gedacht.

GeGeNpoSitioNeN 18

Keine Lotterie

SeRViCe 19

letzte Seite 20

Sonniger Norden

iMpReSSuM 20

Themendieser

ausgabe

DR. AlexANDeR eRDlAND

Präsident des GDV

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Einer für alle, alle für einen – das

ist das Prinzip der Solidarität und

der Ursprungsgedanke einer jeden

Versichertengemeinschaft. Als

neuer Präsident des GDV bin ich der

Überzeugung: Versicherer bilden

nicht nur eine wichtige Säule in der

Alterssicherung, sondern ermöglichen

Innovationen und machen Risiken in

allen Lebenslagen beherrschbar. Wir sind

ein Stabilitätsanker – auch oder gerade

besonders in Zeiten der Krise.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

bei allen Neuerungen, die das Leben einfacher

oder sicherer machen, gibt es doch Altes und

Bewährtes, das erhalten bleibt und hoch ge-

schätzt wird. In der Titelgeschichte geht es um

Oldtimer – um alte Fahrzeuge, die von ihren

Besitzern geliebt und gepflegt werden. Jetzt,

wenn der Frühling beginnt, werden wir die schö-

nen Autos wieder öfter auf den Landstraßen

sehen. Oldtimer-Besitzer sind in der Regel be-

sonnene Fahrer. Doch wenn es zu einem Unfall

kommt, werden die Insassen auf Grund der

fehlenden Sicherheitstechnik weit häufiger und

schwerer verletzt als bei modernen Fahrzeugen.

Das Internet hat unser aller Leben verändert. Es

bringt aber auch neue Probleme mit sich: Er-

reichten öffentliche Schmähungen früher nur

einen recht begrenzten Kreis, so können heute

kompromittierende Fotos oder in Netzwerken

verbreitete Gerüchte sich binnen Kurzem tau-

sendfach verbreiten. Wie bekommt man solche

Dinge je aus dem Netz? Der erste Hintergrund-

bericht zeigt: Mit innovativen Produkten schaf-

fen Rechtsschutzversicherer und Assis tance-

Partner jetzt Abhilfe.

Um aggressive Raser und Drängler, die wohl für

ein Drittel aller im Straßenverkehr getöteten

Menschen verantwortlich sind, geht es im zwei-

ten Hintergrundbericht, der nach Gründen für

dieses Verhalten fragt. Fest steht: Diese gefähr-

lichen Täter müssen konsequent bestraft und

andere vor ihnen geschützt werden.

Auch die Versicherungen arbeiten nach einem

alten, bewährten Gedanken: Einer für alle – alle

für einen. Das Prinzip der Solidarität. Mit die-

sem einfachen Grundprinzip bilden die Versi-

cherer nicht nur eine wichtige Säule der Alters-

sicherung, sondern ermöglichen Innovationen,

machen Risiken in allen Lebensbereichen be-

herrschbar. Als neuer Präsident des GDV stelle

ich mich im Interview den aktuellen Fragen der

Branche. Ich bin überzeugt: Wir sorgen als Ver-

sicherer mit dafür, dass die deutsche Wirtschaft

stark bleibt. Und wir übernehmen verlässlich

Alltags- und Zukunftsrisiken der Menschen. Wir

sind ein Stabilitätsanker für Wirtschaft und Ge-

sellschaft, auch in Zeiten der Krise.

Ihr Alexander Erdland

eiNbliCk

2 positionen

was sagt man dazu?Drei Stimmen zur Debatte um die Gesetzesänderung bei den Lebensversicherungen:

„Bei der Vermittlung der Neuregelung in der Öffentlich-

keit ist einiges furchtbar schiefgelaufen. Ich nehme ja

niemandem einen Geldbetrag weg, mit dem er bei

Abschluss des Vertrages fest rechnen konnte.“

Elke König, Präsidentin der Bundesanstalt für Finanzdienst-

leistungsaufsicht (Bafin),

am 8. Februar in der Welt.

„Selbst ernstzunehmende Verbraucherschützer sollten die

Verbraucher davor beschützen, dass Lebensversicherer

Gewinne ausschütten, die nie erwirtschaftet wurden oder

werden.“

manfred Poweleit, Branchenanalyst, Herausgeber des

Map-Reports,

am 15. Januar in Map-Fax.

„Es geht bei der Gesetzesänderung nicht darum, dass die

Unternehmen zulasten der Versicherungsnehmer mehr von

den Kapitalerträgen erhalten. Vielmehr geht es um die Ver-

teilung der Überschüsse innerhalb der Gemeinschaft der

Versicherungsnehmer.“

Frank Ellenbürger, Vorstandsmitglied KPMG AG Wirtschafts-

prüfungsgesellschaft,

am 14. Februar in der Börsen-Zeitung.

Kurz PositioniertKurz gemeldet

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mEhr rEchtssichErhEitBGH: Unterjährige Zahlungsweise von Versicherungsprämien ist keine Kreditgewährung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Bei der vertraglich ver-

einbarten unterjährigen Zahlungsweise von Versicherungsprämien

handelt es sich nicht um eine Kreditgewährung in Form eines ent-

geltlichen Zahlungsaufschubs. In der vom BGH entschiedenen Sache

hatten die Kläger eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen und

zahlten die Versicherungsprämien in monatlichen Raten. Dabei wurden

Ratenzahlungszuschläge erhoben. Nach Auffassung der Kläger handelte

es sich jedoch bei der unterjährigen Zahlung der Jahresprämie um einen

entgeltlichen Zahlungsaufschub und somit um eine Kreditgewährung.

Die Kläger forderten deshalb, den Versicherer zu verpflichten, ihnen

Beitragsrechnungen mit Ratenzahlungszuschlägen in Höhe des gesetz-

lichen Zinssatzes von vier Prozent auszustellen sowie die bisher gezahl-

ten Differenzbeträge zuzüglich Zinsen auszuzahlen. Der BGH folgte

dieser Auffassung nicht und wies – wie bereits alle Instanzen zuvor – die

Klage als unbegründet zurück.

grünE KEnnzEichEn Für moFasAb 1. März brauchen Mopeds und Mofas eine neue Versicherung.

Vom 1. März 2013 an dürfen Mofas und Mopeds nur noch mit grünem

Kennzeichen fahren. Die blauen Nummernschilder verlieren ihre Gültigkeit.

Wer jetzt noch mit blauem statt grünem Kennzeichen fährt, hat kei-

nen Haftpflichtversicherungsschutz und macht sich strafbar. Die neuen

Mofakennzeichen sind direkt bei den Kraftfahrtversicherern erhältlich.

Rowan Atkinson alias Mr. Bean ist bekannt als Mann mit skurrilen Grimassen: Er

rümpft die Nase wie kein zweiter, zieht die Augenbrauen hoch bis zum

Haaransatz und reißt die Augen so weit auf als wäre sein Gesicht eine einzigar-

tige Bühne, auf der Dutzende Muskel und Sehnen ein improvisiertes Stück

aufführen, das die Zuschauer immer wieder begeistert. In seinen Sketchen fährt

Mr. Bean meist einen alten Mini, britisches Understatement. Privat allerdings

saust Atkinson gern im Supersportwagen über die Insel, zum Beispiel in seinem

1999 erworbenen McLaren F1: 6,1 Liter V12-BMW-Motor, über 600 PS, von 0 auf

100 km/h in 3,4 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit etwa 380 km/h. Im Jahr 2011

fuhr Atkinson mit seinem McLaren gegen einen Baum. Totalschaden. Er verletzte

sich nur an der Schulter. Sein Wagen allerdings kam in eine Spezialwerkstatt.

Jetzt – fast zwei Jahre später – bekam Atkinson seinen Lieblingswagen zurück

und gleichzeitig die Rechnung für die Reparatur präsentiert: 910.000 britische

Pfund (1,06 Millionen Euro). Es ist – laut der schottischen Zeitung The Scotsman

– die teuerste Unfallrechnung in der Geschichte Großbritanniens. Atkinson

will in Zukunft trotzdem wieder mit seinem McLaren F1 über die Straßen flitzen.

Die jährlich zu berappende Versicherungssumme beläuft sich nun aber auf

mindestens 38.000 britische Pfund (etwa 44.000 Euro).

die schÖnste VersicherungssAche der welt

LANGSAM, MR. BEAN!

positionen 3

1,06 mio. Euro

titel

herrlichaltmodisch!Sobald es wieder warm wird, holen Oldtimerliebhaber ihre VW Käfer, Porsche 911 oder Mercedes-Flügeltürer aus der Garage und schwärmen vom authentischen Fahrgefühl. Die Faszination für die alten Wagen nimmt zu, zumal das Unfallrisiko geringer ist als bei modernen Autos.

Aus freude Am fAhrgefühl Keine Kopfstütze, kein Gurt –

und trotzdem ein Blickfang, dem man nicht leicht widersteht:

der Jaguar XK 120 aus dem Jahr 1953.

obald der letzte Schnee ge­

schmolzen ist und die Früh­

lingssonne auf den Asphalt

scheint, holen Tausende deut­

sche Autofahrer ihre Oldtimer

aus den Garagen. Ob ein VW Käfer aus den

Sechzigerjahren, ein vierzig Jahre alter Porsche

911 oder ein Mercedes 300 SL Coupé mit Flü­

geltüren aus dem Jahr 1955 – viele sind faszi­

niert von den alten Autos und investieren eine

Menge Zeit, Geld und Schweiß in das „rostigste

Hobby der Welt“.

„Mein Oldtimer hört sich einfach noch an wie

ein richtiges Auto“, sagt Siegfried Brockmann,

Leiter der Unfallforschung der Versicherer

(UDV) beim Gesamtverband der Deutschen

Versicherungswirtschaft. Seit sieben Jahren be­

sitzt er einen Porsche Targa, einen 911 S aus dem

Jahr 1975. „Dieses Röhren, das entsteht, wenn

der Kolben das Gas durch das Auslassventil in

den Auspuff presst, ist einfach etwas anderes als

die künstlichen Geräusche modernerer Autos.“

Auch die ursprüngliche Art des Autofahrens

gefällt ihm an seinem Oldtimer. Ohne Servo­

lenkung müsse man hinterm Steuer noch rich­

tig arbeiten, erklärt Brockmann.

Wie ihm geht es vielen Oldtimerliebhabern. „Es

ist ein ganz anderes Fahrgefühl, so ein altes Auto

zu lenken“, sagt Dirk Jurgasch, Oldtimer­Ex­

perte beim ADAC in München. „Dies gilt umso

mehr, je älter das Fahrzeug ist. Das Fahren von

Oldtimern erfolgt in den meisten Fällen bewuss­

ter: Man streift sich die Lederhandschuhe über,

greift das dürre Bakelit­ oder Holzlenkrad und

erfreut sich an der betagten Mechanik, die den

Fahrer noch fordert und nicht nur zum bloßen

Passagier degradiert. Das macht einen bedeu­

tenden Teil Faszination aus.“ Viele verbinden

einen alten Opel Rekord, VW Käfer oder Ford

17M auch mit ihrer Jugend. Erinnerungen an

das Fahrzeug der Eltern, Nachbarn oder den ers­

ten eigenen Wagen werden wach. „Viele erfüllen

sich einen Jugendtraum, wenn sie einen solchen

Oldtimer kaufen und restaurieren, auch weil sie

Spaß am Schrauben haben“, sagt Johann Gwe­

henberger, Leiter der Unfallforschung am Alli­

anz Zentrum für Technik (AZT) in München.

Auch würden Traumautos wie ein Porsche 911,

die damals als Neuwagen sehr teuer waren und

somit für viele unerreichbar schienen, als Old­

timer bezahlbar, meint Dirk Jurgasch, der selbst

einen 66er VW Käfer und einen 83er Mercedes

in der Garage stehen hat. So betrage der durch­

schnittliche Wert eines Oldtimers in Deutsch­

land lediglich etwa 12.000 Euro. Hinzu kommt,

dass viele das individuelle Design eines alten

Porsche, Mercedes oder auch Jaguar unverwech­

selbarer finden als das von modernen SUVs.

Der Faszination Oldtimer scheinen immer

mehr Menschen in Deutschland zu erliegen. Das

legt jedenfalls eine Studie der Technischen Uni­

versität Dresden im Auftrag des Verbands der

Automobilindustrie (VDA) nahe, was die Men­

ge der Fahrzeuge mit Historienkennzeichen in

den vergangenen zehn Jahren anbelangt. Damit

man ein solches Kennzeichen, bei dem ein H auf

dem Nummernschild hinter den Ziffern steht,

bekommt und das Auto als offizieller Oldtimer

gilt, muss ein Wagen über 30 Jahre alt sein und

darf nicht zu stark vom Originalzustand abwei­

chen. Zeitgenössische Umbauten wie ein völlig

anderer und neuer Motor kann man also nicht

vornehmen.

Die Anzahl solcher Fahrzeuge mit H­Kennzei­

chen hat sich laut VDA in den vergangenen zehn

Jahren um durchschnittlich neun Prozent er­

höht. Zum 31. Dezember 2011 fuhren rund

230.000 offizielle Oldtimer auf Deutschlands

Straßen. Laut VDA­Studie besitzen aber nur

59 Prozent aller alten Autos mit einem Alter von

30 oder mehr Jahren ein solches H­Kenn­

zeichen. Neben den offiziellen gibt es also ins­

gesamt noch wesentlich mehr Oldtimer.

Obwohl die Oldtimerzahlen kontinuierlich an­

steigen, machen sie dennoch laut VDA einen

verschwindend geringen Anteil von 0,9 Prozent

der Gesamtzahl der Autos in Deutschland aus.

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DIe ArmATUren eIneS JAgUAr XK 120 Vielleicht kommt das Attribut „Schmuckstück“ bei Oldtimern deshalb so oft vor, weil man sich beinahe beim Juwelier wähnt:

Benzinanzeige, Geschwindigkeits- und Drehmomentmesser, Wassertemperatur – allesamt gold umrandet und mit Liebe zum Detail eingesetzt.

Zum 1. Januar 2012 waren nach Angaben des

Kraftfahrzeugbundesamtes 42,9 Millionen Au-

tos in Deutschland gemeldet. Der mit Abstand

beliebteste Oldtimer in Deutschland ist der zeit-

lose VW Käfer. Knapp 27.000 solcher Fahrzeuge

mit H-Kennzeichen gab es 2011 hierzulande,

das sind fast 20.000 Exemplare mehr als von der

Nummer zwei auf der Liste, der Mercedes SL R

107. Überhaupt finden sich unter den Top Ten

der beliebtesten deutschen Oldtimer fünf weite-

re Mercedes-Modelle. Hinzukommen noch der

Porsche 911, der Opel Kadett und der „Bulli“

von VW.

So beliebt Oldtimer auch sind – ganz leicht zu

fahren sind sie nicht. Vor allem, wenn man mo-

derne Autos mit elektronischen Fahrhilfen ge-

wohnt ist und dann in einen 40 Jahre alten Por-

sche steigt. Genau das hat auch Siegfried

Brockmann erfahren. Er hatte seinen Porsche

noch nicht lange, als auf nasser Straße vor ihm

auf der Autobahn ein anderer Wagen stark

bremste. Wie bei einem neuen Auto stieg Brock-

mann auf die Bremse und wollte gleichzeitig am

Vordermann vorbeifahren. Doch dass der Por-

sche kein ABS hat, man also den Fuß zuerst vom

Bremspedal nehmen muss, bevor man wieder

lenken kann, daran hatte er so schnell nicht ge-

dacht. Erst nach einer Sekunde fiel es ihm wie-

der ein. Gerade so schaffte er es an seinem Vor-

dermann vorbei. Inzwischen kam aber auf der

Spur, auf die er ausgewichen war, ein anderes

Auto herangebraust. Die beiden Wagen kolli-

dierten, am Hinterteil des Porsche 911 entstand

ein erheblicher Blechschaden. Glück licherweise

ist Siegfried Brockmann selbst nichts passiert.

„Mit einem modernen PKW mit ABS und ande-

ren Assis tenzsystemen wäre mein Unfall wahr-

scheinlich nicht passiert“, analysiert er.

Überhaupt sind die Bremsen bei Oldtimern ein

Gefahrenherd. Oftmals ist die Bremswirkung

selbst bei gut eingestellten Bremsen schwächer

als bei modernen Fahrzeugen, dementspre-

chend länger ist der Bremsweg. Während bei

einem neuen Wagen bei einer Geschwindigkeit

von 100 Stundenkilometer der Weg bis zum

Stillstand 30 bis 35 Meter betrage, benötige ein

Oldtimer leicht 50 Meter und mehr, meint Dirk

Jurgasch vom ADAC. Auf diesen längeren

Bremsweg muss man sich einstellen, bevor man

sich ans Steuer eines Oldtimers setzt. Es emp-

fiehlt sich deshalb, an Bord eines VW Käfer oder

Mercedes SL R 107 wesentlich früher zu brem-

sen. Hinzu kommt, dass man bei Oldtimern oft

stark auf das Pedal steigen muss, um die beste

Bremswirkung zu erzielen. Denn Bremskraft-

verstärker haben sie meist nicht.

Ein Problem kann auch die Lenkung sein. Fällt

es heute mit modernen Servolenkungen sehr

leicht, an einer Kreuzung abzubiegen, tun sich

Fahrer von Oldtimern dort schon wesentlich

schwerer. Man muss am Steuer eines alten Fahr-

zeugs teilweise ganz schön kurbeln. Die Gefahr

besteht, dabei auf die Gegenspur zu kommen.

Meistens biegen Oldtimer an Kreuzungen we-

gen der fehlenden Servolenkung langsamer ab

als moderne Autos. Das sollte einem bewusst

sein, wenn man hinter einem Oldtimer her-

fährt. Sonst droht ein Auffahrunfall. „Man sollte

einen gehörigen Abstand halten und selber das

Tempo drosseln“, sagt Johann Gwehenberger

vom AZT.

Risikopotenzial bergen auch manche Reifen,

Spiegel und Lichter, gerade wenn es sich um

sehr alte Oldtimer handelt. „Solche Autos haben

manchmal noch Diagonalreifen, die das Ge-

auf hochglanz poliert Die Frontpartie des Mercedes 190 SL, der von 1955 bis 1963 als Roadster-Cabrio (wahlweise auch als Coupé mit Dach) angeboten wurde, beein-

druckt durch seine robuste Eleganz. Besitzer dieses Modells waren nach der Markteinführung unter anderem: Grace Kelly, Frank Sinatra, Cary Grant und Alfred Hitchcock.

Oftmals ist die Bremswirkung bei Oldtimern schwächer als bei modernen Fahrzeugen. Während bei einem neuen Wagen bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometer der Bremsweg bis zum Stillstand 30 bis 35 Meter beträgt, benötigt ein Oldtimer leicht 50 Meter und mehr.

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MauriTius Much und aLexandrOs sTeFanidis

sind freie Journalisten in München.

Ansprechpartner: Katrin Rüter,

Tel. 030/20 20-51 19, [email protected]

radeausfahren erschweren, aber auch bei Kopf-

steinpflaster und Spurrinnen gefährlich sind“,

sagt Gwehenberger. Auch sind meist die Außen-

spiegel kleiner als die von heutigen Autos.

Manchmal haben sie auch gar keinen rechten

Außenspiegel – so wie der Porsche von Siegfried

Brockmann. Zudem sind Rück- und Brems-

leuchten meistens sehr klein und für andere Ver-

kehrsteilnehmer vor allem in der Dämmerung

nicht leicht zu erkennen.

Trotz der Risiken werden Oldtimer aber wesent-

lich seltener in Unfälle verwickelt als moderne

Fahrzeuge, wie zwei Studien von ADAC, VDA

und der Technischen Universität Dresden einer-

seits sowie dem Allianz Zentrum für Technik

(AZT) belegen. Wenn man die Unfälle von Old-

timern und modernen Autos mit maximal neun

Jahren in Relation setzt, so war das Unfallrisiko

2011 bei Neuwagen laut VDA neunmal höher.

Die Studie des AZT der Jahre 2005 und 2006

besagt sogar, dass das Risiko, einen Unfall mit

Personenschaden in einem Oldtimer zu haben,

rund elfmal niedriger ist als bei einem moder-

nen Pkw. Deshalb ist es auch nicht überra-

schend, dass es sehr günstig ist, seinen Oldtimer

zu versichern. Für die alten Autos gibt es spe-

zielle Oldtimerversicherungen, mit denen man

vor allem die Fahrzeuge mit H-Kennzeichen ab-

sichern kann.

Dafür, dass Oldtimer seltener Unfälle haben,

gibt es mehrere Gründe: „Zum einen liegt das an

der niedrigen Fahrleistung von durchschnittlich

1.500 Kilometern pro Jahr“, sagt Johann Gwe-

henberger. Ein normaler Pkw kommt auf 14.400

Kilometer im Jahr. Zum anderen fahren Old-

timerliebhaber ihre Boliden wesentlich vorsich-

tiger und vorausschauender. „Die meisten ha-

ben sehr viel Liebe, Mühe und Geld in ihr

Fahrzeug gesteckt. Das will niemand durch zu

schnelles und risikoreiches Fahren aufs Spiel set-

zen“, sagt Dirk Jurgasch vom ADAC. Denn wenn

etwas am Oldtimer unfallbedingt kaputtgeht,

wird die Reparatur oft sehr teuer, wenn es über-

haupt noch das entsprechende Ersatzteil gibt.

Wer sich beispielsweise bei einem Mercedes die

verchromte Stoßstange an der Heckflosse ver-

biege, müsse dabei schnell mit ein paar Tausend

Euro Schaden rechnen, mein Jurgasch.

Hinzukommt, dass man einen Oldtimer in den

allermeisten Fällen nicht im Alltag aus der Ga-

rage holt, sondern für Genussfahrten am Wo-

chenende. Dementsprechend nehmen sich die

Fahrer Zeit für die Fahrt, sie sind nicht gehetzt

oder in Eile, sondern genießen die Zeit hinterm

Steuer. Auch wird niemand ein Porsche-911-

Cabrio im Winter bei Eisglätte oder im Sommer

bei Regen fahren, sondern nur bei optimalen,

trockenen Bedingungen. Die Gefahr, dass man

mit dem Wagen ins Rutschen gerät oder ein

anderer Wagen einem bei Eis ins Heck kracht,

ist somit marginal. Zudem wird kaum ein Old-

timerliebhaber seinen Wagen dem Salz auf

den winterlichen Straßen aussetzen, denn das

schädigt die Karosserie und damit auch den

Wert des Wagens. Außerdem seien die alten

Lieberhaberwagen meist überdurchschnittlich

gut gewartet, sagt Jurgasch. Technische Mängel

sind jedenfalls seltener der Grund für Unfälle als

bei normalen Autos, was auch die VDA-Studie

belegt. „Man ist einfach bereit, für das Hobby

Oldtimer mehr Geld für eine optimal funktio-

nierende Technik auszugeben“, sagt Jurgasch.

Einen weiteren Grund kennt Unfallforscher

Siegfried Brockmann: „Unfälle im Stadtverkehr

sind relativ selten, weil man als Oldtimer-Fahrer

versucht, so schnell wie möglich die Stadt zu

verlassen.“ Die klassischen Auffahrunfälle an

einer Ampel gebe es deshalb bei Oldtimern

seltener.

Dass die Unfallzahlen bei Oldtimern rein statis-

tisch niedriger liegen als bei modernen Pkw,

heißt aber noch nicht, dass gleichzeitig auch das

Verletzungsrisiko niedriger ist. Das Gegenteil ist

der Fall: Kommt es mit einem Oldtimer zu ei-

nem Crash, ist die Gefahr, dabei getötet oder

verletzt zu werden, um 33 Prozent höher als bei

Insassen eines modernen Pkws, heißt es in der

AZT-Studie. Das wundert Johann Gwehenber-

ger nicht: „Unsere heutigen Sicherheitsgurte

oder Airbags bringen einfach einen erheblichen

Sicherheitsgewinn.“ Dem stimmt Dirk Jurgasch

vom ADAC zu, zumal auch die Knautschzonen

von modernen Autos sowohl von Konstrukti-

onsseite als auch werkstoffbedingt um einiges

besser seien.

Zu bedenken gibt Jurgasch dabei auch, dass es in

Deutschland nur bei bestimmten Sicherheits-

einrichtungen eine Nachrüstpflicht gibt. Besitzt

ein Oldtimer keine Warnblinkanlage, muss diese

nachträglich eingebaut werden – auch wenn sie

im Baujahr des Oldtimers noch gar nicht exis-

tierte oder Pflicht war. Anders sieht es hingegen

bei Gurten und Kopfstützen aus. Die müssten

nicht verpflichtend nachgerüstet werden, sagt

Jurgasch. Trotzdem würden viele Oldtimerbesit-

zer vor allem Gurte einbauen, weil sie sich und

ihre Familienangehörigen davor schützen wol-

len, bei einem Unfall durch die Windschutz-

scheibe zu fliegen. Schwieriger gestaltet sich die

Nachrüstung bei Kopfstützen. Dort gebe es nur

manchmal elegante Lösungen, die man auch im

Nachhinein problemlos einbauen könnte. So

bleiben zusätzliche Kopfstützen oft Ermessens-

sache der Oldtimerfahrer.

Damit man Verletzungen und überhaupt Unfäl-

le vermeiden kann, empfehlen die Experten eine

defensive Fahrweise. „Schon bevor man ein-

steigt, sollte man sich bewusst machen, dass Au-

to und Technik älter sind und man deswegen

umsichtiger fahren sollte“, sagt Dirk Jurgasch.

Genau so macht es auch Siegfried Brockmann,

wenn er in seinen Porsche 911 steigt: „Man

schnauft kurz durch und macht sich klar, dass

man jetzt ein anderes Auto fährt. Gerade die ers-

ten Kilometer sind dabei besonders wichtig, bis

man sich wieder an das andere Fahrverhalten

des Oldtimers gewöhnt hat.“ Dann ist es kein

Problem, dass er in seinem alten Porsche einen

wesentlich größeren toten Winkel hat und auch

keinen rechten Außenspiegel. Er fährt einfach

vorsichtiger als mit einem modernen Auto – ge-

nießt den authentischen Geräuschpegel, und

vielleicht auch die neugierigen Blicke mancher

Passanten.

gdV POsiTiOn Bevor man in einen Oldtimer steigt,

sollte man sich bewusst werden,

dass Auto und Technik älter sind. Wer

vorausschauend und defensiv fährt,

genießt das Oldtimerfahren risikofrei.

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endsTaTiOn sehnsuchT Die Spazierfahrt ist

zu Ende, der Oldtimer geparkt – jetzt fehlt nur

noch ein Espresso im Hafencafé mit Sicht auf

die schöne Landschaft und das eigene Gefährt.

Hintergrund

Personen-scHutz

Facebook oder Twitter werden oft

als digitale Pranger missbraucht,

Mobbing-Opfer werden der Öffent-

lichkeit preisgegeben. Zeit,

dagegen vorzugehen.

IST DER RUF ERST RUINIERT …

In sozialen Netzwerken des Internets sind Rufschädigung oder Mobbing seit Langem keine Einzelfälle mehr. Immer mehr Menschen werden Opfer

von Webattacken. Versicherer reagieren mit neuen Produkten, die vor allem ungerechtfertigte Einträge löschen lassen und die Kosten für die

Erhebung von Schadensersatzansprüchen abdecken.

in Klick reicht, um ein Leben zu zerstören. Sylvia Hamacher weiß

das, sie hat es erlebt, besser sagt man: erlitten. Von der 7. bis zur

9. Klasse wurde die junge Frau von ihren Mitschülern auf übels-

te Weise gemobbt, am Ende sogar tätlich angegriffen und mit dem Tod

bedroht. Bis sie die Schule wechselte. Gemein gehänselt haben Kinder

schon immer, aber die Klassenkameraden von Sylvia Hamacher hatten

ein neues, mächtiges Werkzeug für ihre Bosheiten: Webseiten wie das

Chatforum ICQ oder das soziale Netzwerk Schüler VZ. Hamacher, heu-

te 20 Jahre alt, hat ihr Martyrium in einem Buch beschrieben, um ande-

ren Jugendlichen zu helfen. Denn

Studien zufolge wurde schon jeder

sechste Schüler in Deutschland Opfer

von Cyber-Mobbing. Jeder, ob Kind

oder Erwachsener, kann zum Opfer

werden. Ein gehässiger Facebook-

Eintrag, für alle Welt sichtbar, dauert

nur einige Sekunden – sich dagegen

zu wehren, ist ungleich schwieriger.

In Frankreich, traditionell Vorreiter

beim Assistance-Gedanken gibt es seit

Januar 2012 eine „Protection Fami-

liale Intégrale“-Police, die Privatper-

sonen gegen Rufmord im Netz schüt-

zen soll. „Es ist traurig, dass so eine

Versicherung überhaupt nötig ist“, sagt Sylvia Hamacher, „aber als Erste-

Hilfe-Maßnahme ist sie sicher sehr sinnvoll. Ich wusste damals gar nicht,

wie ich mich wehren sollte, ich fühlte mich so allein.“ Bei Mobbing im

Internet ist die Hilfe von Profis nötig: Internetexperten, die wissen, wie

man Schmähbeiträge auf Facebook, Twitter, Google, Blogs oder You tube

entfernen lässt, und Rechtsanwälte, die dem Täter die rechtlichen Kon-

sequenzen klarmachen. Nicht selten muss sogar ein Psychologe hinzu-

gezogen werden. „Gerade die psychologische Komponente dürfen Sie

bei Mobbing-Opfern nicht unterschätzen“, sagt Christian Scherg, Autor

des Buches Rufmord im Internet und Gründer der Firma Revolver-

männer, die sich auf Reputationsmanagement spezialisiert hat. In ein-

fachen Fällen kann sein Team den digitalen Pranger in ein, zwei Stunden

be seitigen, sagt Scherg. Hat der Provider seinen Sitz in Übersee, ist es

weit schwieriger zu veranlassen, dass die kompromittierenden Veröffent-

lichungen von der betreffenden Seite vollständig entfernt werden.

Den martialischen Firmennamen Revolvermänner hat Scherg bewusst

gewählt, denn der Ton in Internetforen ist erschreckend rau. Scherg

betreut etwa einen Berufsmusiker, der seit Jahren gegen einen Ex-

Arbeitskollegen kämpft, der immer wieder aufs Neue Webseiten ins Netz

stellt, in denen Schergs Klient als Kinderschänder oder Neonazi dar-

gestellt wird. Der Kampf um den eigenen Ruf kann sehr teuer werden,

das ist vielen Deutschen offenbar bewusst.

Auch in Deutschland kommen erste

Produkte auf den Markt, die Privat-

personen diese Art Online-Schutz

bieten. Einige Versicherungen neh-

men bisher nicht versicherte Schaden-

fälle im Internet bereits in ihre beste-

henden Rechtsschutzver sicherungen

auf, andere Versicherer bieten speziell

nur aufs Internet zugeschnittene

Policen an. Das Leistungsspektrum

reicht dann von der Analyse und not-

falls Rettung der Reputation im Netz

bis zur Durchsetzung von Schadens-

ersatzansprüchen bei Identitäts-Miss-

brauch. Auch Hilfe gegen Vertrags-

abschluss- oder Onlineshopping-Betrug, zudem Rechtsschutz gegen

Abmahnungen wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen oder

Hackerattacken können versichert werden.

Privatpersonen können den Tarif ebenso buchen wie kleine und mittel-

ständische Betriebe. Absichtlich negativ geschriebene Kundenkritiken

können etwa für Hotels oder Restaurants verheerende Folgen haben.

„Versicherungsschutz hilft, die Folgen von Rufmord zu lindern, wirklich

helfen würde es, wenn man das Thema aber viel stärker ins Bewusstsein

der Menschen bringt“, sagt Sylvia Hamacher. Und sie weiß wohl leider,

wovon sie spricht.

Marc BauMann ist freier Journalist in München.

Ansprechpartner: Katrin Rüter, Tel. 030/20 20-51 19, [email protected]

GDV Position Die immer intensivere Internetnutzung

in Deutschland stellt auch die Versicherungs-

branche vor neue Herausforderungen.

Reputationsversicherungen sind innovative

Produkte, die gegen ungerechtfertigte

Webattacken, Mobbing oder auch Rufschädigung

in sozialen Netzwerken vorgehen.

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11 positionen

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„Die Lebensversicherung ist ein KuLtproDuKt!“

Seit etwas mehr als 100 Tagen ist Dr. Alexander Erdland, Vorsitzender des Vorstandes der Wüstenrot & Württembergische AG (W&W), neuer Präsident des GDV. Im

Gespräch mit den Positionen spricht er über das Image der Versicherer, die aktuelle Niedrigzinspolitik und wie er seine Rolle als „Cheflobbyist“ in Berlin interpretiert.

Herr Dr. Erdland, Ihre Familie betreibt seit

Generationen einen landwirtschaftlichen

Betrieb in Westfalen, Sie sind auf einem Bau-

ernhof aufgewachsen. Welche Beziehung hat

man als Landwirt zu Versicherungen?

Landwirtschaft und Versicherungswesen sind

auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Ohne die gute

Aufbereitung seines Grund und Bodens kann

kein Bauer eine gute Ernte einfahren. Ohne eine

gründliche Kalkulation kann kein Versicherer

eine lebenslange Rente versprechen. Das Fun­

dament muss also bei beiden stimmen. Außer­

dem braucht sowohl der Versicherer als auch der

Landwirt neben viel Fleiß und Können auch die

nötige Geduld, um die Dinge reifen zu lassen.

Frei nach Goethe: „Gut Ding will Weile haben.“

Bei näherer Betrachtung ließen sich sicher noch

mehr Parallelen finden. Zum Beispiel spielt in der

Landwirtschaft wie auch im Versicherungswesen

die Bedeutung von Naturereignissen eine Rolle.

Allen Versichertengemeinschaften liegt wie bei

Genossenschaften im Agrarsektor der Gedanke

der Solidarität zugrunde.

Zurzeit gewinnt man aber den Eindruck, dass

diese positive Grundidee der Versichertenge-

meinschaft kaum in der Öffentlichkeit wahr-

genommen wird. Wie kann man sie wieder

stärker in den Vordergrund rücken?

Ganz einfach: Indem man verständlich, begeis­

tert und oft genug darüber spricht.

Über Versicherungen wurde in den vergan-

genen Monaten sehr viel gesprochen.

Ja, aber es wurde immer nur über Teilaspekte

des Versicherungswesens debattiert. Hinter dem

Ursprungsgedanken der freiwilligen Solidarge­

meinschaft steckt die historisch gewachsene

Erkenntnis, dass der Staat sich nicht um alles zu­

friedenstellend kümmern kann. Die Menschen

spüren darin eine Erfüllung, Eigeninitiative zu

ergreifen. Und sie sind zu motivieren für die

Idee, sich in partnerschaftlichen, privaten Soli­

dargemeinschaften zusammenzuschließen, um

Alltagsrisiken gemeinsam zu tragen. Diesen ge­

sellschaftspolitischen Stabilitätsanker erfüllt der

zentrale Versicherungsgedanke: Einer für alle, alle

für einen.

Wie erklären Sie sich dann diese Diskrepanz:

Die Branche als Ganzes besitzt in der öffent-

lichen Wahrnehmung eher ein negatives

Image. Fragt man aber Versicherungskunden,

ob sie mit ihrer individuellen Versicherung

zufrieden sind, antwortet fast jeder eindeutig

mit Ja.

Zunächst halte ich es für sehr bedeutsam, dass

unsere Kunden mit ihren Versicherungsproduk­

ten und ihren persönlichen Beratern sehr zufrie­

den sind. Da kann man ruhig mal feststellen: Das

ist schön! Wir verzeichnen übrigens auch keinen

Anstieg der Beschwerden – weder bei den Versi­

cherungsunternehmen noch beim eigens dafür

installierten Ombudsmann der Versicherer. An­

ders verhält es sich bei der öffentlichen Meinung.

Denn die öffentliche Meinung wird häufig durch

die Skandalisierung des einen oder anderen Ein­

zelfalls erzeugt. Daher resultiert auch die Diskre­

panz, die Sie ansprechen. Trotzdem: Grundsätz­

lich müssen wir uns auch offener zeigen für Kritik.

Inwiefern?

Aus der Branche heraus nur vom unmaßgeb­

lichen Einzelfall zu sprechen, ist vielleicht nicht

immer richtig.

Sie haben es eben getan.

Ich habe, das stimmt, vom Einzelfall gesprochen.

Ein Einzelfall kann ja durchaus auch einmal be­

zeichnend sein für einen Umstand, aus dem zu

lernen ist. Andererseits darf man sicher feststel­

len: Bei mehreren hundert Millionen bestehen­

den Versicherungsverträgen wird es immer wie­

der Einzelfälle geben, in denen ein falsches oder

unausgewogenes Urteil ausgesprochen worden

ist. Das lässt sich nicht vermeiden. Aber diesen

wenigen Fällen stehen Hunderttausende, wenn

nicht gar Millionen Fälle gegenüber, die gütlich

und gut geregelt worden sind. Darüber wird

aber nur sehr selten berichtet. Leider.

Sie gehen also davon aus, dass sich diese

Diskrepanz nie ganz auflösen lassen wird?

Bei der Fülle von Kontakten und Verträgen? Ver­

mutlich nicht. Wir als Versicherer können diese

Diskrepanz aber verringern, indem wir uns in

dem einen oder anderen Fall lern­ und kritikfä­

higer zeigen. Das würde unser Bild in der öffent­

lichen Wahrnehmung sicher verbessern. Denn

eins ist auch ganz klar: Gegen berechtigte und

konstruktive Kritik hat kein Versicherer etwas.

Gut, dann fragen wir ganz direkt: In welchen

Punkten ist die Kritik gerechtfertigt?

Ich halte den Aspekt der Verständlichkeit für

sehr wichtig. Da gebe ich zu: Wir benutzen oft

eine Sprache, die sehr fachbezogen ist, was sich

über Jahrzehnte so entwickelt hat. Nicht jeder

versteht das auf Anhieb. Hier arbeiten wir darauf

hin, unsere Produkte verständlicher und klarer

zu formulieren. Gleichzeitig gebe ich aber zu

bedenken, dass sich manche unserer Produkte

nicht im Detail auf einem Bierdeckel erklären

lassen. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, un­

seren Kunden die Grundlogik eines Produkts zu

erläutern, ohne sie mit zu vielen Details zuzu­

schütten. Die zentralen Fragen lauten: Wie funk­

tioniert ein Produkt? Wird der Bedarf des Kunden

damit abgedeckt? Wie viel kostet es? Ein zweiter

Kritikpunkt, der hier mit reinspielt, ist das Thema

der Vergleichbarkeit von Versicherungsproduk­

12 positionen

nachgefragt

nachgefragt

ten. Auch hier bemühen wir uns sehr um Kenn-

zahlen, die es dem Kunden einfacher machen,

Produktmodelle besser prüfen zu können. Diese

beiden Kritikpunkte halte ich für konstruktiv, weil

sie das Interesse der Kunden im Blick haben.

Überzogen finde ich dagegen die Kritik im Hin-

blick auf die Leistungsfähigkeit unserer Produkte:

Gerade die Leistungsfähigkeit der Lebens- oder

Krankenversicherungen ist sehr viel höher als sie

zurzeit in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Das

gilt sowohl für die Rentabilität als auch für die

Absicherung biometrischer Risiken. Oder um es

beispielhaft zu formulieren: Sie werden nirgends

ein Bank- oder Fondsprodukt finden, das Ihnen

eine lebenslange Rente garantiert.

Wenn man sich in der Branche umhört, eilt

Ihnen der Ruf voraus, ein beharrlicher und

erfolgreicher Unternehmenslenker zu sein,

der auf Teamarbeit setzt. Werden Sie ein biss­

chen grantig, wenn man Sie – wie schon ge­

schehen – nun als „Cheflobbyist“ bezeichnet?

Ich muss gestehen, dass ich mich auch nach

mehreren Monaten im Amt noch nicht so recht

an diesen Begriff gewöhnt habe.

Warum?

Mit Lobbyismus assoziieren viele Menschen ein

vordergründiges, monokausales Vorantreiben ei-

gener Interessen. Aber unser Ansatz beim GDV

geht viel weiter als diese Definition: Natürlich

vertreten wir im politischen Raum Berlins die

Interessen der Mitgliedsunternehmen unse-

res Verbandes, keine Frage. Ich sehe darin aber

gleichzeitig auch die Interessen der Versiche-

rungskunden, also von Millionen von Menschen

in Deutschland, die sich darauf verlassen, dass wir

unsere Arbeit vernünftig machen. Das bedeutet:

Wir wollen und sollen der Politik behilflich sein

bei der Gestaltung von Gesetzgebung, innerhalb

derer wir aber auch weiter imstande sein müs-

sen, das leisten zu können, was politisch, wirt-

schaftlich und gesellschaftlich von uns erwartet

wird. Vor diesem Hintergrund akzeptiere ich es,

wenn man mich als Lobbyisten bezeichnet.

Dennoch ernten Lobbyisten in Berlin zurzeit

nicht gerade Lobeshymnen für ihre Arbeit.

Das mag so sein, ja. Wir können seitens der Ver-

sicherungswirtschaft allerdings die Logik der

Mathematik nicht außer Kraft setzen. Auch die

Quadratur des Kreises wird uns nie gelingen.

Beispiel ist die Niedrigzinspolitik. Hier sind wir

an bestimmten Stellen mit unserem Leistungs-

beitrag extrem gefordert und brauchen die

Unterstützung der Politik, um damit auf Dauer

umgehen zu können. Deshalb verstehe ich mich

in erster Linie auch als Vermittler und Partner

der Politik, der im Interesse der Kunden an den

Lösungen von morgen mitwirkt. Denn alle The-

men, die die Menschen im Land bewegen, wie

etwa Demografie, Gesundheits- und Arbeitsrisi-

ken, Auto verkehr oder neue Technologien und

Umwelt, gehören zu den Kernthemen der Versi-

cherungswirtschaft. Ohne Versicherer wäre zum

Beispiel eins der wichtigsten Zukunftsprojekte,

die Energiewende, nicht möglich. Wir begleiten

nicht nur Innovationen mit Versicherungsschutz,

wir sind auch einer der größten Kapitalgeber,

wenn es darum geht, unser Land für die Zukunft

gut aufzustellen. Und zu guter Letzt: Wir sind uns

unserer großen Verantwortung sehr bewusst –

danach richten wir auch unser Handeln aus. Der

Begriff des Lobbyisten greift deshalb – meiner

Ansicht nach – auch ein bisschen zu kurz.

Sie haben die Niedrigzinspolitik angespro­

chen. Ein Ende dieser Niedrigzinsphase ist

kurzfristig nicht in Sicht, oder?

Nein, zurzeit nicht.

Wie reagiert die Branche darauf?

Wir weisen zum einen auf die Gefahren und

Risiken hin, die mit dieser politisch gewollten

Zinsverzerrung einhergehen.

Zum Beispiel?

Grundsätzlich ist es so: Falsche Preise führen in

der Regel zu Fehlallokationen und können auch

neue Blasen erzeugen. Es kommt im Moment

aber vor allem darauf an, dass die Euro-Staaten,

in denen dringend Reformen anstehen, die

Niedrigzinspolitik nicht so verstehen, dass sie

ihre Hausarbeiten nicht mehr oder nicht mehr

in dem erforderlichen Maße durchziehen müs-

sen. Hier sind wir – allen aktuellen Beschwichti-

gungen zum Trotz – immer noch in einer sehr

kritischen Phase. Außerdem ist der deutsche

Altersvorsorgesparer auf bestem Wege wegen

der Niedrigzinspolitik und einer höheren Inflati-

on Realvermögensverluste hinnehmen zu müs-

sen und einen Teil dieser Finanzmarktkrise zu

14 positionen

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Dr. Alexander Erdland, 61, wurde am 10. Oktober 1951 in Oelde (West-

falen) als Sohn eines Landwirts geboren. Der landwirtschaftliche Be-

trieb ist seit vielen Generationen in Familienhand, der Stammbaum

geht zurück bis ins 13. Jahrhundert. Trotzdem begann Erdland mit 19

Jahren eine Ausbildung bei der Spar- und Darlehenskasse in Oelde

und vertiefte sein Wissen während eines Studiums der Betriebswirt-

schaftslehre und der Rechtswissenschaften an den Universitäten

Münster und Saarbrücken (Abschluss: Diplomkaufmann, 1975). Zwi-

schen 1976 und 1980 promovierte er zum Doktor der Staats- und

Wirtschaftswissenschaften (Dr. rer. pol.). Seine Karriere begann er als

Leiter des Bereichs Vorstandssekretariat, Unternehmensplanung und

Marketing 1980 bei der Norddeutschen Genossenschaftsbank AG

in Hannover. Vier Jahre später wurde er nacheinander Mitglied des

Vorstands bei der Volksbank eG Elmshorn, den Genossenschaftlichen

Zentralbanken in Saarbrücken und Hannover sowie der DG Bank in

Frankfurt am Main. 1999 wurde er Vorstandsvorsitzender der Bauspar-

kasse Schwäbisch Hall AG, seit 2006 ist er Vorsitzender des Vorstands

der Wüstenrot & Württembergische AG. Im November 2012 wurde

Dr. Erdland zum neuen Präsidenten des GDV gewählt.

bezahlen. Das kann politisch nicht gewollt sein

und wäre auch höchst unfair.

Wie begegnen die Versicherer der aktuellen

Lage?

Wir sind realistisch und arbeiten an drei Schwer-

punkten. Erstens: die Produktentwicklung. Wir brau-

chen Produkte, die in diese Wirtschaftsphase pas-

sen. Hier arbeiten unsere Mitgliedsunternehmen

gerade an Lösungen, die weiter langfristig funktio-

nieren. Zweitens: Kapitalanlagepolitik. Wir vergrö-

ßern unsere Diversifikation. Zum Beispiel haben

gedeckte Anleihen, Unternehmensanleihen und

auch Immobilien stärker an Bedeutung gewonnen.

Und drittens bieten wir an, für die Finanzierung der

Energiewende als Investoren zur Verfügung zu ste-

hen, wenn die Rahmenbedingungen dafür passen.

Ein Punkt, der kaum angesprochen wird in

der Diskussion um die Staatsschuldenkrise in

Europa: Wie groß ist der Anteil der deutschen

Versicherer an der Stabilität, die von Deutsch-

land politisch und wirtschaftlich ausgeht?

Da reicht zunächst ein Blick auf den Umfang

unseres Finanzvolumens: Wir haben 1,3 Billionen

Euro Kapitalanlagen, die zwar zum Teil auch im

Ausland angelegt sind, aber auf die sich unsere

Wirtschaft langfristig verlassen kann. Außerdem:

Würde jedes Unternehmen in Deutschland für

seine Risiken mit eigenen Rückstellungen eine

individuelle Vorsorge treffen müssen, würde viel

Investitionskraft gebunden. Wir sorgen im Kollek-

tiv dafür, dass diese Investitionskraft freigesetzt

und der deutsche Wirtschaftsstandort attraktiv

und stark bleibt. Zur gewachsenen gesellschafts-

politischen Stabilität Deutschlands gehört si-

cherlich auch, dass wir den Menschen in diesem

Land einen vernünftigen und bezahlbaren All-

tags- und Zukunftsrisikoschutz bieten können

– von der Gesundheits- und Pflege- bis hin zur

Altersvorsorge-Versicherung. Sie sehen also, die

Versicherer sind in nahezu allen Bereichen ein

Stabilitätsanker. Nicht nur, aber vor allem auch in

Zeiten der Krise.

Ein Stabilitätsanker, der in die Kritik geraten

ist, sind die Lebensversicherungen. Verbrau-

cherschützer haben sich gegen den Neuab-

schluss einer Lebensversicherung ausgespro-

chen. Das hat viele potenzielle Kunden sicher

abgeschreckt und Kunden mit einer laufen-

den Lebensversicherung aufgeschreckt. Wie

lautet Ihre Botschaft an beide Gruppen?

Dass solche Meldungen die Menschen, wie Sie

sagen, „aufschrecken“, mag beabsichtigt sein.

Aber unsere Zahlen zeigen bisher nicht, dass es

zu einer Abschreckung gekommen ist. Auch das

Neugeschäft des letzten Jahres war stabil. Gleich-

wohl müssen wir bei solchen Meldungen auch

unsere Stimme erheben und einige Punkte, die in

der Vergangenheit als selbstverständlich galten,

noch mal in Erinnerung rufen: Die Altersvorsor-

gelücke, die durch die gesetzliche Rente entsteht,

wird nicht kleiner, sondern größer. Zudem wer-

den bei niedrigen Zinsen auch die Zinserträge

geringer. Das bedeutet für die Altersvorsorge

zwangsläufig, dass nicht weniger, sondern mehr

gespart werden muss. Dieser Zusammenhang,

der eigentlich simpel klingt, wurde in der Debatte

stärker in den Hintergrund gerückt. Wir sollten

uns also darauf besinnen, dass es bei Lebens-

versicherungen nicht nur um die Rentabilität

geht – auch wenn sich diese im Quervergleich

durchaus sehen lassen kann. Es geht darum, die

entstehende Altersvorsorgelücke zu schließen.

Fachtechnisch wird dabei oft vom „Langle-

bigkeitsrisiko“ gesprochen.

Wir sollten das beim Kunden nicht so nennen.

Denn worum geht es dabei eigentlich? Es geht

um die Chance auf ein langes und möglichst

gesundes Leben, bei dem Menschen sich noch

vieles gönnen könnten, wenn sie von vornherein

darauf sparen und ihr Alterseinkommen aufbau-

en. Ich bin überzeugt, dass diese Argumentation

hilft, dass wir bei der Lebensversicherung die Kir-

che wieder ins Dorf gerückt bekommen.

Bleiben wir doch mal bei dem Bild von der

Kirche im Dorf: Wie weit wurde die Kirche

denn mit der herben Kritik schon aus dem

Dorf getragen aus Ihrer Sicht?

Die Kritik ist überzogen. Ich glaube, dass diese Kir-

che bald wieder fest an ihrem historisch richtigen

Platz im Ortskern steht. Denn die Wertschätzung

gegenüber der Lebensversicherung besitzt eine

breite Basis. Wir haben mehr als 90 Millionen Ver-

träge, die beweisen: Die Lebensversicherung ist

ein deutsches Kultprodukt!

ZuR PeRson

positionen 15

Interview: AlexAndRos steFAnidis.

Hintergrund

Kampfmaschine autofast ein Drittel aller bei unfällen im straßenverkehr getöteten menschen könnten auf

aggressive fahrweisen zurückzuführen sein. aggressionstäter müssten daher konsequent aus dem Verkehr gezogen werden, sagt der Leiter der unfallforschung der Versicherer (uDV).

in Nachmittag auf der Überholspur sollte es werden für den jun-

gen Mann, frischgebackener Besitzer eines PS-starken Neu-

wagens. Die linke Spur auf der Autobahn scheint frei, rechts

schleicht ein Lkw. Doch plötzlich schiebt sich der Kleinwagen einer Frau

ins Blickfeld. Auch sie will den Laster überholen – und zwingt den jungen

Fahrer zu einem Bremsmanöver. Dieser sieht nun rot: Statt nach diesem

vermeintlichen Ärgernis davonzufahren, setzt er sich vor das Auto der

Frau, bremst sie mehrmals und absichtlich aus.

Nach einer Anzeige bei der Polizei findet sich der junge Mann in der Pra-

xis des Verkehrspsychologen Karl-Friedlich Voss wieder. „Er konnte sich

kaum an seine Tat erinnern“, erzählt Voss. „Erst durch die Äußerungen

der Frau konnte der Fahrer rekonstruieren, was genau passiert ist.“

Voss, Vorstand im Bundesverband niedergelassener Verkehrspsychologen,

nahm jüngst am Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar teil, das Thema

„Aggressivität im Straßenverkehr“ wurde dort kontrovers diskutiert.

Nach Erfahrungswerten von Experten geht es auf deutschen Straßen im-

mer rücksichtsloser und brutaler zu – auch wenn der statistische Nach-

weis einer Zunahme von Aggressivität im Verkehr sehr schwierig ist. Zah-

len aus Großstädten, die Aggressionsdelikte aufschlüsseln, wie aus

Hamburg oder München, können nur Indizien geben: In Hamburg er-

reichte die Zahl der Delikte wie zum Beispiel Drängeln, Rechtsüberholen

und Nötigung 2011 einen Höchststand. Allerdings schwankten die Zah-

len in den letzten fünf Jahren stark. Der Münchner Verkehrsbericht weist

seit 2009 einen deutlichen Anstieg solcher Straftaten im Verkehr aus. Klar

ist den Beamten der Münchner Polizei aber auch, dass viele Aggressions-

täter ungeschoren davonkommen: „Das Dunkelfeld dürfte um ein Viel-

faches höher sein.“

Vor allem dazu, wie oft aggressives Verhalten im Verkehr zu schweren Un-

fällen mit Todesfällen führt, gibt es keine Zahlen, sagt Siegfried Brock-

mann, Unfallforscher beim GDV. „Hinterher wird ja keiner zugeben, dass

er aggressiv war.“ Außerdem gebe es auch keine Maßzahl, ab wann ein

Handeln überhaupt aggressiv ist. Der Wissenschaftler nähert sich dem

Phänomen daher von der anderen Seite: Er hat die Ursachen von Unfällen

mit Toten oder schweren Verletzungen intensiver unter die Lupe genom-

men – und kommt so zu einem alarmierenden Ergebnis: „Ein Drittel aller

Getöteten im Straßenverkehr entfallen auf Delikte, die auf Aggressivität

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zurückgehen könnten, wie etwa deutlich zu schnelles Fahren, gefährliches

Überholen oder erheblich zu geringer Sicherheitsabstand.“

Zwei Gründe hat Brockmann für die mutmaßliche Zunahme der Aggres-

sivität auf Deutschlands Straßen parat: Zum einen habe der Verkehr ins-

gesamt in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen – zum anderen

seien immer mehr gefährlich große Egos unterwegs. Eine Analyse, die

auch Professor Andreas Knie vom Berliner Innovationszentrum für Mo-

bilität und gesellschaftlichen Wandel teilt: Der Kampf um den Raum sei

eröffnet, besonders in den Ballungsräumen, meint Knie. Mehr Teilneh-

mer, die immer mehr Verkehrsmittel wechselten, führten zu einem „unge-

heuren zusätzlichen Maß an Komplexität und damit zu einem deutlich

steigenden Stresspegel.“ Im eigenen Fahrzeug seien Verkehrsteilnehmer

am anonymsten. Wo Radler und Fußgänger mit der „autistischen Kampf-

maschine Auto“ um Platz konkurrierten, seien Konflikte unausweichlich.

„Eher schwache Persönlichkeiten mit geringer Selbstkontrolle, die ihr Re-

vier verteidigen wollen“ hat Brockmann als typische und häufige Aggres-

sionstäter ausgemacht. Diese seien überall in der Gesellschaft ein Problem,

„im Verkehr aber haben sie eine gefährliche Waffe zum Einsatz“. Ein spe-

zieller Fahrertyp, dem man nur mit Härte beikommen könne: Aggressi-

onsdelikte müssten mit besonders vielen Punkten in Flensburg geahndet

werden. Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen mit Gefährdung

anderer sollten als Straftat und nicht mehr als Ordnungswidrigkeit geahn-

det werden, verlangt der GDV-Unfallforscher. Auch mehr Videoüber-

wachung könne helfen, notorisch aggressive Fahrer aus dem Verkehr zu

ziehen. „Schließlich müssen Fahrzeugsysteme – beispielsweise Abstands-

radar – dafür sorgen, dass solche Taten gar nicht begangen werden.“

Aggressive Fahrer seien aber nicht unbedingt notorisch aggressive Persön-

lichkeiten, betont der Psychologe Karl-Friedrich Voss. Viele hinterfragen

ihr Handeln schlicht nicht angemessen. „In Extremsituationen“, sagt Voss,

„kann das fast jedem passieren.“ Eine Entschuldigung ist das indes nicht.

Auch Nachsicht hält er für fehl am Platz. „Jedes aggressive Verhalten sollte

zur Anzeige gebracht werden. Die Gesetzeslage, etwa über den Tatbestand

der Nötigung, lässt das zu.“

Lukas GrasberGer ist freier Journalist in Berlin.

Ansprechpartner: Katrin Rüter, Tel. 030/20 20-51 19, [email protected]

GDV PosItIon Aggressive Grundhaltungen sind schwer zu korrigieren,

können im Verkehr aber nicht hingenommen werden.

Typische Aggressionstäter müssen erkannt und vom

Straßenverkehr ausgeschlossen werden.

kamPFreVIer autobahn

Es wird gedrängelt, gehupt, mit dem Fern-

licht geblendet und in halsbrecherischen

Manövern zum Überholen angesetzt – in

ihrem vermeintlich sicheren Auto leben

viele Fahrer Aggressionen aus, die sie im

Büro oder zu Hause nie offenbaren würden.

gegenpositionen

18 positionen

ttacken gegen die Lebensversicherung haben derzeit

Konjunktur. Und so rührt auch der Autor und Journa-

list Holger Balodis gerade mit großem Tamtam die Wer-

betrommel für sein jüngstes Werk Die Vorsorgelüge. Ein Forum

für seinen Werbefeldzug bot ihm jetzt auch die Frankfurter Rund-

schau (FR). In einem Interview mit dem Blatt sparte Balodis kein

Vorurteil gegenüber der Lebensversicherung aus. Diese seien zu

teuer und wenn überhaupt lohnten sie sich erst im Methusalem-

Alter. Die Riester-Rente verglich er mit einem Lotteriespiel, bei

dem nur wenige das Glück hätten zu gewinnen.

Während man denjenigen, der Abstand vom Lottospielen nimmt,

weil ihm die Aussicht auf einen ordentli-

chen Gewinn als zu unwahrscheinlich vor-

kommt, gut verstehen kann, sieht es beim

Thema Altersvorsorge anders aus. Wer hier

auf Nichtstun setzt, wird dauerhaft der

Leidtragende sein. Denn wer heute nicht

vorsorgt, wird morgen auch nichts zusätz-

lich haben. Richtig ist: Wer seinen Lebens-

standard im Alter erhalten möchte, muss

heute mehr zur Seite legen als früher. Das gilt für die Lebensver-

sicherung ebenso wie für andere Vorsorgeprodukte. Die Men-

schen brauchen wie bei der gesetzlichen Rente eine lebenslange

Versorgung und sie brauchen Planungssicherheit.

Das bietet vor allen anderen Produkten die private Rentenversi-

cherung. Und selbst im aktuellen Niedrigzinsumfeld braucht diese

hinsichtlich ihrer Effizienz keinen Vergleich mit anderen Finanz-

produkten zu scheuen. Im Gegenteil, bieten doch Tagesgeld- oder

Festgeldkonten aktuell im Durchschnitt mit ein bis zwei Prozent

Verzinsung deutlich weniger als die Lebensversicherer mit immer

noch rund 3,6 Prozent laufender Gesamtverzinsung.

Diese Leistung fußt maßgeblich auf der langfristigen Orientie-

rung und Professionalität der Kapitalanleger der Lebensversiche-

rer. Auch ist die Riester-Rente alles andere als ein wenig aussichts-

reiches Glücksspiel. Vielmehr eignet sie sich nach wie vor für die

allermeisten zum Aufbau ergänzender Altersvorsorge. Gerade für

Geringverdiener rentiert sie sich die Riester-Rente, die sogenannte

Förderquote liegt hier im Schnitt bei 70 Prozent, teilweise sogar bei

über 90 Prozent. Das Produkt wurde von vornherein so konzipiert,

dass alle Einkommensgruppen zu mehr Eigenvorsorge motiviert

werden können. Was für ein Glück: Die staatliche Förderung wirkt

bei Geringverdienern durch die Zulagen, für Empfänger höherer

Einkommen in Form der Steuerersparnis.

Dass sich die Riester-Rente wenn überhaupt erst dann lohnt, wenn

man ein sehr hohes Alter erreicht hat, ist nicht korrekt. Selbst auf

Basis des rückläufigen Zinsniveaus ist der Zeitpunkt, ab wann ein

Riester-Sparer „schwarze Zahlen“ schreibt,

häufig schon sechs bis sieben Jahre nach

Beginn der Rentenzahlung erreicht. Sollte

die Möglichkeit auf Auszahlung von 30

Prozent des Guthabens bei Rentenbeginn

gewählt werden, ist der Zeitpunkt noch

früher erreicht.

Holger Balodis predigt seit jeher in der

Rentenpolitik die Rolle rückwärts. In der

Tageszeitung (taz) schrieb er neulich, die rot-grüne Bundesregie-

rung habe 2001 „mit der Riester-Reform die Axt an die staatliche

Rente“ gelegt. In Wahrheit haben jedoch erst die Reformen, mit

denen die gesetzliche Rentenversicherung entlastet und demogra-

fiefest gemacht wurde, das heute bestehende große Vertrauen in

die gesetzliche Rentenversicherung zurückgebracht. Um die Al-

terssicherung weiter zukunftsfest zu machen, sollte die Politik

daher an der mit der Riester-Reform eingeschlagenen Marsch-

route festhalten und die kapitalgedeckte Säule weiter stärken. Für

eine solide Altersvorsorge der Menschen in Deutschland braucht

es drei stabile Säulen. Wer nur auf eine Säule setzt, sollte in der

Tat lieber Lotto spielen.

AnsprechpArtner Hasso Suliak,

Tel. 030/20 20-51 83, E-Mail: [email protected]

keine LotterieSelbst ernannte Experten kritisieren immer wieder und mit

Vehemenz das Produkt der Lebensversicherung. Dabei stellen sie Behauptungen auf, die sich bei genauer Betrachtung

als falsch erweisen. Ein Beispiel.

A

„Lebensversicherung

als Glücksspiel.“

FrAnkFurter rundschAu,

26. FebruAr 2013

positionen 19

Das sichere haus„Damit Sie nicht der Schlag trifft“ – Gekonnt umgehen mit Strom und Elektrogeräten

Um den sicheren Umgang

mit Strom und elektrischen

Geräten geht es in der

Broschüre Damit Sie nicht

der Schlag trifft, die der GDV

gemeinsam mit der Aktion

„Das sichere Haus“ (DSH,

Kuratorium für Sicherheit in

Heim und Freizeit e. V.) herausgegeben hat. Das

Heft kann auf www.das-sichere-haus.de bestellt

werden – in Einzelexemplaren kostenlos – und

steht dort auch zum Download bereit.

KlicKen sie hier!www.twitter.com/gdv_de

Der GDV twittert: Neues aus der Versicherungs-

wirtschaft, Branchenmeldungen, Pressemit-

teilungen und Verbrauchertipps gibt es jetzt

auch in 140 Zeichen Länge. Der GDV ist auf

twitter.com unter dem Namen „GDV Ihre Ver-

sicherer“ zu finden.

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Der geheimnisvolle „Dritte“Kurz erklärt

Im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen

oder Schadenfällen ist oft von „Dritten“ die Rede.

Der Versicherungsvertrag wird zwischen zwei

Parteien, dem Versicherer und dem Versiche-

rungsnehmer geschlossen. Bei einem Schaden-

fall in der Haftpflichtversicherung ist der Dritte

die geschädigte Person. Sie hat weder mit dem

Versicherer noch mit dem Versicherten eine

vertragliche Beziehung.

servIce

WIESo ISt DAS So? Generell haften Kinder ab sieben Jahren, wenn sie Schaden anrichten. Im Straßen- verkehr aber erst mit zehn. Warum?

Kinder sind vor dem vollendeten zehnten Le-

bensjahr nicht in der Lage, die besonders kom-

plexen Situationen im Straßenverkehr zu erfas-

sen und die tragweite ihres Handelns zu erken-

nen. Sie sind mitunter impulsiver als ältere

Kinder, oft unaufmerksam und sehr leicht abzu-

lenken.

Dieser entwicklungspsychologischen tatsache

wollte der Gesetzgeber mit der Änderung 2002

im Schadenersatz Rechnung tragen, die das

sogenannte Haftungsprivileg von Kindern im

Straßenverkehr erweiterte. Seither können Kin-

der frühestes mit zehn Jahren zur Haftung her-

angezogen werden. In einigen Ländern liegt

diese Grenze sogar bei 14 Jahren.

ansprechpartner Katrin rüter,

tel. 030/20 20-51 19, e-mail: [email protected]

ausgewählter termin 25. april 2013 Pressekolloquium des GDV in Berlin.

HERAUSGEBER

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft

VERAntwoRtlicH

Ulrike Pott

KonzEption Und REAliSAtion

Magazin Verlagsgesellschaft Süddeutsche Zeitung mbH

oBjEKtlEitUnG

Angela Kesselring

dRUcK Und VERtRiEB

Brandenburgische Universitätsdruckerei

und Verlagsgesellschaft, Potsdam mbH

titElfoto

DDP Images

REdAKtion

Katrin Rüter de Escobar, Una Großmann (GDV),

Alexandros Stefanidis, Florian Gmach (Grafik)

AUtoREn

Marc Baumann, Lukas Grasberger,

Mauritius Much, Alexandros Stefanidis

REdAKtionSAnScHRift

Gesamtverband der

Deutschen Versicherungswirtschaft

Presse und Information

Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin

Telefon 030 / 20 20-51 18, Fax 030 / 20 20-66 04

Fragen zum Abo: [email protected]

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karl-liebknecht-str. 24–25, 14467 golm

Postvertriebsstück c44755, entgelt bezahlt

impRESSUm

diE dEUtScHlAndKARtE

Sonniger nordenMecklenburg-Vorpommern verzeichnet die meisten Sonnenscheinstunden in Deutschland in 2012.

Beim Small Talk geht es meist ums Wetter –

und nicht selten hört man dieser Tage den

Satz: „Schnee ist ja ganz schön, aber jetzt

wird es wieder Zeit für ein bisschen Sonne.“

Kopfnicken beim Gegenüber. Aber wo in

Deutschland scheint die Sonne am meis­

ten? Zur Überraschung vieler scheint sie

zwar im Süden Deutschlands (Bayern und

Baden­Württemberg) überdurchschnittlich

lang, aber nicht am längsten. Denn das

Bundesland, das die meisten Sonnenstun­

den verbucht, heißt Mecklenburg­Vor­

pommern. 1.648 Stunden Sonne erwärmten

die Menschen im Nordosten der Republik,

gefolgt von Berlin und Brandenburg mit

1.635 bzw. 1.634 Sonnenstunden. Erst auf

den Plätzen vier und fünf stehen Baden­

Württemberg (1.607) und Bayern (1.595).

Die wenigsten Sonnenstunden verzeich­

nen Nordrhein­Westfalen und Niedersach­

sen mit etwa 1.450 Sonnenstunden. Im

Schnitt strahlte die Sonne im Jahr 2012

etwa 1.651 Stunden über Deutschland. Die

Zugspitze ver zeichnete mit 2.066 Stunden

den meis ten Sonnenschein, der Kahle Asten

im Sauerland bildete mit 1.344 Stunden das

Schlusslicht.

Mittelwert der Sonnenscheinstunden im

jeweiligen Bundesland. Quelle: DWD, 2012

BERlin1.635

BAdEn-wüRttEmBERG1.607

BAyERn1.595

SAARlAnd1.571

SAcHSEn1.549

SAcHSEn-AnHAlt1.522

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