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1 EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser Im Feuilleton-Teil der NZZ war un- längst zu lesen, noch und noch werde wiederholt, mit der klassischen Musik gehe es dem Ende zu, obwohl dies durch die Fakten nicht gestützt werde. Zum Jazz lässt sich Ähnliches sa- gen. Rein quantitativ gesehen, spielt er zwar innerhalb der grossen Menge kultureller Aktivitäten aller Art keine dominierende Rolle. Doch gibt es eine lebendige Schweizer Jazz- und Blues- Szene, die kaum dezimiert wird, solan- ge sich immer wieder junge Musike- rinnen und Musiker für unsere Art Musik entscheiden. Über sie berich- tet monatlich seit nunmehr 25 Jahren das Schweizer Jazz- und Bluesmagazin JAZZTIME, das der Initiative von Eduard Keller zu verdanken ist. Schon vor fünf Jahren konnten wir ihn in unserer 7. Ausgabe mit einem Beitrag «20 Jahre JAZZTIME» würdigen. Zu seinem besonderen Jubiläum gratulie- ren wir Edi sehr herzlich. In unserem Archiv wurde einiges neu. Unsere Sammlung schwarzer Schellackplatten konnten wir in neue Gestelle einordnen.Die gute Übersicht ist gewährleistet; für weitere Schen- kungen gibt’s noch Platzreserven. Beim redaktionellen Ausrichten unserer «Jazzletter» achten wir immer darauf, möglichst viele Stile von Jazz und Blues zu berücksichtigen. Wir freuen uns, wenn wir mit dem einen oder anderen Beitrag Ihr Interesse gewinnen. Herzlich Inhalt: 1/2 Interessantes aus dem Archiv 3 Remember Joe Turner 4 Soul Brothers: Ray Charles und James Brown 5 SwissJazzOrama in Ascona / Mit Jazz gut abgehoben 6 Notre page en français 7/8 In memoriam/Jazzfestival Munster/ Verschiedenes 1 jazzletter Nr. 16 1. Ausgabe 2007 Schwarze Scheiben in grauen Kartons: Wertvolle Zeugen der Jazzgeschichte Fein säuberlich in graue Kartonhüllen verpackt und fortlaufend nummeriert stehen sie in den neuen Regalen: Etwa 4800 schwarze Schellackplatten, stellver- tretend für mehr als drei Jahrzehnte Jazz- geschichte. Am 24. Februar 1917 wurde die erste Jazzplatte produziert. Die Techniker der Victor-Studios an der 38. Strasse in New York waren noch etwas skeptisch,als die fünf Musiker der «Original Dixieland Jazz Band» mit ihren Instrumenten anrückten. Sie betrachteten die Aufnahmen des «Livery Stable Blues» und des «Dixie Jazz Band One Step» (beide Aufnahmen in unserem Archiv vorhanden) eher als ein amüsantes Experiment. Die Pioniertat sollte sich aber bald auszahlen. Victor wurde zu einem der führenden Label der Jazzgeschichte. Auch andere Plattenge- sellschaften witterten eine Chance, allen voran Columbia, Decca und Brunswick. Das Angebot an Jazzplatten in den USA und in Europa war bald beträchtlich.Wer einen Koffer-Grammophon oder ein et- was teureres Gerät besass, konnte sich nun die von ihm favorisierten Bands in 3- Minuten-Portionen zu Gemüte führen. Ein wenig Nadelgeräusch wurde in Kauf genommen.Tonwiedergabe in Hi-Fi-Qua- lität war noch in weiter Ferne. Um dem Publikum ein paar Informatio- nen zur Musik zu geben,Titel des Stückes, Name der Band, oft auch die Musiker, klebte man eine runde Etikette ins Zentrum der Platte. Darauf wurden schnelle Stücke als Foxtrott, langsame als Slowfox bezeichnet. Ein Hinweis darauf, swissjazz orama dass Jazz als Musik zum Tanzen angeboten wurde. Auch ein Grund, weshalb die be- rühmten Bands der Swingzeit von Basie, Ellington, Lunceford, Goodman u.a. in den neuen Regalen mit den schwarzen Schei- ben dominieren.

Nr.16 1.Ausgabe 2007 swiss jazz orama jazzletter · Stride-Piano Stride-Piano ist ein Solo-Klavierstil aus der Frühzeit des Jazz.Er geht auf den Ragtime zurück,ist im Gegensatz

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LLiebe Leserinnen, liebe Leser

Im Feuilleton-Teil der NZZ war un-längst zu lesen, noch und noch werdewiederholt, mit der klassischen Musikgehe es dem Ende zu, obwohl diesdurch die Fakten nicht gestützt werde.

Zum Jazz lässt sich Ähnliches sa-gen. Rein quantitativ gesehen, spielter zwar innerhalb der grossen Mengekultureller Aktivitäten aller Art keinedominierende Rolle. Doch gibt es einelebendige Schweizer Jazz- und Blues-Szene,die kaum dezimiert wird, solan-ge sich immer wieder junge Musike-rinnen und Musiker für unsere ArtMusik entscheiden. Über sie berich-tet monatlich seit nunmehr 25 Jahren das Schweizer Jazz- und BluesmagazinJAZZTIME, das der Initiative vonEduard Keller zu verdanken ist. Schonvor fünf Jahren konnten wir ihn inunserer 7. Ausgabe mit einem Beitrag«20 Jahre JAZZTIME» würdigen. Zuseinem besonderen Jubiläum gratulie-ren wir Edi sehr herzlich.

In unserem Archiv wurde einigesneu. Unsere Sammlung schwarzerSchellackplatten konnten wir in neueGestelle einordnen.Die gute Übersichtist gewährleistet; für weitere Schen-kungen gibt’s noch Platzreserven.

Beim redaktionellen Ausrichtenunserer «Jazzletter» achten wir immerdarauf, möglichst viele Stile von Jazzund Blues zu berücksichtigen. Wirfreuen uns, wenn wir mit dem einenoder anderen Beitrag Ihr Interessegewinnen.

Herzlich

Inhalt: 1/2 Interessantes aus dem Archiv 3 Remember Joe Turner 4 Soul Brothers: Ray Charles und James Brown 5 SwissJazzOrama in Ascona/Mit Jazz gut abgehoben 6 Notre page en français 7/8 In memoriam/Jazzfestival Munster/ Verschiedenes

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jazzletter

Nr. 16 1. Ausgabe 2007

Schwarze Scheiben in grauen Kartons:Wertvolle Zeugen der JazzgeschichteFein säuberlich in graue Kartonhüllenverpackt und fortlaufend nummeriert stehen sie in den neuen Regalen: Etwa4800 schwarze Schellackplatten, stellver-tretend für mehr als drei Jahrzehnte Jazz-geschichte.Am 24. Februar 1917 wurde die ersteJazzplatte produziert. Die Techniker derVictor-Studios an der 38. Strasse in NewYork waren noch etwas skeptisch, als diefünf Musiker der «Original Dixieland JazzBand» mit ihren Instrumenten anrückten.Sie betrachteten die Aufnahmen des«Livery Stable Blues» und des «Dixie JazzBand One Step» (beide Aufnahmen inunserem Archiv vorhanden) eher als einamüsantes Experiment. Die Pioniertatsollte sich aber bald auszahlen. Victorwurde zu einem der führenden Label der

Jazzgeschichte. Auch andere Plattenge-sellschaften witterten eine Chance, allenvoran Columbia, Decca und Brunswick.Das Angebot an Jazzplatten in den USAund in Europa war bald beträchtlich.Wereinen Koffer-Grammophon oder ein et-was teureres Gerät besass, konnte sichnun die von ihm favorisierten Bands in 3-Minuten-Portionen zu Gemüte führen.Ein wenig Nadelgeräusch wurde in Kaufgenommen.Tonwiedergabe in Hi-Fi-Qua-lität war noch in weiter Ferne.Um dem Publikum ein paar Informatio-nen zur Musik zu geben,Titel des Stückes,Name der Band, oft auch die Musiker,klebte man eine runde Etikette insZentrum der Platte. Darauf wurdenschnelle Stücke als Foxtrott, langsame alsSlowfox bezeichnet. Ein Hinweis darauf,

swissjazzorama

dass Jazz als Musik zum Tanzen angebotenwurde.Auch ein Grund, weshalb die be-rühmten Bands der Swingzeit von Basie,Ellington, Lunceford,Goodman u.a. in denneuen Regalen mit den schwarzen Schei-ben dominieren.

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Alles systematisch eingeordnetUnser Leitbild gibt vor, dass alle Objekte unserer Sammlung sachgerecht zu archivieren sind. Das bedeutet: sorgfältige Datenerfassung mit einem Filemakerprogramm. Alles, was jazzgeschichtlich von Bedeutung ist, sollsichtbar sein. Dazu gehören bei den Tonträgern das Label des Produzenten,der Name der Band, die Interpreten, die Titel der Stücke, der Aufnahmeort,die Aufnahmedaten und natürlich die Kenn-Nummer, damit wir dort,wo wirdas Objekt einordnen, sofort fündig werden.Seit wir 1998 mit der Fracht des ersten Schweizer Jazzarchivs von Arlesheimnach Uster umziehen konnten, haben sich die Bestände in allen Spartenbeträchtlich erweitert. Die SwissJazzOrama-Sammlung umfasst zurzeit4793 Schellacks, 16 603 LPs und 6333 CDs.

Weitere Sammelobjekte von BedeutungAuch viele weitere Sammelobjekte, mitdenen wir Jazz und Blues von heute undgestern über alle Landesgrenzen hinwegdokumentieren, sind uns sehr wichtig:Plakate, Konzertprogramme, Jazzzeit-schriften usw.Ein beträchtliches Ausmass hat unsere

Büchersammlung angenommen. In unse-ren Regalen stehen 1157 grössere undkleinere Werke: Viel Wertvolles für alle,die sich ernsthaft über das Wesen und dieGeschichte von Jazz und Blues informie-ren möchten. Auch ausführliche Disko-grafien gehören dazu, die nachweisen,was in Studios und an Konzerten all dieJahrzehnte der Jazzgeschichte hindurchaufgenommen wurde.

Besondere Raritäten:Alben mit SchellacksWer früher seine Schellackplatten fach-kundig nach Musikern oder Bands geord-net einreihte, benutzte dazu Alben mitPlattenhüllen, in denen man etwa zehnder zerbrechlichen Scheiben sicher auf-bewahren konnte. Es gab auch Alben, die

man mit bereits gefüllten Plattentaschenkaufen konnte. Meistens enthielten sievier Schellacks einer Band oder eines So-listen. Der gestalterische Aufwand warschon beträchtlich, auch die Bemühun-gen, die jazzbegeisterten Käufer über diebevorzugten Bands und Musiker zu infor-mieren.Besonders freuen wir uns über Alben

mit Aufnahmen der Orchester Count Basie, Duke Ellington, Earl Hines undWoody Herman sowie über die Albenmit frühen Art Tatum-Soloaufnahmen.

Auch zwei Sets mit je vier Schellacks desheute weitgehend vergessenen PianistenEddie Heywood, die Decca 1947 heraus-gegeben hat, sind Trouvaillen unsererSammlung.

Einiges umgestellt und die Räume besser ausgenutzt Dadurch haben wir auch Platz für einBüro gewonnen, in dem sich Irène Spie-ler, unsere Sekretärin, einen neuen Ar-beitsplatz eingerichtet hat.Übrigens, als Mitglied des SwissJazz-

Orama haben Sie Zugriff zum wohl grössten Jazz-Archiv der Schweiz. IrèneSpieler gibt Ihnen gerne über alle De-tails Auskunft. Sie freut sich auf IhreKontaktnahme. Jimmy T. Schmid

Fotos: Ernesto Voegeli

Interessante Jazzliteratur undattraktive Poster gibts auch imersten Stock des Musikcontainer-Gebäudes an der Asylstrasse 10 in Uster, wo die Jazz RecordGallery zusammen mit demSwissJazzOrama den grösstenSecondhand-Tonträger-Shop der Schweiz eingerichtet hat.

Lassen Sie sich überraschen vom grossen Angebot an LPs,CDs, Schellacks u.a. und denvorteilhaften Preisen.

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Joe Turner wurde am 3. November 1907in Baltimore (USA) geboren. Als letzterder grossen Stride-Pianisten der erstenGeneration hielt er die Tradition diesesStils aufrecht. Innerhalb der Schule mitJames P. Johnson,Willie The Lion Smithund Thomas Fats Waller (als wichtigstenRepräsentanten) vertrat er einen relativunmanirierten, rhythmisch prägnantenStil. «Joe Turner ist der grösste lebende Stride-Pianist», sagte Albert Nicolas 1969anlässlich einer vielbeachteten Schallplat-tenaufnahme (The Great Traditionalists, mitwichtigen Americans in Europe des altenJazz). Joe Turner, der nicht mit dem Sän-ger Big Joe Turner verwandt war, warauch ein hervorragender Sänger und Entertainer. Er begann seine Karriere inHarlem, nahm 1930 an Aufnahmen mitLouis Armstrong teil, war dann Begleiterder Sängerin Adelaide Hall. Er arbeitete1944/45 in Sy Oliver's Army Band, 1946mit Rex Stewart. Nach dem 2.Weltkriegkehrte Turner nach Europa zurück. Nacheinem Aufenthalt in Ungarn (1948) warer lange Jahre in der Schweiz tätig

(1949–1962). Er spielte an vielen Festi-vals mit Albert Nicolas und Bill Coleman.Ab 1962 lebte er in Paris. In den Achtzi-gerjahren trat er gelegentlich auch wie-der in den USA auf.

Joe Turner in «Switzerland»Nach dem 2.Weltkrieg brachten ameri-kanische Musiker den Jazz in die Schweizzurück. Die Zeit der grossen Jazzkonzer-te begann so ca. 1949. Schlag auf Schlagkamen die Giganten in unser Land: LouisArmstrong, Count Basie, Sidney Bechet,Nat King Cole, Duke Ellington, Ella Fitz-gerald, Lionel Hampton, Billie Holiday,Lester Young und, und, und… dabei warauch Joe Turner, der gleich von 1949 bis1962 in der Schweiz blieb.Mit langdauernden Engagements in

Clubs, vor allem in Zürich (Café Althaus,Metro-Bar, Africana u.a.) und in Basel(Atlantis) sowie regelmässigen Konzer-ten in vielen Schweizer Städten sichertesich Joe eine begeisterte und treue An-hängerschaft und prägte, zusammen mitall den anderen Musikern den Musikge-schmack einer jungen Generation.Auch nach seiner Übersiedlung nach

Paris (1962) blieb er Zürich weiterhinverbunden. Jetzt war es das Odeon, spä-ter das Nova-Park und die Widderbar,wo er Gastspiele gab.Neben seiner Tätigkeit in Clubs und

Konzerten wurden auch diverse Titel in

1907–2007 Remember JOE TURNERpiano, vocal, enter tainer

Auch 2007 präsentierte sich das SwissJazzOrama mit einer Ausstellung amFestival JazzAscona.Thema war der100.Geburtstag von Joe Turner, der überlange Zeit mit der Schweiz sehr verbunden war. Die nachfolgenden Textesind ein Konzentrat der Texttafeln dieser Ausstellung, teilweise ergänzt odergekürzt.Die Ausstellung stiess auf reges Interesse bei Festivalbesuchern undMusikern. Sie war eine gute Visitenkarte für die Aktivitäten des SJO.

Joe Turners «Weisheiten»«Haben Sie schon von Louis Armstrong gehört?Ja, ja, er ist auch gut.»

«Meine Damen und Herren, ich mache jetzteine Fünf-Minuten-Pause, was zehn Minutendauert, und in einer Viertelstunde bin ichwieder hier.»

«Alles muss zu Ende gehen, manchmal leider,manchmal Gottseidank.»

Stride-PianoStride-Piano ist ein Solo-Klavierstil aus derFrühzeit des Jazz. Er geht auf den Ragtimezurück, ist im Gegensatz zu diesem aber nichtkomponiert, sondern grösstenteils improvi-siert.Er wurde um 1920 als Harlem Stride Piano vonPionieren wie James P. Johnson und Willie TheLion Smith kreiert und von Thomas Fats Wallerzum vorherrschenden Pianostil des Swing wei-terentwickelt.Der Ausdruck Stride kommt von der Aktion derlinken Hand des Pianisten, die einen beständi-gen Takt gegenüber der Melodie der rechtenHand angibt. Die linke Hand wechselt von star-ken Auftakten (entweder Einzelnoten,Oktaven,oder Dezimen) zu Akkorden. Variationen er-geben sich beim Spiel der linken Hand durchBegleitung eines Walking Bass-Musters, melodi-sche Zwischenspiele, Arpeggios oder andereTechniken.Weil der Pianist bei Stride-Begleitung stark do-miniert, treten Schlagzeug und Bass als Rhyth-mus-Instrumente zurück. Die Combos sindselten grösser als fünf bis sechs Musiker.Der Ausdruck Stride-Piano (deutsch, etwa: Kla-vierstil mit grossen Schritten) wurde erst vielspäter von Kritikern geprägt, Stride-Piano hattemassgeblichen Einfluss auf nachfolgende Jazz-Piano-Stile. Ralph Sutton bezeichnete dieseSpielart als Harlem Rhythm.

«First Generation Stride Pianists»Luckey Roberts 1887 – 1968James P. Johnson 1894 – 1955Willie The Lion Smith 1897 – 1973Thomas Fats Waller 1904 – 1943 Donald Lambert 1904 – 1962JOE TURNER 1907 – 1990Art Tatum 1909 – 1956

«On the Stride Side» Duke Ellington 1899 – 1974Earl Fatha Hines 1903 – 1983Count Basie 1904 – 1984Joe Sullivan 1906 – 1971Mary Lou Williams 1910 – 1981Teddy Wilson 1912 – 1986Thelonious Monk 1917 – 1982Erroll Garner 1921 – 1977Jaki Byard 1922 – 1999Roland Hanna 1932 – 2002… und viele andere!

Joe Turner – Solist & SidemanJoe Turner – der Solist Einige Beispiele:Sweet and Lovely (1952, RCA Vogue) Eine exzellente Zusammenstellung von Solo-aufnahmen aus seinen besten Pariser Tagen.I Understand (1979, Black and Blue)Aufnahmen mit Solostücken. Joe Turner singtund spielt ein buntes Programm.Another Epoch – Stride Piano(Vol.1&2,1975/76, Pablo) Joe Turner demonstriert auf wunderbareWeise, dass Jazz auch eine fröhliche undhumorvolle Musik sein kann, zum Wohlfühlenund Schmunzeln.Joe's Back in Town (1974, Black and Blue)Im Alter von 67 Jahren entfaltet Joe Turnereine überraschende Frische und Spielfreude.Dieses Album ist auch ein Tribut an James P. Johnson und Thomas Fats Waller.

Joe Turner – der SidemanÜber Joe als Sideman gibt es nicht allzuviel zuberichten. Er startete seine Karriere als Beglei-ter von u.a. Jimmy Harrison und June Clarke,sass 1930 bei Aufnahmen des Orchesters vonLouis Armstrong am Piano. In den Dreissiger-jahren war er meistens als Begleiter der Sänge-rin Adelaide Hall tätig, spielte aber auch beiFreddy Jenkins und Frank Goodie. In den Vier-zigerjahren war er Mitglied von Sy Oliver's Ar-my Band. In Europa spielte er später öfters mitRex Stewart, Bill Coleman und Albert Nicolas.

der Schweiz eingespielt. Ein Beispiel: JoeTurner 1907–1990, The Giant of StridePiano in Switzerland (1950–1959, JazzConnaisseur).Joe Turner war zweimal verheiratet,

zuerst mit einer Ungarin, dann mit einerSchweizerin. Er verstarb am 21. Juli 1990 in Paris. Mit ihm verliess uns einer derletzten authentischen, grossen Stride-Pianisten. Walter Abry

Joe Turner im Schloss Herblingen, 1961

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Soul Brothers: Zum Vermächtnis von Ray Charles und James Brown

Innerhalb von 18 Monaten verstarben zwei der wichtigsten und einfluss-reichsten Protagonisten der afroamerikanischen Populärmusik der zweitenHälfte des 20. Jahrhunderts: Am10. Juni 2004 der Creator of Soul, der Sänger,Pianist und Saxofonist Ray Charles,und am 25.Dezember vergangenen Jah-res der Godfather of Soul, der Sänger und Tänzer James Brown.Die geneigteLeserin, der geneigte Leser mögen sich fragen, weshalb in einer Jazz-Zeit-schrift näher auf das Vermächtnis von Charles und Brown eingegangen wird.Der Grund hierfür ist äusserst einfach: Beide Musiker haben einen nichtunerheblichen Einfluss auf den Jazz ausgeübt. Es gehört zum Aufgabenbe-reich eines Jazzarchives und -museums, auch jene Musikrichtungen zu do-kumentieren, welche zum tieferen Verständnis der Jazzentwicklung un-entbehrlich sind. Da Ray Charles einem jazzinteressierten Publikum nicht zuletzt wegen seiner Aufnahmen mit Jazzmusikern wie Milt Jacksonoder der Count Basie Band unter der Leitung von Quincy Jones und RalphBurns besser bekannt sein dürfte als James Brown, soll das Wirken des letz-teren etwas ausführlicher skizziert werden.

Soul = Devil's Music?Mit seiner «Verschmelzung» schwarzerKirchen- mit weltlicher Musik wie Blues,Rhythm & Blues und Jazz (der sogenann-ten Devil's Music) gilt Charles als der«Schöpfer» der Soulmusik; eine Bezeich-nung, die natürlich nicht ganz der Wirk-lichkeit entspricht. Der etwas jüngereJames Brown hat die Musik der Soul-pioniere und -pionierinnen wie Charles weiterentwickelt und radikalisiert: Mannannte Brown nicht umsonst Mr. Dyna-mite! Rein musikalisch gesehen war zwarbereits die Gospelmusik als Mischformaus dem Spiritual hervorgegangen, indemElemente aus den «Teufelsmusiken» Bluesund Jazz übernommen wurden. Der reli-giöse Inhalt wurde jedoch, im Gegensatzzum Soul, nicht angetastet: Dem Spiritualliegt inhaltlich das alte, dem Gospel dasneue Testament zugrunde. Der Titel ei-nes der berühmtesten Stücke von Char-les fasst die Essenz des Soul in einem Satzzusammen: «Hallelujah, I love her so», wo-bei «Hallelujah» für das kirchliche und«her» (nicht etwa das erwartete «him»,d.h. God) für das profane Element steht.Der sonst eher mittelmässige Film «Ray»zeigt hingegen anschaulich das Entsetzenseiner Entourage auf, als Charles diesemusikalischen Genres auch inhaltlich zuvermischen beginnt. Die Reaktion derschwarzen Kirchen (aber bei weitemnicht aller ihrer Mitglieder!) auf diese «Fusion» von kirchlicher und weltlicherMusik gibt die folgende Aussage derGospelsängerin Mahalia Jackson knapp,aber eindeutig wieder: «Don't let the devilsteal the beat from God.»Aber auch Blues-musiker und Bluesmusikerinnen wie etwader bekannte Gitarrist und Sänger Big

Bill Broonzy haben sich gegen die Vermi-schung von sakraler mit profaner Musikgewandt.Nach Broonzy gehört die Musikeines Ray Charles in die Kirche und nichtauf die Bühne. Während bei einigenSängern und Sängerinnen ihr Übertrittvon der Gospel- zur Soul- oder Blues-musik Schuldgefühle weckt(e), trifft diesbei James Brown, Solomon Burke undanderen Soulgrössen überhaupt nicht zu.So scheinen Solomon Burke seine paral-lel ausgeübten Tätigkeiten als Soulsängeram Samstagabend im Klub und als (pro-testantischer) Bischof am Sonntagmor-gen in seiner Kirche keinerlei Problemezu bereiten! Zudem sind einige seinerSongs – wie etwa «To thee» (zu dir) –zweideutig: Sie können sowohl religiös als auch weltlich verstanden werden.

Widersprüchliche PersönlichkeitenChristian Rentsch hat in der Nr. 1/2007der Zeitschrift «Jazz 'n' more» exempla-risch die weitgehend durch die in denUSA herrschenden sozialen und wirt-schaftlichen Verhältnisse bedingte «zer-rissene» Persönlichkeit von James Brownaufgezeigt: einerseits der rassenbewussteKünstler («Say it loud – I'm black and I'mproud») und andererseits der knallharteGeschäftsmann, der sich auch nicht zuschade fand, demonstrativ an der Seiteder konservativsten US-Präsidenten auf-zutreten, die mit ihrer Politik an derMisere eines Grossteils der Black Com-munity mitverantwortlich waren/sind.(Die Umverteilungspolitik von PräsidentBush und seine Haltung bezüglich NewOrleans sind die bis anhin letzten Bei-spiele dafür.) Ähnliche Verhaltensmusterfindet man bei Ray Charles oder etlichen

anderen afroamerikanischen Pop- undJazzmusikern und -musikerinnen, die es«geschafft» haben.

Soul und JazzWie bereits erwähnt, hat James Brown,ähnlich wie Ray Charles, den Jazz spür-,d.h. hörbar beeinflussst, was nachfolgendkurz aufgezeigt werden soll. (Auf dieüberragende Bedeutung von Charles undvor allem Brown für andere ursprüng-lich afroamerikanische Musikarten wieFunk, Disco und Rap kann im Rahmendieses Artikels nicht näher eingegangenwerden.)Nebst den schwarzen Kirchen- und

Arbeitsliedern, dem Blues und den Pio-nieren und Pionierinnen der Soulmusikwie Charles war auch bereits Brown eineder Inspirationsquellen des Funk undSoul Jazz: Charles schaffte 1954 mit derNummer «I've got a woman» und Brown1956 mit dem Titel «Please, please, please»endgültig den Durchbruch. Zu den Weg-bereitern und «Gründervätern» des Funkund Soul Jazz gehörten seit Mitte der50er-Jahre Musiker wie etwa der PianistHorace Silver, der Saxofonist CannonballAdderley oder der Organist (!) JimmySmith. In den Sechzigerjahren verflachte

Ray Charles (oben), James Brown

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dann diese schwer abzugrenzende «Un-terabteilung» des Hard Bop zusehends.Die Bezeichnungen Funk und Soul sindjedoch nicht nur musikalische, sondernauch weltanschauliche Begriffe. Dieseostentativen Rückgriffe vor allem afro-amerikanischer Jazzmusiker und -musike-rinnen (zu Beginn zumindest) auf dieschwarzen Roots und die Soulmusik hat-ten verschiedene Ursachen; hauptsäch-lich eine (selbst)bewusste Abgrenzungvom zuvor dominierenden weitgehendweissen West Coast Jazz sowie das Auf-kommen der Bürgerrechtsbewegung, in-nerhalb derer die schwarzen Kircheneine wichtige Rolle spielten, was nichtzuletzt auch in den Titeln gewisser Jazz-stücke zum Ausdruck kommt: Preacher,Sermon, Jubilation, Prayer Meeting usw.Derdeutsche Jazzwissenschafter EkkehartJost bezeichnete diese Jazzrichtung tref-fend als «Hardbop-Funk-Soul-Syndrom».Die von James Brown zur Schau getra-

gene Black Attitude sowie seine beinhar-ten Riffs und treibenden Grooves zeitig-ten ihre Wirkung auch auf Jazzmusikerund -musikerinnen, vor allem auf MilesDavis. Dieser hat sich übrigens mit derAussage, er spiele Black Music, dagegengewehrt, dass man seine Musik als JazzRock oder Rock Jazz bezeichnete. ImGefolge von Davis stiegen auch andereMusiker zumindest vorübergehend aufden brownschen «funky train» auf, ohnejedoch an der Eingangstür ihre musikali-sche Individualität abzugeben: Es seien andieser Stelle lediglich die folgenden Fahr-gäste genannt: der Keyborder HerbieHancock, die Brecker Brothers (welchemit Brown 1972 die Platte «I got a bag ofmy own» aufnahmen), die SaxofonistenSteve Coleman und Greg Osby oder dieheutigen Brass Bands aus New Orleans(Dirty Dozen, Rebirth usw.).Zudem trugen/tragen auch ehemalige

Mitglieder von James Browns Bands, wel-che teilweise über Jahre hinweg wesent-lich zum Orchesterklang beigetragen ha-ben, indirekt zur weiteren Verbreitungvon Browns Einfluss bei: Unter Wahrungihrer musikalischen Persönlichkeit grün-de(te)n sie eigene Gruppen, die sowohlim Jazz- wie auch im Poplager grosse Erfolge verbuch(t)en. Dies zeigen bei-spielsweise die von den Saxofonisten Ma-ceo Parker und Pee Wee Ellis und demPosaunist Fred Wesley ins Leben gerufe-nen Gruppen wie 1970 die Maceo & Allthe King's Men und anfangs der Neun-zigerjahre vor allem die bekannten JBHorns. Erst kürzlich trat Fred Wesley mitseinen JBs (Name einer berühmten ehe-maligen Band von James Brown!) imZürcher Jazzklub Moods auf. Albert Stolz

SwissJazzOrama wieder dabei am FestivalJazzAscona 2007

Zum vierten Mal in Serie waren Ausstel-lung und Jazz Shop des SwissJazzOramaam Festival JazzAscona ein enormer Pub-likumserfolg.Unser Auftritt wird von unzähligen

treuen Besuchern und den am Festivalauftretenden Musiker gleichermaßen ge-lobt. Im Kreuzgang des Collegio Papiotrifft man sich, stöbert in den LPs oderCDs nach Raritäten, findet Jazz-Posteroder längstvergriffene Jazz-Bücher, setztsich ins Halbdunkel der Kino-Ecke undgenießt einen Kurzfilm über Joe Turner,den Titelhelden der Ausstellung.

* * *

Unsere Ausstellung über Joe Turner inspi-rierte Rossano Sportiello, den sympha-tischen Weltklasse-Pianisten aus Italien,zum Warmup für eines seiner Konzerte.Joe Turner hätte sicher seine helle Freudean dieser Performance gehabt.

Jacques Rohner

Mit Jazz gut abgehoben

Wer als Passagier der Swissair in denNeunzigerjahren guten Jazz zu schätzenwusste, kam während vieler Jahre voll aufdie Rechnung. Zwei Marketing-Mitarbei-ter waren es, die auf die Glanzidee ka-men, den Fluggästen auf Langstreckenflü-gen die Zeit mit swingendem Jazz überKopfhörer zu verkürzen. Der eine warder leider vor drei Jahren verstorbene,international bekannte Jazzautor JohnnySimmen, den wir im Juli 2001 unseren Leserinnen und Lesern mit einem Inter-view vorgestellt haben. Der andere warWilliam Snyder, Marketingspezialist derSwissair in New York. Alle zwei Monatewurden neue Jazzprogramme Channel-10-Jazz aus dem grossen Fundus der priva-ten Plattensammlung von Johnny Simmenzusammengestellt. Das Auswählen derMusik, die fachkundig kommentiert wur-de,und das Produzieren der Tonbänder ineinem Recording Studio verlangten vielEinsatz und war oft nur mit Wochenend-arbeit zu bewältigen.66 komplette Bänder dokumentieren

nun in unserer Sammlung die guten Jazz-zeiten der Swissair.Sehr herzlich dan-ken wir WilliamSnyder, dem gross-zügigen Spender.

J.T.S.

Vielbesuchter Jazzshop des SwissJazzOrama am Festival JazzAscona.

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En mémoire de Michel Pilet

Memories of you:Ray, Albert and Buddy

A la fin de l'année passée nous avons appris la triste nouvelle du décès de l'ex-cellent saxophoniste genevois Michel Pilet (cf. l'encadré).C'est donc malheu-reusement pour la dernière fois que nous pouvons publier ses souvenirs desmoments passés aux côtés de grands musiciens américains.

Ray NanceL'année 1968 commence par une tour-née restreinte avec le trompettiste, violo-niste et chanteur Ray Nance, un anciende Duke Ellington. Concerts le 26 janvierà St. Gall, le 27 à Baden et le 28 au Théât-re de l'Atelier à Genève. Ray Nance étaitun musicien doué,aux multiples talents etje me souviens de sa sonorité puissanteau cornet, de son style de violon torturéet de ses gags vocaux qui n'étaient passans rappeler Sammy Davis Jr. A côtéd'une indéniable qualité musicale, RayNance s'est distingué, dans ces concerts,par un sens du spectacle et un humourqui ont emballé le public. A part cela, lebonhomme n'était pas particulièrementintéressant ou sympathique et ne nous a,en tout cas, pas manifesté un intérêt trèsmarqué.

Albert NicholasLe samedi 12 octobre 1968, c'est à nou-veau l'Aula de l'Ecole Cantonale de Ba-den qui nous accueille, cette fois avecnotre vieil ami Albert Nicholas. HenriChaix et moi connassions bien «Nick»pour avoir notamment passé tout unmois avec lui au «Mascotte» de Zurichavec Claude Aubert, au printemps 1957et l'avoir accompagné de nombreux foisen concert. Ce vétéran de la NouvelleOrléans s'adaptait facilement à n'importequi, même un ensemble «middle-jazz»,comme nous l'étions. Avec son niveau etson expérience, avec sa technique et sagrande musicalité, Albert Nicholas dé-passait la barrière des styles et parlait,

comme tous les autres, le langage du jazzqui n'a pas de frontières. Ce concert futune fois de plus un succès à l'actif d'ArildWideröe.Nick était un homme charmant, encoreun de ces gentlemen du monde du jazzque nous avons eu la chance de croiser.Toujours très soigné, il nous avait séduitpar son incroyable gentillesse et sa jeu-nesse de coeur qui démentaient sa mous-tache et sa chevelure blanches.C'était, enplus un conteur extraordinaire et nousne nous lassions pas d'écouter l'évoca-tion des souvenirs – et Dieu sait s'il enavait» de sa Nouvelle Orléans natale où ilavait côtoyé King Oliver et Jelly RollMorton, de Chicago et de New York où ilavait été longtemps le compagnon deLouis Armstrong dans l'orchestre de LuisRussell. Et précisément ce soir à Baden,après le concert, dans l'arrière salle d'unrestaurant voisin qui nous était traditon-nellement réservé, Nick fut intarissableet nous tint en haleine des heures durant.

Buddy TateEn juin 1971 nous faisons la connaisancede Buddy Tate, un saxophoniste inspiréde Lester Young, qu'il avait côtoyé dansl'orchestre Basie, mais avec un côté plusrude et plus trachant qui n'était pas sansrappeler Illinois Jacquet. De ses autrescollègues de l'orchestre Basie (BuckClayton, Harry «Sweets» Edison parexemple) Buddy Tate avait le chic vesti-mentaire, la gentillesse mais aussi la clas-se et le haut niveau musical. Nous avonseffectué une courte tournée qui s'est

terminée par un concert, le 27 juin après-midi, dans les jardins du Kurtheater deBaden. (...) C'est avec ce concert que setermine l'histoire de l'orchestre HenriChaix. Le moral n'y était plus. Michel Pilet

On trouve d'autres souvenirs de Michel Pilet dansles numéros suivants du jazzletter: no. 5 (BuckClayton et Cat Anderson), no. 8 (Ben Webster), no.de mars 04 (Benny Carter), no. 12 (Bill Coleman) etno. 14 (Rex Stewart).

Un saxophone et uneclarinette se sont tus

Le saxophoniste genevois Michel Pilet qui s'estéteint le 15 décembre de l'année passée à l'âgede 75 ans joua dans d'importants orchestrescomme, entre autres, ceux de Claude Aubert,Pierre Bouru, Paul Thommen, Roby Seidel oud'Henri Chaix!! Mais il fut également un arran-geur et un journaliste/chroniqueur de jazz degrand talent dont nous avons publié dansplusieurs numéros du jazzletter les souvenirssous le titre de «Memories of you». Pendant delongues années Michel Pilet ne fut pas seule-ment un pillier de l'orchestre Henri Chaix,maison lui doit aussi une histoire de cet orchestrepubliée récemment dans les colonnes du jour-nal «One More Time» édité par nos amis del'AGMJ (Association Genevoise des Musiciensde Jazz, cf. jazzletter no.3).Le 4 février, donc peu après Michel Pilet, unautre musicien romand important et égalementbien connu en Suisse alémanique nous a quittéà l'àge de 80 ans: Le clarinettiste Jean-ClaudeAugsburger qui faisait partie du noyau histori-que des «New Orleans Wild Cats» de Neuchâ-tel. Cet orchestre de réputation nationale etJean-Claude Augsburger en tant qu'instrumen-taliste ont glané de nombreuses distinctionsnotamment au Festival de Jazz de Zurich.

(Dans les numéros de février (293) et mars(294) du journal «One More Time» nos lec-teurs/lectrices intéressé(e)s trouveront de plusamples informations concernant l'itinéraire ar-tistique de ces deux musiciens.) A.S.

Ray Nance Albert Nicholas Buddy Tate

Buck Clayton,Michel Pilet, Isla Eckinger

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Otto Flückiger1929 – 2006

Als passionierter Jazzhistoriker gründeteOtto Flückiger 1989 mit ein paar Freun-den den Verein «Pro Jazz Schweiz» undrichtete in Rheinfelden das erste Jazz-Archiv ein,das dann 1992 in Arlesheim als«Schweizer Jazzmuseum» eröffnet wur-de. 1998 fand die Verlegung nach Usterstatt, wo die Sammlung als «SwissJazz-Orama» eingerichtet wurde. Wirft manalso einen Blick auf die SwissJazzOrama-Vorgeschichte, stellt man fest, dass wirOtto Flückigers Initiative viel zu verdan-ken haben.Otto Flückiger kam 1929 in Basel zur

Welt. Er war Mitglied bei der Teenager-band «The Feetwarmers», zusammen mitJazzkoryphäen wie Oscar Klein u.a. EinErlebnis, das seine Jazzbegeisterung umeiniges verstärkte, war kurz nach demZweiten Weltkrieg das Konzert des DonRedman-Orchesters im ausverkauftenBasler Küchlin-Theater. Die FaszinationJazz liess ihn nie mehr los.Auf mehrerenAuslandreisen in den USA eignete sichder sympathische Jazzman ein fundiertesWissen an. Sein wachsendes Interesse ander Geschichte des Jazz dokumentierteer durch die Herausgabe eigener Publika-tionen,durch Veröffentlichungen von Ton-trägern und durch die Mitarbeit an Fach-zeitschriften. Besonders verdient ge-macht hat er sich mit einer Dokumen-tation des Jazz von 1920 bis 1950,mit derfür die Nachwelt äusserst wertvollen Be-fragung von älteren Jazzgrössen, und ins-besondere mit der Herausgabe der Ge-schichte des Schweizer Pionierorches-ters «Lanigiro».Otto Flückiger, der auch Jazzkritiken

für die «Basler Zeitung» schrieb, verfügtenach wie vor in seinem Haus in Wallbachüber eine umfangreiche Jazzsammlung:Bücher, Tonträger, Plakate, Tagebücher,Fotos von Jazzmusikern und Jazzsängerin-nen. Am 9. März 2006 ist er gestorben.Er wird uns als lieber Freund und als

Nick Liebmann1950 – 2006

Die Sprache der Musiker ist ihre Musik.Eher selten tritt der Fall ein, dass sie auchin präzise Worte fassen können, was sienormalerweise in Tönen und Rhythmenvermitteln. Nick Liebmann gehörte zurraren Sorte jener Jazzmusiker, die auf beiden Ausdrucksebenen Professionelleszustande bringen. Er war ein geachtetesMitglied jener Gilde schweizerischerSchlagzeuger, die über die Landesgrenzenhinaus wirken und in namhaften Forma-tionen mit der «crème de la crème» desinternationalen Jazz auftreten. Gleichzei-tig war er einer der sprachmächtigstenJazzkritiker im Land und konnte in dieserFunktion nicht nur, seit 1984 jedochschwerpunktmässig die «Neue ZürcherZeitung» als bedeutende Tribüne nutzen.Nick Liebmann starb am 28. Dezem-

ber 2006, einen Tag nach seinem 56. Ge-burtstag, in São Paulo. Brasilien war fürihn – wie für jeden Perkussionisten –stets eine Referenzgrösse. Aber das la-teinamerikanische Land war nicht dasZiel seiner letzten Reise: Obwohl voneiner schweren Krankheit gezeichnet,hatte er sich vorgenommen, die Antarktiszu besuchen und dort die Pinguine zubeobachten. Dieser Vorstoss in die ext-reme Kälte blieb dem Zürcher Kosmo-politen versagt, im temperamentvollenSüdamerika endete seine Lebensreise –

dort, wo er drei Jahre lang in der Banddes argentinischen Pianisten Angel Su-cheras gespielt hatte.Vorangegangen warein Studium an der Uni Zürich in denFachrichtungen Sozialpsychologie undMusikwissenschaft.Beide Bereiche prägten Nicks Karrie-

re. Auf der einen Seite war da die beruf-liche Beschäftigung mit Marktforschungund Marketing. Auf der andern Seitewirkte permanent ein jungenhafter Ent-husiasmus für die Musik.Dem Jazz wussteer sich nicht in einem sterilen Bekennt-nis zu stilistischer Diät verpflichtet, viel-mehr nahm er ihn in seiner ganzen Brei-te und Fülle wahr. Belege dafür liefertendie stets detailreich aufdatierten Kon-zert- und Festivalrezensionen, die in wei-tem Bogen in die akustischen Welten vonPop, Ethno, Klassik und New Thing aus-greifen konnten.Auch als aktiver Musikerwusste Nick Liebmann die Vielfalt zu nut-zen: Mal spielte er an der Seite des fein-sinnigen Pianisten Remo Rau, mal imrhythmischen Vehikel des BluessängersGene «Mighty Flea» Connors, mal wardas Jazz-Live Trio von Klaus König seinmusikalisches Gefährt, dann wieder wa-ren es Bands mit dem Saxofonisten undElektronik-Experimentator Bruno Spoer-ri oder dem Gitarristen/Trompeter Tho-mas Moeckel.Die gängige Jazzkritik auf Tageszei-

tungsebene steht unter Aktualitätsdruck.Das tut ihr nicht immer gut. Manchmalbleibt sie unreflektiert an der Oberflä-che, manchmal verliert sie sich im Bau-kasten der Klischees. Das war Nick Lieb-manns Sache nicht. Seine musikalischeKompetenz befähigte ihn zu klarer –nicht selten scharfzüngiger – Analyse. Erhatte einen Sinn für technische Virtuo-sität, aber auch für Originalität, Persön-lichkeit und Expressivität. Aus dieserPerspektive heraus wuchs seine Distanzzu einem Jazzbetrieb, der seinen Nach-wuchs mehr und mehr durch Schulenschleust und damit Gefahr läuft, ange-lernte Manieriertheiten zum Zweck derÜbung zu machen.«Seine dezidierten Bemerkungen, sei-

ne mitunter auch provokativen Kommen-tare brachten ihn da und dort in den Rufeines Nörglers», schrieb Mitkritiker UeliBernays über seinen verstorbenen Kolle-gen Nick Liebmann. «Wer ihn näherkannte, wusste allerdings um den Char-me und die Verlässlichkeit dieses liebens-würdigen Nonkonformisten.» René Bondt

initiativer, kompetenter Förderer unsererMusik in steter Erinnerung bleiben.Anlässlich der Verleihung des Jazzprei-

ses der Region Basel, der Golden JAPNote 2003, durch den Jazzclub Aesch-Pfeffingen ehrte die «Basler Zeitung»Otto Flückiger am 17. Mai 2003 miteinem grösseren Artikel «Ein unermüdli-cher Schaffer zum Wohl des Jazz». Tref-fender lässt sich Ottis Einsatz für den Jazzkaum charakterisieren. J.T.S.

I N M EMOR I AM

Die SwissJazzOrama-Crew suchtKolleginnen und Kollegen jedenAlters zur Mithilfe bei Archivarbei-ten aller Art. Telefon 044 940 19 82

IMPRESSUMswissjazzoramajazzletterErscheint: 2–3 x jährlichRedaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) Mitarbeiter dieser Ausgabe: Albert Stolz,René Bondt, Michel Pilet, Jacques Rohner,Fernand Schlumpf,Walter AbryLayout:Walter AbryCopyright: SwissJazzOrama (Einziges SchweizerJazzarchiv und Jazzmuseum)Im Werk 8, 8610 Uster,Telefon 044 94019 82E-Mail: [email protected], www.jazzorama.ch

Contact pour la Suisse romande:Téléphone / Fax 044 492 48 01E-Mail: [email protected]

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Unsere Sponsoren: BUNDESAMT FÜR KULTUR

ANDRÉ BERNER

JazzAscona – ein Jazzfestin herrlicher Szenerie,idealem Klima und musikalischvoller Überraschungen21. Juni – 1. July 2007

Unsere Crew-Mitglieder konnten sich amAbend bei abwechslungsreicher Musikvon der nachmittäglichen Arbeit im Jazz-Shop und in der Ausstellung entspannen.Im diesjährigen Konzertangebot be-

sonders aufgefallen sind: Das Quartettdes New Orleans Klarinettisten Dr. Mi-chael White, der italienische Jungmeisteram Klavier Rossano Sportiello, das Trioder charmanten Pianistin Judy Carmi-chael aus New York, die zupackende Ad-hoc-Formation um Mark Brooks, die JoeAscione Ascona Six mit dem TrompeterByron Stripling und Multi-Instrumenta-list Scott Robinson, Norbert SchneidersRhythm’n’ Blues Band Caravan, das Euro-pean Saxophone Quartet mit MatthiasSeuffert und – für Ascona schon fast eineRevolution – ein ganzer Abend unterdem Titel «Be Bop Adventure» mit AlvinQueen, Dado Moroni, Joe Cohn, TerellStafford, Jesse Davis, John Allred undAltmeister Red Holloway, dem Gewinnerdes Ascona Jazz Award 2007, in besterSpiellaune. Jacques Rohner

SwissJazzOrama amJubiläums-JazzfestivalMunster (Elsass)13. –19. Mai 2007

Auf Einladung des Direktors des Jazz Fes-tival Munster konnte das SwissJazzOra-ma am diesjährigen 20. Jubiläums-Jazz-Festival die Ausstellung «The spirit ofNew Orleans» präsentieren. In einemhistorischen, frisch renovierten Gebäudein der Altstadt präsentierten sich denFestivalbesuchern eine Foto- und Bilder-ausstellung von einheimischen Künstlernim Erdgeschoss und unsere Ausstellungim 1. Stock.Aufgelockert wurde unsere Präsenta-

tion durch das Quartett von Martin Hu-gelshofer, der vom musikalischen Direk-tor des Festivals, Michel Hausser, eineEinladung nach Munster erhielt und aucham Festival mit dem bekannten Vibrafo-nisten Michel Hausser auftreten konnte.Die Festivalbesucher benutzten sehr regediese Gelegenheit, Live-Musik und Aus-stellung gemeinsam zu geniessen und imGästebuch wurden vielfache Gratulatio-nen zu unseren Museumsaktivitäten ein-getragen. Fernand Schlumpf

Martin Hugelshofer Quintett mit Michel Hausser, vibes

Ein Höhepunkt: Byron Stripling (tp, voc) und JoeAscione (dm). Auch dabei: Joe Cohn (g), Sohn desSaxofonisten Al Cohn.

I N M EMOR I AM

Alice Coltranegeboren 1937 in Detroit.Witwe John Coltranes.Wurde hauptsächlich bekannt in den Sechziger-jahren als Pianistin im Quartett ihres Mannes.

Michael Breckergeboren 1949 in Philadelphia. Bruder von RandyBrecker. Innovativer Tenorsaxofonist auf hohemNiveau.Vielseitig verwendbares Stilkonzept.

Don Butterfieldgeboren 1923 in Centralia,Washington.Tubaspieler,der sich mit seinem Instrument im modernen Jazzmit Erfolg durchsetzen konnte.

Kenny Daverngeboren 1935 in Huntington, Long Island.Technischversierter Saxofonist /Klarinettist. Aufnahmen undKonzerte mit bekannten Swing- und Dixieland-Formationen.

Andrew Hillgeboren 1937 in Port au Prince, Haiti. Hervor-ragender Pianist des Modern Jazz mit starkemEinfluss von Bud Powell und Thelonious Monk.

Leroy Jenkinsgeboren 1932 in Chicago. Geiger und Komponist.Ausdruckstarkes Spiel mit Bluesverbundenheit.Zusammenarbeit mit Dewey Redman, Albert Ayler u.a.

Cédric Dumontgeboren 1916 in Hamburg. Dirigent, Komponist,Pianist. Gründer und langjähriger Leiter des Radio-Unterhaltungsorchesters Beromünster. Schriebschon in den Dreissigerjahren Arrangements fürdie Band von Teddy Stauffer. Ein ausserordentlichvielseitiger Musiker, der immer bemüht war, nebenall den vom Publikum verlangten Polkas undWienerwalzern auch guten Jazz zu spielen.

Jürg Graugeboren 1943 in Zürich. Spielte ab seinem 13. Lebensjahr Trompete, autodidaktisch erlernt.Leistete in seinem Hauptberuf als Architekt und im Jazz in verschiedenen Stilen Ausserordent-liches: Dixie, Swing, Bop, Free Jazz. Eine seinerDevisen war: «Grooven muss es!»

Ernst BührerKurz vor Redaktionsschluss erreicht uns die be-trübliche Nachricht, dass Ernst Bührer, langjährigesMitglied des Vorstandes von Pro Jazz Schweiz, ver-storben ist.Wir werden ihn in unserer nächstenAusgabe mit einem grösseren Bericht würdigen.