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Numerik Differential-Algebraischer Gleichungen Humboldt-Universit¨ at zu Berlin Caren Tischendorf Skript zur Vorlesung im SS 2015

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Numerik Differential-AlgebraischerGleichungen

Humboldt-Universitat zu Berlin

Caren Tischendorf

Skript zur Vorlesung im SS 2015

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Inhaltsverzeichnis

1 Einfuhrung 31.1 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.1.1 Mechanische Mehrkorpersysteme . . . . . . . . . . . . 31.1.2 Simulation elektrischer Schaltungen . . . . . . . . . . . 51.1.3 Singulare Storungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.1.4 Flussnetzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1.2 Charakteristische Eigenschaften von DAEs . . . . . . . . . . . 11

2 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizienten 132.1 Regulare Matrixbuschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.2 Kronecker-Normalform fur lineare DAEs . . . . . . . . . . . . 152.3 Numerische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.3.1 BDF-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Lineare DAEs mit variablen Koeffizienten 273.1 DAEs mit proper formuliertem Hauptterm . . . . . . . . . . . 313.2 Verallgemeinerte Lineare Inverse . . . . . . . . . . . . . . . . . 333.3 Traktabilitatsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

3.3.1 Regular zulassige Projektoren . . . . . . . . . . . . . . 373.4 Entkopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.5 Numerische Verfahren fur lineare DAEs mit zeitabhangigen

Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.5.1 BDF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.5.2 Runge-Kutta-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

3.6 Wann kommutieren Entkopplung und Diskretisierung? . . . . 51

4 Nichtlineare Differential-algebraische Gleichungen 574.1 Entkopplung und Losbarkeit fur Index-1-DAEs . . . . . . . . . 594.2 Numerische Verfahren fur nichtlineare DAEs . . . . . . . . . . 68

4.2.1 Die BDF-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694.2.2 Die Runge-Kutta-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 694.2.3 Numerische Analyse der Verfahren . . . . . . . . . . . 69

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1 Einfuhrung

Wir betrachten das implizite System von Differentialgleichungen

f(x′, x, t) = 0 (1.1)

mit f : Rm×Rm× I → Rn und I ⊆ R ein Zeitintervall. Hierbei bezeichnett die Zeit und x : I → Rm die gesuchte Funktion. Zugleich wollen wirvoraussetzen, dass f stetig ist sowie die partiellen Ableitungen ∂f(y,x,t)

∂yund

∂f(y,x,t)∂x

besitzt und diese auch stetig sind.

Definition 1.1. Man nennt das System (1.1) eine Differential-Algebra-ische Gleichung (DAE, Differential-Algebraic equation), falls ∂f

∂y

fur alle (y, x, t) ∈ Rm × Rm × I singular ist bzw. keinen vollen Rang besitzt.

1.1 Anwendungen

1.1.1 Mechanische Mehrkorpersysteme

Mechanische Mehrkorpersysteme lassen sich wie folgt beschreiben:

Mp′′ = fa(t, p, p′)−G(p)Tλ

g(p) = 0

wobei G(p) = ∂∂pg(p). Die Variable p beschreibt die Ortskoordinaten des

betrachteten Massepunktes. M stellt die Massematrix dar und fa beschreibtdie außeren Krafte, die auf das System wirken.

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Die Beschrankungen/Nebenbedingungen, denen das System unterliegt, sinddurch die Gleichung g(p) = 0 dargestellt. Aufgrund des d’Alembert’schenPrinzips lassen sich die Zwangskrafte mit Hilfe von G(p)Tλ beschreiben, wo-bei λ der sogenannte Lagrange-Parameter ist. Zudem gelten folgende Eigen-schaften:

• M ist regular und

• G(p)G(p)T ist regular.

Durch Einfuhrung einer Variablen fur die Geschwindigkeit v erhalten wir einedifferential-algebraische Gleichung der Form

p′ = v

Mv′ = fa(t, p, v)−G(p)Tλ

g(p) = 0

In der Tat erhalten wir fur

f(x′, x, t) :=

p′ − vMv′ − fa(t, p, v) +G(p)Tλ

g(p)

mit x :=

pvλ

,

dass

∂f

∂y(y, x, t) =

I 0 00 M 00 0 0

singular ist.

Beispiel: Mathematisches Pendel (ohne Reibung)

q

cos(q)

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mp′′1 = −2p1λ

mp′′2 = −mg − 2p2λ

p21 + p22 − l2 = 0

1.1.2 Simulation elektrischer Schaltungen

Elektrische Schaltungen lassen sich mit Hilfe der Kirchhoff’schen Gesetze undder Strom-Spannungsrelationen der Bauelemente wie folgt beschreiben:

Ai = 0 Kirchhoffsches Stromgesetz

Bu = 0 Kirchhoffsches Spannungsgesetz

f(u′, i′, u, i, t) = 0 Bauelementrelationen

Hierbei bezeichnet i der Vektor aller Zweigstrome und u der Vektor allerZweigspannungen.

Die Matrix A nennt man Inzidenzmatrix. Sie beschreibt die Zweig-Knoten-Beziehungen. Die Matrix B nennt man Maschenmatrix. Sie beschreibt dieZweig-Maschen-Beziehungen. Typische Bauelementrelationen sind beispiels-weise

ik = Cu′k, falls der Zweig k eine Kapazitat ist

uk = Li′k, falls der Zweig k eine Induktivitat ist

uk = Rik, falls der Zweig k ein Widerstand ist

uk = v(t), falls der Zweig k eine Spannungsquelle ist.

Beispiel: RC-Oszillator

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Die Inzidenzmatrix ist gegeben durch

A =

−1 +1 00 −1 +1

+1 0 −1

Anmerkung: Die Summe aller Eintrage jeder Spalte ergibt Null. Dies ist furjedes Netzwerk so, weil jeder Zweig von genau einem Knoten weg- (+1) undgenau einem Knoten hinfuhrt (-1). Somit stehen in jeder Spalte genau eine+1 und eine -1. Damit sind die Zeilen von A linear abhangig und man kanneine Zeile streichen, ublicherweise die, die zum Masseknoten gehort.

Das Kirchhoff’sche Stromgesetz liefert dann

−i1 + i2 = 0

−i2 + i3 = 0.

Fur das Kirchoff’sche Spannungsgesetz erhalten wir

u1 + u2 + u3 = 0.

Schließlich sind die Strom-Spannungsrelationen der Bauelemente durch

i1 = Cu′1u2 = Ri1

u3 = v(t)

gegeben.

Bemerkung: Bei diesem einfachen Beispiel kann man das resultierende Systemauf die gewohnliche Differentialgleichung

RCu′1 + u1 + v(t) = 0

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zuruckfuhren und alle anderen Großen nach Losung der Differentialgleichungin Abhangigkeit von u1 berechnen. Doch bei integrierten Schaltungen mitMillionen von Bauelementen kann man die Systeme i.a. nicht mehr aufgewohnliche Differentialgleichungen zuruckfuhren.

1.1.3 Singulare Storungen

In verschiedenen Anwendungen, wie beispielsweise in der chemischen Reak-tionskinetik, findet man sogenannte singular gestorten gewohnlichen Diffe-rentialgleichungen vor:

y′ = g(y, z, t)

εz′ = h(y, z, t), ε > 0, ε� 1

Bei sehr kleinem ε � 1 bedeutet dies, dass sich die Komponente z deutlichschneller andert als die Komponente y. Dies fuhrt in der Regel zu sehr klei-nen Schrittweiten bei den numerischen Verfahren und somit zu erheblichemRechenaufwand. Betrachtet man nun den Grenzprozess ε→ 0, so erhalt mandie Differential-Algebraische Gleichung

y′ = g(y, z, t),

0 = h(y, z, t).

Falls ∂h∂z

nur Eigenwerte mit negativem Realteil hat, dann erhalt man durchdie Losung der DAE schnell eine gute Approximation der singular gestortengewohnlichen Differentialgleichung.

Beispiel: Chemische Pyrolyse (thermische Spaltung chemischer Verbindun-gen, wobei durch hohe Temperaturen ein Bindungsbruch innerhalb vongroßen Molekulen erzwungen wird).

G1k1−→ G2 +G3

G2 +G3k2−→ G5

G1 +G3k3−→ G4

G4k4−→ G3 +G6

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Das zugehorige Differentialgleichungssystem fur die Konzentrationen xi(t)lautet

x′1(t) = −k1x1(t)− k3x1(t)x3(t)x′2(t) = k1x1(t)− k2x2(t)x3(t)x′3(t) = k1x1(t)− k2x2(t)x3(t)− k3x1(t)x3(t) + k4x4(t)

x′4(t) = k3x1(t)x3(t)− k4x4(t)x′5(t) = k2x2(t)x3(t)

x′6(t) = k4x4(t)

Bei schnellen Reaktionen hat man sehr große Werte fur den entsprechenden k-Wert. Nach Normierung/Skalierung hat man dann einen sehr kleinen Faktorvor der Ableitung.

1.1.4 Flussnetzwerke

Zur Modellierung von Flussnetzwerken betrachten wir das Netzwerk zunachstals einen gerichteten Graphen mit Knoten und Kanten. Die Variablen desFlussnetzwerkes sind die Drucke p an den Knoten und die Flusse q auf denKanten. Ein Beispiel ist in Abbildung 1.1 gegeben.

reservoir

junction demand

demand junction

tank

pipe pipe

pipe pipe

pipe pipevalve pipe

Abbildung 1.1: Einfaches Wassernetzwerk mit den Netzelementen Reservoir,Tank, Rohr, Ventil, Verbindungsknoten und Abnehmer.

• q branch flows (water/gas/current/blood)

• p pressures/potentials

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• v pressure drops/voltages

Netzwerktopologie Wir bezeichnen die Anzahl der Kanten des Netzwer-kes mit nE und die Anzahl der Knoten mit nN . Dann lassen sich die Rela-tionen zwischen den Kanten und Knoten des gerichteten Netzwerkgrapheneinfach durch folgende Inzidenzmatrizen beschreiben.

Al = (alij) ∈ RnN×nE , Ar = (arij) ∈ RnN×nE , A = (aij) ∈ RnN×nE

mit den Matrixeintragen

alij :=

{-1 falls die Kante j vom Knoten i wegzeigt.

0 sonst

arij :=

{1 falls die Kante j zum Knoten i hinzeigt.

0 sonst

aij :=

-1 falls die Kante j vom Knoten i wegzeigt.

1 falls die Kante j zum Knoten i hinzeigt.

0 sonst

Offenbar gilt fur die Inzidenzmatrizen die Beziehung

A = Al + Ar.

Der Fluss qj = qj(x) auf der Kante j ist i.a. von der Position x auf derKante abhangig. Fur jede gerichtete Kante bezeichnen wir den Knoten, vondem die Kante wegzeigt, als linken Knoten. Entsprechend bezeichnen wirden Knoten, auf den die Kante hinzeigt, als rechten Knoten. Sei nun qlj derWasserfluss der Kante j am linken Knoten und qrj der Wasserfluss der Kantej am rechten Knoten (siehe Abb. 1.2.) Auf diese Weise lassen sich nun einfachdie Flussbilanz-Gleichungen an den Knoten wir folgt formulieren.

Alql + Arqr = qs, (1.2)

wobei ql den Vektor aller qlj und qr den Vektor aller qrj fur j = 1, ..., nE be-schreibt. Der Vektor qs enthalt alle Flusse qsi, wobei qsi den Zu- bzw. Abflussam Knoten i widerspiegelt. Abflusse liegen beispielsweise an Abnahmekno-ten vor. Zuflusse sind bei Knoten gegeben, die ein Reservoir darstellen. Angewohnlichen Verbindungsknoten ist qs = 0.

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qlj qrj

qj(x)

Abbildung 1.2: Der Fluss qj(x) auf der Kante j ist von der Position xabhangig. Die gerichtete Kante j zeigt vom linken zum rechten Knoten. DerFluss am linken bzw. rechten Knoten wird mit qlj bzw. qrj bezeichnet.

Bei einer Modellvereinfachung, die den Fluss q als konstant (d.h. unabhangigvon seiner Position x) auf jeder Kante betrachtet, erhalten wir die Fluss-Balance-Gleichungen einfach in der Form

Aq = qs. (1.3)

Die Inzidenzmatrizen ermoglichen uns zudem eine einfache Bestimmung derDrucke plj bzw. prj am linken bzw. rechten Rand jeder Kante j. Diesebenotigen wir zur vollstandigen Beschreibung der Fluss-Druck-Relationenfur jede Kante. Es gilt

pl = −A>l p, pr = A>r p,

wobei pl der Vektor aller plj und pr der Vektor aller prj fur j = 1, ..., nE ist.Den Druckabfall v langs der Kanten erhalten wir damit leicht als

v = pr − pl = A>r p+ A>l p = A>p. (1.4)

Druck-Fluss-Relationen fur konzentrierte Eelemente

q1 = ddtfd(v1) + fs(v1) + fin(t)

v2 = ddtgd(q2) + gs(q2) + gin(t)

Flussbilanzgleichungen fur konzentrierte Elemente

Aq = 0, v = A>p

Druck-Fluss-Relationen fur verteilte Eelemente

∂tp+ α∂xq = 0 p(xl, ·) = pl q(xl, ·) = ql

∂tq + β∂xp+ h(q) = 0 p(xr, ·) = pr q(xr, ·) = qr

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Flussbilanzgleichungen fur verteilte Elemente

Alql + Arqr = 0, pl = A>l p, pr = A>r p

Abbildung 1.3 zeigt das Gesamtsystem von Netzwerkgleichungen mit denjeweiligen Typen von Gleichungen auf den Knoten und den Kanten fur dasNetzwerk aus Abbildung 1.1. Nach Ortsdiskretisierung der Rohre ergibt sich

AE AE AE

AE AE ODE

PDE PDE

PD

E

PD

E

PDE PDE

AE PDE

Abbildung 1.3: Gekoppeltes System partieller Differentialgleichungen (PDE),gewohnlicher Differentialgleichungen (ODE) und algebraischer Gleichungen(AE), das sich aus dem Netzwerk der Abbildung 1.1 ergibt, wenn man dieRohre verteilt modelliert.

ein Differential-Algebraisches System der Form wie in Abbildung 1.4.

AE AE AE

AE AE ODE

ODE ODE

OD

E

OD

E

ODE ODE

AE ODE

Abbildung 1.4: Gekoppeltes System gewohnlicher Differentialgleichungen(ODE) und algebraischer Gleichungen (AE), das sich aus dem Netzwerk derAbbildung 1.1 ergibt, wenn man die Rohrmodelle im Ort diskretisiert.

1.2 Charakteristische Eigenschaften von DAEs

Zunachst wollen wir anhand von einfachen Beispielen wichtige charakteristi-sche Eigenschaften von DAEs demonstrieren.

11

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Beispiel 1.2.

x′2 = x1 − x2 (1.5)

0 = x1 − x2 − x3 (1.6)

0 = x1 − r(t). (1.7)

Fur die Losung des Systems gilt

x1(t) = r(t), x3(t) = r(t)− x2(t),

wobei x2 Losung der (regularen) gewohnlichen Differentialgleichung (ODE)

x′2 = −x2 + r(t).

ist, d.h.

x2(t) = e−(t−t0)(x2(t0) +

∫ t

t0

r(s)es−t0 ds).

Es gelten nun folgende Eigenschaften:

1. Obwohl in der oben formulierten Form (2.1) einer linearen DAE schein-bar Differenzierbarkeit von x in allen Komponenten gefordert ist, sobenotigt man hier tatsachlich nur Differenzierbarkeit von x2.

2. Im Gegensatz zu ODEs kann man die Anfangswerte nicht mehr in al-len Komponenten frei wahlen. In diesem Beispiel kann man nur eineKomponente frei vorgeben (z.B. x2, aber auch x3 ware moglich).

Beispiel 1.3.

x′1 = −x1 + x2 (1.8)

0 = x1 − r(t) (1.9)

Dieses System hat genau dann eine Losung

x1(t) = r(t)

x2(t) = r′(t) + r(t),

falls r differenzierbar ist. Wir beobachten folgende Eigenschaften:

1. Fur die Losbarkeit der DAE muss die Inputfunktion r differenzierbarsein.

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2. Es gibt keine frei wahlbaren Anfangswerte.

3. Zur Bestimmung der Losung, muss man die Gleichung (1.8) nicht inte-grieren, sondern die Gleichung (1.9) differenzieren.

Beispiel 1.4.

x′2 = x1

x′3 = x2 + r(t)

x′4 = x3

x3 = g(t).

Damit dieses System eine Losung besitzt, muss r einmal und g zweimal dif-ferenzierbar sein. Dann lautet die Losung

x1(t) = g′′(t)− r′(t), x2(t) = g′(t)− r(t), x3(t) = g(t),

x4(t) = x4(t0) +

∫ t

t0

g(s) ds.

Wir sehen hierbei, dass

1. die letzte Gleichung sogar zweimal differenziert werden muss,

2. nur die vierte Komponente x4 am Anfang frei gewahlt werden kann.

2 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizien-

ten

Lineare Differential-Algebraische Gleichungen mit konstanten Koeffizientensind Systeme von der Form

Ax′(t) +Bx(t) = q(t), (2.1)

wobei A, B ∈ Rm,m und q ∈ C(I,Rm).

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2.1 Regulare Matrixbuschel

Die Losbarkeit und eine Klassifizierung der Losungen linearer DAEs (2.1) isteng mit dem sogenannten Matrixbuschel λA+B, λ ∈ R, verknupft.

Definition 2.1. Das Matrixbuschel λA+B und das Matrixpaar {A,B} hei-ßen regular, falls det(λA+B) 6≡ 0. Ansonsten nennt man sie singular.

Beispiele fur singulare Matrixpaare

1.

A =

(1 01 0

), B =

(0 10 1

).

Wir erhalten das System

x′1 = x2 + q1,

x′1 = x2 + q2.

Das System ist fur q1 6≡ q2 nicht losbar. Fur q1 ≡ q2 existieren unendlichviele Losungen.

2.

A =

(1 10 0

), B =

(1 11 1

).

Wir erhalten das System

x′1 + x′2 = x1 + x2 + q1,

0 = x1 + x2 + q2.

Dieses System ist fur q2−q′2 6≡ q1 nicht losbar. Fur q2−q′2 ≡ q1 existierenunendlich viele Losungen.

Wir werden sehen, dass wir eindeutige Losbarkeit linearer DAEs mit kon-stanten Koeffizienten nur im Falle regularer Matrixpaare bekommen. Vorherwollen wir aber noch auf eine Eigenschaft fur regulare Matrixpaare hinweisen,die wir spater bei der numerischen Losung nutzen werden.

Bemerkung 2.2. Wenn das Matrixpaar {A,B} regular ist, dann ist dieMatrix 1

hA+B fur hinreichend kleine h > 0 regular.

Beweis: Der Ausdruck det(λA + B) ist ein Polynom endlichen Grades inAbhangigkeit von λ. Wenn det(λA + B) 6≡ 0, dann gibt es nur endlich vie-le λ, fur die det(λA + B) = 0 gilt. Sei λ0 die Nullstelle mit dem großtenAbsolutbetrag. Dann ist 1

hA+B regular fur alle 0 < h < 1

|λ0| .

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2.2 Kronecker-Normalform fur lineare DAEs

Satz 2.3. Falls das Matrixpaar {A,B} regular ist, dann existieren regulareTransformationsmatrizen U und V , so dass

UAV =

(I 00 N

), UBV =

(W 00 I

),

wobei I die Einheitsmatrix, N eine nilpotente Jordan-Blockmatrix und Wbeliebig ist.

Bevor wir diesen Satz beweisen, benotigen wir noch ein paar Fakten aus derLinearen Algebra, die in folgendem Lemma zusammengefasst sind.

Lemma 2.4. Sei M ∈ Rm×m eine beliebige Matrix und k = ind M , d.h. diekleinste nicht-negative ganze Zahl mit

kerMk = kerMk+1.

Dann gilt

(i) kerMk+` = kerMk ∀ ` ∈ N

(ii) im Mk+` = im Mk ∀ ` ∈ N

(iii) im Mk ⊕ kerMk = Rm.

Beweis: Zunachst gilt fur jede Matrix M trivialer Weise, dass

kerMk ⊆ kerMk+1 ⊆ ... ⊆ kerMk+`

undim Mk ⊇ im Mk+1 ⊇ ... ⊇ im Mk+`

fur alle ` ≥ 1. Sei ` ∈ N beliebig fixiert. Mit vollstandiger Induktion kannman mit der Voraussetzung

kerMk ⊇ kerMk+1

leicht zeigen, dasskerMk+i ⊇ kerMk+i+1

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fur alle i = 1, ..., `. Somit folgt (i) und damit aus Dimensionsgrunden auch(ii). Wir zeigen nun, dass

im Mk ∩ kerMk = {0}.

Fur z ∈ im Mk ∩ kerMk finden wir ein y ∈ Rm mit z = Mky. Somit gilt

0 = Mkz = M2ky = Mky = z.

Aus Dimensionsgrunden folgt nun auch die Richtigkeit von (iii). �

Beweis des Satzes 2.3: Da {A,B} ein regulares Matrixpaar ist, so existierteine reelle Zahl α, so dass αA+B regular ist. Sei

Aα := (αA+B)−1A, Bα := (αA+B)−1B = I − αAα.

und k = ind Aα. Sei weiter r = rankAkα. Nach Lemma 2.4 (iii) existierenMatrizen S1 ∈ Rm×r und S2 ∈ Rm×(m−r) mit vollem Spaltenrang, so dass

im S1 = im Akα, im S2 = kerAkα.

Dann giltim AαS1 ⊆ im Ak+1

α = im Akα = im S1.

Somit existiert eine Matrix C ∈ Rr×r, so dass

AαS1 = S1C. (2.2)

Die Matrix C ist regular, da mit Cx = 0 auch

AαS1x = S1Cx = 0

und somit S1x ∈ kerAα. Daraus folgt S1x ∈ kerAkα∩ im Akα = {0} und damitx = 0, da S1 vollen Spaltenrang besitzt.Nach Wahl von S2 gilt AkαS2 = 0 und somit auch AkαAαS2 = 0, d.h.

im AαS2 ⊆ kerAkα = im S2.

Also existiert eine Matrix D ∈ R(n−r)×(n−r), so dass

AαS2 = S2D.

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Mit (2.2) gilt fur S := (S1, S2), dass

AαS = (AαS1, AαS2) = (S1C, S2D) = S

(C 00 D

). (2.3)

Außerdem ergibt sich induktiv, dass

AkαS2 = S2Dk

Da AkαS2 = 0 und S2 vollen Spaltenrang besitzt, so folgt Dk = 0. Zudem giltDk−1 6= 0, da kerAk−1α ein echter Teilraum von kerAkα ist und daher

0 6= Ak−1α S2 = S2Dk−1.

Mit anderen Worten, D besitzt den Nilpotenz-Index k. Nach Wahl von S1

uns S2 ist mit Lemma 2.4 (iii) die Matrix S regular und es gilt wegen (2.3)

S−1AαS =

(C 00 D

).

Nun berechnen wir

S−1BαS = I − αS−1AαS =

(I − αC 0

0 I − αD

).

Der Block I − αD ist regular, da D nilpotent ist. Mit

U :=

(C−1 0

0 (I − αD)−1

)S−1(αA+B)−1,

V := S, N := (I − αD)−1D, W := C−1 − αI,

erhalten wir

UAV =

(I 00 N

), UBV =

(W 00 I

).

Man kann sich leicht uberzeugen, dass D und (I − αD)−1 kommutieren.Daraus folgt dann sofort, dass

Nk = ((I − αD)−1D)k = (I − αD)−kDk = 0

und daher die Nilpotenz von N mit Index k. �

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Lemma 2.5. Falls das Matrixpaar {A,B} regular ist, dann sind die Di-mensionen sowie die Eigenstruktur der Matrizen N und W aus Satz 2.3unabhangig von der Wahl der Transformationen U and V .

Beweis: Wir nehmen an, dass weitere Transformationsmatrizen U und Vexistieren, so dass

UAV =

(Ir 0

0 N

), UBV =

(W 00 I

),

wobei r die Dimension des ersten Blockes bezeichnet. Nun betrachten wirdas Polynom

p(λ) = det(λA+B) = det(U−1) det(λIr +W ) det(V −1)

= det(U−1) det(λIr + W ) det(V −1).

Daraus konnen wir schlussfolgern, dass

r = deg(p(λ)) = r.

Fur U := UU−1, V := V −1V erhalten wir

U

(I 00 N

)= UAV =

(I 0

0 N

)V , U

(W 00 I

)= UBV =

(W 00 I

)V .

Dies bedeutet fur die Teilblocke:(U11 U12N

U21 U22N

)=

(V11 V12N V21 N V22

),

(U11W U12

U21W U22

)=

(W V11 W V12V21 V22

),

alsoU12N = V12, U12 = W V12.

Durch rekursives Ausnutzen dieser Beziehungen konnen wir ableiten, dass

U12 = W U12N = ... = W kU12Nk = 0 und V12 = 0.

Hierbei ist k der Nilpotenzindex der Matrix N . Auf analoge Weise bekommenwir U21 = V21 = 0. Berucksichtigen wir, dass die Transformationsmatrizen Uund V regular sind, so sehen wir jetzt, dass die Blocke

U11 = V11, U22 = V22

18

Page 19: Numerik Di erential-Algebraischer Gleichungennumteam1/material/script_NumerikDAE... · Hierbei bezeichnet ider Vektor aller Zweigstr ome und uder Vektor aller Zweigspannungen. Die

regular sein mussen. Außerdem gilt jetzt

V11W = W V11, V22N = N V22.

Dies bedeutet gerade, dass die Matrizen N und N sowie W und W ahnlichsind. Zudem folgt damit auch fur den Nilpotenzindex k = k. �

Die Matrix N hat lediglich Null-Eigenwerte und kann mittels reellwertigerAhnlichkeitstransformation in Jordansche Normalform gebracht werden. Da-her konnen die Transformationsmatrizen U and V in Satz 2.3 so gewahltwerden, dass N Jordanform besitzt.

Bemerkung. Satz 2.3 gilt auch fur komplexwertige Matrizen. Dies ist einaltbekanntes Resultat von Weierstraß und Kronecker. Das Matrixpaar

UAV =

(I 00 N

), UBV =

(W 00 I

)(2.4)

heißt Kronecker-Weierstraß-Form des Matrixpaares {A,B}.

Im Folgenden betrachten wir lineare DAEs

Ax′(t) +Bx(t) = q(t)

mit einem regularen Matrixpaar {A,B}. Seien U und V regulare Matrizen,so dass

UAV =

(I 00 N

), UBV =

(W 00 I

).

Multipliziert man (2.1) mit U und definiert man y := V −1x, so erhalt man

(UAV )y′ + UBV y = Uq,

d.h.

y′1 +Wy1 = r1, (2.5)

Ny′2 + y2 = r2 (2.6)

fur r := Uq. Die erste Gleichung (2.5) stellt eine ODE dar. Die Losung derzweiten Gleichung (2.6) kann man wie folgt darstellen:

y2 =k−1∑i=0

(−1)iN ir(i)2 , (2.7)

19

Page 20: Numerik Di erential-Algebraischer Gleichungennumteam1/material/script_NumerikDAE... · Hierbei bezeichnet ider Vektor aller Zweigstr ome und uder Vektor aller Zweigspannungen. Die

wobei k der Nilpotenz-Index der Jordan-Blockmatrix N und r hinreichendoft differenzierbar ist. Die Gleichung (2.7) wird sofort klar, wenn man (2.6)rekursiv wie folgt einsetzt:

y2 = r2 −Ny′2 = r2 −N(r2 −Ny′2)′ = r2 −Nr′2 +N2y′′2= r2 −Nr′2 +N2(r2 −Ny′2)′′ = r2 −Nr′2 +N2r′′2 −Ny′′′2 = ...

Der Ausdruck (2.7) zeigt die Abhangigkeit der Losung x von den Ableitungendes Quell- oder Storungsterms r. Je großer der Index k, desto mehr Differen-tiationen sind involviert. Nur im Index-1-Fall haben wir N = 0 und dahery2(t) = r2(t), d.h. es sind keine Differentiationen notig.

Bemerkung: Der Nilpotenzindex k ist unabhangig von der Wahl der Trans-formation. Dies folgt unmittelbar aus dem Beweis von Lemma 2.5.

Definition 2.6. Der Nilpotenzindex k aus der Kronecker-Weierstraß-Form(2.4) eines regularen Matrixpaares {A,B} mit singularer Matrix A heißtKronecker-Index von {A,B}. Wir schreiben dafur ind {A,B}. Fur re-gulare Matrizen A ist ind {A,B} = 0 definiert.

Definition 2.7. Eine lineare DAE (2.1) nennt man DAE in Kronecker-Normalform, wenn

A =

(I 00 J

), B =

(W 00 I

), (2.8)

wobei J eine nilpotente Jordan-Block-Matrix ist.

Definition 2.8. Eine lineare DAE (2.1) hat den Kronecker-Index k, wennk der Nilpotenz-Index der Jordan-Blockmatrix N der Kronecker-Form derDAE ist.

Bemerkung: Die Gleichungen (2.5)-(2.7) zeigen, dass der Kronecker-Indexund der Differentiations-Index fur lineare DAEs ubereinstimmen.

Fasst man die bisherigen Resultate zusammen, so erhalt man folgenden Satz.

Satz 2.9. Sei {A,B} ein regulares Matrixpaar mit dem Kroneckerindex k.Dann gelten fur lineare DAEs der Form

Ax′(t) +Bx(t) = q(t), (2.9)

folgende Aussagen:

20

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1. Die DAE (2.9) ist losbar, falls q bzw. Teile davon hinreichend oft dif-ferenzierbar sind, also insbesondere, falls q ∈ Ck−1(I,Rn).

2. Die Losung der linearen DAE (2.9) ist bei Wahl eines konsistentenAnfangswertes x0 = x(t0) eindeutig.

Definition 2.10. Ein Anfangswert x0 einer DAE (2.9) heißt konsistent,falls es eine Losung x von (2.9) mit x(t0) = x0 gibt.

Bemerkung 2.11. Ein Anfangswert x0 einer DAE (2.9) mit regularem Ma-trixpaar {A,B} ist genau dann konsistent, falls

y2,0 = y2(t0) =k−1∑i=0

(−1)iN ir(i)2 (t0),

wobei y0 = V −1x0, r = Uq und U , V Transformationsmatrizen sind, die dieDAE (2.9) in Kronecker-Normalform transformieren, d.h.

UEV =

(I 00 N

), UAV =

(W 00 I

).

Dies wird unmittelbar aus der Losungsdarstellung (2.5)-(2.7) klar.Zudem zeigt (2.7) auch die notige Glattheit von q. Es mussen fur r = Uq undalle i = 1, ..., k − 1 die Teile N ir2(t) mindestens i-mal differenzierbar sein.

Satz 2.12. Die homogene DAE

Ax′(t) +Bx(t) = 0

hat genau dann einen endlich-dimensionalen Losungsraum, wenn das Ma-trixpaar {A,B} regular ist.

Beweis: Falls das Matrixpaar {A,B} regular ist, dann ist jede Losung von

Ax′ +Bx = 0

gegeben durch x = V y mit y2 = 0 und y1 Losung der homogenen Differenti-algleichung

y′1 = −Wy1,

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d.h. der Losungsraum ist endlich dimensional mit der Dimension dim(y1).Fur nicht regulare Matrixpaare sind die Funktionen

x∗(t) = eλtz

fur alle λ ∈ R und alle z ∈ Rm mit

(λA+B)z = 0

Losungen der DAE, denn

Ax′∗ +Bx∗ = (λA+B)eλtz = 0.

Somit ist der Losungsraum unendlich dimensional. �

2.3 Numerische Verfahren

Dazu schauen wir uns zunachst an, wie der explizite Euler fur eine lineareDAE aussieht

Axn − xn−1

h+Bxn−1 = qn−1 := q(tn−1).

An dieser Stelle stoßen wir sofort auf ein Problem. Die Matrix A ist singular.Daher bekommen wir keine eindeutige Losung xn. Besser sieht die Situationfur den impliziten Euler aus.

Axn − xn−1

h+Bxn = qn.

Dies ist aquivalent zu(1

hA+B

)xn −

1

hAxn−1 = qn := q(tn).

Aufgrund von Bemerkung 2.2 wissen wir, dass die Matrix

1

hA+B

fur hinreichend kleine Schrittweiten h regular ist, vorausgesetzt, wir habenein regulares Matrixbuschel {A,B}. Daher ist das implizite Euler-Verfahrenfur hinreichend kleine Schrittweiten stets durchfuhrbar.

Allgemein gilt, dass man bei der Anwendung expliziter Verfahren auf eine sin-gulare Matrix trifft und damit keine eindeutigen Losungen xn findet. Daherbetrachten wir im Folgenden nur noch implizite Verfahren. Zugleich setzenwir voraus, dass das Matrixpaar {A,B} regular ist.

22

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2.3.1 BDF-Verfahren

Ab jetzt bezeichnen wir den Kronecker-Index mit κ. Seien α0, ..., αk die furgewohnliche Differentialgleichungen bekannten BDF-Koeffizienten. Dann er-halten wir als BDF-Verfahren fur lineare DAEs die Iterationsvorschrift

A1

hn

k∑i=0

αnixn−i +Bxn = qn,

wobei qn = q(tn). Zur Durchfuhrung des Verfahrens benotigen wir die Regu-laritat der Matrix

α0

hA+B.

Diese ist nach Bemerkung 2.2 wieder regular fur hinreichend kleine Schritt-weiten hn > 0.

Berucksichtigen wir noch die beim Rechnen auftretenden Rundungsfehler δnin jedem Schritt, so haben wir

A1

hn

k∑i=0

αnixn−i +Bxn = qn + δn. (2.10)

Wir wollen nun wissen, wie gut die numerische Losung xn unsere exakteLosung x(tn) approximiert.

Sei nun der Kurze halber

Xn :=1

hn

k∑i=0

αnixn−i.

Damit lasst sich kurz schreiben:

AXn +Bxn = qn + δn. (2.11)

Zudem wissen wir, dass fur die exakte Losung gilt:

Ax′(tn) +Bx(tn) = q(tn) = qn.

Subtrahieren wir beide voneinander, so gilt

A(Xn − x′(tn)) +B(xn − x(tn)) = δn.

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Wir bezeichnen im Folgenden den globalen Fehler als en := xn − x(tn) undden lokalen Diskretisierungsfehler als

τn :=1

hn

k∑i=0

αnix(tn−i)− x′(tn).

Aus der Numerik fur gewohnliche Differenialgleichungen wissen wir, dassτn = O(hk) fur h = max

n≥0hn bei der k-schrittigen BDF. Man beachte hierbei,

dass

τn =1

hnLn

fur den fur gewohnliche DGLen bekannten lokalen Diskretisierungsfehler Ln.Dann haben wir

Xn − x′(tn) =1

hn

k∑i=0

αni(xn−i − x(tn−i)) + τn

=1

hn

k∑i=0

αnien−i + τn

und mit

En :=1

hn

k∑i=0

αnien−i

erhalten wirA(En + τn) +Ben = δn.

Fur DAEs vom Index κ finden wir regulare Transformationsmatrizen U undV , so dass

UAV =

(I 00 N

), UBV =

(W 00 I

)mit einer nilpotenten Matrix N mit Index κ. Entsprechend konnen wir dieGleichung (2.11) transformieren:

UAV (V −1(En + τn)) + UBV (V −1en) = Uδn.

Mit En := V −1En, τn := V −1τn, , en := V −1en und δn := Uδn ergibt dies(I 00 N

)(En + τn) +

(W 00 I

)en = δn,

24

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d.h.

E1,n + τ1,n +We1,n = δ1,n

N(E2,n + τ2,n) + e2,n = δ2,n.

Unter Berucksichtigung der Definition von En bedeutet dies

1

hn

k∑i=0

αnie1,n−i +We1,n = δ1,n − τ1,n (2.12)

N1

hn

k∑i=0

αnie2,n−i + e2,n = δ2,n −Nτ2,n. (2.13)

Damit ist die Gleichung (2.12) die bekannte Fehlerrekursion des k-schrittigenBDF-Verfahrens fur gewohnliche Differentialgleichungen. Hierfur wissen wir,dass

maxn≥k‖e1,n‖ ≤ c

(max0≤j<k

‖e1,j‖+ maxn≥k‖τ1,n‖+ max

n≥k‖δ1,n‖

)fur hinreichend kleine h := max

nhn. Dabei gilt τ1n = O(hk).

Interessant ist nun der Fall, was (2.13) fur die Fehlerkomponenten e2,n bedeu-tet. Falls die Schrittweite hn nicht konstant ist, so ist fur diese Komponentennicht immer Konvergenz garantiert, wie wir an folgendem Beispiel sehen. Wirbetrachten das System

x1 = g(t)

x′1 = x2

x′2 = x3

Das Beispiel ist bereits in Kronecker-Normalform mit

N =

0 0 0−1 0 00 −1 0

,

d.h. der Index ist gleich 3. Die exakte Losung ist offenbar gleich

x1 = g(t)

x2 = g′(t)

x3 = g′′(t)

25

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Wenden wir nun das implizite Euler-Verfahren mit variabler Schrittweite an,so ergibt sich

x1n − x1,n−1hn

= x2n

x2n − x2,n−1hn

= x3n

x1n = g(tn)

Dies liefert uns die numerische Losung (bei Vernachlassigung der Rundungs-fehler)

x1n = g(tn)

x2n =g(tn)− g(tn−1)

hn

x3n =

g(tn)−g(tn−1)hn

− g(tn−1)−g(tn−2)hn−1

hn

Offenbar gilt ‖x1n − x1(tn)‖ = 0 und ‖x2n − x2(tn)‖ = O(h). Mittels Taylor-reihenentwicklung erhalten wir

x3n =hn + hn−1

2hng′′(tn) +O(h),

fur h = max{hn, hn−1} und hnhn−1

≤ c sowie hn−1

hn≤ c. Offenbar erreichen wir

Konvergenz in dieser Komponente nur, wenn hn = hn−1.

Daher betrachten wir die Gleichung (2.13) jetzt nur noch fur konstanteSchrittweiten hn = h.

Per Induktion lasst sich zeigen, dass τ[j]2n = O(hk) fur die rekursiv definierten,

lokalen Fehler

τ[j+1]2,n :=

1

h

k∑i=0

αiτ[j]2,n−i, τ

[0]2,n = τ2,n

Definieren wir zudem rekursiv

δ[j+1]2,n :=

1

h

k∑i=0

αiδ[j]2,n−i, δ

[0]2,n = δ2,n,

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so erhalten wir aus (2.13), dass

e2,n =κ−1∑j=0

(−1)jN j δ[j]2,n +

κ−1∑j=1

(−1)jN j τ[j−1]2,n

und somit

maxn≥(κ−1)k

‖en2‖ ≤ c(hk +1

hκ−1maxn≥0‖δn‖). (2.14)

gilt. Zusammenfassend ergibt sich folgender Konvergenzsatz.

Satz 2.13. Fur die k-schrittige BDF (k ≤ 6) mit konstanter Schrittweite h(h hinreichend klein) gilt bei Anwendung auf DAEs mit konstanten Koeffizi-enten vom Index κ die Abschatzung

maxn≥max{k,(κ−1)k}

‖xn − x(tn)‖ ≤ c( max0≤n<k

‖xn − x(tn)‖+ hk +1

hκ−1maxn≥0‖δn‖).

Bemerkung 2.14. Der Satz impliziert folgende wichtige Konsequenzen furdie numerische Losung von DAEs.

1. Falls δn = 0, die Schrittweite konstant und die Startwerte hinreichendgenau, dann haben wir Konvergenz der Ordnung O(hk) nach spatestens(κ−1)k Schritten. Dabei ist die Ordnung unabhangig vom Index κ derDAE.

2. Um Konvergenz der Ordnung O(hk) praktisch zu gewahrleisten, mussman dafur sorgen, dass

‖δn‖ = O(hk+κ−1).

Dies ist bei steigendem Index κ immer schwieriger zu gewahrleisten.

3 Lineare DAEs mit variablen Koeffizienten

Bevor wir uns mit der Frage der numerischen Losung von DAEs beschaftigen,wollen wir uns lineare DAEs

A(t)x′ +B(t)x = q(t) (3.1)

27

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mit zeitabhangigen Matrixfunktionen A(t) und B(t) naher anschauen. Hiergibt es interessante Effekte, die man bei DAEs mit konstanten Koeffizientennicht beobachten kann. Die Matrixfunktionen A(·), B(·) und die Inputfunk-tion q(·) seien auf einem Zeitintervall I = [t0, T ] definiert und dort auchstetig.

Im Falle linearer DAEs mit konstanten Koeffizienten, war die eindeutigeLosbarkeit durch ein regulares Matrixpaar {A,B} und konsistente Anfangs-werte garantiert. Daher konnte man vermuten, dass die Regularitat des (lo-kalen) Matrixpaares {A(t), B(t)} wesentlich fur die Losbarkeit und die Ein-deutigkeit von Losungen von (3.1) ist. Uberraschender Weise ist dies jedochnicht der Fall, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen.

Beispiel: Wir betrachten die DAE

tx′1 − t2x′2 = x1

x′1 − tx′2 = x2.

Das Matrixpaar {A(t), B(t)} ist regular fur alle t∈R, denn

det(λA(t) +B(t)) = det

(λt− 1 −λt2λ −1− λt

)= 1.

Dennoch besitzt die DAE nicht-triviale Losungen

x∗(t) :=

(th(t)h(t)

)fur beliebige stetig differenzierbare Funktionen h(·) auf R mit h(t0) = 0.

Dieses Beispiel zeigt, dass Regularitat des Matrixpaares {A(t), B(t)} eindeu-tige Losbarkeit nicht garantiert.

Schauen wir uns die DAE

0 = x1 − tx2 − q1(t)x′1 − tx′2 = q2(t)

mit zweimal stetig differenzierbaren Funktionen q1(·) und q2(·) auf R an. DasMatrixpaar {A(t), B(t)} ist singular fur alle t∈R, denn

det(λA(t) +B(t)) = det

(− 1 tλ − λt

)≡ 0.

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Trotzdem besitzt die DAE die eindeutige Losung

x∗(t) :=

(q1(t) + tq2(t)− tq′1(t)

q2(t)− q′1(t)

).

Dieses Beispiel zeigt, dass Regularitat des Matrixpaares auch nicht notwendigfur eindeutige Losbarkeit ist.Ursache fur dieses Verhalten ist die Tatsache, dass Matrixpaare der Form{A(t), B(t)}, {A(t), B(t)} mit

A(t) = U(t)A(t)V (t), B(t) = U(t)B(t)V (t)

fur regulare Matrizen U(t) und V (t) im zeitabhangigen Fall i.a. nicht zuaquivalenten differential-algebraischen Gleichungen

A(t)x′(t) +B(t)x = q(t) und A(t)y′(t) + B(t)y + q(t)

fuhren. Vielmehr bekommt man durch eine Transformation x(t) = V (t)y(t)und Skalierung mit U(t) aus der DAE

A(t)x′(t) +B(t)x = q(t)

die differential-algebraische Gleichung

U(t)A(t)V (t)y′(t) + (U(t)B(t)V (t) + U(t)A(t)V ′(t))y = U(t)q(t).

Somit muss man ein Kriterium finden, dass unter Aquivalenztransforma-tionen der Form {A,B} ∼ {A, B} fur

A = UAV, B = UBV + UAV ′

erhalten bleibt. Die Regularitat des Matrixpaares {A,B} bleibt unter solchenAquivalenztransformationen offenbar nicht erhalten, denn fur

A =

(t −t21 −t

), B =

(−1 00 −1

), U =

(1 00 1

), V =

(t 01 1

)finden wir

A = UAV =

(0 −t20 −t

), B = UBV + UEV ′ =

(0 00 −1

)29

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Abbildung 3.5: Die numerische Losung fur die DAE (3.2).

und somitdet(λA+B) = 1, aber det(λA+ B) = 0.

Bevor wir nun aber eine Antwort hinsichtlich eines Kriteriums fur DAEs mitvariablen Koeffizienten geben, schauen wir uns noch ein Beispiel an, an demwir verschiedene numerische Verfahren testen.

x′1 + ηtx′2 + (1 + η)x2 = 0

x1 + ηtx2 = exp(−t)(3.2)

Die Abbildung 3.5 zeigt die numerische Losung x1 fur verschiedene Parame-terwerte η, stets mit der gleichen Schrittweite.Offenbar liefern alle verwendeten Verfahren bei bestimmten Parametwerteninstabile numerische Losungen, obwohl die exakte Losung stabil ist.

Formulieren wir das System (3.2) aquivalent in das System

x′1 + (ηtx2)′ + x2 = 0,

x1 + ηtx2 = exp(−t)(3.3)

um, so liefern die numerischen Verfahren mit denselben Parameterwerten undderselben Schrittweite die in Abbildung 3.6 dargestellten Losungen. Durchgeeignete Umformulierung des Systems erhalten wir also ein numerisch deut-lich besseres Verhalten.

30

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Abbildung 3.6: Die numerische Losung fur die DAE (3.3).

3.1 DAEs mit proper formuliertem Hauptterm

Daher schauen wir uns jetzt allgemeiner DAEs von der Form

A(Dx)′ +Bx = q (3.4)

an, wobei

A ∈ C(I, L(Rk,Rm)), D ∈ C(I, L(Rm,Rk)),B ∈ C(I, L(Rm,Rm)), q ∈ C(I,Rm)

und I ⊂ R ein Intervall ist. Mit Dx wollen wir all die Komponenten beschrei-ben, die in dem System tatsachlich in abgeleiteter Form auftreten. Zudemwollen wir voraussetzen, dass A und D gewissermaßen zusammenpassen, d.h.das Produkt AD soll weder von A noch von D Informationen wegschneiden.

Lemma 3.1. Seien A ∈ Rm×k, D ∈ Rk×m beliebige Matrizen. Dann sindfolgende Bedingungen aquivalent.

1. rang A = rang AD = rang D

2. im A = im AD und kerAD = kerD

3. kerA⊕ im D = Rk

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Beweis: (1.→ 2.) Offenbar gilt im AD ⊆ im A. Die Voraussetzung

rang AD = rang A bedeutet dim im AD = dim im A,

d.h. im AD = im A. Zudem gilt offensichtlich kerD ⊆ kerAD. Die Voraus-setzung

rang AD = rang D bedeutet m− dim kerAD = m− dim kerD,

also auch dim kerAD = dim kerD und daher kerD = kerAD.

(2.→ 3.) Sei z ∈ kerA∩ im D. Dann gilt Az = 0 und z = Dy fur ein y ∈ Rm,also ADy = 0. Da

kerAD = kerD, so Dy = 0, d.h. z = 0.

Somit gilt kerA ∩ im D = 0. Sei nun z ∈ Rk beliebig. Dann gilt

Az ∈ im A = im AD.

Es existiert also ein y ∈ Rn, so dass Az = ADy. Sei nun

z1 := z −Dy und z2 := Dy.

Dann gilt sofort z1 ∈ kerA und z2 ∈ im D und z1 + z2 = z, also

kerA + im D = Rk.

(3.→ 1.) Es genugt zu zeigen, dass

rang A ≤ rang AD und dim kerAD ≤ dim kerD.

Sei {z1, ..., zr} eine Basis von im A. Dann existieren y1, ..., yr ∈ Rk mitzi = Ayi fur i = 1, ..., r. Nun finden wir nach Voraussetzung ui ∈ kerA undvi ∈ im D, so dass yi = ui + vi. Somit haben wir

zi = Avi ∈ im AD, d.h. rang A ≤ rang A.

Sei nun {z1, ..., zr} eine Basis von kerAD. Dann gilt Dzi ∈ im D und Dzi ∈kerA, also nach Voraussetzung Dzi = 0, d.h. {z1, ..., zr} gehort zu kerD undsomit dim kerAD ≤ dim kerD. �

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Definition 3.2. Wir nennen die DAE (3.4) eine DAE mit proper for-muliertem Hauptterm, falls A(t) und D(t) konstanten Rang auf I habenund

kerA(t)⊕ im D(t) = Rk, t ∈ I, (3.5)

sowie kerA und im D stetig differenzierbar sind, d.h. es existieren di(·) ∈C1(I,Rk) fur i = 1, ..., k, so dass

im D(t) = span {d1(t), . . . , dr(t)}, kerA(t) = span {dr+1(t), . . . , dk(t)}.

Fur DAEs mit proper formuliertem Hauptterm ist

R(t) :=(d1(t) ... dk(t)

)(I 00 0

)(d1(t) ... dk(t)

)−1(3.6)

ein stetig differenzierbarer Projektor auf im D(t) langs kerA(t).

3.2 Verallgemeinerte Lineare Inverse

Lemma 3.3. Zu jeder beliebigen Matrix M ∈ L(Rk,Rm) existiert eine Ma-trix M−, so dass

MM−M = M und M−MM− = M−.

Eine solche Matrix M− nennt man verallgemeinerte Inverse oder auch 1-2Inverse von M .

Sei Pker ein beliebiger Projektor langs kerM und Pim ein beliebiger Projektorauf im M . Dann existiert genau eine verallgemeinerte Inverse M− von Mmit der Eigenschaft, dass

MM− = Pim und M−M = Pker.

Diese nennt man auch 1-2-3-4-Inverse.

Die Moore-Penrose-Inverse M+ ist genau die 1-2-3-4-Inverse, fur die MM+

der Orthoprojektor auf im M und M+M der Orthoprojektor langs kerM ist.

Beweis: Wir zerlegen M mittels SVD (Singularwertzerlegung) von M . Esexistieren orthogonale Transformationsmatrizen U und V , so dass

M = U>(

Σ 00 0

)V.

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Dann ist

M− = PkerV>(

Σ−1 00 0

)UPim

ein verallgmeinerte 1-2-3-4 Inverse, denn:

MM− = MPkerV>(

Σ−1 00 0

)UPim = MV >

(Σ−1 0

0 0

)UPim

wegenkerM = kerPker = im (I − Pker).

und somit

MM− = U>(

Σ 00 0

)V V >

(Σ−1 0

0 0

)UPim = U>

(I 00 0

)UPim.

Offenbar ist U>(I 00 0

)U ein Projektor auf im Pim = im M , denn

U>(I 00 0

)UU>

(I 00 0

)U = U>

(I 00 0

)U

und

im U>(I 00 0

)U = im U>

(I 00 0

)= U>

(I 00 0

)V = im M.

Somit gilt MM− = Pim. Analog kann man zeigen, dass M−M = Pker. Ausden letzten beiden Gleichungen erhalt man zudem, dass

MM−M = PimM = M,

da Pim ein Projektor auf im M ist und

M−MM− = PkerM− = M−,

da

PkerM− = PkerPkerV

>(

Σ−1 00 0

)UPim = PkerV

>(

Σ−1 00 0

)UPim = M−.

Angenommen, es existieren zwei verallgemeinerte Inversen M−1 und M−

2 mitden Eigenschaften

MM−1 M = M, M−

1 MM−1 = M−

1 , MM−1 = Pim, M−

1 M = Pker

34

Page 35: Numerik Di erential-Algebraischer Gleichungennumteam1/material/script_NumerikDAE... · Hierbei bezeichnet ider Vektor aller Zweigstr ome und uder Vektor aller Zweigspannungen. Die

und

MM−2 M = M, M−

2 MM−2 = M−

2 , MM−2 = Pim, M−

2 M = Pker.

Dann gilt

M−1 = M−

1 MM−1 = M−

1 Pim = M−1 MM−

2 = PkerM−2 = M−

2 MM−2 = M−

2 .

Somit ist auch die Eindeutigkeit der 1-2-3-4-Inversen gezeigt.

Die Moore-Penrose-Inverse M+ ist definiert als eine Matrix, die die folgendenEigenschaften hat:

MM+M = M, M+MM+ = M+, MM+ = (MM+)>, M+M = (M+M)>.

Damit ist M+ zunachst eine 1-2 Inverse. Zudem sind MM+ und M+M Pro-jektoren, da

MM+MM+ = MM+ und M+MM+M = M+M.

Aufgrund von

MM+ = (MM+)> und M+M = (M+M)>.

sind MM+ und M+M Orthoprojektoren. Zudem gilt

kerM+M = kerM,

dakerM ⊆ kerM+M und kerM+M ⊆ kerMM+M = kerM.

Schließlich haben wir auch noch

im MM+ = im M,

daim MM+ ⊆ im M und im M = im MM+M ⊆ im MM+.

35

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3.3 Traktabilitatsindex

Sei D− ∈ C(I, L(Rk,Rm)) eine verallgemeinerte Inverse von D, so dass

DD−D = D, D−DD− = D−, DD− = R.

Da D nach Voraussetzung konstanten Rang besitzt, so ist der orthogonaleProjektor PD auf (kerD)⊥ langs kerD stetig. Sei im folgenden P0 irgendeinstetiger Projektor langs kerD. Dann wollen wir die verallgemeinerte InverseD− passend zu P0 wahlen, d.h.

D−D = P0.

Sei

G0 := AD, B0 := B, N0 := kerG0, Q0 = I − P0. (3.7)

Daim Q0 = kerP0 = kerD = kerAD = kerG0,

und P0 ein stetiger Projektor langs kerD ist, so ist Q0 ein stetiger Projektorauf kerG0.

Fur i ≥ 0 bilden wir - solange die Ausdrucke existieren - die Kette

Gi+1 = Gi +BiQi, (3.8)

Ni+1 = kerGi+1, (3.9)

wobei Pi+1, Qi+1 ∈ C(I, L(Rm)) so gewahlte Projektorfunktionen sind, dassPi+1 = I −Qi+1 und im Qi+1 = Ni+1. Sei weiter

Πi+1 := ΠiPi+1, (3.10)

Bi+1 = BiPi −Gi+1D−(DΠi+1D

−)′DΠi. (3.11)

ri+1 := rankGi+1. (3.12)

Damit die Kette existiert, muss offenbar DΠi+1D− differenzierbar sein. Diese

Korrekturterme sind notwendig, damit die spater folgende Index-Definitioninvariant gegenuber Refaktorisierungen ist, d.h. auch fur aquivalente Formu-lierungen der Form

A(Dx)′ + Bx = q. (3.13)

36

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3.3.1 Regular zulassige Projektoren

Wir wollen nur solche Projektoren als regular zulassig betrachten, die unsauch stetige Matrixfunktionen Gi liefern. Daher kommen jetzt noch Bedin-gungen der Form zu, dass fur alle Zeiten t der Rang bestimmter Matrizenkonstant sein soll.

Definition 3.4.

(1) Die Projektorfunktionen Q0, . . . , Qk heißen regular zulassig auf I furdie DAE (3.4), falls

(a) Gi konstanten Rang ri auf I fur i = 0, . . . , k hat,

(b) fur alle i = 1, . . . , k gilt

_Ni := (N0 ⊕ · · · ⊕Ni−1) ∩Ni = {0}.

und Qi ist so gewahlt, dass

N0 ⊕ · · · ⊕Ni−1 ⊆ kerQi.

(c) Πi stetig und DΠiD− stetig differenzierbar fur i = 0, . . . , k sind.

(2) Wenn die Projektoren Q0, . . . , Qk regular zulassig sind, dann heißt diezugehorige Kette von Matrixfunktionen (3.7)-(3.11) regular zulassigbis Level k.

Wenn Q0, . . . , Qk regular zulassig sind, so sind nicht nur die NullraumeN0, . . . , Nk selbst sondern auch die Summen N0 ⊕ · · · ⊕ Ni fur i = 1, . . . , kstetig und haben konstanten Rang.

Es gelten fur regular zulassige Projektoren einige schone Eigenschaften, diewir fur eine strukturelle Zerlegung der DAE nutzen konnen.

Satz 3.5. Seien Q0, . . . , Qk regular zulassige Projektoren. Dann gelten diefolgenden Eigenschaften fur i = 1, . . . , k:

(1) N0 ⊕ · · · ⊕Ni = kerΠi

(2) N0 ⊕ · · · ⊕Ni−1 ⊆ kerΠi−1Qi = kerQi

(3) Πi, Πi−1Qi, DΠiD− und DΠi−1QiD

− sind Projektoren.

37

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(4) Bi = BiΠi−1

(5) Gi+1Qj = BjQj fur 0 ≤ j ≤ i,

(6) D(N0 ⊕ · · · ⊕Ni) = im DΠi−1Qi ⊕ im DΠi−2Qi−1 ⊕ · · · ⊕ im DP0Q1.

Beweis: (1) Um kerΠi ⊆ N0 + · · ·+Ni fur i = 1, . . . , k zu zeigen, betrachtenwir

0 = Πiz = P0 · · ·Piz = (I −Q0)(I −Q1)...(I −Qi)z.

Durch Ausmultiplizieren der rechten Seite erhalten wir

z =i∑

k=0

QkHkz ∈ N0 + · · ·+Ni

mit gewissen Matrizen Hk. Die Richtung N0 + · · · + Ni ⊆ kerΠi zeigenwir mit vollstandiger Induktion. Wir starten mit i = 0 und beobachten, dasskerΠ0 = kerP0 = N0. Nun setzen wir voraus, dass kerΠi−1 = N0+· · ·+Ni−1.Sei z ∈ N0⊕· · ·⊕Ni. Dann haben wir z = z1+z2 mit z1 ∈ z ∈ N0⊕· · ·⊕Ni−1und z2 ∈ Ni = im Qi. Da Qi regular zulassig, so haben wir unter Beachtungder Induktionsvoraussetzung z1 ∈ kerΠi−1 = N0 ⊕ · · · ⊕ Ni−1 ⊆ kerQi.Folglich

Πiz = Πi−1(I −Qi)z = Πi−1(I −Qi)z1 = Πi−1z1 = 0,

d.h. z ∈ kerΠi.(2) Es bleibt zu zeigen, dass kerΠi−1Qi = kerQi. Sei z ∈ kerΠi−1Qi. Dannergibt sich aus (1), dass

Qiz ∈ N0 ⊕ · · · ⊕Ni−1 ⊆ kerQi,

d.h. Qiz ∈ im Qi ∩ kerQi = {0}, also Qiz = 0.(3) Aus (1) wissen wir, dass im Qj = Nj ⊆ kerΠi fur j ≤ i. Daraus folgt

ΠiPj = Πi(I −Qj) = Πi.

Damit ergeben sich Π2i = Πi sowie ΠiΠi−1 = Πi und weiter

(Πi−1Qi)2 = Πi−1(I − Pi)Πi−1Qi

= Πi−1Qi −ΠiΠi−1Qi = Πi−1Qi −ΠiQi = Πi−1Qi.

38

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(3) Wir haben

(DΠiD−)2 = DΠiD

−D︸ ︷︷ ︸=P0

ΠiD− = DΠiD

und

(DΠi−1QiD−)2 = DΠi−1QiD

−D︸ ︷︷ ︸=P0

Πi−1QiD− = D(Πi−1Qi)

2D− = DΠi−1QiD−.

(4) Dies lasst sich leicht per Induktion zeigen. Es gelte Bi = BiΠi−1. Dannhaben wir

Bi+1 = BiPi −Gi+1...Πi

undBiPi = BiΠi−1Pi = BiΠi = BiΠiΠi = BiPiΠi,

also

Bi+1 = BiPiΠi −Gi+1...Πi = (BiPi −Gi+1...Πi)Πi = Bi+1Πi.

(5) Fur 0 ≤ j ≤ i haben wir wegen (4), dass

Gi+1 = Gi +BiQi = G0 +B0Q0 +B1Q1 + · · ·+BiQi

= G0 +B0Q0 +B1P0Q1 + · · ·+BiΠi−1Qi

und somit

Gi+1Qj = (G0 +B0Q0 + · · ·+BjΠj−1Qj)Qj = (Gj +BjQj)Qj = BjQj.

Es bleibt zu zeigen, dass Ni ∩ kerBi ⊆ Ni ∩Ni+1. Sei z ∈ Ni ∩ kerBi. Danngilt

Gi+1z = (Gi +BiQi)z = Biz = 0,

woraus die Behauptung folgt. (6) Aufgrund von kerΠi = N0 ⊕ · · · ⊕Ni gilt

N0 ⊕ · · · ⊕Ni = im (I −Πi) = im (Q0 + P0Q1 + · · ·+Πi−1Qi)

= im Q0 ⊕ im P0Q1 ⊕ · · · ⊕ im Πi−1Qi

und somit

D(N0 ⊕ · · · ⊕Ni) = im DP0Q1 ⊕ · · · ⊕ im DΠi−1Qi.

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Die Matrixfunktionen Gi hangen von der speziellen Wahl der Projektoren Qj

ab. Doch sind bestimmte Unterraume und Dimensionen unabhangig von derProjektorwahl.

Satz 3.6. Sei k ∈ N. Dann sind folgende Großen unabhangig von der Wahlregular zulassiger Projektoren Q0, . . . , Qk:

1. die Unterraume im Gj, N0 ⊕ · · · ⊕Nj fur j = 0, . . . , k + 1,

2. die Dimensionen rj := rankGj fur j = 1, . . . , k.

Der Satz folgt unmittelbar aus folgendem Lemma 3.7.

Lemma 3.7. Seien Q0, . . ., Qk und Q0, . . ., Qk zwei beliebige zulassigeProjektorketten fur das Matrixpaar {A,B} und Nj, Nj, Gj, Gj etc. die ent-sprechenden Unterraume und Matrizen. Dann gilt, dass

(1) fur j = 0, ..., k + 1, dass

Gj = GjZj, Bj = Bj +Gj

j−1∑l=0

QlYjlΠj−1 − GjD−(DΠjD

−)′DΠj

mit regularen Matrizen Z0, . . . , Zk+1, wobei Z0 = I,

Zi+1 := (I +Hi)Zi fur 0 ≤ i ≤ k

und H0 = Q0(Q0 −Q0),

Hi = Qi(Πi−1Qi −Πi−1Qi) +i−1∑l=0

QlYilΠi−1Qi fur 1 ≤ i ≤ k.

(2) N0 ⊕ · · · ⊕ Nj = N0 ⊕ · · · ⊕Nj fur j = 0, . . . , k + 1.

Der Beweis ist technisch sehr aufwandig, aber nicht schwierig. Man kann denSatz per Induktion uber k und i beweisen. Wir verzichten an dieser Stelleauf den Beweis.

Definition 3.8. Die DAE (3.4) mit proper formuliertem Haupttermheißt regular mit Index k, falls regular zulassige ProjektorfunktionenQ0, . . . , Qk−1 existieren, so dass Gk regular ist.

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Somit ist der Begriff des Traktabilitatsindex wohldefiniert. Zudem ist er in-variant gegenuber Skalierungen, Variablentransformationen sowie Refaktori-sierungen.

Die Invarianz gegenuber Skalierungen und Variablentransformationen lasstsich vollig analog zum Fall von DAEs mit konstanten Koeffizienten zeigen.

Beispiel 3.9. Wir betrachten nochmal die DAE

tx′1 − t2x′2 = x1

x′1 − tx′2 = x2.

Wir konnen diese als DAE mit proper formulierten Hauptterm wie folgtschreiben: (

t1

)[(1 −t

)x]′

+

(−1 t0 0

)x = 0.

Hierfur haben wir

A =

(t1

), D =

(1 −t

), B =

(−1 t0 0

).

Wahlen wir

D− =

(10

)mit P0 =

(1 −t0 0

),

so erhalten wir

G0 = AD =

(t t2

1 t

),

G1 = G0 +BQ0 =

(t t2

1 t

)+

(−1 t0 0

)(0 t0 1

)=

(t t2

1 t

)= G0.

Dies bedeutet, dass kerG1 = kerG0 und wir somit kein regular zulassigesQ1 auf kerG1 finden. Selbst wenn wir die Forderung nach regular zulassigenProjektoren fallen lassen wurden, wurden wir Gi = G0 und ri = r0 = 1 furalle i ≥ 0 bekommen, d.h. die DAE ist nicht regular. Dies entspricht auchunseren Erwartungen, da der Losungsraum nicht endlich-dimensional ist.

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Schauen wir uns nun nochmal das andere Beispiel mit singularem Matrixpaaraber einer eindeutigen Losung an:

x1 − tx2 = q1(t)

x′1 − tx′2 = q2(t)

Dies konnen wir wie folgt proper formulieren:(01

)[(1 −t

)x]′

+

(1 −t0 1

)x = 0.

Hierfur haben wir

A =

(01

), D =

(1 −t

), B =

(1 −t0 1

).

Wahlen wir

D− =

(10

)mit P0 =

(1 −t0 0

),

so erhalten wir

G0 = AD =

(0 01 −t

),

G1 = G0 +BQ0 =

(0 01 −t

)+

(1 −t0 1

)(0 t0 1

)=

(0 01 1− t

).

Wahlen wir

Q1 =

(1− t t(t− 1)−1 t

),

dann erhalten wir

B1 = BP0 −G1D−(DP1D

−)′D =

(1 −t0 1

)(1 −t0 0

)−(

0 01 1− t

)(10

)[(1 −t

)(t t(1− t)1 1− t

)(10

)]′ (1 −t

)=

(1 −t0 0

)−(

01

)[(1 −t

)(t1

)]′ (1 −t

)=

(1 −t0 0

)G2 = G1 +B1Q1 =

(0 01 1− t

)+

(1 −t0 0

)(1− t t(t− 1)−1 t

)=

(1 −t1 1− t

).

Da G2 regular ist, so ist die DAE regular vom Index 2.

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Bemerkung 3.10. Im Falle von DAEs vom Index k ≤ 2 kommt man nochohne die Ableitungen (DΠi+1D

−)′ aus. Dies ist sofort klar fur Index-1-DAEs,da man fur G1 nur G0 und B0 benotigt. Fur Index-2-DAEs gilt die Aussage,dass G2 aus Definition (3.8) genau dann regular ist, wenn die Matrix

G2 = G1 + B1Q1 mit B1 = B0P0

regular ist. Dies wird klar aus den Beziehungen

G2 = G2(I + P1D−(DΠ1D

−)′DQ1)

und (I + PMQ)−1 = I − PMQ fur beliebige Matrizen M und beliebigeProjektoren P , Q mit P + Q = I. Somit reicht es, die Regularitat von G2

nachzuprufen.

3.4 Entkopplung

Seien Q0, . . . , Qk regular zulassige Projektorfunktionen. Nun wollenwir die DAE entkoppeln, d.h. in Gleichungen bezuglich bestimmterLosungskomponenten aufsplitten, so dass man die inharente ODE sowie diealgebraischen bzw. abzuleitenden Teilgleichungen getrennt vorliegen hat.

Satz 3.11. DAEs (3.4) mit proper formuliertem Hauptterm und regularzulassigen Projektoren Q0, . . . , Qk kann man aquivalent umformen in dieForm

GkD−(DΠkx)′ +Bkx+Gk

k−1∑l=0

{Qlx− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′

+HlDΠlx} = q,

mit Hl = (I −Πl){PlD−(DΠlD−)′ −Ql+1D

−(DΠl+1D−)′}DΠlD

−.

Beweis: Wir beweisen den Satz durch Induktion. Fur k = 0 ist die Behaup-tung trivial. Wir setzen nun voraus, dass die Behauptung fur i ≤ k gilt. Dannist die DAE (3.4) aquivalent zu

GiD−(DΠix)′ +Bix+Gi

i−1∑l=0

{Qlx− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′

+HlDΠlx} = q. (3.14)

43

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fur i ≤ k.Unter Berucksichtigung von

Bix = BiPix+BiQix = BiPix+Gi+1Qix

sowie

GiD−(DΠix)′ = Gi+1Pi+1PiD

−(DΠix)′

= Gi+1{Πi+1PiD−(DΠix)′ + (I −Πi)Pi+1PiD

−(DΠix)′}= Gi+1{D−DΠi+1D

−(DΠix)′ + (I −Πi)Pi+1PiD−(DΠix)′}

= Gi+1D−(DΠi+1x)′ −Gi+1D

−(DΠi+1D−)′DΠix

+Gi+1(I −Πi)(Pi −Qi+1)D−(DΠix)′.

undGiQl = Gi+1Ql fur l = 0, . . . , i− 1

sehen wir, dass (3.14) aquivalent zu

Gi+1D−(DΠi+1x)′ + (BPi −Gi+1D

−(DΠi+1D−)′DΠi)x

+Gi+1Qix+Gi+1

i−1∑l=0

{Qlx+ (I −Πl)(Pl −Ql+1)D−(DΠlx)′}

+Gi+1(I −Πi)(Pi −Qi+1)D−(DΠix)′ = q

ist. Dabei haben wir noch ausgenutzt, dass

I −Πi = Q0Πi + · · ·+Qi−1Pi +Qi.

Somit ergibt sich

Gi+1D−(DPΠi+1x)′+Bi+1x+Gi+1

i∑l=0

{Qlx+(I−Πl)(Pl−Ql+1)D−(DΠlx)′} = q.

Nun schauen wir uns den Term

El := (I − Πl)(Pl −Ql+1)D−(DΠlx)′

genauer an. Wir erhalten

El = (I −Πl)(Pl −Ql+1)D−((DΠlD

−)′DΠlx+DΠlD−(DΠlx)′)

= (I −Πl)(Pl −Ql+1)D−(DΠlD

−)′DΠlx+ (I −Πl)(−Ql −Ql+1)ΠlD−(DΠlx)′

= (I −Πl)(Pl −Ql+1)D−(DΠlD

−)′DΠlx− (I −Πl)Ql+1D−DΠlQl+1D

−(DΠlx)′,

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Schließlich gilt

El = (I −Πl)(Pl −Ql+1)D−(DΠlD

−)′DΠlx

− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′ + (I −Πl)Ql+1D

−(DΠlQl+1D−)′DΠlx,

alsoEl = −(I −Πl)Ql+1D

−(DΠlQl+1x)′ +HlDΠlx

mit

Hl = (I −Πl)(Pl −Ql+1)D−(DΠlD

−)′DΠlD−

+ (I −Πl)Ql+1D−(DΠlD

− −DΠl+1D−)′DΠlD

= (I −Πl){PlD−(DΠlD−)′ −Ql+1D

−(DΠl+1D−)′}DΠlD

−.

Dies ergibt

Gk+1D−(DΠk+1x)′ +Bk+1x+Gk+1

k∑l=0

{Qlx− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′

+HlDΠlx} = q.

Bemerkung 3.12. Aus Theorem 3.5 (6) folgt, dass GkQj = BjQj und somit

Qj = G−1k BjΠj−1Qj, j = 1, . . . , k − 1. (3.15)

Nach Definition ist Πj−1Qj stetig fur regular zulassige Projektoren Qj. Auf-grund von (3.15) wissen wir, dass dann auch Qj stetig sind.

Jetzt wollen wir regulare DAEs vom Index k entkoppeln, umLosungseigenschaften ableiten zu konnen.

Fur DAEs vom Index k ist Gk regular und Qk = 0, Pk = I. Zudem habenwir Πk = Πk−1 und wir konnen Theorem 3.11 anwenden. Dann ist die DAE(3.4) aquivalent zu

GkD−(DΠk−1x)′ +Bkx

+Gk

k−∑l=0

{Qlx− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′ +HlDΠlx} = q.

(3.16)

45

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Nun skalieren wir (3.16) mit G−1k und erhalten

D−(DΠk−x)′ +G−1k Bkx

+k−∑l=0

{Qlx− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′ +HlDΠlx} = G−1k q.

(3.17)

Nach Definition gilt

Hl = (I −Πl){PlD−(DΠlD−)′ −Ql+1D

−(DΠl+1D−)′}DΠlD

−.

und daher DΠk−1Hl = 0, l = 0, . . . , k − 1.

Nun multiplizieren wir (3.17) zuerst mit DΠk−1 und erhalten

DΠk−1D−(DΠk−1x)′ +DΠk−1G

−1k Bkx = DΠk−1G

−1k .

Da der Projektor DΠk−1D− stetig differenzierbar ist und

Bk = BkΠk−1 = BkD−DΠk−1,

so bedeutet dies

(DΠk−1x)′−(DΠk−1D−)DΠk−1x+DΠk−1G

−1k BkD

−DΠk−1x = DΠk−1G−1k q.

(3.18)

Mit u := DΠk−1x heißt dies

u′ − (DΠk−1D−)′u+DΠk−1G

−1k BkD

−u = DΠk−1G−1k q. (3.19)

Diese Gleichung stellt die inharente explizite ODE der DAE (3.4) dar.

Nun multiplizieren wir (3.17) mit (I −Πk−1) und erhalten wegen

(I −Πk−1)D−(DΠk−1x)′ + (I −Πk−1)G

−1k Bkx

= (I −Πk−1)G−1k {GkD

−(DΠk−1x)′ +Bk−1Pk−1x−GkD−(DΠk−1D

−)DΠk−1x}= (I −Πk−1)G

−1k {Bk−1Pk−1x+GkD

−DΠk−1D−(DΠk−1x)′}

= (I −Πk−1)G−1k Bk−1Πk−1x,

46

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dass

(I −Πk−1)G−1k Bk−1Πk−1x+

k−1∑l=0

{Qlx− (I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′ +HlDΠlx} = (I −Πk−1)G

−1k q,

(3.20)

Berucksichtigen wir noch, dass fur l = 0, . . . , k − 1 die Relation

DΠl = DΠk−1 +DΠk−2Qk−1 + ...+DΠlQl+1

gilt, so konnen wir die Terme in (3.20) auch wie folgt schreiben:

KΠk−1x+k−1∑l=0

Qlx−k−2∑l=0

(I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′

+k−2∑l=0

Ml+1DΠlQl+1x = (I −Πk−1)G−1k q,

(3.21)

mit stetigen Koeffizienten

K := (I −Πk−1)G−1k Bk−1Πk−1 +

k−1∑l=0

HlDΠk−1 (3.22)

und

Ml+1 :=l∑

j=0

HjDΠlQl+1D−, l = 0, . . . , k − 2. (3.23)

Nun multiplizieren wir (3.21) mit Πi−1Qi und erhalten damit sukzessive dieKomponenten Πi−1Qix fur i = k − 1, ..., 0.

DaΠi−1QiQl = 0, Πi−1Qi(I −Πl) = 0 fur l < i,

so bekommen wir

Πi−1QiKΠk−1x+Πi−1Qi

k−1∑l=i

Qlx−k−2∑l=i

Πi−1Qi(I −Πl)Ql+1D−(DΠlQl+1x)′

+k−2∑l=i

Πi−1QiMl+1DΠlQl+1x = Πi−1Qi(I −Πk−1)G−1k q.

(3.24)

47

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Formen wir die einzelnen Terme geringfugig um, so erhalten wir fur i =k − 1, ..., 0, dass

Πi−1Qix = −Πi−1QiKD−(DΠkx)−k−1∑l=i+1

Πi−1QiQl(Πl−1Qlx)

−k−1∑l=i+1

Πi−1Qi(I −Πl−1)QlD−(DΠl−1Qlx)′

−k−1∑l=i+1

Πi−1QiMl(DΠl−1Qlx) +Πi−1Qi(I −Πk−1)G−1k q.

(3.25)

Bezeichnen wirvi := Πi−1Qix, i = 0, . . . , k − 1,

so ergibt sich die Losungsdarstellung

x = v0 + v1 + · · ·+ vk +D−u (3.26)

mit

vi =−Πi−1QiKD−u−k−1∑l=i+1

Πi−1QiQlvl −k−1∑l=i+1

Πi−1Qi(I −Πl−1)QlD−(Dvl)

−k−1∑l=i+1

Πi−1QiMl(Dvl) +Πi−1Qi(I −Πk−1)G−1k q.

(3.27)

Aus unserer bisherigen Herleitung folgt sofort folgender Satz.

Satz 3.13. Sei (3.4) eine regulare DAE vom Index k. Wenn x ∈ C1D(I,Rm)

eine Losung dieser DAE ist, dann ist u = DΠk−1x eine Losung der explizitenODE (3.19) und die Komponenten vi = Πi−1Qix fur i = 0, . . . , k − 1 stellendie eindeutige Losung von (3.27) dar.

Wir wollen nun zeigen, dass fur Losungen u von (3.19) mit u(t0) ∈im DΠk−1(t0) und vi von (3.27), die Funktion x aus (3.26) eine Losung von(3.4) ist.

Wir zeigen zunachst, dass u(t) ∈ im (DΠk−1)(t) fur alle t ∈ I, falls u(t0) ∈im (DΠk−1)(t0). Dazu multiplizieren wir (3.19) mit I−DΠk−1D

−. Dies ergibt

(I −DΠk−1D−)u′ − (I −DΠk−1D

−)(DΠk−1D−)′u = 0,

48

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Dies bedeutet fur w := (I −DΠk−1D−)u, dass

w′ +DΠk−1D−(DΠk−1D

−)′w = 0, w(t0) = 0,

also w(t) = 0 fur alle t ∈ I, d.h. u(t) = (DΠk−1)(t)u(t) fur alle t ∈ I. DurchMultiplikation von (3.27) mit Πi−1Qi erhalt man noch vi = Πi−1Qivi ∈im Πi−1Qi und damit schließlich

DΠk−1x = u, Πi−1Qix = vi,

woraus die Behauptung folgt. Es ergibt sich nun folgender Satz.

Satz 3.14. Sei (3.4) eine regulare DAE vom Index k. Die Funktion x ∈C1D(I,Rm) ist genau dann eine Losung der DAE (3.4), wenn u eine Losung

der expliziten ODE (3.19) mit u(t0) ∈ im (DΠk−1)(t0) ist und die Kompo-nenten vi fur i = 0, . . . , k − 1 die Losung von (3.27) sind. Dabei gelten dieZusammenhange

u = DΠk−1x, vi = Πi−1Qix, x = D−u+k−1∑i=0

vi.

3.5 Numerische Verfahren fur lineare DAEs mitzeitabhangigen Koeffizienten

Als Prototypen linearer Mehrschrittverfahren und von Ein-Schritt-Verfahren,betrachten wir die BDF und Runge-Kutta-Verfahren.

3.5.1 BDF

Kanonischer Weise lautet die BDF fur DAEs der Form

A(t)(Dx)′(t) +B(t)x(t) = q(t)

wie folgt

An(1

hn

k∑i=0

αniDn−ixn−i) +Bnxn = qn, (3.28)

wobei An = A(tn), Dn−i = D(tn−i), Bn = B(tn) und qn = q(tn). Hierbei wirdder Ableitungsterm (Dx)′ durch den entsprechenden Differenzenquotientenapproximiert. Die numerische Losung xn ist eine Approximation von x(tn).

49

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3.5.2 Runge-Kutta-Verfahren

Zu Runge-Kutta-Verfahren fur gewohnliche Differentialgleichungen gehortein Butcher-Tableau der Form

c AbT

Hier ist die Anwendung fur DAEs der Form

A(t)(Dx)′(t) +B(t)x(t) = q(t)

nicht so offensichtlich. Wir schauen uns dazu zunachst Runge-Kutta-Verfahren fur ODEs der Form

x′ = −B(t)x+ q(t)

kennen wir Runge-Kutta-Verfahren in der Form

Yni = −B(tni)(xn−1 + hn

s∑j=1

aijYnj) + q(tni), i = 1, ..., s

xn = xn−1 + hn

s∑i=1

biYni

Dabei stehen Yni fur Approximationen von x′(tni) mit tni = tn−1 + cih. ImFalle von DAEs sind nicht mehr alle Ableitungswerte durch eine Funktion fbeschrieben. Deshalb fuhren wir

Xni := xn−1 + hn

s∑j=1

aijYnj.

Dann erhalten wir das Verfahren

Xni = xn−1 + hn

s∑j=1

aijYnj

Yni = −BniXni + qni, i = 1, ..., s

xn = xn−1 + hn

s∑i=1

biYni

50

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Falls A regular ist und A−1 =: (αij)sij=1, dann gilt

Yni =1

hn

s∑j=1

αij(Xnj − xn−1)

und wir konnen das Verfahren auch fur DAEs formulieren:

Ani[DX]′ni +BniXni = qni, i = 1, . . . , s, (3.29)

mit Ani = A(tni), Bni = B(tni) und qni = q(tni), tni = tn−1 + cihn und

[DX]′ni :=1

h

s∑j=1

αij([DX]nj −Dn−1xn−1), i = 1, . . . , s.

sowie

xn = xn−1 +s∑i=1

bi

s∑j=1

αij(Xnj − xn−1).

Wir wollen noch voraussetzen, dass asi = bi und cs = 1. Dann gilt

s∑i=1

biαij =s∑i=1

asiαij = δsj, j = 1, ..., s

und somit xn = xn−1 +∑s

j=1 δsj(Xnj − xn−1)) = Xns. Unsere letzte Stufen-approximation Xns ist also bereits die Losung des Verfahrens.

3.6 Wann kommutieren Entkopplung und Diskretisie-rung?

Wir haben mit Hilfe der Entkopplung gesehen, dass lineare DAEs vom Indexk einerseits aus einer gewohnlichen DGL in der Komponente u = DΠkx undandererseits aus algebraischen Gleichungen bzw. Ableitungen davon in denKomponenten vi = Πi−1Qix fur i = 0, ..., k bestehen. Wir wollen nun dieFrage untersuchen, ob durch Anwenden eines numerischen Verfahrens (BDFoder Runge-Kutta) auf die DAE auch die inharente gewohnliche DGL durchdasselbe numerische Verfahren gelost wird.

Um dieser Frage ohne großeren Aufwand nachgehen zu konnen, fassen wirunsere numerischen Verfahren in einer Schreibweise wie folgt zusammen:

An[Dx]′n +Bnxn = qn, (3.30)

51

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mit

xn :=

x(t) fur DAE,

xn fur BDF,

Xni fur RK mit i = 1, . . . , s,

tn :=

t fur DAE,

tn fur BDF,

tni fur RK mit i = 1, . . . , s,

An = A(tn), Bn = B(tn), qn = q(tn) + δn, wobei

δn :=

0 fur DAE,

δn fur BDF,

δni fur RK mit i = 1, . . . , s,

die Fehler sind, die bei Losung des Gleichungssystems zur Bestimmung vonxn entstehen, sowie

[Dx]′n :=

(Dx)′(t) fur DAE,

1hn

∑ki=0 αniD(tn−i)xn−i fur BDF,

1hn

∑sj=1 αij(D(tnj)Xnj −D(tn−1)xn−1) fur RK mit i = 1, . . . , s.

Nun wollen wir untersuchen, wann das Diagramm in Abb. 3.7 kommutiert.

Wir beschranken uns bei den folgenden Untersuchungen auf den Fall, dassdie lineare DAE den Index 1 besitzt.

Wir betrachten nun die Entkopplung der Gleichung (3.30). Durch Multiplika-tion mit G−11n sowie Multiplikation von Dn bzw. Q0n ergibt sich das folgendezu (3.30) aquivalente System

Rn[Dx]′n +DnG−11nBnD

−nDnxn = DnG

−11n qn (3.31)

Q0nxn +Q0nG−11nBnD

−nDnxn = Q0nG

−11n qn (3.32)

Hierbei bedeutet der Index n der jeweils auftretenden Matrizen stets Mn :=M(tn). Wie bereits oben im Diagramm eingefuhrt sei

un := D(tn)xn, [u]′n := [Dx]′n sowie v0n := Q0nxn.

52

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A(t)(Dx)′(t) +B(t)x(t) = q(t)Entkopplung //

numerisches Verfahren��

u′(t) = C(t)u+ p(t)

numerisches Verfahren��

An[Dx]′n +Bnxn = qnEntkopplung // [u]′n = Cnun + pn

Abbildung 3.7: Frage: Wann kommutiert das Diagramm? Die angegebeneDGL in u stellt die inharente explizite DGL (3.19) dar, d.h.

C(t) = (DΠκD−)′(t)− (DΠκG

−1κ+1Bκ+1D

−)(t), p(t) = (DΠκG−1κ+1q)(t),

wobei κ der Index der DAE ist. Entsprechend gilt fur die diskreten TermeCn := C(tn), pn := p(tn). Zudem sei dabei

un := D(tn)xn, [u]′n := [Dx]′n.

Damit ist (3.31)-(3.32) aquivalent zu

Rn[u]′n +DnG−11nBnD

−n un = DnG

−11n qn (3.33)

v0n +Q0nG−11nBnD

−n un = Q0nG

−11n qn. (3.34)

Schauen wir uns nun den Term Rn[u]′n genauer an. Es gilt

Rn[u]′n =

R(t)(Dx)′(t) fur DAE,

Rn1hn

∑ki=0 αniDn−ixn−i fur BDF,

Rni1hn

∑sj=1 αij(DnjXnj −Dn−1xn−1) fur RK mit i = 1, . . . , s

und somit

Rn[u]′n =

(Dx)′(t)−R′(t)(Dx)(t) fur DAE,

1hn

∑ki=0 αniDn−ixn−i

− 1hn

∑mi=0 αni(Rn−i −Rn)Dn−ixn−i fur BDF,

1hn

∑sj=1 αij(DnjXnj −Dn−1xn−1)

− 1hn

∑sj=1 αij(Rnj −Rni)DnjXnj

+ 1hn

∑sj=1 αij(Rn−1 −Rni)Dn−1xn−1 fur RK mit i = 1, . . . , s.

53

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Mit den Bezeichnungen

un := Dnxn, Unj := DnjXnj

erhalten wir

Rn[u]′n =

u′(t)−R′(t)u(t) fur DAE,

1hn

∑ki=0 αniun−i

− 1hn

∑ki=0 αni(Rn−i −Rn)un−i fur BDF,

1hn

∑sj=1 αij(Unj − un−1)

− 1hn

∑sj=1 αij(Rnj −Rni)Unj

+ 1hn

∑sj=1 αij(Rn−1 −Rni)un−1 fur RK mit i = 1, . . . , s.

Das Diagramm in Abbildung 3.7 kommutiert also fur die BDF genau dann,wenn

R′(tn)un =1

hn

∑k

i=0αni(Rn−i −Rn)un−i

und fur die Runge-Kutta-Verfahren genau dann, wenn

R′(tni)(Uni−un−1) =1

hn

s∑j=1

αij(Rnj−Rni)Unj−1

hn

s∑j=1

αij(Rn−1−Rni)un−1.

Dies ist i.a. leider nicht erfullt. Jedoch gibt es eine einfache hinreichendeBedingung dafur. Dazu betrachten wir folgendes Lemma.

Lemma 3.15. Sei im D(t) unabhangig von t. Dann gilt

(i) R′(t)R(t) = 0 fur alle t ∈ I

(ii) (R(ti)−R(tj))R(tk) = 0 fur beliebige ti, tj, tk ∈ I.

Beweis: Da im D(t) unabhangig von t ist, so existiert ein konstanter Pro-jektor Rc auf im D(t).(i) Es gilt fur alle t ∈ I, dass

R′(t)R(t) = R′(t)RcR(t) = (RRc)′(t) = R′c(t) = 0.

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(ii) Fur beliebige ti, tj, tk ∈ I haben wir

(R(ti)−R(tj))R(tk) = (R(ti)−R(tj))RcR(tk)

= (R(ti)Rc −R(tj)Rc)R(tk) = (Rc −Rc)R(tk) = 0.

�Sei nun im D(t) unabhangig von t. Berucksichtigen wir, dass

u(t) ∈ im D(t) = im R(t)

sowieun−i ∈ im Dn−i = im Rn−i

undUnj ∈ im Dnj = im Rnj,

so ergibt sich aus Lemma 3.15, dass

R′(t)u(t) = 0,1

hn

∑k

i=0αni(Rn−i −Rn)un−i = 0

sowie

1

hn

s∑j=1

αij(Rnj −Rni)Unj = 0,1

hn

s∑j=1

αij(Rn−1 −Rni)un−1 = 0.

Daher haben wir

Rn[u]′n =

u′(t) fur DAE,

1hn

∑ki=0 αniun−i fur BDF,

1hn

∑sj=1 αij(Unj − un−1) fur RK mit i = 1, . . . , s,

,

d.h.Rn[u]′n = [u]′n, (3.35)

woraus mit (3.33) folgender Satz folgt.

Satz 3.16. Sei eine lineare DAE mit proper formuliertem Hauptterm vomIndex 1 gegeben. Sei weiter im D(t) unabhangig von t. Dann kommutiertdas Diagramm in Abb. 3.7 fur die BDF-Verfahren sowie die Runge-Kutta-Verfahren mit asj = bj und cs = 1 sowie regularer Runge-Kutta-Matrix (aij).

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Somit lassen sich unter Berucksichtigung von (3.33)-(3.34) alle Konvergenz-aussagen fur gewohnliche Differentialgleichungen auch auf Index-1-DAEs mitim D(t) konstant ubertragen.

Satz 3.17. Sei eine lineare DAE mit proper formuliertem Hauptterm vomIndex 1 gegeben. Sei weiter im D(t) unabhangig von t. Seien zudem die Funk-tionen A(t), B(t), D(t) und q(t) stetig von t abhangig. Dann konvergiert dasm-schrittige BDF-Verfahren mit der Ordnung m. Zudem konvergieren dieRunge-Kutta-Verfahren mit asj = bj und cs = 1 sowie regularer Runge-Kutta-Matrix (aij) mit der gleichen Ordnung wie fur gewohnliche Differenti-algleichungen.

Beweis: Aufgrund von (3.33)-(3.34) und (3.35) haben wir

[u]′n +DnG−11nBnD

−n un = DnG

−11n qn (3.36)

v0n +Q0nG−11nBnD

−n un = Q0nG

−11n qn. (3.37)

Die Konvergenz fur die u-Komponente folgt unmittelbar aus (3.36). DieKonvergenz fur die v0-Komponente ergibt sich dann aus (3.37) unterBerucksichtigung der Stetigkeit der Matrixfunktionen und der Endlichkeitdes Zeitintervalls:

maxn≥1‖v0(tn)− v0n‖ ≤ c(max

n≥1‖δn‖+ max

n≥1‖u(tn)− un‖)

fur die BDF-Verfahren und

maxn≥1‖v0(tni)− V0,ni‖ ≤ c(max

n≥1‖δni‖+ max

n≥1‖u(tni)− uni‖)

fur alle i = 1, . . . , s fur die Runge-Kutta-Verfahren. Da tns = tn, so erhal-ten wir fur die RK-Losung xn = Xns bzw. v0n = V0,ns und un = Uns dieAbschatzung

maxn≥1‖v0(tn)− v0n‖ ≤ c(max

n≥1‖δns‖+ max

n≥1‖u(tn)− un‖).

Da xn = D−n un + v0n und D− stetig, so ergibt sich

maxn≥1‖x(tn)− xn‖ ≤ c(max

n≥1‖δn‖+ max

n≥1‖u(tn)− un‖)

fur die BDF-Verfahren und

maxn≥1‖x(tn)− xn‖ ≤ c(max

n≥1‖δns‖+ max

n≥1‖u(tn)− un‖).

fur die Runge-Kutta-Verfahren. �

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4 Nichtlineare Differential-algebraische Glei-

chungen

Wir betrachten nun nichtlineare Gleichungen der Form

f(d

dtd(x(t), t), x(t), t) = 0. (4.1)

wobei f(y, x, t) ∈ Rm, d(x, t) ∈ Rk, fur y ∈ Rk, x ∈ D und x ∈ I. Sei dabeiD ⊆ Rm offen und I ⊆ R ein Intervall. Die Funktionen f und d seien stetigdifferenzierbar.

Definition 4.1. Die Gleichung (4.1) heißt DAE mit proper formuliertemAbleitungsterm auf Rk × D × I, falls ker fy und im dx C1-Unterraume sindund die Transversalitatsbedingung

ker fy(y, x, t)⊕ im dx(x, t) = Rk, ∀ y ∈ Rk, x ∈ D, t ∈ I (4.2)

gilt.

Schauen wir uns als Beispiel semi-explizite Systeme an:

x′1(t) = g1(x1(t), x2(t), t),

0 = g2(x1(t), x2(t), t),

Diese lassen sich als DAE f((d(x(t), t))′, x(t), t) = 0 mit proper formuliertemAbleitungsterm schreiben, wobei

f(y, x, t) =

[y − g1(x1, x2, t)− g2(x1, x2, t)

]and d(x, t) = x1

mit ker fy(y, x, t) = {0}, im dx(x, t) = Rk und k = dim x1. Hier haben wirdie Ableitung nur fur x1 durch d(x, t) reprasentiert. Die y-Variable entsprichtx′1 und enthalt keine unnotigen Ableitungsterme x′2.

Da C1-Unterraume stets konstante Dimesion besitzen, so haben fur DAEsmit proper formuliertem Ableitungsterm die Matrizen fy(y, x, t) und dx(x, t)stets konstanten Rang auf Rk ×D × I. Sei

r := rank dx(x, t). (4.3)

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Aufgrund der Transversalitatsbedingung (4.2) hat fy(y, x, t) auch den kon-stanten Rang r.

Bevor wir das Traktabilitatsindex-Konzept auf nichtlineare DAEsubertragen, fuhren wir folgende bequeme Notationen ein. Wir startenmit

D(x, t) := dx(x, t), (4.4)

A(x1, x, t) := fy(D(x, t)x1 + dt(x, t), x, t), (4.5)

B(x1, x, t) := fx(D(x, t)x1 + dt(x, t), x, t), (4.6)

fur x1 ∈ Rm, x ∈ D, t ∈ I. Dann sind D, A und B stetige Matrixfunktionen.

Lemma 4.2. Sei (4.1) eine DAE mit proper formuliertem Ableitungsterm.Sei ker fy(y, x, t) unabhangig von y. Sei R(x, t) ∈ L(Rk,Rk) der Projektor,fur den

im R(x, t) = im dx(x, t), kerR(x, t) = ker fy(y, x, t) fur (x, t) ∈ D × I

gultig ist.

(i) Dann gelten die Identitaten

f(y, x, t) ≡ f(R(x, t)y, x, t)

undfy(y, x, t) ≡ fy(R(x, t)y, x, t) ≡ fy(y, x, t)R(x, t).

fur alle (y, x, t) ∈ Rk ×D × I.

(ii) R ist stetig differenzierbar.

Beweis: Fur (x, t) ∈ D × I, y ∈ Rk, z := (I −R(x, t))y haben wir, dass

f(y, x, t)− f(R(x, t)y, x, t) =

∫ 1

0

fy(sy + (1− s)R(x, t)y, x, t)z ds = 0,

da z ∈ im (I − R(x, t)) = ker fy(sy + (1 − s)R(x, t)y, x, t) unabhangig vons ist. Somit sind die beiden Identitaten von (i) bewiesen. Die Funktion Rist stetig differenzierbar als eine auf C1-Unterraumen definierte Projektor-Funktion (vgl. dazu die Darstellung von R fur den Fall linearer DAEs mitvariablen Koeffizienten). �

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Sei die nichtlineare DAE (4.1) eine DAE mit proper formuliertem Ableitungs-term und ker fy(y, x, t) unabhangig von y. Wir beginnen mit den Matrix-Funktionen A, D, B von (4.4)-(4.6)

A(x1, x, t) ∈ L(Rk,Rm), D(x, t) ∈ L(Rm,Rk), B(x1, x, t) ∈ L(Rm,Rm)

mit x1 ∈ Rm, x ∈ D, t ∈ I. Nach Voraussetzung sind A, D, B stetig. Zudemist R stetig differenzierbar. Sei Q0(x, t) ∈ L(Rm) ein Projektor auf kerD(x, t)und P0(x, t) := I−Q0(x, t). Da D(x, t) konstanten Rang r besitzt, so hat seinNullraum konstante Dimension k − r. Daher konnen wir Q0, P0 so wahlen,dass sie auch stetig sind.

Sei D(x, t)− ∈ L(Rk,Rm) die verallgemeinerte Inverse von D(x, t), fur diegilt:

D(x, t)D(x, t)−D(x, t) = D(x, t),D(x, t)−D(x, t)D(x, t)− = D(x, t)−,

D(x, t)D(x, t)− = R(x, t),D(x, t)−D(x, t) = P0(x, t),

(4.7)

wobei (x, t) ∈ D × I. Die Matrix-Funktion D(x, t)− ist eindeutig bestimmtund stetig. Seien weiter

G0(x1, x, t) := A(x1, x, t)D(x1, x, t), B0(x

1, x, t) := B(x1, x, t) (4.8)

undG1(x

1, x, t) := G0(x1, x, t) +B0(x

1, x, t)Q0(x, t) (4.9)

fur (x1, x, t) ∈ Rm ×D × I.

Definition 4.3. Die DAE (4.1) heißt regular mit Traktabilitatsindex 1, fallsG0(x

1, x, t) singular und G1(x1, x, t) regular fur alle (x1, x, t) ∈ Rm ×D× I.

4.1 Entkopplung und Losbarkeit fur Index-1-DAEs

Wir prasentieren hier einen lokalen Entkopplungmechanismus fur regulareIndex-1-DAEs der Form

f((D(t)x(t))′, x(t), t) = 0, (4.10)

der es uns ermoglicht, Losbarkeits- und Konvergenzaussagen fur nichtlineareDAEs zu erhalten. Dazu splitten wir einen beliebigen Vektor x ∈ D wie folgtauf:

x = P0(t)x+Q0(t)x = D(t)−D(t)x+Q0(t)x.

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Aufgrund von Lemma 4.2 konnen wir die nichtlineare DAE (4.10) schreibenals

f(R(t)(D(t)x(t))′, D(t)−D(t)x(t) +Q0(t)x(t), t) = 0. (4.11)

Sei x∗ ∈ CD(I,Rm) := {x ∈ C(I,Rm) : (Dx)(·) ∈ C1(I,Rm)} eine Losungvon (4.11). Wir fuhren die Funktionen u∗(t) := D(t)x∗(t) und

w∗(t) := D(t)−(D(t)x∗(t))′ +Q0(t)x∗(t) fur alle t ∈ I

ein. Damit haben wir x∗(t) = D(t)−u∗(t) +Q0(t)w∗(t) und

D(t)w∗(t) = R(t)(D(t)x∗(t))′, Q0(t)w∗(t) = Q0(t)x∗(t) fur alle t ∈ I

und somit gilt wegen (4.11), dass

f((D(t)w∗(t), D(t)−u∗(t) +Q0(t)w∗(t), t) = 0 fur alle t ∈ I. (4.12)

Satz 4.4. Jede Losung x∗ ∈ C1D(I,Rm) einer regularen Index-1-DAE (4.10)besitzt die Darstellung

x∗(t) = D(t)−u∗(t) +Q0(t)ω(u∗(t), t), (4.13)

mit einer stetig differenzierbaren Funktion u∗(·), die die inharente ODE

u′(t) = R′(t)u(t) +D(t)ω(u(t), t) (4.14)

erfullt, wobei ω eine stetige Funktion ist, die von einer Umgebung Dω von(u0, t0) nach Rm mit u0 := (Dx∗)(t0) abbildet und implizit durch

f(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t) = 0 ∀ (u, t) ∈ Dω.

gegeben ist. Die Funktion ω besitzt die stetige partielle Ableitung

ωu(u, t) = −(G−11 fx)(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t

)D(t)−

fur alle (u, t) ∈ Dω, wobei

G1(y, x, t) := fy(y, x, t)D(t) + fx(y, x, t)Q0(t).

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Page 61: Numerik Di erential-Algebraischer Gleichungennumteam1/material/script_NumerikDAE... · Hierbei bezeichnet ider Vektor aller Zweigstr ome und uder Vektor aller Zweigspannungen. Die

Bemerkung. Die Matrix G1(y, x, t) ist fur alle y ∈ Rk, x ∈ D, t ∈ I regulargenau dann, wenn die Matrix

G1(x1, x, t) = fy(D(t)x1 +D′(t)x, x, t)D(t) + fx(D(t)x1 +D′(t)x, x, t)Q0(t)

fur alle x1 ∈ Rm, x ∈ D, t ∈ I regular ist, d.h. genau dann, wenn die DAE(4.10) den Index 1 besitzt.

(⇒) Seien x1 ∈ Rm, x ∈ D und t ∈ I. Dann ist y := D(t)x1 + D′(t)x ∈ Rk

und somit ist G1(x1, x, t) = G1(y, x, t) regular.

(⇐) Seien y ∈ Rk, x ∈ D und t ∈ I. Aufgrund von Lemma 4.2 wissen wir,dass

fy(y, x, t) = fy(R(t)y, x, t) und fx(y, x, t) = fx(R(t)y, x, t)

Da im D(t) = im R(t), so existiert ein x1 ∈ Rm, so dass

D(t)x1 = R(t)(y −D′(t)x).

Somit erhalten wir

fy(y, x, t) = fy(D(t)x1 +R(t)D′(t)x, x, t),

fx(y, x, t) = fx(D(t)x1 +R(t)D′(t)x, x, t).

Unter Beachtung von D(t) = R(t)D(t) und erneutem Anwenden von Lemma4.2 ergibt sich

fy(y, x, t) = fy(D(t)x1 +D′(t)x, x, t),

fx(y, x, t) = fx(D(t)x1 +D′(t)x, x, t),

d.h. G1(y, x, t) = G1(x1, x, t) ist regular.

Beweis des Satzes 4.4: Sei x∗ ∈ C1D(I,Rm) eine Losung von (4.10). Wirbetrachten die Funktion

F : DF → Rm

(w, u, t) 7→ f(D(t)w,D(t)−u+Q0(t)w, t),

wobei DF eine offene Teilmenge von

{(w, u, t) ∈ Rm × Rk × R : D(t)−u+Q0(t)w ∈ D, t ∈ I}

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ist. Dann gilt fur

w0 := D(t0)−(Dx∗)

′(t0) + (Q0x∗)(t0), u0 := (Dx∗)(t0),

dass

F(w0, u0, t0) = f(R(t0)(Dx∗)′(t0), x∗(t0), t0) = f((Dx∗)

′(t0), x∗(t0), t0) = 0

und

Fw(w0, u0, t0) = fy(y0, x∗(t0), t0)D(t0) + fx(y0, x∗(t0), t0)Q0(t0)

= G1(y0, x∗(t0), t0)

ist regular, wobei y0 := (Dx∗)′(t0). Dann existiert nach dem Satz uber impli-

zite Funktionen eine UmgebungDω von (u0, t0) und eine eindeutig bestimmte,stetig differenzierbare Funktion ω : Dω → Rm, so dass

F(ω(u, t), u, t) = 0 ∀(u, t) ∈ Dω

mit

ωu(u, t) = (Fw(ω(u, t), u, t))−1Fu(ω(u, t), u, t) ∀(u, t) ∈ Dω.

Dies bedeutet, dass fur alle (u, t) ∈ Dω gilt:

f(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t) = 0 (4.15)

und

ωu(u, t) = −[fy(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t)D(t)

fx(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t)Q0(t)]−1·

fx(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t)D(t)−

= −(G−11 fx)(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t)D(t)−.

Sei

u∗(t) := D(t)x∗(t), w∗(t) := D(t)−u′∗(t) +Q0(t)x∗(t)

fur alle t ∈ Dt := {s ∈ R : ((Dx∗)(s), s) ∈ Dω}. Dann gilt

f(D(t)w∗(t), D(t)−u∗(t) +Q0(t)w∗(t), t)

= f(R(t)(Dx∗)′(t), x∗(t), t) = 0 ∀t ∈ Dt.

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Wegen (4.15) und der Eindeutigkeit von ω erhalten wir, dass

ω(u∗(t), t) = w∗(t) = D(t)−u′∗(t) +Q0(t)x∗(t) ∀t ∈ Dt. (4.16)

Daraus folgt, dass

D(t)ω(u∗(t), t) = R(t)u′∗(t) = (Ru∗)′(t)−R′(t)u∗(t) = u′∗(t)−R′(t)u∗(t)

da (Ru∗)(t) = (RDx∗)(t) = (Dx∗)(t) = u∗(t). Somit erfullt u∗ die inharenteODE

u′(t) = R′(t)u(t) +D(t)ω(u(t), t).

Zudem konnen wir aus (4.16) ableiten, dass

Q0(t)ω(u∗(t), t) = Q0(t)x∗(t).

Nach Definition von u∗ wissen wir, dass

D(t)−u∗(t) = P0(t)x∗(t)

und somit erhalten wir die Losungsdarstellung

x∗(t) = P0(t)x∗(t) +Q0(t)x∗(t) = D(t)−u∗(t) +Q0(t)ω(u∗(t), t).

Die Losungsdarstellung (4.18) zeigt die innere Struktur einer Index-1-DAE(4.10). Die inharente ODE (4.14) beschreibt den Fluss und somit den dy-namischen Teil der DAE. Dieser betrifft die Komponente u∗(·) = (Dx∗)(·).Hingegen ist die Komponente Q0(t)x∗(t) bestimmt durch die implizit gege-bene Funktion ω durch

Q0(t)x∗(t) = Q0(t)ω(u∗(t), t),

was eine algebraische Nebenbedingung ist.

Satz 4.5. (Losbarkeit)Sei die DAE (4.10) regular vom Index 1 und

x0 ∈M0(t0) := {x ∈ D : ∃ y ∈ Rm : f(y, x, t0) = 0}.

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(1) Es existiert lokal um (x0, t0) eine eindeutig bestimmte Losung x∗ ∈C1D(I,Rm) der DAE (4.10) mit x∗(t0) = x0.

(2) Sei I ein abgeschlossenes Intervall, t0 ∈ I. Falls x∗ ∈ C1D(I,Rm) eineLosung der DAE (4.10) ist, dann besitzen alle gestorten DAEs

f((Dxδ)′(t), xδ(t), t) = δ(t), δ ∈ C(I,Rm)

mit D(t0)xδ(t0) = D(t0)x

δ0 eine eindeutig bestimmte Losung xδ ∈

C1D(I,Rm), falls ‖D(t0)(xδ0 − x∗(t0))‖ und die Storungen ‖δ‖∞ hinrei-

chend klein sind.

Daruberhinaus existiert eine Konstante C > 0, so dass

maxt∈I‖xδ(t)− x∗(t)‖ ≤ C( ‖D(t0)x(t0)−D(t0)x∗(t0)‖+ max

t∈I‖δ(t)‖).

Bemerkung 4.6. Der Satz zeigt, dass die Menge der konsistenten Anfangs-werte einer regularen Index-1-DAE durch

M0(t0) = {x ∈ Df : ∃y ∈ Rk : f(y, x, t0) = 0}

gegeben ist.

Beweis: (1) Sei x0 ∈ M0(t0). Dann existiert ein y0 ∈ Rk : f(y0, x0, t0) = 0.Sei

w0 := D(t0)−y0 +Q0(t0)x0, u0 := D(t0)x0.

Dann gilt fur die im Beweis von Satz (4.4) definierte Funktion F , dass

F(w0, u0, t0) = f(R(t0)y0, x0, t0) = f(y0, x0, t0) = 0

und

Fw(w0, u0, t0) = fy(y0, x0, t0)D(t0) + fx(y0, x0, t0)Q0(t0)

= G1(y0, x0, t0)

ist regular. Wie bereits im Beweis von Satz (4.4) gezeigt, existiert eine Um-gebung Dω von (u0, t0) und eine eindeutig bestimmte, stetig differenzierbareFunktion ω : Dω → Rm, so dass fur alle (u, t) ∈ Dω gilt:

f(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t) = 0

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Page 65: Numerik Di erential-Algebraischer Gleichungennumteam1/material/script_NumerikDAE... · Hierbei bezeichnet ider Vektor aller Zweigstr ome und uder Vektor aller Zweigspannungen. Die

und

ωu(u, t) = −(G−11 fx)(D(t)ω(u, t), D(t)−u+Q0(t)ω(u, t), t)D(t)−.

Da R′ und D stetig sowie ω stetig differenzierbar ist, so ist die rechte Seiteder ODE

u′(t) = R′(t)u(t) +D(t)ω(u(t), t) (4.17)

in der Umgebung Dω =: Duω × Iω von (u0, t0) bezuglich u Lipschitz-stetig(notigenfalls nach Verkleinerung der Umgebung Dω). Nach dem Satz vonPicard-Lindelof existiert lokal um (u0, t0) genau eine Losung von (4.17) mitu(t0) = u0. Sei Iω bereits so klein gewahlt, dass die Losung von (4.17) mitu(t0) = u0 auf ganz Iω existiert. Fur diese Losung gilt u(t) = R(t)u(t) furalle t ∈ Iω, denn

[(I −R)u]′(t) = −R′(t)u(t) + (I −R(t))u′(t)

= −R′(t)u(t) + (I −R(t))(R′(t)u(t) +D(t)ω(u(t), t))

= −R′(t)u(t) + (I −R(t))R′(t)u(t)

= −R(t)R′(t)u(t) = −R(t)R′(t)[(I −R)u](t),

wenn man berucksichtigt, dass RR′R = 0 fur jeden Projektor R. Da u0 ∈im D(t0), so gilt [(I−R)u](t0) = und die homogene Differentialgleichung hatnur die triviale Losung [(I −R)u](t) = 0 fur alle t ∈ Iω.

Sei nun

x(t) := D(t)−u(t) +Q0(t)ω(u(t), t).

Dann gelten x(t0) = D(t0)−u0 +Q0(t0)ω(u0, t0) = x0 sowie

D(t)x(t) = R(t)u(t) = u(t) und Q0(t)x(t) = Q0(t)ω(u(t), t) ∀t ∈ Iω

und somit unter Beachtung von Lemma 4.2, dass

f((Dx)′(t), x(t), t)

= f(u′(t), D(t)−u(t) +Q0(t)ω(u(t), t), t)

= f(R′(t)u(t) +D(t)ω(u(t), t), D(t)−u(t) +Q0(t)ω(u(t), t), t)

= f(R(t)R′(t)R(t)u(t) +D(t)ω(u(t), t), D(t)−u(t) +Q0(t)ω(u(t), t), t)

= f(D(t)ω(u(t), t), D(t)−u(t) +Q0(t)ω(u(t), t), t) = 0,

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Page 66: Numerik Di erential-Algebraischer Gleichungennumteam1/material/script_NumerikDAE... · Hierbei bezeichnet ider Vektor aller Zweigstr ome und uder Vektor aller Zweigspannungen. Die

d.h. x ist eine Losung der DAE 4.17 lokal um (x0, t0).

Es bleibt fur (1) die Eindeutigkeit der Losung zu zeigen. Dazu nehmen wir an,dass zwei lokale Losungen x1∗ und x2∗ der DAE 4.17 mit x1∗(t0) = x0 = x2∗(t0)existieren. Dann sagt uns der Satz 4.4, dass beide Losungen lokal um (x0, t0)die Gleichungen

x1∗(t) = D(t)−u1∗(t) +Q0(t)ω(u1∗(t), t) (4.18)

x2∗(t) = D(t)−u2∗(t) +Q0(t)ω(u2∗(t), t) (4.19)

und

(u1∗)′(t) = R′(t)u1∗(t) +D(t)ω(u1∗(t), t)

(u2∗)′(t) = R′(t)u2∗(t) +D(t)ω(u2∗(t), t)

mit u1∗(t0) = u0 = D(t0)x0 = u2∗(t0) erfullen. Nach dem Satz von Picard-Lindelof gilt lokal um (u0, t0), dass u1∗(t) = u2∗(t) und somit auch x1∗(t) = x2∗(t)lokal um (x0, t0).

(2) Sei F δ : DFδ → Rm mit

F δ(w, u, t, δ) := F(w, u, t)− δ

fur (w, u, t, δ) ∈ DF × Rm, wobei F die in Satz (4.4) definierte Funktion Fist. Dann gilt fur

w0 := D(t0)−y0 +Q0(t0)x0, u0 := D(t0)x0, δ0 := 0,

dass

F δ(w0, u0, t0, δ0) = F(w0, u0, t0) = 0.

Zudem ist

F δw(w0, u0, t0, δ0) = Fw(w0, u0, t0)

regular. Jetzt existiert eine Umgebung Dωδ von (u0, t0, δ0) und eine eindeutigbestimmte, stetig differenzierbare Funktion ωδ : Dωδ → Rm, so dass fur alle(u, t, δ) ∈ Dωδ gilt:

F δ(ωδ(u, t, δ), u, t, δ) = 0,

F δw(ωδ(u, t, δ), u, t, δ) = Fw(w, u, t)

F δu(ωδ(u, t, δ), u, t, δ) = Fu(w, u, t)F δδ (ωδ(u, t, δ), u, t, δ) = −I

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und somit

ωδu(u, t, δ) = −(G−11 fx)(D(t)ωδ(u, t, δ), D(t)−u+Q0(t)ωδ(u, t, δ), t)D(t)−

ωδu(u, t, δ) = G−11 (D(t)ωδ(u, t, δ), D(t)−u+Q0(t)ωδ(u, t, δ), t)D(t)−.

Sei uδ die lokal eindeutige Losung der ODE

u′(t) = R′(t)u(t) +D(t)ωδ(u(t), t, δ), u(t0) = D(t0)xδ0.

und

xδ(t) := D(t)uδ +Q0(t)ωδ(uδ(t), t, δ). (4.20)

Dann ist xδ eine Losung des gestorten Problems

f((Dxδ)′(t), xδ(t), t) = δ(t), (Dxδ)(t0) = D(t0)xδ0,

in einer Umgebung U0 von t0, falls die Storungen δ hinreichend klein sindund D(t0)x

δ0 hinreichend nahe an (Dx∗)(t0). Daruberhinaus finden wir Kon-

stanten c1 > 0 und c2 > 0, so dass

‖(uδ)′(t)− u′∗(t)‖ ≤ c1‖uδ(t)− u∗(t)‖+ c2‖δ(t)‖ ∀t ∈ U0,

wobei u∗ die Losung der inharenten ODE des ungestorten Problems ist. Mitdem Lemma von Gronwall folgt die Existenz einer Konstanten c3 > 0, sodass

maxt∈U0

‖(uδ)(t)− u∗(t)‖ ≤ c3

(‖uδ(t0)− u∗(t0)‖+ max

t∈U0

‖δ(t)‖).

Mit (4.20) finden wir eine Konstante c4 > 0, so dass

maxt∈U0

‖xδ(t)− x∗(t)‖ ≤ c4

(‖D(t0)x

δ(t0)−D(t0)x∗(t0)‖+ maxt∈U0

‖δ(t)‖).

Die gleiche Argumentation liefert fur jedes s ∈ I eine Losung xδs in einerUmgebung Us ⊂ I um s mit D(s)xδs(s) = D(s)xδs,0, falls die Storungen δhinreichend klein sind und D(s)xδs,0 hinreichend nahe an (Dx∗)(s). Zudemexistieren Konstanten c(s) > 0, so dass

maxt∈Us‖xδs(t)− x∗(t)‖ ≤ c(s)

(‖D(s)xδs(s)−D(s)x∗(s)‖+ max

t∈Us‖δ(t)‖

).

(4.21)

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Da I kompakt ist, so finden wir endlich viele Zeitpunkte si ∈ I mit

I =⋃s∈I

Us =n⋃i=1

Usi .

Sei si−1 ≤ si fur alle i = 1, . . . , n. Dann konnen wir o.B.d.A. annehmen, dasssi ∈ Usi−1

fur alle i = 1, . . . , n. Wir wahlen nun xδs0,0 := xδ0 und sukzessive

xδsi,0 := xδsi−1(si) ∀i = 1, . . . , n.

Die Abschatzung (4.21) liefert uns

maxt∈Usi‖xδs(t)− x∗(t)‖ ≤ c(si)

(‖D(si)x

δs(si)− (x∗)(si)‖+ max

t∈Usi‖δ(t)‖

).

(4.22)

fur alle i = 1, . . . , n. Diese garantiert uns, dass xδsi−1(si) ∈ Usi fur alle i =

1, . . . , n, falls D(t0)xδ0 hinreichend nahe an (Dx∗)(t0) liegt. Nun definieren

wir

xδ : (t) := xδsi(t), fallst ∈ Usi , t ∈ I.

Die lokale Eindeutigkeit der Funktionen xδsi(t) garantiert die Wohldefiniert-heit von xδ auf ganz I. Nach Konstruktion ist xδ eine Losung des gestortenProblems

f((Dxδ)′(t), xδ(t), t) = δ(t), (Dxδ)(t0) = D(t0)xδ0.

Zudem finden wir wegen (4.22) auch eine Konstante C > 0, so dass

maxt∈I‖xδ(t)− x∗(t)‖ ≤ C

(‖D(t0)x

δ(t0)− (x∗)(t0)‖+ maxt∈I‖δ(t)‖

),

falls die Storungen δ hinreichend klein sind und D(t0)xδ0 hinreichend nahe an

(Dx∗)(t0) ist. �

4.2 Numerische Verfahren fur nichtlineare DAEs

Wir betrachten wieder exemplarisch fur die Mehrschrittverfahren die BDF-Methoden und fur die Einschritt-Verfahren die Runge-Kutta-Methoden.

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4.2.1 Die BDF-Verfahren

Die BDF-Verfahren fur DAEs der Form

f((Dx)′(t), x(t), t) = 0

lassen sich formulieren als

f(1

hn

k∑i=0

αniD(tn−i)xn−i, xn, tn) = 0. (4.23)

4.2.2 Die Runge-Kutta-Verfahren

Seien die Verfahrenskoeffizienten mit dem Butcher-Tableau

c AbT

, A regular , A−1 =: (αij)i,j=1,...,s

gegeben. Sei zudem asi = bi fur alle i = 1, . . . .s und cs = 1. Dann konnenwir analog zum linearen Fall die Runge-Kutta-Verfahren definieren als

f([DX]′ni, Xni, tni) = 0, i = 1, . . . , s. (4.24)

mit

[DX]′ni :=1

hn

s∑j=1

αij(D(tnj)Xnj −D(tn−1)xn−1), i = 1, . . . , s

und xn := Xns. Per Konstruktion gilt dann

Xni ∈M0(tni), i = 1, . . . , s,

4.2.3 Numerische Analyse der Verfahren

Um die Konvergenz der Verfahren nachweisen zu konnen, schauen wir unsan, unter welchen Bedingungen die BDF-Verfahren/RK-Verfahren fur dieDAE auch zu einem BDF-Verfahren/RK-Verfahren fur die inharente ODEfuhrt. Um die Analyse nicht doppelt anstellen zu mussen, schreiben wir beideVerfahrenstypen in der einheitlichen Form

f([Dx]′n, xn, tn) = δn, i = 1, . . . , s. (4.25)

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mit

[Dx]′n :=

{1hn

∑ki=0 αniD(tn−i)xn−i, BDF

[DX]′ni RK

und

xn :=

{xn, BDF

Xni RK, tn :=

{tn, BDF

tni RK.

Nun untersuchen wir, wann das folgende Diagramm kommutiert.

f((Dx)′(t), x(t), t) = δ ⇒ u′(t) = R′(t)u(t) +D(t)ωδ(u(t), t, δ)

x(t) = D(t)u(t) +Q0(t)ωδ(u(t), t, δ)

⇓ ⇓

f([Dx]′n, xn, tn) = δn ⇒ [u]′n = R′(tn)un +D(tn)ωδ(un, tn, δn)

xn = D(tn)un +Q0(tn)ωδ(un, tn, δn)

Die Uberlegungen des Beweises von Satz 4.5 zur Entkopplung der gestortenDAE konnen wir ganz analog auch auf die Verfahrensgleichung (4.25) anwen-den und erhalten als Entkopplung von (4.25) das System

R(tn)[u]′n = D(tn)ωδ(un, tn, δn)

xn = D(tn)un +Q0(tn)ωδ(un, tn, δn),

Somit kommutiert obiges Diagramm offenbar genau dann, wenn

R(tn)[u]′n = [u]′n −R′(tn)un.

Lemma 4.7. Sei im D konstant. Dann gilt

R(tn)[u]′n = [u]′n und R′(t)u(t) = 0.

Der Beweis folgt vollkommen analog zum Fall linearer DAEs mit variablenKoeffizienten.Somit haben wir auch im nichtlinearen Fall Kommutativitat des Diagrammsfur DAEs vom Index 1, wenn im D konstant ist. Damit erhalten wir folgendenSatz.

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Satz 4.8. Sei die DAE (4.10) eine DAE vom Index 1 mit im D(·) konstantund einer Losung x∗ auf einem kompakten Intervall I. Dann sind die BDF-Methoden und Runge-Kutta-Methoden durchfuhrbar fur hinreichend kleineSchrittweiten hn > 0 und sie konvergieren mit der gleichen Ordnung wie furgewohnliche Differentialgleichungen.

Beweis: Es ist zunachst zu zeigen, dass die BDF-Verfahren und die Runge-Kutta-Verfahren fur hinreichend kleine Schrittweiten durchfuhrbar sind.

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