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Dietrich SteinweDe
PatmoS
nun soll es werdenfrieden auf erden
WeihnachtenGeschichte, Glaube
und Kultur
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Zur Einführung 9
Ankunft 15
menschenkind – gotteskind 17
------------------------------------------------------------
Vorahnung in der Hebräischen Bibel 17
Jesaja – Prophet der Hoffnung 17
Jesaja – Prophet des Friedens, Prophet der Weih-
nacht 18
Der Menschensohn in der antiken Welt 20
Wer war dieser Jesus? 21
Er lebte unter Tiberius und Pontius Pilatus 25
Wie sehen ihn Juden heute? 30
Er kam zu Tode 31
Er wurde »gesehen« 32
Er wird zum »Christus« der Christen 34
Er wird zum Gottes-Sohn 36
Die göttliche Sonne 39
------------------------------------------------------------
Sonnengottheiten 39
Christus – der neue Helios 40
Christus – der neue Sol 41
Und leuchtet als die Sonne in seiner Mutter
Schoß 43
Und leuchtet als die Sonne – vor Gott 44
heil der welt – der heiland 47
------------------------------------------------------------
Ein »Heiland« in Rom – Die Pax Romana 47
Ein politisches Evangelium – Die Kaiserinschrift
von Priene 48
Der »Heiland« Christus – Die Pax Christiana 50
die weihnachtsbotschaftdes neuen testaments 52
------------------------------------------------------------
Lukas – Theologe, Historiker, Schriftsteller 53
Die lukanischen Weihnachtserzählungen 57
Die Ankündigung der Geburt des Johannes 58
Die Ankündigung der Geburt Jesu 59
Der Engel Gabriel bei Maria 60
Maria und Elisabet 60
Verkündigung an Maria 63
Nicht, dass ein Engel eintrat 64
Das leidenschaftliche Lied der Maria 66
Als aber die Zeit erfüllt war 69
Die Geburt 69
Mysterium der Menschwerdung 70
Nativitas Domini 72
Inhalt
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Der römische Census 74
Seht Betlehem dort 77
Geheimnis der Höhle 78
Domus panis – Haus des Brotes 79
Und wickelte ihn in Windeln 80
Ochs und Esel 82
Verkündigung an die Hirten 85
Der Friede euch – Gott in der Höh die Ehre 86
Die Stunde der Engel 89
Kommet, ihr Hirten 92
Nomaden 94
Uns sind die Augen aufgegangen 95
Gottesmutter Maria 96
Zweimal Maria – Das Engelskonzert in Isenheim 96
Maria aber bewahrte all diese Worte 98
Und da acht Tage um waren 99
Geburt aus der jungen Frau – aus der Jungfrau 100
Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist 103
Die neue Eva 105
Die Zeugin des Absoluten 107
Matthäus – Sachwalter der Hebräischen Bibel 108
Die Weihnachtsgeschichte des Matthäus 110
Sternbeobachtung – Astronomie 112
Sterndeutung – Astrologie 113
Die Christen und der Stern 114
Erst Magier, dann Könige 116
Dreikönigsritt 119
Die Schätze der Völker bringen sie dir 122
Und in einem Traum 123
Träume Josefs 125
Gefahr für das Kind 127
Wo ist der neugeborene König? 127
Und sie flohen nach Ägypten 128
Mord an Kindern 130
Rückkehr aus Ägypten 132
Johannes – Prediger des Lichtes 133
Der Weihnachtshymnus 133
Das vierte Evangelium 134
Das Wort 135
Das Licht 138
die entstehung der christlichen weihnachtskultur 140
------------------------------------------------------------
Die Anfänge 140
Verfolgungen 140
Erlaubte Religion 141
Aufblühende christliche Weihnachtskultur 143
Erste Hymnen der Weihnacht 145
Legenden aus den Legenden 147
Josef findet Maria schwanger 148
Josef, seine Söhne und Maria 152
Jesus wird geboren – Stillstand der Natur 154
Zwei Hebammen 155
Die Visionen der Birgitta von Schweden 157
Vom Kind aber gingen Strahlen aus 159
das fest der feste 163
------------------------------------------------------------
Weihnacht – ganz nahe 163
Ein ganzes Haus weihnachtet sehr 163
Vom Wort »Weihnacht« 164
Christ-Baum – Lebensbaum 164
Wie Franziskus Weihnachten feierte 168
Das neue Betlehem 168
Das Epiphaniasfest 171
Die Musik der Weihnacht 174
Es kommt ein Schiff, geladen 174
Singt Fried den Menschen weit und breit 176
Ein Lied von Menschen und Engeln vernehme ich 177
Psallite 178
Stille Nacht, heilige Nacht – Ein Lied, das um die
Welt geht 180
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christgeburt in den kulturen 183
-----------------------------------------------------------------
Bei den armenischen Christen 183
Bei den äthiopischen Christen 184
Bei schwarzafrikanischen Christen 185
Bei indonesischen Christen 187
Bei Christen in Lateinamerika 188
Bei den Muslimen 189
Bei den Hindus 190
Bei den Buddhisten 191
der schalom der weihnacht 193
-----------------------------------------------------------------
Das Schalom-Weihnachtsbild des Sandro Botticelli 193
Der Gott in Menschverlassenheit –
Der Mensch in Gottverlassenheit 196
Hundert Herodes, tausend 196
Kriegs-Weihnacht 1914–1918 197
Kriegs-Weihnacht 1939 – 1945 198
Das Friedens-Antlitz des 20. Jahrhunderts 200
Der gelbe Judenstern 201
Homines bonae voluntatis 203
Die Welt wird auf den Kopf gestellt 203
Der Engel des Friedens 203
Dunkle Könige 207
Das Wort der Weihnacht 207
Eine Geschichte - einfach und streng 209
Ein Bild – einfach und streng 210
Heut schließt er wieder auf die Tür 212
Und es war, wie es sein wird 213
Bildnachweis 215
Textnachweis 215
Autor 216
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9 | z u r e i n f ü h r u n g
Fest der Feste ein Gegner des Festes sagte:
»weihnachten muss man stark sein, sonst
macht man am ende noch mit« (Georg Kreis-
ler). Das mag wohl zutreffen angesichts der
inneren wahrheit, der immer noch geheim-
nisvoll verwandelnden Kraft dieses Festes.
aber auch die, die mitmachen, müssen stark
sein, denn es gilt, dem trend zur umfassen-
den Vermarktung dieser 1700 Jahre alten
Festtradition zu widerstehen.
»weihnachten, das Fest des trostes, das Fest
der großen einfachheit Gottes, ist weithin
der große Betrug des menschen geworden«,
klagt der Dichtertheologe wilhelm willms.
Und nicht von ungefähr bekennt der Domi-
nikaner Frei Betto, hoher kritischer reprä-
sentant seiner Kirche in Brasilien: »ich glaube
weder an den Gott des weihnachtsrummels
noch an den Gott der eingängigen werbung:
Der Gott meines Glaubens wurde in einer
höhle geboren. Und er war Jude.«
»Geboren im jüdischen Land.« Dort liegt der
Ursprung. Und heute?: weihnachten ist ein
Fest, das auf dem ganzen Planeten wahrge-
nommen (berücksichtigt) wird. eine seltsa-
me wirkung geht (immer noch) aus von dem
Kind in Betlehem: intensiver als im Jahr
sonst gedenkt man allüberall der hungern-
den, obdachlosen, Kranken, Gefangenen.
man zeigt Solidarität. niemals sind bei uns
die Kollektenteller der Kirchen reicher gefüllt
als am heiligen abend im Volksgottesdienst
der vielen. Kein Kirchenlied wird inbrünsti-
ger gesungen als »Stille nacht«. Friedvoll
geben sich die Politiker auch »nichtchristli-
cher« Staaten. amnestien werden erlassen,
gelegentlich auch Kriegshandlungen unter-
brochen. »Schalom« (»Friede Gottes«, »Ge-
rechtigkeit«) scheint – wenn auch nur für
wenige tage – ein wort für jedermann.
Und dann die Bräuche: in den christlich ge-
prägten Ländern europas und amerikas wer-
den sie – überall unterschiedlich – weiter
gepflegt. Bei uns ist es das einanderbeschen-
ken, fast immer die tradition des Baumes; es
sind traute atmosphäre, brennende Kerzen,
weihnachtsmusik, erlesenes essen. Und es
ist lebendige Volkskultur: Die weihnachts-
märkte mit ihrem (noch) unvergleichlichen
Zauber, weihnachtskonzerte und weih-
nachtsspiele, adventlich/weihnachtliches
Backen, Basteln, Singen, erzählen in zahllo-
sen Kindergärten, Schulen, Familien. es ist
der adventskranz, das transparent und nicht
selten auch noch die Krippe unter dem Baum.
Und es ist im Dunkel der winterzeit die
Sehnsucht: einmal im Jahr wirklich zur Be-
sinnung kommen, bewusst Licht wahrneh-
men, in Geborgenheit und Stille nachsinnen
über das heilsein, das heilen, das heil. Sehn-
sucht ist es auch nach dem ganz anderen,
dem neuen, das revolutioniert, nach dem
neuen Äon, einem besseren, friedvoll erfüll-
ten Zeitalter.
Zur Einführung
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1 0 | z u r e i n f ü h r u n g
Und bei manchen, nicht selten bei christen,
die außerhalb der amtskirche stehen, ist es
die Besinnung auf den Ursprung des Festes,
die erinnerung an die Geburt jenes Kindes
von Gott, ein Vordringen zu den wurzeln.
Dieses Buch will an die anfänge neu erin-
nern, über alles Vordergründige hinaus das
Fest neu wahrnehmen, damit einer gewissen
ratlosigkeit, wie man denn recht feiern solle,
begegnen. es will Geschichtliches – gelegent-
lich überraschend – aufzeigen, theologie
erhellen und vertiefen, den vielfach verschüt-
teten reichtum christlicher weihnachtskul-
tur wieder aufdecken. Dies geschieht vor
allem auch in den Bildern, viele davon in
theologisch eigenwilliger Deutung von ho-
her aussagekraft, viele selten, ja kostbar, frü-
he Zeugnisse der Katakombenmalerei und
Sarkophagskulptur darunter, ebenso wie
werke der Buch- und tafelmalerei, der Bild-
hauerkunst des frühen, des hohen, des späten
mittelalters. aber auch Beispiele der neuzeit,
der Gegenwart. Keine idylle sind diese Bilder,
vielmehr Programm. Sorgfältig wurden sie
gewählt, interpretiert, eingebunden in den
jeweiligen Zusammenhang, so dass sie oft
konstitutiv sind für den sachlichen Fortgang.
Geschichte »Die geschichtlichen Vorkomm-
nisse sind keine trügerischen Schattenbil-
der«, sagte der frühchristliche Kirchenlehrer
origenes bereits im 3. Jahrhundert im hin-
blick auf Leben und Geburt des Jesus aus na-
zaret. Geschichtlich ist die Geburt Jesu im
Jahr 7 vor der Zeitenwende, der römisch/
syrische census (als erster akt einer Steuer-
eintreibung) in Palästina im Jahr 7 v. chr., die
Konjunktion von Jupiter und Saturn im
Sternbild der Fische ebenfalls im Jahr 7 v.
chr., errechnet von antiken astronomen und
von Johannes Kepler 1604 bestätigt.
Geschichtlich ist die Überwindung des
weltenheilandes augustus (griech. Soter =
retter) durch den Gottesheiland christus
(Soter), die ablösung der Pax romana durch
die Pax christiana.
Geschichtlich ist ohne jeden Zweifel der
mann aus nazaret, der sich »menschen-
sohn« nannte, den erst die Jünger, die Ge-
meinden nach ostern zum messias (= chris-
tus = gesalbter König von Gott) erhoben, weil
ihnen deutlich geworden war, dass sich hin-
ter der Bezeichnung »menschensohn« das
göttliche Geheimnis Jesu verborgen hatte.
Geschichtlich ist seine Geburt, ganz unbe-
kannt, irgendwo in Palästina (vielleicht in
nazaret), zu anfang ohne jede weltgeschicht-
liche Bedeutung. Geschichtlich ist seine mut-
ter maria, eine einfache jüdische Frau, die auf
natürliche weise empfing und gebar, die
neben Jesus andere Kinder hatte, die bei sei-
ner Geburt in Kindesnöten schrie, die ihn
säugte, ihn wie üblich wohl auch fest mit
Leinenbinden umwickelte, die ihn vielleicht,
wenn er denn in Betlehem geboren wurde,
von einer tiefergelegenen höhle in den Stall
zu den tieren hinauftrug – aber hier vermen-
gen sich bereits historie und Legende.
Geschichtlich ist, dass die mutter Jesu später
emporgehoben wurde zur »unbefleckten«
Jungfrau der Geistempfängnis, zur Gottesge-
bärerin, zur himmelskönigin, zur gnaden-
reichen Frau der altäre. Das war, nachdem
die theologen, z. B. Lukas, begonnen hatten,
sich der Sache anzunehmen, nachdem die
Ur- und nachfolgelegenden, die mit ihren
Überhöhungs-, ihren wundertendenzen
jeweils spezifische Ziele verfolgten, entstan-
den waren.
Geschichtlich ist, dass Jesus aufgrund seiner
menschenliebe, seines aufrufs zum Frieden,
seiner ungewöhnlichen Gotteslehre, seiner
Unbedingtheit zu Gott längst eine weltge-
schichtliche autorität geworden ist. Jüdische
theologen akzeptieren ihn als großen Bruder
ihres Volkes. muslime sehen in ihm – sie
nennen ihn isa – einen bedeutenden Prophe-
ten. in vielen Kulturen dieser welt wird sei-
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ne Geburt dargestellt. Und denen, die sich
nach ihm glaubwürdig christen nennen, ist
er der Verheißene Gottes, Zentrum ihres
Glaubens, »Stern« ihrer hoffnung.
Theologie Geschichtlich ist, dass Lukas, mat-
thäus und Johannes (jeder anders) über die
Geburt geschrieben haben. aber was sie
schrieben, das ist theologie. Von ihnen als
Personen wissen wir nur das, was sich aus
ihren evangelien (bei Lukas auch aus der
apostelgeschichte) erschließen lässt. Und
das ist wenig. ihre theologie (christologie)
indes ist abzulesen: Lukas inszeniert seine
(auf Vorlagen beruhende) Geburtslegende –
Legenden als Sprachform enthalten innere
wahrheit, verdichten historisches – um der
Überbietung willen, einmal gegenüber dem
täufer Johannes (der ist Vorläufer), zum an-
deren gegenüber dem caesar augustus in
rom.
Jesus ist für Lukas schon von anfang an der
christus, ein christus-Kind von ostern her,
geboren von einer Jungfrau, damit vergleich-
bar den jungfrauengeborenen Göttersöhnen
seiner noch ganz den antiken Götterkulten
verhafteten Umwelt. Gegenüber dem »hei-
land« augustus wird dieser christus dann
vom engel Gottes hirten, den Ärmsten der
armen, als der wahre weltenheiland und
retter proklamiert. Lukas tut ein Übriges: er
lässt auch noch engelscharen (es handelt sich
um den alttestamentlichen hofstaat Gottes)
im chor ein himmlisches Gloria und irdi-
schen Frieden verkünden. Die nutzung über-
natürlicher mittel ist ihm geläufig. Ge-
schichtlicher anknüpfungspunkt seiner
Legende ist dabei neben dem caesar augus-
tus in rom der nicht unbedeutende syrische
Statthalter Quirinius, der den römischen
census in Palästina zu verantworten hatte.
im aufstrahlenden Lichtglanz göttlicher
ewigkeit lässt Lukas die Geburtsproklamati-
on sich vollziehen. Das ist weitaus mehr, als
man über die Geburt des octavian augustus
zu erzählen wusste.
matthäus, dem die alttestamentlichen Voran-
kündigungen soviel bedeuten, bei dem maria
und Josef von vornherein in Betlehem woh-
nen – der ort ist durch die Verheißung des
Propheten micha (micha 5,1) als Geburtsort
des messias legitimiert –, sieht das Kind als
den neuen mose (auch der alttestamentliche
mose wurde von Kindestötung bedroht), er
sieht es von Jesaja her als den neuen König
auf Davids thron. Der Kosmos kommt bei
ihm in Spiel, und Völker der welt nehmen
den neugeborenen König der Juden wahr.
nichtjuden aus ferner Fremde, magier, Stern-
Deuter des ostens, setzen sich nach ihren
astronomisch-astrologischen ermittlungen
in Bewegung, in Palästina den endzeitlichen
Friedenskönig zu finden. mit ihrem weg,
ihrer huldigung, ihren Gaben repräsentieren
sie zugleich ankündigungen der hebräi-
schen Bibel: »nationen machen sich auf von
den enden der erde, ihn zu sehen« (Jesaja
11,10). »Dieser König soll leben. man bringe
ihm das Gold von Saba. man bete jetzt für
ihn. man wünsche ihm alle tage Segen«
(Psalm 72,15).
Und dann Johannes, der in seinem weih-
nachtshymnus vom präexistenten christus
her denkt, von einem christus als Logos
(wort), der, von anfang an bei Gott, sich aus
der göttlichen Sphäre löst, um Licht in die
dunkle welt zu bringen.
Zwei Legenden und ein hymnus, seltsam,
darauf beruht das größte Fest des christen-
tums, das eines der bedeutendsten religiösen
Phänomene der menschheitsgeschichte ist.
Zwei Legenden, in unterschiedlichen Farben
gemalt, und ein hymnus – und eine welt ist
in Bewegung gesetzt.
Kultur »Der Punkt, an dem alle Farben und
Kulturen zusammentreffen, ist da, wo Gott
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ein verwundbares menschliches wesen
wird« (hans-ruedi weber). »Das Fest der
Geburt christi übertrifft alle anderen christ-
lichen Feste an resonanz in den künstleri-
schen medien.Vor allem in den Klängen, den
worten und Bildern früherer Zeiten verber-
gen sich dabei verschlüsselte aussagen, Sym-
bole, die den menschen der moderne nicht
mehr bewusst sind« (edith neubauer).
»mag die geistige Kultur nun immer fort-
schreiten, mögen die naturwissenschaften
in immer breiterer ausdehnung und tiefe
wachsen, und der menschliche Geist sich
erweitern, wie er will, über die hoheit und
sittliche Kultur des christentums, wie sie in
den evangelien schimmert und leuchtet,
wird er nicht hinauskommen« (Johann
wolfgang von Goethe, Gespräche mit ecker-
mann, 11.3.1832).
ein Beispiel: in Sandro Botticellis »mysti-
scher Geburt«, gemalt im Jahr 1500 (siehe S.
195 sowie den ausschnitt auf dem einband),
sind Geschichte, Glaube und Kultur des
weihnachtsfestes eng miteinander verwo-
ben: Das Bild steht u.a.
– für die Verbindung von transzendenz und
immanenz: Gott kommt auf die erde, unfass-
lich,
– für die Friedenssehnsucht eines einzelnen
(der maler Botticelli wünscht sich nach den
Florentiner wirren um den exzentrischen
Dominikanermönch Savonarola nichts sehn-
licher als ein reich des Friedens in seiner
geliebten heimatstadt),
– für die innere Gewissheit, dass vor dem
göttlichen Frieden der weihnacht das Böse
keinen Bestand hat (der weg zur Krippe ist
offen) und
– für den weltverändernden wandel, den die
Geburt des Friedensstifters zu bewirken ver-
mag. altes, Gängiges wird auf den Kopf ge-
stellt. Zeichen dafür: menschen und engel
umarmen und küssen einander.
Text der Texte Die weihnachtsgeschichte
des Lukas, der bekannteste text der weltlite-
ratur, ist ein text, der im Sinne ernst Blochs
nicht in abweisender Ferne belassen, aber
auch nicht dem hier und Jetzt unterstellt
sein will, vielmehr ein text, der derart zu
übersetzen ist, dass er die jeweilige Gegen-
wart trifft und mitdeutet; ist also ein Stück
Prosa, »das nicht gelassen nacherzählt, son-
dern parteiisch, betroffen, subjektiv, sanft
und zornig ausgemalt werden will, gut Lu-
therisch also, oder gut Brechtisch« (walter
Jens).
menschheitsgeschichte ist »aufgehoben« in
diesem text (und dem zugeordneten Fest).
Seine weltweite ausstrahlung ist einmalig.
nicht zuletzt deshalb haben andere religio-
nen sich der christgeburt in ihrem eigenen
kulturellen Kontext angenommen. »ich glau-
be, dass es höchste Zeit ist, Jesus in eine Brü-
cke der Versöhnung zu verwandeln, um zu
jenem Schalom zu führen, der nicht nur ein
Leitmotiv der Lukastradition ist, sondern
auch die große Sehnsucht unserer verängs-
tigten menschheit« (Pinchas Lapide).
»Unter ihm soll Friede sein«, heißt es im
Zwischen den weihnachtlichen Zentralorten Jerusalem (links) und Betlehem (rechts) halten zwei Engel das Sonnenrad
1 2 | z u r e i n f ü h r u n g
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Brief an die Gemeinde in Kolossä (1,20), »ein
Friede, den er gestiftet hat. Dieser Friede um-
fasst die menschen auf der ganzen erde.« es
ist ein Friede der herzen, unbegreiflicher
göttlicher Friede, der hier ersehnt wird. allen
menschen ist er zugesprochen, auch denen,
die sich nicht in einem Glauben gebunden
wissen.
es ist ein tiefer, tragender Friede. »et in terra
pax«, gewiss einer der zentralsten Sätze der
Bibel, ist wort aller Völker, aller hautfarben
und religionen dieser welt. Gemeint ist ein
»Frieden ohne ende« (Jesaja 9,6), Friede als
heilwerden, heilsein der ganzen mensch-
heit, utopisch vielleicht, aber im Sinne einer
realutopie, an der festzuhalten ist, weil sie
alle menschen guten willens zu einen ver-
mag.
Weihnachten »er hat unter uns gewohnt«
(evangelium des Johannes 1,14). Das beken-
nen christen. »Und er wird kommen«:
weihnachten als traum, als traum der Zu-
kunft, der wiederkunft dessen, der als Kind
geboren wurde vor 2000 Jahren. weihnach-
ten als jene Zeit, da der »nachkomme isais
als Zeichen dastehen wird, weithin sichtbar
für alle Völker« (Jesaja 11,10). weihnachten,
solange es diese Legenden gibt und men-
schen, die wunder, Stern und den Lichtglanz
Gottes auch vor den Schrecknissen einer je-
weiligen Gegenwart nicht vergessen, men-
schen, die zusammen mit diesen Legenden
ernst sein können, kritisch und gelassen, die
mit ihnen zu lächeln vermögen und zu hof-
fen, dass eine Zeit begann, die nie mehr auf-
hört.
weihnachten, tag der neuen Sonne, die von
ostern her leuchtet. »Denn die Finsternis
vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt«
(1. Brief des Johannes 2,8).
weihnachten: tag des christus-Sol, dessen
Geburtstag am 25. Dezember jenes Jahresfest
des unbesiegten Sonnengottes der römer,
des Sol invictus, abgelöst hat. weihnachten,
das Fest des Friedens, der höher ist als alles
Denken, tiefer als alle angst, jenes Friedens,
der den alten Simeon ruhig (in pace) sterben
lässt, denn seine augen haben den heiland
gesehen.
weihnachten: »Der herr, der sich offenbart
im Kleinsten wie in den Galaxien, den uner-
messlichen, gab ein Signal in die nacht: die
Geburt seines Boten« (richard münch).
weihnachten: »ich fasse keinen anderen
Gott als den, der in jenem menschen ist, der
vom himmel kam. ich fange bei der Krippe
an« (martin Luther).
»alles freue sich des kommenden welten-
jahrhunderts« (Vergil, vierte ekloge). Jenseits
aller Kalenderdaten gilt es an der Schwelle
des 3. Jahrtausends hoffnung zu wecken auf
den kommenden, den neuen Äon, in dem die
sanfte Gewalt von Betlehem sich Bahn bricht,
»damit aus guten Vorsätzen gute werke wer-
den, aus Stein Brot, obdach, Segen« (istván
Szamoskösi).
Dietrich Steinwede
Christi mit dem sechsstrahligen Stern. Mosaik aus der Apsiswand von San Vitale in Ravenna. Um 550.
1 3 | z u r e i n f ü h r u n g
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1 4 | A n k u n f t
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So, wie die römische antike einem endzeitlichen weltenherrscher entge-
genharrte, so, wie die Juden noch heute auf den messias warten, so ist den
christen die alljährliche Vorbereitungszeit auf die erinnerungsfeier der
Geburt ihres messias vor 2000 Jahren eine Zeit der ankunft, des adventus,
des advents.
wolfgang Borchert, der von den Schreckenserfahrungen des Zweiten welt-
kriegs gezeichnete, frühverstorbene Dichter, schrieb 1947 (nicht christlich
gedacht):
»wir sind eine Generation der ankunft. Vielleicht sind wir eine Generati-
on voller ankunft auf einem neuen Stern, in einem neuen Leben. Voller
ankunft unter einer neuen Sonne, zu neuen herzen. Vielleicht sind wir
voller ankunft zu einem neuen Lieben, zu einem neuen Lachen, zu einem
neuen Gott. wir sind eine Generation ohne abschied. aber wir wissen,
dass alle ankunft uns gehört.«
hoffnung also, offenheit. rose ausländer, die jüdische Dichterin, kennt den
Zauber dieser offenen Zeit. Für die christen ist es zugleich eine Zeit des Lich-
tes in bedrängender Dunkelheit. Sie lesen es bei Jesaja:
wir hoffen auf das Licht.
Doch ringsum ist es dunkel.
wir hoffen und wir warten.
Und sieh: es strahlt auf, das Licht.
nach Jesaja 9,1
Der advent der christen ist nicht zuletzt durch den Schein der Kerzen kon-
stituiert. hilde Domin sieht in der Kerze ein kaum atmendes kleines Licht,
aber eben doch ein Licht.
Die Kerze brennt,
eine stille nacht.
ich sehe mich
auf den weg gebracht.
Ankunft
El Greco, Knabe, der eine Kerze entzündet (1570/72). Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel
El Greco (spanisch »Der Grieche«), eigentlich Dominikos Theotokopulos (1541–1614), der geniale Manierist aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, zeigt in seinem Knaben auf dunklem Hintergrund, der vom Licht der Kerze, die er gerade entzündet, angestrahlt wird, ein Symbol all dieser Lichtsehnsucht im Dunkel. Hohe Intensität liegt in dem ganz einfachen Vorgang
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1 6 | A n k u n f t
Dietrich Bonhoeffer, der große evangelische märtyrertheologe des 20. Jahr-
hunderts, besingt diese Kerzenzeit:
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
wir wissen es: dein Licht scheint in der nacht.
Kerzenlicht verbreitet Stille. Das ist eine ganz eigentümliche erfahrung.
Dietrich Bonhoeffer wurde angesichts seines todes 1945 diese Stille trans-
parent für Jenseitiges:
wenn sich die Stille tief nun um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Unerschütterlich ist der Licht-Glaube dessen, der im neuen testament den
ersten Johannesbrief schrieb:
Denn die Finsternis vergeht,
und das wahre Licht scheint jetzt.
1 Johannes 2,8
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