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Rechtswissenschaftliches Institut Seite 1 Obligationenrecht Allgemeiner Teil Helmut Heiss

Obligationenrecht Allgemeiner Teil - ius.uzh.ch05605318-503d-45be-a6e3-8f9548d7301f/OR... · Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss IV. Vertragsschluss auf Grundlage von „AGB

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Rechtswissenschaftliches Institut

Seite 1

Obligationenrecht –

Allgemeiner Teil

Helmut Heiss

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 2

InhaltsverzeichnisA. Die „Obligation“

I. Begriff

1. Definition

2. Erläuterungen

a. Forderung

b. Leistung

c. Synallagma

d. Unvollkommen zweiseitiger Vertrag

e. Einseitig verpflichtender Vertrag

II. Einteilung der Obligationen

1. Nach der Dauer

2. Nach dem Entstehungsgrund

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

B. Entstehung der Obligation: Vertrag

I. Vertragsbegriff

II. Zustandekommen

1. „Konsens“

2. Antrag (vgl. Art. 3 OR)

a. Begriff

b. Wirkung des Antrags

c. Abgrenzung zur invitatio ad offerendum

d. Insb: Zusendung unbestellter Ware (Art. 6a OR)

3. Annahme

a. Begriff

b. Ausnahme

4. Übereinstimmung von Angebot und Annahme (Konsens)

5. Exkurs: automatisierte Willenserklärungen

a. Elektronische Willenserklärung

b. Automatisierte Willenserklärung

c. Agentenerklärung

Seite 3

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III. Auslegung und Ergänzung des Vertrags

1. Auslegungsmittel

a. Sprachgebrauch („Wortlaut“)

b. Sonstige Umstände

c. Vertragszweck

d. Treu und Glauben

e. Typische Ausprägungen dieser Grundsätze

2. Ergänzung

a. Problem

b. Instrumente der Lückenfüllung

c. hypothetischer Parteiwille

d. Rangordnung der Ergänzungsinstrumente

IV. Gültigkeitsvoraussetzungen

1. Form

a. Formzwang

b. Formzwecke

c. Formtypen

d. Reichweite des Formzwangs

e. Rechtsfolge des Formmangels

f. Teilnichtigkeit

g. Umdeutung (Konversion)

h. Vereinbarte Form (gewillkürte Form)

Seite 4

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

2. Möglichkeit

3. Widerrechtlichkeit

a. Übersicht

b. Öffentliche Ordnung

c. Persönlichkeitsrechte (Art. 27 ZGB)

4. Sittenkonformität

a. „Gute Sitten“

b. Fallgruppen

c. Rechtsfolgen

5. Übersicht

V. Einseitige Unverbindlichkeit

1. Begriff

2. Gründe

3. Geltendmachung

4. Irrtum (Art. 23 – 27 OR)

a. Begriff

b. Wesentlicher Irrtum (Art. 23 OR)

c. Rechtsfolgen

d. Grundlagenirrtum und clausula rebus sic stantibus

Seite 5

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5. Täuschung (Art. 28 OR)

a. Voraussetzungen der Täuschung (Art. 28 I OR)

b. Täuschung durch Dritte (Art. 28 II OR)

c. Rechtsfolgen

6. Drohung (Art. 29, 30 OR)

a. Voraussetzungen der Drohung

b. Drohung durch Dritte (Art. 29 II OR)

c. Rechtsfolgen

Seite 6

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C. Entstehung der Obligation: «Selbstbindung ohne Vertrag»

I. Faktischer Vertrag?

II. Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

III.Culpa in Contrahendo

1. Beispiele

2. Schutzdefizite des Deliktsrechts

3. Haftung aus cic

a. Tatbestandsmerkmale

b. Insb: Pflichtverletzung

c. Typen vorvertraglicher Pflichten

4. Folgerungen aus dem Schuldverhältnis

5. Schadenersatz

6. Rechtsnatur

IV. Vertrauenshaftung

1. Tatbestand

2. Rechtsfolgen

3. Cic

4. Rechtsprechung

Seite 7

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V. GoA (Art. 419-424)

1. Begriff

2. Tatbestand

3. Ansprüche des GH

4. Ansprüche des berechtigten GF

5. Ansprüche des unberechtigten GF

6. Unechte GoA (Art. 423)

Seite 8

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung

I. Allgemeines

1. Begriff

2. Beteiligte

3. Bereicherungsanspruch

II. Typen der Kondiktion

III. Leistungskondiktion

1. Condictio sine causa/ob causam finitam

a. Auffinden der Anspruchsgrundlage

b. Leistung

c. Entreicherung des BereicherungsG

d. Bereicherung des BereicherungsS

e. Irrtum des BereicherungsG (Art. 63 I OR)

f. Die Bereicherung

g. Rechtsfolge

2. Rückerstattung der Bereicherung

a. Grundsatz

b. Ausnahme

c. Einrede der Entreicherung (Art. 64 OR)

d. Insb.: „Entäusserung“ (Art. 64 2. HS OR)

e. Insb.: nicht real restituierbare Leistungen

Seite 9

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

3. Bereicherung und Synallagma

a. Grundsatz

b. Problem

c. Zweikondiktionentheorie

d. Saldotheorie

4. Gegenansprüche des BereicherungsS gegen -G

a. Ersatz der notwendigen Verwendungen (Art. 65 I 1. Alt OR)

b. Ersatz der nützlichen Verwendungen (Art. 65 I 2. Alt OR)

c. Kein Ersatz von Luxusverwendungen (Art. 65 II OR)

5. Condictio ob causam futuram

IV. Nichtleistungskondiktion (nur Eingriffskondiktion)

1. Vorbeobachtung

2. Eingriffskondiktion (gem. Beispiel)

3. Nutzung, Gebrauch und Verbrauch fremder Sachen

Seite 10

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E. Vertiefungen: Vertragsschluss

I. Scherzerklärung, Mentalreservation, Simulation und Umgehung

1. Scherzerklärung

2. Geheimer Vorbehalt (Mentalreservation)

3. Scheingeschäft (Simulation)

4. Umgehungsgeschäft

II. (Versteckter) Dissens

III. Bedingung (Art. 151 ff. OR)

1. Begriff und Einteilung

2. Zulässigkeit

3. Eintritt der Bedingung

Seite 11

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

IV. Vertragsschluss auf Grundlage von „AGB“

1. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

2. Vor- und Nachteile von AGB

3. „Kontrolle“ von AGB

a. Geltungskontrolle

b. Auslegungskontrolle

c. Inhaltskontrolle

4. Konflikt von AGB

V. Widerruf von „Haustür“geschäften (Art. 40a ff. OR)

1. Anwendungsvoraussetzungen

a. persönliche

b. sachliche

c. situative (Art. 40b OR)

2. Problem

3. Widerrufsrecht des K

4. Rechtsfolgen des Widerrufs

5. Vgl. Art. 16 KKG; Art. 406a ff. OR

Seite 12

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F. Obligationenrechtliche Ansprüche

I. Erfüllungsanspruch

1. Durchsetzung

2. „Indirekte“ Durchsetzung (insb. bei synallagmatischen Leistungen)

3. Besicherung von Forderungen

II. Ansprüche aus Vertragsverletzung („Leistungsstörungsrecht“)

1. Typen von Vertragsverletzungen

2. Nicht- oder Schlechtleistung?

3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit (U)

a. Erläuterungen

b. Einteilung der Unmöglichkeitsfälle nach der Ursache

c. Rechtsfolgen der U

4. Spätleistung: Schuldnerverzug (SV)

a. Voraussetzungen

b. Insbesondere: Verfallstaggeschäft

c. Insbesondere: Antizipierter Vertragsbruch

d. Rechtsfolgen allgemein

e. Optionen des G bei synallagmatischen Verträgen

Seite 13

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

5. Schlechterfüllung

a. Begriff

b. Rechtsbehelfe

c. Verhältnis der Rechtsbehelfe zueinander

d. Voraussetzungen der Haftung aus pVV

e. Rücktritts-/Kündigungsrecht

f. Zusammenfassung Art. 107 Abs. 2 OR (Wahlrechte)

6. Nebenpflichtverletzungen

a. Übersicht: Pflichten

b. Typen von Nebenpflichten

c. Rechtsgrund für Nebenpflichten

d. Rechtsfolgen der Pflichtverletzung

7. Gläubiger- oder Annahmeverzug

a. „Annahme“

b. Annahmeverzug

c. Rechtsfolgen (allgemein)

d. Rechtsfolgen (Sachleistungen)

e. Rechtsfolgen (Dienstleistungen u.a.)

8. Konventionalstrafe (Art. 160 – 163 OR)

Seite 14

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G. Erlöschen der Obligation

I. Erfüllung (Art. 114 OR)

1. Rechtzeitigkeit

a. S muss spätestens bei Fälligkeit leisten

b. S darf u.U. schon früher leisten

2. Am rechten Ort

a. vereinbarter Erfüllungsort

b. mangels Vereinbarung: gesetzlicher E

c. Insb: Schickschuld

3. Geschuldete Leistung

a. geschuldeter Erfolg

b. geschuldete Tätigkeit

c. Insb.: Leistung „an Erfüllungs Statt“ /Leistung ”erfüllungshalber”

4. Leistung an G

II. Insb.: Verrechnung

III. Erlass

IV. Novation

V. Vereinigung (Konfusion)

Seite 15

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

VI. Verjährung

1. Begriff

2. Sinn und Zweck

3. Dauer

4. Stillstand/Hinderung und Unterbrechung

5. Gesetzesrevision (in Kraft ab 01.01.2020)

VII. Erlöschen des Schuldverhältnisses

1. Abwicklung des Vertrags

2. Aufhebungsvertrag

3. Kündigung

Seite 16

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H. Drittbeteiligte

I. Stellvertreter (Art. 32 ff. OR)

1. Begriff

2. Vertretungswirkung

a. Voraussetzung: Vollmacht (VM)

b. Voraussetzung: kein vertretungsfeindliches Geschäft

c. Urteilsfähigkeit des StV

d. Wirkung

3. Vertreter ohne Vollmacht (falsus procurator)

a. Grundsatz: schwebende Unwirksamkeit

b. Haftung des falsus procurator mangels Genehmigung (Art. 39 OR)

c. Haftung des Vertretenen aus Anscheinsvollmacht

4. Vollmacht: Übersicht

II. Erfüllungsgehilfe (Art. 101 1. Alt OR)

1. Tatbestand

a. Schuldpflicht des S gegenüber G

b. Erfüllung der Schuldpflicht durch einen Dritten

c. Mit Wissen und Willen des S

d. Verschulden des Dritten

e. In Ausübung seiner Verrichtung (Vorsatz des Gehilfen?)

Seite 17

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

2. Rechtsfolge

III. Ausübungsgehilfe (Art. 101 2. Alt. OR)

1. Tatbestand

a. Gebrauchsüberlassungsvertrag

b. Ausübung des Gebrauchsrechts durch Dritten

c. Mit Wissen und Willen des Berechtigten

d. Verschulden des Dritten

e. In Ausübung des Gebrauchsrechts („… in Verrichtung …“)

2. Rechtsfolge → Zurechnung des Verschuldens

IV. Begünstigter

1. Echter Vertrag zugunsten Dritter

2. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

a. Ansprüche aus Delikt

b. Ansprüche aus Vertrag

c. Vertragliche Schutzwirkungen zugunsten Dritter

d. Abweichende Ansichten

Seite 18

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V. Zessionar (Art. 164 ff. OR)

1. Zession

2. Rechtsgeschäftliche Zession

a. Voraussetzungen

b. Folge

c. Problem 1: S zahlt nach Zession an Zedenten

d. Problem 2: Schuldner zahlt nach unwirksamer Zession an Zessionar

e. Problem 3: Zedent und Zessionar streiten über die Wirksamkeit der Zession

f. Problem 4: Gegenrechte des S gegen Zedenten nach Zession

g. Problem 5: Zession nicht bestehender oder nicht einbringlicher Forderung

h. Besondere Erscheinungsformen

VI. Schuld- (Art. 175 ff. OR) und Vetragsübernehmer

1. Schuldübernahme

2. Vertragsübernahme

VII. Solidarschuldner (Art. 143 ff. OR)

Seite 19

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Lehr- und Handbücher

BERGER, Allgemeines Schuldrecht, 2. Aufl. (2012)

BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht – Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht,

2. Aufl.(1988)

ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2. Aufl. (1997)

GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil:

ohne ausservertragliches Haftpflichtrecht, 10. Aufl. (2014)

GUHL, Das schweizerische Obligationenrecht: Mit Einschluss des Handels- und

Wertpapierrechts, 9. Aufl. (2000)

HUGUENIN, Obligationenrecht, Allgemeiner und Besonderer Teil, 3. Aufl. (2019)

KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil: Handbuch des allgemeinen

Schuldrechts ohne Deliktsrecht, 4. Aufl. (2017)

SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2016)

Seite 20

Literaturverzeichnis

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 21

Kommentare

Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I (Hrsg. v.

HONSELL/VOGT/WIEGAND, 6. Aufl. (2015)

Berner Kommentar, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, verschiedene Auflagen

und Jahrgänge

Zürcher Kommentar, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, verschiedene Auflagen

und Jahrgänge

HONSELL (Hrsg.), Obligationenrecht Art. 1 - 529 OR. Kurzkommentar (2014)

KOSTKIEWICZ/WOLF/AMSTUTZ/FRANKHAUSER (Hrsg.), OR-Handkommentar Schweizerisches

Obligationenrecht, 3. Aufl. (2016)

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 22

Lehrmaterialien

AEBI/FISCHER, Repetitorium Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (2018)

BUCHER/WIEGAND, Übungen im Obligationenrecht: Fallsammlung mit Lösungsvorschlägen, 3.

Aufl. (2001)

GERHARDT/LEISINGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil: Fragen und

Antworten (2005)

HONSELL, Fälle mit Lösungen zum Obligationenrecht: Mit einer Einführung in die Methode

der Fallbearbeitung, 4. Aufl. (2017)

HUGUENIN/HOTZ, Fälle zum Obligationenrecht, Band I: Allgemeiner Teil (2014)

SCHULIN/VOGT, Tafeln zum schweizerischen Obligationenrecht, 5. Aufl. (2012)

PURTSCHERT/MAISSEN, OR AT BT, 2. Aufl. (2018)

OR 2020

Neuer Gesetzesentwurf zum OR AT

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A. Die «Obligation»

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

I. Begriff

• Rechtsverhältnis, aufgrund dessen eine Person, der Gläubiger, von einer

anderen, dem Schuldner, eine Leistung fordern kann = Schuldverhältnis

i.e.S.

• Gesamtes Rechtsverhältnis von Gläubiger und Schuldner mit allen

vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen (aus Haupt- und

Nebenpflichten) und Gestaltungsrechten (Anfechtung, Rücktritt,

Kündigung, Wandelung,…) = Schuldverhältnis i.w.S.

• Verständnis vom Schuldverhältnis i.w.S. ist realitätsnah, weil in aller

Regel nicht nur eine (Haupt-)Leistung geschuldet wird.

Seite 24

1. Definition

A. Die Obligation > I. Begriff > 1. Definition

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Forderung

• Forderung = relatives Recht

→ Dritte nicht betroffen

• Beispiel:

V verkauft sein Buch zunächst an K1, später noch einmal an K2, dem er

es auch übergibt und übereignet. K1 fordert von K2 die Herausgabe des

Buches.

• Lösung:

Grundsatz: Anspruch nach Art. 184 I OR steht K1 nur gegen V zu

(„relatives“ Recht)

→ kein Anspruch von K1 gegen K2

Ausnahme: K2 verleitet V in der Absicht, seinen Wettbewerber K1 zu

schädigen, zum Vertragsbruch → Art. 41 II OR bzw. Art. 4 UWG

Seite 25

2. Erläuterungen

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

„Eingriff in fremde Forderungsrechte“

Seite 26

V

K1 K2

Ansprüche aus KV1 Ansprüche aus KV2Eingriff!

Kein Anspruch aus KV1

Ggf. Ansprüche aus:

• Art. 41 II OR

• Art. 4 lit. a UWG

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

BGE 114 II 91 («Dior»)

Seite 27

Dior

VH FH

Eingriff!

Keine Ansprüche aus Vertriebsvertrag mit VH

Ggf. Ansprüche aus:

• Art. 41 II OR

• Art. 4 lit. a UWG

Anspruch auf Lieferung

(Kaufvertrag)

Anspruch auf Unterlassung

von Weiterverkäufen an

Händler (Vertriebsvertrag)

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

b. Leistung = Tun, Dulden oder Unterlassen des Schuldners

• Tun: Zahlung von Geld, Übergabe einer Sache

• Dulden: Benutzung eines Weges

• Unterlassen: Konkurrenzverbot des AN

Seite 28A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Synallagma = mehrere Leistungen stehen in einem Austauschverhältnis,

sodass jede Partei zugleich Gläubigerin und Schuldnerin ist

• Beispiel:

K kauft von V ein Auto zum Preis von CHF 24.000.--

→ K ist Gläubiger hinsichtlich des Autos,

Schuldner hinsichtlich des Geldes

→ V ist Gläubiger hinsichtlich des Geldes,

Schuldner hinsichtlich des Autos

→ vgl. Art. 184 I OR - „vollkommen zweiseitiger“

oder „synallagmatischer“ Vertrag

Seite 29A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 30

V K

G

S

S

G

Kaufpreis

Kaufsache

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 31

d. Unvollkommen zweiseitiger Vertrag = die gegenseitig geschuldeten

Leistungen stehen nicht im Austauschverhältnis

• Beispiel:

Freund F erledigt unentgeltlich ein Geschäft des H und wendet dafür

CHF 20.-- Fahrtspesen auf (unentgeltlicher Auftrag)

→ H ist Gläubiger hinsichtlich der Geschäfts-

besorgung, Schuldner hinsichtlich des

Aufwandersatzes

→ F ist Gläubiger hinsichtlich des Aufwander-

satzes, Schuldner hinsichtlich der Geschäfts-

besorgung

→ aber: die Leistungen stehen in keinem

Austauschverhältnis (Aufwandersatz ist kein

„Entgelt“) = „unvollkommen zweiseitiger“

Vertrag

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 32

H F

G

S

S

G

Geschäft

Aufwand

Kein Entgelt!

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

e. Einseitig verpflichtender Vertrag = nur eine Partei schuldet eine Leistung

• Beispiel: Schenkungsvertrag (Art. 239 ff. OR)

Großvater O schenkt seinem Enkel E ein Buch

→ O ist nur Schuldner, E nur Gläubiger

→ „einseitig verpflichtender“ Vertrag

Seite 33

E G S OBuch

A. Die Obligation > I. Begriff > 2. Erläuterungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

II. Einteilung der Obligationen

• Ziel- oder einfaches Schuldverhältnis = endet mit der einmaligen

Erbringung der Leistung (z.B. Kaufvertrag über ein Buch; auch:

Ratenkauf!)

• Dauerschuldverhältnis = Leistungen werden über einen Zeitraum hinweg

erbracht (z.B. Miete, Arbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag; auch:

Sukzessivlieferungsverträge [Strombezug])

Seite 34

1. Nach der Dauer

A. Die Obligation > II. Einteilung der Obligation > 1. Nach der Dauer

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 35

2. Nach dem Entstehungsgrund

Obligationen

vertragliche gesetzliche

• Schuldvertrag

(z.B. Kauf, Art. 184 ff. OR)

• Einseitiges verpflichtendes RG

(z.B. Auslobung, Art. 8 I OR)

• Delikt (Art. 41 ff. OR)

• Bereicherung (Art. 62 ff. OR)

• GoA (Art. 419 ff. OR)

Cic

Vertrauenshaftung

«faktischer Vertrag»

A. Die Obligation > II. Einteilung der Obligation > 2. Nach dem Entstehungsgrund

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

B. Entstehung der Obligation: Vertrag

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

I. Vertragsbegriff

• Vertrag = zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft

→ KONSENS erforderlich! (Art. 1 I OR)

• Beispiele:

Zweiseitiges RG = Kaufvertrag

K V

(Interessenausgleich)

Seite 37B. Entstehung der Obligation: Vertrag > I. Vertragsbegriff

Kaufpreis

Kaufsache

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Mehrseitiges Rechtsgeschäft = Gesellschaftsvertrag

Seite 38

(gleichgerichtete Interessen)

Gesellschafts

-vertrag

G1

G2G3

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > I. Vertragsbegriff

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Einseitiges Rechtsgeschäft: z.B. Auslobung (Art. 8 OR)

Seite 39

A BKein Vertrag/Konsens

Wer meinen Hund

zurück bringt,

bekommt CHF 1000.--

Das ist der Hund von A,

ich bringe ihn ihr zurück!

Leistung ohne

Verpflichtung

Auslobung =

Verpflichtung

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > I. Vertragsbegriff

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Unterscheide!

Seite 40

Auslobung (Art. 8 OR)

• einseitiges RG

des Auslobenden

(KEIN Konsens)

• einseitig verpflichtend

(Auslobender)

Schenkung (Art. 239 OR)

• zweiseitiges RG von

Schenker und Be-

schenktem (Konsens!)

• einseitig verpflichtend

(Schenker)

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > I. Vertragsbegriff

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

II. Zustandekommen

• Art. 1 OR: „…übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung…“

• Willenserklärungen = auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet,

bringt also einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck ( Gegensatz:

Gefälligkeit, Letter of Intent)

• ausdrücklich oder konkludent (Art. 1 II OR)

• aber: blosses Schweigen = KEINE Willenserklärung

Seite 41

1. „Konsens“

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 1. Konsens

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Vertrag = Antrag + Annahme

Seite 42

A B

Antrag: «TV für CHF 1’000.—»

Annahme: «Ja»

Konsens

Kaufvertrag

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 1. Konsens

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Begriff

• einseitiges Rechtsgeschäft (Willenserklärung)

• auf Abschluss eines Vertrages gerichtet

• inhaltlich bestimmt (mindestens essentialia negotii = kann durch ein „ja“

angenommen werden)

• empfangsbedürftig (muss Antrags-„empfänger“ zugehen)

Seite 43

2. Antrag (vgl. Art. 3 OR)

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 2. Antrag

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

b. Wirkung des Antrags

• Bindung des Antragstellers (→ Gestaltungsrecht des

Antragsempfängers!; Ausnahme: „freibleibend“-Offerte)

• ab Zugang beim Antragsempfänger (zuvor ist Widerruf des erklärten

Antrags möglich; Art. 9 I OR)

• bis Ablauf der Antragsbindungsfrist (siehe Art. 4, 5 OR; lesen!)

vorrangig: Fristbestimmung im Antrag

mangels Fristbestimmung:

unter Anwesenden: sofortige Annahme

unter Abwesenden: angemessene Frist (Überlegungs- und

Transportzeit)

Seite 44B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 2. Antrag

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 45

A A B

01.10.2007

Innerer Vorgang;

= Wollen im psycho-

logischen Sinne

KEINE Willenserklärung

3.10.2007, 13:34 Uhr 3.10.2007, 13:57 Uhr

Willenserklärung ist

existent aber noch nicht

bindend (noch kein

Empfang)

Willenserklärung geht

zu und bindet A;

B hat angemessene

Annahmefrist gem.

Art. 5 I, II OR

Möchte meinen

TV für CHF 1’000.--

verkaufen

Von: [email protected]

An: [email protected]

„Biete meinen TV

für CHF 1’000.--“

Inbox:

[email protected]

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 2. Antrag

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Abgrenzung zur invitatio ad offerendum

• = unverbindliche Einladung, einen Antrag zu stellen (vgl. Art. 7 I OR)

• Z.B. „ZGB“ im Schaufenster der Buchhandlung

Keine Preisauszeichnung: invitatio

Preisauszeichnung: Antrag (Art. 7 III OR)

• Z.B. Versand von Prospekten (Art. 7 II OR)

Seite 46B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 2. Antrag

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Z.B. Inserat in www.homegate.ch; Vermieter zeigt Wohnung am

23.10.2018; Interessenten melden sich an; Vermieter ruft einen

Interessenten am 1.11.2018 zurück und meint, er würde ihm gerne die

Wohnung vermieten→ ?

unverbindliches Inserat

unverbindliches Zeigen/Besichtigen der Wohnung

unverbindliche Anmeldung als „Mietinteressent“, weil „Interesse

äussern“ noch keine (verbindliche) Willenserklärung/Antrag ist

Rückruf = Antrag!

Seite 47B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 2. Antrag

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

d. Insb.: Zusendung unbestellter Ware (Art. 6a OR)

• Beispiel: E erhält vom Verlag X eine Enzyklopädie in 4 Bänden; der

Lieferung liegt eine „Rechnung“ samt Zahlschein (CHF 1’200.--) bei; E

verwendet die Enzyklopädie mehrmals, entsorgt sie dann aber aus

Platzmangel

→ was schuldet E?

• aus Kaufvertrag?

Zusendung ist kein Antrag (Art. 6a I OR!)

Benutzung daher keine Annahme

→ keine Haftung aus Vertrag

• aus Delikt, …?

→ nein, s. Art. 6a II OR

• Ergebnis: E schuldet nichts.

Seite 48B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 2. Antrag

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a. Begriff

• einseitiges Rechtsgeschäft (Willenserklärung)

• Einverständnis mit objektiv und subjektiv wesentlichen Punkten (vgl. Art. 2

OR; lesen!)

• Empfangsbedürftig

→ V kommt mit Zugang der Annahme beim Antragenden zustande (aber:

Vertragswirkungen nach Art. 10 I OR; z.B. Art. 119 ↔ 20 OR!)

• Zugang binnen der Annahmefrist

Seite 49

3. Annahme

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 3. Annahme

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b. Ausnahme: Annahme durch (blosses) Stillschweigen (Art. 6 OR)

• Natur des Geschäfts

z.B. nur vorteilhafter Vertrag (Schenkung)

• Umstände

Gepflogenheiten der Parteien

Antrag nach invitatio ad offerendum

• Insb.: Art. 395 OR (lesen!)

Seite 50B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 3. Annahme

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• = inhaltliche Übereinstimmung von Antrag und Annahme → bilden

zusammen Vertrag (hier: zweiseitiges RG)

• Inhalt des Antrags/der Annahme? = Ergebnis der Auslegung

Willenstheorie (vgl. Art. 18 I OR; insb. falsa demonstratio non nocet;

vgl. BGE 123 III 35 E. 2b.)

Erklärungstheorie

(vermittelnde) Vertrauenstheorie

Seite 51

4. Übereinstimmung von Angebot und Annahme (Konsens)

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 4. Übereinstimmung

(Konsens)

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiel:

A, ein pensionierter ZGB-Professor, bietet seinem Nachfolger B „seine

Bibel“ für CHF 20.-- zum Kauf an. A meint damit sein mit handschriftlichen

Anmerkungen versehenes Lehrbuch zum ZGB.

B antwortet mit „sehr gerne“ und meint:

(Variante 1) ein ZGB-Lehrbuch gekauft zu haben (weil er A und dessen

„Bibel“ sehr gut kennt);

(Variante 2) eine Bibel gekauft zu haben (weil er A erst kurz und dessen

„Bibel“ nicht kennt).

Auslegungsergebnisse nach der Willens-, Erklärungs- und

Vertrauenstheorie?

Seite 52B. Entstehung der Obligation: Vertrag > II. Zustandekommen > 4. Übereinstimmung

(Konsens)

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

5. Exkurs: automatisierte Willenserklärungen

a. Elektronische Willenserklärung

• elektronisches Medium dient lediglich als «Werkzeug».

• formell und materiell geht die Erklärung vom Menschen aus

• Bsp: E-Mail

b. Automatisierte Willenserklärung

• Technologie als Erzeugungshilfe der Erklärung

• relevante Aktionsparameter vorprogrammiert

• Hilfe kann minimal sein oder bis zur vollen Automatisierung reichen

• vollautomatisiert → weder bei Erstellung noch bei Absendung der

Willenserklärung sind Menschen unmittelbar beteiligt

• Bsp: Online-Shop mit vollautomatisierter Bestellungsentgegennahme und

–ausführung, wobei die Handlungsparameter vordefiniert sind

Seite 53

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c. Agentenerklärung

• autonomer elektronischer Agent, der zu adaptivem und autonomem

Handeln fähig ist

• lernt aus vergangenen Entscheidungen und reagiert auf nicht

vorprogrammierte Situationen

• Problem: hinreichend konkreter Wille des Benutzers zum

Vertragsschluss?

• Bsp: Softwareprogramm vermag die Auswahl von Lieferanten aufgrund

von Qualitätsmerkmalen anzupassen (bspw. weil erkannt wurde, dass

der eine Lieferant weniger Produktionsfehler verzeichnet).

Beachte: Eine einheitliche Terminologie existiert (noch) nicht.

Seite 54

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III. Auslegung und Ergänzung des Vertrags

a. Sprachgebrauch („Wortlaut“)

• individueller („authentische Definition“; z.B. „Unfall“ i.S.d. AUB)

• allgemeiner (z.B.: Deckungsausschluss von „Operationen“ in AUB →

„Operation“ = chirurgischer Eingriff zwecks Änderung oder Beseitigung

eines bestehenden Zustandes im Sinn einer therapeutischen

Massnahme

→ nicht „Myelographie“(BGE 85 II 344 [348])

• branchenüblicher Gebrauch, z.B. „INCOTERMS“ („Erklärungssitte“)

• fachspezifischer Gebrauch, insb. unter Experten, z.B. Ärzten

Seite 55

1. Auslegungsmittel

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 1. Auslegungsmittel

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b. Sonstige Umstände, z.B.

• Ort und Zeit des Vertragsschlusses

• Verhalten vor (= Verhandlungen!) und nach (= Erfüllung!)

Vertragsschluss

c. Vertragszweck

• nicht: einseitiges Vertragsschlussmotiv!

d. Treu und Glauben

• „objektivierte Auslegung“

Seite 56B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 1. Auslegungsmittel

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e. Typische Ausprägungen dieser Grundsätze

• Verbot“ der Wortlautinterpretation

• Systematische bzw. ganzheitliche Auslegung

• Gesetzeskonforme Auslegung

• Favor negotii (Auslegung, die dem Vertrag Gültigkeit und weitestgehende

Wirkung verleiht)

Seite 57B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 1. Auslegungsmittel

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a. Problem

• Parteien sehen nicht jedes Problem voraus (es gibt keinen „vollständigen

Vertrag“)

• Vertrag enthält „planwidrige Lücken“

• „Auslegung“ (= Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens) hilft nicht

weiter

b. Instrumente der Lückenfüllung

• dispositives Recht

• Verkehrssitte/Handelsbrauch (z.B. Art. 189 I)

• ergänzende Vertragsauslegung(= Ermittlung des „hypothetischen“

Parteiwillens)

Seite 58

2. Ergänzung

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 2. Ergänzung

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c. hypothetischer Parteiwille

• = Suche nach dem Vertragsinhalt, den redliche Parteien in der Situation

der Vertragspartner nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie

die Regelungslücke erkannt hätten

• = „Fortdenken“ des tatsächlichen Parteiwillens

• äusserste Grenze = tatsächlicher Parteiwille

Seite 59B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 2. Ergänzung

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d. Rangordnung der Ergänzungsinstrumente

• Str.!

• Vorrang dispositiven Rechts

Bindung des Richters an Gesetz

kein abweichender realer Parteiwille

• Vorrang des hypothetischen Parteiwillens

= Fortdenken des realen Parteiwillens → steht der individuellen

Regelung näher als „objektive“ Regelung durch dispositives Recht

jedenfalls, wenn dispositives Recht und realer Parteiwille unvereinbar

sind

• ev. differenzierte Lösung?!

Seite 60B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 2. Ergänzung

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Beispiel:

M, der von V Geschäftsräume mieten will, fordert eine 10-jährige Mietdauer,

weil sich erst ab dem 4. Geschäftsjahr die Investitionen „lohnen“ würden; V,

dem 10 Jahre zu lang sind, meint, man würde sich bestimmt noch für beide

Teile zufrieden stellend einigen. Daraufhin übernimmt M die Räume und

bezahlt die ersten beiden Mieten.

M und V haben zwischenzeitlich einen Streit begonnen, weswegen V den

Mietvertrag unter Berufung auf Art. 266d OR kündigt.

→ Ist die Kündigung wirksam?

Seite 61B. Entstehung der Obligation: Vertrag > III. Auslegung und Ergänzung > 2. Ergänzung

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IV. Gültigkeitsvoraussetzungen

a. Formzwang

• Ausnahme zum Grundsatz der Formfreiheit (= Teil der Vertragsfreiheit;

vgl. Art. 11 I OR)

• aufgrund gesetzlicher Formvorschrift (vgl. Art. 11 I OR; Beispiele: Art.

216 I OR [Grundstückskauf]; Art. 243 OR [Schenkungsversprechen]; Art.

356c I OR; Art. 408 II OR [Kreditauftrag]; Art. 493 OR [Bürgschaft])

• Rechtfertigung durch Formzweck

Seite 62

1. Form

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 1. Form

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b. Formzwecke

• Warnung der Vertragspartei(en)

• Beweissicherung für Vertragspartei(en)

• Publizität (Art. 165 I OR; Art. 991, 992 OR)

• Kontrolle (z.B. Registerführung; vgl. Art. 216 I OR und Art. 656 I ZGB)

c. Formtypen

• einfache Schriftlichkeit (Art. 12 – 15 OR)

• qualifizierte Schriftlichkeit (Art. 493 II 2 OR; Art. 9 ff. KKG)

• öffentliche Beurkundung (vgl. Art 55 I schlT ZGB; s. Art. 493 II 1 OR; Art.

216 I, II OR; Art. 243 II OR)

Seite 63B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 1. Form

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d. Reichweite des Formzwangs

• alle objektiv und subjektiv wesentlichen Vertragsbestandteile

• Beispiel 1: K und V einigen sich auf Grundstückskauf für CHF 900.000.--;

weiter vereinbaren sie, dass K den Preis in 10 Monatsraten zu je CHF

90’000.-- erbringen soll; V garantiert die im Vertrag angegebene Grösse

des Grundstücks; beurkundet werden nur der Kaufgegenstand und der

Kaufpreis → formpflichtig = alle subjektiv und objektiv wesentlichen

Vertragsbestandteile, also auch die erwähnten Nebenabreden

• Beispiel 2: K und V einigen sich auf Grundstückskauf für CHF 900’000.--;

V ist Architekt und verpflichtet sich, für CHF 60’000.-- die Bebauung des

Grundstücks zu konzipieren und zu überwachen. Beurkundet wird nur der

Grundstückskauf nicht aber der verbundene Architektenvertrag

→ 2 inhaltlich getrennte Geschäfte, auch wenn Architektenvertrag nicht

ohne Grundstückskauf geschlossen worden wäre

→ anders: Architekt veräussert Grundstück und erbringt Architektenleistung

zu einem Gesamtpreis (CHF 960’000.--)

Seite 64B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 1. Form

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• Beispiel 3: S verspricht E, ihm ein Auto in Wert von CHF 30’000 zu

schenken, sobald er seinen Studienabschluss hat. Diese Vereinbarung

halten sie gemäss Art. 243 Abs. 1 OR schriftlich fest und unterzeichnen

sie (einfache Schriftlichkeit).

• Beispiel 4: V will M seine Wohnung kündigen. Dazu verwendet er das

vom Kanton genehmigte Formular gemäss Art. 266l Abs. 2 OR, welches

darüber Auskunft gibt, wie M vorzugehen hat, wenn er die Kündigung

anfechten oder eine Erstreckung des Mietverhältnisses will (qualifizierte

Schriftlichkeit).

Seite 65

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e. Rechtsfolge des Formmangels

• Grundsatz: absolute, von Amts wegen zu beachtende Nichtigkeit (str.)

• Ausnahmen:

gesetzliche Sondervorschriften (Art. 15 KKG)

missbräuchliche Berufung auf Formnichtigkeit (Art. 2 ZGB)

o Berufung auf Formnichtigkeit nach Erfüllung

o arglistige Veranlassung des Formmangels

(BGE 104 II 99; vgl. Scheingeschäft↓)

Seite 66B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 1. Form

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f. Teilnichtigkeit

Beispiel:

beurkundeter GrundstückskaufV; Klausel über Konventionalstrafe irrtümlich

nicht beurkundet

→ Klausel nichtig (Art. 216 I OR)

→ Gesamtvertrag nichtig?

→ Art. 20 II OR (analog) = hypothetischer Parteiwille entscheidet

(= ergänzende Vertragsauslegung)

Seite 67B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 1. Form

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g. Umdeutung (Konversion)

• formnichtiges Geschäft wird als ein anderes, nicht formpflichtiges

Geschäft aufrecht erhalten, das dem Geschäftszweck des nichtigen

zumindest nahe kommt

• Beispiel: formunwirksame Inkassozession (s. Art. 165 I OR) →

Umdeutung in eine nicht formbedürftige Inkassovollmacht

• hypothetischer Parteiwille entscheidet (= ergänzende Vertragsauslegung)

h. Vereinbarte Form (gewillkürte Form)

• bei Fehlen einer gesetzlichen Formvorschrift

• Grundlage: Vereinbarung (bedarf selbst keiner Form)

• kann einvernehmlich (auch formlos!) aufgehoben werden

• im Zweifel konstitutiv (Art. 16 I OR)

Seite 68B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 1. Form

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• Vertrag, der auf eine anfänglich und objektiv unmögliche Leistung

gerichtet ist, ist gemäss Art. 20 I OR nichtig

• evtl. Teilnichtigkeit (Art. 20 II OR)

• rechtspolitisch umstritten!

Seite 69

2. Möglichkeit

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 2. Möglichkeit

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a. Übersicht

Seite 70

3. Widerrechtlichkeit

Widerrechtlichkeit

Zwingendes

VertragsrechtÖffentliche Ordnung

Persönlichkeits-

rechte

Klausel

unbeachtlich

(im Zweifel)

Nichtigkeit

- Reduktion

- Einseitig

unwirksam

Oder:

«sittenwidrig»?

[str.]

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen >

3. Widerrechtlichkeit

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b. Öffentliche Ordnung

• „Verbotsnormen“ (Teleologie!)

JA: Vertrag, der gegen Strafrecht verstösst

NEIN: Vertrag, der gegen LadenschlussG verstösst

• Teilnichtigkeit gemäss hypothetischem Parteiwillen? → ja, wenn mit

Zweck der Verbotsnorm vereinbar

Seite 71B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen >

3. Widerrechtlichkeit

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c. Persönlichkeitsrechte (Art. 27 ZGB)

• Rechts- und Handlungsfähigkeit (Art. 27 I ZGB)

• Freiheit (Art. 27 II ZGB)

(relative) Unwirksamkeit: „Stuntman“ kann aussteigen,

Vertragspartner nicht (vgl. Koller , OR AT 1 Rn 145 (Auflage 2009))

oder

Reduktion auf ein verträgliches Mass: „ewiger“ Vertrag →

Kündigungsmöglichkeit

(vgl. Koller , OR AT §13.157)

Seite 72B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen >

3. Widerrechtlichkeit

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a. „Gute Sitten“

= Anstandsgefühl der gerecht und billig Denkenden („herrschende Moral“)

Oder

= Ordnungsprinzipien und Wertmassstäbe (z.B. Grundrechte!) der gesamten

Rechtsordnung („Ethik der Rechtsordnung“)

Seite 73

4. Sittenkonformität

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 4. Sittenkonformität

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b. Fallgruppen

Seite 74

Sittenwidrigkeit

Verstoss gegen

die Sexualmoral

(vgl. BGE 129 III

604)

- Prostitution

- Nicht:

Pornographie

Einflussnahmen

- Verleitung zum

Vertragsschluss

(Schmiergeld; BGE

119 II 380)

- Verleitung zum

Vertragsbruch

(BGE 114 II 91[↑])

- Beeinflussung

einer Versteigerung

(BGE 109 II 123;

BGE 112 II 123)

Inäquivalenz?

• Art. 21 OR

- subjektive

Kriterien

- befristete

Anfechtung [↓]

• daneben auch

Art. 20 I OR bei

besonders

krasser

Inäquivalenz?

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 4. Sittenkonformität

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c. Rechtsfolgen

• Nichtigkeit (Art. 20 I OR)

• ev. Teilnichtigkeit (Art. 20 II OR)

Seite 75B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 4. Sittenkonformität

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Seite 76

5. Übersicht

Nichtigkeit

= Vertrag als nicht geschlossen behandelt

→ KEIN vertragliches Rückgewährschuld-

verhältnis

→ SONDERN: Art. 641 II ZGB; Art. 62 ff. OR

Grundsatz

- Absolut

- von Amts wegen

zu berücksichtigen

(noch) Ausnahme

- Relativ

- von Partei geltend

zu machen

- z.B. Art. 27 II ZGB …

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > IV. Gültigkeitsvoraussetzungen > 5. Übersicht

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V. Einseitige Unverbindlichkeit

• Ungültigkeit, die nur von einer Partei geltend gemacht werden kann

• Anfechtbarkeit, d.h. Vertrag vorbehaltlich einer Anfechtung gültig

• h.M.: ex tunc; KEIN vertragliches Rückabwicklungsverhältnis, sondern

Rückabwicklung nach Sachen- und Bereicherungsrecht

• Übervorteilung (Art. 21 OR) [↑]

• Irrtum (Art. 23 – 27 OR)

• Täuschung (Art. 28 OR)

• Drohung (Art. 29, 30 OR)

Seite 77

1. Begriff

2. Gründe

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 1. Begriff

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• Erklärung (vgl. Art. 31 I OR; Art. 21 I OR)

• Frist = 1 Jahr (Art. 31 I OR; Art. 21 I OR)

ab Entdeckung von Irrtum oder Täuschung (Art. 31 II OR)

bzw.

– ab Beseitigung der Drohung (Art. 31 II OR)

– ab Vertragsschluss bei Übervorteilung (Art. 21 II OR)

Seite 78

3. Geltendmachung

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 3. Geltendmachung

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a. Begriff

• falsche Vorstellung über die Wirklichkeit

• a. falsche Vorstellung über das Erklärte (Diskrepanz von Wille und

Erklärung; fehlerhafter Erklärungsakt oder Inhalt = Erklärungsirrtum)

• b. falsche Vorstellung über Grundlagen der Erklärung (Grundlagenirrtum)

Seite 79

4. Irrtum (Art. 23 – 27 OR)

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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Beispiele:

a. N unterschreibt das ihr vorgelegte Schriftstück „blind“, weil sie aufgrund

der Umstände davon ausgeht, es handle sich um ein Glückwunschschreiben

an einen Kunden. Später bemerkt sie, dass es sich um einen Bestellbrief

gehandelt hat

b. O stellt seinem Gläubiger zur Besicherung der Forderung in Höhe von

CHF 1.000.-- einen blanko-Wechsel aus. G füllt den Wechsel mit dem

Betrag von CHF 10.000.-- aus

c. M möchte mit der Bahn von Zürich nach Genf und zurück reisen; in die

Maske der Internet-Buchung trägt M als Abfahrtsort Genf und als Zielort

Zürich ein

d. P schickt den angestellten Fahrer F mit der Botschaft zu seinem

Geschäftspartner G, P wolle von G 2 Fuhren Zement; F notiert die Botschaft

schlampig und erklärt gegenüber G, P wolle 20 Fuhren Zement

Seite 80B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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e. R wendet sich an Künstler M, weil er ihn für den berühmten Portraitisten

N hält

f. S kauft von V „dessen“ Auto, weil er meint, es handle sich um den (in

Wirklichkeit gemieteten) Porsche, mit dem er V häufig sieht

g. T kauft ihrem Mann ein Fahrrad, weil sie fälschlich davon ausgeht, dieser

würde sich darüber freuen

h. U kalkuliert seine Preise für Musikinstrumente unter Zugrundelegung der

Anschaffungskosten zuzüglich 100% Gewinnaufschlag; infolge eines

Rechenfehlers (Variante 1) bzw. Schreibfehlers bei der Preisauszeichnung

(Variante 2) verkauft U mehrere Stück weit unter dem gewollten Preis

i. Metzger V kauft beim Produzenten W 120 Kilo Fleisch à CHF 15.--; im

schriftlichen Vertrag wird der Kaufpreis mit „CHF 15.-- /Kilo = CHF 1.600.--“

angegeben

j. Kunsthändler K kauft ein Gemälde, weil er es für künstlerisch wertvoll und

daher für gewinnträchtig veräusserbar hält

Seite 81B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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k. Kunstsammler L kauft ein Gemälde, weil er es für einen echten Picasso hält

l. A kauft ein Auto von B, weil er ihn für einen „offiziellen“ Vertragshändler des

Produzenten hält

m. M und F beenden ihren Streit über den Prozentsatz zur Berechnung des

Unterhalts der F mit einen Vergleich für die nächsten 5 Jahre; dabei gehen sie

von einem Jahreseinkommen des M von CHF 140.000.-- aus; später stellt

sich heraus, dass M im Zeitpunkt des Vergleichs jährlich CHF 160.000.--

verdiente; ein Jahr später verliert M seine Stelle und muss eine wesentlich

schlechter dotierte Stelle antreten

Seite 82B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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b. Wesentlicher Irrtum (Art. 23 OR)

• Begriff

Irrender hätte Vertrag nicht (so) geschlossen (subjektive

Wesentlichkeit)

Irrendem ist Bindung gemäss Treu und Glauben nicht zumutbar

(objektive Wesentlichkeit)

• „Vermutete“ Wesentlichkeit (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 – 3 OR)

error in negotio

error in obiecto

error in persona

error in quantitate

Seite 83B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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• notwendige Grundlage des Vertrages (Art. 24 I Z. 4 OR)

subjektive Wesentlichkeit im Sinne einer conditio sine qua non

objektive Wesentlichkeit nach Treu und Glauben (= Abstellen auf

redlichen Dritten)

Erkennbarkeit der subjektiven und objektiven Wesentlichkeit für

Vertragspartner [str.]

Seite 84B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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c. Rechtsfolgen

• einseitige Unverbindlichkeit (Art. 23 OR) [↑]

• Ausnahmen:

Treu und Glauben (Art. 25 I OR)

z.B. Lösung vom Vertrag nach verschuldetem Unmöglichwerden der Leistung

Konversion bei Zustimmung zum vom Irrenden Gewollten durch

Vertragspartner (nur bei Erklärungsirrtum!; Art. 25 II OR)

Genehmigung des Erklärten durch Irrenden

Seite 85B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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• Schadenersatz (Art. 26 OR)

Verschulden des Irrenden (Art. 26 I OR)

weder Kenntnis noch Kennenmüssen durch Vertragspartner (Art. 26 I OR;

„Kulpakompensation“)

negatives Interesse („…aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen

Schadens…“; Art. 26 I OR)

ausnahmsweise („Billigkeit“): positives Interesse (Art. 26 II OR)

Seite 86B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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Seite 87

Irrtum

Erklärungsirrtum Motivirrtum

in…

negotio,

objecto,

persona,

quantitate

Art. 24 I Z. 1-3

subjektiv und

objektiv

wesentlich

Art. 23

einfach

Art. 24 II

keine

Anfechtung!

qualifiziert

Art. 24 I Z. 4

Art. 24 III

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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d. Grundlagenirrtum und clausula rebus sic stantibus (BGE 127 III 300)

• c.r.s.s. betrifft Änderung von Umständen in der Zukunft → Abgrenzung

zum Grundlagenirrtum nur notwendig, wenn dieser auch ein Irrtum über

zukünftige Ereignisse sein kann

• Rechtsfolgen: einseitige Unverbindlichkeit ↔ Vertragsanpassung

(„ergänzende Auslegung)

• Rechtsgrundlagen

Art. 24 I Z. 4 OR ↔ Art. 2 II ZGB bzw. ergänzende Vertragsauslegung

Seite 88B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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• Voraussetzungen

Fehlen gesetzlicher oder vertraglicher Risikoverteilung

(z.B. Gefahrtragung)

mangelnde Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit

(z.B. regelmässige Inflation ↔ Währungsverfall)

gravierende Äquivalenzstörung

Vertrag wird nicht vorbehaltlos erfüllt

Seite 89B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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• Rechtsfolgen

Grundsatz: Anpassung nach den Massstäben der ergänzenden

Auslegung [↑]

Ausnahme: Auflösung des Vertrags

Seite 90B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 4. Irrtum

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Seite 91

5. Täuschung (Art. 28 OR)

Beispiel 1:

Autohändler A dreht bei einem PKW den Stand des Tachometers von

150.000 auf 85.000 km zurück; K kauft den PKW zu einem Preis, wie er für

PKW mit 85.000 gefahrenen km üblich ist.

Beispiel 2:

Autohändler A verkauft einen PKW, von dem er weiss, dass es sich um

einen Unfallwagen handelt. Dem Käufer K sagt A nichts vom Unfall, er

behauptet aber auch nicht, der PKW sei „unfallfrei“.

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Täuschung

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a. Voraussetzungen der Täuschung (Art. 28 I OR)

• Vorspiegelung falscher Tatsachen

durch unrichtige Erklärungen (Beispiel 1)

durch Verschweigen, wo eine Aufklärungspflicht besteht (Beispiel 2)

• Absicht (Eventualvorsatz genügt: Erklärungen „ins Blaue hinein“)

• Kausalität zwischen Täuschung und geschlossenem Vertrag

(Getäuschter hätte den Vertrag ohne Täuschung nicht oder nicht so

geschlossen) – vgl. Beispiele 1 und 2

• ↔ nicht entscheidend: Wesentlichkeit des Irrtums des Getäuschten

Seite 92B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Täuschung

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b. Täuschung durch Dritte (Art. 28 II OR)

Gesetzeswortlaut: nur relevant, wenn Vertragspartner Täuschung gekannt

hat oder hätte kennen müssen (vgl. Art. 3 II ZGB)

• Problem:

«hätte kennen müssen» beschreibt einen Fahrlässigkeitstatbestand, der bei

der Täuschung durch den Vertragspartner gemäss Art. 28 Abs. 1 OR nicht

existiert.

• Lehre:

teleologische Reduktion von Art. 28 Abs. 2 OR

→ Anfechtung nur bei Kenntnis möglich ist

Seite 93

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c. Rechtsfolgen

• einseitige Unverbindlichkeit

• ev. Vertragsmodifikation gem. hypothetischem Parteiwillen auf Verlangen

des Getäuschten

• Schadenersatz

gem. Art. 41 ff. OR bzw. cic

siehe insb. Art 31 III OR! (lesen)

Seite 94B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Täuschung

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Beispiel:

B versucht schon seit Jahren seinen Nachbarn N davon zu überzeugen, ihm

ein Gemälde von Picasso zu verkaufen. N lehnt dies strikt ab. Eines Tages

läutet B bei N, hält ihm einen Kaufvertrag unter die Nase und eine Pistole

vor die Nase. N unterschreibt.

Seite 95

5. Drohung (Art. 29, 30 OR)

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Drohung

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a. Voraussetzungen der Drohung

• Widerrechtlichkeit

angedrohtes Übel ist widerrechtlich (Tötung = Beispiel; Verletzung;

Rufmord)

angedrohtes Übel ist „an sich“ rechtmässig, jedoch widerrechtlich weil

als Drohung verwendet (Art. 30 II OR; lesen!

z.B. Drohen mit Strafanzeige falls nicht „Schweigegeld“ bezahlt wird)

• gegründete Furcht (Art. 30 I OR)

• Kausalität von Drohung und Vertragsschluss (Bedrohter hätte den

Vertrag ohne Drohung nicht oder nicht so geschlossen)

Seite 96B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Drohung

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b. Drohung durch Dritte (Art. 29 II OR)

• führt ebenfalls zur einseitigen Unverbindlichkeit! (↔ Täuschung)

• ggf. („Billigkeit“) Schadenersatzpflicht des Bedrohten gegenüber

Vertragspartner, wenn dieser Drohung weder kannte noch kennen

musste

Seite 97B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Drohung

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c. Rechtsfolgen

• Vertrag für Bedrohten unverbindlich

• ev. Vertragsmodifikation gem. hypothetischem Parteiwillen auf Verlangen

des Bedrohten

• Schadenersatz

des Bedrohten gegen Drohenden gem. Art. 41 ff. OR bzw. cic

(vgl. Art. 31 III OR!)

des Vertragspartners gegen Bedrohten bei Drohung durch Dritten und

Gutgläubigkeit (Art. 29 II OR)

Seite 98B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Drohung

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Seite 99

D

V KKV: Picasso

für V unverbindlich

Drohung

SchadenE Art. 29 II OR

SchadenE

Art. 41 ff. OR

(Art. 31 III OR)

B. Entstehung der Obligation: Vertrag > V. Einseitige Unverbindlichkeit > 5. Drohung

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C. Entstehung der Obligation: «Selbstbindung

ohne Vertrag»

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I. Faktischer Vertrag?

• tatsächliche Inanspruchnahme einer öffentlich feilgebotenen Dienstleistung

(z.B. Einsteigen in Tram)

• ev. verbunden mit protestatio facto contraria

→ Einsteigen ist dennoch eine Annahme, weil protestatio gegen das Verbot

widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium; Art. 2 ZGB)

verstösst

Seite 101C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > I. Faktischer Vertrag

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II. Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

• Z.B. Kaufmann A bestellt (mündlich) bei Kaufmann B Ware; B sendet A ein

„Bestätigungsschreiben“; dieses weicht von der Vereinbarung inhaltlich ab

→ „gilt“ der Inhalt des Bestätigungsschreibens?

• ja, wenn

Abweichungen nicht krass

kein Widerspruch durch A

• Rechtsgrund: Art. 6 OR analog?

Seite 102C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > II. Kaufmännisches

Bestätigungsschreiben

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III. Culpa in Contrahendo

a. Versicherungsvertreter A sucht B in dessen Wohnung auf. Dabei stösst er

eine wertvolle Vase des K um. Die Vase zerbricht.

b. Bankangestellter B empfiehlt einem „Lauf“kunden K eine bestimmte

Aktien als „sicher“; später fällt der Kurs der Aktie dramatisch.

c. Fachmann F verpflichtet sich zu einer von Anfang an objektiv

unmöglichen Leistung (Art. 20 I OR); Kunde K, ein unwissender Privatmann,

glaubt an die Erbringung der Leistung und investiert in Vorbereitungen.

d. V und K sind sich über den Abschluss eines Grundstückskaufs einig. V

bestärkt K darin, bereits vor Beurkundung (Art. 216 I OR) diverse

Vorbereitungen für den geplanten Hausbau zu treffen. Später lehnt V den

formgerechten Abschluss des Vertrages ab.

Seite 103

1. Beispiele

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 1. Beispiele

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• Haftung des Geschäftsherrn (a., b.)

• Beweislast für Verschulden (a. – d.)

• Haftung für reinen Vermögensschaden (b., d.)

• Haftung aus nichtigem Vertrag bzw. für Abbruch von

Vertragsverhandlungen (c.)

• Verjährung allfälliger Ansprüche (a. – d.)

Seite 104

2. Schutzdefizite des Deliktsrechts

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 2. Schutzdefizite des

Deliktsrechts

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Tatbestandsmerkmale

• Pflichtverletzung im Rahmen von Vertragsverhandlungen

• Schaden

• Kausalität

• Verschulden

b. Insb: Pflichtverletzung

• geschäftlicher (sozialer) Kontakt erzeugt besondere Pflichten zwischen

prospektiven Vertragsparteien = vorvertragliches Schuldverhältnis

• Art. 2 ZGB + Einzelvorschriften: Art. 26, 36 II, 39 OR, Art. 411 II ZGB; h.L.; Rsp.)

Seite 105

3. Haftung aus cic

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 3. Haftung aus CiC

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Typen vorvertraglicher Pflichten

• Rücksichtnahme auf Körper und Eigentum des Verhandlungspartners (a.)

• Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten (b.)

• redliches Verhandeln (keine Scheinverhandlungen; vgl. c. und d.)

Seite 106C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 3. Haftung aus CiC

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• Haftung für Gehilfen gem. Art. 101 OR

• Beweislastumkehr für Verschulden (vgl. Art. 97 I OR)

• ggf. Haftung für Vermögensschäden

• Verjährung [str.]

BGE 104 II 94 (Art. 60 I OR)

Lehre: differenziert nach Integritätsschaden (Art. 60 I OR) und

Vermögensschaden (Art. 127 OR)

Seite 107

4 . Folgerungen aus dem Schuldverhältnis

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 4. Folgerungen

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• Rücksichtnahmepflichten → Integritätsschaden (vgl. Deliktsrecht) (Beispiel a.)

• Beratungspflichtverletzung → Naturalrestitution (Aufhebung des Vertrages) und

Ersatz des Vermögensschadens (vgl. Beispiel b.)

• nichtiges Versprechen/Abbruch von Vertragsverhandlungen → negatives

Interesse (vgl. Beispiel c.)

Seite 108

5. Schadenersatz

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 5. Schadenersatz

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• „zwischen Gesetz und Vertrag“

• deliktisch/gesetzlich

• vertraglich

• sui generis insb. „Vertrauenshaftung“ [↓]

• ev. nach Haftungstatbestand differenzierte Betrachtung

Seite 109

6. Rechtsnatur

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > III. CiC > 6. Rechtsnatur

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IV. Vertrauenshaftung

• Sonderverbindung (Konzernverbund - BGE 120 II 331; Verbandssportler

– BGE 121 III 350; nicht: Liegenschaftsschätzer und späterer Käufer –

BGE130 III 345)

• Vertrauenstatbestand

• Vertrauen und -dürfen

• Vertrauensdisposition

• Vertrauensenttäuschung

• verursachter Schaden

Seite 110

1. Tatbestand

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > IV. Vertrauenshaftung >

1. Tatbestand

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Schadenersatz

• = cic? (Gehilfenhaftung, Verschulden, Verjährung,

Vermögensschadenshaftung)

Seite 111

2. Rechtsfolgen

3. Cic = Anwendungsfall der Vertrauenshaftung allenfalls partiell

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > IV. Vertrauenshaftung >

2. Rechtsfolgen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 112

BGE 120 II 331 (Swissair-Fall)

Swissair

Beteiligungen AG

IGR

Gründung

Euroactividade AG

Wibru Holding AG

Vertrag

Forderung auf

Rückzahlung des

Mitgliederbeitrages

4. Rechtsprechung

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > IV. Vertrauenshaftung >

4. Rechtsprechung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Art. 111 OR?

• Art. 41 OR?

• Vertrauenshaftung?

Unterdotierung des Tochterunternehmens begründet keine

Vertrauenshaftung

Zustellung eins Newsletters mit Falschinformationen durch die IGR an

die IGR-Vertragspartner (Mitglieder)

Wissen darüber wird Swissair angerechnet → Missachtung der

Aufklärungspflicht und Bejahung der Vertrauenshaftung

Seite 113C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > IV. Vertrauenshaftung >

4. Rechtsprechung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Athlet (Ringer) wird durch einen Sportverband für einen Wettkampf

selektioniert

• Änderung der Qualifikationsbedingungen und daraus folgender

Wettkampfausschluss des Athleten

• Unnütz gewordene Vorbereitungsspesen des Athleten

• Schadenersatzforderung gegenüber dem Sportverband?

Seite 114

BGE 121 III 350

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > IV. Vertrauenshaftung >

4. Rechtsprechung

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Seite 115

BGE 130 III 345

Gutachter

Käufer

Eigentümer resp.

Verkäufer

Gutachtervertrag

Grundstückkaufvertag Schadenersatzforderung

Vertrauenshaftung eines Gutachters gegenüber Drittpersonen?

G. Entstehung der Obligation > II. Vertrauenshaftung > 4. Rechtsprechung

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Seite 116

V. GoA (Art. 419 - 424)(GH = Geschäftsherr; GF = Geschäftsführer)

• gesetzliches Schuldverhältnis

• Geschäftsführung, ohne vom GH beauftragt zu sein

↔ Auftrag (Art. 394 ff. OR)

↔ (nachträglich) genehmigte GoA

= Auftrag (s. Art. 424 OR)

• Inhalt der Geschäftsführung = Auftrag

1. Begriff

C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 1. Begriff

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiel: GF ist von GH beauftragt, Baumaterialien zur Baustelle zu

transportieren. Dort trifft GF zwei Arbeiter von GH und hilft ihnen noch, die

Materialien in den Rohbau zu tragen. GF stürzt und verletzt sich schwer.

• GF fordert von GH

→ SchE

→ Entlohnung für seine Arbeit

• (vgl. BGE 95 II 93)

Seite 117C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 2. Tatbestand

2. Tatbestand

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• Geschäftsführung (Art. 419 OR)

= Übernahme tatsächlicher oder rechtlicher Erledigung

Beispiel: tatsächliche Erledigung

• fremdes Geschäft (Art. 419 OR: „…für einen anderen…“)

= Geschäftsführung objektiv zugunsten GH

Beispiel: zugunsten des GH

• Fremdgeschäftsführungswille (Art. 419 ↔ 423 OR)

= Absicht, im Interesse des GH zu handeln

Beispiel: GF wusste, dass er die Leistung nicht schuldete

• im Interesse des GH geboten (Art. 422 OR)

objektives Interesse (Hilfsbedürftigkeit und Dringlichkeit)

hypothetischer Wille des GH (kein gültiges Einmischungsverbot, vgl.

Art. 419 und Art. 420 Abs. 3 OR)

Beispiel: nicht im Interesse des GH geboten → unberechtigte GoA

Seite 118C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 2. Tatbestand

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Herausgabe des Erlangten

= analog Art. 400 OR

• SchE (Art. 420 OR)

Geschäftsfähigkeit vorausgesetzt (Art. 421 OR); ansonsten: Haftung nur

soweit bereichert

Grundsatz: Haftung für jede Fahrlässigkeit

gemilderte Haftung: Notgeschäftsführung

= GoA zur Schadensabwendung/-minderung (z.B. Löschmassnahmen

bei Feuer)

verschärfte Haftung: unberechtigte GoA

→ Haftung für verursachten Zufall

Seite 119C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 3. Ansprüche des GH

3. Ansprüche des GH

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• keine Vergütung

Beispiel: keine Vergütung für Arbeit

• Ersatz von Verwendungen (Art. 422 I OR)

notwendig oder nützlich

angemessen

finanzielle Verwendungen

Arbeitszeit als Verwendung? (str.)

• Beispiel: Eine Krankenschwester hilft auf der Strasse einer verunfallten

Person. Sie kann in dieser Zeit ihrer Arbeit im Spital nicht nachgehen, wo sie

auf Stundenlohnbasis angestellt ist.

Seite 120C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 4. Ansprüche des

berechtigten GF

4. Ansprüche des berechtigten GF

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• Freistellung (Art. 422 I OR)

= von eingegangenen Verpflichtungen

z.B. durch Rufen eines kostenpflichtigen Rettungsdienstes

• Risikohaftung (Art. 422 I OR)

Entschädigung nach Billigkeit gemäss Art. 4 ZGB

Verwirklichung des der GoA immanenten Risikos

ohne Verschulden des GH (BGE 48 II 491; BGE 129 III 181, vgl.

dazu: https://www.youtube.com/watch?v=KI7zeuayum4 )

ohne Verursachung durch GH

analoge Anwendung auf Gefälligkeitsverhältnisse (BGE 129 III 181)

Seite 121C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 4. Ansprüche des

berechtigten GF

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Bereicherungsanspruch (Art. 62 ff. OR, unter Vorbehalt von Art. 424 OR)

• Beispiel: Während der Weltumseglung von A leert seine Schwester den

Briefkasten für A. Als sie eine Mahngebühr findet, bezahlt sie die Rechnung,

um eine Betreibung des Bruders zu verhindern, obwohl er ihr vor der Abreise

mitgeteilt hatte, dass er zwar froh sei, dass sie seinen Briefkasten leere, aber

sie solle sich ja nicht in seine finanziellen Angelegenheiten einmischen.

Seite 122C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 5. Ansprüche des

unberechtigten GF

5. Ansprüche des unberechtigten GF

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a. Tatbestand objektiv fremdes Geschäft

• im Eigeninteresse des GF (nicht des GH)

Fehlen des Fremdgeschäftsführungswillens

Bösgläubigkeit (Wissen) des GF (z.B. BGE 129 III 422)

• Beispiel: GF vermietet Baumaschine des Eigentümers E an M und streicht den

Mietzins ein.

b. Ansprüche des GH (Art. 423 I OR)

• Herausgabe des Verletzergewinns

• Beispiel: Mieteinnahmen

c. Ansprüche des GF (Art. 423 II OR)

= nur soweit GH bereichert ist

Seite 123C. Entstehung der Obligation: Selbstbindung ohne Vertrag > V. GoA > 6. Unechte GoA

6. Unechte GoA (Art. 423 OR)

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D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte

Bereicherung

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I. Allgemeines

Seite 125

1. Begriff

„Von der RO

missbilligte Erlangung eines

Vermögensvorteils“

Eingriff in

Rechtsgüter (i.w.S.)rechtsgrundlose Leistung

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > I. Allgemeines > 1. Begriff

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Bereicherungsgläubiger =

entreicherte Partei bzw. Partei, in deren Rechtsgut eingegriffen wurde

Bereicherungsschuldner =

bereicherte Partei

= Kondiktion

Seite 126

2. Beteiligte

3. Bereicherungsanspruch

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > I. Allgemeines > 2. Beteiligte

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II. Typen der Kondiktion

Seite 127

Kondiktion (Art. 62 I OR)

Leistungskondiktion

(insb. Art. 62 II OR)

• condictio sine causa

• condictio ob causam

finitam

• condictio ob causam

futuram

Nichtleistungs-kondiktion

• Eingriffskondiktion

• [Verwendungs-,

• Rückgriffs-, und

• Zufallskondiktion]

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > II. Typen der Kondiktion

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III. Leistungskondiktion

Beispiel: [BGE 129 III 646]

G anerkennt seine Vaterschaft zur Tochter T und bezahlt der Mutter M

monatlich Unterhalt in Höhe von CHF 1’000.--. Als T 19 Jahre alt ist, ficht sie

die Vaterschaft des G erfolgreich an. Der wahre Vater ist S.

Kann G die Unterhaltszahlungen zurückfordern?

Seite 128D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Auffinden der Anspruchsgrundlage

• Art. 62 II, I OR

beachte: Art. 641 II ZGB geht vor!

• condictio sine causa oder ob causam finitam?

Exkurs: kein Vertrag („sine causa“)

nichtiger Vertrag („sine causa“)

angefochtener („vernichteter“) Vertrag („sine causa“ oder „causa finita“?)

Vertrag nach Widerruf („sine causa“ oder „causa finita“?)

Vertrag nach Rücktritt (Rückgewährschuldverhältnis!!!)

Vertrag nach Eintritt einer auflösenden Bedingung („causa finita“)

Seite 129

1. Condictio sine causa/ob causam finitam

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

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b. Leistung

= bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens

Beispiel:

• Unterhaltsleistungen „bewusst und zweckgerichtet“

• fremdes Vermögen: M/T und/oder S?!

c. Entreicherung des BereicherungsG

= 1.000.-- x 12 Monate x 20 Jahre (beachte die Frage der Verjährung!)

d. Bereicherung des BereicherungsS

M/T = Vermögenszuwachs von 1.000.-- x 12 Monate x 20 Jahre

S = - kein Vermögenszuwachs

- aber: Ersparnisbereicherung

Seite 130D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

e. Irrtum des BereicherungsG (Art. 63 I OR)

• Beispiel: G dachte, er schulde Unterhalt (= Irrtum)

• nur bei condictio sine causa

• mangels Irrtum:

Kondiktionsausschluss (Art. 63 I OR)

ausg.: unfreiwillige Leistung

• Kondiktionsausschluss trotz Irrtums:

Erfüllung verjährter Forderung (Art. 63 II 1. Alt. OR)

Erfüllung sittlicher Pflicht (Art. 63 II 2. Alt. OR; z.B. Unterhalt an nicht

berechtigten, aber nahen Angehörigen; NICHT: Die Leistung an einen

aus Vertrag Nichtberechtigten ist keine sittliche Pflicht, auch wenn

parallel eine moralische Unterstützungspflicht besteht (vgl. BGer

4A_47/2009 E. 2.3.2.)

Absicht, rechts- oder sittenwidrigen Erfolg herbeizuführen (Art. 66 OR;

vgl. BGE 134 III 438 «Gaunerlohn»)

Seite 131D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

f. Die Bereicherung

• M/T = Vermögenszuwachs von 1.000.-- x 12 Monate x 20 Jahre

• S = - 1.000.-- oder eigene Unterhaltsschuld?

- Abzug „verpassten“ Steuervorteils?

[g. Rechtsfolge]

Herausgabe der Bereicherung (Art. 62 I OR)↓

Seite 132D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiele:

a. S empfängt eine irrtümlich an ihn geleistete Zahlung in Höhe von

CHF 3.000.--; er kauft unverzüglich die lang ersehnte Vespa

b. S empfängt eine irrtümlich an ihn geleistete Zahlung in Höhe von

CHF 3.000.--, die er zur Finanzierung einer von ihm organisierten Party

nutzt.

c. S empfängt eine irrtümlich an ihn geleistete Zahlung in Höhe von

CHF 3.000.--und beschliesst, diesen „Geldsegen“ einer karitativen

Organisation zu spenden.

Seite 133

2. Rückerstattung der Bereicherung

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Grundsatz

Realrestitution [str.; ↔ BGE 129 III 646]

b. Ausnahme:

Realrestitution ausgeschlossen → Wertersatz (vgl. Art. 672 I ZGB)

c. Einrede der Entreicherung (Art. 64 OR)

• Z.B. Bereicherungsgegenstand geht unter

• Ausnahme: Vorliegen eines Surrogats

erlangter „Ersatz“ (Beispiel a.; oder: Versicherungsleistung)

Ersparnis (b.?; nicht c.)

→ Herausgabe des Surrogats

Seite 134D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

d. Insb: „Entäusserung“ (Art. 64 2. HS OR)

• Surrogat vorhanden: Herausgabe [↑; Beispiel a.; b.?]

• kein Surrogat vorhanden:

BereicherungsS bösgläubig?, oder

musste BereicherungsS mit Rückerstattung rechnen? (c. ob causam

finitam!)

→ Wertersatz

Seite 135D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

e. Insb: nicht real restituierbare Leistungen

• Z.B. Gebrauch, Dienstleistung

• Surrogat vorhanden (Ersparnis?): → Herausgabe

• kein Surrogat vorhanden

→ analoge Anwendung von Art. 64 2. HS OR

→ = Wertersatzpflicht des bösgläubigen S bzw. des S, der mit Rück-

erstattung rechnen musste

Seite 136D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Grundsatz

synallagmatische Leistungen sind „Zug um Zug“ zu erstatten (Art. 82 OR

analog)

b. Problem

eine Partei kann entreichert sein

→ keine Kondiktion dieser Leistung (Art. 64 OR)

→ Auswirkungen auf Kondiktion der Gegenleistung?

Seite 137

3. Bereicherung und Synallagma

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Zweikondiktionentheorie

= jede Leistung wird für sich betrachtet

d. Saldotheorie

= Partei, deren Bereicherung entfallen ist, muss sich Wert der Leistung auf

eigenen Bereicherungsanspruch anrechnen lassen („Saldierung“)

[str.]

Seite 138D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Ersatz der notwendigen Verwendungen (Art. 65 I 1. Alt OR)

= Übernahme von Kosten, die unmittelbar dem Erhalt des Bereicherungs-

gegenstandes dienten (objektiv notwendig)

Beispiel: Kosten der sachgerechten Lagerung verderblicher Ware

b. Ersatz der nützlichen Verwendungen (Art. 65 I 2. Alt OR)

= Kosten für wertsteigernde Massnahmen

Beispiel: Neulackierung eines KFZ

Einschränkung: bei Bösgläubigkeit nur noch vorhandener Mehrwert

Seite 139

4. Gegenansprüche des BereicherungsS gegen -G

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Kein Ersatz von Luxusverwendungen (Art. 65 II OR)

= Kosten nicht wertsteigernder Massnahmen

Beispiel: „Verzierungen“ eines KFZ

aber: Anspruch auf „Wegnahme“

Seite 140D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiel:

A will von B ein Grundstück kaufen. Im Vertrauen auf das Zustandekommen

des Vertrages leistet er eine Anzahlung auf den (zukünftigen) Kaufpreis.

Die Vertragsverhandlungen scheitern unerwartet.

→ condictio ob causam futuram

beachte: Art. 63 I OR steht der Kondiktion nicht entgegen!

Seite 141

5. Condictio ob causam futuram

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > III. Leistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

IV. Nichtleistungskondiktion (nur Eingriffskondiktion)

Beispiel:

Künstler K schafft ein urheberrechtlich geschütztes „Logo“, das er gegen

Gebühr Dritten zur Nutzung überlässt.

Unternehmer U nutzt das Logo ohne Einwilligung des K.

Hat K gegen U Bereicherungsansprüche?

Seite 142D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > IV. Nichtleistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

keine „Leistung“ → keine Leistungskondiktion

• Urheberrecht = Recht mit Zuweisungsgehalt (= Eigentum,

Persönlichkeitsrechte)

• Nutzung durch U ohne Einwilligung des K widerspricht dem

Zuweisungsgehalt = Eingriff

• Bereicherung des U = Ersparnis der Nutzungsgebühren

• Entreicherung des K nicht erforderlich

Seite 143

1. Vorbeobachtung:

2. Eingriffskondiktion (gem. Beispiel)

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > IV. Nichtleistungskondiktion

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Art. 938 – 940 ZGB gehen Bereicherungsrecht vor → keine

Eingriffskondiktion nach Art. 62 I OR (Koller, OR AT 1, 541)

• Anders wohl BGE 129 III 422: Vermietung fremder Sachen begründet

Ansprüche aus Art. 62 I OR (Eingriffskondiktion)

Seite 144

3. Nutzung, Gebrauch und Verbrauch fremder Sachen

D. Entstehung der Obligation: Ungerechtfertigte Bereicherung > IV. Nichtleistungskondiktion

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E. Vertiefungen: Vertragsschluss

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

I. Scherzerklärung, Mentalreservation, Simulation

und Umgehung

Professor X erklärt in der VL OR-AT den Abschluss von Verträgen; er fragt

Student Y, ob dieser sein „ZGB“ für CHF 10.-- kaufen möchte; Y antwortet

mit „ja“; Prof. X erklärt, dass ein Kaufvertrag wirksam zustande gekommen

ist.

→ Y erkannte den Scherzcharakter oder hätte ihn zumindest erkennen

müssen = gemäss Vertrauenstheorie KEIN Vertrag

[anders aber, wenn der Scherz missglückt! = Y hat Scherzcharakter weder

erkannt noch erkennen müssen gemäss Vertrauenstheorie kommt Vertrag

zustande]

Seite 146

1. Scherzerklärung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Prof. X kauft im Namen der Universität, an der er lehrt, ein ZGB; er erhält

daher 10% Rabatt; in Wirklichkeit aber will X das ZGB selbst kaufen, was

dem Verkäufer weder bekannt noch erkennbar ist.

→ Auslegung nach Vertrauenstheorie führt zur Unerheblichkeit der

Mentalreservation, d.h. Kauf wurde im Namen der Universität geschlossen.

[anders aber, wenn Vorbehalt durchschaut wurde oder erkennbar war]

Seite 147E. Vertiefungen: Vertragsschluss > I. Scherzerklärung, Mentalreservation, Simulation und

Umgehung

2. Geheimer Vorbehalt (Mentalreservation)

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

X kauft von Y ein Grundstück. Um (illegal) Steuern zu sparen, beurkunden

(vgl. Art. 216 I OR) die Parteien einen Kaufpreis von CHF 750’000.--. Dabei

sind sich X und Y einig, dass X weitere CHF 150’000.-- „schwarz“ zahlen

soll.

→ (beurkundeter) Kauf für CHF 750’000.--

= nicht gewolltes (simuliertes) Geschäft

= unwirksam (Art. 18 I OR)

→ (nicht beurkundeter) Kauf für CHF 900’000.--

= gewolltes (dissimuliertes) Geschäft

= wirksam nach Art. 18 I OR (aber: der als Beispiel verwendete Kauf für

CHF 900’000.-- ist gem. Art. 216 I i.V.m. Art. 11 I OR formnichtig)

Seite 148E. Vertiefungen: Vertragsschluss > I. Scherzerklärung, Mentalreservation, Simulation und

Umgehung

3. Scheingeschäft (Simulation)

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Vater V will seinem Sohn S ein neues Auto schenken. Jedoch droht S

wegen Überschuldung Pfändung des Autos durch seine Gläubiger. Um

dieses Ergebnis zu vermeiden, schenkt V das Auto seiner Schwiegertochter

T.

→ Schenkung (V → T) ist gewollt (KEIN Scheingeschäft)

→ Schenkung (V → T) = Umgehungsgeschäft (derselbe tatsächliche Erfolg

wird durch ein anderes Rechtsgeschäft erreicht)

Praxisfall: BGer 4A_410/2014 vom 20.1.2015 (Ausländergrunderwerb)

Seite 149E. Vertiefungen: Vertragsschluss > I. Scherzerklärung, Mentalreservation, Simulation und

Umgehung

4. Umgehungsgeschäft

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

II. (Versteckter) Dissens

Offener Dissens (den Parteien bewusst)

↔ Versteckter Dissens (den Parteien nicht bewusst)

Problemfall:

A bringt seinen Ferrari zum Lackierer L. Sie vereinbaren, dass der Ferrari

zum Preis von CHF 15’000.– (zzgl. MWSt.) ROT lackiert werden soll.

Kurz bevor A die Garage des L verlässt, dreht er sich noch einmal um und

sagt: „Kann man das auch SCHWARZ machen?“ L antwortet: „Klar“.

2 Tage später holt A seinen Ferrari ab. Er ist SCHWARZ lackiert. A fordert

eine Umlackierung auf Rot zum Preis von CHF 15’000.- exkl. MWSt.

(«schwarz»), L dagegen fordert die Zahlung von CHF 15’000.- zzgl. MWSt.

ohne Umlackierung .

Lösung?

Seite 150

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

III. Bedingung (Art. 151 ff. OR)

• Verbindlichkeit des Vertrags hängt vom Eintritt eines ungewissen

Ereignisses ab (Art. 151 I OR)

→ ungewiss ist, „ob“ die Verbindlichkeit entsteht

z.B. „wenn Du die Matura bestehst, schenke ich Dir …“

↔ „wenn ich sterbe …“ (hier ist nur der Zeitpunkt aber nicht das „ob“

ungewiss!) → Befristung

• es kann auch nur eine Leistung aus dem Vertrag bedingt sein

z.B. Versicherungsvertrag ist unbedingt verbindlich, die

Versicherungsleistung ist aber durch den Eintritt des Versicherungsfalls

bedingt

Seite 151E. Vertiefungen: Vertragsschluss > III. Bedingung > 1. Begriff und Einteilung

1. Begriff und Einteilung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• aufschiebende Bedingung (Art. 151 OR)

Rechtsgeschäft wird erst mit Eintritt der Bedingung verbindlich

bis dahin: schwebend unwirksam

z.B. „wenn Du die Matura bestehst, schenke ich Dir …“

↔ auflösende Bedingung (Art. 154 OR)

Rechtsgeschäft wird mit Eintritt der Bedingung aufgelöst

bis dahin: schwebend wirksam

z.B. Ehemann schenkt Ehefrau Familienschmuck

(auflösend bedingt durch Ehescheidung)

Seite 152E. Vertiefungen: Vertragsschluss > III. Bedingung > 1. Begriff und Einteilung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• kasuelle (zufällige) Bedingung

Eintritt der Bedingung hängt vom Zufall ab

z.B. wenn es am 25. Mai regnet; wenn der X-Index um über x %

ansteigt

↔ potestative (willkürliche) Bedingung

Eintritt der Bedingung hängt vom Willen einer Partei ab

z.B. Käufer auf Probe kann Kaufgegenstand willkürlich

genehmigen oder nicht

Seite 153E. Vertiefungen: Vertragsschluss > III. Bedingung > 1. Begriff und Einteilung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• grundsätzlich zulässig (Art. 151 OR)

• Ausnahme: bedingungsfeindliches Rechtsgeschäft

z.B. Eheschliessung

Seite 154E. Vertiefungen: Vertragsschluss > III. Bedingung > 2. Zulässigkeit

2. Zulässigkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Aufschiebende → Wirkungen des Rechtsgeschäfts treten ein

↔ auflösende → Wirkungen des Rechtsgeschäfts enden

• In beiden Fällen grundsätzlich ex nunc (Art. 151 II und 154 II OR)

• Fingierter Eintritt → eine Partei verhindert Bedingungseintritt wider Treu

und Glauben (Art. 156 OR)

z.B. Eigentumsvorbehaltsverkäufer (vgl. Art. 715 ZGB) verweigert

Annahme der letzten Kaufpreisrate

• Insb.: Unwirksamkeit von Zwischenverfügungen (Art. 152 III OR)

z.B. Eigentumsvorbehaltsverkäufer übereignet Sache an Dritten

aber: gutgläubiger Erwerb durch Dritten möglich! (Art. 714 II i.V.m. 933 VI

ZGB)

Seite 155E. Vertiefungen: Vertragsschluss > III. Bedingung > 3. Eintritt der Bedingung

3. Eintritt der Bedingung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

IV. Vertragsschluss auf Grundlage von „AGB“

• für viele Verträge vorformulierter Vertragstext

• eine Partei (der Verwender) stellt Vertragsbedingungen

• Geltung erfordert Zustimmung (Unterwerfung) des anderen

Vertragspartners (AGB sind Vertragsinhalt und nicht Gesetz! →

Auslegung!)

• Entscheidend: Einbeziehungsklausel!

Seite 156E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 1. AGB

1. «Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)»

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiel:

Produzent P legt dem Händler H ein schriftliches Angebot über die Lieferung

von Waren (Elektrogeräte) zum Preis von CHF 132’750.--.

Im dritten Absatz des von P unterzeichneten Angebotsschreibens heisst es:

„Dem Angebot liegen unsere Allgemeinen Lieferbedingungen zugrunde.“

Dem Schreiben liegt ein Ausdruck der „Allgemeinen Lieferbedingungen“ bei.

H ruft P an und nimmt das Angebot mündlich an.

→ Allgemeinen Lieferbedingungen sind AGB

→ AGB wurden vereinbart, weil das Angebot die AGB durch eine

Einbeziehungsklausel „integriert“ und H vorbehaltlos annimmt

Seite 157E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 1. AGB

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• Rationalisierung durch Standardisierung für den Verwender (+)

• Beschneidung der Vertragsfreiheit der anderen Partei (-)

„take it or leave it“

Informationsdefizit

Seite 158

2. Vor- und Nachteile von AGB

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 1. Vor- und

Nachteile von AGB

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Seite 159

3. „Kontrolle“ von AGB

a. Geltungskontrolle

• Einbeziehung erfordert Hinweis durch Verwender und Möglichkeit zur

Kenntnisnahme (Lesbarkeit!) durch Vertragspartner des Verwenders, z.B.

Verweis auf AGB + Beilage im Angebotsschreiben

deutlicher Aushang im Geschäftslokal

e-commerce: direkter link + rascher download

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 3. Kontrolle

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• Ungewöhnliche Klauseln werden nicht Vertragsinhalt

wie üblich ist die Klausel?

wie verträgt sich die Klausel mit dem Vertragstyp/-zweck?

ist die Klausel in den AGB richtig positioniert? (z.B.: Gewährleistungs-

verzicht unter „Sonstiges“)

wie belastend ist die Klausel für den Vertragspartner? („versteckte“

Inhaltskontrolle)

Seite 160E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 3. Kontrolle

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b. Auslegungskontrolle

• Vorrang der Individualabrede

Beispiel: V „garantiert“ Wasserdichtheit einer Uhr; in den AGB wird aber jede

Haftung für besondere Eigenschaften wie z.B. Wasserdichtheit ausgeschlossen

• Unklarheitenregel (Auslegung contra stipulatorem) → führt Interpretation

einer AGB-Klausel zu zwei (oder mehr) möglichen Ergebnissen, so wird die

Klausel gegen den Verwender ausgelegt (vgl. auch Art. 33 VVG)

• Restriktionsprinzip → Klauseln, die vom dispositiven Recht abweichen,

werden eng interpretiert

Beispiel: Klausel, die Gewährleistungsrechte des Käufers einschränkt

= „Kontrollfunktion des dispositiven Rechts“

Seite 161E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 3. Kontrolle

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c. Inhaltskontrolle

• allgemeine Schranken der Vertragsfreiheit (Art. 19, 20 OR)

• zwingendes Vertragsrecht (Art. 100 OR)

• einzelne Sondervorschriften (vgl. Art. 256 II a, 288 II a OR)

• Art. 8 UWG (i.d.F. seit 1.7.2012)

Seite 162E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 3. Kontrolle

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Art 8 UWG

«Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen

verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der

Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes

Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen

Pflichten vorsehen.»

→ kontrollierte Klausel ist insgesamt unwirksam („Verbot der geltungs-

erhaltenden Reduktion“)

→ Rest des Vertrages bleibt wirksam

Seite 163E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 3. Kontrolle

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Seite 164

4. Konflikt von AGB

Beispiel:

Produzent P legt dem Händler H ein schriftliches Angebot über die Lieferung

von Waren (Elektrogeräte) zum Preis von CHF 132’750.--. Im dritten Absatz

des von P unterzeichneten Angebotsschreibens heisst es:

„Dem Angebot liegen unsere Allgemeinen Lieferbedingungen zugrunde.“

H nimmt das Angebot per Annahmeschreiben an. Im dritten Absatz des

Annahmeschreibens heisst es:

„Dieser Bestellung liegen unsere Allgemeinen Einkaufsbedingungen

zugrunde.“

→ Vertrag kommt gem. Art. 2 I OR zustande

→ übereinstimmende AGB gelten

→ Lückenfüllung gem. Art. 2 II OR

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > IV. Vertragsschluss auf Grundlage von AGB > 4. Konflikt

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V. Widerruf von Haustürgeschäften (Art. 40a ff. OR)

a. persönliche

• Vertrag zwischen Konsument (Art. 40a I OR) und Unternehmer (Art. 40a I

lit. a OR)

b. sachliche

• Vertrag über die Lieferung beweglicher Sachen oder Dienstleistung, und

• Preis > CHF 100.--

Seite 165

1. Anwendungsvoraussetzungen

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > V. Haustürgeschäfte > 1. Anwendungsvoraussetzungen

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c. situative

• Positiv (Art. 40b OR)

Wohnung oder Arbeitsplatz (lit. a), oder

öffentliches Verkehrsmittel oder öffentliche Strasse (lit. b), oder

„Kaffeefahrt“ (lit. c), oder

telefonisches Angebot (lit. d)

und

• Negativ (Art. 40c OR)

kein ausdrücklicher Wunsch des K nach Vertragsverhandlungen (lit. a)

und

kein Markt- oder Messegeschäft (lit. b)

Seite 166E. Vertiefungen: Vertragsschluss > V. Haustürgeschäfte > 1. Anwendungsvoraussetzungen

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• wirtschaftliche und informationelle Überlegenheit des U

• aggressives Marketing (high pressure sale)

• situative Befangenheit des K

→ „verdünnter“ Vertragswille des K

Seite 167

2. Problem

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > V. Haustürgeschäfte > 2. Problem

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• einseitiges Gestaltungsrecht

• ohne Angabe von Gründen möglich

• formlos (Art. 40e I OR; aber: Beweislast des rechtzeitigen Zugangs beim K)

• Frist = 14 Tage; Absendung per Post genügt (Art. 40e II i.V.m. IV OR)

• Beginn = Willenserklärung des K + Widerrufsbelehrung durch U (Art. 40e II

i.V.m. Art. 40d OR)

Seite 168

3. Widerrufsrecht des K

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > V. Haustürgeschäfte > 3. Widerrufsrecht des K

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• Aufhebung des Vertrages ex tunc

• Rückabwicklung (Art. 40f I OR)

Vindikations- (Art. 641 II ZGB) oder

Bereicherungsanspruch

[h.L.: keine Rückabwicklungsverhältnis i.S.v. Art. 109 OR]

• K schuldet Mietzins für Gebrauch der Sache (Art. 40f II OR) bzw. Auslagen-

und Verwendungsersatz für erbrachte Dienstleistung (Art. 40f III OR)

• Keine weiteren Ansprüche von U gegen K (Art. 40f IV OR)

Seite 169

4. Rechtsfolgen des Widerrufs

5. Vgl. Art. 16 KKG; Art. 406a ff. OR

E. Vertiefungen: Vertragsschluss > V. Haustürgeschäfte > 4. Rechtsfolgen des Widerrufs

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F. Obligationenrechtliche Ansprüche

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I. Erfüllungsanspruch

Seite 171

1. DurchsetzungForderung

Grundsatz:

Staatliche Durchsetzung

Ausnahme:

Selbsthilfe

=

Leistungsklage

+

Zwangsvollstreckung

(s. Art. 98 OR!)

Rechtsfolge:

keine Ersatzpflicht

Voraussetzungen (Art. 52 III OR):

- staatliche Hilfe zu spät

- Anspruchsvereitelung droht

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 1. Durchsetzung

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Seite 172

2. „Indirekte“ Durchsetzung (insb. bei synallagmatischen

Leistungen)

Einrede(schuldrechtlich)

… des nicht erfüllten

Vertrags (Art. 82 OR)

● bei Zug-um-Zug-

Leistungen

● Sicherungsfunktion

● Erfüllungsdruck

● Verurteilung

„Zug um Zug“

… der Unsicherheit

(Art. 83 OR)

● auch bei Vorleistungspflicht

● Sicherungsfunktion

● Erfüllungsdruck

● Sicherheitsleistung

● Vertragsrücktritt

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 2. «Indirekte» Durchsetzung

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Seite 173

BGE 105 II 28

BCI SFN

- beantragt Stundung

gem. Art. 29 ff. BankG

- schliesst Schalter

Devisentermingeschäft (US $/CHF)

Abschluss: 13.11.1973

vereinbarter Vollzug: 15.10.1974

9.10.1974: verlangt Sicherheiten

bis 11.10.74

11.10.1974: Rücktritt

9.10.1974

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 2. «Indirekte» Durchsetzung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 174

RETENTIONSRECHT

(dinglich)

Beispiel:

Retentionsrecht

nach Art. 895 ZGB

[vgl. Faustpfand;

Art. 898 ZGB]

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 2. «Indirekte» Durchsetzung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

1. K bezahlt den Kaufpreis nicht

→ V kann gem. Art. 82 OR die Lieferung des Kaufgegenstandes bis zur

Zahlung durch K verweigern

2. V hat sich zur Lieferung des verkauften Gegenstandes gegen

Ratenzahlung des Kaufpreises durch K verpflichtet

→ das Zug-um-Zug-Prinzip (Art. 184 II OR) ist vertraglich abbedungen, V

kann die Lieferung nicht unter Berufung auf Art. 82 OR verweigern

→ V kann sich ggf. auf Art. 83 OR (Unsicherheitseinrede) berufen

3. Werkbesteller B bezahlt den Werklohn des U für Autoreparatur nicht

→U kann die Einreden nach Art. 82 OR (und ggf. Art. 83 OR) erheben und

das Retentionsrecht nach Art. 895 ZGB geltend machen

Seite 175

Beispiele

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 2. «Indirekte» Durchsetzung

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Seite 176

3. Besicherung von Forderungen

● Bürgschaft (Art. 492 ff. OR)

● GarantieV (Art. 111 OR)

● Kreditauftrag (Art. 408 ff. OR)

● Schuldbeitritt

● ev. Schuldübernahme

● Patronatserklärung

[nur ganz vereinzelt]

● Pfandrecht (Art. 793 ff.

und 884 ZGB)

● Sicherungsübereignung

(vgl. Art. 717 ZGB)

●Sicherungszession

● Eigentumsvorbehalt

(Art. 715, 716 ZGB)

● Retentionsrecht

→ Allg. (Art. 895 ZGB)

→ Geschäftsraummiete

/-pacht, (Art. 268, 299c OR)

→ Kommission (Art. 434 OR)

→ Agentur (Art. 418o OR)

● Grundpfandrecht

→ Verkäufer, Bauhandwerker

(Art. 837 I 1 und 3ZGB)

rechtsgeschäftlich gesetzlich

persönlich

dinglich

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 3. Besicherung von Forderungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Garant («Promittent») verpflichtet sich gegenüber dem

Garantieberechtigten («Promissar») für den Fall, dass ein bestimmter

Erfolg ausbleibt, zu einer Leistung (insb.: Zahlung einer Garantiesumme)

• reine (Verlustübernahme) ↔ bürgschaftsähnliche (Übernahme eines

Forderungsausfalls) Garantie

• entgeltlich oder unentgeltlich möglich

• nicht akzessorisch (hängt also in ihrem Bestand nicht vom Bestand einer

besicherten Forderung ab)

Seite 177

Insb. Garantie (Art. 111 OR)

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > I. Erfüllungsanspruch > 3. Besicherung von Forderungen

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II Ansprüche aus Vertragsverletzung

(„Leistungsstörungsrecht“)

Seite 178

1. Typen von Vertragsverletzungen (ohne culpa in contrahendo [↓])

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 1. Typen von Vertragsverletzungen

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Seite 179

VertragsverletzungenNeben

-pflichten

= Art. 97 I

OR

NICHT-Leistung i.w.S. SCHLECHT-Leistung

Annahme

verweigertAnnahme

Gewähr-

leistung

=

z.B. Art. 197

OR

pVV

=

Art. 97 I OR

Verzug

=

Art. 102 OR

Nachträg-

liche oder

anfänglich

subjektive

=

Art. 97 I,

119 OR

Anfänglich

objektive

→ V

nichtig

(Art. 20 OR)

Unmöglichkeit Möglichkeit

A!

A!

A!

A!

„Leistungsstörungen“

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 1. Typen von Vertragsverletzungen

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Seite 180

2. Nicht- oder Schlechtleistung?

NICHT-Leistung i.w.S.

● kein Leistungsanbot

bei Fälligkeit

● Leistungsanbot am

falschen Ort

● G verweigert Annahme

der Leistung rechtmäßig

● Aliud-Leistung:

- Identitätsaliud

(Kuh „Erna“ statt „Resi“)

- Gattungsaliud

(„Reis“ statt „Mais“)

● Minus-Lieferung

= tlw. Nicht-Leistung

SCHLECHT-Leistung

● nicht vertragsgemäße

Leistung (Abweichung von

„Ist“ und „Soll“)

● als „Gans“ verkauftes Fleisch

entpuppt sich als „Ente“

● Lieferung von „100g-“ statt

„500g-Packungen“

= Quantitätsmangel

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 2. Nicht- oder Schlechtleistung

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a. Erläuterungen

• U = Leistung kann dauerhaft nicht erbracht werden

• „anfänglich“ = U besteht spätestens bei Vertragsschluss

• „nachträglich“ = nach Vertragsschluss eintretende U

• „subjektiv“ = nur Schuldner kann die Leistung nicht erbringen (ein Dritter

hingegen schon!)

• „objektiv“ = niemand kann die Leistung erbringen

Seite 181

3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit (U)

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

b. Einteilung der Unmöglichkeitsfälle nach der Ursache

• Tatsächliche U

= Leistung kann aufgrund der tatsächlichen Umstände nicht erbracht

werden

Beispiele/Abgrenzungen

Verkaufter Dackel „Bello“ stirbt vor Übergabe an den Käufer

(Untergang des Stücks bei Stückschuld)

Verkaufter VW Golf (Identifikation im KaufV durch Fahrgestell- und

Motornummer) wird durch Feuer beim Autohändler vor Lieferung an

den Kunden zerstört → = Untergang des Stücks bei Stückschuld,

aber: meist kommt es dem Käufer in diesen Fällen – trotz vereinbarter

Stückschuld – nicht auf das konkrete Stück an → Lieferung eines

anderen VW Golf vertraglich zulässig (Auslegung!) und möglich!

Seite 182F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Von lagerndem Speiseöl wird 1/3 verkauft (begrenzte

Gattungsschuld; „Vorratsschuld“). Eine Überschwemmung zerstört:

a) den gesamten Vorrat → U

b) ¾ des Vorrats → teilweise U

c) ½ des Vorrats → keine U

V verkauft an K 1 Stück der in limitierter Zahl angefertigten

Sonderedition eines Kommentars zum OR mit Ledereinband

(begrenzte Gattungsschuld)

→ U, wenn gesamte Gattung untergeht

V verkauft an K 5 Tonnen Weizen. Der bei V lagernde Weizen wird

durch Feuer zerstört

→ keine U, (unbegrenzte) Gattungsschuld (V kann neuen Weizen

ankaufen und liefern!)

V liefert Torte nach absolutem Fixtermin (Geburtstag) = U

Seite 183F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Rechtliche U

= Leistung kann aufgrund rechtlicher Hindernisse nicht erbracht werden

Beispiele/Abgrenzungen

Die Lieferung und Montage eines Kraftwerks in den Irak scheitern an

einem UN-Embargo → objektive rechtliche U

Die Behörde untersagt den vertraglich vereinbarten Bau → objektive

rechtliche U

Aber: V macht geltend, die Lieferung des von ihm an K verkauften

Gemäldes von Picasso sei unmöglich, weil nicht er sondern ein Dritter

D Eigentümer sei → keine U; V trifft eine Beschaffungspflicht bei D

(Anmerkung: der Verkauf fremder Sachen ist daher auch kein Vertrag

mit „widerrechtlichem Inhalt“ i.S.v. Art. 20 I OR!) → erst wenn fest

steht, dass D nicht veräußert, liegt subjektive U vor

Seite 184F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Wirtschaftliche U

= Leistung kann aufgrund wirtschaftlicher Unzumutbarkeit für den

Schuldner nicht erbracht werden

Beispiele/Abgrenzungen

Der verkaufte Ring im Wert von CHF 1.000.-- versinkt im Meer und

könnte nur durch Aufwendung überaus hoher Kosten gefunden und

geborgen werden

→ wirtschaftliche U

= Lehrbuchbeispiel: zeigt, dass es sich um Extremfälle handeln muss!

Gegenbeispiel: V verkauft Speiseöl an Einzelhändler zum Preis von

CHF 1.-- je Liter; durch eine Steigerung der Rohölpreise klettern seine

Produktionskosten auf CHF 1,05.-- je Liter

→ wirtschaftlich unergiebiges Geschäft, aber keine wirtschaftliche U

U.U.: clausula rebus sic stantibus

Seite 185F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (1)

• Schuldner hat U nicht zu verantworten

„…zu verantworten…“

o Verschulden (Art. 97, 101 OR)

o Art. 103 OR: Zufall und höhere Gewalt

o Sondervorschriften (Art. 299b, 306 III, 474 II, 487, 490 OR)

o Art. 99 III i.V.m. Art. 54 OR: Billigkeit

o ggf.: Vertragsabrede („Garantie“)

Seite 186F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Vertrag über die Lieferung einer „Verdampfungs- und Kondensierungs-

anlage“

• Bundesamt für Energiewirtschaft verfügt Ausfuhrverbot

→ Lieferant beruft sich auf „objektive, nicht zu vertretende U“

→ BGer: Vorhersehbarkeit des Verbot begründet Verschulden

Seite 187

BGE 111 II 252

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (2)

• Untergang der Forderung ex lege

= G trägt die Leistungsgefahr (Art. 119 I OR), kann aber ggf. ein

stellvertretendes commodum (z.B. Ersatzansprüche aus Delikt oder

Versicherungsvertrag) fordern

• Folgewirkung bei synallagmatischen Verträgen → Untergang der

Gegenforderung

= S trägt die Gegenleistungs- oder Preisgefahr

• Ausnahmen (= auch Preisgefahr bei G):

Preisgefahr geht vorzeitig auf G über (z.B. Art. 185 I OR)

G hat Unmöglichkeit zu verantworten (hier aber Vorteilsanrechnung

analog Art. 264 III, 324 II OR)

Seite 188F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (3)

• Schuldner hat U zu verantworten

Schadenersatzanspruch (Art. 97 I OR)

= Vertragsverhältnis bleibt erhalten, sekundäre SchE-Pflicht ersetzt

Leistungspflicht → SchE-Pflicht untersteht denselben Regeln

(Verjährung, Sicherungsrechte) [str.]

Seite 189F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (4)

• Voraussetzungen

Verschulden (Art. 97 I OR)

o objektivierter Fahrlässigkeitsbegriff (Art. 99 OR)

o Vermutung des Verschuldens

Schaden

= unfreiwillige Vermögensminderung (hypothetisches Vermögen –

tatsächliches Vermögen; Differenztheorie)

Kausalität

= natürliche und adäquate Ursächlichkeit

Seite 190F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (5)

• Schadenbemessung

Erfüllungs- oder positives Interesse bzw. Nichterfüllungsschaden =

G ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäss

erfüllt worden wäre

Wert der unmöglichen Leistung + Folgeschaden

Seite 191F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (6)

• unmögliche Leistung im Synallagma:

Wert der unmöglichen Leistung – Wert der ersparten Gegenleistung

(Differenztheorie)

wahlweise: Erbringung der Gegenleistung und Ersatz des Werts der

unmöglichen Leistung (Austauschtheorie)

Seite 192F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (7)

• Rücktritt (analog Art. 107 II OR)

zur Wahl des G (anstelle des SchE nach Art. 97 I OR;

s. aber Art. 109 II OR = „Vertrauensschaden“)

Rückgewähr der bereits erbrachten Gegenleistung

Seite 193F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

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c. Rechtsfolgen der U (8)

• stellvertretendes commodum

zur Wahl des G (anstelle des SchE nach Art. 97 I OR)

G muss Gegenleistung erbringen

Seite 194F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Rechtsfolgen der U (9)

• beide Parteien haben U zu verantworten

Leistungspflicht des S geht in einen SchE-Anspruch nach Art. 97 I OR

über

Gegenleistungspflicht des G bleibt bestehen

SchE-Anspruch des G (Art. 97 I OR) wird nach Art. 44 I OR gekürzt

Seite 195F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 3. Nichtleistung i.e.S.: Unmöglichkeit

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a. Voraussetzungen (Art. 102 I OR)

• Fälligkeit der Forderung

• Mahnung durch G

Erklärung des G

Leistungsverlangen

i.d.R. Angabe von Quantität, Qualität und Erfüllungsort

Zugang bei S („empfangsbedürftig“)

h.L./Rsp: vorsorgliche Mahnung möglich

• Nichtleistung (trotz Leistungsmöglichkeit)

• Kein Leisungsverweigerungsrecht des Schuldners (Art. 82 f. OR)

Seite 196

4. Spätleistung: Schuldnerverzug (SV)

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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b. Insbesondere: Verfallstaggeschäft (Art. 102 II OR)

• „bestimmter Verfalltag“

ausdrückliche Nennung des Datums im Vertrag

Folge einer (wirksamen) Kündigung (z.B. eines Darlehens „auf den

30.11.2017“)

• Nichtleistung

• Ablauf des Verfalltags

• KEINE Mahnung erforderlich

c. Insbesondere: Antizipierter Vertragsbruch

Seite 197F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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d. Rechtsfolgen allgemein

• Ersatz des Verspätungsschadens (Art. 103 I OR)

Verzug

Verschulden (Beweislastumkehr!, Art. 103 II OR)

Schaden

Kausalität

→ G ist so zu stellen, wie er stünde, wenn rechtzeitig erfüllt worden wäre!

Seite 198F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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• Insb. Geldforderungen

Verzug (auch ohne Verschulden!)

→ Verzugszinsen (Art. 104 OR)

o 5% oder höherer vereinbarter Zins (Art. 104 I und II OR)

o unter Kaufleuten: höherer „üblicher Bankdiskonto am Zahlungsort“

kann verrechnet werden (Art. 104 III OR)

+ Verschulden (Beweislastumkehr!, Art. 106 I OR)

→ zusätzlich Verspätungsschaden, der nicht durch Verzugszinsen

gedeckt ist (Art. 106 I OR)

Seite 199F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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• Haftung für Zufall (Art. 103 I OR)

Verzug

Verschulden betr. Verzug (Beweislastumkehr!, Art. 103 II OR)

zufälliges Unmöglichwerden der Leistung

Leistung hätte Unmöglichwerden verhindert (Einwand des

„rechtmässigen Alternativverhaltens“ zulässig; Art. 103 II OR)

→ S haftet nach Art. 97 I OR ohne Verschulden (kein

Entlastungsbeweis!)

Seite 200F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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e. Optionen des G bei synallagmatischen Verträgen

• Voraussetzungen

Verzug (hierzu oben)

angemessene Nachfrist (Art. 107 I OR)

= „angemessen“ mit Blick auf Interessen der Parteien sowie Art und

Umfang der Leistung

Nichtleistung bei Ablauf der Nachfrist

Seite 201F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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• Entfall der Nachfristsetzung

ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung durch S

(Art. 108 Z. 1 OR)

Verzug macht Leistung für G nutzlos

(Art. 108 Z. 2 OR; z.B. „Saisonartikel“)

relatives Fixgeschäft (Art. 108 Z. 3 OR; „genauer“ oder „spätester“

Leistungszeitpunkt vereinbart)

[Beachte: bei absolutem Fixgeschäft liegt Unmöglichkeit der Leistung vor!]

Seite 202F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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• Option I: Erfüllung und Verspätungsschaden (Art. 107 II Alt 1 OR)

= Rechtsfolgen nach Art. 103 ff. OR

• Option II: Verzicht auf Erfüllung und Nichterfüllungsschaden

(Art. 107 II Alt. 2 OR)

unverzüglicher Verzicht

Verschulden des S

→ Nichterfüllungsschaden („positives Interesse“) = wahlweise

Berechnung nach Austausch- oder Differenztheorie

Seite 203F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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• Option III: Verzicht und Rücktritt (Art. 107 II Alt. 3 OR)

unverzüglicher Verzicht

Rücktrittserklärung

→ Vertrag wandelt sich in ein vertragliches Rückabwicklungsverhältnis

(Art. 109 I OR)

o vertraglicher (kein dinglicher!) Rückgewähranspruch

o vertragsrechtliche Regeln anwendbar (z.B. Art. 82 f., 97 I, 119 OR)

+ Verschulden (Art. 109 II OR)

→ Ersatz des Vertrauensschadens = G ist in die Vermögensposition

zu bringen, in der er wäre, hätte er nicht auf das Bestehen des

Vertrages vertraut

Seite 204F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 4. Spätleistung: Schuldnerverzug

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f. Zusammenfassung Art. 107 Abs. 2 OR (Wahlrechte)

«Wird auch bis zum Ablaufe dieser Frist nicht erfüllt,

Seite 205

Ablauf

der Nachfrist

Festhalten

am Vertrag

Rücktritt

vom Vertag

Erfüllung

und

SA

Verzicht auf Leistung

und

positives Vertragsinteresse

negatives

Vertrags-

interesse

so kann der Gläubiger

immer noch auf Erfüllung

nebst Schadenersatz

wegen Verspätung klagen,

statt dessen aber auch, wenn er es unverzüglich

erklärt, auf die nachträgliche Leistung verzichten und

entweder Ersatz des aus der Nichterfüllung

entstandenen Schadens verlangen

oder vom Vertrage zurücktreten.»

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a. Begriff

= Leistung wird erbracht, jedoch nicht wie geschuldet („Qualitätsmangel“ [↑])

b. Rechtsbehelfe

• (ohne Verschulden) Gewährleistung + (bei Verschulden) Mangel-

folgeschaden (z.B. Art. 192 ff., 197 ff. OR [Kauf]; Art. 367 ff. OR

[Werkvertrag])

• pVV (positive Vertragsverletzung) = Art. 97 ff. OR

Seite 206

5. Schlechterfüllung

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 5. Schlechterfüllung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

c. Verhältnis der Rechtsbehelfe zueinander

• Vertragstypenregelung kennt keine Gewährleistung → nur pVV

• Vertragstypenregelung kennt Gewährleistung

Anspruchskonkurrenz

= Kauf → Gewährleistung oder pVV

Subsidiarität der pVV

= Werkvertrag → nur Gewährleistung

Seite 207F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 5. Schlechterfüllung

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d. Voraussetzungen der Haftung aus pVV

• Schlechterfüllung

• Verschulden des S

• Schaden des G

• Kausalität

e. Rücktritts-/Kündigungsrecht

• spezielle Vorschriften (Art. 205 I, 257f, 259b lit. a, 368 I OR)

• wo solche fehlen: analog Art. 107 II OR (ohne Verschulden) bei

wesentlicher Vertragsverletzung

Seite 208F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 5. Schlechterfüllung

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a. Übersicht: Pflichten

• Hauptleistungspflichten = charakterisieren die Obligation, insbesondere

den Vertrag (z.B. Kauf: Kaufgegenstand und Kaufpreis)

• Nebenleistungspflichten = selbstständige Nebenpflichten → G hat

klagbaren Erfüllungsanspruch (z.B. Überlassung von

Ursprungszeugnissen einer Ware an K)

• Sonstige Nebenpflichten = unselbstständige Nebenpflichten → G hat

keinen Erfüllungsanspruch (z.B. V muss Sache bis zur Übergabe

verwahren = Obhutspflicht)

Seite 209

6. Nebenpflichtverletzungen

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 6. Nebenpflichtverletzungen

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b. Typen von Nebenpflichten

• Obhuts- und Schutzpflichten

(z.B. Obhut und Schutz für Besucher von Veranstaltungen

• Mitteilungspflichten

(z.B. Aufklärung durch Arzt)

• Verschaffungspflichten

(z.B. Herausgabe von Ursprungszeugnissen)

• Mitwirkungspflichten

(z.B. Erlangen einer erforderlichen behördlichen Bewilligung, vgl. BewG)

Seite 210F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 6. Nebenpflichtverletzungen

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c. Rechtsgrund für Nebenpflichten

• Vertragsabrede

• Gesetz (z.B. Kostentragung beim Kauf gem. Art. 188 OR)

• Treu und Glauben (Art. 2 I ZGB)

d. Rechtsfolgen der Pflichtverletzung

• Haftung aus pVV (Art. 97 I OR)

• Rücktrittsrecht (analog Art. 107 II OR)

bei wesentlicher Vertragsverletzung, d.h. Fortsetzung des

Vertragsverhältnisses ist Partner nicht mehr zumutbar; auch ohne

Verschulden

Seite 211F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 6. Nebenpflichtverletzungen

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a. „Annahme“

• Rechtspflicht (Annahme als Leistungspflicht; z.B. Art. 211 OR [str.])

→ Annahmeverzug = Schuldnerverzug (Art. 102 ff. OR)

• Obliegenheit (kein Erfüllungsanspruch)

→ Annahmeverzug (Art. 91 ff. OR)

Seite 212

7. Gläubiger- oder Annahmeverzug

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 7. Gläubiger- oder Annahmeverzug

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b. Annahmeverzug (Art. 91, 96 OR)

• gehöriges Leistungsanbot durch S

Leistung erfüllbar (Art. 81 OR!)

Anbot der geschuldeten Leistung (=Erbringung hängt nur noch von G

ab)

an G

am Erfüllungsort

• Nichterfüllung aus Gründen in der Sphäre des G (kein Verschulden

erforderlich)

G verweigert Annahme

G unterlässt geschuldete Mitwirkung (z.B. Abholung)

Seite 213F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 7. Gläubiger- oder Annahmeverzug

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c. Rechtsfolgen (allgemein)

• Gefahrübergang (analog Art. 324 I, 376 I, 103 I OR) = Gefahr des

zufälligen Unmöglichwerdens der Leistung

• Haftungserleichterung für S (Art. 99 II OR) = haftet nur noch für Vorsatz

und grobe Fahrlässigkeit

• Aufwendungsersatz für S (Art. 92 OR; ev. Art. 422 OR; z.B. Lagerkosten)

• ggf.: Beendigung des Schuldnerverzugs

Seite 214F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 7. Gläubiger- oder Annahmeverzug

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d. Rechtsfolgen (Sachleistungen)

• Recht des S zur Hinterlegung (Art. 92 OR)

• ggf. Selbsthilfeverkauf und Hinterlegung des Erlöses (Art. 93 OR; lesen!)

e. Rechtsfolgen (Dienstleistungen u.a.)

Rücktritt gem. Art. 95 i.V.m. Art 107 – 109 OR

Seite 215F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 7. Gläubiger- oder Annahmeverzug

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• = für den Fall einer Schuldpflichtverletzung (Nicht-, Spät- oder

Schlechtleistung) aufschiebend bedingtes Leistungsversprechen, insb.

auf Zahlung einer Geldsumme (vgl. Art. 160 Abs. 1 OR)

• erhöht Druck auf den Schuldner

• Begünstigt G, weil dieser Strafzahlung auch dann bekommt, wenn ihm

kein Schaden entstanden ist (Art. 161 Abs. 1 OR; ↔ vereinbarte

Schadenspauschalierung)

• Versprechen ist zur Hauptschuld akzessorisch, hängt also in ihrem

Bestand vom Bestand der Hauptschuld ab

• Wird die Hauptschuld unmöglich, ist die Konventionalstrafe nur bei

Vertretenmüssen durch S geschuldet (abweichende Vereinbarung

möglich; Art. 163 Abs. 2 OR)

• zu Konkurrenzen siehe Art. 163 Abs. 2 OR und Art. 161 Abs. 2 OR

• richterliches Mässigungsrecht gem. Art. 163 Abs. 3 OR

Seite 216

8. Konventionalstrafe (Art. 160 – 163 OR)

F. Obligationenrechtliche Ansprüche > II. Ansprüche aus Vertragsverletzung

(«Leistungsstörungsrecht») > 8. Konventionalstrafe

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G. Erlöschen der Obligation

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I. Erfüllung (Art. 114 OR)

a. S muss spätestens bei Fälligkeit leisten (Art. 75 OR)

• Vereinbarung

• Natur des Geschäfts („Verkauf einer erst herzustellenden Sache“)

• gesetzliche Spezialregeln (Art. 318 OR)

• „im Zweifel“ sofort

b. S darf u.U. schon früher leisten (Art. 81 OR)

Kriterien wie zu a.

Seite 218

1. Rechtzeitigkeit

G. Erlöschen der Obligation > I. Erfüllung > 1. Rechtzeitigkeit

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a. vereinbarter Erfüllungsort

= vorrangig massgeblich (Art. 74 I OR)

b. mangels Vereinbarung: gesetzlicher E.

• Grundsatz: Holschuld (Art. 74 II Z. 3 OR)

• Geld: Bringschuld (Art. 74 II Z. 1 OR)

• Sache: Lageort (= i.d.R. Holschuld; Art. 74 II Z. 2 OR)

c. Insb: Schickschuld

= S verpflichtet sich, die Leistung an den Wohnsitz des G zu senden; z.B.

Versendungskauf

Seite 219

2. Am rechten Ort (Art. 74 OR)

G. Erlöschen der Obligation > I. Erfüllung > 2. Am rechten Ort

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a. geschuldeter Erfolg

= Erfüllung erst, wenn Erfolg eintritt (z.B. Lieferung einer Sache)

oder

b. geschuldete Tätigkeit

= Erfüllung, wenn Tätigkeit abgeschlossen (z.B. Behandlung des

Patienten)

Seite 220

3. Geschuldete Leistung

G. Erlöschen der Obligation > I. Erfüllung > 3. Geschuldete Leistung

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c. Insb.:

• Leistung „an Erfüllungs Statt“

G akzeptiert andere Leistung als Erfüllung

oder

• Leistung ”erfüllungshalber”

G befriedigt sich aus anderer Leistung → S wird nur soweit frei, wie sich

G befriedigen kann

Seite 221

4. Leistung an G

G. Erlöschen der Obligation > I. Erfüllung > 4. Leistung an G

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II. Insb.: Verrechnung (Art. 120 – 126 OR)

• = wechselseitige Tilgung gleichartiger Forderungen durch (Gestaltungs-)

Erklärung einer Partei

Seite 222

A B

1’000.– (fällig)

(1)’200.– (erfüllbar)

Kompensation

Kompensant K.-Gegner

Rest B

200.--

G. Erlöschen der Obligation > II. Insb.: Verrechnung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

• Geldschulden sind immer gleichartig (Art. 120 Abs. 1 OR)

• Verrechnung mit verjährter Forderung möglich, wenn sich Forderungen

einmal unverjährt gegenüber gestanden haben (= Rückwirkung der

Verrechnung; Art. 120 III OR)

• Verrechnung im Konkurs

Verrechnung auch nicht fälliger Forderungen des Kompensanten möglich

(Art. 123 OR)

Seite 223G. Erlöschen der Obligation > II. Insb.: Verrechnung

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III. Erlass

= Vertrag über die Aufhebung einer Forderung (Art. 115 OR)

= Verfügungsgeschäft (Rechtsgrund: z.B. Schenkung)

Seite 224G. Erlöschen der Obligation > III. Erlass

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IV. Novation

= Tilgung einer Forderung durch Begründung einer neuen (vgl. Art. 116 OR;

Verfügungsgeschäft, Rechtsgrund z.B. Vergleich)

• Setzt das Bestehen der getilgten Forderung voraus

• Einreden/Einwendungen des S sowie Nebenrechte des G betr. getilgte

Forderung erlöschen (vgl. Art. 114 OR)

• Novationswille (=animus novandi) wird nicht vermutet (Art. 116 Abs. 1

OR)

Seite 225G. Erlöschen der Obligation > IV. Novation

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V. Vereinigung (Konfusion)

= S- und G-Position fallen später in einer Person zusammen

→ Forderung erlischt (Art. 118 OR)

Beispiel:

Grossvater (G) verspricht Enkel (E) CHF 1.000.--; kurze Zeit später stirbt G,

E ist sein Alleinerbe

Seite 226G. Erlöschen der Obligation > V. Vereinigung (Konfusion)

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VI. Verjährung (Art. 127 ff. OR)

- Forderung verliert durch Zeitablauf ihre Klagbarkeit, bzw.

- S erhält durch Zeitablauf die Einrede der Verjährung

→ Kein Erlöschen der Forderung, sondern nur der Klagbarkeit der

Forderung („Naturalobligation“; s.a. [↑] Verrechnung!)

↔ Verwirkung (Präklusion)

- ursprünglich bestehendes Recht geht unter

- insb. bei Gestaltungsrechten, z.B. Anfechtungsfrist nach Art. 31 Abs. 1 OR

Seite 227

1. Begriff

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 1. Begriff

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• regelmässige Frist = 10 Jahre ab Fälligkeit (Art. 127 OR)

• kurze Frist = 5 Jahre ab Fälligkeit (Art. 128 OR; lesen!)

• Neuregelung ab 1.1.2020

Art. 128a OR (neu): bei vertragswidriger Tötung oder

Körperverletzung beträgt relative Frist drei Jahre und absolute Frist

20 Jahre

Seite 228

2. Sinn und Zweck

3. Dauer

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 2. Sinn und Zweck / 3. Dauer

• Rechtsfrieden + Rechtssicherheit

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• deliktische Ansprüche (Art. 60 I OR)

1 Jahr ab Kenntnis des G von Schaden und Schädiger (relative Frist)

jedenfalls: 10 Jahre nach schädigender Handlung (absolute Frist)

• Neuregelung ab 1.1.2020:

relative Frist in Art. 60 Abs. 1 OR auf drei Jahre verlängert

Art. 60 Abs. 1bis (neu): in Fällen von Tötung und Körperverletzung

beträgt relative Verjährungsfrist drei Jahre, die absolute 20 Jahre

Art. 60 Abs. 2 OR (neu): bei strafbarer Handlung keine Verjährung

vor Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung. Falls die

Verfolgungsverjährung nicht eintritt aufgrund eines erstinstanzlichen

Strafurteils, verjährt der Anspruch frühestens drei Jahre nach

Eröffnung des Urteils.

Seite 229

3. Dauer

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 2. Sinn und Zweck / 3. Dauer

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• Hintergrund der Änderung

EGMR Howald Moor et autres contre la Suisse (Requêtes numéros

52067/10 et 41072/1)

o tödliche Erkrankung mehr als 10 Jahre nach letztem Kontakt mit

Asbest

o absolute Verjährungsfrist: Schadenersatzanspruch verjährt,

bevor er entstanden ist

o Ergebnis EMRK-widrig

Seite 230

3. Dauer

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 2. Sinn und Zweck / 3. Dauer

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• Bereicherungsrecht (Art. 67 Abs. 1 OR)

1 Jahr ab Kenntnis des BG vom Anspruch (relative Frist)

jedenfalls: 10 Jahre nach Entstehung des Anspruchs (absolute Frist)

• Neuregelung ab 1.1.2020

relative Frist in Art. 67 Abs. 1 OR auf drei Jahre verlängert

Seite 231

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• Stillstand = Zeit wird nicht eingerechnet (d.h. Verjährungszeit setzt sich

aus der Zeit vor und jener nach dem Stillstand zusammen)

Beispiel:

Forderung von Ehemann M gegen Ehefrau F in Höhe von CHF 1.000.--;

später wird Ehe geschieden → Zeit der Ehe wird in die Verjährung nicht

eingerechnet, Verjährungszeiten vor der Ehe und nach der Ehe werden

addiert (Art. 134 I Z. 3 OR)

• Hinderung = Verjährung beginnt von vornherein nicht zu laufen

[entspricht Stillstand, siehe Art. 134 OR]

• Unterbrechung = Verjährung beginnt von Neuem zu laufen; z.B. S

erkennt Forderung an (Art. 135 Z. 1 OR)

Seite 232

4. Stillstand/Hinderung und Unterbrechung

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 4. Stillstand / Hinderung und Unterbrechung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiel:

M borgt sich von F Geld; 1 Jahr später heiraten M und F; weitere 9 Jahre

später werden sie geschieden; 2 Jahre später anerkennt M seine Schuld.

Verjährung nach Art. 127 OR = 10 Jahre?

Seite 233

Darlehen Ehe Scheidung Anerkenntnis

Stillstand Neue Verjährung 10 J.

= 0 JahreVerjährungszeit = 3 Jahre

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 4. Stillstand / Hinderung und Unterbrechung

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Seite 234

Zeitberechnung (Art. 132 i.V.m. 77 OR)

12.3.2007

13.3.2007 (0:00 Uhr) 12.3.2017 (24:00 Uhr)

Verjährung (Art. 127 OR: 10 Jahre)

Fälligkeit Verjährungsbeginn

(Art. 132 I OR)Ablauf der Verjährung

(Art. 132 I i.V.m. Art. 77 I Z. 3 OR)

Aber: Sonntag → endet erst

am 13.3.2017 (24:00 Uhr)

(Art. 132 i.V.m. Art. 78 I OR)

[Vgl. BGE 81 II 135]

G. Erlöschen der Obligation > VI. Verjährung > 4. Stillstand / Hinderung und Unterbrechung

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VII. Erlöschen des Schuldverhältnisses

Seite 235

- mit Erfüllung aller Pflichten endet auch der Vertrag

- typischer Weise enden so Zielschuldverhältnisse (z.B. Uhrenkauf)

G. Erlöschen der Obligation > VII. Erlöschen des Schuldverhältnisses

1. Abwicklung des Vertrags

2. Aufhebungsvertrag

- Parteien haben nicht nur Abschluss- sondern auch

Aufhebungsfreiheit

- für Aufhebungsvertrag ist Konsens erforderlich

- nicht formbedürftig, auch wenn formbedürftiger Vertrag aufgehoben

wird (vgl. Art. 115 OR)

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Seite 236

- setzt ein (gesetzliches oder vertragliches) Kündigungsrecht voraus

- das Kündigungsrecht ist ein Gestaltungsrecht, nämlich das Recht einer

Partei, den Vertrag durch einseitige Kündigungserklärung aufzuheben

- «ordentliches» Kündigungsrecht setzt keinen besonderen

Kündigungsgrund voraus (typisch für unbefristete Schuldverhältnisse;

vgl.: «ewiger Vertrag» verstösst gegen Art. 20 OR – gute Sitten;

befristete Schuldverhältnisse enden dagegen grdstzl. mit Zeitablauf)

- «ausserordentliches» Kündigungsrecht setzt einen Kündigungsgrund

voraus (vgl. Art. 257d OR – Kündigung bei Mietrückstand)

- Kündigung wirkt ex nunc

G. Erlöschen der Obligation > VII. Erlöschen des Schuldverhältnisses

3. Kündigung

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H. Drittbeteiligte

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I. Stellvertreter (Art. 32 ff. OR)

Stellvertreter (StV) ist, wer in fremdem Namen rechtsgeschäftlich handelt

(= Auslegungsfrage; vgl. Art. 32 II OR)

↔ „indirekter StV“: handelt in eigenem Namen, jedoch auf fremde Rechnung

(vgl. Art. 32 III OR)

↔ Bote: handelt nicht rechtsgeschäftlich, sondern übermittelt nur fremde

Willenserklärungen

Seite 238H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 1. Begriff

1. Begriff

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a. Voraussetzung: Vollmacht (VM)

• = rechtliches Können

• gesetzliche Vollmacht

z.B. Eltern (Art. 304 ZGB)

Organe juristischer Personen (Art. 718, 811 I OR)

Seite 239

2. Vertretungswirkung

H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 2. Vertretungswirkung

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• rechtsgeschäftlich erteilt (Art. 34 OR)

Privatautonomie des Vollmachtgebers (Art. 33 II und 34 I, II OR)!

einseitiges (empfangsbedürftiges?) Rechtsgeschäft

abstraktes RG

Vollmachtskundgabe an Dritte nicht notwendig (hat aber die Wirkung

des Art. 34 III OR)

Insb.: konkludente Erteilung („Duldungsvollmacht“)

Seite 240H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 2. Vertretungswirkung

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beachte:

Seite 241

AG

D

AN

Vertrag

Konsens

AV VM

Dürfen Können

Haftung!

H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 2. Vertretungswirkung

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b. Voraussetzung: kein vertretungsfeindliches Geschäft

z.B. Ehe kann nicht durch StV geschlossen werden

c. Urteilsfähigkeit des StV

d. Wirkung

Rechtsfolgen treten in der Person des Vertretenen ein (= Zurechnung

fremden rechtsgeschäftlichen Handelns)

Seite 242H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 2. Vertretungswirkung

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a. Grundsatz: schwebende Unwirksamkeit

→ Vertretener kann genehmigen (Art. 38 I OR)

b. Haftung des falsus procurator mangels Genehmigung (Art. 39 OR)

• Haftung des StV auf das negative Interesse (siehe aber Art. 39 II OR!)

• Haftungsausschluss bei Kenntnis des Dritten vom Fehlen der Vollmacht

• Haftungsreduktion bei Kennenmüssen des Dritten vom Fehlen der

Vollmacht

Seite 243

3. Vertreter ohne Vollmacht (falsus procurator)

H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 3. Vertreter ohne Vollmacht

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c. Haftung des Vertretenen aus Anscheinsvollmacht

• Vollmachtkundgabe I (Art. 33 III OR)

erteilte Vollmacht Drittem unrichtig kundgemacht

gutgläubiger (vgl. Art. 34 III OR) Dritter vertraut wegen Kundmachung auf

bestimmten Umfang der Vollmacht

StV handelt ausserhalb seiner Vollmacht jedoch im kundgemachten Rahmen

→ Vertretener haftet, als ob Vollmacht bestünde (Erfüllungshaftung)

Seite 244H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 3. Vertreter ohne Vollmacht

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• Vollmachtkundgabe II (Art. 34 III OR)

erteilte und Drittem richtig kundgemachte Vollmacht widerrufen

Widerruf Drittem nicht mitgeteilt

gutgläubiger Dritter vertraut wegen Kundmachung auf die Existenz der

Vollmacht

StV handelt ab Widerruf ohne Vollmacht

→ Vertretener haftet, als ob Vollmacht bestünde (Erfüllungshaftung)

• Anscheinsvollmacht = allgemeine Vertrauenshaftung

Vertrauenserzeugung

Vertrauen und -dürfen

Vertrauensdisposition

Vertrauensenttäuschung

Seite 245H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 3. Vertreter ohne Vollmacht

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Seite 246

4. Vollmacht: Übersicht

Vollmacht

gegeben

+

Weisungen

beachtet

- Wirksame

Vertretung

- Keine Haftung

des StV

- wirksame

Vertretung

- Haftung des

StV gegen-

über GH

Vollmacht

gegeben

aber

Weisungen

missachtet

Vollmacht NICHT

gegeben

Anschein

gesetzt

KEIN

Anschein

gesetzt

- Vertretung

wirkt

- rglm. Keine

Haftung des

StV

- Unwirksame

Vertretung

- Haftung des

StV gegen-

über Dritten

H. Drittbeteiligte > I. Stellvertreter > 4. Vollmacht: Übersicht

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II. Erfüllungsgehilfe (Art. 101 1. Alt OR)

Beispiel:

V verkauft eine Vase an K. V verpflichtet sich:

a) die Vase in die Wohnung des K zu liefern (Bringschuld);

b) die Vase an die Wohnung des K zu versenden (Schickschuld).

V übergibt die Vase dem Transportunternehmen T, welches die Vase beim

Transport fahrlässig beschädigt.

Muss V als Geschäftsherr für das Verschulden des T als Erfüllungsgehilfe

gegenüber K einstehen?

Seite 247H. Drittbeteiligte > II. Erfüllungsgehilfe

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Schuldpflicht des S (Beispiel: V) gegenüber G (Beispiel: K)

Variante a.: Bringschuld → Transport geschuldet

Variante b.: Schickschuld → Transport nicht geschuldet

b. Erfüllung der Schuldpflicht durch einen Dritten (Familienmitglied,

Angestellter, Subunternehmer,…)

c. Mit Wissen und Willen des Schuldners (Beispiel: V)

d. Verschulden des Dritten

e. in Ausübung seiner Verrichtungen (Vorsatz des Gehilfen?)

Seite 248

1. Tatbestand

H. Drittbeteiligte > II. Erfüllungsgehilfe > 1. Tatbestand

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Zurechnung des Verschuldens des Erfüllungsgehilfen an den

Geschäftsherrn (Schuldner; Beispiel: V)

→ Haftung für fremdes Verschulden (wie für eigenes)

Seite 249

2. Rechtsfolge

H. Drittbeteiligte > II. Erfüllungsgehilfe > 2. Rechtsfolge

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III. Ausübungsgehilfe (Art. 101 2. Alt. OR)

Beispiel:

Mieter M überlässt den Gebrauch des gemieteten Fahrzeugs seinem Sohn

S. Dieser verursacht schuldhaft einen Totalschaden am Fahrzeug.

Muss M für das Verschulden des S einstehen?

Seite 250H. Drittbeteiligte > III. Ausübungsgehilfe

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

a. Gebrauchsüberlassungsvertrag (Leihe, Miete, Pacht;…)

b. Ausübung des Gebrauchsrechts durch Dritten (Beispiel: S)

c. mit Wissen und Willen des Berechtigten (Beispiel: M)

d. Verschulden des Dritten

e. in Ausübung des Gebrauchsrechts („…in Verrichtung…“)

Seite 251

1. Tatbestand

2. Rechtsfolge → Zurechnung des Verschuldens

H. Drittbeteiligte > III. Ausübungsgehilfe > 1. Tatbestand / 2. Rechtsfolge

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IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter)

• Vertrag räumt Drittem (Begünstigtem) einen unmittelbaren Anspruch auf

die Leistung des S (Promittenten) ein (Art. 112 II OR)

• ↔ unechter VzD: nur Vertragspartner (Promissar) kann Leistung an

Dritten fordern (Art. 112 I OR)

• echt oder unecht? = Auslegungsfrage!

(vgl. Art. 112 II OR: „…Willensmeinung der beiden…“)

Seite 252

1. Echter Vertrag zugunsten Dritter

H. Drittbeteiligte > IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter) > 1. Echter Vertrag zugunsten

Dritter

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Beispiel 1: [Anm.: Spezialvorschriften des VVG bleiben hier ausser Betracht]

M unternimmt mit seiner Frau F eine Afrikareise. Hierfür schliesst er eine

spezielle Reisekrankenversicherung und bezahlt die Prämie. Als versicherte

Personen trägt M sich selbst und seine Frau F ein. Frau F erkrankt auf der

Reise schwer und muss in einem teuren Krankenhaus behandelt werden.

Kann F vom Krankenversicherer KV die Kosten zurück fordern?

Beispiel 2:

A verspricht B CHF 10.000.--. Als er sein Auto für CHF 10.000.-- an C

verkauft, vereinbart er mit C, dieser solle den Kaufpreis an B bezahlen.

C bezahlt weder an A noch an B.

Kann B Zahlung von CHF 10.000.-- fordern?

Seite 253H. Drittbeteiligte > IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter) > 1. Echter Vertrag zugunsten

Dritter

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• Valutaverhältnis beim echten VzD

echter VzD → Begünstigter hat Forderungsrecht gegen Promittenten

unterscheide: darf Begünstigter die Forderung bzw. - nach Erfüllung – die

Leistung des Promittenten behalten?

Forderung/Leistung ist eine Zuwendung des Promissars an den

Begünstigten

Verhältnis des Begünstigten zum Promissar (Valutaverhältnis)

entscheidet über das Behaltendürfen

fehlt ein Valutaverhältnis, das einen hinreichenden Rechtsgrund für die

Zuwendung bietet, so hat der Promissar einen Anspruch auf

Herausgabe der Forderung bzw. Leistung aus ungerechtfertigter

Bereicherung

Rechtsgrund: z.B. Schenkung; „solvendi causa“

Seite 254H. Drittbeteiligte > IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter) > 1. Echter Vertrag zugunsten

Dritter

Rechtswissenschaftliches Institut Helmut Heiss

Beispiel:

Ehemann M lässt vom Installateur I einen neuen Warmwasserboiler

installieren. Infolge eines vom Arbeiter A des I schuldhaft begangenen

Fehlers explodiert der Boiler und fügt der Ehefrau F des M Verbrennungen

auf der Haut zu.

Kann F von I Schadensersatz fordern?

Seite 255

2. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

H. Drittbeteiligte > IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter) > 2. Vertrag mit Schutzwirkung

zugunsten Dritter

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a. Ansprüche aus Delikt

• Körperverletzung

• gegen A (Problem: hinreichend vermögend?)

• gegen I nur unter den Voraussetzungen des Art. 55 OR → I kann

Exzeptionsbeweis erbringen!

b. Ansprüche aus Vertrag

• kein echter Vertrag zugunsten Dritter = kein Anspruch von F auf Leistung

(Parteiwille!)

• Frage: zumindest vertragliche Schutzpflichten gegenüber F?

→ vertragliche Haftung gegenüber F?

Seite 256H. Drittbeteiligte > IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter) > 2. Vertrag mit Schutzwirkung

zugunsten Dritter

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c. Vertragliche Schutzwirkungen zugunsten Dritter

• Leistungsnähe des Dritten

• G (Beispiel: M) ist für Wohl und Wehe des Dritten (Beispiel: F)

verantwortlich

• Erkennbarkeit dieser Umstände für S (Beispiel: I)

= ergänzende Vertragsauslegung?

d. Abweichende Ansichten

• Drittschadensliquidation bei unechtem Vertrag zugunsten Dritter und

Verträgen im Interesse Dritter; vgl. Koller, (Band 2) 459 [Anm.: bietet nur

teilweise funktionalen Ersatz für Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten

Dritter]

• Rechtsfortbildung des Deliktsrechts (insb. Erweiterung der

Gehilfenhaftung nach Art. 55 OR in bestimmten Zusammenhängen);

vgl. Schwenzer, 523.

Seite 257H. Drittbeteiligte > IV. Begünstigter (Vertrag zugunsten Dritter) > 2. Vertrag mit Schutzwirkung

zugunsten Dritter

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V. Zessionar (Art. 164 ff. OR)

• Übergang einer Forderung gegen einen S („debitor cessus“) vom

ursprünglichen Gläubiger („Zedent“) auf einen neuen Gläubiger

(„Zessionar“)

• rechtsgeschäftliche Zession: durch Vereinbarung (abstraktes

Verfügungsgeschäft)

• gesetzliche Zession („Legalzession“): Übergang der Forderung von

Gesetzes wegen (Art. 110, 149 I, 507 I OR)

Seite 258

1. Zession

H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 1. Zession

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Seite 259

2. Rechtsgeschäftliche Zession

G alt

Zedent

G neu

Zessionar

S

debitor cessus

Forderung

Forderung

Zession → Übergang

H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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a. Voraussetzungen

• abtretbare Forderung (beachte: pactum de non cedendo =

Abtretungsverbot [str.])

• Vereinbarung (Art. 164 I OR)

• Schriftform (Art. 165 I OR)

• [Einwilligung des S nicht erforderlich]

• [Kenntnis des S nicht erforderlich]

b. Folge

• Forderung geht auf Zessionar über

• mit der Forderung gehen auch Nebenrechte (Pfandrecht,

Eigentumsvorbehalt, Bürgschaft) auf Zessionar über (Art. 170 I OR)

Seite 260H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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c. Problem 1: S zahlt nach Zession an Zedenten

• Grundsatz

Zession → Zedent ist nicht mehr G → Zahlung an Zedenten ist keine Erfüllung

• Ausnahme (Art. 167 OR)

= Schutz des gutgläubigen Schuldners

→ Leistung an den nichtberechtigten Zedenten wirkt für S schuldbefreiend

→ wichtig: Beseitigung des guten Glaubens des S durch Abtretungsanzeige

(s. Art. 167 OR: „…bevor…angezeigt…“)

Seite 261H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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d. Problem 2: Schuldner zahlt nach unwirksamer Zession an Zessionar

• Grundsatz

keine Zession → Zessionar ist nicht G geworden → Zahlung an

Zessionar ist keine Erfüllung

• Ausnahme

= Schutz des gutgläubigen Schuldners

→ bei unrichtiger Anzeige der Zession durch Zedenten

→ Zahlung an (vermeintlichen) Zessionar wirkt für S schuldbefreiend

e. Problem 3: Zedent und Zessionar streiten über die Wirksamkeit der

Zession (Art. 168 OR)

• Unsicherheit des S, wem er schuldet

• S kann Leistung an beide verweigern und gerichtlich hinterlegen

(Art. 168 I OR)

Seite 262H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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f. Problem 4: Gegenrechte des S gegen Zedenten nach Zession (Art. 169 OR)

• Zession darf Position des S nicht verschlechtern

• S kann sich gegenüber Zessionar auf alle Gegenrechte, die ihm gegen diesen

persönlich zustehen, berufen

Beispiel:

Zedent zediert Forderung gegen S in Höhe von 1.000.-- an Zessionar; S besitzt

eigene Forderung gegen Zessionar in Höhe von 700.--

→ S kann Forderung von 700.-- gegen (abgetretene) Schuld von 1.000.--

verrechnen

• S kann Zessionar darüber hinaus die Einreden (und Einwendungen) entgegen

halten, die bei Kenntnisnahme von der Zession gegenüber Zedenten

vorhanden waren (Art. 169 I OR)

• „vorhanden“ = zumindest „im Keim“ angelegt

Beispiel: KV gibt Käufer Anspruch auf Gegenleistung = Lieferung des

Kaufgegenstands; tritt V Kaufpreisforderung an Zessionar ab und liefert später

nicht, so war die Haftung aus Vertragsverletzung bereits vor Zession (bzw.

deren Kenntnisnahme durch K) „vorhanden“

Seite 263H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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Beispiele:

• rechtshindernde Einwendungen (Nichtigkeit)

• rechtsvernichtende Einwendungen (Rücktritt)

• Einrede des nicht erfüllten Vertrags (Art. 82 OR)

• Preisminderung

• Verjährung

• Verrechnung (Art. 169 I, II OR; lesen!)

Seite 264H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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g. Problem 5: Zession nicht bestehender oder nicht einbringlicher

Forderung

• entgeltliche Abtretung (z.B. Forderungskauf)

Haftung für Bestand (Art. 171 I OR)

keine Haftung für Einbringlichkeit (Art. 171 II OR; Ausnahme: vertrag-

liche Übernahme der Haftung)

• unentgeltliche Abtretung (z.B. Schenkung einer Forderung)

keine Haftung für Bestand und Einbringlichkeit (Art. 171 III OR)

Seite 265H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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h. Besondere Erscheinungsformen

• Zession künftiger Forderungen

Mgl. wenn Forderung bestimmbar (identifizierbar; vgl. BGE 113 II 163)

• Globalzession = Zession einer Gruppe von Forderungen

(z.B. Forderungen aus Warenverkauf) eines bestimmten Zedenten

Zession aller gegenwärtiger und künftiger Forderungen verstösst

gegen Art. 27 II ZGB

Seite 266H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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• Sicherungszession

Seite 267

G

S

G

TH

SZession

1’200.--

1’200.--

1’000.--

Darlehen

Sicherungs-

abrede

H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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• Inkassozession

Zessionar übernimmt Einziehung der Forderung im eigenen Namen,

gibt Erlös aber (z.B. gegen Abzug eines Inkassoentgelts) an

Zedenten weiter

Zessionar = Treuhänder (Vollrecht nach aussen, also gegenüber S

[„rechtliches Können“] ; schuldrechtliche Bindung nach innen, also

gegenüber Zedenten [„rechtliches Dürfen“])

Seite 268H. Drittbeteiligte > V. Zessionar > 2. Rechtsgeschäftliche Zession

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VI. Schuld- (Art. 175 ff. OR) und Vetragsübernehmer

• Übernahme einer fremden Schuld (z.B. Zahlung eines Kaufpreises)

• intern: Vertrag zwischen Schuldner und Übernehmer (Art. 175 I OR)

→ Wirkung nur inter partes (S bleibt Schuldner des G)

• extern: Vertrag zwischen Gläubiger und Übernehmer; Übernehmer wird

anstelle des bisherigen Schuldners neuer Schuldner (Art. 176 OR)

• kumulativ: Dritter tritt Schuld des S bei (Schuldbeitritt) → S und Dritter

werden Solidarschuldner i.S.v. Art. 143 ff. OR

• Übernehmer tritt in das gesamte Vertragsverhältnis ein

• Vertrag aller 3 Beteiligter (ursprüngliche Vertragsparteien und

Übernehmender)

Seite 269

1. Schuldübernahme

2. Vertragsübernahme

H. Drittbeteiligte > VI. Schuld- und Vetragsübernehmer > 1. Schuldübernahme /

2. Vertragsübernahme

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VII. Solidarschuldner (Art. 143 ff. OR)

Seite 270

G 100.--

S1

S2

S3

Eintreibung

Regress*

Regress*

i. Zw. je 33,33

H. Drittbeteiligte > VII. Solidarschuldner