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316 Akute Infektionen – insbesondere der Atemwege – konnten in vorausgegan- genen Untersuchungen als wichtiger Risikofaktor für ischämische zerbrale Insulte identifiziert werden [2]. Die Er- gebnisse anderer Arbeitsgruppen hat- ten darüber hinaus ergeben, daß chro- nische Infektionen im Bereich der Zäh- ne möglicherweise einen Risikofaktor für Herzinfarkte und eine Arterio- sklerose der Herzkranzgefäße sind [1, 7–10]. Der Zusammenhang zwischen Schlaganfällen und odontogenen In- fektionen war jedoch bislang kaum un- tersucht worden [12]. Daher wurde von uns eine Fall- Kontroll-Studie durchgeführt, in der – neben anderen Infektionen – auch die Bedeutung chronischer inflammatori- scher Prozesse im Zahn-Mund-Kiefer- Bereich untersucht wurde. Ziel war es, Hinweise zu erhalten, ob bzw. auch in welchem Maß ein dentaler Fokus als mögliche Ursache oder zumindest als Kofaktor für die Genese einer akuten zerebralen Ischämie angesehen werden kann. Material und Methode In einer Pilotstudie zu chronischen odontoge- nen Infektionen als potentiellem Risikofaktor für zerebrale Ischämien wurden in Zusammen- arbeit mit der Neurologischen Klinik der Uni- versität Heidelberg 66 Patienten mit akuter ze- rebrovaskulärer Ischämie (20 Frauen und 46 Männer im Alter von 54 ± 14 Jahren) und 60 stationäre Patienten mit nicht-vaskulären und nicht-entzündlichen neurologischen Erkrankun- gen (19 Frauen und 41 Männer im Alter von 57 ± 15 Jahren) als Kontrollgruppe untersucht. Auschlußkriterien waren Schwangerschaft und berufliche Strahlenexposition. Des weiteren wurden Patienten mit Bewußtseinsstörungen und einer globalen oder Wernicke-Aphasie so- wie Patienten, die aus anderen Gründen nicht aufgeklärt werden konnten, in dieser Studie nicht berücksichtigt. Zur Quantifizierung des zahnärztlichen Un- tersuchungsbefunds kam ein modifizierter sog. Total-Dental-Index (TDI) [8, 9] zur Anwendung mit einer Skala von 0 (kein odontogener Fokus) bis 14 Punkten (schlechtest möglicher Befund) (Tabelle 1). Ein Punktewert 6 ist als „schlech- ter Zahnstatus“ anzusehen. Der TDI basiert auf einer standardisierten klinischen und radiologi- schen Untersuchung. Hierbei werden kariöse Läsionen, devitale Zähne, apikale und margina- le Parodontopathien sowie eine etwaige Peri- koronitis erfaßt. Des weiteren wurde anhand ei- nes angefertigten Panoramaschichtröntgenbilds [alle Röntgenbilder wurden ausnahmslos mit ei- nem Orthopantomographen (Fa. Siemens) er- stellt] ohne Kenntnis des Betrachters über den klinischen Status des Patienten ein Panorama- schichtindex (PI) erhoben [8, 9]. Dieser faßt peri- apikale Läsionen, durch tertiäre Karies beding- te Läsionen, vertikale Knocheneinbrüche und knöcherne Defekte aufgrund einer etwaigen Peri- koronitis zusammen. Er kann somit zur nochma- ligen Verifizierung des radiologischen Untersu- chungsteil des TDI’s herangezogen werden. Ergebnisse Die Auswertung der Untersuchungen zeigte einen Trend zu einem schlechte- ren dentalen Status (TDI) bei den Ischämiepatienten (n = 66, median TDI 5,5; 25%- bis 75%-Quartil 3–8) im Vergleich zur Kontrollgruppe (n = 60; Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 : 316–319 © Springer-Verlag 1998 Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien C. M. Ziegler 1 , W. Schwarz 1 , A. Grau 2 , F. Buggle 2 , S. Haßfeld 1 , J. Mühling 1 1 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie 2 Neurologische Klinik, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Dr. C. M. Ziegler, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Univer- sität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, D-69 120 Heidelberg Zusammenfassung Frühere Studien haben gezeigt, daß akute Infektionen, insbesondere der Atemwege, einen wichtigen Risiko- faktor für zerebrale Ischämien dar- stellen. Weiterhin wissen wir, daß chronische odontogene Infektionen ein Risiko für myokardiale Infarkte und Arteriosklerose sein können. Der Zusammenhang zwischen zerebralen Insulten und dentalen Infektionen wurde jedoch bislang kaum unter- sucht. Daher führten wir eine Fall- Kontroll-Studie unter Anwendung ei- nes standardisierten Erhebungsbo- gens und Untersuchungsprotokolls durch. Es wurden 66 Patienten mit ei- ner akuten zerebralen Ischämie/In- sult sowie 60 weitere alters- und ge- schlechtsentsprechende neurologi- sche Patienten als Kontrollgruppe untersucht. Der Zahnstatus wurde durch einen sog. Total-Dental-Index (TDI), welcher in erster Linie Karies, Parodontitis, periapikale Läsionen, devitale und fehlende Zähne berück- sichtigt, sowie durch einen Panora- maschichtindex (PI) erfaßt. Speziell ältere Patienten mit einer zerebralen Ischämie wiesen tendenziell einen signifikant schlechteren Zahnstatus auf und besaßen deutlich öfter Paro- dopathien und apikale Läsionen als Kontrollpersonen. Ein vorbestehen- der schlechter Zahnstatus war ver- knüpft mit einer zerebrovaskulären Ischämie unabhängig von anderen vaskulären Risikofaktoren und dem sozialen Status. Zusammenfassend gesagt, kann eine schlechte Zahnge- sundheit, v.a. aus chronischen odon- togenen Infektionen resultierend, mit einem erhöhten Risiko für zerebro- vaskuläre Ischämien verbunden sein. Die Ergebnisse müssen nun in größe- ren Folgestudien verifiziert werden. Da chronische dentale Infektionen weit verbreitete und ebenso leicht therapierbare Faktoren darstellen, würde ihre Identifikation als Risiko- faktor für einen Insult eine ziemlich wichtige Rolle im Bereich der Prä- ventivmedizin spielen. Schlüsselwörter Zerebrovaskuläre Ischämie · Odonto- gener Focus · Total-Dental-Index · Pan- oramaschichtindex · Präventivmedizin ORIGINALIEN

Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien

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Page 1: Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien

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Akute Infektionen – insbesondere derAtemwege – konnten in vorausgegan-genen Untersuchungen als wichtigerRisikofaktor für ischämische zerbraleInsulte identifiziert werden [2]. Die Er-gebnisse anderer Arbeitsgruppen hat-ten darüber hinaus ergeben, daß chro-nische Infektionen im Bereich der Zäh-ne möglicherweise einen Risikofaktorfür Herzinfarkte und eine Arterio-sklerose der Herzkranzgefäße sind [1,7–10]. Der Zusammenhang zwischenSchlaganfällen und odontogenen In-fektionen war jedoch bislang kaum un-tersucht worden [12].

Daher wurde von uns eine Fall-Kontroll-Studie durchgeführt, in der –neben anderen Infektionen – auch dieBedeutung chronischer inflammatori-scher Prozesse im Zahn-Mund-Kiefer-Bereich untersucht wurde. Ziel war es,Hinweise zu erhalten, ob bzw. auch inwelchem Maß ein dentaler Fokus alsmögliche Ursache oder zumindest alsKofaktor für die Genese einer akutenzerebralen Ischämie angesehen werdenkann.

Material und Methode

In einer Pilotstudie zu chronischen odontoge-nen Infektionen als potentiellem Risikofaktorfür zerebrale Ischämien wurden in Zusammen-arbeit mit der Neurologischen Klinik der Uni-versität Heidelberg 66 Patienten mit akuter ze-rebrovaskulärer Ischämie (20 Frauen und

46 Männer im Alter von 54 ± 14 Jahren) und 60 stationäre Patienten mit nicht-vaskulären undnicht-entzündlichen neurologischen Erkrankun-gen (19 Frauen und 41 Männer im Alter von 57 ± 15 Jahren) als Kontrollgruppe untersucht.Auschlußkriterien waren Schwangerschaft undberufliche Strahlenexposition. Des weiterenwurden Patienten mit Bewußtseinsstörungenund einer globalen oder Wernicke-Aphasie so-wie Patienten, die aus anderen Gründen nichtaufgeklärt werden konnten, in dieser Studienicht berücksichtigt.

Zur Quantifizierung des zahnärztlichen Un-tersuchungsbefunds kam ein modifizierter sog.Total-Dental-Index (TDI) [8, 9] zur Anwendungmit einer Skala von 0 (kein odontogener Fokus)bis 14 Punkten (schlechtest möglicher Befund)(Tabelle 1). Ein Punktewert ≥ 6 ist als „schlech-ter Zahnstatus“ anzusehen. Der TDI basiert aufeiner standardisierten klinischen und radiologi-schen Untersuchung. Hierbei werden kariöseLäsionen, devitale Zähne, apikale und margina-le Parodontopathien sowie eine etwaige Peri-koronitis erfaßt. Des weiteren wurde anhand ei-nes angefertigten Panoramaschichtröntgenbilds[alle Röntgenbilder wurden ausnahmslos mit ei-nem Orthopantomographen (Fa. Siemens) er-stellt] ohne Kenntnis des Betrachters über denklinischen Status des Patienten ein Panorama-schichtindex (PI) erhoben [8, 9]. Dieser faßt peri-apikale Läsionen, durch tertiäre Karies beding-te Läsionen, vertikale Knocheneinbrüche undknöcherne Defekte aufgrund einer etwaigen Peri-koronitis zusammen. Er kann somit zur nochma-ligen Verifizierung des radiologischen Untersu-chungsteil des TDI’s herangezogen werden.

Ergebnisse

Die Auswertung der Untersuchungenzeigte einen Trend zu einem schlechte-ren dentalen Status (TDI) bei denIschämiepatienten (n = 66, median TDI5,5; 25%- bis 75%-Quartil 3–8) imVergleich zur Kontrollgruppe (n = 60;

Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 :316–319 © Springer-Verlag 1998

Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien

C. M. Ziegler1, W. Schwarz1, A. Grau2, F. Buggle2, S. Haßfeld1, J. Mühling1

1 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie2 Neurologische Klinik, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Dr. Dr. C. M. Ziegler, Klinik und Poliklinik fürMund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Univer-sität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg

Zusammenfassung

Frühere Studien haben gezeigt, daßakute Infektionen, insbesondere derAtemwege, einen wichtigen Risiko-faktor für zerebrale Ischämien dar-stellen. Weiterhin wissen wir, daßchronische odontogene Infektionenein Risiko für myokardiale Infarkteund Arteriosklerose sein können. DerZusammenhang zwischen zerebralenInsulten und dentalen Infektionenwurde jedoch bislang kaum unter-sucht. Daher führten wir eine Fall-Kontroll-Studie unter Anwendung ei-nes standardisierten Erhebungsbo-gens und Untersuchungsprotokollsdurch. Es wurden 66 Patienten mit ei-ner akuten zerebralen Ischämie/In-sult sowie 60 weitere alters- und ge-schlechtsentsprechende neurologi-sche Patienten als Kontrollgruppeuntersucht. Der Zahnstatus wurdedurch einen sog. Total-Dental-Index(TDI), welcher in erster Linie Karies,Parodontitis, periapikale Läsionen,devitale und fehlende Zähne berück-sichtigt, sowie durch einen Panora-maschichtindex (PI) erfaßt. Speziellältere Patienten mit einer zerebralenIschämie wiesen tendenziell einensignifikant schlechteren Zahnstatusauf und besaßen deutlich öfter Paro-dopathien und apikale Läsionen alsKontrollpersonen. Ein vorbestehen-der schlechter Zahnstatus war ver-knüpft mit einer zerebrovaskulärenIschämie unabhängig von anderenvaskulären Risikofaktoren und demsozialen Status. Zusammenfassendgesagt, kann eine schlechte Zahnge-sundheit, v.a. aus chronischen odon-togenen Infektionen resultierend, miteinem erhöhten Risiko für zerebro-vaskuläre Ischämien verbunden sein.Die Ergebnisse müssen nun in größe-ren Folgestudien verifiziert werden.Da chronische dentale Infektionenweit verbreitete und ebenso leichttherapierbare Faktoren darstellen,würde ihre Identifikation als Risiko-faktor für einen Insult eine ziemlichwichtige Rolle im Bereich der Prä-ventivmedizin spielen.

Schlüsselwörter

Zerebrovaskuläre Ischämie · Odonto-gener Focus · Total-Dental-Index · Pan-oramaschichtindex · Präventivmedizin

O R I G I N A L I E N

Page 2: Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien

4; 3–6; p = 0,07) (Tabelle 2). Gleich-zeitig zeigte die isolierte Analyse derPanoramaschichtaufnahme (PI) ver-mehrt fortgeschrittene odontogene Lä-sionen bei Ischämiepatienten (MedianPI 4; 25%- bis 75%-Quartil 1–9) imVergleich zum Kontrollkollektiv (3;0–5; p = 0,062). Der TDI als Ausdruckdes klinischen und radiologischen Be-funds und der PI, welcher einzig aufder „blind“ erhobenen Röntgenbefun-dung basiert, wiesen eine signifikanteKorrelation (r = 0,62; p < 0,001) auf.

Die folgenden Aussagen beziehensich alleine auf den TDI: Patienten miteinem Alter von über 50 Jahren (n =41) hatten einen signifikant schlechte-ren Zahnstatus (Median 5; 25%- bis75%-Quartil: 3–8) als die Kontrollper-sonen derselben Altersgruppe (Median3; 25%- bis 75%-Quartil: 3–6; p =0,023). Bei den jüngeren Patienten kri-

stallisierten sich hingegen keine Un-terschiede heraus. TDI und anonym er-hobener PI waren in der Gesamtgrup-pe signifikant miteinander korreliert(Spearman-Rangkorrelationskoeffizi-ent r = 0,62; p < 0,001). Tabelle 2 zeigtauf, daß signifikante Differenzen zwi-schen den beiden Gruppen Ischämie-patienten und Kontrollpersonen be-züglich Parodontitis und periapikalenLäsionen, jedoch nicht bezüglich Ka-ries, devitalen Zähnen sowie Perikoro-nitis bestanden.

In einer univarianten Analyse warein schlechter Zahnstatus ein signifi-kanter Risikofaktor für zerebrovas-kuläre Ischämien sowohl bei allen Pa-tienten zusammen betrachtet (Odds-Ratio 2,5; 95%-Konfidenzintervall1,20–5,2; p = 0,014) als auch bei denPatienten > 50 Jahre für sich (2,7;1,10–6,8; p = 0,031; TDI > 5).

Ein schlechter Zahnstatus war in ei-ner multivarianten Analyse mit denEinflußfaktoren aktueller Nikotinabu-sus, Diabetes mellitus, niedriger Sozi-alstatus und vaskuläre Vorerkrankun-gen (Schlaganfälle und transistorische

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Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 :316–319 © Springer-Verlag 1998

Focus on odontogenic status as a cause of cerebral ischemia

C. M. Ziegler, W. Schwarz, A. Grau, F. Buggle, S. Haßfeld, J. Mühling

Summary

Recent studies have shown that acuteinfections, especially of the respira-tory tract, are an important risk fac-tor for cerebral ischemia. Addition-ally we know that chronic dental in-fections may be a risk for myocardialinfarction and artherosclerosis.However, the connection betweenstroke and dental infections has hard-ly been examined so far. Thereforewe performed a case-control studyusing a standardized questionaireand examination. We investigated 66patients consecutive to a acute cere-bral ischemia/stroke and 60 age- andsex-matched nonstroke neurologicalpatients as a control group. Dentalstatus was determined by a so calledtotal dental index (TDI) which re-flects primarily caries, periodontitis,periapical lesions, devital and miss-ing teeth as well as by a panoramicindex (PI). Specifically, older pa-tients with cerebrovascular ischemia

tended to have a significantly worsedental status and had more severe pe-riodontitis and periapical lesionsthan control subjects. A predefinedpoor dental status was associatedwith cerebrovascular ischemia inde-pendent from other vascular risk fac-tors and social status. In conclusion,poor dental health, mainly resultingfrom chronic dental infections, maybe associated with an increased riskfor cerebrovascular ischemia. Theresults must now be verified in larg-er studies. As chronic dental infec-tions are a common and also easilytreatable factor, their identificationas a risk factor for stroke would bequite important in the field of pre-ventive medicine.

Key words

Cerebrovascular ischemia · Dentalfocus · Total dental index · Panoram-ic index · Preventive medicine

Tabelle 1Im Total Dental Index (TDI) erfaßteMerkmale und ihre Bewertung

Schädigung (bezogen Bewertungs-auf 32er Gebiß) punkte

Karies

Keine Karies 01–3 kariöse Läsionen 14–7 kariöse Läsionen oder fehlende Zähne im Ober- oder Unterkiefer 28 oder mehr kariöse Läsionen oder Wurzel-reste 3

Marginale Parodontitis

Keine Parodontitis 04–5 mm tiefe par-odontale Taschen 16 mm oder tiefere parodontale Taschen 2Makroskopisch sicht- barer Eiter in der par-odontalen Tasche 3

Periapikale Läsionen oder Knochentaschen

Keine periapikale Läsion oder vertikale Knochen-tasche (VKT) 01 periapikale Läsion und/oder VKT 12 periapikale Läsionen und/oder VKT 23 und mehr periapikale Läsionen und/oder VKT 3

Avitale Zähne ohneapikale Läsion

Keine 0Mit Wurzelfüllung 1Ohne Wurzelfüllung 2

Perikoronitis

Keine 0Präsent 1

Summe der Bewertungspunkte

Page 3: Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien

Ischämien, koronare Herzkrankheit undperiphere arterielle Verschlußkrankheitzusammengefaßt) ein unabhängiger Ri-sikofaktor für eine akute zerebrovas-kuläre Ischämie (Odds-Ratio 2,4; 95%-Konfidenzintervall 1,09–5,1). In deruntersuchten, allerdings relativen klei-nen Gruppe, war ein schlechter Zahn-status der wichtigste der analysierten 5 Faktoren (Tabelle 3). Die vier weite-ren Risikofaktoren wurden gewählt, dadavon ausgegangen werden darf, daßdiese potentiellen Einfluß auf denZahnstatus haben können.

Nachfolgend wird gesondert auf diePatienten mit zerebrovaskulärer Ischä-mie eingegangen: Multiple Erkrankun-gen können einen ischämischen Insultverursachen. Patienten mit einer zere-brovaskulären Ischämie basierend aufeiner Arteriosklerose der großen Arte-rien besaßen einen signifikant schlech-teren Zahnstatus (TDI: 7,5; 4–9) imVergleich zu Patienten mit anderen Ur-

sachen wie z.B. Kardioembolien, Mi-kroangiopathien, Dissektionen usw. (n = 48; Alter 52,8 ± 14,1 Jahre; TDI:4,5; 3–7; p = 0,041). Eine Gegenüber-stellung aller Patienten mit arterio-sklerotischen Gefäßerkrankungen imSinn einer KHK, pAVK oder von Ste-nosen der hirnversorgenden Arterien (n = 27, Alter 59,9 ± 10,7 Jahre; TDI 7;4–9) mit Patienten ohne arteriosklero-tische Folgeerscheinungen (n = 39, Al-ter 50,4 ± 14,1 Jahre; TDI 4; 3–7) zeig-te eine noch deutlicher ausgeprägteDifferenz zwischen beiden Gruppen (p = 0,017). Eine Arteriosklerose derextrakranialen Arterien wurde alsIschämieursache bei 5 von 25 derzahnärztlich untersuchten Patienten imAlter bis 50 Jahre (20%) gefunden,verglichen mit 13 von 41 Patientenüber 50 Jahre (31,7%). Die Werte fürarteriosklerotische Erkrankungen wa-ren 24% (Patienten bis 50 Jahre) re-spektive 49% (Patienten älter als

50 Jahre). In einer Varianzanalyse wa-ren arteriosklerotische Gefäßerkran-kungen signifikant mit einem schlech-ten Zahnstatus verknüpft, wohingegenz.B. eine arterielle Hypertonie keineAssoziation besaß.

Im Rahmen von Nachsorgeuntersu-chungen bis zu 3 Monaten nach derIschämie konnten von insgesamt 56 zahnärztlich untersuchten PatientenBlutproben gewonnen werden. In52 Fällen erfolgte eine Bestimmungder Fibrinogentiter. Bei den Nachsor-geuntersuchungen tendierten Patientenmit einem schlechteren Zahnstatus(TDI > 5) zu höheren Leukozytenzah-len (n = 28; 8, 1 ± 2,1/nl) im Vergleichzu Patienten mit einem guten oder mo-deraten Status (n = 28; 7,1 ± 1,6/nl; p =0,077). TDI und Leukozytenzahl wie-sen eine schwächer ausgeprägte, abertrotzdem signifikante Korrelation auf(r = 0,27; p = 0,048). Die Fibrinogen-werte differierten nicht zwischen Pati-enten mit hohem (n = 27, 3,35 ±1,07 g/l) oder niedrigem TDI (n = 25;3,39 ± 1,45 g/l). TDI und Plasmafibri-nogen waren nicht mit einander korre-liert (r = –0,008).

Die zahnärztlich untersuchtenIschämie- und Kontrollpatienten stel-len selekierte Kollektive dar. Verzer-rungen der Resultate treten möglicher-weise auf, wenn Risikofaktoren odervorangegangene Erkrankungen einenEinfluß auf die Patientenentscheidunghatten, in unsere Untersuchung einzu-willigen oder diese abzulehnen. Des-halb wurden von uns die bestehendenRisikofaktoren und Vorerkrankungenvon den Ischämiepatienten und Kon-trollpersonen, welche an der zahnärzt-lichen Untersuchung teilgenommenhaben, mit denen, die nicht teilnahmenverglichen: Die Kooperationsrate derPersonen mit Hypertonie, Diabetesmellitus, bestehendem Nikotinabusus,vorbestehenden Gefäßerkrankungenoder einem niedrigem Sozialstatus dif-ferierten nicht zwischen Patienten undKontrollpersonen (χ2-Test > 0,1).

Diskussion

Die Resultate unserer Studie weisendarauf hin, daß chronische inflamma-torische Erkrankungen der Zähne unddes Parodontiums einen wichtigen undeigenständigen Risikofaktor für zere-

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O R I G I N A L I E N

Tabelle 2Analyse des Total Dental Index (TDI) und seiner einzelnen Parameter inbeiden Gruppen (n.s. nicht signifikant)

Parameter Patienten (n = 66) Kontrollpatienten (n = 60) p-Wert

Median; Median;25%–75%-Quartil 25%–75%-Quartil

TDI insgesamt 5,5; 3–8 4; 3–6 0,07 (n.s.)Karies 3; 2–3 3; 2–3 n.s.Marginale Parodontitis 1; 0–2 0; 0–1 0,047Periapikale Läsionen 1; 0–3 0; 0–2 0,027Avitale Zähne 0; 0–1 0; 0–1 n.s.Perokoronitis 0; 0–0 0; 0–0 n.s.

Tabelle 3Logistische Regressionsanalyse der Risikofaktoren

Risikofaktor Patienten Patienten Patienten insgesamt älter 50 Jahre bis 50 Jahre

Relatives Risiko Relatives Risiko Relatives Risiko(95% Konfidenz- (95% Konfidenz-) (95% Konfidenz-intervall) intervall) intervall)

Schlechter Zahnstatus (TDI > 5) 2,4 (1,09–5,1) 3,3 (1,23–8,7) 1,3 (0,32– 5,4)

Nikotin 1,04 (0,49–2,4) 0,73 (0,22–2,4) 1,03 (0,26– 4,1)Diabetes mellitus 2,2 (0,68–7,1) 3,1 (0,8–11,8) 0,5 (0.02–12,7)Niedrige soziale Schicht 1,4 (0,43–4,7) 1,5 (0,36–6,6) 2,7 (0,2 –38,2)Vorbestehende Gefäß-erkrankungen 1,6 (0,62–4,1) 2,1 (0,67–6,4) 1,2 (0,17– 8,3)

Page 4: Odontogener Fokus als Ursache zerebraler Ischämien

brale Ischämien darstellen. Hierbeischeinen v.a. die Parodontitis und peri-apikale Läsionen eine entscheidendeRolle zu spielen, z.B. da bei diesen ei-ne Verbindung zwischen Inflammati-onsherd und systemischer Zirkulationbesteht. Des weiteren deuten unsereErgebnisse an, daß chronische odonto-gene Infektionen insbesondere bei ar-teriosklerotisch verursachten zerebro-vaskulären Ischämien als Risikofaktoranzusehen sind [4].

Die bisherigen Resultate stammennur aus einer kleinen Gruppe von Pati-enten und hospitalisierten Kontrollper-sonen. Nichtsdestoweniger hat dieAnalyse sozialer und medizinischerFaktoren, welche die Zahn- und allge-meine Gesundheit beeinflussen kön-nen, keinen Hinweis auf mögliche Ab-weichungen oder Verzerrungen zwi-schen Patienten und Kontrollklientelerbracht. Es existiert des weiteren bis-lang kein Hinweis auf Unterschiedezwischen unserer Krankenhauskon-trollgruppe und der Allgemeinbevöl-kerung hinsichtlich des zahnärztlichenGesundheitsstatus. Allerdings wurdeder Zusammenhang zwischen den Er-krankungen der Kontrollgruppe unddem Zahnstatus noch nicht adäquat un-tersucht. Daher sollten Folgestudien,falls möglich, auch die Allgemeinbe-völkerung mit einbeziehen.

Der potentielle pathogenetische Zu-sammenhang zwischen chronischenodontogenen Infektionen und zerebro-vaskulären Ischämien ist bislang nichtvollständig aufgeklärt. Bei Patientenmit einer Parodontitis führen täglicheVerrichtungen wie Zähneputzen oderKauen zu einer transistorischen Bak-teriämie und Endotoxinausschwem-mung in die Blutbahn [11, 13]. EineAnzahl von Studien hat gezeigt, daß

die Parodontitis oder ein generell mi-serabler Zahnstatus mit höheren Wer-ten an Fibrinogen, Leukozytenzahlenund dem von-Willebrand-Faktor asso-ziiert sind [6, 8, 9]. In unserer Studiefanden wir einen Zusammenhang zwi-schen dem Zahnstatus bzw. der Par-odontitis auf der einen und der Leuko-zytenzahl auf der anderen Seite. Chro-nische oder wiederholt auftretende in-flammatorische Prozesse können dasKoagulationssystem aktivieren [3].Dieser Mechanismus vermag somit fürein erhöhtes Risiko zerebrovaskulärerIschämien in Verbindung mit odonto-genen Infektionen verantwortlich sein[5]. Zur nötigen Überprüfung dieserThese sind jedoch weitere Untersu-chungen erforderlich.

Unsere Ergebnisse entstammen ei-ner Pilotstudie mit insgesamt 126 ex-aminierten Personen. Die Resultatemüssen nun in umfangreicheren Studi-en verifiziert werden. BesondererSchwerpunkt ist dabei auf die Auf-klärung der pathogenetischen Bezie-hung zwischen odontogenen Infektio-nen und zerebrovaskulären Infektionenzu legen. Chronische odontogene In-fektionen stellen einen häufigen, in derRegel jedoch leicht behandelbarenFaktor dar. Einer Identifikation dieserErkrankungen als Risikofaktor für ze-rebrale Ischämien und Insulte würdeeine bedeutende Rolle im Bereich derPräventivmedizin zukommen.

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