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P rag hat sein erstes Musikfest im Jahre 1297 veranstaltet, hat Mozarts „Don Giovanni" zum ersten Male aufge- führt, hat seinen größten nationalen Tondichter Smetana verarmt im Irrenhause sterben lassen — und in diesem Jahrhundert über einhundertvierzig tschechische Opern aufgeführt. „Tiefland" wurde zum ersten Male in Prag gespielt, und die größten Diri- genten Europas haben das slawische Tem- perament der Musiker der Tschechischen Philharmonie schätzen gelernt: Eine bunt wechselnde Musikgeschichte auf der Grenz- linie zwischen West und Ost, zwischen Wien, Dresden und Ungarn, die Legende vom Ent- stehen einer nationalen Opernkunst, die, in sieb selbst widerspruchsvoll, im Kraftfeld zweier Kulturen herangewachsen ist. Am Anfang der Oper stehen indes weder die Deutschen noch die Böhmen, sondern wie überall die Italiener. Caldara führte bei der Krönungsfeier 1723 Fux' Pracht- und Schauoper „Constanza e fortezza" auf und weckte damit das Interesse der adligen Kreise der Stadt an der neuen Kunstgattung. Ita- lienische Impresarios mit ihren Operntrup- pen wurden in wachsender Anzahl nach Prag eingeladen. Seit 1798 hatte man auch ein eigenes großes Operntheater, das der Graf F. A. Nostic erbaut hatte. Im Vor- gänger dieses Hauses, dem kleinen Theater am Obstmarkt, hatte Mozart 1787 zum ersten Male seinen „Don Giovanni" dirigiert, und in demselben ehrwürdigen Hause hat hundertzwanzig Jahre später noch Bruno Walter am Pult gestanden, erfüllt von der Atmosphäre einer Stadt, in deren Barock- winkeln noch Mozarts Menuette leise zu klingen schienen. „.. .Es rührte mich", so schrieb er 1902, „in dem berühmten alten Prager Theater am Obstmarkt zu dirigieren, wo Mozart selbst 1787 die Uraufführung seines ,T)on Giovanni 1 geleitet hatte. Ich pilgerte zur Bertramka, dem reizenden Häuschen der Josepha Duschek, wo das un- sterbliche Werk entstanden war. Und im Wandern durch die interessanten alten Stra- ßen, vorbei, an den Barockfassaden, durch den Pulverturm, hinauf auf den Hradschin, über die Moldaubrücken, begann ich eine innige Zuneigung zu der seltsam großartigen, romantisch-düsteren, charaktervollen Stadt zu fühlen, eine Zuneigung, die sich an meinen zahlreichen Besuchen Prags, meinen häufigen Konzerten dort immer gesteigert und bis heute erhalten hat. Und immer wird es mich mit Prag verbinden, daß dort Mozart seine größten Erfolge beschieden waren und daß ihm die Begeisterung des Prager Publikums sein trauriges Leben ver- schönte .. ."

ÜBil - FONO FORUM · 2012. 4. 18. · von Jiri Pauer) zureichend sei, daß man in ihm nur „Garten-musiken", aber keine Opern aufführen könne. Hier hob ein Musiker und Idealist

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Prag hat sein erstes Musikfest im Jahre1297 veranstaltet, hat Mozarts „DonGiovanni" zum ersten Male aufge-führt, hat seinen größten nationalen

Tondichter Smetana verarmt im Irrenhausesterben lassen — und in diesem Jahrhundertüber einhundertvierzig tschechische Opernaufgeführt. „Tiefland" wurde zum erstenMale in Prag gespielt, und die größten Diri-genten Europas haben das slawische Tem-perament der Musiker der TschechischenPhilharmonie schätzen gelernt: Eine buntwechselnde Musikgeschichte auf der Grenz-linie zwischen West und Ost, zwischen Wien,Dresden und Ungarn, die Legende vom Ent-stehen einer nationalen Opernkunst, die, insieb selbst widerspruchsvoll, im Kraftfeldzweier Kulturen herangewachsen ist.Am Anfang der Oper stehen indes wederdie Deutschen noch die Böhmen, sondernwie überall die Italiener. Caldara führte beider Krönungsfeier 1723 Fux' Pracht- undSchauoper „Constanza e fortezza" auf undweckte damit das Interesse der adligen Kreiseder Stadt an der neuen Kunstgattung. Ita-lienische Impresarios mit ihren Operntrup-pen wurden in wachsender Anzahl nachPrag eingeladen. Seit 1798 hatte man auchein eigenes großes Operntheater, das derGraf F. A. Nostic erbaut hatte. Im Vor-gänger dieses Hauses, dem kleinen Theateram Obstmarkt, hatte Mozart 1787 zumersten Male seinen „Don Giovanni" dirigiert,und in demselben ehrwürdigen Hause hathundertzwanzig Jahre später noch BrunoWalter am Pult gestanden, erfüllt von derAtmosphäre einer Stadt, in deren Barock-winkeln noch Mozarts Menuette leise zuklingen schienen. „.. .Es rührte mich", soschrieb er 1902, „in dem berühmten altenPrager Theater am Obstmarkt zu dirigieren,wo Mozart selbst 1787 die Uraufführungseines ,T)on Giovanni1 geleitet hatte. Ichpilgerte zur Bertramka, dem reizendenHäuschen der Josepha Duschek, wo das un-sterbliche Werk entstanden war. Und imWandern durch die interessanten alten Stra-ßen, vorbei, an den Barockfassaden, durchden Pulverturm, hinauf auf den Hradschin,über die Moldaubrücken, begann ich eineinnige Zuneigung zu der seltsam großartigen,romantisch-düsteren, charaktervollen Stadtzu fühlen, eine Zuneigung, die sich anmeinen zahlreichen Besuchen Prags, meinenhäufigen Konzerten dort immer gesteigertund bis heute erhalten hat. Und immerwird es mich mit Prag verbinden, daß dortMozart seine größten Erfolge beschiedenwaren und daß ihm die Begeisterung desPrager Publikums sein trauriges Leben ver-schönte . . ."

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ÜBil

Friedrich Wilhelm Pauli

Unter Mozarts Leitung erlebte man auf derBühne zum ersten Male das sinnvolle Zu-sammenspiel aller Elemente der Bühnen-kunst, da für den Komponisten Singen,Agieren und Musizieren ein untrennbaresGanzes bildeten. Als Erfolg seiner Auf-führung konnte Mozart den Auftrag mit-nehmen, eine Festoper für die KrönungLeopolds des Zweiten zum König von Böh-men für Prag zu schreiben. Als Text hier-für wurde Metastasios „La Clemenza diTito" ausgewählt. Mozart vollendete diePartitur in achtzehn Tagen und reiste 1787wieder zur festlichen Uraufführung nachPrag. Diesmal wurde er enttäuscht, denndie Oper fand eine wesentlich kühlere Auf-nahme als der „Don Giovanni". Trotzdemist Prag eine „Mozartstadt" geblieben undmit der Uraufführung des „Don Giovanni"zum wichtigen Wegbereiter für den Kom-ponisten geworden. Lorcnzo da Ponte, derTextdichter, hat davon noch lange profi-tiert: Als neununddreißig Jahre später dieerste Aufführung der Oper in den Ver-einigten Staaten vorbereitet wurde, lebteer in New York als Lehrer der italienischenSprache, nachdem er vergeblich versuchthatte, seinen Lebensunterhalt durch denVerkauf von Tabak und Likör zu verdienen.Die späte Entdeckung Mozarts in New Yorkbrachte ihm neuen Ruhm: Er konnte zahl-reiche Textbücher „seiner" Oper verkaufen.

Weber in Prag

1801 ging das Nostic-Theater in öffentlicheVerwaltung über, diente zunächst noch über-wiegend der italienischen Oper und warspäter der deutschen Oper vorbehalten. Fürdie wenigen Opern böhmischer Musikanten,wie „Der Drahtbinder" von Skroup, warenseine Tore geschlossen. Von der Bedeutung,die das Theater zu Mozarts Zeiten gehabthatte, sank es schnell hinab in bequemesMittelmaß. Als Operndirektor regierteWenzel Müller, der vordem am WienerLeopoldstädter Theater urwienerische Ope-retten eigener Machart produziert hatte.Seinen einfachen, unverdorbenen und jedemProblematischen abholden Geschmack brach-te er nach Prag mit und heimste leichteErfolge ein. Während die Oper darniederlag,schrieb er, wie m Wien, seine munterenStückchen mit Couplets, Parodien undTanzeinlagen, und sein Operchen „DieSchwestern von Prag" wurde mit Vergnügengehört. Vergessen waren die künstlerischenImpulse, die auf die Bühne ausgestrahltwaren, als Mozart am Dirigentenkiavier ge-sessen hatte — bis Carl Maria von Weberkam.

EPISODEN

AUS DERGESCHICHTEDER PRAG ER

OPER

Ein Zufall hatte ihn nach Prag gebracht,eine Konzertreise, die ihn nach Dresden,Wien und Venedig führen sollte. Audi inPrag sollte ein Konzert stattfinden. Weberkam und blieb für länger als drei Jahre.Man bot ihm die Stelle des Leiters der deut-schen Oper an, und so wurde aus demreisenden Virtuosen der Operndirektor, derzum ersten Male Gelegenheit fand, einebedeutende Bühne zu reformieren und ausdieser Arbeit Erfahrungen zu sammeln —und außerdem seine Schulden zu bezahlen.Vielleicht verdankt die Musikwelt geradediesem Umstand Webers Weg zur Oper unddie deutsche Musik einen ihrer bedeutend-sten Schöpfer. Denn in Webers Tagebuchlesen wir: „. . . Ich kann mich schwer ent-

schließen, meine Pläne nach Italien usw.fahren zu lassen, aber um die Wonne zugenießen, bald meine Schulden als braverKerl bezahlen zu können, tue ich schon et-was . . . "Im Deutschen Theater knüpfte er wiederan die Arbeitsweise an, die er vorher inBreslau praktiziert hatte. Worauf es bei derOpernbühne ankam, das hatte ihn seineBreslauer Zeit gelehrt. Entscheidend warennicht so sehr die schönen Stimmen, als viel-mehr — wie schon bei Mozart — das Ge-samtbild einer Opernaufführung, zu demschlechthin alles gehörte, was auf der Bühnestand oder sich bewegte, was sang oderspielte, die Dekorationen ebenso wie Tan-zen und Sprechen — und sogar der Takt-

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stock, den er 1814 in seinem Theater ein-führte. Das alles wurde in einer strengenDienstordnung niedergelegt, auf deren Ein-haltung Weber unerbittlich bestand. Man-ches darin war dem ungebundenen Tem-perament neapolitanischer Primadonnenund böhmischer Musikanten zuwider. AberWeber verstand sich anzupassen und errangnicht geringen Respekt, als er sogar Tsche-chisch lernte. Als Oper für die Spielzeit1813 wählte er Spontinis „Ferdinand Cor-tez", die französische Prunkoper, die da-mals jahrelang die großen Bühnen be-herrscht hat. Abgesehen von der leiden-schaftlich-zündenden Musik mag sie WebersGeschmack nur wenig entgegengekommensein. Der Beifall der Prager Opernbesucher— „kalte Seelen", wie sie Weber nannte —war nicht überwältigend. Sie fühlten sichzwischen Mozart und den Italienern unddem stärker herandrängenden böhmischenMusikgut auf unsicherem Boden, so daßWeber in seinem Bemühen um die deutscheRomantik in der Oper hier einen weniggeeigneten Boden gefunden hatte. Aber erselbst war damals noch auf der Suche nachden Ausdrucksmitteln seiner neuen Kunst:Seine frühen Opern „Waldmädchen", „Peter-Schmoll" und „Abu Hassan" hatten keinegroßen Erfolge erringen können und mehrhatte er noch nicht geschrieben. In Pragdiente seine hingebende Mühe der Erzie-hung des Bühnenpersonals und einer allge-meinen Verbesserung der Qualität der Auf-führungen. „Don Giovanni", „Titus" und„Figaro" wurden aufs sorgfältigste ein-studiert neben Werken von Cherubini,Mehul und Spohr. E. T. A. Hoffmanns „Un-dine" fand sein besonderes Interesse, und erscheute keine Mühe, sein Publikum durchsachliche und kluge Einführungen mit Werkund Aufführung vertraut zu machen. Den

Weg zu Beethoven fand er über „Fidelio",den er in vierzehn Proben aufs sorgfältigstevorbereitete. Die Bühnenmusik hatte ihmseine sparsame Verwaltung gestrichen, sodaß er sie aus eigener Tasche bezahlte. Aberalle seine Mühen wurden ihm nur mit Un-dank gelohnt. In einem „Reskript" erklärteihm seine Aufsichtsbehörde, daß man mitseiner Arbeit durchaus unzufrieden sei.Weber wehrte sich: „. . . Mir schien die Auf-stellung eines schönen Ensembles die ersteNotwendigkeit, ich hielt nichts für Neben-sache, denn in der Kunst gibt es keineKleinigkeit . . ." Nach dreieinhalb Jahrenverließ Weber die Stadt, und Prag hatte denbesten Opernleiter der Zeit ziehen lassen.

Böhmische Musikanten

Welchen Weg waren in dieser Zeit die böh-mischen Musiker gegangen? Noch im acht-zehnten Jahrhundert waren die Lakaien inden Fürstenhäusern gleichzeitig Musikerund spielten mehrere Instrumente. Ihr Re-pertoire war die übliche höfische Musik undwas man aus Wien als geeignet einführte.Und die wenigen böhmischen Komponistensteuerten kaum mehr bei als brave Kapell-meistermusiken. Die Romantik der böh-mischen Musikantenseele enthüllte sich nochnicht im öffentlichen Musikleben, sondernblieb im politischen Spannungsfeld der Zeitunterirdisch verborgen. Das böhmische Lied,lyrisch vertieft und immer mit dem Tanzverbunden, schien Elemente zu enthalten,die zur Musikbühne drängten. Neue Im-pulse konnten von hier ausgehen und Stil-reinheit, Einfachheit und Natürlichkeit ineine Opernwelt ausstrahlen, die in den da-maligen Opern von Mehul („Jakob undseine Söhne"), Fischer („Das Hausgesinde"),Boieldieu („Johann von Paris"), Weigl („Das

Waisenhaus") und Catel („Die vornehmenWirte") im Schema zu erstarren schien.Anregungen und Ansätze zu einem tsche-chischen Theater hatte es schon zu WebersZeiten gegeben, aber es fehlten fast alleVoraussetzungen, aus diesen Ansätzen eineeigenständige Bühnenkunst entstehen zulassen: das eigene Theater, ein breit ge-streutes Interesse des Publikums, das Reper-toire und die Sänger und Schauspieler, dieder tschechischen Sprache mächtig waren. Sogingen die stärksten Impulse zunächst vonder nationalen Spaltung, vom Streben nachder Lösung vom übermächtigen deutschenKulturteil des Landes aus. Man versuchte,durch Nachmittagsvorstellungen im be-stehenden Theater eine Keimzelle für eintschechisches Nationaltheatcr zu bilden —mit geringem Erfolg und erheblichen finan-ziellen Einbußen. National gesinnte Bürger-krei.se und Literaten unterstützten die Be-mühungen, in einem zum Theater um-gebauten Redoutensaal in der Rosengassetschechische Werke im Abendprogramm zuzeigen. Der deutsche TheaterunternehmerAugust Stoger hatte die dornenvolle Auf-gabe übernommen, mußte aber bald auf-geben. Das durch die Deutsche Oper ver-wöhnte Publikum blieb seiner Bühne fern,und die große Masse der Bürger ließ sichnoch nicht für eine tschechisch-nationaleBühne erwärmen. Neue Bemühungen setztenim Revolutionsjahr 1848 ein mit dem Ziel,gleichzeitig mit der Eröffnung des erstenböhmischen Landtages auch ein tschechischesNationaltheater zu errichten. Auch dieserVersuch teilte das Schicksal der früherenStögerschen Bühne. Noch fünfzehn Jahrewurden die Versuche mit durchweg nega-tivem Erfolg fortgesetzt, obwohl wederdeutsche noch tschechische Kreise es anEifer und gegenseitigem Verständnis fehlenließen. Am achtzehnten November 1862endlich wurde ein Interimstheater eröffnet,dessen Parkett allerdings trotz großer Auf-wendungen im Spielplan wieder meist halbleer blieb.

Friedrich SmetanaIn dieser Lage traf Friedrich Smetana diePrager Theaterverhältnisse an, als er 1864,vierzig Jahre alt, zum Musikkritiker dertschechischen Zeitung „Narodni Listy" be-rufen wurde. Er griff sofort in die Ausein-andersetzungen um die Nationaloper einund führte sie aus dem Gestrüpp von Spe-kulationen und Mißverständnissen wiederzurück auf den Boden nationaler und künst-lerischer Erfordernisse. Mit praktischenÜberlegungen aus der Aufführungspraxiseiner Oper bewies er unermüdlich, daß dasInterimstheater schon technisch völlig un-

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von links nach rechts:

Marie Tauberoväals Mirandolina (Martinu)

Emil Poliertin seiner Glanzrolle des Kezal(Die verkaufte Braut)

Vaclav Talich

Ivo Zidekals Herzog (Rigoletto)

Vaclav Bednärals Vok (Susanne Vojirovävon Jiri Pauer)

zureichend sei, daß man in ihm nur „Garten-musiken", aber keine Opern aufführenkönne. Hier hob ein Musiker und Idealistseine Stimme und stellte im Interesse derKunst Forderungen, die einst schon Mozartund Weber mit Erfolg vertreten hatten.Aber der ruhelos Kritisierende wollte nichtbeim Besserwissen bleiben und reichte 1862seine eigene erste Oper für einen Wett-bewerb ein, der unter dem Motto „DieMusik — Sprache des Gefühls, das Wort desGedankens" ausgesetzt war. Erst vier Jahrespäter sprach die Jury ihr Urteil, undSmetana erhielt den Preis von 600 Guldenfür seine Oper „Die Brandenburger in Böh-men" — nicht ohne den Hinweis der Preis-richter, daß die Oper nicht „einen wahrhaftnationalen Charakter habe". Am 5. Januar1866 wurde das Werk mit Erfolg aufgeführtund sicherte dem Komponisten eine treue,

Bratschenpult der fünfundzwanzig Jahrealte Antonin Dvofak, der seinem Kapell-meister im Jahre 1871 seine erste Oper„Köhler und König" vorlegte. Smetanakonnte sich zur Annahme nicht entschließen,und der geduldige Komponist schrieb sieTakt um Takt neu. In der neuen Formwurde sie — vorübergehend — ein Erfolg.Von Dvoräks weiteren acht Opern gilt nur„Russalka" als ein echtes Zeugnis böhmi-scher Musik und wird von den TschechenSmetanas „Verkaufter Braut" als gleich-wertig an die Seite gestellt.Im Jahre 1881 brannte das Theater ab, aberinzwischen war das Musikbewußtsein dertschechischen Bevölkerung so fest gefügt,daß die Kosten für den Wiederaufbau inner-halb von vier Wochen durch Spenden auf-gebracht waren.Im Deutschen Landestheater entwickelte der

Marta Kräsovä

Marie Podvalovä in „Zwei Witwen" von Smetana

wenn auch zunächst noch kleine Gefolg-schaft junger Musikfreunde. Kaum einhalbes Jahr später stand die Premiere der„Verkauften Braut" auf dem Spielplan —und hatte geringeren Erfolg als die „Bran-denburger". Der dritten Aufführung wohnteKaiser Franz Joseph bei, und nun begannauch das Publikum, sich für das neue Werkzu erwärmen. Bei der hundertsten Auf-führung hat der Komponist erzählt, wie erzu diesem Werk gekommen ist: „. . . DieVerkaufte Braut ist nur eine Spielerei. Ichhabe sie komponiert nicht aus Ehrgeiz, son-dern aus Trotz, weil man mir nach denBrandenburgern vorgeworfen hat, daß ichein Wagnerianer sei und im leichteren na-tionalen Stil nichts könne . . ."Als Smetana sein Amt am Pult der National-oper übernahm, wirkte im Orchester am

agile Direktor Angelo Neumann in der-selben Zeit eine höchst fruchtbare Aktivitätund gewann diesem Haus internationalenRuf, weil er es verstand, die besten Kapell-meister und hervorragende Solisten zuGastspielen zu verpflichten. Der „phanta-stische" Neumann, wie ihn Bruno Walternannte, gehört in die Reihe jener abenteuer-lichen Unternehmer, die als Impresarios ihreeigene Gruppe in der bunten Welt derOper bilden, der John Rieh in London,Casazza in New York, Pollini in Hamburg,Barbaja in Wien und Neapel. Ein Viertel-jahrhundert war er Direktor der DeutschenOper in Prag und brachte zahlreiche Künst-ler von dort zu Weltruhm. Berühmte Diri-genten verpflichtete er meist bei einem GlasWein, ohne ihnen jemals einen Vertrag zuübersenden, und war dann fröhlich erstaunt,

wenn sie zum vereinbarten Termin in sei-nem Prager Direktionsbüro erschienen. Erhatte zahllose Freunde und wurde zur Le-gende des Prager Opernlebens. Die weiterenGeschicke des Hauses lenkte als DirigentA. Zemlinsky, weniger „phantastisch", abervon international anerkannter Meister-schaft.Prag hatte das Zentrum und den Nähr-boden für seine tschechisch-nationale Opern-kunst gefunden und zu einer Traditions-stätte für die gesamte böhmische Bühnen-kunst entwickelt. Nach 1945 ist ihre Be-deutung erheblich gewachsen, und den tsche-chischen Tonsetzern stehen heute für ihreBühnenwerke zwei ständige Bühnen undvon Fall zu Fall auch noch das alte Theaterzur Verfügung. Hier knüpfte Leos Janäcekan die Tradition von Smetana an und anseine persönliche Freundschaft mit Dvofak.Seine in aller Welt bekannt gewordene Oper„Jenufa" wurde bereits um die Jahrhundert-wende komponiert, in Prag aber nicht vor1916 aufgeführt. Die nächsten bedeutendenNamen der tschechischen Nationalmusikgehören der jüngeren, um 1900 geborenenGeneration an: Bohuslav Martinu hat zehnBühnenopern komponiert, die allerdings teilstschechische, teils französische oder amerika-nische Titel tragen. Jaromir Weinberger er-rang 1927 mit seiner Oper „Schwanda, derDudelsackpfeifer" einen Welterfolg, denseine späteren Opern nicht mehr erreichthaben. Auch sein Weg führte ihn, wie Mar-tinu, in die Vereinigten Staaten.Nach 1945 wurde Alois Haba zum Direktorder ehemaligen Großen Oper bestellt, dieheute „Smetana-Theater" heißt. Damit über-nahm ein Komponist die Leitung der Na-tionaloper, dessen Schaffen und Denkendurchaus eigene Wege geht. Seine Entwick-lung der Viertel- und Sechsteltonmusikführte ihn zu neuen Stilprinzipien, die erauch in drei Opern zu verwirklichen ver-sucht hat. Sein Werkverzeichnis zählt heuteüber achtzig Titel. Seine Landsleute schät-zen sein großes und vielseitiges Talent undseinen geraden und entschiedenen Charak-ter. Auch in seiner Musik sehen sie „denAusdruck einer neuen Wirklichkeit, ein Bilddes neuen Menschen, des sozialistischenMenschen in der Kraft und dem Reichtumseiner Gefühlswelt .. ."

Die großen Meister der tschechischen Musiksind große Einzelne: Zur Bildung einer„Schule" auf dem Gebiet der Oper, wieLully-Paris, Purcell-London, Keiser-Ham-bürg, Orlando di Lasso-München oder diegroßen Italiener in Venedig, Florenz undNeapel, sind sie zu spät in die Geschichteder Oper eingetreten.