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Universit¨ at Wien Wien, am 10. November 2010 Fakult¨ at f¨ ur Mathematik A-1090 Wien · Nordbergstraße 15 Tel.: 427750643 Univ.Prof. C. Krattenthaler e-mail: [email protected] FAX: +43-1-427750620 Es IST alles umsonst gewesen! Was wurde im Vorfeld nicht alles verk¨ undet. 1 Jetzt, nachdem die ,,Ergebnisse“ der Regierungsklausur vom 22./23. Oktober vorliegen, entpuppt sich das alles als leeres Gerede. Wir sind uns vollkommen im Klaren, dass unser Appell im — berechtigten — Pro- test von noch st¨ arker betroffenen Gruppen (Studierende, Familien) untergehen wird. Wir k¨ onnen und wollen uns aber nicht mit der unangemessenen Gleichg¨ ultigkeit der ¨ osterreichischen Bundesregierung gegen¨ uber Forschung und Universit¨ aten abfinden. Hatte sich die Spitzenforschung in ¨ Osterreich bis 2008 sehr positiv entwickelt, mus- ste sie seither einen D¨ ampfer nach dem anderen hinnehmen. Auf der Regierungs- klausur wurde k¨ urzlich endg¨ ultig beschlossen, diesen Aufschwung wieder zu stoppen. Anl¨ asslich der der sang- und klanglosen Absage der Pr¨ asentation der ¨ osterreichi- schen ,,Strategie der Bundesregierung f¨ ur Forschung, Technologie und Innovation“ bei den Technologiegespr¨ achen in Alpbach, da die darin enthaltenen Empfehlungen offenbar diametral den tats¨ achlichen Absichten der ¨ osterreichischen Bundesregierung gegen¨ uber standen, l¨ auteten bereits alle Alarmglocken. Jetzt kristallisieren sich die Auswirkungen der in der Klausur gefallenen Beschl¨ usse heraus: Es wird bei der For- schung und den Universit¨ aten praktisch durchwegs gek¨ urzt. Das beginnt mit den angeblichen ,,zus¨ atzlichen“ 80 Millionen Euro f¨ ur die Univer- sit¨ aten f¨ ur vier Jahre. Den ,,Zusatzmitteln“ von 320 Millionen Euro stehen in Wirk- lichkeit 382 Millionen Euro gegen¨ uber, die dem Ministerium f¨ ur Wissenschaft und Forschung gerade erst vor einigen Monaten im Zuge des neuen Finanzrahmenge- setz weggenommen wurden. Dass diese ,,Zusatzmittel“ auch in keiner Relation zum tats¨ achlichen Finanzbedarf der chronisch unterfinanzierten Universit¨ aten in ¨ Oster- reich stehen (den die Rektoren erst zuletzt wieder genannt haben) sei nur so nebenbei erw¨ ahnt. Es ist dann nur konsequent, dass diese Bundesregierung f¨ ur die Anliegen der Rektoren seit Mai leider keine Zeit hat. Wie es ab 2013 nach dem Auslaufen der derzeitig g¨ ultigen Leistungsvereinbarungen weitergehen soll, wollen wir uns gar nicht vorstellen. 1 ,,In der neuen FTI-Strategie des Bundes (die im Mai/Juni ver¨offentlicht werden soll) ist ein klares Bekenntnis zur St¨arkung (qualitativ wie finanziell) der Grundlagenforschung beinhaltet“ (Bundes- kanzleramt, 1. Februar 2010); ,,Ich teile Ihre Meinung, dass ¨ Osterreich auf die Wirtschaftskrise mit verst¨arkter Forschungsf¨orderungreagieren sollte“ (BMVIT, 4. M¨ arz 2010); ,,Forschung und Entwick- lung ist einer der wenigen Bereiche, in denen angesichts der gegen¨ uber den Regierungsverhandlungen dramatisch ge¨anderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht eingespart wird“ (BMWF, 2. Fe- bruar 2010); aus den Reaktionen auf den offenen Brief ,,Ist der Aufholprozess umsonst gewesen?“ der Wittensteinpreis Tr¨ agerInnen vom 27. J¨ anner 2010.

Offener Brief der Wittgensteinpreistraeger_innen an Bundeskanzler Feymann

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Univ.Prof. Christian Krattenthaler, Sprecher Wittgensteinpreis Tra ̈gerInnen

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Page 1: Offener Brief der Wittgensteinpreistraeger_innen an Bundeskanzler Feymann

Universitat Wien

Wien, am 10. November 2010

Fakultat fur Mathematik

A-1090 Wien · Nordbergstraße 15

Tel.: 427750643

Univ.Prof. C. Krattenthalere-mail: [email protected]

FAX: +43-1-427750620

Es IST alles umsonst gewesen!

Was wurde im Vorfeld nicht alles verkundet.1 Jetzt, nachdem die ,,Ergebnisse“ derRegierungsklausur vom 22./23. Oktober vorliegen, entpuppt sich das alles als leeresGerede.

Wir sind uns vollkommen im Klaren, dass unser Appell im — berechtigten — Pro-test von noch starker betroffenen Gruppen (Studierende, Familien) untergehen wird.Wir konnen und wollen uns aber nicht mit der unangemessenen Gleichgultigkeit derosterreichischen Bundesregierung gegenuber Forschung und Universitaten abfinden.

Hatte sich die Spitzenforschung in Osterreich bis 2008 sehr positiv entwickelt, mus-ste sie seither einen Dampfer nach dem anderen hinnehmen. Auf der Regierungs-klausur wurde kurzlich endgultig beschlossen, diesen Aufschwung wieder zu stoppen.Anlasslich der der sang- und klanglosen Absage der Prasentation der osterreichi-schen ,,Strategie der Bundesregierung fur Forschung, Technologie und Innovation“bei den Technologiegesprachen in Alpbach, da die darin enthaltenen Empfehlungenoffenbar diametral den tatsachlichen Absichten der osterreichischen Bundesregierunggegenuber standen, lauteten bereits alle Alarmglocken. Jetzt kristallisieren sich dieAuswirkungen der in der Klausur gefallenen Beschlusse heraus: Es wird bei der For-schung und den Universitaten praktisch durchwegs gekurzt.

Das beginnt mit den angeblichen ,,zusatzlichen“ 80 Millionen Euro fur die Univer-sitaten fur vier Jahre. Den ,,Zusatzmitteln“ von 320 Millionen Euro stehen in Wirk-lichkeit 382 Millionen Euro gegenuber, die dem Ministerium fur Wissenschaft undForschung gerade erst vor einigen Monaten im Zuge des neuen Finanzrahmenge-setz weggenommen wurden. Dass diese ,,Zusatzmittel“ auch in keiner Relation zumtatsachlichen Finanzbedarf der chronisch unterfinanzierten Universitaten in Oster-reich stehen (den die Rektoren erst zuletzt wieder genannt haben) sei nur so nebenbeierwahnt. Es ist dann nur konsequent, dass diese Bundesregierung fur die Anliegender Rektoren seit Mai leider keine Zeit hat. Wie es ab 2013 nach dem Auslaufen derderzeitig gultigen Leistungsvereinbarungen weitergehen soll, wollen wir uns gar nichtvorstellen.

1,,In der neuen FTI-Strategie des Bundes (die im Mai/Juni veroffentlicht werden soll) ist ein klares

Bekenntnis zur Starkung (qualitativ wie finanziell) der Grundlagenforschung beinhaltet“ (Bundes-

kanzleramt, 1. Februar 2010); ,,Ich teile Ihre Meinung, dass Osterreich auf die Wirtschaftskrise mitverstarkter Forschungsforderung reagieren sollte“ (BMVIT, 4. Marz 2010); ,,Forschung und Entwick-

lung ist einer der wenigen Bereiche, in denen angesichts der gegenuber den Regierungsverhandlungen

dramatisch geanderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht eingespart wird“ (BMWF, 2. Fe-bruar 2010); aus den Reaktionen auf den offenen Brief ,,Ist der Aufholprozess umsonst gewesen?“

der Wittensteinpreis TragerInnen vom 27. Janner 2010.

Page 2: Offener Brief der Wittgensteinpreistraeger_innen an Bundeskanzler Feymann

Wir wagen es ja kaum noch, zum wiederholten Male darauf hinzuweisen, dass dieForschungsforderungsagenturen, die die einzigen Garanten dafur sind, dass in Oster-reich Forschungsmittel kompetitiv unter internationaler Begutachtung vergeben wer-den, gestarkt werden mussen. Insbesondere muss es dem FWF ermoglicht werden, dieinternational ubliche Pauschalabdeckung indirekter Kosten (,,Overheads“) von For-schungsprojekten im Sinne der Steuerungswirkung fur die Einwerbung von Drittmit-teln einzufuhren. In der derzeitigen Situation ist das vollig denkunmoglich: Die Mitteldes FWF wurden fur die Jahre 2009 bis 2013 auf 85% des vorherigen Niveaus einge-froren, ohne Aussicht, dass sich da in nachster Zeit etwas verbessern wird. Dass aufder anderen Seite ohne viel Getose die Forschungspramie von 8% auf 10% erhoht wird,was die Kleinigkeit von jahrlich 100 Millionen Euro kostet (2/3 des jahrlichen Budgetsdes FWF), ist dann schon provokant: eine Direktsubvention, die hauptsachlich weni-gen Großbetrieben zugute kommt, ohne Begutachtung oder Evaluation, mit fraglicherRelevanz fur den Wissenschaftsstandort Osterreich.

,,Wir leben in Zeiten der Krise, und da muss jeder Bereich zur Sanierung beitragen.“Stimmt, wir leben in Zeiten der Krise, und da mussen geeignete Maßnahmen gesetztwerden. Wie viele Lander (wie die USA, Deutschland, Schweiz, Belgien, Schweden,Finnland, Norwegen) vorzeigen, ist es notwendig, gerade in Zeiten der Krise verstarkteAnstrengungen in der Forschung zu unternehmen, da Forschung langfristig angelegtist. Der unmittelbare Schaden, der jetzt in kurzester Zeit angerichtet wird, wird invielen Jahren nicht aufholbar sein. Osterreich wird gegenuber jenen Landern, die hiereine ganz andere Strategie fahren, empfindlich zuruckfallen.

Wofur in Osterreich Geld da ist, das ist ja bereits in allen osterreichischen Zeitungenausfuhrlich kritisiert worden: fur jene Gruppen, die die starksten Lobbies hinter sichwissen, und die einer der Regierungsparteien moglichst nahe stehen. Es wurde in denletzten Monaten von zahlreichen Personen immer wieder betont:

Die einzige Chance Osterreichs im internationalen Wettbewerb zu bestehen, ist

sein geistiges Kapital, also Bildung und Wissenschaft.

Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, Sie sind gerade dabei, dieses Kapital auf vieleJahre zu verspielen!

Fur die Wittgensteinpreis TragerInnen gezeichnet:

(Univ.Prof. Christian Krattenthaler,Sprecher Wittgensteinpreis TragerInnen)