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Olaf-Axel Burow Zur Entdeckung des "Kreativen Feldes" Herauszufinden, wozu man sich eignet und eine Gelegenheit zu finden, das zu tun, ist der Schlüssel zum Glücklichsein. John DEWEY Worum es bei der Erforschung "Kreativer Felder" geht: Ein Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhls für Allgemeine Pädagogik besteht in der Erforschung der Bedingungen, die zur Ausbildung von Kreativen Feldern führen. Hierbei wählen wir verschiedene Zugänge: Untersuchung von Faktoren, die erfolgreiche Teams aus verschiedensten Bereichen charakterisieren (Beatles, Comedian Harmonists, Gründerfiguren von Apple und Microsoft, kreative Teams in der Literatur etc.) Untersuchung des Zusammenhangs von Begabung und Feld Untersuchung, Erprobung und Entwicklung von Verfahren zur Schaffung von Kreativen Feldern. Um eine bessere Vorstellung des Forschungsfeldes zu ermöglichen, ist nachfolgend der Text meiner Antrittsvorlesung an der GhK aufgeführt, in dem ich die grundlegenden Ideen, die hinter der Theorie des Kreativen Feldes stehe, skizziere. Es geht dabei um die Frage, wie Kreativität entsteht und wie wir die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von kreativen Leistungen erhöhen können. Ich arbeite zur Zeit an einer Studie zu dieser Fragestellung, die Ende 1998 erscheinen soll. Ihr Titel lautet: "Kreative Felder". Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einige Überlegungen aus dem Rohmanuskript vorzustellen und bin dankbar für kritische Anregungen. 1. Was haben die Musik der Beatles, der Apple PC und Microsoft gemeinsam? Die Studie habe ich ebenso wie diese Vorlesung auf einem Apple-Powerbook mit Microsoft Software geschrieben. Zu einigen meiner Überlegungen hat mich das Gruppenphänomen der Beatles inspiriert. Drei scheinbar unzusammenhängende Dinge, die uns wichtige Aufschlüsse darüber geben können, wie kreative Prozesse

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Olaf-Axel Burow

Zur Entdeckung des "Kreativen Feldes"

Herauszufinden, wozu man sich eignet

und eine Gelegenheit zu finden, das zu tun,

ist der Schlüssel zum Glücklichsein.

John DEWEY

Worum es bei der Erforschung "Kreativer Felder" geht:

Ein Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhls für Allgemeine Pädagogik besteht in der

Erforschung der Bedingungen, die zur Ausbildung von Kreativen Feldern führen.

Hierbei wählen wir verschiedene Zugänge:

• Untersuchung von Faktoren, die erfolgreiche Teams aus verschiedensten

Bereichen charakterisieren (Beatles, Comedian Harmonists,

Gründerfiguren von Apple und Microsoft, kreative Teams in der Literatur

etc.)

• Untersuchung des Zusammenhangs von Begabung und Feld

• Untersuchung, Erprobung und Entwicklung von Verfahren zur Schaffung

von Kreativen Feldern.

Um eine bessere Vorstellung des Forschungsfeldes zu ermöglichen, ist nachfolgend

der Text meiner Antrittsvorlesung an der GhK aufgeführt, in dem ich die

grundlegenden Ideen, die hinter der Theorie des Kreativen Feldes stehe, skizziere.

Es geht dabei um die Frage, wie Kreativität entsteht und wie wir die

Wahrscheinlichkeit des Auftretens von kreativen Leistungen erhöhen können. Ich

arbeite zur Zeit an einer Studie zu dieser Fragestellung, die Ende 1998 erscheinen

soll. Ihr Titel lautet: "Kreative Felder". Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einige

Überlegungen aus dem Rohmanuskript vorzustellen und bin dankbar für kritische

Anregungen.

1. Was haben die Musik der Beatles, der Apple PC und Microsoftgemeinsam?

Die Studie habe ich ebenso wie diese Vorlesung auf einem Apple-Powerbook mit

Microsoft Software geschrieben. Zu einigen meiner Überlegungen hat mich das

Gruppenphänomen der Beatles inspiriert. Drei scheinbar unzusammenhängende

Dinge, die uns wichtige Aufschlüsse darüber geben können, wie kreative Prozesse

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funktionieren. Meine These ist, daß die kreativen Prozesse, die zur Musik der

Beatles, zur Enwticklung des Apple PC und zur Software von Microsoft geführt

haben, eine gemeinsame Grundlage besitzen, die nicht nur von hoher Relevanz für

die Entwicklung von Konzepten zur Kreativitätsförderung ist, sondern auch neue

Horizonte für die pädagogische Forschung eröffnet.

2. Was wissen wir über Kreativität?

Ein wissenschaftlicher Vortrag sollte mit einer klaren Definition seines Gegenstandes

beginnen. Dies ist im Fall der "Kreativität" eine ziemlich undankbare Aufgabe. In

dieser Forschungsrichtung, die erst in den sechziger Jahren in den USA u.a. im

Gefolge des Sputnik-Schocks entwickelt wurde, gibt es keine allgemein akzeptierte

Definition. Dieser Umstand verleitet Hartmut v. HENTIG (1998) davon zu sprechen,

daß Kreativität ein Mythos und letztlich ein Kult um einen (be-)trügerischen Begriff

sei. Der Vorschlag eines anerkannten Kreativitätsforschers, Helmut SCHLICKSUPP,

kann uns in der Tat nur begrenzt aus dem Dilemma unklarer Begriffsbildung befreien.

SCHLICKSUPP definiert Kreativität als "die hervorragende Denkfähigkeit zur Lösung

schlecht definierter Probleme, wie Such-, Analyse- und Auswahlprobleme." Das

klingt auf den ersten Blick eindeutig! Aber beim zweiten Blick beginnen die Fragen:

Was ist unter einer "hervorragenden Denkfähigkeit" zu verstehen? Und reduziert sich

Kreativität wirklich nur auf die Lösung von Such-, Analyse- und Auswahlproblemen?

Wie können wir etwa die Kreativität der Beatles oder Picassos unter eine solche

Definition fassen?

Zwei führende amerikanische Kreativitätsforscher, Milhalyi Csikszentmilhalyi und

Howard Gardner haben das Definitionsproblem elegant umgangen, indem sie

behaupten, die zentrale Frage sei nicht die nach der Definition, sondern die nach

dem Ort der Kreativität. Wo findet also Kreativität statt? In einem etablierten Modell

der anwendungsorientierten Kreativitätsforschung wird folgende Antwort gegeben:

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Input Kreative Person

Kreativer Prozeß

Kreatives Produkt

Fördernde Faktoren

Hemmende Faktoren- -

- --

+ + +++ +

Kreatives Umfeld

Vier Bereiche anwendungsorientierter Kreativitätsforschung

* kreative Person* kreativer Prozeß* kreatives Umfeld* kreatives Produkt

LÖSUNGEN

Nach diesem Modell benötigen wir, wenn wir mehr über das Wesen der Kreativität

erfahren möchten, z.B. Vergleichsstudien über kreative Personen, kreative Prozesse,

förderliche oder hinderliche Umfelder und Charakteristika kreativer Produkte. Zu

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allen diesen Bereichen gibt es eine Reihe von Studien, die aus naheliegenden

Gründen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: die Vielzahl der Faktoren, die

das Phänomen Kreativität beeinflussen, wird man wahrscheinlich niemals

wissenschaftlich operationalisieren können. Wenn man - angenähert an eine

naturwissenschaftlichen Forschungsauffassung - versucht, einzelne Komponenten

so genau zu operationalisieren, daß sie eindeutig überprüfbar werden, reduziert man

das Untersuchungsfeld auf so wenige Faktoren, daß die Ergebnisse häufig weniger

aussagen als das, was der durchschnittlich informierte Laie ohnehin weiß. Geht man

mit unschärferen Fragen vor, in der Hoffnung mehr Faktoren zu erfassen, erhält man

ebenfalls Einsichten, die uns nicht gerade neu erscheinen. So hat man z.B.

herausgefunden, daß in anstrengenden Sitzungen nur 6% und in langweiligen

Sitzungen nur 10% an kreativen Ideen entstehen, während demgegenüber der

unverplante Aufenthalt in der Natur mit 28% und die Ferien immerhin mit 13 % zu

neuen Ideen beitragen. Erstaunlich ist dabei, wie sehr wir - trotz solcher Einsichten -

bei der Organisation unserer Arbeit nachwievor das Modell der Sitzung bevorzugen.

Auf jeden Fall zeigen die Untersuchungen, daß etwa 2/3 aller kreativen Ideen

außerhalb des Arbeitsplatzes entstehen. Verhindert also eine rigide Regelung der

Anwesenheitspflicht die Freisetzung von Kreativität? Ist der Arbeitsplatz ein anti-

kreatives Feld? Und wie würde dagegen ein Kreatives Feld aussehen? Vor allem:

Kann man Kreative Felder schaffen?

Zur sozialpsychologischen Feldtheorie Kurt Lewins

Die Vermutung, allein durch das Einräumen größerer Freiräume würde dieAuftretenswahrscheinlichkeit von Kreativität erhöht, läßt sich allerdings nicht halten.Wie wir bestimmte Umfelder erleben, ist nämlich nicht objektiv gegeben, sondernhängt in hohem Maß von unsere subjektiven Strukturierungen ab. So hat derSozialpsychologe Kurt LEWIN mit seiner an MORENO anknüpfenden Feldtheorie(vgl. DAUBER 1997) gezeigt, daß das "Umfeld" oder "Feld", das wir meist alsobjektiv gegeben annehmen, durch unsere subjektiven Wahrnehmungsmusterstrukturiert wird. Als Soldat in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs fiel LEWINauf, daß sich für ihn und seine Kameraden die Wahrnehmung der Landschaftveränderte: Im Gegensatz zum Urlauber, der die Naturschönheiten bewundert,reduziert sich für den Soldaten die Wahrnehmung der Landschaft auf dieüberlebenswichtigen Aspekte eines Gefechtsfeldes. Aufgrund solcherBeobachtungen kommt LEWIN zu der Auffassung, daß die Felder, in denen wir unsbewegen, als erlebnismäßig strukturierte Räume zu betrachten sind. Jeder von unskonstruiert demnach für sich einen subjektiv geprägten, erlebnismäßig strukturiertenRaum. Diesen Raum bezeichnet LEWIN später als „Lebensraum“ . Durch eine

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Nachzeichnung der in ihm wirkenden Druck- und Zugkräfte will er ihn genauerbestimmen.„Erlebnismäßig strukturiert“ meint , daß das „Selbst“ des Betrachters in dieLandschaft hineingetragen wird. Das Kreative Feld ist also nicht "objektiv" gegeben,sondern hängt von der Einstellung des Betrachters ab, von der Art und Weise, wie ersein „Selbst“ in die Landschaft einbringt. Sowohl in mir als auch in der Landschaftliegen eine Reihe von Möglichkeiten, die erst dadurch wirklich werden, daß ich michfür eine besondere Wahrnehmung entscheide und/oder daß eine bestimmteWahrnehmung an mich herangetragen wird. Die Art und Weise, wie ich mich in dieLandschaft einbringe und sie damit strukturiere, sagt etwas darüber aus, inwieweitich in der Lage bin, meinen kreativen Spielraum auszunutzen. KreativePersönlichkeiten sind offenbar in der Lage, besondere Zugänge zu Feldern zubekommen, ihnen einen besonderen Sinn zu geben, den wir normalerweise nichterkennen. Kreative sind in der Lage - auch in Feldern, die uns als ungünstigerscheinen - neue Landschaften zu entwerfen.LEWIN versuchte seine Feldtheorie handhabbar zu machen, indem er eine„topologische“ Darstellung des Lebensraums erfand. Er benutzte dazu diesogenannte Jordankurve (ovale begrenzte Fläche):

P

+

-

-

+

Lebensraum dargestellt durch die Jordankurve mit Person P,Regionen des Lebensraums mit positiven und negativen Valenzen.Ein unzugänglicher Bereich des Lebensraums ist schraffiert dargestellt.

LEWINs topologische Darstellung des Lebensraums nach Lück 1996, S.51

„Der durch die Jordankurve dargestellte Lebensraum umfaßt die Person - dargestelltals Punkt. Veränderungen im Lebensraum sind das Ergebnis von Feldkräften.Regionen des Lebensraums mit positiven Valenzen veranlassen die Person, dieseRegion als Zielregion anzustreben und dabei Regionen mit negativemAufforderungscharakter zu meiden.“

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Zur soziologischen Feldtheorie Bourdieus

LEWINs sozialpsychologischer Analyseversuch unserer Lebensraumkonstruktionenfindet in der soziologischen Feldtheorie Pierre BOURDIEUs eine fruchtbareErweiterung. BOURDIEU hat in zahlreichen Analysen aufgezeigt, inwieferngesellschaftliche Felder als Kampffelder anzusehen sind, in denen wir alle im Spielum Anerkennung und Macht unsere besonderen Potenzen einsetzen. Er betrachtetsie als verschiedenen Arten von "Kapital" und unterscheidet:• soziales Kapital• kulturelles Kapital• ökonomisches KapitalDen Gewinnern dieser gesellschaftlichen Wettkämpfe gelingt es, diese dreiKapitalarten so zu bündeln und zu vermehren, daß sie sich zur höchsten Stufevereinen, die BOURDIEU als symbolisches Kapital bezeichnet. Unter symbolischemKapital versteht er die wahrgenommene und als legitim anerkannte Form vonsozialem, kulturellem und ökonomischem Kapital, die sich beispielsweise im Prestigeoder Renomee äußert. Aus BOURDIEUs Überlegungen ergibt sich die Einsicht ineine Reihe von gesellschaftlichen Spielregeln, die darüber entscheiden, ob jemandsein kreatives Potential ausschöpfen und Anerkennung finden kann. Das Feld, indem ich mich bewege, ist also nicht nur durch meine subjektivenStrukturierungsleistungen bedingt, sondern wird auch durch die gesellschaftlichenDistinktionsspiele beeinflußt.

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Der Ort der Kreativität nach Csikszentmilhalyi und Gardner

CSIKSZENTMILHALYI und GARDNER haben mithilfe von Lebenslaufstudien

versucht, eine Antwort auf die Frage nach förderlichen Umfeldern zu finden.

Während Gardner die "Schöpfer der Moderne" (Picasso, Freud, Einstein, Ghandi,

Strawinsky, Graham) in vergleichenden Lebenslaufstudien untersucht hat, hat sich

Csikszentmilhalyi auch mit normalen Sterblichen beschäftigt. Die Frage nach dem

Ort der Kreativität versuchen beide mit folgendem Modell zu beantworten:

Individuelles Talent

Feld(Kritiker/Institutionen)

Domäne/Disziplin

Abb.1: Wo findet Kreativität statt? Nach Gardner, 1996, S.59

GARDNER kann nun anhand einer vergleichenden Analyse der Lebensläufe der

Schöpfer der Moderne weitere Einsichten herausarbeiten, die zeigen, wie es

überragenden Genies gelingt, diese Faktoren - trotz bisweilen ungünstiger

Voraussetzungen - optimal zu koordinieren.

Den Schöpfern der Moderne ist zunächst gemeinsam, daß sie zeitlebens über einen

intensiven Zugang zu frühen Kindheitserlebnissen verfügten und sich eine gewisse

Kindlichkeit bewahrt haben. Offensichtlich gibt es eine Verbindung zwischen der

noch weitgehend offen strukturierten Welt des Kindes und des reifen schöpferischen

Menschen. Weiter zeigt Gardner, daß die Schöpfer über eine frühe Spezialbegabung

verfügten, die von ihrem Umfeld erkannt und gefördert wurde. So durfte z.B. Picasso

schon als Kind erleben, daß seine Zeichnungen von seinem Vater bewundert und

gesammelt wurden. Kennzeichnend ist, daß kreative Persönlichkeiten in der Lage

sind, sich in einen Gegensatz zu den beherrschenden Auffassungen ihrer Umgebung

zu setzen, Asynchronien auszuhalten und sie produktiv zu verarbeiten. Schließlich

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zeichnet es die Schöpfer aus, daß sie sehr konsequent an ihren Projekten arbeiten.

Dabei scheint es so etwas wie eine Zehnjahresregel zu geben: Alle brauchten etwa

eine zehnjährige Einarbeitungszeit, bis sie in der Lage waren, in ihrem Gebiet

kreative Durchbrüche zu erzielen. Und noch etwas hat Gardner herausgefunden:

Drastisch spricht er von der Blutspur der Kreativen und etikettiert damit seine

Einsicht, daß überragende Schöpfer häufig derart engagiert an der Durchsetzung

ihrer Projekte arbeiten, daß sie in Extremfälle buchstäblich über Leichen gehen, d.h.

der Erreichung ihres Zieles bedenkenlos soziale Beziehungen opfern. So ist z.B. der

rücksichtslose Umgang mit Angehörigen von Einstein, über Ghandi bis Picasso

bekannt.

So beeindruckend Gardners Einsichten sind, so sehr leiden sie doch unter einem

Mangel: Indem er sich auf herausragende Genies konzentriert, bleibt die

Alltagskreativität über die wir alle verfügen, unbeachtet. Problematischer noch:

Gardner bleibt dem Geniekult verhaftet, der überragende Leistungen vor allem auf

das Wirken überragend begabter Individuen zurückführt. In meiner Untersuchung

versuche ich Gardners und Csikzentmilhalyis Einsichten weiterzudenken und sie mit

Einsichten aus LEWINs sozialpsychologische Feldtheorie, BOURDIEUs

soziologischer Feldtheorie sowie physikalischer und biologischer Feldtheorien zu

verbinden. Ich komme so zu einem völlig veränderten Blickwinkel. Kreativität

erscheint in meiner Sicht vor allem als Effekt besonders aufgebauter sozialer

Unterstützer-Felder. Die alleinige Untersuchung der Lebensläufe von überragend

Kreativen führt zwangsläufig in die Irre, weil der Ort der Kreativität nur zum Teil im

Individuum zu finden ist. Wie ich zu zeigen versuche, ist das Auftreten von Kreativität

vor allem als Effekt spezifisch aufgebauter sozialer Felder anzusehen. Solche Felder

nenne ich "Kreative Felder".

Während GARDNER die Bedeutung überragender Begabungen schon in der frühen

Kindheit hervorhebt, vertrete ich die These, daß fast jeder von uns zu überragenden

kreativen Leistungen fähig ist, wenn er ein geeignetes Kreatives Feld findet oder es

aufbaut. Als einen Beleg dieser These, sehe ich die Entstehung von drei Erfindungen

an, die die letzten Jahre unseres Jahrhunderts geprägt haben: die Musik der Beatles,

die Erfindung des Personalcomputers und die Schaffung entsprechender

Programme. Es wird sich zeigen, daß sie nicht von frühbegabten Genies, sondern

von vergleichsweise durchschnittlich begabten Personen geschaffen wurden, die das

Glück hatten, ihr Kreatives Feld zu finden.

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3. Wie der kreative Prozeß der Beatles funktionierte

"Brians Anteil war enorm.Was er in den Anfängen der Beatles geleistet hat, hätte wohl kein anderer besser machen können. Er

hat die Band auf Vordermann gebracht. Immer und immer wieder mußte er eine Abfuhr einstecken.Und als er zu mir kam, war das wirklich sein letzter Versuch, daran bestand kein Zweifel. Seiner

Beharrlichkeit verdanken sie ihren Aufstieg. Ich glaube, wenn er es zu diesem Zeitpunkt nichtgeschafft hätte, wären sie ihm davongelaufen. Womöglich hätten sie sich getrennt, und jeder wäre

seinen eigenen Weg gegangen. Doch er hat sie geformt, er hat ihnen Mut gegeben. Sie waren seineKinder."

George Martin (Imagine, 52)

Bei meinen Recherchen fiel mir ein gerade erschienenes Buch des Producers undlangjährigen Wegbegleiters der Beatles, George MARTIN, in die Hände, in dem erden kreativen Prozeß bei der Enwicklung des Konzeptalbums Sergeant PeppersLonely Hearts Club Band beschreibt. Obwohl er auf die enge Beziehung zwischenLENNON & McCARTNEY fokussiert, macht seine sensible Schilderung deutlich, daßdie Beatles nur als Gruppe funktionierten. George und Ringo spielten auf ihre Weiseeine wichtige Rolle für den Zusammenhalt und die gemeinsame Entwicklung. Undauch andere Personen, die stärker im Hintergrund standen, hatten einenentscheidenden Anteil daran, daß die Beatles ihr kreatives Potential erschließenkonnten. Es zeigt sich, daß Begabung allein nicht ausreicht, sondern daß es einerausgewogenen sozialen Feldstruktur bedarf, damit man seine Möglichkeitenausschöpfen kann. Das Eingangszitat belegt, daß der Manager Brian EPSTEIN ohneZweifel so etwas wie ein Kristallisationspunkt im Feld war, der der Gruppe zu einerStruktur verhalf und ihr eine klare Ausrichtung gab. Der Managementforscher WarrenBENNIS (1996) hat in seinem Buch " Organizing Genius: The secrets of creativecollaboration" hochleistungsfähige Gruppen untersucht. Sein Fazit:"Und in diesen Gruppen gab es jedesmal, wenn wirkliche Durchbrüche erzieltwurden, einen „Anführer“, der es verstand andere auf eine faszinierende,außergewöhnliche signifikante Vision einzuschwören. Da war also jemand, der in derLage war, Anhänger und „Fans“ zur Zusammenarbeit zu begeistern. Alle warendavon überzeugt, sie könnten Berge versetzen."In diesem Sinne war Brian EPSTEIN zweifellos ein fähiger Führer. Doch das KreativeFeld der Beatles war komplizierter organisiert. Im Sinne des modernenMangementprinzips aufgabenbezogener Führungsrotation gab es viele Führer, diedie Vision in unterschiedlichen Aspekten teilten. LENNON & McCARTNEY waren jenach Lage konzeptionelle Führer, aber auch der Producer George Martin übernahmhäufig die "Anführer-Rolle".Meine These ist, daß ein weiterer Grund für die Kreativität der Beatles in dieserzeitweisen Fähigkeit bestand - vor dem Hintergrund einer gemeinsam getragenenVision - Führungsvielfalt auszubilden und zu ertragen. Das Kreative Potential liegtnicht allein im Einzelnen, sondern in der besonderen Struktur des Feldes, das sich

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um eine verbindende Vision organisiert. Kern dieser Vision war der Glaube an diebesondere Kraft der Gruppe, die zumindest LENNON bewußt war. Zitat:"Als Beatle dachte ich, wir sind die beste Gruppe der Welt, und dieser Glaubemachte uns zu dem, was wir waren."

Strawberry Fields Forever - ein Beispiel für Teamkreativität

Anhand des Kompositionsprozesses von „Strawberry Fields Forever“ können wirgenauer sehen, wie die Interaktion mit den sich gegenseitig forderndenSynergiepartnern funktioniert. MARTIN erinnert sich:„Wir waren im Abbey-Road Studio 2. John stand direkt vor mir, mit seinerAkustikgitarre im Anschlag. Stets führte er mir auf diese Weise seine neuen Liedervor...“Es geht ungefähr so“, sagte er - und die Nonchalance, mit der er das sagte,kaschierte sogar seine eingefleischte Scheu vorm Singen. Dann strich er sanft überdie Saiten.Ein paar einleitende Akkorde, und schon waren wir mittendrin, in dieser leuchtenden,nachhallenden Strophe: „Living is easy with eyes closed...“ (mit geschlossenenAugen ist das Leben leicht...). Diese wunderbar charakteristische Stimme hatte einleichtes Tremolo und eine einmalige nasale Klangfarbe, die dem Song Schärfeverlieh, ja ihn beinahe zum Leuchten brachte. Ich war hingerissen. Ich hatte michverliebt.„Was hälst du davon?“, fragte mich John sichtlich nervös, nachdem er zu Endegespielt hatte...Benommen erwiderte ich: „Das war stark. Das ist wirklich ein starkerSong. Wie willst du ihn machen?“„Ich dachte, das sagst du mir!“ konterte er lachend.“ (S.26f)LENNON ist etwas unsicher, hat aber Vertrauen zum MARTIN und schätzt seineKompetenz. MARTIN hat ein sensibles Gespür für LENNONs Musik, kannmitschwingen, läßt sich anstecken. LENNON wiederum weiß, daß er an dem Songnoch arbeiten muß, daß er allein nicht in der Lage ist, alles aus dem Rohmaterialherauszuholen. Er schätzt MARTINs Kenntnis klassischer Arrangementtechnik undist bereit, sich seinem Einfluß zu öffnen. Durch diesen einleitenden Dialog zwischeneinem, der sich vorwagt und seine neue Kreation auf den Prüfstand der Kritik stelltund einem begabten Kritiker, der um die Fragilität des Kreativen Prozesses wissend,die nötige emotionale Unterstützung bieten kann, ist die Grundlage für eineschöpferische Interaktion geschaffen.Die Frage, ob ein neues kreatives Produkt entsteht, entscheidet sich in derBeziehung. Das heißt: erst durch den Prozeß der Begegnung entsteht Sinn. In derBegegnung können beide die Grenzen ihres Lebensraums überschreiten, indem siegemeinsam ein neuartige Kreatives Feld schaffen. Grundlage dieser Beziehung istdas gegenseitige Vertrauen in die Kompetenz des jeweiligen Partners: Jeder hatetwas vom Anderen. Bei funktionierenden kreativen Synergiebeziehungen handelt es

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sich um den Idealfall persönlich bedeutsamen Lernens: Die Beteiligten sind mit vollerKonzentration bei der Sache und spüren, daß es hier um das Ganze geht. Sie sindmit ihrer ganzen Person gefordert und müssen gleichzeitig offen sein für denDialogprozeß.George MARTIN beschreibt nun, wie nicht nur er selbst, sondern jedes Mitglied desKreativen Feldes sich mit seinen je eigenen Fähigkeiten darum bemüht, LENNON zueiner optimalen Realisierung seiner intuitiven Vorstellungen zu verhelfen. Wenn Johnseinen Song entwickelt, übernimmt er die Führerschaft, gibt sie aber in bestimmtenPhasen flexibel ab, wenn er meint, daß er einen veränderten Zugang benötigt. Alsalle glauben, das Ziel sei mit der Erstellung des Mastertapes erreicht, möchte Johneinige Tage später doch noch Verbesserungen.„Es gab da allerdings noch ein kleines Problem: John kam eine Woche später zu mirund sagte, er wäre mit unserem Ergebnis noch nicht zufrieden. Der Song sei immernoch nicht ganz ausgereift: Im Kopf höre er genau, was er haben wolle, aber erkönne es irgendwie nicht in die Realität umsetzen. Nie zuvor hatten wir das getan,was John jetzt tun wollte: die Endfassung eines Songs nochmals zu überarbeiten.Aber es war mir genauso wichtig wie John, dem Wesen von „Strawberry FieldsForever“, so wie John es innerlich spürte, auf den Grund zu kommen undherauszuarbeiten. Was würde dabei herauskommen?“ (S.33) Zur Team-Kreativitätgehört, daß das Team fähig ist, diese offene Suchsituation auszuhalten undkonstruktiv zu bewältigen, so daß der Schaffensegoismus jedes einzelnen hinter derHingabe an das gemeinsame Werk zurücktritt. Könnte es sein, daß sich diesersynergetische Prozeß, diese Konzentration kollektiver Kreativität im Endproduktwiderspiegelt und von den Hörern aufgenommen wird? Wird also die„Feldschwingung“ bzw. die konzentrierte Energie des Schöpfungsaktes im KreativenProdukt materialisiert?

4. Was die Beatles, Apple und Microsoft verbindet

Wer die Lebensläufe des Komponisten John LENNON und des visionären Marketing-spezialisten Steve JOBS, des Begründers von Apple, untersucht, der stößt auferstaunliche Parallelen: Beide wachsen als „schwierige“ Kinder in komplizierten,unübersichtlichen Familienverhältnissen und nicht bei ihren leiblichen Eltern auf.LENNON lebt bei der Schwester seiner Mutter und JOBS bei Adoptiveltern. Für sietrifft die Beobachtung GARDNERs zu, daß kreative Persönlichkeiten oftEntbehrungen in ihrer frühen Kindheit bezüglich emotionaler Nähe hinnehmenmüssen. Beide bereiten ihren Erziehern und Lehrern überdurchschnittlicheSchwierigkeiten und sind komplizierte, sensible Außenseiter.Hier deutet sich ein Verhalten gemäß GARDNERs Asynchronitätsthese an. Beidesind darauf bedacht, einen großen Abstand zum Establishment zu halten und fallendurch ein extravagantes Verhalten auf. Wer wäre schon darauf gekommen, daß ausdem ungepflegt im Hippi-Look herumlaufenden JOBS schon bald der visionäre

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Erfinder des objektgesteuerten PCs werden würde, zumal er sein Heil zunächst aufscheinbaren Abwegen, wie etwa einer Reise zu indischen Gurus zu suchen schien.Und auch beim jungen LENNON, der - glaubt man seinen Biographen - oft inSchlägereien verwickelt war, hätte wohl kaum ein Musikpädagoge das musikalischeJahrhundergenie heranwachsen sehen. Doch neben dem Hang zum abweichenden,exzentrischen, asynchronen Verhalten gibt es noch mehr Parallelen, die sich gut mitmeiner Theorie des Kreativen Feldes erklären lassen:Beide schaffen es, einen Partner zu finden, der ihre eigenen Stärken und Schwächenideal ergänzt. LENNON findet den begabten und ausgleichenden Musiker Mc-CARTNEY, JOBS den begabten Technik-Freak WOZNIAK. Meine These ist nun,daß diese sich synergetisch ergänzenden Verbindungen im Zusammenhang mitgünstigen Rahmenbedingungen ein spezifisch konturiertes Kreatives Feld hervor-bringen. Die spezifische Beziehung zweier sehr unterschiedlich talentierter, sichgegenseitig ergänzender und herausfordernder Persönlichkeiten ermöglichte esLENNON & McCARTNEY, zu den bedeutendsten zeitgenössischen Songschreibernzu werden. JOBS & WOZNIAK gründeten, ausgestattet mit dem Erlös aus demVerkauf eines verrosteten VW-Busses, die Firma Apple, die aufgrund ihrer Erfindungdes Personalcomputers mit einer besonderes benutzerfreundlichen Menuführunginnerhalb kurzer Zeit zum weltweit zweitgrößten Hersteller von PCs avancierte. Wiesind diese märchenhaft anmutenden Erfolgsstorys möglich?Ich vertrete die These, daß beide Kreativitätspaare aktiv ein Kreatives Feld schufen.Intuitiv berücksichtigten sie Prinzipien, die sich aus der Logik der oben benanntenFeldtheorien ergeben. Von zentraler Bedeutung ist dabei, daß es ihnen gelang,vorübergehend eine produktive Konkurrenzorientierung zu entwickeln und sichsynergetisch zu ergänzen. Sie konnten so ihre persönlichen Begrenzungenüberwinden, ihre Schwächen durch Ergänzung in Stärken verwandeln und in einerArt gemeinsamem emphatischen Mitschwingens eine völlig neue Synthese schaffen.Sie waren fähig, ihre gemeinsamen und doch so unterschiedlichen "Energien", ihreindividuellen Potenzen, kooperativ so aufeinander auszurichten, daß die Summeihrer Fähigkeiten keine bloße Addition blieb, sondern eine völlig neue Synthese er-möglichte.George MARTIN (1997, S.132f.), der Produzent und enge Wegbegleiter der Beatles:„Was wäre wohl gewesen, wenn Paul John nie kennengelernt hätte oder umgekehrt?Ich bin fest davon überzeugt, daß sie sich beide nicht zu den großartigenSongsschreibern entwickelt hätten, die sie waren. Sie wären auch gut gewesen, abernicht so umwerfend gut, wie das Millionen von Menschen denken. Sie hatten einenungeheuren Einfluß aufeinander, was wohl keinem von beiden so recht bewußt war.“Ebenso hätte JOBS ohne WOSZNIAK seine Vision eines persönlichen Computersnicht praktisch wenden können. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er als übertriebengeltungssüchtiger und egozentrischer Spinner geendet wäre. Auch die Perspektivenseines Partners WOSZNIAK gaben in der Startphase keinerlei Anlaß zur Hoffnung

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auf einen derartig kreativen Durchbruch. Wahrscheinlich wäre er ohne denvisionären JOBS ein brauchbarer Techniker im Imperium des jüngeren Bill GATESgeworden. Noch wahrscheinlicher ist aber, daß er als begabter Tüftler oder alsskurriler Technikbastler geendet wäre. In meiner Studie arbeite ich allgemeinePrinzipien heraus, die neben anderem zeigen, daß für schöpferische Prozesse vorallem der Charakter der Beziehungen von zentraler Bedeutung ist. Die Entstehungder Musik der Beatles, der Firmen Apple und Microsoft sind anschauliche Belege fürdie ungeheure Wirkung dieser Prinzipien. Der Raum ist nicht leer, lautet einwesentliches Prinzip. Der Raum enthält ein Potential an kreativen Ressourcen, diedurch das Knüpfen von Beziehungen, durch die erlebnismäßige Strukturierungerschlossen werden können. Das, was im Raum entstehen kann, offenbart sich unsnicht durch eine Analyse der Fähigkeiten einzelner Individuen, sondern erst dadurch,daß wir den Prozeß der offenen Beziehungsbildung zulassen.Diese überragende Bedeutung der Beziehung kann auch erklären, warum wir wederbei LENNON, noch bei McCARTNEY, weder bei JOBS noch bei WOSZNIAK in ihrerJugendphase Anzeichen für Genialität wie etwa bei PICASSO feststellen können.GARDNERs These der überragenden Bedeutung frühen Schöpfertums mußrelativiert werden: Im Team bzw. im Kreativen Feld können fast alle Personen, auchohne überragende Begabung, zu schöpferischen Spitzenleistungen beitragen, weil inden Beziehungen ein Potential zur Überwindung der Grenzen des eigenenLebensraums liegt.Im Unterschied zu den „Schöpfern der Moderne“, die GARDNER untersucht, warenmeine "Untersuchungs-Paare" keine „frühen Meister“ in ihrer Domäne. Ganz imGegenteil: So konnte LENNON zu Beginn seiner Karriere nicht einmal Gitarrespielen, was ihm Paul Mc CARTNEY beibrachte und auch Steve JOBS hätte mitseinen visionären Ideen über einen einfach zu handhabenden Personalcomputernichts anfangen können, wäre er nicht auf den Technikfreak WOSZNIAK gestoßen,der die nötige technische Intelligenz besaß, um aus der Vision ein reales Produkt zumachen. Umgekehrt hätte aber WOSZNIAK allein nie das Selbstbewußtsein und dieDurchsetzungkraft besessen, einen solchen genialen Wurf zu wagen.Die Theorie des Kreativen Feldes kann auch eine Erklärung für den Erfolg derGründer von Microsoft liefern. Wer Bill GATES` programmatisches Buch "Der Wegnach vorn" aufmerksam liest, der wird dort mit einer Reihe von Äußerungen zuseinem Lebensweg konfrontiert, die zeigen, daß der Multimilliardär sehr wohl ahnt,welchen Umständen er seinen erstaunlichen Erfolg verdankt. An einer Stelleoffenbart er ein grundlegendes Muster, das sich auf alle drei Kreativitätspaareanwenden läßt:"Paul hatte immer eine Antwort auf Dinge, die mich neugierig machten (undaußerdem eine tolle Sammlung von Science-Fiction-Büchern). Ich verstand mehr vonMathe als Paul, und ich wußte von allen, die er kannte, am besten über SoftwareBescheid. Wir waren füreinander so etwas wie interaktive Quellen."

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Bill GATES selbst führt die Hervorlockung seines kreativen Potentials auf die engeBeziehung mit seinem Schulfreund Paul ALLAN zurück. Er beschreibt eine engeJugendfreundschaft, die von produktiver Konkurrenz und gegenseitiger Ergänzunggeprägt ist und sich auf ein gemeinsam erträumtes Ziel, eine gemeinsame Visionrichtet: „Wir waren füreinander so etwas wie interaktive Quellen“.Worin besteht nun das übergreifende Erfolgsmuster, daß das Auftreten vonKreativitär begünstigt? Meines Erachtens lassen sich folgende Elementeherausarbeiten:

Grundlagen des kreativen Prozesses der Gründer der Beatles, von Apple undMicrosoft

• eine intensive Jugendfreundschaft• unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende Begabungen• die Fähigkeit zur gegenseitigen Anregung und Herausforderung,

zur produktiven Konkurrenz im Team• eine gemeinsam geteilte Vision• Fähigkeit zum Eingehen und Aushalten von Ansynchronien,• die Fähigkeit, ein eigenes Kreatives Feld zu schaffen (außerhalb etablierter

Institutionen)

Hier deutet sich eine Antwort auf meine Eingangsfrage an: Sowohl das Entstehender Beatles, wie das Entstehen der Firmen Apple und Microsoft sind letztlich aufSynergiepartnerschaften zurückzuführen, die schon in relativ frühen Jugendjahrenentstanden. LENNON & McCARTNEY, JOBS & WOSNIAK, ALLEN & GATESzeichnet es gemeinsam aus, daß sie in einer freundschaftlichen, aber durchauskonkurrenzorientierten Beziehung fähig waren, sich gegenseitig weiterzuentwickelnund eine gemeinsame Vision zu verwirklichen.Wenn man so will, handelt es sich hier um einen anderen Typ der Kreativität, dernicht aufgrund frühbegabter überragender Einzelpersönlichkeiten entsteht, sondernals synergetische Kreativität, die aufgrund von günstigen Feldbedingungen entstehenkann. Dieser Typ der Kreativität entsteht, wenn es Individuen in Selbstorganisationnicht nur gelingt, eine gemeinsame Vision zu entwickeln, sondern darüberhinaus sicheinen erlebnismäßig ähnlich strukturierten Lebensraum zu entwerfen. Die in kreativerKonkurrenz geknüpften Beziehungen sind so strukturiert, daß jeder beim anderen,das kreative Potential hervorlockt. Dieses Potential wird erst durch den besonderenCharakter der Beziehungsmuster sichtbar.

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Dieser Typ der Kreativität, der so etwas wie „Team-Kreativität“ beinhaltet, ist einTyp, der in unseren Schulen und Hochschulen noch kaum erkannt ist und bei weitemzu wenig gefördert wird. Meine These ist: Aufgrund unseres individualisierendenBeurteilungsblicks und der Fixierung auf abfragbare Leistungen, sind wir kaum in derLage, kreative Prozesse zuzulassen und zu fördern. So ist es kein Zufall, daß alledrei Kreativitätspaare ihre schöpferischen Prozesse außerhalb und/oder in direkterAbgrenzung zu Bildungsinstitutionen entfaltet haben.Die klassische Fragestellung der Pädagogik, die auf umfassende Bildung abzielte,lautete: Wie können wir die schöpferischen Kräfte des Kindes freisetzen? Unter dem"Terror der Ökonomie " (FORRESTER 1997) ist diese Fragestellung in den letztenJahren immer mehr auf den Aspekt der Qualifikation verengt worden: Wie können wirHeranwachsende so qualifizieren, daß sie den Anforderungen der Wirtschaft optimalgerecht werden? Selbst unser Bundespräsident unterwirft sich diesemökonomistischen Zeitgeist, der auf Qualifikationsschnellstraßen zur Ausbildung einerkleinen, aber feinen Leistungselite abzielt.Doch diese Auffassung beruht auf einem überholten Menschenbild. Wie ich in meinerUntersuchung beschreibe, brauchen wir nicht nur in der Pädagogik, sondern auch inPolitik, Wirtschaft und Medizin eine neue Form des "Felddenkens". Wir braucheneinen veränderten Leistungsbegriff, der Leistung und Kreativität weniger auf isolierteIndividuuen zurückführt, sondern stärker als Effekt des Feldes betrachtet. Nicht derherausragende Einzelne ist das Ziel, sondern die Förderung sich selbstorganisierender Teams. Wenn wir Kreativität fördern wollen, müssen wir dieFähigkeit zur Ausbildung entsprechender Felder unterstützen. Diese Felder findenwir, wenn wir den subjektiven Strukturierungsleistungen Heranwachsender mehrEntfaltungsmöglichkeiten bieten und sie nicht vorschnell in curricularisierte unddidaktisierte Bahnen lenken. Der Raum ist nicht leer! Wir brauchen neueOrganisationsformen, die zeigen, welche Ressourcen in Kreativen Felder stecken.LENNON & McCARTNEY, JOBS & WOSZNIAK, GATES & ALLAN waren vielleichtauch deshalb so erfolgreich, weil sie ihr Unbehagen an abstrakten Leistungs-anforderungen früh spürten. Ihr Erfolg gründet sich auf ihren Widerstand gegennormierte Qualifizierungsprozesse und ihr Beharren auf den Themen undLernwegen, die sie wirklich interessierten.

5. Kann man Kreative Felder bewußt erzeugen? - Perspektiven für die GhK

Ich habe hier nur einige wenige Aspekte auf dem Weg zu einer Theorie KreativerFelder skizzieren können. Meine Untersuchung mündet in zwei Kernthesen:

1. Kreativität ist ein Effekt besonders konstruierter sozialer Felder.2. Wir können Kreative Felder bewußt erzeugen.

Aus diesen Thesen leitet sich eine Reihe von Konsequenzen für die AllgemeinePädagogik und meine Arbeit an der GhK ab. So halte ich folgende Arbeits- bzw.Forschungsfelder für besonders vielversprechend:

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1. Studien über Teamkreativität2. Verfahren zur Einrichtung von Kreativen Feldern3.Entwicklung feldtheoretisch fundierter Bildungs- undOrganisationskonzepte

Dazu - zum Abschluß - ein paar Stichworte:

1. Studien über Teamkreativität

Wir benötigen Studien, die Formen von Paar- und Teamkreativität untersuchen undKriterien für die optimale Zusammenstellung solcher Teams herausarbeiten. Ich habein meinem Vortrag anhand von Beatles, Apple und Microsoft nur einige allgemeingehaltene Aspekte des kreativen Prozesses skizziert, die der genauerenUntersuchung bedürften. Gleichzeitig sollten wir im Sinne desAktionsforschungsansatzes über Formen des Projektstudiums nachdenken, die esStudierenden schon früh ermöglichen, geeignete Synergiepartner zu finden. Bildungund Qualifikation kann sich nicht länger auf die Einzelperson beziehen, sondern mußdie Möglichkeiten sich gegenseitig herausfordernder Teams stärker nutzen. Ich binder Auffassung, daß wir die Ausbildungsleistungen und -effekte der Universitätdeutlich verbessern könnten, wenn wir neuartige Ausbildungskonzepte entwickeln,die schon Studienanfänger dazu befähigen, ihre individuellen Begabungen zuerkennen und passende Partner zu finden, um ihr kreatives Potential besserauszuschöpfen. Es geht also um die Bildung auch interdisziplinärer Teams, die übereinen längeren Zeitraum hinweg, an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Einewichtige Voraussetzung dafür ist der Abschied von der Idee, einer allein müßte alleskönnen. Wenn wir das Kreativitätsdreiecks GARDNERs modifizieren, öffnet sich derBlick für mögliche Synergiepartner:

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Individuelles Talent

Feld(Kritiker/Institutionen)

Domäne/Disziplin

Wo liegen meine Talente?

Wo liegen meineDefizite?

Wer oder was unterstützt mich?

Wer oder was behindert mich?

Welche Dom./Disz.liegt mir?

Welche Dom./Disz.liegt mir gar nicht?

Synergie-Partner?

Abb.2: Wo sind meine Synergie-Partner? (Burow 1997)

2. Verfahren zur Einrichtung von Kreativen FeldernWährend der Arbeit an einer Theorie des Kreativen Feldes ist mir deutlich geworden,daß es eine Reihe von bewährten Verfahren gibt, die geeignet sind, problematischeArbeitsplätze schrittweise in Kreative Felder umzugestalten. So arbeiten wir seiteinigen Jahren mit Zukunftswerkstätten, Future Search Conferences und OpenSpace Technologies. Allen diesen Verfahren ist gemeinsam, daß sie von denSelbstorganisationsfähigkeiten der in einem bestimmten Feld vorhandenen Personenausgehen. Diese Verfahren, die mit Gruppen von zehn bis 1000 Teilnehmernarbeiten, zeigen, daß es unter Berücksichtigung bestimmter Feldprinzipien möglichist, kreative Ressourcen freizusetzen. Ein Mittel dazu ist der Aufbau neuartigerBegegnungs- und Beziehungsstrukturen.Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Anmerkung CSIKSZENTMILHALYIs,der in seiner Untersuchung „Kreativität“ (1997) den Entwickler des Polio-Impfstoffsund Nobelpreisträger, Jonathan SALK, interviewt hat. Für die Entfaltung von SALKsKreativität scheint sein Bedürfnis wichtig zu sein, Männer und Frauen aus sehrunterschiedlichen Domänen miteinander in Kontakt zu bringen. SALK glaubt an eineinteraktive Variante der Kreativität, die er folgendermaßen beschreibt:„Ich finde diese Form der Kreativität äußerst interessant und aufregend - die Ideen,die aus der Interaktion zwischen zwei geistigen Einstellungen entstehen. Ich weiß,daß es in Form eines kollektiven Denkens geschieht, durch offen und kreativdenkende Individuen, die in der Gruppe noch interessantere und noch komplexereErgebnisse hervorbringen können als allein. All das führt mich zu der Idee, daß wirdiesen Prozeß steuern können - es ist tatsächlich ein Teil des Evolutionsprozesses,und Ideen, die auf diese Weise entstehen, gleichen den Genen, die sich im Laufe der

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Zeit entwickeln. Was Gene für die biologische Evolution sind, sind Ideen für diemetabiologische Evolution.“ (CSIKSZENTMILHALYI 1997, S.403)Dieser Gedanke SALKs aus den sechziger Jahren erhält heute - beim Übergang indie Wissensgesellschaft - eine erhöhte Brisanz: So scheint sich mit dem Trend zurGlobalisierung auch so etwas wie eine digitale oder kollektive Kreativität im Internetzu entwickeln, auf die der französische Philosoph Bernhard LEVY(1997) jüngst inseiner Schrift "Kollektive Intelligenz" hingewiesen hat.

3. Entwicklung feldtheoretisch fundierter Bildungs- undOrganisationskonzepte

Mit dem Abschied von tradierten Genie- und Elitekulten bietet sich die Chance,geistige Ressourcen bei uns und anderen zu erschließen, die sich aus entsprechendstrukturierten Kreativen Feldern ergeben. Forschungen und Experimente werdenzeigen, inwieweit es möglich ist, feldtheoretisch fundierte Bildungs- undOrganisationskonzepte zu entwickeln. Ich gehe davon aus, das sich dabei zeigenwird, daß wir in vielen Bereichen die Organisation von Bildungsbemühungen neugestalten müssen. Insbesondere halte ich ein Schul- und Bildungssystem, das seineSchüler in Alterskohorten sortiert fließbandmäßig vorrücken läßt und sich auf dieBewertung der vom einzelnen Individuum zu erbringenden Leistungen konzentriert,für überholt.

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LÜCK H.E.(1996). Die Feldtheorie und Kurt Lewin. Weinheim: pvu.MARTIN G. (1996). Summer Of Love. Wie Sgt. Pepper entstand. Berlin: Henschel

Verlag.SCHLICKSUPP H. (1992). Innovation, Kreativität und Ideenfindung. Würzburg.WHEATLEY M. J. (1997). Quantensprung der Führungskunst. Die neuen

Denkmodell der Naturwissenschaften revolutionieren die Management-Praxis.Reinbek: Rowohlt.

YOUNG JEFFRY S. (1989). Steve Jobs. Der Henry Ford der Computer-Industrie.Düsseldorf: GFA Systemtechnik.