Orthodoxie: Was erwartet die Orthodoxe Kirche von den Kirchen des Westens

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  • 8/2/2019 Orthodoxie: Was erwartet die Orthodoxe Kirche von den Kirchen des Westens

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    Was erwartet die Orthodoxe Kirche von den Kirchen des Westens?

    von Erzpriester Peter Sonntag

    Christus ist auferstanden!

    Liebe Brder und Schwestern in Christus,

    unser Glaube, unsere Hoffnung und unsere Liebe sind zusammengefasst und zugleichberboten in dieser Botschaft, die unser Herz erfllt. Unser Bewusstsein ist erfllt nicht von einerSache, einem Prinzip, einer Maxime, sondern von dem unerschaffenen Licht des Dreieinen Gottes, dasausstrahlt aus dem vergttlichten, vom Heiligen Geist vollkommen durchdrungenen Leib desAuferstandenen. Mit Thomas zugleich erhebt die ganze Kirche die Hand zu den sterlich verklrtenWundmalen Christi und legt sie khn in seine feuerflammende Seite, schpft den Reichtum derGotteserkenntnis aus dem unentwendbaren Schatz Deiner von der Lanze, Wohltter, durchstoenenSeite und erfllt mit Weisheit und Erkenntnis die Welt.

    Mit den Aposteln zugleich erblicken wir im Glauben den Auferstandenen und werden vonFreude erfllt. (Joh 20,20) Mit den salbentragenden Frauen, die den lebendigen Gott wie einen Toten

    unter Trnen suchten, verknden wir freudig den Jngern das mystische Pascha. Durch den Glaubentritt auch in unsere Mitte der Auferstandene. Glaube heit: Dem Auferstandenen die Mitte geben.Adams Ungehorsam hatte diese Mitte verstellt. Ostern ist Christus, der eschatos Adam, in unsereMitte getreten und hat so das Paradies erffnet. Die Kirche ist die Versammlung derer, die demGekreuzigten und Auferstandenen die Mitte geben. Ostern ist im orthodoxen Verstndnis kein Epilogzum Karfreitag, nicht die gttliche Gutheiung einer ungeheuerlichen Vershnungstat, nicht dieAnnahme einer satisfaktorischen Entuerung, sondern der Triumph des Messias, dessen gttlicheHypostase auch im Tod dem Fleisch im Grabe und der Seele im Hades untrennbar vereint blieb. ImTod ist Christus nicht ins Nichts gefallen.

    Im Grabe bist Du mit dem Leib, im Hades mit der Seele als Gott, im Paradies mit demSchcher und auf dem Thron mit dem Vater und dem Heiligen Geist, der Du, Unumschreibbarer, alles

    erfllst.Im Grab widersteht der Leib der Verwesung. Im Hades erweist sich die Kraft der Auferstehung

    dadurch, dass das ungeschaffene Licht Gottes der vergttlichten Seele Christi entstrmt und denToten, die im Glauben entschlafen sind, den Sieg Christi ber den Tod mitteilt. Das orthodoxeOsterbild zeigt den Triumph Christi ber den Tod im Tod selbst. Im Reich der Schatten, am Ort derHoffnungslosigkeit inauguriert der Sohn des Vaters seine Herrschaft. Das, was nichts ist, hat Gotterwhlt, um das, was etwas ist, zunichte zu machen (1Kor 1,28). Im Paradies schenkt er demSchcher die ursprngliche Gemeinschaft des Menschen mit Gott. Auf dem Thron der Herrlichkeitbefindet Er sich mit seinem geopferten Leib ewig in der Gemeinschaft des Vaters und des Geistes. Imorthodoxen Osterverstndnis ist es der geopferte, auferstandene und vergttlichte Leib selbst, der unsdie Erlsung, den Sieg ber Snde und Tod, schenkt.

    Im Blick auf den Auferstandenen zeigt sich zwischen Ost und West ein perspektivischerUnterschied. Der Westen sieht in der Auferstehung primr die Erweckung, das Handeln des Vatersam toten Sohn. Die Orthodoxie betont die Aktivitt des Sohnes als eine Synergie des Sohnes mit demVater und dem Geist.

    Liegt nicht in dieser Verabsolutierung des Christus passus pro nobis auch der Keim zu einem gewissen

    Minimalismus und Reduktionismus hinsichtlich dessen, was wir Orthodoxe als Synergie bezeichnen?

    Mit diesen Gedanken, liebe Brder und Schwestern, mchte ich diese Besinnung erffnen. Dennin diesen sterlichen Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt ist alles sterlich. DerAuferstandene erscheint und spricht zu den Aposteln, zu den Frauen, zu Seiner Mutter und zu unsund schenkt uns den Vorgeschmack der Herrlichkeit und des ewigen Lebens. Darum lautet meineerste Antwort auf die Frage Was erwartet die Orthodoxie von der Kirchen des Westens?:

    Bevor wir reden, sollen wir zuerst Christus, das gekreuzigte und auferstandene Wort desVaters, empfangen. Der Auferstandene muss auch in unsere Mitte treten, uns das Licht, die Verge-bung der Snden, die Heiligung, den Frieden und die Erkenntnis Seiner Herrlichkeit und Seiner

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    Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist schenken und uns die Schrift erschlieen. DieErkenntnis des Auferstandenen schliet auch die des Gekreuzigten in sich ein. In demselben Sinn, indem Paulus zu den Ephesern sagt: Dass er aufgestiegen ist, was bedeutet es anderes als dass er auchhinabstieg in die tiefsten Tiefen der Erde? (Eph 4,9) Die Erkenntnis des Erhhten und Auferstan-denen schliet jede andere Erkenntnis in sich. Das bekennt emphatisch auch die der Tradition dergroen geistlichen Dichtung des Abendlandes entstammende Ostersequenz der rmischen Liturgie,

    wenn sie die Kirche am Ostermorgen rufen lsst:Scimus Christum surrexisse a mortuis vere. Tu nobis, victor, rex, miserere.(Wir wissen, dass Christus wahrhaft von den Toten auferstanden ist. Du, Sieger, Knig, erbarmeDich unser.)

    Die Erkenntnis Christi, des Auferstandenen, konstituiert uns als Kirche. Der Auferstandene istuns fremd durch seine Nhe. Wir erkennen ihn gerade in dem Ma, in dem wir aufhren, uns jeweilsselbst in die Mitte zu stellen. Die Auferstehung ist insofern die wirkliche kopernikanische Wende:

    In unserer Mitte erscheint das Lamm, das unsere Snden hinwegnimmt. Gerade dieseSndentilgung ist der Grund und die Substanz unserer Einheit. Eine Einheit, die uns befhigt, ein-ander in Christus zu erkennen.

    Der Apostel beschreibt diesen Sachverhalt im Kolosserbrief, wenn er sagt: Gott hat euch, dieihr tot wart in euren Verfehlungen und der Unbeschnittenheit eures Fleisches, mit ihm (ChristusJesus) lebendig gemacht, da er uns alle Verfehlungen erlie. (Kol 2,13)

    Wir Christen sollten uns immer erst auf das besinnen, was wir im Glauben empfangen habenund stets neu empfangen drfen. Auch die Einheit knnen wir nur empfangen. Denn das, was wirsuchen, ist schon da. Unsere Snden und unsere Egoismen hindern uns aber daran, das wahrhaft zusein, was wir vorgeblich sind.

    Der Weg der kumene im XX. Jahrhundert ging aus einer tiefen Besinnung auf das Wesen derKirche hervor und entsprang einer aufrichtigen Sehnsucht nach Gemeinschaft und Brderlichkeitangesichts furchtbarer Verwstungen und Verwundungen des Leibes der Menschheit. Jetzt scheint es,als sei die Zeit der Pioniere und der khnen Visionen vorbei. Der Elan der Vter und Mtter ist

    domestiziert durch ein filigranes Netz von etablierten Strukturen. Wenn wir heute die Texte vonSergej Boulgakov, Paul Evdokimov, Dumitru Staniloae, Ernst Benz, Henri de Lubac, Jean Danilou,Yves Congar, Louis Bouyer und anderen lesen, dann habe ich den Eindruck: Es wurde ein Schatzgehoben, der dann aber nicht oder kaum angeeignet wurde. Die groe Mnze wurde in kleines, sehrkleines Geld gewechselt. Vielleicht sind wir ja auch zu klein geraten fr das Format unserer Vter undMtter.

    Hinzu kommt ein anderes: Angesichts der Apokalypse des XX. Jahrhunderts haben wir auf einespirituelle Renaissance gehofft. Auf eine christliche Humanitt, die Europa und die neue Weltergreifen wrde. Jetzt, am Beginn des XXI. Jahrhunderts und nach der berwindung der Ost-West-Polarisierung zeigt sich die christliche Welt der gewandelten geschichtlichen Situation nichtgewachsen. Globalisierung und Turbokapitalismus, Glaubensschwund und Entkirchlichung,islamischer Fundamentalismus und die Patchwork-Religiositt des New Age schwchen erkennbardas Christentum konfessioneller Prgung, aber auch den aus dem Christentum abgeleiteten skularenKonsens unserer europischen Gesellschaft und Kultur. Auch die Kirchen als gesellschaftlicheInstitutionen geraten ins Schwanken. Zum ersten Mal zeichnet sich am geschichtlichen Horizont dieVision eines rein skularen, multikulturellen Europas ab, in dem Kirche und christlicher Glaubezum Randphnomen geworden sind. Ein skular organisiertes Europa ohne Seele, ohne Christus. Einezweifellos apokalyptische Vision. Doch nicht nur Vision, sondern fr viele, in Deutschland vielleichtsogar fr die meisten schon Realitt.

    In dieser Situation ertnt neuerdings wieder der Ruf nach dem schon vergessenenAbendland. Und das in einem Moment, wo die Europische Gemeinschaft sich anschickt, mit denbaltischen Staaten, mit Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Zypern europische Lnderaufzunehmen, die traditionell mit der Orthodoxie verbunden sind. Als orthodoxer Christ erinnere ichSie daran: Das Abendland ist eine bestimmte historische, also geschichtlich zur Herrschaft gelangteAuslegung des europischen Gedankens, und zwar jene Auslegung, die Europa auf jenen Westteil

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    beschrnkt, der zunchst durch die germanische Vlkerwanderung ins Abseits geriet, dann aber mitder karolingischen Renaissance in einen bewussten imperialen und geistigen Gegensatz zurOrthodoxie und zur kumenischen Universalitt des christlichen rmischen Reiches, der RhomaikeAvtokratoria, trat. Das Abendland ist in orthodoxen Augen eine zivilisatorische Sezession.

    Das Frankenreich mit seinem Ausgriff auf die Antike, seinem einseitigen Augustinismus undseinem ikonoklastischen theologischen Programm ist in jeder Hinsicht die bewusste Antithese zu

    Ostrom. Karl der Groe verlsst bewusst und programmatisch den Byzantinischen Commonwealth,dem die Merowinger und auch Rom bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts noch angehrt haben. Vonda an gibt es im Osten nur noch das Morgenland: die Muslime und die in der westlichen Perspektive schismatischen Griechen.

    Die numerisch und sachlich erste Antwort auf die Frage Was erwartet die Orthodoxie von denKirchen des Westens? ist die Kritik dieser abendlndischen Option und die ffnung der kumenefr einen umfassenden west-stlichen und stlich-westlichen Dialog, mit dem die Kirchen einewahrhaft europische Perspektive erffnen knnen. Das ist gewiss kein geringer Anspruch. Aberdiese ffnung fhrt uns aus der unfruchtbaren polemischen Zuspitzung und apologetischen Engeheraus ... Europa ist eben nicht nur Rom, Aachen, Paris und Santiago de Compostela, Wittenberg undGenf, sondern genauso Antiochien, Alexandrien, Konstantinopel, Thessaloniki, Kiew und Nowgorod,

    nicht nur Augustinus, Anselm, Thomas von Aquin, Wilhelm von Ockham und Martin Luther,sondern auch Kaiser Justinian, Isaak der Syrer, Maximus Confessor, Symeon der Neue Theologe,Gregor Palamas, Philotheos Kokkinos und Nikodimos vom Heiligen Berg um nur einigestellvertretend fr viele zu nennen.

    Ein Europa ohne die Orthodoxie, ohne Amvrosij von Optina und Johannes von Kronstadt, ohneAntiochien und Konstantinopel wre ein amputiertes, fragmentiertes Europa, das sich der Mglich-keit beraubt, sich selbst zu verstehen. Die Orthodoxie mchte den Westen vor einer abendlndischenEngfhrung mit ihren spezifischen Aporien und Obsessionen bewahren. Das abendlndische Schismabedroht auch heute die europische Balance.

    Angesichts der Dramatik der Entchristlichung und Entkirchlichung unserer Gesellschaft inWest und Ost habe ich Zweifel, ob die Benennung von Erwartungen, berechtigten und unberechtigten,

    der Situation angemessen ist. Denn die Erwartung wird leicht zur Ntigung und fhrt so zurVerfestigung eines sterilen Klimas der Befangenheit und der apologetischen Enge. Die Orthodoxie inihrer besten Tradition hat gerade im Westen seit den Anfngen der Emigration im 20. Jahrhundert,statt Ansprche zu stellen und Erwartungen zu formulieren, versucht, ihre Theologie und ihre raisondetre im Dialog mit den Kirchen des Westens und deren prominentesten Theologen darzustellen undim Horizont westlichen Denkens zu formulieren, und d. h. auch die Fragestellungen des Westensals Anfragen an sie selbst zu bernehmen, wie es z. B. die theologischen Institute von Saint Serge inParis und St. Vladimirs in New York seit Jahrzehnten tun. Auer den schon genannten Theologenmchte ich in diesem Zusammenhang insbesondere Sergej Bulgakov, Georges Florovsky, NikolajAfanassieff, John Meyendorff und Alexander Schmemann erwhnen.

    Wenn wir einen Wunsch haben, dann den, bei Ihnen Gehr zu finden, als Kirche unter Ihnen

    sein zu drfen, d. h. im wesentlichen: die Gttliche Liturgie, die Eucharistie zu feiern, die alleszusammenfasst und in sich enthlt. Die wahre Theologie ist immer demtig, anspruchslos, kenotisch.Sie ist die Frucht der Liebe und der Hingabe.

    Gewiss, seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hrt man im Westen auch ganzandere Tne der Orthodoxie, aggressive Tne, Kakophonien ...

    Die Orthodoxie ist sicherlich ein schwieriger Partner in einer westlichen kumene, diekonzeptionell abendlndisch ist. Auch die Vorstellung einer Konvergenz durch theologische Diskurseist sehr westlich. Im orthodoxen Verstndnis lsst sich die Theologie nicht von der Existenz lsen.Theologie ist in unserer Sicht eine durch und durch empirische Wissenschaft, keine Theorie. Sie iststrikt an den Erfahrungsraum der Kirche gebunden. Das gottmenschliche Handeln der Kirche, dasChristus in der Zeit gegenwrtig setzt, geht der theologischen Reflexion uneinholbar voraus und istabsolut normativ. Die Figur des akademischen Theologen ist ein westliches Konstrukt, das in derOrthodoxie nicht heimisch geworden ist. Der groe Patrologe und Liturgiewissenschaftler CyprianKern bezeichnete das Analogion, das Lektoren- und Sngerpult der orthodoxen Kirche, als die wahre

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    Kathedra seiner Theologie und der Theologie berhaupt. Die Kirche ist fr uns immer etwasVorgegebenes, unserer Verfgung in jeder Hinsicht absolut Entzogenes. Die Kirche reinigt uns durchihre Tradition von der Subjektivitt und weitet das Herz und den Geist zur berwindung dessndigen Individualismus und zur Wahrnehmung jenes einzigartigen Leibes Christi, in dem dieFlle der Gottheit leibhaft gegenwrtig ist. Der Theologe im orthodoxen Verstndnis verfgt bergar nichts, sondern ist von der Kirche verfgt. Die Kirche ist sowohl Subjekt als auch Objekt der

    theologischen Erkenntnis und Sprache. Die Kirche kann fr ihn niemals Gegenstand eines wie auchimmer gearteten Kompromisses sein. Was fr uns Orthodoxe zur Disposition steht, ist darum nichtdie Kirche an sich und die mit ihr identische, immer aktual verstandene Tradition, sondern nur dieWahrnehmung der Kirche und der Tradition, die durch unsere Schwachheit und zwangslufigeperspektivische Beschrnktheit stets der Korrektur und der Erweiterung bedrftig ist. Darum ist fruns der kumenische Dialog ein Ort, um Zeugnis zu geben und gemeinsam mit allen das Fest desGlaubens zu feiern. Mit anderen Worten: Wenn der Auferstandene unser Herz und unser Bewusstseinso erfllt, dass die Erkenntnis des Auferstandenen jede andere Erkenntnis und Bewegung des Geistesin sich umfasst und wir in diesem Sinne mit einem Herzen und einem Mund sagen knnen ScimusChristum surexisse, dann ist die Einheit vollendet, wir knnten auch sagen ent-deckt.

    Der doxologische Charakter der orthodoxen Theologie erfordert sicher von den westlichen

    Theologen einen mentalen Wandel, der eine nicht geringe Zumutung darstellt. So wie auchumgekehrt die Orthodoxie eine Sprache finden muss, die die Kirchen des Westens verstehen und diegleichwohl das Eigene angemessen zur Sprache bringt. Die Vorbungen dazu sind nicht immergeglckt. Die Unionskonzile und der Dialog der Reformatoren mit dem kumenischen PatriarchenJeremias II. sind Beispiele fr eine eher misslungene Kommunikation. Die theologischenAnnherungen des XX. Jahrhunderts sind verheiungsvoller, weil die Orthodoxie in der Diaspora diewestlichen Aporien nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern als Lebenswirklichkeit erfhrt, insofern sieselbst ein Teil dieser Wirklichkeit geworden ist. Wie schwierig der Dialog sein kann, aber auch dasswir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben, sehen wir an der Vereinbarung eines neuenKonsultationsmodus zwischen den orthodoxen Kirchen und den westlichen Kirchen im kumeni-schen Rat der Kirchen im Anschluss an die Vollversammlung von Harare.

    Allerdings zeichnet sich auch ab, dass einige westliche Partner die Geduld mit der Orthodoxieverlieren. Und das um so entschiedener, je verheiungsvoller eine abendlndische Lsungerscheint, die die Orthodoxie als inkompatibel ausschliet. Die Gefahr ist nicht gering, dass dieKirchen der Reformation mit der Rmisch-Katholischen Kirche ihre kumene machen, und dieOrthodoxie drauenbleibt. In den kumenischen Fragen der sog. Interkommunion, derfeministischen Theologie, der Frauenordination und der Bewertung der Homosexualitt wird sichdie Orthodoxie, das ist m. E. vollkommen klar, nicht einen Millimeter bewegen. Wenn man dieseFragen zu Kardinalfragen erhebt, wird man die Orthodoxie als Partner verlieren.

    Das Interesse am orthodoxen Partner kann durch solche Enttuschungen sehr schnell inAntipathie umschlagen. Dann sind die Stereotypen schnell bei der Hand. Was machen wir mit diesenunaufgeklrten Orientalen, die Kant nicht gelesen haben? Die mit ihrer undialektischen Theologie in

    der selbstverschuldeten Unmndigkeit des Geistes verharren. Dass die Forschung seit Charles Lebeauund Edward Gibbon im XVIII. Jahrhundert, aber auch seit Oswald Spengler Anfang des XX.Jahrhunderts, zu einer wesentlich differenzierteren Beurteilung der Kultur Ostroms und ihrerBedeutung auch fr Westeuropa, z. B. der Entstehung des Humanismus, gelangt ist, ist unterdeutschen Theologen und unter der Dominanz der liberalen Theologie des XIX. Jahrhunderts nochnicht berall angekommen. Graeca non leguntur bestimmt noch immer weitgehend den westlichenWahrnehmungshorizont. Samuel Huntington hat die Ost und West trennende Demarkationslinie nocheinmal mit dicken Strichen nachgezeichnet und auf trichte Weise Islam und Orthodoxie wiederum ineinen gemeinsamen orientalischen Topf geworfen.

    Orthodoxie das sind die langen Brte, die sentimentalen russischen Kirchengesnge,Weihrauch, Ikonen, Kerzen, etwas frs Gemt. Dass die Orthodoxen immer noch existieren,

    verdanken sie eigentlich ihrer erstaunlichen Ignoranz. Wenn sie erst einmal Luthers Rechtfertigungs-lehre, Kant, Hegel, Schelling, Heidegger, Wittgenstein, Habermas und Adorno rezipiert haben, wirdsich das Thema Orthodoxie und altorientalische Kirchen von selbst erledigt haben.

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    Andererseits muss man sehen, dass es zum gegenwrtigen Zeitpunkt auch in der Orthodoxieviele gibt, die sich durch einen Eklat und ein spektakulres Zerwrfnis in der kumenischenBewegung auf angenehme Weise besttigt shen. Die Verwstungen des real existierendenSozialismus in vielen traditionell orthodoxen Lndern und der darauffolgende aggressive Einbruchwestlicher Prferenzen in Verbindung mit dem ideologischen und materiellen Kollaps des altenSystems provozierten alte Reflexe und ein ganz starkes Bedrfnis nach Affirmation und Identitt.

    Nation und Kirche bieten sich an, das ideologische Vakuum zu fllen. Die ffentlich zelebriertekumenische Eintracht aus den Zeiten des kalten Krieges war auf einmal dahin. In Russland, demBaltikum und in der Ukraine entbrennt ein Machtkampf unter Kirchen und Jurisdiktionen. Revierewerden abgesteckt. Die GUS-Staaten, also das Territorium der ehemaligen Sowjetunion, wird zumkanonischen Territorium des Moskauer Patriarchates erklrt. Thron und Altar rcken auf eineWeise zusammen, als htte es das XX. Jahrhundert nie gegeben. Der Zar und seine Familie werdennicht nur rehabilitiert, sondern kanonisiert. Sogar Rasputin gert in den Ruch der Heiligkeit. DieMutterkirchen treten auf den Plan und verlangen die nationale Regruppierung der orthodoxenDiaspora in Westeuropa und, wenn mglich, weltweit. Die Vatikanisierung der Orthodoxie, eintreffendes Wort von Christos Yannaras, ist in vollem Gange. Wohin man blickt: Regression undRestauration ... Die Orthodoxie schlingert. Die Vorbereitungen zur vierten und letzten vorgesehenenprkonziliaren Konferenz in der Annherung an das avisierte groe panorthodoxe Konzil sindausgesetzt. Bereits getroffene Vereinbarungen ber ein einvernehmliches Handeln der Jurisdiktionenin der sog. orthodoxen Diaspora werden de facto dispensiert. Zentrifugale und hegemoniale Krftewiderstreiten einander. Weite Teile der orthodoxen Kirche weigern sich, sich die Last des XX.Jahrhunderts aufzubrden. Synoden schmcken sich gern mit dem Blut der Neumrtyrer, aber dieFrage nach der Verantwortung der Kirche wird tabuisiert und nur von ganz wenigenUnerschrockenen wirklich gestellt. Dieselben Hierarchen, die vor 1989 von der Freiheit der Kirche imSozialismus geschwrmt haben, sprechen heute von der Mrtyrerkirche. Und diejenigen, die frhervor laufenden Kameras westliche Prlaten umarmten, halten heute flammende Reden ber dieDekadenz und die Verkommenheit des Westens ...

    Das bersteigerte Bedrfnis nach Affirmation entspringt einer nicht wahrgenommenen tiefenDeformation. Affirmation durch Fundamentalismus ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch, ausder Geschichte auszusteigen Die Kirche in Russland ist heute die letzte postsowjetische Klammerder GUS-Staaten.

    P. Jean Gueit beklagte krzlich in einem Vortrag diese Psychologie des Moskauer Patriarchatesin ihren Auswirkungen auf die orthodoxe Diaspora mit dem Wort: Ce nest pas un tmoignage, cestun contre-tmoignage. Das ist kein Zeugnis, das ist ein Aber-Zeugnis.

    Die Orthodoxie ist schlecht gerstet fr den Dialog mit dem Westen. In dieser Situation fllt derorthodoxen Diaspora eine enorme, wenn nicht sogar entscheidende Bedeutung zu. Kommt dieRettung von der Peripherie?

    Das Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa, oft auchtreffend Multinationales Erzbistum von Westeuropa genannt, dem ich als Priester angehre, ist das

    1921 gegrndete ehemalige westeuropische Exarchat des Moskauer Patriarchates von Westeuropaund untersteht seit 1931 dem kumenischen Patriarchat Konstantinopel. Es reprsentiert denkleineren Teil der russischen Emigration in Westeuropa, der die Zustndigkeit des kumenischenPatriarchates fr die Diaspora ausdrcklich anerkennt. Als vor einem Jahr der Patriarch von MoskauAlexej auch unter uns fr seinen Plan einer Zusammenfhrung der russischen Diaspora in einerMoskau unterstehenden autonomen westeuropischen Metropolie warb, haben wir uns durch dieWahl des Bischofs Gabriel von Komana, der brigens kein Russe sondern Belgier ist, zum neuenErzbischof unserer Dizese am 1. Mai 2003 erfolgreich der grorussischen Zumutung widersetzt.Diese von mehr als zwei Dritteln der aus Klerikern und Laien zusammengesetzten Wahlversammlunggetragene Entscheidung war ein klares Votum dafr, dass wir uns trotz des nie geleugnetenrussischen Ursprungs und der noch heute sichtbaren russischen Prgung als Ortskirche in Westeuropa

    verstehen und uns infolgedessen nicht ethnisch, sondern territorial definieren. Diese Entscheidungsteht nicht nur im Einklang mit der orthodoxen Ekklesiologie, sondern auch mit der Tradition unsererDizese, die in Westeuropa von Anfang an prononciert fr den Dialog mit dem westlichen

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    Christentum eingetreten ist und vor allem durch sein theologisches Institut Saint Serge in Frankreichund darber hinaus die orthodoxe Theologie fr den Westen erschlossen hat. Dasselbe gilt mit Bezugauf die Neue Welt auch fr die Tochtergrndung St. Vladimirs in New York. Die dreizehn russischenGemeinden des Erzbistums in Deutschland wurden 1935 durch eine nationalsozialistische Verfgungder russischen Auslandskirche zwangsweise eingegliedert, was zur Provinzialisierung der Orthodoxiein Deutschland erheblich beigetragen hat. Deutschland hat zwar heute mit schtzungsweise einer

    Million orthodoxer Glubiger die bei weitem grte orthodoxe Glaubensgemeinschaft in Westeuropa.Dennoch ist das ffentliche Interesse an der Orthodoxie in Deutschland eher gering. Schuld daran istvor allem die ausgeprgte ethnische Getthoisierung der orthodoxen Christen in diesem Land und ihreim Vergleich zu Frankreich und Grobritannien vllig andere soziale und kulturelle Prgung.

    Ein Vortrag ber die Erwartungen der orthodoxen Kirche an die Kirchen des Westens sollteauch konkret auf die kumenische Wirklichkeit in diesem Land eingehen. Ich tue das in denBewusstsein, dass im Konkreten der Vorteil der greren Anschaulichkeit mit dem ausgesprochenenNachteil der Zuflligkeit und der Subjektivitt gepaart ist.

    Bei der Vorbereitung des vielgepriesenen kumenischen Kirchentages in Berlin im Jahre 2003habe ich als Vertreter meiner Kirche in Deutschland an der Planung eines sog. ForumsGottesMenschenBilder, wie es dann schlielich hie, teilgenommen. Der Arbeitstitel war anders:

    Gottesbild und Trinitt. In einer der ersten Vorbereitungssitzungen gab ich eine Erluterung dessen,was die Orthodoxen meinen, wenn sie von Gottesbild sprechen. Dass das Bild an die Person gebundenist. Daran, dass der Logos, das Bild des unsichtbaren Gottes, im Fleisch erschienen ist. Dass diehenotheistischen Religionen, das Judentum und der Islam, das Bild Gottes ablehnen, weil sie diechristliche Theologie von der hypostatischen Unterscheidung, also die theologische Grundlage dafr,dass der Geist den Sohn und der Sohn den Vater offenbart, ablehnen. Dass das Bild gerade diepersonale Differenz in der Einheit des Wesens sichtbar macht Und dass ebendeshalb der Bezugzum trinitarischen Gottesbegriff der christlichen Theologie unbedingt zum Thema gehre und auchals solcher geltend gemacht werden msse

    Der Kommentar der Leiterin einer evangelischen Akademie in Deutschland dazu lautete:Meinen sie dieses unertrgliche trinitarische Geschiebe? Offensichtlich eine Anspielung auf die

    Theologie der kappadokischen Vter des vierten Jahrhunderts Es setzte sich die Auffassung durch, dass der Bezug des Gottesbildes und des Menschenbildes

    zur Trinitt nicht vermittelbar und auch nicht zumutbar sei. Dasselbe galt indessen nicht fr dieGender-Problematik und das feministische Gottesbild, das als hochaktuell eingestuft wurde.

    Was am Ende herauskam, war eine Performance, ein hochartifizielles Produkt mit Standbildernund bewegten Bildern auf drei Leinwnden, effektvoll und gut gemacht. Weibliche und mnnlicheGottheiten, Patriarchen, Mnche, Nonnen und Madonnen, Gurus, vermummte Gestalten undNudisten, Exhibitionisten jeglicher Couleur und natrlich die Idole der Pop-Art, der Op-Art, derPostmoderne und der Post-Postmoderne, kurz: die Ikonen von Kunst, Kommerz, Politik undReligion wirbelten bunt durcheinander

    Der point culminant war dabei die Parodie des Bildes der Kreuzigung Christi in seinergotischen Gestalt unter dem Titel INRI durch die franzsische Knstlerin Bettina Rheims.

    Christus am Kreuz wurde dabei durch mehr oder minder bekleidete Mdchen ersetzt.

    Nach meiner Vorstellung eine perverse, zutiefst abstoende und hochblasphemischeInszenierung. Alle anderen fanden sie groartig, raffiniert und sehr gelungen

    berflssig zu sagen, dass die armen und verarmenden Kirchen in Deutschland fr ein solchesHochglanzprodukt viel Geld und Zeit investiert hatten. Eine zehnkpfige Vorbereitungskommissionhatte sich achtmal getroffen. Stundenlange Reisen, tagelange Kolloquien. Eine umfangreicheKorrespondenz. Sogar der Berliner Oberbrgermeister sollte zur Mitwirkung bewogen werden, einradikal Skularer, wie es hie. Alles in allem genommen knnte man sagen: Es war eineErfolgsstory. Zweifellos haben es die meisten Beteiligten auch so empfunden.

    Ich behaupte aber: Das Ergebnis aller Bemhungen dieses Forums hatte mit der Theologie, odersagen wir einfacher: mit dem Glauben einer der den Kirchentag ausrichtenden Konfessionen wenig,wenn nicht berhaupt nichts zu tun. Aus dem Thema Gottesbild war das Thema Ikone in ihrem

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    abgeleiteten skularen Sprachsinn geworden. Die quivokation wurde zum theologischen Prinzip.Irgendeinen Anspruch, irgendeine verbindliche Aussage, irgendetwas Christliches im weitesten Sinn Fehlanzeige.

    Abgesehen nur von dem orthodoxen Beitrag: Ein prgnanter zwanzigmintiger Vortrag berdie Ikone und die Beteiligung des orthodoxen Referenten an der Podiumsdiskussion. Ein Beitrag, dertrotz seiner Prgnanz und der dem Rahmen und dem Anlass angemessenen und hervorragend

    gelungenen Prsentation in dieser Konstellation dennoch geradezu exotisch wirkte.Wenn es so luft, dann sollten wir die kumenische Arbeit sein lassen.

    Wenn wir die Menschen zur Skularitt bekehren wollen, wenn das unser Credo ist, dann istjeder Euro und jede Minute, die wir fr unsere Zusammenarbeit aufwenden, absolut verschwendet.Wir brauchen der Welt nicht vorzumachen, dass und wie wir skular sind. Denn die Welt ist schonskular und reagiert mit Zynismus auf diese Religiositt. Das Christentum als geschichtlicheEpoche ist vorbei. Das gilt natrlich auch fr die Orthodoxie in Osteuropa. Die postzaristischePseudomorphose in Russland ist nur ein oberflchliches Phnomen. Wenn wir es intelligent anstellen,dann bleibt vielleicht die christliche Kirche, allerdings nur als kleine Elite mit einer gewissengesellschaftlichen Resonanz. Unsere Kirchen werden zu groen Teilen staatlich alimentierte Museen,weil wir sie nicht mehr brauchen und nicht mehr bezahlen knnen. Was sich heute durchsetzt, die

    moderne Religiositt, ist gerade die Form von Selbst- und Weltvergtzung, die die Kirche abschaffenwollte. Heute sehen wir berall, wo die christlichen Kirchen ihre Bastionen schleifen, ein latentestiefes Bedrfnis nach Kult, nach Religion, nach Tempel. Das sind alles Bedrfnisse des Menschen alshomo religiosus, die z. B. der Buddhismus oder der Hinduismus besser bedienen als die Kirchen.

    Der religise Mensch heute sucht nicht die Vershnung mit Gott, sondern die Vershnung mitsich selbst. Er geht deshalb dahin, wo er den berhmten Kick erleben kann. Seine Erlsung ist nichtdie Auferstehung des Leibes, sondern eine ekstatische Selbsterfahrung, die gar keine Sehnsuchtdanach versprt, die Immanenz zu verlassen Die Religion in der Postmoderne ist nichts anderes alsWellness-Faktor Die klassischen christlichen Themen von Snde, Umkehr und Erlsung sind, umim Neusprech-Jargon zu reden, vollkommen out.

    Das ist das choquierende Ende einer dreitausendsechshundertjhrigen jdisch-christlichenZivilisation und Kultur.

    Religionsgeschichtlich gesprochen befinden wir uns gesamtkulturell auf der Entwicklungsstufeder gojim, die es an Religiositt zweifellos mit Israel aufnehmen konnten. Israel war nicht religiserals seine Umwelt. Der Skandal fr alle Frommen fromm im Sinne der natrlichen, auch derpostmodernen Religiositt besteht darin, dass der Gott, der sich den Patriarchen, Moses, denPropheten, dem alten und dem neuen Israel, also uns, denen, die glauben, offenbart hat und tglich,stndlich und mit jedem Herzschlag offenbart, nicht von dieser Welt ist. Mit diesem totaltranszendenten, freien, souvernen, personalen Gott gibt es keinen Handel. Das Herz des Menschenaber ist durch seinen Hervorgang aus dem innergttlichen Dialog sich selbst entzogen. Durch seineGottebenbildlichkeit hat der Mensch Anteil an der Unerkennbarkeit Gottes. Dem Deus absconditusentspricht der homo absconditus. Es gibt nicht nur eine negative Theologie, es gibt auch eine negativeAnthropologie

    Wenn wir anfangen, uns bei dem Versuch der Verkndigung des Evangeliums auf dieKategorien der natrlichen Religiositt, also der magischen Bedrfnisse, einzulassen, haben wirabsolut nichts mehr zu bieten. Leider geschieht gerade das

    Ich habe mir diese destruktive Kritik an unserer kumenischen Routine erlaubt, nicht ummeinen Frust abzuladen, sondern weil ich allerdings der Meinung bin, dass das so Beschriebenetrotz der Subjektivitt und gewiss auch Einseitigkeit der Erfahrung und noch mehr ihrer Darstellungeine ganz reale Versuchung berhrt, der wir Kirchen im ffentlichen Umgang miteinander zu ofterliegen. Ich meine die Gefahr, die sich durch den Zwang zur schnellen Publikation ergibt.

    Theologische Stringenz wird durch assoziative Reihung ersetzt. Die Ntigung zum Begriff und

    zur Przision wird ersetzt durch einen spielerischen, assoziativen Umgang mit den Kategorienunseres Glaubens und unserer Theologie. In der verffentlichten kumene mit ihrer subtilen, abersehr realen Ntigung zur geflligen Prsentation besteht die Gefahr einer Virtualisierung der

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    theologischen Kategorien, weil sich theologische Positionen in einem bewusst skularen Kontext nichtvermitteln lassen. Mit Virtualisierung meine ich, dass man theologische Begriffe wie Gott,Mensch, Gnade, Freiheit, Glaube, Erlsung etc. aus ihrem theologischen Zusammenhanglst und sie semantisch entleert, sozusagen entkernt, um sie bewusst in den neuen Kontext ihrerabgeleiteten skularen Mehrdeutigkeit zu stellen. Das gelingt zum Beispiel durch das Mittel dersthetischen Verfremdung. Das sthetische Niveau, die Performance, tritt an die Stelle einer

    Mitteilung im Sinne des Evangeliums. Der quivoke Umgang mit der Wahrheit erlaubt es jedemBetrachter, sich selbst mit seinem Welt- und Gottesbild zu entdecken und, wie es heute gern heit,einzubringen.

    So gert in unserem Bespiel die Ikone als theologische Kategorie unvermittelt in dieKonkurrenz zu den Ikonen, den icons und labels, die unseren Alltag visuell inszenieren. DerGlaube wird zum Vexierbild und die Welt zum theologischen Panoptikum; denn die Wahrheit ist jaberall.

    Diese Auenseite des kumenischen Alltags macht es uns orthodoxen kumenikern ichrechne mich selbst frech dazu sehr schwer, bei den Mutterkirchen fr kumenisches Engagementzu werben. Denken Sie daran: Vor vier Jahren wurden in einem Theologenseminar in Westsibirien dieBcher von Vater Alexander Schmemann und anderen Theologen der Pariser Schule, wie es

    bezeichnenderweise diskriminierend in Russland heit, ffentlich verbrannt. Der Vorwurf deskumenismus macht in Russland jeden damit Stigmatisierten zum outcast.

    Natrlich ist dieser kleine Zipfel aus dem Berliner Mammutprogramm nicht der ganzeKirchentag. Es gab auch die feierliche Unterzeichnung der Charta Oecumenica. Sicherlich ein seriserund zu Hoffnungen berechtigender Aufbruch in ein Europa des Glaubens und der Vershnung inJesus Christus!

    Wer Erwartungen uert, der muss auch etwas bieten. Darum mchte ich zum Ende eineVorstellung von Einheit skizzieren, die dem kumenischen Gesprch unter uns, wie ich glaube, eineOrientierung aus orthodoxer Perspektive geben kann. Es ist die Vision der sogenannteneucharistischen Theologie, die im Denken von Vater Nikolaj Afanassieff, Vater AlexanderSchmemann, Vater Johannes Meyendorff und dem noch lebenden Bischof Ioannis Zizioulas, Bischof

    von Pergamon, eine groe Bedeutung hat.Die Mitte der orthodoxen Theologie des vergangenen Jahrhunderts bildet die Besinnung auf die

    zentrale Bedeutung der Eucharistie fr die ganze Kirche. Die patristische Erneuerung, der dieOrthodoxie heute so viel verdankt, macht uns empfnglich fr die Koinzidenz von Eucharistie undKirche. Da, wo die Eucharistie ist, sagt Cyprian von Karthago, ist die Kirche. In der Eucharistieentdeckt und realisiert die Kirche ihre wahre Identitt. Dass die Kirche in der apostolischen Zeit diePrsenz Christi in der sonntglichen Versammlung erfhrt, ist von der eucharistischen Feier nicht zutrennen. In diesem Zusammenhang entdeckt und entfaltet der heilige Paulus seine ekklesiologischenBilder vom Leib und seinen Gliedern und vom Tempel. Die eucharistische Prsenz Christi in derKommunion des Brotes und des Kelches ist die Prsenz der Flle im Dienst der Gemeinde. Sieerscheint als der Leib, dessen Haupt Christus ist, als die vielfltigen Glieder, die dem Leib Christi

    aufgepfropft sind und in Ihm ihre Einheit finden, und endlich als die Braut ohne Makel in ihrerBegegnung mit dem Brutigam. Diese Flle und Integralitt des gttlichen Lebens in der Kirche zeigtsich auf hchstem Niveau in den Briefen des hl. Ignatius von Antiochien an die Kirchen vonKleinasien und Rom, besonders in jener berhmten Passage seines Briefes an die Smyrner, in der erdie Beziehung der Ortskirche mit ihrem Bischof mit derjenigen Christi zur katholischen Kirchevergleicht. Die Katholizitt erscheint hier als ein Zeichen dieser Flle und Einheit der Ortskirche dankder eucharistischen Prsenz dessen, der ist, der war und der kommt. Die Teilhabe am Mysteriumder Eucharistie ist zugleich Zeichen und Bedingung der Teilhabe am Leben der Kirche und derGemeinschaft der Kirchen untereinander. Die Eucharistie ist dasjenige Mysterium in dem die Kirchesich erkennt: als der Ort und die Zeit der Versammlung des Volkes Gottes, als die Gabe und dieHeiligung dieses Volkes in den Leib Christi kraft der Herabkunft des Heiligen Geistes und als Quelle

    des Zeugnisses und des missionarischen und apostolischen Wachstums der ganzen Kirche.Die moderne orthodoxe Theologie ist sich darin einig, die Eucharistie, die Gttliche Liturgie als

    den Ort der Manifestation der Kirche par excellence, als den Ort ihrer Erscheinung und ihrer Identitt

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    zu verstehen. Diese Erkenntnis lsst uns besonders die vorniznischen Schriften auf eine neue Weiselesen und verstehen. Die Dreiheit von Kirche, Eucharistie und Bischof bildet die Grundlage fr dieInkarnation und reale Gegenwart des Heilsmysteriums in Raum und Zeit. Es geht dabei nicht umRealprsenz im Sinn des Konzepts der Transsubstantiation. Es geht um eine Realitt, die ikonisch,bildhaft im Bischof anwesend ist, der im Vollzug der eucharistischen Zelebration in einem sehr realenSinn Typos Christi ist. Durch das ununterbrochene Handeln des Heiligen Geistes in der Geschichte

    transzendiert die Kirche die menschliche, soziologische, historische Realitt und wird und bleibt aufeine stets neue Weise der Leib Christi, auf dem die Flle des Heiligen Geistes, der Gnade und desLebens ruht. Der heilige Paulus sagt, dass die Flle der Gottheit leibhaft in Ihm wohne (Kol 1,19 &2,9) Der Ausdruck leibhaft kann im erweiterten sakramentalen Sinn auch auf die Kirche als LeibChristi bezogen werden. Man kann es darum wagen zu sagen, die Flle der Gottheit, des HeiligenGeistes, der gttlichen Gnade ruhe auf dem Leib Christi, der die Kirche ist. Die Kirche als Leib Christierbt diese Gnade. Sie erscheint als Braut, in Herrlichkeit, ohne Makel oder Runzel oder dergleichen(Eph 5,27)

    Die Eucharistie ist der Ort der Identitt des verherrlichten Herrn, mit, gegenber und in seinemkirchlichen Leib. Es gibt das Von-Angesicht-zu-Angesicht Christi gegenber Seiner Kirche, aber esgibt auch Christus in Seiner Kirche. Durch den Heiligen Geist ist Christus in Seiner Kirche

    gegenwrtig. Und durch den Heiligen Geist erwartet die Kirche die Ankunft Christi. Und die Kirchedes XXI. Jahrhunderts ist mit der Kirche der apostolischen Zeit identisch. Die Eucharistie verbietet es,die Kirche in auf eine rein zeitlich verstandene, sozusagen lineare apostolische Sukzession zuverkrzen. Gewiss gibt es eine lineare Sukzession. Aber die Kirche lsst sich nicht auf eine Existenz ineiner linearen Sukzession reduzieren. Im Gegenteil: Die Eucharistie erfordert, dass die Flle Christiund des dreieinen Lebens in jedem Augenblick ihrer zeitlich verstandenen Sukzession in Erscheinungtritt. Das ist es, was wir meinen, wenn wir sie katholisch nennen. Sie ist in einem qualifizierten Sinndie Kirche, die in der Flle lebt, und zwar heute ebenso wie in der apostolischen Zeit. Die Eucharistieist also der Brennpunkt der Identitt, der Prsenz und der Manifestation der Kirche. Sie ist auch derUrsprung der verschiedenen Dienste, deren Mitte der hchste und zentrale Dienst des Bischofs bildet.Die Vter haben nicht gezgert, im Zusammenhang mit dem Bischof das liturgische Priestertum alseine Form realer Gegenwart Christi in der Kirche zu bezeichnen.

    Von den ersten Jahren des Lebens der Kirche an, von Pfingsten an, nimmt die Differenzierungder Dienste ihren Ausgang vom zentralen Dienst des Bischofs. Wir mssen also vom Episkopatsprechen, wenn wir in der Eucharistie das Fundament und die Sichtbarkeit der Kirche erkennen. Inder Symbolik und Lehre der Vter erscheint der Bischof schon frh als Bild Christi oder des Vaters, alseine Ikone seiner realen Gegenwart. Es gibt ein Mysterium der Realprsenz, das sich nicht auf dieeucharistischen Elemente, auf Brot und Wein, beschrnkt, sondern die ganze Kirche in die Prsenz desLeibes Christi einbezieht. Sende herab Deinen Heiligen Geist auf uns und diese Gaben hier ..., Unsalle aber, die wir an dem einen Brot und einen Kelch teilhaben, vereinige miteinander zurGemeinschaft des einen Heiligen Geistes ...

    Whrend die Christen als Individuen, der Bischof und der Priester eingeschlossen, nichts

    anderes als Snder sind, deren Gebete nicht notwendigerweise erhrt werden, sind sie, sofern sie imNamen Christi als Kirche versammelt sind, Teilhaber des Neuen Bundes, in dem sich uns Gott durchden Sohn und den Geist auf ewig verbunden hat. Als Gemeinschaft und gottmenschliches Handeln istdie Eucharistie ein durch Christus an den Vater gerichtetes Gebet, das durch die Herabkunft desHeiligen Geistes vollendet wird.

    Schlielich berwindet die Eucharistie auch die scheinbare Opposition zwischen derOrtskirche und der Universalkirche.

    Wenn der Priester in der Gttlichen Liturgie den Leib Christi, das sogenannte Lamm, in vierTeile teilt, also wenn er die fractio panis vollzieht, spricht er dazu die deutenden Worte:

    Gebrochen und geteilt wird das Lamm Gottes, das, obwohl gebrochen, doch nicht zerteiltwird, das, obwohl allezeit gegessen, doch niemals verzehrt wird, sondern die heiligt, die an Ihm

    Anteil nehmen.Ebenso wie in den vielen eucharistischen Versammlungen in Zeit und Raum immer nur der

    eine einzige Leib des einen und einzigen Herrn genossen wird, sind auch die vielen Ortskirchen trotz

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    ihrer rumlichen und zeitlichen Diskretion je fr sich wie in ihrer Gesamtheit die eine einzigeidentische Kirche Christi, und zwar nicht als Summe, sondern als in Raum und Zeit diskreteVerleiblichungen des einen und selben Leibes Christi. Die Flle, die Katholizitt dieses Leibes gewinntnichts durch Addition und verliert nichts durch Subtraktion. Sie ist in jeder Ortskirche dieselbe.

    Ebenso wie das eine einzige Opfer Christi durch die vielen eucharistischen Darbringungen inZeit und Raum nicht vervielfltigt und der Leib und das Blut durch die vielen Brote und die vielen

    Kelche nicht vermehrt wird und grundstzlich weder Mehrung noch Minderung erfahren kann ist injeder Ortskirche die gesamte Kirche, der Leib Christi in seiner ganzen Flle ohne Einschrnkunggegenwrtig. So dass auch die vielen einzelnen Ortskirchen in ihrer Gesamtheit die Kirche nichtvollkommener darstellen als es eine jede von ihnen fr sich schon tut.

    Die Ortskirchen sind also nicht Teile eines Ganzen, so dass sie nur durch den Bezug auf einetranszendente komplexe Ganzheit Kirche im Vollsinn dieses Wortes wren. Jede eucharistischeVersammlung ist die ganze Kirche und nicht etwa ein Teil davon.

    Jede Kirche ist der ganze Leib Christi, und alle Kirchen zusammen sind nicht mehr als die eineeinzige Kirche in der ganzen Welt, durch diese vollkommene Einheit sind wir, die vielen, wahrhaftin Christus geeint.

    Die Glieder einer Ortskirche bilden den Leib Christi, und seine Unteilbarkeit bewirkt die Flleder Kirche, die in jeder Ortskirche gegenwrtig ist. Sie drckt sich in den Wendungen aus: Die KircheGottes, die in Korinth, in Rom, in Ephesus oder an einem anderen Ort ist.

    Im Mysterium, das wir Kirche nennen, spielt die Quantitt keine Rolle. Man kann beimNachdenken ber das Wesen der Kirche mit euklidischer Arithmetik nicht viel anfangen, denn in derEkklesiologie arbeiten wir mit Mengen, die sich nicht addieren lassen. In unserem empirischenVerstehen sind wir gewohnt, dass 1+1=2 ist; aber in der Lehre von der Kirche ist es verloreneLiebesmhe, die einzelnen Ortskirchen zusammenzuzhlen; wir erhalten immer eine Summe, dienicht grer ist als jeder einzelne Posten. In der Ekklesiologie gilt nmlich immer: 1+1=1. In jederOrtsgemeinde gewinnt die ganze Flle der Kirche Gottes Gestalt, denn jene ist die Kirche Gottes undnicht nur ein Teil davon. Es mag eine Vielfalt von Gestalten der Kirche Gottes geben, aber sie selbstbleibt immer eins und eine, denn sie ist immer sich selbst gleich ... In der Kirche sind die fr unsgegenstzlichen Begriffe von Einheit und Vielheit nicht nur berwunden, vielmehr ist jeder derbeiden im je anderen enthalten. In der sichtbaren Wirklichkeit bezeugt sich die Einheit der Kirche inder Vielfalt der Ortskirchen, und die Vielfalt der Ortskirchen gewhrleistet die Einheit der KircheGottes in Christus. Die Zunahme oder Abnahme der Zahl der Ortskirchen ndert nichts an der Einheitund der Flle der Kirche, sondern verndert nur die Zahl ihrer sichtbaren Erscheinung in unsererWirklichkeit. Die Zahl all dieser sichtbaren Bezeugungen und Erscheinungen ihrer Existenz bildet ihreuerliche Mannigfaltigkeit, in welcher gleichzeitig die Grenzen ihrer irdischen Sendung gegebensind. Die eucharistische Ekklesiologie stellt somit die Universalitt der Kirche keineswegs in Abrede,aber sie unterscheidet die uere Mannigfaltigkeit als eine Seite dieser Universalitt im Sinne derBegrenztheit ihrer Mission von der inneren Universalitt, die immer und unter allen Umstnden sichgleich bleibt; denn diese bedeutet, dass die Kirche immer und berall in ihrer Flle und in ihrer

    Einheit zutage tritt. (Afanassieff S. 27f.)In der universalen Ekklesiologie sind dagegen die Ortskirchen Teile der Gesamtkirche. Diese

    Vorstellung ist bereits bei Cyprian von Karthago sehr deutlich ausgeprgt. Cyprian wendet dieAnschauung des hl. Paulus von der Kirche als des aus vielen Gliedern bestehenden Leibes Christinicht auf die einzelne Ortskirche, sondern auf die Gesamtheit der Ortskirchen an. Demnach kme dieFlle nur der ber die ganze Welt verbreiteten Kirche zu, whrend die Ortskirchen als Glieder derGesamtkirche nur je einen Teil dieser Flle besen. Ihre Gesamtheit bildet die katholische,universale, kumenische Kirche; sie ist die Summe ihrer Teile. Ihre Einheit wird durch die Einheit desEpiskopates verwirklicht, denn der Stuhl Petri, der Ursprung und die Wurzel der Einheit, ist eins.Diesen Stuhl hat der ganze Episkopat inne, so dass jeder Bischof Nachfolger Petri ist. Jeder Bischof hatden Stuhl Christi in Gemeinschaft mit den anderen inne. ... Cyprian stellt den Bischof von Rom nicht

    ber die anderen Bischfe, aber er stellt die Kirche von Rom an die Spitze der anderen Kirchen. JederBischof hat den Stuhl Petri inne, er ist in indirekter Weise sein Erbe, whrend der Bischof von Rom esin direkter Weise ist. Deshalb ist fr Cyprian die Kirche von Rom die Wurzel und der Grund der

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    Universalkirche. Dennoch hat er im Bischof von Rom nicht den Leiter des Episkopats gesehen. Erstder Bischof von Rom hat selbst diese Folgerung aus Cyprians Ekklesiologie gezogen.

    In diesem Konzept ist nach orthodoxem Verstndnis die Einheit der Kirche von der Einheitder Synaxis, der eucharistischen Versammlung, abstrahiert. Erst die Einheit des Episkopates realisiertdie Einheit der Kirche, weil die Ganzheit und Flle nur in der Gesamtheit aller Ortskirchen besteht.Die Katholizitt der Ortskirche wird so sekundr gegenber der Katholizitt der Gesamtkirche. Es

    liegt in der Logik der universalen Ekklesiologie, die Einheit der Gesamtkirche in einem ppstlichenUniversalprimat zu begrnden und zu manifestieren. Erst die Einheit des Ortsbischofs mit dem Papstund dem Gesamtepiskopat garantiert die volle Partizipation der Ortskirche an der Einheit undKatholizitt der Una Sancta. Erst der Konsens mit dem Gesamtepiskopat und dem Bischof von Romgibt dem Ortsbischof die Legitimation, die der Vorsitz in der eucharistischen Versammlung alleinnicht (mehr) verleiht. Der Bischof ist insofern nicht mehr nur Bischof in seiner Kirche, sondern auchBischof ber seine Kirche.

    Auch die eucharistische Ekklesiologie kennt einen regionalen und einen universalen Primatbzw. Vorrang. Es ist der Primat der Liebe und des Zeugnisses, des Vorsitzes in der Liebe, wie derheilige Ignatius den Vorrang der Kirche Roms qualifiziert. Das Entscheidende dieses Dienstes ist, dasser keine Macht ber die Kirche bedeutet, also keine Jurisdiktionsgewalt verleiht. Der Patriarch von

    Konstantinopel, der sog. kumenische Patriarch steht nicht ber dem Episkopat. Er ist nur primusinter pares. Er hat als solcher das Recht, Konzilien einzuberufen, aber ist dabei selbst dem Konzilunterworfen. Im Vergleich dazu steht der Papst ber den Konzilien. Er ist rechtlich durch ihreEntscheidungen nicht gebunden. Der orthodoxe Metropolit oder Patriarch bt seinen Primat nicht exsese, sondern realisiert nur den Vorsitz seiner rtlich begrenzten Kirche. Die Autoritt einer Kircheentspricht dem Ma ihrer Liebe und ihrer Fhigkeit, den anderen beizustehen.

    Diese Auffassung des Primates in der Kirche entspricht dem Primat des Vaters gegenber demSohn und dem Heiligen Geist. Nach dem heiligen Johannes von Damaskus sind die drei gttlichenPersonen miteinander vereint, nicht um sich zu vermischen, sondern um einander zu enthalten. Siedurchdringen einander, ohne miteinander zu verschmelzen ... (de fide orth. 1,8). Jede gttlichePerson ist eine einmalige Art, das gleiche Wesen zu besitzen, es von den anderen zu empfangen, es

    den anderen zu geben und so die anderen in den ewigen Strom der gttlichen Liebe einzubeziehen.Der Vater ist der Garant der Einheit, ohne die vollkommene Gleichheit der drei Personen zudurchbrechen, wodurch jegliche Unterordnung ausgeschlossen ist und der Vater sich als denoffenbart, der den Vorsitz in der dreieinigen Liebe innehat.

    Die eucharistische Auffassung vom Primat in der Kirche grndet in dieser Auffassung von derMonarchie des Vaters.

    Die Kirche Gottes erfllt mit ihrer Gegenwart jede Ortskirche bei der Feier der Eucharistie vollund ganz; aber jede von ihnen verwirklicht diese Gegenwart auf verschiedene Weise und inverschiedenem Mae. Die Autoritt des Zeugnisses einer bestimmten Kirche ist um so hher, je grerdas Ma der Verwirklichung der Gegenwart der Kirche Gottes in ihr ist. Die Ortskirchen sind ihremWesen nach gleich, aber sie besitzen eine unterschiedliche Autoritt, und dieser Unterschied in der

    Autoritt schafft unter ihnen eine Hierarchie. Wenn es aber eine Hierarchie der einzelnen Kirchengibt, so muss es auch eine Kirche geben, die an der Spitze dieser Hierarchie steht und folglich denersten Platz einnimmt. Ihr Zeugnis ber das, was bei den anderen geschieht, hat grundlegenden Wert,und ihr Aufnehmen dessen, was die anderen tun, entscheidende Bedeutung. Anders gesagt: Sie besitztden Vorrang in der Autoritt und den Vorrang in der Liebe. Und das heit: Sie gibt sich selbst denanderen als Opfer hin. Diese Beschaffenheit des Vorrangs verunmglicht die Aussage, die Kirche, dieden Vorrang vor den anderen innehabe, besitze dadurch das Recht zur Herrschaft ber die anderen.Sie hat dieses nie besessen und kann es auch gar nicht besitzen, denn wenn eine Kirche eine derartigeMacht ber die anderen htte, so wrde das heien, sie htte Regierungsgewalt ber den Leib desHerrn Christus ... Die Kirche, die den Vorrang besa, hatte keine Macht ber die anderen; sie besaaber auch keine besonderen Vorrechte, denn nicht das Recht vereinte die Mengen der Kirchen,

    sondern die Liebe und die Eintracht verbanden sie untereinander. Das ist der Grund dafr, dass eineKirche, deren Autoritt inmitten der eintrchtigen Menge der anderen Kirchen grer ist, auch einegrere Liebe besitzt. (Der Primat des Petrus in der orthodoxen Kirche. Nikolaj Afanassieff, S. 31 f.)

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    Was erwarten wir von den Kirchen des Westens?

    Die Fragestellung suggeriert, dass der Westen pflichtschuldig in Vorleistung treten muss

    Erlauben Sie uns, orthodox zu sein und hier in Mittel- und Westeuropa die Gttliche Liturgiezu feiern. Verstehen Sie uns als eine Kirche trotz unserer Autokephalien und Jurisdiktionen Lassen Sie uns versuchen, die Tradition zusammen leben

    Lassen Sie mich abschlieend dezidiert einige Punkte nennen, die mir fr eine Grundlegung

    des kumenischen Dialogs wichtig scheinen:1. Wir mssen uns der Erkenntnis stellen, dass der institutionalisierte kumenismus das

    Unternehmen, welches wir RK nennen die Einheit der Kirche nicht herbeifhren wird. Fr dieorthodoxe Kirche ist andererseits eine Einheit im Sinne der Leuenberger Vereinbarung keinakzeptables Konzept. Die Heterogenitt der teilnehmenden Kirchen wird nicht berwunden, sondernim Gegenteil noch verfestigt, und zwar im Sinn eines legitimen ekklesiologischen Pluralismus.

    2. Die Reformation, Rom und die Orthodoxie haben, und das ist die Quelle der Uneinigkeit,Kirchenverstndnisse, die sich im Prinzip gegenseitig ausschlieen. Darum wird eine wie auch immerbeschaffene Einheit dieser drei niemals eine ekklesiale Einheit sein knnen. Der quivoke Gebrauchdes Wortes Kirche fr jede dieser drei Konfessionen erweckt die Illusion einer Identitt, die es gar

    nicht gibt. Die wechselseitige Anerkennung der Konfessionen als Kirchen zur Bedingung des Dialogszu machen, das ist die Lebenslge der kumene berhaupt. Von diesem Punkt an fhrt alles nur nochin die Sackgasse.

    3. Das Projekt der offenen Kirche (Kirchentagsbewegung) wird die Erosion des Glaubens inder postchristlichen Gesellschaft beschleunigen.

    4. Der bewusste Verzicht auf theologische Verstndigung und der Missbrauch der sakramen-talen Handlungen als Gesinnungsmanifestation im Sinne eines pragmatischen kumenismus(demonstrative Interkommunion) fhrt ins Chaos

    5. Die Zukunft gehrt einem sich ausdrcklich kirchlich verstehenden Glauben.

    6. Der Schlssel zur Einheit ist das eucharistische Kirchenverstndnis, nach dem die allgemeine(katholische) Einheit der Kirche gerade die Einheit der Kirche selbst und nicht die Einheit derKirchen (der Ortskirchen) ist. Das bedeutet die Ableitung der Katholizitt aus der Flle und Einheitder Ortskirche im Sinne der Ekklesiologie der ersten drei Jahrhunderte (besonders Paulus, Ignatiusvon Antiochien und Irenus von Lyon)

    7. Auf diesem Weg kann die Orthodoxie helfen. Allerdings muss sie sich selbst zwischenuniversaler Ekklesiologie und eucharistischer Ekklesiologie entscheiden.

    Brhl am 26. April 2004

    Erzpriester Peter Sonntag

    Die Zitate von Nikolaj Afanassieff sind aus: N. Afanassieff, N. Koulomzine, J. Meyendorff, A.Schmemann, Der Primat des Petrus in der orthodoxen Kirche, Zrich 1961

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