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Österreich am Pranger Charles E. Ritterband , 25. September 2015 Der jüdische Journalist Stephan Templ befindet sich unmittelbar vor Haftantritt – die skandalöse Pointe eines Restitutionsfalles. Stephan Templ, der österreichische Journalist mit Wohnsitz in Prag – er schreibt in den renommierten Feuilletons der NZZ und der FAZ über Architektur und Restitution – muss nun tatsächlich ins Gefängnis. Er wird seine einjährige Haftstrafe am kommenden Montag um sechs Uhr früh in der Justizanstalt Wien‐Simmering antreten. Templ kommt, und dies beteuert nicht nur er und argumentieren seine Anwälte völlig überzeugend, unschuldig hinter Gitter – als Ausgang eines Rechtsfalls, den man nach juristischen Kriterien (und gemäss Urteil des gesundem Menschenverstands), als einen der gravierendsten Justizskandale der Zweiten Republik bezeichnen kann. Ein Racheakt? Denn es geht hier nicht um einen möglichen Betrugsfall, der nach zivilrechtlichen Verfahren zu behandeln und abzuurteilen wäre – es geht um das in Österreich so überaus heikle Thema der Restitution an jüdischem Eigentum. Und: Manche, die das Verfahren von Anfang an mitverfolgt haben, kommen zum gar nicht so abwegigen Schluss, dass hier die Republik Österreich mittels sehr fragwürdig eingesetzten juristischen Instrumenten einen Racheakt vollzieht an einem Unbotmässigen – denn Stephan Templ hatte vor Jahren mit seiner Partnerin Tina Walzer als Co-Autorin ein extrem unbequemes Buch veröffentlicht, das den Umgang der Zweiten Republik mit den «Arisierungen», dem jüdischen Raubgut präzis recherchiert und schonungslos dargestellt hatte. Besonders unangenehm an dem (längst vergriffenen) Werk war, dass die Namen der «Ariseure» genannt wurden, deren direkte Nachkommen sich oft bis heute in den ermordeten oder in die Emigration getriebenen Liegenschaften oder Firmen verschanzen. Templ hatte 2005 im Auftrag seiner Mutter einen Anteil (1,1 Millionen Euro) an dem durch die Republik sehr zögerlich restituierten, einst seinen Vorfahren gehörenden und von den Nazis geraubten Sanatoriums Fürth – einem herrschaftlichen Bau in einem der vornehmsten Quartiere, der Josefstadt, hinter dem Rathaus – erwirkt. Ein Wiener Notar –

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Österreich am PrangerCharles E. Ritterband , 25. September 2015

Der jüdische Journalist Stephan Templ befindet sich unmittelbar vor Haftantritt – dieskandalöse Pointe eines Restitutionsfalles.

 

Stephan Templ, der österreichische Journalist mit Wohnsitz in Prag – er schreibt in denrenommierten Feuilletons der NZZ und der FAZ über Architektur und Restitution – mussnun tatsächlich ins Gefängnis. Er wird seine einjährige Haftstrafe am kommenden Montagum sechs Uhr früh in der Justizanstalt Wien‐Simmering antreten. Templ kommt, und diesbeteuert nicht nur er und argumentieren seine Anwälte völlig überzeugend, unschuldighinter Gitter – als Ausgang eines Rechtsfalls, den man nach juristischen Kriterien (undgemäss Urteil des gesundem Menschenverstands), als einen der gravierendstenJustizskandale der Zweiten Republik bezeichnen kann.

 

Ein Racheakt?

 

Denn es geht hier nicht um einen möglichen Betrugsfall, der nach zivilrechtlichen Verfahrenzu behandeln und abzuurteilen wäre – es geht um das in Österreich so überaus heikleThema der Restitution an jüdischem Eigentum. Und: Manche, die das Verfahren vonAnfang an mitverfolgt haben, kommen zum gar nicht so abwegigen Schluss, dass hier dieRepublik Österreich mittels sehr fragwürdig eingesetzten juristischen Instrumenten einenRacheakt vollzieht an einem Unbotmässigen – denn Stephan Templ hatte vor Jahren mitseiner Partnerin Tina Walzer als Co-Autorin ein extrem unbequemes Buch veröffentlicht,das den Umgang der Zweiten Republik mit den «Arisierungen», dem jüdischen Raubgutpräzis recherchiert und schonungslos dargestellt hatte. Besonders unangenehm an dem(längst vergriffenen) Werk war, dass die Namen der «Ariseure» genannt wurden, derendirekte Nachkommen sich oft bis heute in den ermordeten oder in die Emigrationgetriebenen Liegenschaften oder Firmen verschanzen.

 

Templ hatte 2005 im Auftrag seiner Mutter einen Anteil (1,1 Millionen Euro) an dem durchdie Republik sehr zögerlich restituierten, einst seinen Vorfahren gehörenden und von denNazis geraubten Sanatoriums Fürth – einem herrschaftlichen Bau in einem dervornehmsten Quartiere, der Josefstadt, hinter dem Rathaus – erwirkt. Ein Wiener Notar –

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über den das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde – machte für ein sehr beträchtlichesHonorar die weit verstreuten Erben ausfindig, doch «vergass» er dabei einige Namen undargumentierte unter anderem mit dem «Verschwinden» einer Liste. Templ selbst hatte einFormular auszufüllen und «unterschlug» dabei den Namen seiner Tante, einer Schwesterder Mutter, mit der dieser Teil der Familie seit langem verkracht war. Er sei, argumentiertTempl, nicht verpflichtet, sich für Miterben zu. Das wurde Templ zum Verhängnis: In einergewundenen und alles andere als plausiblen Argumentation trat nunmehr die Republik aufden Plan und erklärte, sie sei durch die Auslassung des Namens jener Tante geschädigt,denn wenn diese verzichtet hätte, wären 550 000 Euro der Republik zugute gekommen.

 

Gnadengesuch abgeblockt

 

Dies verstehe wer will – klar ist jedenfalls, dass Templ im Jahr 2013 wegen schwerenBetrugs an der Republik Österreich zu drei Jahren Haft verurteilt wurde; inzwischen wurdedie Gefängnisstrafe von drei auf ein Jahr unbedingt (und zwei Jahre bedingt) reduziert. Inden letzten Tagen sind, nach Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten und nachdemselbst die österreichische Finanzprokuratur öffentlich erklärt hatte, die Republik seifinanziell nicht geschädigt worden, Gnadengesuche an den Bundespräsidenten erfolgt –seitens der Anti-Defamation League und in einem persönlichen Schreiben von TimothyBonyhady, dem Autor des berühmten Buches «Wohllebengasse», an Bundespräsident HeinzFischer. 75 namhafte Holocaust-Forscher weltweit appellierten an das österreichischeStaatsoberhaupt, im Falle des Sohnes von Holocaust-Überlebenden Gnade walten zu lassen.Das Büro des Bundespräsidenten reagierte auf sehr merkwürdige Weise:  DasGnadengesuch sei dem Justizminister vorgelegt worden und nach dessen Auffassung sei«ein Gnadenerweis zum derzeitigen Zeitpunkt in keiner Weise indiziert». Deshalb sei demBundespräsidenten «kein Gnadenvorschlag unterbreitet» worden. Die Angelegenheit wurde– unter Berufung auf die Verfassung - also schon vor den Pforten des Staatsoberhauptesabgeblockt. Aus dem Schreiben geht deutlich hervor, dass die Kanzlei desBundespräsidenten (und möglicherweise auch der Justizminister) die Akte Templ niegelesen haben. Als Begründung wurde im Attachment ein – erhebliche sachliche Fehleraufweisender – in der NZZ veröffentlichter Leserbrief des Pressesprecher desAussenministeriums, Martin Weiss beigefügt. Kleine Pointe am Rande: Weiss istdesignierter österreichischer Botschafter in Israel.

 

 Der Londoner Anwalt Robert Amsterdam, der sich mit dem Fall Templ befasst, ging ineiner Pressekonferenz am Dienstag so weit, dass er die Rechtsstaatlichkeit Österreichs inZweifel zog. Dies sei schliesslich nicht irgendein afrikanischer Staat, sondern eine

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westeuropäische EU-Mitgliedsnation. Templ sei für eine Tat verurteilt worden, die erschlicht nicht begangen habe. Pointiert sprach er von Verfolgung österreichischer Juden bisins 21. Jahrhundert hinein – von Transparenz oder Fairness könne bei diesem Prozess nichtdie Rede sein. Templ strebt nun eine Wiederaufnahme des Verfahrens an: es seien neueTatsachen ans Tageslicht getreten, welche dies rechtfertigten.