1
im Deutsch-Franzéisischen Krieg. Auf kleindeutscher Grundlage und unter . der preuíslschen Hohenzollern war damit erstmals ein deutscher Nationalstaat entstanden. Herrschaft der vvahrend der Zeit des Kaiserreichs war Deutschland wirtschafts- und sozialgeschichtlich qepraqt durch die Hochindustrialisierung. Okonornisch und sozial-strukturell wandelte es sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vom Agrar- zum Industrieland. Auch der Dienstleistungssektor gewann mit dem Ausbau des Handels und des Bankwesens wachsende Bedeutung. Das auch durch die franz6sischen Kriegsreparationen nach 1871 verursachte Wirtschaftswachstum wurde durch den sogenannten Gründerkrachvon 1873 und die ihni folgende lanqjahriqe Konjunkturkrise zeitweilig gebremst. Trotz erheblicher politischer Folgen anderte dies nichts an der strukturellen Entwicklung hin zum Industriestaat. ~ Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Wandel waren ein rapides Bevéilkerungswachstum, Binnenwanderung und Urbanisierung. Die GesellschaftsstruRfur wurde durch die Zunahme der stadtischen Arbeiterbevéilkerung und - vor allem in den Jahren ab etwa 1890 - auch des neuen Mittelstandes aus Technikern, Angestellten sowie kleinen und mittleren , . Beamten wesentlich verandert. Dagegen ging die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und der Landwirtschaft - bezogen auf deren Beitraqe zum Bruttosozialprodukt - eher zurück. Allerdings behielt der Adelsein hohes Sozialprestige und konnte weiterhin seine dominante Rolle beim Militar, in der Diplomatie und cler héiheren Zivilverwaltung behaupten.V' Die innen- und aufsenpolitische Entwicklung wurde bis 1890 vom ersten und am lanqsten amtierenden Kanzler des Reiches, Otto von Bisrnarck, bestimmt. Dessen Regierungszeit lasst sich in eine relativ liberale Phase, gepragt von innenpolitischen Reformen und vom Kulturkampf, und eine eher konservativ qepraqte Zeit nach 1878/79 einteilen. Als Zasur gilt der Übergang zum Staatsinterventionismus (Schutzzoll, Sozialversicherung) sowie dasSozialistengesetz. Bismarck versuchte aur..enp~isch, das Reich durch ein komplexesBündnissystem abzusichern (z. B. Zweibund mit Osterreich-Ungarn1879). In seine Amtszeit fiel auch der - wenn auch erst spater intensivierte - Einstieg in den überseeischen Imperialismus. Es folgten internationale Interessenkonflikte mit anderen Kolonialrnachten, insbesondere der Weltmacht Grofsbritannien. Die Phase nach der Ara Bismarck wird oft als Wilhelminisches Zeitalter bezeichnet, weil Kaiser Wilhelm 11. (ab 1888) nach der Entlassung Bismarcks personlich in erheblichem Umfang Einfluss auf die Tagespolitik ausübte. Allerdings spielten daneben auch andere, teilweise konkurrierende Akteure eine wichtige Rolle. Sie beeinflussten die Entscheidungen des Kaisers und liefsen sie oft widersprüchlich und unberechenbar erscheinen. Durch den Aufstieg von Massenverbanden und -parteien sowie der wachsenden Bedeutung der Presse gewann zudem die éiffentliche Meinung an Gewicht. Nicht zuletzt darum versuchte die Regierung mit einer imperialistischen Weltpolitik, einer antisozialdemokratischen Sammlungspolitik und einer populáren Flottenrüstung (siehe Flottengesetze) ihren Rückhalt in der Bevéilkerung zu erhéihen. Aufsenpolitisch führte Wilhelms Weltmachtstreben jedoch in die Isolation; durch diese Politik hat das Reich dazu beigetragen, die Gefahren eines gror..en Krieges zu erhéihen. Als dieser Erste .. Weltkrieg[3) schliefslich 1914 ausgeléist wurde, war das Reich in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt. Auch in der Innenpolitik gewann das Militar an Einfluss. Mit der zunehmenden Anzahl von Kriegstoten' an den Fronten und der sozialen Not in der Heimat (geféirdert durch alliierte Seeblockaden) begann die Monarchie an Rückhalt zu verlieren. Erst gegen Kriegsende kam es zu den Oktoberreformen 1918, die unter anderem bestimmten, dass der Reichskanzler das Vertrauen des Reichslages haben musste. Schon bald darauf wurde in derNovemberrevolulion die Republik ausgerufen, und dieverfassunggebende Nationalversammlung in Weimar konstituierte das Reich 1919 als parlamentarische Demokratie. Das heutige Deutschland ist véilkerrechtlich mit dern Deutschen Reich des Jahres 1871 identisch, auch wenn sich Regierungsform undStaatsgebiet seither mehrmals qeandert haben.

otto 2.pdf

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: otto 2.pdf

im Deutsch-Franzéisischen Krieg. Auf kleindeutscher Grundlage und unter . der

preuíslschen Hohenzollern war damit erstmals ein deutscher Nationalstaat entstanden.

Herrschaft der

vvahrend der Zeit des Kaiserreichs war Deutschland wirtschafts- und sozialgeschichtlich qepraqt durch

die Hochindustrialisierung. Okonornisch und sozial-strukturell wandelte es sich in den letzten Jahrzehnten des 19.

Jahrhunderts vom Agrar- zum Industrieland. Auch der Dienstleistungssektor gewann mit dem Ausbau des Handels und

des Bankwesens wachsende Bedeutung. Das auch durch die franz6sischen Kriegsreparationen nach 1871 verursachte

Wirtschaftswachstum wurde durch den sogenannten Gründerkrachvon 1873 und die ihni folgende lanqjahriqe

Konjunkturkrise zeitweilig gebremst. Trotz erheblicher politischer Folgen anderte dies nichts an der strukturellen

Entwicklung hin zum Industriestaat. ~

Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Wandel waren ein rapides Bevéilkerungswachstum, Binnenwanderung und

Urbanisierung. Die GesellschaftsstruRfur wurde durch die Zunahme der stadtischen Arbeiterbevéilkerung und - vor allem

in den Jahren ab etwa 1890 - auch des neuen Mittelstandes aus Technikern, Angestellten sowie kleinen und mittleren, .

Beamten wesentlich verandert. Dagegen ging die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und der Landwirtschaft -

bezogen auf deren Beitraqe zum Bruttosozialprodukt - eher zurück. Allerdings behielt der Adelsein hohes Sozialprestige

und konnte weiterhin seine dominante Rolle beim Militar, in der Diplomatie und cler héiheren Zivilverwaltung behaupten.V'

Die innen- und aufsenpolitische Entwicklung wurde bis 1890 vom ersten und am lanqsten amtierenden Kanzler des

Reiches, Otto von Bisrnarck, bestimmt. Dessen Regierungszeit lasst sich in eine relativ liberale Phase, gepragt von

innenpolitischen Reformen und vom Kulturkampf, und eine eher konservativ qepraqte Zeit nach 1878/79 einteilen. Als

Zasur gilt der Übergang zum Staatsinterventionismus (Schutzzoll, Sozialversicherung) sowie dasSozialistengesetz.

Bismarck versuchte aur..enp~isch, das Reich durch ein komplexesBündnissystem abzusichern

(z. B. Zweibund mit Osterreich-Ungarn1879). In seine Amtszeit fiel auch der - wenn auch erst spater intensivierte -

Einstieg in den überseeischen Imperialismus. Es folgten internationale Interessenkonflikte mit anderen Kolonialrnachten,

insbesondere der Weltmacht Grofsbritannien.

Die Phase nach der Ara Bismarck wird oft als Wilhelminisches Zeitalter bezeichnet, weil Kaiser Wilhelm 11. (ab 1888) nach

der Entlassung Bismarcks personlich in erheblichem Umfang Einfluss auf die Tagespolitik ausübte. Allerdings spielten

daneben auch andere, teilweise konkurrierende Akteure eine wichtige Rolle. Sie beeinflussten die Entscheidungen des

Kaisers und liefsen sie oft widersprüchlich und unberechenbar erscheinen.

Durch den Aufstieg von Massenverbanden und -parteien sowie der wachsenden Bedeutung der Presse gewann zudem

die éiffentliche Meinung an Gewicht. Nicht zuletzt darum versuchte die Regierung mit einer imperialistischen Weltpolitik,

einer antisozialdemokratischen Sammlungspolitik und einer populáren Flottenrüstung (siehe Flottengesetze) ihren

Rückhalt in der Bevéilkerung zu erhéihen. Aufsenpolitisch führte Wilhelms Weltmachtstreben jedoch in die Isolation; durch

diese Politik hat das Reich dazu beigetragen, die Gefahren eines gror..en Krieges zu erhéihen. Als dieser Erste

.. Weltkrieg[3) schliefslich 1914 ausgeléist wurde, war das Reich in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt. Auch in der

Innenpolitik gewann das Militar an Einfluss. Mit der zunehmenden Anzahl von Kriegstoten' an den Fronten und der

sozialen Not in der Heimat (geféirdert durch alliierte Seeblockaden) begann die Monarchie an Rückhalt zu verlieren.

Erst gegen Kriegsende kam es zu den Oktoberreformen 1918, die unter anderem bestimmten, dass der Reichskanzler

das Vertrauen des Reichslages haben musste. Schon bald darauf wurde in derNovemberrevolulion die Republik

ausgerufen, und dieverfassunggebende Nationalversammlung in Weimar konstituierte das Reich 1919

als parlamentarische Demokratie. Das heutige Deutschland ist véilkerrechtlich mit dern Deutschen Reich des Jahres 1871

identisch, auch wenn sich Regierungsform undStaatsgebiet seither mehrmals qeandert haben.