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Otto IV. - Kaiser und Landesherr Burgen und Kirchenbauten 1198 - 1218 Vorträge vom 6. und 7. März 2009 auf Burg lichtenberg in Salzgitter Herausgegeben von Bemd Ulrich Hucker und Jörg Leuschner 01/0 IV. (1175/1176 - 1218) - Bildnis Dttos IV. aus dem Rittersaal des Leineschlosses in Hannover von Christian Tunica (1836).

Otto IV. - Kaiser und Landesherr¼nchen 1999,NI. 1213,1221und 1225;Egon Bosnor, Zentralgewalt und Territorium im Südosten desReichs um die Wende vom 12. zum 13.Jahrhundert, in: Wolfger

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Otto IV. - Kaiser und LandesherrBurgen und Kirchenbauten 1198 - 1218

Vorträge vom 6. und 7. März 2009auf Burg lichtenberg in Salzgitter

Herausgegeben vonBemd Ulrich Hucker

undJörg Leuschner

01/0 IV. (1175/1176 - 1218) - Bildnis Dttos IV. aus dem Rittersaal des Leineschlosses in Hannover von Christian Tunica (1836).

Hubertus Seibert

Kaiser Otto IV., die Welfen und das Herzogtum Bayern(1198-1212)

Am Festtag' des hI. Martin, am 11. November 1208, trat in Frankfurt, anjenem art, andem die römisch-deutschen Könige gewählt wurden, die vielleicht bedeutendste politi-sche Versammlung in der Regierungszeit Ottos IV. (1175/1176-1218) zusammen.! Eineunvorstellbare Zahl an Großen aus Franken, Bayern und Schwaben war aufEinladungdes Welfen nach Frankfurt geeilt und demonstrierte vor aller Welt die einmütige Anerken-nung Ottos als ihres rechtmäßigen und alleinigen Königs.' Die auf diesem Hoftag gefäll-ten Beschlüsse und Entscheidungen hatten tief greifende Folgen für das Ordnungsgefü-ge des Reiches und für die Königsherrschaft Ottos. Zu den wichtigsten Anliegen der inFrankfurt Versammelten gehörte die gemeinsame Wiederherstellung der Ordnung imReich, die durch die Ermordung des staufischen Kontrahenten, Philipps von Schwaben(1177-1208), am 21. Juni 1208,4 schwer erschüttert war.

Neben der Verkündung eines allgemeinen (Land-jfricdens? verhängte Otto hier dieReichsacht über Philipps Mörder und vermeintliche Komplizen, die Andechser BrüderBischofEkbert von Bamberg (um 1175-1237) und MarkgrafHeinrich IV. von Istrien(1175/1180-1228). Zugleich entzog er ihnen ihre Ämter, Lehen und Einkünfte, die er dem

Folgende Abkürzungen werden verwendet: BFW = Johann Friedrich BÖHMER,Regesta Imperii V. DieRegesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV, Friedrich 11,Heinrich (VII), Conrad IV, Heinrich Raspe,Wilhelm und Richard. 1198-1272. Neu hgg. und ergänzt von Julius FICKER/EduardWINKELMANN,Innsbruck1881-1901, Nachdruck: Hildesheim 1971;BÖHMER-ZINSMAIER= Johann Friedrich BÖHMER,Regesta ImperiiV, Bd, 4: Nachträge und Ergänzungen, bearb. von Paul ZINSMAlER,Köln/Wien 1983; MB =MonumentaBoica; MGH SS = Monumenta Germaniae Historica Scriptores; MGH SS = Monumenta GermaniaeHistorica Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi; RNI = Regesturn InnocentiiIII papae super negotio Romani imperii, ed. Friedrich KEMPFS. J. (= Miscellanea Historiae Pontificiae XII),Rom 1947.Die Vortragsfassung vom 7.März 2009 wurde weitgehend beibehalten und um die nötigen Quellen-nachweise und Anmerkungen erweitert.Arnold von Lübeck, Chronica, liber VII, cap. 14, ed. Johann M. LAPPENBERG,MGH SS rer. Germ. [141,Han-nover 1868, S. 286; Chronica regia Coloniensis, Contin. 11ad a. 1208, ed. Georg WAITZ,MGH SS rer. Germ.[471,Hannover 1880, S. 183f., sowie Contin. III ad a. 1208, S. 227; Annales Marbacenses qui dicuntur, ed. Her-mann BLOCH,MGH SS rer. Germ. [91,Hannover 1907,S. 80.Amold von Lübeck, Chronica VII, cap. 14, S. 286: Ubi cum magna sollempnitate et ingenti numerositate occur-rerunt domno regi principes Frankonte, Bauwarie, Suevie.Jan KEupp, Der Bamberger Mord von 1208 - ein Königsdrama?, in: Philipp VONSCHWABEN.Ein Staufer imKampf urn die Königsherrschaft (= Schriften zur staufischen Geschichte und Kultur 27), Göppingen 2008,S. 122-142; Jörg ROGGE,Attentate und Schlachten. Beobachtungen zum Verhältnis von Königtum und Gewaltim deutschen Reich während des 13.und 14. Jahrhunderts, in: Königliche Gewalt - Gewalt gegen Könige.Macht und Mord im spätmittelalterlichen Europa, hg, von Martin KINTZINGERlJörgROGGE(= Zeitschrift fürHistorische Forschung Beiheft 33), Berlin 2004, S. 7-50, hier S. 9-14.Otto von St. Blasien, Chronica ad a. U08, ed. AdolfHoFMEISTER,MGH SS rer. Germ. [471,Hannover 1912,S. 83, Z. 17-19; Chronica S. Petri Erfordensis modema, ed. Oswald HOLDER-EGGER,MGH SS rer. Germ.[421,Hannover 1899, S. 117-442, hier S. 206, Z. 9-12; Bemd U1richHUCKER,Kaiser Otto IV. (=MGH Schriften34), Hannover 1990, S. 105, 108.

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Der Südosten des Reiches um 1200

•Prag11

o Ort (Stadt/Burg)Abb. 1:DerSüdosten des Reiches um 1200.

i Erzbistum i Bistum 1 Kloster

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Herzog von Bayern, dem Bischof von Brixen und dem Patriarchen von Aquileja über-trug/'

Den ersten königlichen Gunsterweis empfing noch in Frankfurt Herzog Ludwig I.vonBayern (1174-1231). Dessen fortwährende Ergebenheit suchte sich Otto dadurch zu ver-sichern, dass er Ludwig und seinen Erben - als erster König überhaupt - das HerzogtumBayern mit allem Grund und Leuten als dauerhaften erblichen Besitz verlieh.' DiesesPrivileg und Ludwigs Bezeichnung als "unser teurer Getreuer" (fidelis et dilectus noster)wirft die Frage nach der Qualität des beiderseitigen Verhältnisses im Besonderen undnach dem Stellenwert Bayerns und der angrenzenden Gebiete in der HerrschaftspraxisOttos im Allgemeinen auf. Was zeichnete diesen Raum und seine Großen aus, dass sichOtto ihnen in neuartiger Intensität zuwandte? AufweIchen personellen und materiellenGrundlagen basierte Ottos Politik und Herrschaft im Südosten des Reiches? WelcheErwartungen und Anspruche stellten Adel und Kirchen dieses Raums an das KönigtumOttos IV.?

Die Beantwortung dieser Fragen wird in drei Schritten erfolgen. Zunächst ist der Blickauf die Vorstellungen und Deutungsmuster zu richten, anhand derer bayerisch-öster-reichische Chronisten und Urkundenschreiber Ottos Person und Wirken wahrnahmenund beurteilten. Im zweiten Teil stehen Ziele, Formen und Träger der Herrschaft Ottosim Untersuchungsraum im Mittelpunkt. Abschließend wird an ausgewählten Beispielenzu überprüfen sein, ob und inwieweit OUo den Erwartungen und Ansprüchen seineradlig-kirchlichen Gefolgsleute auf persönliche Förderung und Pflege der Gerechtigkeitim Südosten des Reiches in seiner herrschaftlichen Praxis entsprach. Unter dem Süd-osten des Reiches werden hier die Herzogtümer Bayern, Österreich, Steiermark undKärnten verstanden - ohne die zum Königreich Italien gehörende Markgrafschaft Verona.

I.

Den 1198ausbrechenden, so genannten "deutschen" Thronstreit, in dem zwei rechtmäßiggewählte Könige, Philipp von Schwaben und Otto von Poitou, um die Anerkennung ihresKönigtums rangen.t haben die Zeitgenossen im Südosten des Reichs deutlich als Krisen-zeit wahrgenommen, wie zahlreiche chronikalische Nachrichten und entsprechende

6 Otto VONST. BLASIEN, Chronica ad a. U08, S. 83, Z. 21 - 84, Z. 2; Amold von Lübeck, Chronica VII, cap. 14,S. 286. Die Grafschaft im UnterinntaI und die (Brixener) Hochstiftsvogtei fielen heim an den BischofvonBrixen, Tiroler Urkundenbuch I, Bd. 2: UOO-U30, bearb. von Franz HUTER, Innsbruck 1949, Nr. 594, S. 71 f.Monumenta Wittelsbacensia. Urkundenbuch zur Geschichte des Hauses Wittelsbach, hg, von Franz MichaelWrITMANN (= Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte Alte Folge 5), München1857, Neudruck: Aalen 1969, Nr. 3, S. 9-11.

8 HUCKER, Kaiser alto IV., S. 22-35; DERS., alto IV. Der wiederentdeckte Kaiser. Eine Biographie, Frankfurta. Main 2003, S. 47-57; Peter CSENDES, Philipp von Schwaben. Ein Staufer im Kampf um die Macht, Darm-stadt 2003, S. 69-83; DERs., Die Doppelwahl von 1198 und ihre europäischen Dimensionen, in: Staufer &Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, hgg, von Werner HEcHBERGERlFlorian SCHUL-LER, Regensburg 2009, S. 156-171.

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Formulierungen in den Datierungen der Urkunden belegen." Der Thronstreit wirkte sichzunächst nur wenig auf die politischen Verhältnisse im Südosten des Reiches aus, nochstürzte er diesen Raum gar in Parteienzwist und Bürgerkrieg. Adel und Kirchen diesesRaumes nahmen seit jeher eine vielfach bewährte pro-staufisehe Haltung ein, die folge-richtig eine Unterstützung Philipps von Schwaben mit einschloss. Als Wähler undBerater, Hoftagsbesucher und militärische Helfer stellten sich Große wie die Herzöge vonBayern und Österreich'? und die Bischöfe von Passau" und Salzburg+ bereitwillig in denDienst der staufischen Sache. Allen päpstlichen Mahnungen und Drohungen seit 120113,auf die Seite Ottos IV. zu wechseln, widerstanden sie konsequent.

Otto IV. unternahm bis 1208 - auch mangels alter welfischer Parteigänger - kaum ernst-hafte Versuche, diese enge Aktionsgemeinscbaft zu sprengen. Bis zur Ermordung Philipps

Die Urkunde GrafEngelberts Ill. von Görz von 1201, ed. Monumenta Historica ducatus Carinthiae, hg. vonAugust VONJAKSCH,Bd. Ill, Klagenfurt 1904, Nr. 1512, S. 592 f., spricht von vigente discordia regni inter domi-num Philippum et Ottonem; die Formulierung eines Salzburger Notars in der gemeinsamen Urkunde Erzbi-schofEberhards n. von Salzburg und Herzog Leopolds VI. von Österreich, ed. Urkundenbuch zur Geschich-te der Babenberger in Österreich, bearb. von Heinrich FICHTENAu/ErichZÖLLNER,Bd. I: Die Siegelurkundender Babenberger bis 1215, Wien 1950, Nr. 139, S. 179, von: certantibus pro Romano imperio Phylippo duce Sue-vie, ... , et Ottone ... de Bruneswich ... ; dazu grundlegend Georg SCHEIBELRElTER,Der deutsche Thronstreit1198-1208 im Spiegel der Datierung von Privaturkunden, in: Mitteilungen des Instituts für österreichischeGeschichtsforschung 84 (1976), S. 337-377, hier S. 346 und 351 mit weiteren Belegen (künftig zit. ThronstreitI). Zur Wahrnehmung als Krisenzeit Martin KAUFHOLD, Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittel-alter. Institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198-1400 im Vergleich (= Mittelal-ter-Forschungen 23), Ostfildern 2008, S. 29-57.

10 Beide sind Mitaussteller und Befürworter der so genannten Speyerer Erklärung der Anhänger Philipps vonSchwaben an Papst Innozenz Ill. vom 28. Mai 1199: RN I, Nr. 14, S. 33-38; Herzog Leopold VI. von Öster-reich ist einer der Mitunterzeichner des so genannten Hallenser Protests der Stauferanhänger gegen die päpst-liche Anerkennung Ottos IV. vom Januar 1202, ebd., NT.61, S. 162-166; ferner ebd., Nr. 136, S. 316-323, hierS. 318, Z. 25-29; Bernd SCHÜTfE,König Philipp von Schwaben. Itinerar, Urkundenvergabe, Hof (= MGHSchriften 51), Hannover 2002, S. 216-218, 220, 517 f. und 521-523.

I1 Wolfger von Erla (1191-1204): Die Regesten der Bischöfe von Passau, Bd. 1(731-1206), bearb. von EgonBosaor (= Regesten zur bayerischen Geschichte, hg. von der Kommission für bayerische Landesgeschichte1), München 1992, Nr. 1050, 1052,1061,1070, 1073, 1090, 1100, 1107, 1111, 1156, 1177 und 1179. Manegold vonBerg (1206-1215): Die Regesten der Bischöfe von Passau, Bd. II (1206-1254), bearb. von Egon BOSHOF(= Regesten zur bayerischen Geschichte, hg. von der Kommission für bayerische Landesgeschichte 2),München 1999, NI. 1213, 1221 und 1225; Egon Bosnor, Zentralgewalt und Territorium im Südosten des Reichsum die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, in: Wolfger von Erla. Bischof von Passau (1191-1204) undPatriarch von Aquileja (1204-1218) als Kirchenfürst und Literaturmäzen, bgg. von Egon Bosnor/Pntz PeterKNAPP(= Germanistische Bibliothek IIII20), Heidelberg 1994, S. 11-42, hier S. 26-38; SCHmTE, Philipp,S. 554-559 und 527.

12 Adalbert (1183-1200) und Eberhard n. (1200-1246): Regesta archiepiscoporum Salisburgensium inde ab anno1106 usque ad annum 1246, Wien 1866, Nachdruck: 1974, Nr. 118 und 133 (Adalbert), NI. 14,76*,77, 84, 87,92-94 und 96-99 (Eberhard): Heinz DOPSCH,Salzburg im Hochmittelalter, in: Geschichte Salzburgs. Stadtund Land, Bd. I: Vorgeschichte - Altertum - Mittelalter, Teil 1, hg. von Heinz DOPscH, Salzburg 1983, S. 229-336, hier S. 308-310; SCHÜTTE,Philipp, S. 416 f. und 445-447.

13 An Eberhard von Salzburg: RN!, NT.34 (1201, März 1), S. 110-112, NT. 103 (1203, Dezember 12), S. 260 undNI. 139 (1206, Juli/August), S. 326-330; an Ludwig 1. von Bayern: ebd., Nr. 36 (1201, März 1), S. 113-115; anLudwig 1. von Bayern und l&Qpold VI. von Österreich: Nr. 98 (1203, Dezember 12), S. 253-255; an Wolfgervon Passau: Nr. 70 (1202, Oktober 2), S. 194-196, Nr. 110 (1204, Mai 22), S. 274 f.; Steffen KRIEB, Vermittelnund Versöhnen. Konfliktregelung im deutschen Thronstreit 1198-1208 (= Norm und Struktur 13),Köln 2000,S. 112r, 116 f., 134 und 136-139.

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von Schwaben suchte er Bayern kein einziges Mal auf, noch bemühte er sich, bayerisch-österreichische Große durch Privilegien oder andere Gunsterweise an sich zu binden 14.Nur einmal trat Otto auf dem Verhandlungsweg zu den Herzögen von Bayern undÖsterreich in näheren Kontakt. Im Herbst 1203, als Philipps Königtum in seinerschwersten Krise steckte, erwogen jene offenbar einen - letztlich gescheiterten -politischen Wechsel auf die welfische Seite.15

Aus dieser Zeit um 1202/1203, als Otto im Thronstreit die Oberhand zu gewinnen schien,ist noch ein weiteres signifikantes Zeugnis überliefert. Es zeigt eindrucksvoll, wie auf-merksam die Menschen im Südosten des Reiches die politischen Vorgänge verfolgten.In der Datierung eines Notariatsinstruments aus dem Kartäuserkloster Seitz in der Steier-mark heißt es: "Im Jahre der Menschwerdung unseres Herrn Jesu Christi 1202, in derfünftenIndiktion, als sich der Streit zwischen dem Sachsen Otto und Philipp wendete. "16 An dieserAussage ist zweierlei besonders bemerkenswert: Zum einen zeugt diese Reflexion überdie politische Lage im Reich von der wachsenden Unsicherheit der Menschen. Zumanderen signalisiert diese für den süddeutschen Raum völlig singuläre VoranstellungOttos, mit wessen Sieg offenbar unmittelbar gerechnet wurde.

Auch wenn der Südosten des Reiches im politischen Kalkül Ottos zunächst keine erkenn-bare Rolle spielte, die Menschen dieses Raums nahmen sehr wohl Notiz von seinerPerson und seinem Wirken. Zeitgenössische Chronisten und Notare verfügten übererstaunlich präzise Vorstellungen von Ottos Rang, Herkunft und Abstammung. VielenChronisten im Südosten war - bis 1208und ab 1212/1213- eine unterschiedlich stark aus-geprägte pro-staufisehe Haltung eigen, die sich vor allem in der gegenüber Philipp vonSchwaben abweichenden Titulatur Ottos widerspiegelte. Sie erwähnten durchaus OttosWahl zum König 119817,enthielten dem adversarius Philippi jedoch bis 1208/1209 vielfachden Königstitel vor," Für viele klösterliche Chronisten und für die Kanzleien der Bischöfevon Salzburg und Passau wurde Ottos Königtum erst nach dem Tod Philipps von

14 Dies erweist eine Durchsicht der Angaben in BFW, S. 56-78, und BÖHMER-ZINSMAIER,S. 5-7. Dieser Befundspiegelt sich auch in den Datierungen der Privaturkunden: bis 1208 datiert keine einzige nach Otto von Braun-schweig, SCHEIBELREITER,Thronstreit 1, S. 340-355; DERs., Teil 2, in: Mitteilungen des Instituts für öster-reichische Geschichtsforschung 85 (1977), S. 36-76, hier S. 72.

15 RN!, Nr. 106, S. 263-265, hier S. 264, Z. 28 - 265, Z. 2: Principes enim superiores, uidelicet archiepiscopus Salz-burgensis cum sujJraganeis suts, dux Austrie cum nobilibus terre sue et dux Bawarie terras eorum a nobis (se.Otto IV.) recipient etfidelitatem prestabunt, ita per Dei gratiam quod discordia in gratiam conuertetur. KRIEB,Ver-mitteln, S. 106 f.

16 Urkundenbuch des Herzogtbums Steiermark, Bd. 11: 1192-1246, bearb. von Joseph von Zahn, Graz 1879, Nr. 48,S. 77/.: cum inter Ottonem Saxonem et Philippum lis verteretur. Dazu SCHEIBELREITER,Thronstreit 1, S. 352 f.

17 Armales Benedictoburani ad a. 1197 (sic!), ed. Philipp lAFFE,MGR SS 17, S. 320; Continuatio Admuntensisad a. 1198, ed. Wilhelm WAITENBACH,MGR SS 9, S. 588; Annales Sancti Rudberti Salisburgenses ad a. 1197(sic!), ed. Wilhelm WAITENBACH,MGR SS 9, S. 778; Continuatio Lambacensis ad a. 1198, ed. WilhelmWAITENBACH,MGR SS 9, S. 556. Die Armales Mellicenses ad a. 1198, ed. Wilhelm WAITENBACH,MGR SS9, S. 506, erwähnen dagegen Ottos Wahl und Existenz bis U09 mit keinem Wort.

18 Continuatio Admuntensis ad a. U05, S. 591; Continuatio Claustroneoburgensis secunda ad a. 1210 (sicl), ed.Wilhelm WAITENBACH,MGR SS 9, S. 621; Continuatio Lambacensis ad a. 1208, S. 557. Der Zwiespalt derZeitgenossen floss in die Formulierung der Continuatio Admuntensis ad a. 1199, S. 589: qui (se, Otto) iam rexvocabatut; mit ein.

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Schwaben (t 21.06.1208) durch die Frankfurter Wahl der Fürsten begründet.'? Diebischöflichen Notare zählten Ottos Königsjahre in der Datierung ihrer Urkunden folge-richtig erst ab diesem Zeitpunkt.P

Während die Admonter und Salzburger Annalen Ottos IV. adlige Abstammung (nobilis)betonten", apostrophierte ihn der Fortsetzer der Lambacher Annalen als einziger als Her-zog von Sachsen". Mehrere bayerisch-österreicbische Chronisten verliehen Otto zudemeine geografische und stammesmäßige Identität. Seine Zuweisung zu einem sächsischenMilieu hat sich geradezu in der Bezeichnung Otto Saxo verfestigt-'. Mit dem Namens-zusatz (Otto) de Prunswich hoben einige Autoren zudem entweder aufseinen vermeint-lichen Herkunftsort oder auf seinen namengebenden adligen Herrschaftssitz Braun-schweig ab.24

Zeitgenössische Historiografen wie die Annalisten von Admont, Klosterneuburg,Lambach, Melk und Salzburg verorteten Otto dynastisch als Sohn des vormaligen großenHerzogs Heinrich von Sachsen.P Die Erinnerung an die einstmals engen Beziehungender Welfen zu Bayern begann bei den Chronisten des 13. Jahrhunderts immer mehr zuverblassen. Nur der Melker und Salzburger Annalist sowie der Fortsetzer der Kloster-neuburger Annalen stellen einen Bezug Ottos, als Sohn eines Heinrichs des Löwen(1133/35 - 1195),zu Bayern her26, auf das Heinrichs Erben bis l208 nicht verzichtet hatten.Die zeitgenössischen Autoren aus Melk und Admont in der Steiermark deuten darüberhinaus Verbindungen in den anglonormannischen Raum und zu Ottos Verwandtenmütterlicherseits, den Plantagenets, an, wenn sie ihn als (vormaligen) Graf von Poitoutitulieren."

Als der Staufer Friedrich H. (1194-l250) im August/September 1212Reichsboden betrat."flammte der staufisch-welfische Thronstreit ein letztes Mal auf. Diese Vorgänge haben

19 Continuatio Admuntensis ad. a. 1208, S. 591; Continuatio Claustroneoburgensis ad a. 1209,S. 621; AnnalesGotwicenses ad a. 1208,ed. Wilhelm WATIENBACH,MGR SS 9, S. 602.

20 VgL unten S. 33 f.

21 Continuatio Admuntensis ad a. 1198,S. 588; Annates Rudberti ad a. 1197(sicl), S. 778.

22 Continuatio Lambacensis ad a. 1208, S. 557.

2) Continuatio Lambacensis ad a. 1198,S. 556; Annales Gotwicenses ad a. 1208,S. 602; ferner ZAHN,Urkunden-buch, NT.48, S. 77; Continuatio Claustroneoburgensis ad a. 1210(sic'), S. 621.

24 Continuatio Admuntensis ad a. 1198,S. 588; Continuatio Claustroneoburgensis ad a. 1210(sicl), S. 621, vgl.ferner Anm. 9 und 26.

2S Annales Benedictoburani ad a. 1197 (sic!), S. 320; Annales Rudberti ad a. 1197 (sic!) und 1209, S. 778 f.;Continuatio Lambacensis ad a. 1198,S. 556; Annales Mellicenses ad a. 1209,S. 506; Continuatio Admuntensisad a. 1198,S. 588; Continuatio Claustroneoburgensis ad a. 1198und 1210(sic!), S. 620 f.; FICHTENAU/ZÖLLNER,Urkundenbuch. NT. 139, S. 179.

26 Armales Mellicenses ad a. 1209, S. 506; Annales Rudberti ad a. 1197 (sicl), S. 778; ContinuatioClaustroneoburgensis ad a. 1210(sicl), S. 621: Dito de Prunswich, Heinrici ducis Bawarie quondam expulsi filius.

27 Annales Mellicenses ad a. 1209,S. 506; Continuatio Admuntensis ad a. 1198,S. 588.28 BFW, Nr. 670c-e.

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die Chronisten und Notare im Südosten des Reiches registriert und in ihren Folgen doku-mentiert/?

Insgesamt gesehen präsentieren die bayerisch-österreichischen Chronisten des frühen13. Jahrhunderts ein subjektives, aber differenziertes, aufunterschiedlichen Angabenbasierendes durchaus repräsentatives Bild Ottos IV. Woher die Autoren ihr zum Teilspezifisches Wissen bezogen, bleibt unbekannt. Nahmen sie bis zur Ermordung Philippsvon Schwaben eine dezidiert pro-staufisehe Haltung ein, so erkannten sie Otto spätestensseit der Wahl von Frankfurt im November 1208 als rechtmäßigen König an. Mit derAnkunft Friedrichs 11. im nordalpinen Reich 1212 vollzogen sie einen abermaligenWechsel ins staufisehe Lager.

11.

Worin die vielfältigen Beziehungen Ottos zum Südosten des Reiches bestanden, und wiesie sich konkret gestalteten, lässt sich vorrangig an drei Bereichen verdeutlichen: Derkönigliche Reiseweg (Itinerar) gibt Auskunft darüber, an weIchen Orten im Südosten desReiches Otto sich wann und wie oft in Ausübung politisch-herrschaftlicher Funktionenaufhielt. Eine systematische Auswertung der Zeugenlisten der königlichen Urkunden undweiterer Quellenzeugnisse liefert quantifizierbare Angaben, welche bayerisch-öster-reichischen Großen den Königshof aus welchem Grund aufsuchten und den Herrscherauch in andere Regionen des Reichs bei politischen oder militärischen Missionenbegleiteten. Einen dritten Zugang zum Beziehungsgefüge König - Große eröffnen dieköniglichen Privilegien und Gunsterweise. Deren Inhalt und Quantität erlaubt Rück-schlüsse auf eine mögliche Königsnähe oder -ferne des Empfängers und über dieFunktion bestimmter weltlicher und geistlicher Herrschaftsträger in der Politik Ottos IV.Der mittelalterliche König übte seine Herrschaft bekanntlich lange Zeit praktisch als einambulantes Gewerbe aus, da er weder über eine feste Residenz noch gar Hauptstadtgebot" In bestimmten Abständen durchzog er zentrale Landschaften seines Reiches,inszenierte die konsensuale Ordnung im Austausch mit den Großen und verschaffieseiner Herrschaft vor Ort auf vielerlei Weise Autorität und Geltung. An dieser Praxishatte sich auch unter OUo IV. nichts grundlegend geändert. Nach dem großen FrankfurterHoftag vom November 1208 schien einiges daraufhinzudeuten, dass Otto - wie seineAmtsvorgänger - einen Umritt injenen Regionen unternehmen würde, die seiner Herr-

29 Salzburger Urkundenbuch, Bd. I: Traditionscodices, bearb. von WilIibald HAUTHALER,Salzburg 1910,Nr. 114(lll3, März), S. 828: et Ottone et Friderico regibus altercantibus pro obtentu regni; Max HEUWIESER,Die Tradi-tionen des Hochstifts Passau (= Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 6), München 1930,Nr. 949 (llI8), S. 325 f.: regnante feliciter Friderico rege Sicilie mortua Ottone imperatore, quem prefatus rex antemortem de regni solio eiecerat mirabiliter nee minus gloriose.

JO Hans Conrad PEYER,Das Reisekönigtum des Mittelalters, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschafts-geschichte 51 (1964), S. 1-21,Wiederabdruck in: DERS.,Könige, Stadt und Kapital. Aufsätze zur Wirtschafts-und Sozialgeschichte des Mittelalters, Zürich 1982, S. 98-115; Rudolf SCHIEFFER,Von Ort zu Ort. Aufgabenund Ergebnisse der Erforschung ambulanter Herrschaftspraxis, in: Orte der Herrschaft. Mittelalterliche Königs-pfalzen, hg. von Caspar EHLERS,Göttingen 2002, S. 11-23; Carlrichard BRÜHL,Fodrum, gisturn, servitiumregis. Studien zu den wirtschaftlichen Grundlagen des Königtums im Frankenreich und in den fränkischenNachfolgestaaten Deutschland, Frankreich und Italien vom 6. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (= KölnerHistorische Abhandlungen 14/1), Köln 1968, bes. S. 116-219.

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schaft bislang fern gestanden hatten - also in Schwaben und im Südosten des Rei-ches. Doch ein Blick auf den königlichen Reiseweg seit dem Ende des Jahres 1208liefertuns einen überraschenden Befund. Otto besuchte zwar im Januar 1209wichtige schwä-bische Vororte wie Augsburg und Ulm;31 doch fuhrte ihn sein Rückweg ins fränkischeNürnberg, wo er im Februar einen weiteren wichtigen Hoftag abhielt.P Bayern und denSüdosten des Reiches sparte er in seinem Itinerar zunächst konsequent aus. Währendsein Vorgänger Heinrich VI. (1165-1197) und sein Nachfolger Friedrich H. jeweils zuBeginn ihrer Königsherrschaft auch nach Regensburg.P der Hauptstadt Bayerns, zogen,stattete Otto der nach Köln bedeutendsten und finanzstärksten Metropole im Reich zukeiner Zeit einen Besuch ab."

An diesem Befund änderte sich in der Folgezeit nichts. Auch im Frühsommer 1209beriefOtto weitere wichtige Zusammenkünfte außerhalb Bayerns nach Würzburg und Augs-burg ein". Nach seiner Rückkehr aus Italien im Frühjahr 1212 versammelte er seineAnhänger - aus dem elsässischen Hagenau kommend - an Pfingsten wiederum inNürnberg'", zu seinem letzten bedeutenden Hoftag im Süden des Reiches.

Für Otto IV. lässt sich insgesamt gesehen kein datierbarer Aufenthalt in Bayern, Öster-reich oder Tirol nachweisen. Mehrfach durchquerte er Bayern und TITolauf dem Weg nachoder von Italien auf der Route über den Brenner,'? ohne in den zeitgenössischen Quellenerkennbare Spuren zu hinterlassen. Somit kam dem Südosten des Reiches allenfalls dieFunktion einer königlichen Durchgangslandschaft zu. Doch der vielleicht nahe liegendeSchluss, diese Region sei in der Herrschaftspraxis atlas IV. bedeutungslos, ist verfrüht.Denn der königliche Reiseweg ist nur ein Indikator unter vielen, der Aufschluss über denpolitischen Stellenwert eines Raumes zu geben vermag. Zur Überprüfung dieses Befundessind die Aussagen der Zeugenlisten und Datierungen der Urkunden zu vergleichen.

Eine systematische Auswertung der Zeugenlisten der Urkunden Ottos ergibt eine Liste von35 weltlichen (14 Adlige, elfMinisteriale) und geistlichen (acht Bischöfe, zwei Äbte) Herr-

3l Otto von St. Blasien, Chronica ad a. U08 (sie!), S. 83, Z. 21 - 84, Z. 6; BFW, Nr. 25Ia-264.

32 BFW, Nr. 266a-269.

33 Heinrich VI.: Johann F. BÖHMER, Regesta Imperii IV, Bd. 311: Die Regesten des Kaiserreiches unter Hein-rich VI. 1165 (1190) - 1197. Nach J. F. Böhmer neubearb. von Gerhard BAAKEN, Köln 1972, Nr. 98 (1190, Mai29); Friedrich H.: BFW, Nr. 687a-692; Peter SCHMID, Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittel-alter (= Regensburger Historische Forschungen 6), Kallmünz 1977, S. 183 und 504 (Heinrich VI.), 400 f. und504 f.

34 Dafur war offenbar u. a. die deutliche Schwächung der königlichen Position unter Philipp von Schwaben ver-antwortlich. Diese suchte sich v. a. Herzog Ludwig I.von Bayern zunutze zu machen, der seit ca. 1200 erheb-liche Anstrengungen unternahm, Regensburg als Vorort des Herzogtums zurückzugewinnen (1205 Übergangder burggräflichen Befugnisse an den Herzog). Peter SCHMID, Ratispona metropolis Baioariae. Die bayerischenHerzöge und Regensburg, in: Geschichte der Stadt Regensburg. Bd. I, hg. von Peter SCHMID, Regensburg2000, S. 51-101, hier S. 67-69; ferner Helmut-Eberhard PAULUS, Der Herzogshof in Regensburg, in: Jahrbuchder bayerischen Denkmalpflege 37 (1983) S. 43-72.

35 Otto VON ST. BLASJEN, Chronica ad a. U09, S. 85, Z. 11 - 86, Z. 17 und 20-22; Amold von Lübeck, ChronicaVII, cap. 17, S. 289 f. und cap. 18, S. 291 f.; BFW, Nr. 280b-283 und 287a-290.

36 Chronica regia Coloniensis Contin. III ad a. UU, S. 232 f.; BFW, Nr. 476a-480.

37 Otto von St. Blasien, Chronica ad a. 1208, S. 83, Z. 20: a Bawaria in Alamanniam pervenit; 1209: BFW,Nr. 291a-291d; 12l2: ebd., Nr. 469a.

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schaftsträgern, die im Zeitraum zwischen November 1208und September 1212am Königs-hofnachzuweisen sind'": Manche nur ein Mal39 - wie der Markgrafvon Vohburg -, anderewie der Herzog von Bayern und der Bischofvon Passau dagegen rund zwanzig Mal.4oGenerell suchten doppelt so viele weltliche Große wie kirchliche Amtsträger Ottos Hof auf.

Zunächst zu den nachweisbaren kirchlichen Amtsträgern, insbesondere den Bischöfen.Kein bayerischer Bischof bezeugte eine solche Königsnähe wie Bischof Manegold vonPassau" (vor 1165-1215). Er begegnet ebenso auf den wichtigen Hoftagen der Jahre 1208und 1209in Frankfurt, Augsburg und Nürnberg wie als Teilnehmer des königlichen Rom-zugs zwischen August und Oktober 1209 in Italien.f Ein letztes Mal begab Manegoldsich im Mai 1212 nach Nürnberg zum Kaiser.43 Während die Bischöfe von Freising undRegensburg nur 1209 einen oder mehrere königliche Hoftage in Franken und Schwabenbesuchten," schloss der Reichsdienst der Bischöfe von Eichstätt, Brixen und Trient'!darüber hinaus auch die Teilnahme an Ottos Romzug mit ein.46 Der alsjidelis noster

38 Weltliche Große: Die Herzöge Ludwig I. von Bayern, Bernhard II. von Kärnten, DUo VII. von Andechs-Meranien, Leopold VI. von Österreich; Markgraf Diepold von Vohburg und Landgraf Gebhard H. vonLeuchtenberg; die Grafen Ulrich von Eppan, Meinhard II. von Görz, Heinrich und Rapoto H. von Drtenburg,Leutold von Plain, Albert Ill. von Tirol, Egino von Viten; der Domvogt Dito von Regensburg und elfMinisteriale aus Österreich, Steiermark und Kärnten. Geistliche Große: ErzbischofEberhard 11.von Salzburg,die Bischöfe Konrad von Brixen, Hartwig von Eichstätt, Otto II. von Freising, Walther von Gurk, Manegoldvon Passau, Konrad IV. von Regensburg und Friedrich von Trient; die Äbte Konrad von Admont und Poppovon Niederaltaich.

39 Landgraf Gebhard II. von Leuchtenberg, Markgraf Diepold von Vohburg, Graf Leutold von Plain undDomvogt DUo von Regensburg: BFW, Nr. 294 und 480; HUCKER,Kaiser DUo IV., S. 644.

40 Vgl. unten S. 32.41 Anton LANDERSDORFER,Passaus Bischöfe in der Zeit Papst Innozenz' Ill. Streiflichter auf ihr oberhirtliches

und landesherrliches Wirken, in: Ostbairische Grenzmarken 40 (1998),S. 35-48, bes. s. 40-42; Regesten derBischöfe von Passau 2, S. 7-37.

42 Regesten der Bischöfe von Passau 2, Nr. 1232-1237,1242-1244,Romfahrt: Nr. 1246-1256;Manegold fehlt inder Liste der bayerischen Teilnehmer an der Romfahrt Ditos IV. 1209bei HUCKER,Kaiser DUo IV., S. 644.

43 Regesten der Bischöfe von Passau 2, Nr. 1279und 1280.44 DUo 11.von Freising: BFW, Nr. 243, 252, 253, 257,258a, 269 und 280b; BÖHMER-ZINSMAIER,Nr. 35; Josef

MAss, Das Bistum Freising im Mittelalter (= Geschichte des Erzbistums München und Freising im Mittel-alter 1),München 1986, S. 191-197;Konrad IV. von Regensburg: BFW, Nr. 257, 258, 258a und 280b; DorisHAGEN,Die politische Behauptung des Hochstifts Regensburg zwischen Reich, Bayern und Bürgertum im13.Jahrhundert, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 31 (1997),S. 7-54, hier S. 14-25.

45 Zur Finanzierung seiner Heerfahrtspflicht nach Rom lieh sich BischofFriedrich 500 Pfund Berner bei derSchiffergesellschaft von Mori, liroler Urkundenbuch 112,Nr. 596, S. 73:pro/acta hostecarie exercitus Rome,quam idem dominus episcopus fecit cum domino Ottone imperatore. Die anfallenden hohen Kosten oder diebischöfliche Verschuldung zwangen Friedrich bereits U08, seine Reise zum Hoftag von Augsburg, im Januar1209,durch die Verpfändung einer Mühle in der Trienter Neustadt zu finanzieren, ebenda, Nr. 583, S. 62;BFW, Nr. 252-254,257,258, 258a und 406; Iginio ROGGER,Friedrich VONWANGEN(t 1218),in: Die Bischöfedes Heiligen Römischen Reiches 1198bis 1448.Ein biographisches Lexikon, hg. von Erwin GATZ,Berlin 2001,S. rut.

46 Hartwig von Eichstätt: BFW, Nr. 257,258, 258a, 269, 478und 479(Hoftag von Nürnberg, Mai 1212),Romzug:Nr. 287a, 294, 296 und 300; Alfred WENDEHORST,Das Bistum Eichstätt, Bd. I: Die Bischofsreihe bis 1535(= Germania Sacra NF 45); Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz (= Das Bistum Eichstätt 1),Berlin 2006,S. 90; Konrad von Brixen: BFW, Nr. 252, 253, 257 (1),258 und 258a; Josef GELMI,Die Brixner Bischöfe in derGeschichte Tirols, Bozen 1984,S. 65-69; HUCKER,Kaiser Otto IV., S. 644 - Friedrich von Trient ist in dieserAufstellung nachzutragen.

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Geistliche Gemeinschaften im Südosten des Reiches um 1200KJrchenprOVIOZ Salzburg

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Abb. 2: Geistliche Gemeinschaften im Südosten des Reiches um 1200.

apostrophierte Konrad von Brixen (um 1140-1216) stand Otto offenbar besonders nahe;ihn zeichnete der König im August 1209mit einer ehrenvollen Legation zum Papst nachRom aus."

Der bayerische Metropolit, Eberhard n. von Salzburg (c. 1170-1246), einer derprofiliertesten Stauferanhänger in Bayern, pflegte ein eher distanziertes, pragmatischesVerhältnis zu Otto.48 Stets auf ein gutes Einvernehmen mit dem Papst bedacht.i? warEberhard erst nach kurzer Beugehaft zu einem Loyalitätsbeweis für den exkommu-nizierten Kaiser bereit.-? Im Juli 1210presste Otto ihm in der Nähe von Parma einen

47 RNI, Nr. 190, S. 404; BFW, Nr. 298; HUCKER, Kaiser Otto rv., S. 446, Nr. 92.

48 Eberhard nahm an den Hoftagen in Frankfurt (November 1208), Nürnberg (Februar 1209), Würzburg (Mai1209) und Speyer (Juni 1209) teil und suchte den Kaiser im Juni/Juli 1210 in Oberitalien auf: BFW, Nr. 243,268,269, 280b, 284, 419-421, 427 und 14639 sowie BÖHMER-ZINSMAIER, S. 136 zu BFW, Nr. 419; DOPSCH, Salz-burg, S. 310 f.

49 RNI, Nr. 34, S. 112, Z. 8 f.; Nr. 62, S. 167, Z. 7-13; Nr. 103, S. 260, Z. 18-21; Ne. 139, S. 326-330; siehe auchAnm.50.

50 Annales Rudberti ad a. 1210, S. 779: Ouo a domino papa excommunicatur. Eberhardus archiepiscopus Salisburgensisab Ottone in Italiam vacatur, ibique ab eo contra papam Innocentium conspirare ter rogatur. Quo rennuente, ab eocapitur; BFW, Nr. 427; DOPSCH, Salzburg, S. 311.

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Treueid ab. Darin verpflichtete sich Eberhard zur Wahrung des honor von Kaiser undReich und zur Hilfe gegen den Papst undjede andere Person.S

Unter den vierzehn weltlichen Großen, die den Hof Ottos frequentierten, ragen vierPersonen heraus. Graf Meinhard 11. von Görz (1158-c. 1231) in Kärnten hielt sichzwischen Oktober 1209und April12lO fast ständig in der Nähe des Kaisers in Italien auf.52Otto lohnte ihm seinen Einsatz mit einem wichtigen Marktprivileg für seinen Herrschafts-sitz Görz.53 Noch im September 1212in Würzburg bezeugte Meinhard eine Herrscher-urkunde.r' Abgesehen von ihm und den Herzögen Bernhard 11. (1176/1181-1256) undLeopold VI. (1176/1177-1230)zeichnet den Adel und die Ministerialität Österreichs, Kärn-tens und der Steiermark bis 1212eine ausgeprägte Königsferne aus.55 Erst auf dem Hof-tag in Nürnberg, im Mai 1212,traten Adel und Ministerialität Österreichs und der Steier-mark auch zahlenmäßig sichtbar in Erscheinung.v

Herzog Bernhard 11.von Kärnten nahm an den Hoftagen in Nürnberg und Augsburg1209teil,57zog mit Otto nach Rom und suchte ihn im Frühsommer 1210erneut in Italienauf.58Herzog Leopold VI. von Österreich weilte dagegen nur 1209und 1212am Königs-

SI MGH Constitutiones II, Nr. 38, S. 47: Promisimus ... , quod nos occasione discordie inter dominum papam etdominum nostrum O. serenissimum Romanorum imperatorem exorte memoratum dominum nostrum imperatoremnunquam deseremus; quin nos in omnibus hiis, ... , pro viribus nostris assistemus et contempto mandato apostolico,... , ad manutenendum honorem suum et imperii ipsi domino nostro auxilio pariterque consilio semper aderimus etbonaflde tum contra papam tum contra quemlibet alium hominem, ... , ad conservandum honorem suum et imperiiperpetuo ipsum pro posse nostro iuvabimus. Günter RAUCH,Die Bündnisse deutscher Herrscher mit Reichs-angehörigen vom Regierungsantritt Friedrich Barbarossas bis zum Tod Rudolfs von Habsburg (= Unter-suchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte NF 5), Aalen 1966,S. 70 f.

52 BFW, Nr. 257,258a, 299, 318,320, 324,330, 331,338,339,342,344,345,350,353,354,359 und 370;Die Regestender Grafen von Görz und Tirol, Pfalzgrafen in Kärnten, Bd. I: 957-1271,bearb. von Hermann WIESFLECKER(= Publik.ationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung IV/I), Innsbruck. 1949,Nr. 344, 346-352 und 354; JosefRIEDMANN,Die Beziehungen der Grafen und Landesfürsten von Tirol zu Italien bis zumJahre 1335(= Österreichische Akademie der Wissenschaften Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 307), Wien19n, S. 13, 17f., 23 Anm. 80 und 40-42.

53 BÖHMER-ZINSMAlER,Nr. 48, S. 8; WIESFLECKER,Regesten, Nr. 355.54 BFW, Nr. 487; fehlt bei WIESFLECKER,Regesten.ss Nur verschiedene Tiroler Adlige begegnen U09 (auf dem Hoftag von Augsburg) und 1210(in Oberitalien) am

Königshof: Graf Albert Ill. von TlfOI- BFW, Nr. 257,258a und 14639;die Grafen U1richvon Eppan und Eginovon Ulten: BFW, Nr. 257 u. 258a; RIEDMANN,Beziehungen, S. 9, 13, 17,21, 23 Anm. 80 und 41; MartinBrrscaxxu, Burg und Adel in Tirol zwischen 1050 und 1300. Grundlagen zu ihrer Erforschung (= Öster-reichische Akademie der Wissenschaften Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 403),Wien 1983,Nr. 169(Eppan),S. 186-189,Nr. 136(TIro!), S. 160f., Nr. 581 (Ulten), S. 481 f. mit weiterführenden Hinweisen.

56 BFW, Nr. 480 und 486.57 BFW, Nr. 269 und 287a.58 Monumenta Historica ducatus Carinthiae Bd. IV/I: 1202-U62, hg. von August VONJAKSCH,Klagenfurt 1906,

Nr. 1632(1209,August 7) für das Kloster St. Paul im Lavanttal, S. 48: quod ego Bemhardus dei gratia dux Karint-hie, dum irem in Romanam expeditionem cum rege Ottone; BFW, Nr. 291c, 295, 296, 300, 306, 3U - 1210,Juni:Nr. 418,418a,420 und 424; Claudia FRÄss-EHRFELD,Geschichte Kärntens, Bd. 1:Das Mittelalter, Klagenfurt1984,S. 239 f.; Heinz Dorsca/Karl BRuNNERlMaximilianWELTIN,Die Länder und das Reich. Der Ostalpen-raum im Hochmittelalter (= Österreichische Geschichte 1122-1278),Wien 1999,S. 172,175und 333.

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hof;59auf dem Hoftag in Würzburg, imMai 1209, führte er Otto zusammen mit dem bay-erischen Herzog seine staufisehe Nichte Beatrix als Verlobte zu.60

Die Beziehungen Herzog Ottos VII. von Andechs-Meranien (1175/1180-1234) zu KönigOtto IV. standen ganz im Zeichen der Wahrung andechsischer Familieninteressen. Aufdem Hoftag in Augsburg im Januar 1209, auf dem die Ächtung seiner Brüder, BischofEkberts von Bamberg und MarkgrafHeinricbs von Istrien, als vermeintlicher Mittäter beider Ermordung Philipps von Schwaben und der Entzug ihrer Ämter und Lehen bekräftigtwurde, agierte er offensichtlich als Sachwalter seiner Familie, ohne die Sanktionen gegenseine Brüder abwenden zu können." Abgesehen von seiner Teilnahme am RomzugOttos IV. 120962 ist Otto VII. nur noch einmal - im September 1212 - beim Herrscheranzutreffen, als er zwei kaiserliche Privilegien fur die Zisterze Bildhausen bezeugte.f

Dagegen hielt sich kein weltlicher Großer aus dem Südosten des Reiches so häufig undso lange bei Otto IV. auf, wie der Wittelsbacher, Herzog Ludwig I. von Bayern. Seinemehr als zwanzig Aufenthalte erstrecken sich über den langen Zeitraum vom November1208 bis zum Mai 1212.64Er begegnet auf allen wichtigen Hoftagen im Süden des Reiches,begleitete Otto zur Kaiserkrönung= und fand sich im Sommer 1210neuerlich am kaiser-lichen Hof in Oberitalien ein.66 Nur fur 1211 sind keine direkten Kontakte Ludwigs zuOtto nachzuweisen.

Die bisherige Vorstellung von der geringen Bedeutung des Südostens fur das Königtum0110s IV.lässt sich noch in einem weiteren Bereich überprüfen: anband der Datierungender zeitgenössischen Urkunden. Dies wird durch eine überaus reiche Quellenüber-lieferung entscheidend begünstigt. Für keine andere Region des mittelalterlichen Reichessind so viele rechtserhebliche Zeugnisse in Form von Urkunden und Traditionsnotizenüberliefert wie fur Bayern und Österreich. Viele dieser Dokumente enthalten eineumfangreiche Datierung oder zumindest Datumszeile.

59 1209:BFW, Nr. 268, 280b, 281 u. 283; 1212:Nr. 480; DopscHlBRuNNER, Länder, S. 172f.

60 Otto von St. Blasien, Chronica ad a. 1209, S. 86 Z. 8-16; Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger inÖsterreicb, Bd. IV/2: Ergänzende Quellen 1195-1287, bearb. von Oskar Frh. v. MITIS t /Heide DIENST/Christian LACKNERunter Mitwirkung von Herta HAGENEDER(= Publikationen des Instituts für Öster-reichische Geschicbtsforscbung Ill. Reibe), München 1997,Nr. 1009,S. 58, mit weiterfiihrenden Hinweisen.

61 BFW, Nr. 252; Alois SCHÜTZ,Die Grafen von DieBen und Andechs, Herzöge von Meranien, in: KöniglicheTochterstämme, Königswähler und Kurfürsten, bg. von Armin WOLF (= Studien zur europäiscben Rechts-geschichte 152), Frankfurt a. M. 2002, S. 225-315, bier S. 287-289.

62 BFW, Nr. 287a, 294-296, 300 und 306; HUCKER,Kaiser Otto IV, S. 644.

63 BFW, NT.487 und 488; Heinrich WAGNER,Regesten der Zisterzienserabtei Bildhausen 1158-1525 (= Quellenund Forscbungen zur Geschichte von Bistum und Hochstift Würzburg 37), Würzburg 1987,NT. 11 und 12,S. 83 f.

64 BFW, Nr. 243, 252, 253, 257, 258, 258a, 280b, 281 und 283; BÖHMER-ZrNSMAIER,Nr. 35, S. 6. Er feblt in derListe der reichsftirstlichen Gefolgsleute Ottos IV. bei HUCKER,Kaiser Otto IV., S. 437-451.

65 BFW, NT.287a, 294-296, 300, 312 und 419.

66 Regesten der Bischöfe von Passau 2, Nr. 1268; BFW, Nr. 418a, 419, 420 und 424. Nachtrag einer Hand des14. Jahrhunderts in Hermann van Niederaltaich, De advocatis Altahensibus, ed. Philipp lAFFE, MGR SS 17,S. 374, Z. 51-53.

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Angesichts der besonderen politischen Situation der Jahre 1198 bis 1212 kommt denDatierungen, die Angaben zu den Amtsjahren des betreffenden Ausstellers sowie vonPapst und König enthalten, eine erhebliche, von der Forschung bislang weitgehend ver-kannte Bedeutung und Aussagekraft ZU.67 In den Datierungen ihrer Urkunden geben diejeweiligen adligen oder kirchlichen Aussteller vielfach ihre politische Haltung zuerkennen. Insbesondere eine Datierung nach den Regierungsjahren des Königs ist daherals dessen Anerkennung zu deuten und dokumentiert je nach Wortwahl und Umfangden Grad seiner politischen Akzeptanz.P' Insgesamt fällt auf, dass die im Südosten desReiches während des 12. Jahrhunderts seltenen Datierungen nach Herrscherjahren nach1200 und speziell unter Otto IV. deutlich zunehmen.s?

Den Urkunden und Traditionsnotizen der Klöster und Stifte im Südosten fehlt in derRegel eine detaillierte Datierung nach Herrscherjahren; 70 doch führen sie mitunter denKönig in der Datumszeile, in der so genannten "regnante"-Formel, an, in dessen Amts-zeit die dokumentierte Rechtshandlung vollzogen wurde.?' Angesehene Klöster wieNiederalteich oder die wittelsbachische Gründung Scheyern legen Otto IV. in derDatumszeile typische Herrscherattribute wie iIlustris oder serenissimus zu.72 Während nureine einzige (zumal gefälschte) bayerische Herzogsurkunde mit Königsdatierung vor121273bekannt ist, vermied die Kanzlei der Herzöge von Österreich bis 1208 offensicht-lich jegliche Herrscherdatierung und ein damit verbundenes eindeutiges, öffentlichespolitisches Bekenntnis." Ihre bezeichnenderweise im Oktober 1208 einsetzendeDatierung nach den Königsjahren Ottos IV. währte bis zum August 121275•

Fast alle unter BischofManegold ausgestellten Passauer Bischofsurkunden datieren nachden Herrscherjahren Ottos als König und Kaiser, den sie zudem mit dem den Königs-

67 Die grundlegende Studie von SCHEffiELREITER,Thronstreit 1 und Thronstreit 2 passim, behandelt nur dieZeit des Thronstreits bis 1208.

68 So schon SCHEIBELREITER,Thronstreit I, S. 339 und 341.(fJ SCHEIBELREITER,Thronstreit I, S. 342, 344 f. und 350. Die "regnante"-Formel begegnet im bayerisch-öster-

reichischen Raum zwischen 1198und 1208überhaupt nicht: SCHEIBELREITER,Thronstreit 2, S. 71.70 Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Urkunde Abt Gottfrieds von Admont von 1210,ed. VONZAHN,

Urkundenbuch. Nr. 106, S. 163: imperii domini Ottonis Romani imperatoris anno L regni autem (X)Il.TI Geisenfeid: MB 14,München 1784,Nr. 162 (1211),S. 231; Nr. 167 (1211),S. 233 und Nr. 184 (1216!),S. 237;

Hohenwarth: MB 17,München 1806,Nr. 1 (1211),S. 102;Bischofvon Eichstätt: MB 27,München 1829,Nr. 70(1210),S. 49.

72 Niederalteich: Urkunde Graf Bertholds von Bogen, von einem Niederaltaicher Mönch diktiert, MB 11,München 1m,Nr. 51 (1209),S. 181:regnante serenissimo rege Ottone; ~lml: Die Urkunden und die ältestenUrbare des Klosters Scheyem, bearb. von Michael STEPHAN(= Quellen und Erörterungen zur bayerischenGeschichte NF 36/2), München 1988,Nr. 18(1209), S. 45 (eine Bmpfängerausfertigungl): regnante iIlustri regeOttone.

73 Das Privileg Herzog Ludwigs I. für das Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg vom 24. Januar 1204:WrrrMANN,Monumenta Wittelsbacensia, Nr. 1,S. 1-4, ist eine Fälschung aus der Zeit nach 1215,vgl. RegestenPassau 11,Nr. (t?) 1229.

74 Dies ergab eine Durchsicht der herzoglichen Urkunden bis 1212/13: FICHTENAU/ZÖLLNER,Urkundenbuch;SCHEffiELREITER,Thronstreit 1, S. 350.

7S FICHTENAU/ZöLLNER,Urkundenbuch, Nr. 162(1208,Oktober 15),S. 212:anno vero imperii cesans Ottonis primo;Nr. 163 (1208,November 4), S. 213; Nr. 165 (1209), S. 217; Nr. 183 (1212,April 22), S. 253; Nr. 184 (1212,Mai13), S. 254; Nr. 185(1212,Juli!August), S. 256 und Nr. 189(1212,August 8), S. 263 (interpoliert!).

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diplomen entliehenen Epitheton semper augustus apostrophieren." Führte nur jede viertePassauer Bischofsurkunde dieser Zeit auch die Amtsjahre von Papst und Ortsbischof an,?so stellte die Kanzlei der Salzburger Erzbischöfe in der Datierung den HerrscherjahrenOttos stets die Regierungsjahre Papst Innozenz Ill. voran.f Kaum dass die päpstlicheExkommunikation Ottos IV. nördlich der Alpen öffentlich bekannt wurde," fand sieschon Eingang in die Datierung der erzbischöflichen Urkunden, die seit Sommer 1211auch nach einem exkommunizierten Kaiser Otto "datieren "_so

Die königlichen Privilegien und Gunsterweise stellen einen dritten Bereich dar, der einenergänzenden Blick auf das Verhältnis Ottos IV. zum Südosten des Reiches ermöglicht.Die Wahrung der Besitz- und Rechtstitel der Gefolgsleute und deren Auszeichnung furTreue und besondere Dienste zählten seit jeher zu den genuinen Aufgaben desKönigs. Diesen Erwartungen entsprach Otto IV. vor allem durch die Vergabe vonPrivilegien und großzügigen Geschenken. Für bayerisch-österreichische Empfänger sindinsgesamt dreizehn echte Diplome Ottos aus der Zeit zwischen November 1208und Mai1212überliefert.f Gemessen an der Gesamtzahl seiner 233 - zwischen November 1208und September 1212 - ausgestellten Urkunden entfielen nur rund 5,5 Prozent seinerDiplome auf den Südosten des Reiches.f? das heißt, nur jede achtzehnte ausgestellteUrkunde ging an einen Empfänger in diesem Raum. Allein neun der dreizehn Urkunden

76 Urkundenbuch des Landes ob der Enns, Bd. II, Wien 1856, Ne. 366 (U09), S. 528; Nr. 372 (Ull, Januar 28),S. 532; Ne. 376 (1212, Januar 24), S. 537; MB 28/1, München 1829, Nr. 30 (UlO, Juni 28), S. 137;Nr. 31 (1210,November 30), S. 138; Salzburger Urkundenbuch, Bd. Ill, bearb. von Willibald HAUTHALERlFranzMARTIN,Salzburg 1918, Nr. 642 (1211, März 17), S. 144. Nur Datierung nach Herrscheriahren: MB 2912, München 1831,Nr. 48 (1209), S. 69; MB 28/1, Nr. 27 (U09), S. 134.

77 Urkundenbuch des Landes, Nr. 376 (Ul2, Januar 24), S. 537; HAlITHALERlMARnN,Salzburger UrkundenbuchIll, Nr. 642 (Ull, März 17), S. 144.

78 HAUTHALERlMARTIN,Salzburger Urkundenbuch Ill, Nr. 622 (U08, Dezember 11),S. 121; Nr. 627 (1209, Juli17), S. 128; Nr. 631 (1210), S. 131und Nr. 634 (1210), S. 135 f.

79 Zeitgenössische Chronisten wie die Continuatio Lambacensis und die Annales S. Rudberti berichten diesschon zum Jahre 1209 oder 1210: Continuatio Lambacensis ad a. 1209 (sicl), S. 557 Z. 18-21; Annates Rudbertiad a. 1210, S. 779, Z. 50. Bereits im Januar 1210 informierte Papst Innozenz III. BischofKonrad IV. von Regens-burg über seine Absicht zur Verhängung der Exkommunikation über Otto IV., falls der - als undankbargescholtene - Kaiser nicht von seinen Übergriffen aufKirehen und Kirchengut ablasse: BFW, Nr. 6081 (1210,Januar 18), ed. Eduard WINKELMANN,Acta imperii inedita saeculi XIII e XIV. Urkunden und Briefe zurGeschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sizilien, Bd. 2, Innsbruck 1880, Neudruck: Aalen 1964,Nr. 1009, S. 676-678. Dazu Manfred LAUFS,Politik und Recht bei Innozenz Ill. (= Kölner HistorischeAbhandlungen 26), Köln 1980, S. 231,236-239,243 f. und 247 f. Im November 1210 teilte Innozenz den Reichs-fürsten die Exkommunikation Ottos wegen Undankbarkeit, Treulosigkeit und Gottlosigkeit mit, die er amGründonnerstag des Jahres 1211 öffentlich erneuerte, BFW, Nr. 6099 und 6106b (U11, März 31).

80 FICHTENAU/ZÖLLNER,Urkundenbuch, Nr. 180 (U11, Sommer), S. 245: Acta sunt hec ... , Innocentio papa tercioRomane kathedre presidente, Ottone imperatore excommunicato.

81 BFW, Nr. 243, 246, 254, 256, 268, 269, 281, 471, 478, 480; BÖHMER-ZINSMAIER,Nr. 35, 48 und 55, S. 6 und 8 f.

82 Diese Zahl ergibt die Auswertung von BFW, Ne. 243 (1208, November 15) bis Nr. 488 (1212, September 5), undPaul ZINSMAIER,Die Urkunden Phitipps von Schwaben und Ottos IV. (1198-1212) (= Veröffentlichungen derKommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 53), Stuttgart 1969, S. 59-136 und 149-152, abzüglich der Briefe BFW, Nr. 259, 260, 298, 302, 303 und 440 sowie der Fälschungen (ohne echten Kern)BFW, Nr. 361, 371,372, 431 und 455.

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entfielen aufKlöster und Bischofskirchen.P Hinsichtlich ihrer Form und ihres Rechtsin-halts weisen diese neun Diplome kaum Besonderheiten auf: Ihr Spektrum reicht vonSchutz- und Besitzbestätigungen nach älteren Vorlagen über Schenkungen von Kirchenbis zu Rechtssprüchen in Streitfragcn.f

Drei der vier Zeugnisse für weltliche Empfänger im Südosten ragen besonders heraus:Sie haben ein und denselben Adressaten - Herzog Ludwig I. von Bayern. Das erste aufdem Hoftag in Frankfurt im November 1208 ausgestellte Privileg Ottos zeichnete Ludwigin einzigartiger Weise mit bedeutenden Rechten und reichen Gütern aus. Zum Dank fürLudwigs unablässige Ergebenheit übertrug der König seinem geliebten Getreuen (fidelis,dilectus noster) und dessen Nachkommen das Herzogtum Bayern mit allem Grund undLeuten zu erblichem Besitz (tarn ipsi quam vniversis sibi successuris heredibus ducaturnBawarie)85. Otto entsagte damit allen stets gewahrten Ansprüchen der Welfen auf denbayerischen Dukat, den ein Fürstenspruch seinem Vater Heinrich dem Löwen 1180abgesprochen hatte,86 öffentlich und für immer. Für Ludwig und seine Erben bot erstdieser verbriefte und beeidete Verzicht Ottos (iurarefecimus in animam nos/ram), der auchdessen Brüder und Nachkommen mit einschloss, eine hinreichende rechtliche Garantieund Sicherheit. Damit war die bayerische Herzogswürde dauerhaft in der Familie derWittelsbacher verankert. ff1

Dass Otto IV. mit dieser bedeutenden Rangerhöhung Ludwig zu seinem wichtigstenGefolgsmann im Südosten des Reiches aufzubauen und wirtschaftlich zu stärkentrachtete, belegen die weiteren Vorrechte dieser Urkunde vom 15.November 1208. Nebendem alten Welfenbesitz Mering'" bei Augsburg und zweihundert Mark Einkünften über-trug Otto IV. Ludwig und dessen Erben darüber hinaus zahlreiche ehemalige Reichs-

83 BFW, Nr. 246 (1208, November 23) für Stift Berchtesgaden; Nr. 254 (1209, Januar 13)für BischofFriedrich vonTrient, vgl. dazu unten S. 40; Nr. 256 (1209, Januar 13) für Kloster St. Peter in Salzburg; Nr. 268 (1209, Febru-ar 9) für Kloster Admont; Nr. 269 (1209, Februar 20) für ErzbischofEberhard 11.von Salzburg; Nr. 281 (1209,Mai 31) für Kloster Aldersbach; Nr. 478 (1212,Mai 11) für das Schottenkloster in Regensburg; Nr. 480 (1212,Mai 21) für Kloster St. F1orian; BÖHMER-ZINSMAIER,Nr. 55, S. 9.

84 VgI. unten Kap. Ill, S. 39 f.

85 WrITMANN,Monumenta, S. 9 f.: regia munificentia donamus et conjirmamus tam ipsi (se. Herzog Ludwig) quamvniuersis sibi successuns heredibus ducatum Bawarie cum universls terris et possessionibus; HUCKER,KaiserOtto IV., S. 99.

86 Gelnhäuser Urkunde Friedrich Barbarossas, MGH D F I.795 (1180, April B), S. 362, Z. 36 - 39; Annales Pega-vienses ad a. 1180,ed. Georg Heinrich PEKTZ,MGH SS 16,S. 263 ; Stefan WEINFUKfER,Die Entmachtung Hein-richs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235.Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995,Bd. 2, hg. von Jochen LUCKHARDT/FranzNIEHOFF,München 1995,S. 180-189; Hubertus Ssmsxr, Die entstehende »territoriale Ordnung« am Beispiel Bayerns (1ll5-1198), in: Stau-ferreich imWandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, hg. von Stefan WEIN-FUKfER(= Mittelalter-Forschungen 9), Stuttgart 2002, S. 253-287, bes. S. 253-255; zuletzt Knut GÖRICH,Jägerdes Löwen oder Getriebener der Fürsten? Friedrich Barbarossa und die Entmachtung Heinrichs des Löwen, in:HECHBERGERlSCHULLER,Staufer, S. 98-117, jeweils mit weiterführenden Hinweisen.

ffI Andreas KRAus, Das Herzogtum der Wittelsbacher: Die Grundlegung des Landes Bayern, in: Wittelsbachund Bayern, Bd. Ill: Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I.zu Ludwig dem Bayern, hg. von Hubert GLA-SER,München 1980, S. 165-200, bes. S. 180.

88 Wilhelm STöRMER,Die süddeutschen Welfen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Herrschaftspolitik imbayerisch-schwäbischen Grenzraum, in:Die Welfen. Landesgeschichtliche Aspekte ihrer Herrschaft, hgg. vonKarl-Ludwig Av u. a. (= Forum Suevicum 2), Konstanz 1998,S. 57-96, bes. S. 74-76.

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Abb. 3: Otto IV. verleiht Herzog Ludwig l. von Bayern und seinen Erben das Herzogtum Bayern und die Reichs/ehen der Mör-der König Philipps von Schwaben, 15. November 1208.

lehen. Diese waren zuvor, auf dem gleichen Frankfurter Hoftag, dem Mörder Philippsvon Schwaben, Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, und seinem mutmaßlichen Mittäter,Markgraf Heinrich IV. von Istrien, durch Urteil entzogen worden.i? Dieser riesigeKomplex, der mehrere (Mark-)Grafschaften (Istrien, Krain, Schärding, Neuburg/Inn),viele Burgen (Oberwittelsbach, Wolfratshausen?, Andechs), Landgüter und Ministerialenumfasste, verlieh Ludwigs Territorialpolitik einen entscheidenden Schub und ließ ihnzum dominierenden Faktor im Raum zwischen Donau und Alpen aufsteigen.

Der zweite königliche Gunsterweis für Ludwig von 1209 zeigt einmal mehr, wie derHerzog seine herrschaftlichen Positionen in der aufblühenden civitas München dank derHilfe Ottos zu festigen und zu erweitern verstand. ImMärz 1209 bestätigte Otto IV. diegütliche Einigung zwischen Herzog Ludwig von Bayern und Bischof Otto 11.von Frei-sing, die im Kern eine Teilung der finanziellen Einkünfte in München vorsah.??

Ludwig hatte offenbar seit längerem nachdrücklich Ansprüche auf eine Teilhabe an denbischöflichen Einnahmen aus Markt, Münze und Zoll in München erhoben. Bischof Otto

89 WITTMANN, Monumenta, s. 10 f.: Item feoda, que interfectores regis Philippi marchio Hystrie et palatinus comesde Witlingispahc ab imperio tenuerunt, sepedicto duci et heredibus suis concedimus. KRAus, Herzogtum, S. 180 f.;jetzt Hubertus SEmERT, Der Raum München in der Herrschaftsbildung der frühen Wittelsbacher (1180-1294),in: München, Bayern und das Reich im 12. und 13. Jahrhundert. Lokale Befunde und überregionale Perspek-tiven, hgg. von Hubertus SEmERT/Alois SCHMID (= Zeitschrift fur bayerische Landesgeschichte, Beiheft 29),München 2008, S. 283-314, hier S. 299-301.

90 BÖHMER-ZINSMAIER,Nr. 35, S. 6, ed. von HUCKER, Kaiser Otto N., S. 657.

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"

Abb. 4: Ouo IV. bestätigt die Einigung zwischen BischojOtto Il. von Freising und Herzog Ludwig I. von Bayern über dieEinkünfte aus München, 11. März 1209.

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blieb angesichts der herzoglichen Dominanz im Münchner Raum und Ludwigs starkemRückhalt beim König nur der Ausweg einer einvernehmlichen Lösung des drohendenKonflikts. Für Ludwig zahlte sich die vertragliche Abmachung gleich in zweifacher Hin-sicht aus:" Der Bischof erkannte darin die Rechtmäßigkeit der herzoglichen Forderungan und förderte damit - ungewollt - den Ausbau herzoglichen Stellung in der Stadt.

Das dritte Zeugnis fur die enge Aktionsgemeinschaft zwischen Kaiser und bayerischemHerzog ist ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündnis vom 20. März 1212.Darin gelobteLudwig Otto IV. lebenslängliche Treue und versprach unter Eid und Stellung von Bürgenund Geiseln, dem Kaiser gegen den Papst und jeden anderen ohne jede Einschränkungzu dienen'", Brach der Herzog sein Versprechen, waren zwölf namentlich genanntewittelsbachische Gefolgsleute eidlich zur Hilfe fur den Kaiser gegen den Herzog ver-pflichtet. Otto IV. versprach im Gegenzug, dem Herzog stets ein gnädiger Herr zu seinund ihn auf jede erdenkliche Weise zu fordern.

Die Bedingungen dieses Vertrages waren nicht ungewöhnlich. In vielem vergleichbareVerträge schloss Otto IV. zur selben Zeit oder wenig später mit den Markgrafen vonMeißen und Brandenburg ab.93 Primär verfolgte Otto damit das Ziel, möglichst viele,loyale Gefolgsleute an sich zu binden und militärisch fur den bevorstehenden Ent-scheidungskampf gegen Friedrich H. gerüstet zu sein. Darüber hinaus sind diese Bünd-nisse aber auch als politische Reaktion Ottos auf die Verschwörung einiger Großer imReich gegen die kaiserliche Herrschaft zu deuten, die auf den Südosten des Reiches über-zugreifen drohte."

Der durch die spätestens seit 1211öffentlich bekannte, päpstliche ExkommunikationOttos entscheidend beflügelte fürstliche Widerstand gipfelte schließlich in der WahlFriedrichs H. zum neuen Kaiser auf einer geheimen Versammlung in Nürnberg im Sep-tember 1211.95Als Hauptverschwörer nennen die zeitgenössischen Quellen die Erzbi-schöfe von Mainz und Magdeburg, den Landgrafen von Thüringen, König Ottokar vonBöhmen und die andechsischen Brüder, BischofEkbert von Bamberg und Herzog Ottovon Meranien."

91 SEIBERT,Raum, S. 302 mit weiterführenden Hinweisen.

92 BFW, Nr. 471,ed. MGH Const. II, Nr. 40; WITTMANN,Monumenta, Nr. 4, S. 11-14;RAUCH,Bündnisse, S. 71 f.und 230. Zur Art des Bündnisses als Sicherheitszusage Lothar KOLMER,Promissorische Eide im Mittelalter(= Regensburger Historische Forschungen 12),Kallmünz 1989, S. 162und 187.

93 MGH Const. II, Nr. 39 u. 41; RAUCH,Bündnisse, S. 72-74 und 230.94 Zu ersten antiwelfischen Reaktionen im Südosten vgl. Continuatio Claustroneoburgensis secunda ad a. 1211,

S. 622, Z. 3-5; Continuatio Lambacensis ad a. 1209 (sic!), S. 557, Z. 22-25; Annales Mellicenses ad a. 1212,S. 507: Otto imperator adhuc vivus imperium calamitate mutavit; principes regni ab eo recedentes, et regem ApuliaeFridericum elientes.

95 BFW, Nr. 646b und 10727a;zu der sich seit Sept. 1210(?) ausbildenden antiwelfischen Opposition im ReichHUCKER,Kaiser Otto IV., S. 292-300; DERS.,Otto IV., S. 356-358; bedenkenswerte Einwände gegen die bis-herigen Annahmen der Forschung bei Wolfgang STüRNER,Friedrich 11.,Teill: Die Königsherrschaft in Sizilienund Deutschland 1194-1220,Darmstadt 1993, S. 130 f.

96 Cronica Reinhardsbrunnensis ad a. 1211,ed. Oswald HOLDER-EGGER,MGH SS 3011, S. 578, Z. 21-24;Chronica regia Coloniensis Contin. III ad a. 1211,S. 232.

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Mehrere, zeitlich später anzusetzende Chronisten wie Burchard von Ursberg behaup-ten gar, dass auch Ludwig I. von Bayern und Leopold VI. von Österreich an dieser Wahlteilgenommen hätten." Erweist sich insbesondere Ludwig I., der als engster Gefolgs-mann Ottos IV. im Südosten des Reiches präsentiert wurde, damit als treuloser Oppor-tunist und geschickter Taktierer, der ähnlich wie Ottokar von Böhmen immer dann dieSeiten wechselte, wenn es ihm politische Vorteile brachte? Gegen diese in der For-schung bis heute vertretene Ansicht, lassen sich zwei gewichtige Argumente ins Feldfuhren: Zunächst sind erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Quellen ange-bracht, die erst eine oder gar zwei Generationen nach den Ereignissen von 1211ver-fasst wurden. Ihre Darstellung Ludwigs als enger Parteigänger Friedrichs Il. projiziertoffensichtlich Vorgänge aus der Zeit nach 1225, als Ludwig im Auftrag Friedrichs dieVormundschaft über dessen minderjährigen Sohn Heinrich und die Verwaltung desReichs ausübte.l" in die frühere Zeit zurück.

Einer Beteiligung Ludwigs an der Wahl von 1211steht die geradezu unabdingbare, vonkeiner Quelle berichtete vorherige Aussöhnung mit seinen mächtigsten territorialenKonkurrenten in Bayern, den Andechs-Meraniern, entgegen. Ludwig I. hatte von derÄChtung und dem Lehnsentzug des Andechsers, Markgraf Heinrichs von Istrien, desBruders Ekberts von Bamberg und Ottos von Meranien, wie kein zweiter profitiert. NachHeinrichs Flucht im März 1209hatte Ludwig sogleich begonnen, die andechsischen Herr-schaftskomplexe südlich von München in Besitz zu nehmen. Nach kurzen Kämpfen zer-störte er 1210die andechs-meranischen Stammburgen Andechs und Wolfratshausen undsicherte diese durch Einsetzung herzoglicher Amtsleute.f Hätte er all diese territorialenGewinne nicht durch einen in seinen Folgen kaum absehbaren Parteiwechsel aufs Spielgesetzt und über kurz oder lang gar eingebüßt?

Statt ins staufisehe Lager zu wechseln, harrte Ludwig vielmehr noch bis zum Spätsommer1212getreu an der Seite Ottos IV. aus. Erst der vorzeitige Tod von Ottos junger staufiseherGattin Beatrix, im August, und die Fahnenflucht bayerischer Truppen auf OttosThüringenfeldzug führten zum Bruch Ludwigs mit dem Kaiser.l'" Im Dezember 1212findet sich Ludwig erstmals im Gefolge Friedrichs Il. in Speyer.P'

Es bleibt somit festzuhalten: Der erste Eindruck, dass Otto IV. kein Interesse am Süd-osten des Reiches hatte, täuschte. Der Welfe hat zwar diesen Raum nur auf dem Durch-zug in andere Regionen berührt, hier keine Hoftage oder andere wichtige Versamm-lungen abgehalten. Einer drohenden Königsferne dieses Raums hat er jedoch - wie die

97 Die Chronik des Propstes Burchard von Ursberg ad a. 1210, ed. Oswald HOLDER-EGGER/Bernhard VONSIMSON,MGH SS rer. Germ. [16], Hannover 1916, S. 99, Z. 5-9; für die Teilnahme der Herzöge von Bayernund Österreich plädiert HucKER, Kaiser Otto rv., S. 299, unter Berufung auf weitere, jüngere Quellen-zeugnisse.

98 Helmut F'LACHENECKER,Herzog Ludwig der Kelheirner als Prokurator König Heinrichs (VIL), in: Zeitschriftfür bayerische Landesgeschichte 59 (1996), S. 835-848.

99 Annales Scheftlarienses maiores ad a. 1210, ed. Philipp JAFFE, MGH SS 17, S. 338; SCHÜTZ,Grafen, S. 289 f.;SEmERT,Raum, S. 300 f.

100 Cronica Reinhardsbrunnensis ad. a. 12U, S. 580, Z. 36-38.

101 BFW, Nr. 683, ed. MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 1412: Die Urkunden Fried-richs H. U12- Ut7, bearb. von Walter KOCH,Hannover 2007, Nr. 181, S. 24.

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Auswertung der Zeugenlisten und Datierungen der Urkunden belegte - auf zweierleiWeise vorgebeugt. Zum einen zog er die wichtigsten Großen des Südostens immer wie-der an seinen Königshof und band sie auf den Hoftagen in seine Entscheidungen mitein. Seine politische Vertretung in diesem Raum übertrug er andererseits Herzog Lud-wig von Bayern, den er dafiir mit wichtigen Privilegien und außerordentlichen Voll-machten ausstattete.

Ill.

Nahm sich OUo IV. der an ihn herangetragenen rechtlichen Anliegen und Klagen baye-risch-österreichischer Bittsteller und Beschwerdefiihrer an? Und wie reagierte er aufsie?

Kirchliche Vertreter erblickten in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Gerech-tigkeit die wichtigste Aufgabe des Königs. Er galt ihnen als oberster Garant der Rechts-ordnung.P? Auch Bischöfe und Äbte aus dem Südosten des Reiches forderten diesezentrale herrscherliehe Funktion bei Otto IV. ein, der - ausweislich seiner Urkunden -ein ausgeprägtes Bewusstsein von seiner rechtlichen Verantwortung (iusticie semitamtenere cupientes) 103 besaß. Das Spektrum ihrer Otto vorgelegten rechtlichen Anliegenumfasste gleichermaßen Probleme grundsätzlicher Art wie konkrete Klagen überRechtsverstöße vor Ort. In allen Fällen ließ Otto IV. die fast immer auf Hoftagen vor-getragenen Klagen unter Einbeziehung der Betroffenen sorgfältig prüfen und mit recht-lichem Rat oder Spruch der Fürsten durch ein einmütiges Urteil abschließend entschei-den.

Hierfür nur zwei Beispiele.P' BischofFriedrich von Trient verlangte auf dem Augsbur-ger Hoftag im Januar 1209 vor Otto ein (Grundsatz-)Urteil über die Frage: Sind Kin-der aus der ehelichen Verbindung zwischen einem kirchlichen Ministerialen und einerfreien Frau selbst frei oder aber gemäß der Stellung des Vaters Ministerialen der Kir-che?105Nach intensiver Prüfung des Sachverhaltes verkündete Otto folgendes von denFürsten gefundene Urteil: Kinder aus solchen Ehen sind und bleiben Ministerialen derKirche, wenn auch ihr Vater ein Ministeriale ist. Denn sonst - so die Begründung - gin-gen die Ministerialen sämtlicher Kirchen des Reiches verloren.

102 Vgl. grundsätzlich Hagen KELLER,Die Idee der Gerechtigkeit und die Praxis königlicher Rechtswahrung imReich der Ottonen, in: La giustizia nell'alto medioevo (secoli IX-XI) (= Settimane di studio del centro italia-no di studi sull'alto medioevo 44/1), Spoleto 1997, S. 91-128, bes. S. 121-124.

103 BFW, Nr. 269, ed. Salzburger Urkundenbuch Ill, Nr. 624, S. 122 (Arenga) und 123 (Zitat); BFW, Nr. 406;Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, Bd. 2: Die Zeit von PhiJippvon Schwaben bis Richard von Cornwall 1198-1272, bearb. von Ekkehart ROTIER,Köln 1994, Nr. 43 und 55.

104 Weitere Bille aus dem Südosten: ROTIER,Urkundenregesten, Nr. 49, 54 und 55; MB 11,München 1771,Nr. 52,S. 181: Abt Poppo von Niederaltaich begab sich zu Otto IV. nach Alessandria, um dort Klage gegen die gewalt-same Amtsführung der Grafen von Bogen als KJostervögte zu erheben.

105 Codex Wangianus. I cartulari della Chiesa trentina (secoli XIII-XIV), hg. von Emanuele CuRZEL/Gian MariaVARANINI (= Annali dell'Istituto storieo italo-germanico in Trento. Fonti 5), Bd. 2, Trento 2007, Nr. 47 (1209,Januar 13), S. 627-630; ROITER,Urkundenregesten, Nr. 40.

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Der Abt von Admont in der Steiermark klagte auf dem Hoftag in Nürnberg im Febru-ar 1209vor dem König gegen die Übergriffe des Klostervogtes, der sich klösterlicheRechte und Güter widerrechtlich angeeignet habe.P" Nach Befragung aller Beteilig-ten erließ Otto das Urteil, das dem angeklagten Adligen die Vogtei für alle Zeitabsprach.

IV. Zusammenfassung

1)Der Südosten des Reiches - also Bayern, Österreich, Kärnten und die Steiermark- hat im Hochmittelalter als traditionell staufernahe Region zu gelten, was sichgleichermaßen in einer unterschiedlich ausgeprägten Königsnähe von Adel undKirche wie in einer pro-staufischen Darstellungsweise der zeitgenössischen Chro-nisten dokumentiert. Der 1198ausbrechende deutsche Thronstreit hat daran bis1208nichts grundlegend geändert. OUo IV. unternahm bis 1208 - auch mangelsalter welfischer Parteigänger - kaum ernsthafte Versuche, diese enge Aktionsge-meinschaft aufzubrechen. Bis zur Ermordung Philipps von Schwaben suchte erBayern kein einziges Mal auf, noch bemühte er sich, bayerisch-österreichischeGroße durch Privilegien oder andere Gunsterweise an sich zu binden. Nur einmal,1203,trat Otto auf dem Verhandlungsweg zu den Herzögen von Bayern und Öster-reich in näheren Kontakt.

2) Die bayerisch-österreichischen Chronisten des frühen 13.Jahrhunderts präsentierenein subjektives,aber differenziertes,auf unterschiedlichenAngaben basierendes durch-aus repräsentatives Bild Ottos IV.Woher die Autoren ihr zum Teil spezifischesWissenüber Ottos Rang, Herkunft und Abstammung bezogen, bleibt unbekannt. Nahmensie bis zur Ermordung Philipps von Schwaben eine dezidiert pro-staufisehe Haltungein, so erkannten sie Otto spätestens seit der Wahl von Frankfurt im November 1208als rechtmäßigen König an.

3) Dass der Südosten des Reiches im Itinerar Ottos auch nach 1208keine Rolle spiel-te, wird durch die Ergebnisse, die die Auswertung der Zeugenlisten der Königs-urkunden und der Datierungen der Privaturkunden lieferte, deutlich relativiert. Dieim Südosten im 12.Jahrhundert seltener werdenden Datierungen nach Herrscher-jahren erleben gerade unter Otto IV. einen markanten Anstieg. Viele Kloster- undStiftskirchen, aber auch die Kanzlei der österreichischen Herzöge datierten ihreUrkunden zwischen 1208und 1212nach den Regierungsjahren Ottos als König undKaiser.

Unter den 35 am Hof Ottos nachweisbaren weltlichen und geistlichen Herrschafts-trägern des Südostens ragen Graf Meinhard II. von Görz, Bischof Manegold vonPassau und Herzog Ludwig I.von Bayern durch die Häufigkeit und Dauer ihrer Auf-enthalte heraus. Eine von der Forschung bislang verkannte Spitzenstellung nimmtder Wittelsbacher Ludwig ein. Ihn beförderte Otto durch die Verleihung bedeuten-

106 BFW, Nr. 268, ed. FICHfENAU/ZÖLLNER, Urkundenbuch II, Wien 1955, Nr. 434, S. 301 f.; ROTIER, Urkunden-regesten, Nr. 42.

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der Vorrechte wie die Erblichkeit der bayerischen Herzogswürde und materialisier-barer Rechtsansprüche wie in München zu seinem, fast königsgleichen politischenVertreter im Südosten des Reiches.

All die hier vorgestellten Ergebnisse unterstreichen, dass dieser Großraum zumindestzeitweilig eine künftig kaum zu überschätzende elementare Bedeutung in der Herr-schaftspraxis Ottos IV. besaß.

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