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Westdeutscher Rundfunk Köln Appellhofplatz 1 50667 Köln Tel.: 0221 220-3682 Fax: 0221 220-8676 E-Mail: [email protected] www.quarks.de Dienstags um 21.00 Uhr im wdr Fernsehen Skript zur wdr-Sendereihe Quarks & Co Pubertät – wenn Teenager ausrasten

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Dienstags um 21.00 Uhr im wdr Fernsehen Skript zur wdr-Sendereihe Quarks&Co

Pubertät –wenn Teenager ausrasten

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Herausgeber: Westdeutscher Rundfunk Köln; Verantwortlich: Öffentlichkeitsarbeit;Text: Hilmar Liebsch, Heike Rebholz, Eva Schultes, Tilman Wolff; Redaktion: ClaudiaHeiss; Copyright: wdr, Oktober 2008; Gestaltung: Designbureau Kremer & Mahler,Köln

Bildnachweis: alle Bilder Freeze wdr 2008 außer Titel: kleine Bilder v. l. n .r. –Rechte: dpa, mauritius, dpa, dpa Innenteil: S. 11 l. – Rechte: akg-images, S. 12– Rechte: picture-alliance, S. 18 / 19 l. – Rechte: Volker Ladenthin, Uni Bonn

Manchmal sind sie wie von einem anderen Stern. Wie Aliens, die nur durch Zufall auf unsererErde gelandet sind – und sich hier alles andere als wohl fühlen. Wenn bei Teenagern die erstenPickel sprießen und die Stimme tiefer wird, dann stehen die Alarmsignale in Familien auf rot.Was passiert mit den Kindern, wenn sie auf einmal zu kleinen Monstern werden, die den Elternmit ihren Launen das Leben schwer machen?

Was sorgt für das Chaos im Körper? Was spielt sich während der Pubertät im Gehirn ab undwie beeinflusst das die Persönlichkeit? Wie gehen Teenies und ihre Eltern mit denVeränderungen um? Quarks & Co begleitet Jugendliche auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben.

Lange wurden allein die Hormone als Ursache für das merkwürdige Verhalten von Teenagernangesehen. Doch in zahlreichen Tests und Versuchen haben Wissenschaftler festgestellt: DasGehirn von Pubertierenden gleicht einer Baustelle. Es organisiert sich von Grund auf neu!Quarks & Co zeigt, was während der Pubertät im Gehirn passiert.

Wissenschaftler vermuten, dass im Gehirn auch die Ursache für das oft draufgängerischeVerhalten von Jugendlichen zu finden ist. Wie risikobereit ein Jugendlicher ist, hängt von sei-nen Gefühlen ab und ob gleichaltrige Freunde dabei sind oder nicht. Quarks & Co hat einenamerikanischen Wissenschaftler besucht, der Jugendlichen ins Gehirn schaut, während sie imKernspintomographen Auto fahren.

Kinder- und Jugendpsychiater sind sich einig: Die Pubertät gehört zu den schwersten Krisen,die ein Mensch in seinem ganzen Leben durchmachen muss. Das gilt nicht nur für die Teenies– auch ihre Eltern sind gestresst und verunsichert. Quarks & Co hat gefrustete Eltern besucht.

4 Teenies im Risikotest

7 Baustelle Gehirn

11 Der Werther-Effekt

14 Die Macht der Hormone

17 Lehrer unter Beobachtung

20 Hilfe für Eltern

22 Lesetipps

Weitere Informationen, Lesetipps und Links finden Sie auf unseren Internetseiten. Klicken Sie uns an: www.quarks.de

InhaltInhalt PubertätPubertät –wenn Teenager ausrasten

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1.139 deutsche Jugendliche zwischen 15 und 25Jahren starben im Jahr 2007 bei Verkehrsunfällen.Das sind fast doppelt so viele Todesfälle wie in derAltersgruppe von 25 bis 35 Jahren. In dieserAltersgruppe starben im gleichen Zeitraum 656Menschen im Straßenverkehr. Jugendliche lebenimmer dann besonders gefährlich, wenn sie sicheigentlich am wohlsten fühlen: wenn sie unterFreunden sind. Dann lassen sich Jugendlicheschneller auf Gefahren ein, bei riskanten Sport-arten oder im Straßenverkehr: Das Risiko einesschweren Autounfalls steigt, wenn Gleichaltrigemit im Auto sitzen. Auch Zigaretten, Alkohol oderDrogen konsumieren Jugendliche eher, wenn siemit Freunden zusammen sind.

An den amerikanischen Universitäten in Philadel-phia und Princeton versuchen Professor JasonChein und seine Kollegen herauszufinden, was imGehirn Jugendlicher vor sich geht, wenn sie Ent-scheidungen treffen, alleine oder im Beisein vonFreunden – und zwar mit Hilfe eines Kernspin-tomographen.

Kernspintomographie

Die Kernspin-Untersuchung oder Kernspintomographie wird wissen-schaftlich korrekt als Magnetresonanztomographie (MRT) bezeichnet.Mit der MRT können Querschnittsbilder vom Inneren des Körpers her-gestellt werden. Dabei kommt der Patient in ein starkes, gleichmäßigesMagnetfeld – die berühmte Röhre, in die man geschoben wird. Das Ver-fahren basiert auf der Schwingung von Wasserstoffatomen im Körper.Es bildet die Weichteile ab, nicht aber Knochen wie etwa ein Röntgen-bild. Kernspin-Untersuchungen kommen daher in der Hirnforschungregelmäßig zum Einsatz. Im Gegensatz zum Röntgen belasten sie denPatienten nicht mit Strahlung.

Auf einer Aufnahme des Kernspintomographen erkennt man zum Bei-spiel, wie stark Gehirnbereiche durchblutet sind und damit letztendlich,ob sie gerade aktiv sind oder nicht.

Neuronale Netzwerke konkurrieren

Wenn man eine Entscheidung trifft, ist im Gehirnvor allen Dingen das sogenannte kognitive Netz-werk aktiv. Es umfasst mehrere Teile der Großhirnrin-de und sorgt dafür, dass unsere Entscheidungen

logisch und vorausdenkend sind. Doch wir ent-scheiden nicht immer rational; oft beeinflussenuns dabei Gefühle. Dann wiederum wird dieEntscheidung von einem emotionalen Netzwerkkontrolliert, das Hirnstrukturen wie zum Beispieldas sogenannte limbische System oder den Man-delkern beinhaltet. Je nachdem, welches der beidenNetzwerke überwiegt, sind unsere Entscheidungeneher rational oder von Gefühlen gesteuert. BeiErwachsenen hat normalerweise das rationaleSystem die Oberhand.

Der Risikotest: Gas geben oder anhalten?

Die amerikanischen Psychologen testen das Risi-koverhalten von Jugendlichen und Erwachsenenbei einem simulierten Fahrtest im Kernspintomo-graphen. Dieses Gerät zeichnet auf, welche Hirn-regionen während der Simulation besonders starkdurchblutet, und somit aktiv, sind. Bei dem Video-spiel geht es darum, möglichst schnell ans Ziel zugelangen. Dabei können die Testpersonen an meh-reren Ampeln entscheiden, bei Rot anzuhaltenoder die Kreuzung zu überfahren und dabei einenUnfall zu riskieren.

Emotionen auf dem Bildschirm

Wenn Jugendliche alleine sind, entscheiden sie ge-nauso wie Erwachsene. Doch sind Freunde anwe-send, fahren sie aggressiver und bauen mehr Un-fälle. Erwachsene hingegen lassen sich kaumbeeinflussen wenn Andere dabei sind. Ihr Fahrver-halten ändert sich kaum; es ist sogar so, dassErwachsene eher etwas vorsichtiger fahren, wennsie beobachtet werden.

Die Aufnahmen des Kernspintomographen bestäti-gen diese Beobachtungen: Bei Anwesenheit derFreunde ist das emotionale Netzwerk bei Jugend-lichen stärker aktiv, bei Erwachsenen hingegensind Teile des kognitiven Netzwerkes involviert.

Beide Nervensysteme, das kognitive wie auch dasemotionale, sind während der Pubertät noch nichtausgereift. Das emotionale Netzwerk ist im Bei-sein der Freunde überaktiv und kann noch nichtausreichend von dem heranreifenden kognitivenSystem kontrolliert werden. Deshalb sind Ent-scheidungen von Jugendlichen oft irrational.

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Teenies im RisikotestTeenies im RisikotestJugendliche suchen das Risiko – und Forscher wissen warum

Links:Professor Jason Chein erklärt dem 17-jährigen Probanden Matt den bevorstehenden Versuch

Mitte: Teile der Großhirnrinde sind aktiv, wenn wir rationale Entscheidungen treffen

Rechts:Der Kernspintomograph zeichnet auf, welche Regionen des Gehirns während der simulierten Fahrt aktiv sind

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Was Eltern also längst wissen, nämlich dassJugendliche zusammen mit ihren Freunden ver-rückte Sachen machen, konnten die PrincetonerForscher mit ihrem Experiment tatsächlichbestätigen.

Was tun?

Für Jason Chein erklären diese Ergebnisse auch,weshalb Aufklärungsprogramme, die Jugendlichevor Gefahren zum Beispiel von Drogen oder unge-schütztem Sex bewahren sollten, bislang nichterfolgreich waren. Es fehlt den Jugendlichen nichtan Wissen oder Information. Laut Professor Cheinmüssen wir akzeptieren, dass Jugendliche nun ein-mal impulsiv reagieren, solange, bis beide Netz-werke vollständig entwickelt sind.

Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass manJugendliche am besten vor gefahrvollen Situa-tionen schützt, indem man den Einfluss der eige-nen Freunde minimiert: Beispielsweise gibt es ineinigen Staaten der USA, in denen Jugendliche

bereits mit 16 Jahren Auto fahren dürfen, einGesetz, das es Minderjährigen verbietet mitGleichaltrigen zu fahren. Andererseits könnenFreunde oder Freundinnen auch positiven Einflussausüben, was man sich in Niedersachsen zunutzemacht. Dort gibt es seit 2004 die Aktion Schutz-engel: Jugendliche sollen von ihren Freundinnennach Alkohol- oder Drogenkonsum vor dem Auto-fahren gewarnt werden. Die Initiative scheinterfolgreich zu sein, denn die Zahl der schwerenUnfälle ist in dieser Region bereits gesunken.

Lange hat man geglaubt, dass die Sexualhor-mone für die merkwürdigen Verhaltensweisen vonJugendlichen verantwortlich sind. Heute sind For-scher überzeugt, dass in der Pubertät im gesam-ten Gehirn ein vollständiger Umbau erfolgt. Erstlangsam beginnen die Wissenschaftler, die Prozes-se im Gehirn von Jugendlichen zu entschlüsseln.

Manchmal erscheinen sie wie Wesen von einemanderen Stern – Aliens, die nur durch Zufall aufunserer Erde gelandet sind. Sie haben merkwürdi-ge Gewohnheiten, plötzliche Gefühlsausbrücheund oft sind auch ihre Interessen für Erwachsenekaum zu verstehen. Früher machte man Sexual-hormone dafür verantwortlich. Die lösen im Altervon acht bis zehn Jahren zwar die Pubertät aus, siesind es aber nicht allein, die die Jugendlichen inWallung bringen. Seit einigen Jahren machenWissenschaftler Umbauprozesse im Gehirn derJugendlichen für deren Verhalten in der Pubertätverantwortlich.

Von hinten nach vorne

Bis zum Beginn der Pubertät funktioniert dasGehirn sehr zuverlässig. Je nach Anforderung bil-det es neue Verbindungen zwischen den Nerven-zellen, die sogenannten Synapsen. Mit Hilfe derSynapsen bildet das Gehirn verzweigte Netzwerkezwischen seinen Zellen. Diese Zellnetzwerkebauen sich immer weiter auf: Wenn bestimmteVerbindungen häufig gebraucht und genutzt wer-den, verstärken sie sich. Das heißt: Die Anzahl derSynapsen in diesem bestimmten Zellnetzwerkerhöht sich. In den Gehirn-Netzwerken werdenErfahrungen, Vorlieben, Gelerntes und Erinnerun-gen verarbeitet und gespeichert – von frühesterKindheit an.

Schon während der Babyjahre saugt das Gehirnalle Informationen, die es über seine Sinnes-organe bekommt, gierig auf und legt sie in denersten Netzwerken ab. Die Verbindungen, die

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Baustelle GehirnTeenies im RisikotestBaustelle GehirnWarum Teenager so merkwürdig sind

Teile des emotionalen Netzwerkes sind bei Jugendlichenstark aktiviert – besonders wenn ihre Freunde zusehen

Was macht Jugendliche so merkwürdig? Schalten sie ihr Gehirn einfach ab – wie manchmal behauptet wird?

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wichtig sind und häufig genutzt werden, verstär-ken sich. Wissenschaftler sprechen hier von dersogenannten Bahnung: Einige Verbindungenzwischen den Zellen werden so stark aufgebaut,dass die Informationen auf ihnen superschnellweitergeleitet werden – wie auf einer Autobahn.Zu Beginn funktioniert dieser Prozess des Gehirn-Aufbaus eher automatisch, später zeigen sich inder Stärke der jeweiligen Netzwerke im Gehirnauch die individuellen Vorlieben und Interessen:Die Gehirn-Netzwerke, die Informationen von alldem verarbeiten, was wir gerne und mit großerMotivation tun, werden stärker ausgebaut undbekommen sozusagen Vorfahrt in unserem Gehirn– auf einer eigenen starken Bahn.

Zu Beginn der Pubertät nehmen diese Synapsen-Verbindungen rasant zu – nur um sich kurze Zeitspäter wieder zurückzubilden: Nervenverbindun-gen, die nicht gebraucht werden, werden stillgelegt.Dieser Prozess erfasst das gesamte Gehirn derTeenager – allerdings nicht überall zur gleichenZeit. Die Reifung des Gehirns erfolgt von hinten

nach vorne – vom Kleinhirn bis zum Stirnlappen.Und das hat Folgen: Denn dieser Teil des Ge-hirns, der präfrontale Cortex, ist zuständig fürPlanung, für Risikoabschätzung und für Bewer-tungen. Während dieser Apparat im Umbau ist,haben Jugendliche Probleme, sich rational zuentscheiden.

Bei ihren Entscheidungen greifen die Teenagerdeshalb auf ein anderes Areal im Gehirn zurück:die Amygdala. Eigentlich ist die Amygdala Teildes sogenannten limbischen Systems im Gehirnund verarbeitet und reguliert Gefühle – wie Angstoder Wut. Jetzt funkt sie jedoch dem überlastetenStirnlappen dazwischen. Einige Forscher glaubensogar, dass die Amygdala die Arbeit des Stirnlap-pens teilweise übernimmt. Die Entscheidungen,die das Teenagergehirn treffen muss, sind daheralles andere als vernunftorientiert.

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Baustelle Gehirn

Der Umbau im jugendlichen Gehirn findet von hinten nach vorne statt: Zuerst werden Kleinhirn und der motorische Komplex umgebaut. Am Schluss wird der präfrontale Cortex neu gestaltet

In den Netzwerken der Nervenzellen werden Erfahrungen, Vorlieben, Gelerntes und Erinnerungen verarbeitet und gespeichert

Präfrontaler Cortex

Der präfrontale Cortex oder Stirnlappen wird als oberstes Kontroll-zentrum des Gehirns angesehen. Hier werden die Signale aus derAußenwelt mit bereits gespeicherten Gedächtnisinhalten und emotio-nalen Bewertungen abgeglichen und nach den richtigen Hand-lungsmöglichkeiten gesucht. Der Stirnlappen startet dann die – je nachSituation – angemessenene Handlung. Gleichzeitig reguliert er dieemotionalen Prozesse im Gehirn – wie eine Art Supervisor.

Amygdala

Die Amygdala wird auch als Mandelkern bezeichnet und ist Teil dessogenannten limbischen Systems. Das Gehirn verfügt auf jederHirnseite über eine Amygdala. Die Mandelkerne liegen tief im Innerendes Gehirns. Sie sind wesentlich an der Entstehung von Angst beteiligt undspielen allgemein eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertungund Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicherGefahren. Eine Zerstörung beider Mandelkerne führt zum Verlust vonFurcht- und Aggressionsempfinden und so zum Zusammenbruch dermitunter lebenswichtigen Warn- und Abwehrreaktionen.

Limbisches System

Das limbische System gilt als ein Teil des Gehirns, der bei derVerarbeitung von Emotionen und bei der Entstehung von Triebver-halten eine Rolle spielt. Allerdings werden dem limbischen System auchintellektuelle Leistungen zugesprochen. Zu diesem System zählt nebenden Mandelkernen (Amygdala) auch der Hippocampus, der die Ver-arbeitung und Abspeicherung von Wissen (Gedächtnis) steuert. Früherwurde beispielsweise triebhaftes Verhalten allein auf die Funktion deslimbischen Systems zurückgeführt. Heute wissen die Forscher, dassauch andere Teile des Gehirns einen wesentlichen Einfluss auf daslimbische System nehmen können. Die Entstehung von Emotion undTriebverhalten wird eher als Zusammenspiel vieler Gehirnanteile ge-sehen und wird heute nicht mehr dem limbischen System allein zuge-sprochen.

Die Belohnung kommt später

Auch das sogenannte Belohnungssystem desjugendlichen Gehirns funktioniert anders als beiKindern und Erwachsenen. Wenn sich das Gehirnselbst belohnt – nach erfolgreichem Lernen oder

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geglückten Aktionen etwa – wird Dopamin aus-geschüttet. Doch dieses System spielt verrücktund die Teenies suchen immer stärkere Kicks.Unklar ist, ob dabei zu viel oder zu wenig Dopaminim Spiel ist. Fehlt das Dopamin, gibt es keineBelohnung. Ist zu viel davon da, ist das Systemgesättigt. Auch dann fehlt der richtige Anstoß undjede Motivation.

Der Umbau im Gehirn ist für ein weiteres Phäno-men verantwortlich: Im jugendlichen Gehirn wirddas Schlafhormon Melatonin mit bis zu zweiStunden Verspätung ausgeschüttet – deshalbkommen die Teenies abends so schwer ins Bett –und sind morgens noch schwerer wieder heraus-zubekommen.

Die Pubertät ist eine schwierige Zeit fürs Gehirn –doch der große Umbau hat ein klares Ziel: Zumersten Mal nehmen die Teenager mit ihrenInteressen und Vorlieben selbst Einfluss darauf,wie sich ihr Gehirn entwickelt. Denn nach den indi-

viduellen Interessen werden jetzt neue Nervenzell-verbindungen aufgebaut, neue Bahnen im Gehirnentstehen und entwickeln sich zu Netzwerken.Und auf diese Netzwerke werden sie auch nochzurückgreifen, wenn sie längst keine pubertieren-den Teenager mehr sind.

Der Werther-EffektGoethes Werther

Ende des 18. Jahrhunderts verfasste JohannWolfgang Goethe Die Leiden des jungen Werther.Goethes zweiter großer Erfolg schildert in seinem1774 erschienenen Roman die Liebe des jungenRechtspraktikanten Werther zu der ihm unerreich-baren jungen Frau Lotte. Sie ist einem anderen ver-sprochen. Als Werther erkennt, dass Lotte ihn zwarliebt, sie diese Liebe jedoch niemals leben kön-nen, erschießt er sich.

Kult um Werther

Die Leiden des jungen Werther wird zum Best-seller. Vor allem Jugendliche sind damals einemregelrechten Werther-Fieber verfallen. Es gabinfolge des Romans eine Werther-Mode, die demHelden nacheiferte. Die sogenannte Werther-Tassegehörte bald in jeden bürgerlichen Haushalt. Dochniemand erwartete die Schattenseite des Kults:Werthers Selbstmord wurde in ganz Europa jun-gen Männern zum Vorbild.

Die moderne Forschung entdeckt den Werther-Effekt

Im 20. Jahrhundert verwendete der amerikani-sche Soziologe David Philips das erste Mal denBegriff des Werther-Effekts. Er wertete systema-tisch die Selbstmordrate nach dem Bekannt-werden prominenter Suizide aus. Er fand eineeinfache Regel: Je länger über den Selbstmord inden Medien berichtet wurde, um so stärker istder Anstieg an Suiziden in der Allgemein-bevölkerung. Nach Marilyn Monroes Tod war dieZahl von Selbstmorden besonders hoch: Nochvier Tagen nach ihrem Tod durch eine ÜberdosisSchlafmittel war sie in den Schlagzeilen. Im glei-chen Zeitraum zählte man 198 Suizidfälle mehrals sonst. Aber es sind nicht nur Prominente, dieNachahmer finden. Im Jahr 1981 lief im deutschenFernsehen die Serie Tod eines Schülers. In demdokumentarisch gehaltenen Film wird erzählt,wie der Oberstufenschüler Claus Wagner durchverschiedene Umstände in den Selbstmord getrie-ben wird. Die Zahl der Suizide von Schülern imgleichen Alter (15-19 Jahre) stieg danach signifikant

Links:Wenn sich das Gehirn selbst belohnt, wird von bestimmtenSynapsen der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. DasDopamin gibt dem Gehirn ein positives Gefühl. Bei Teenagernscheint auch dieser Mechanismus außer Kontrolle zu sein

Mitte:Der Selbstmord des Romanhelden Werther war Vorbild fürviele junge Männer

Rechts:Kult! Zur Tee- und Kaffeestunde gehörten Werther und Lotte

Der Werther-EffektKönnen Medien Selbstmordfälle fördern?Baustelle Gehirn

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dem Heimatort Cobains, forderte der Leiter derörtlichen psychiatrischen Klinik die Fans dazu auf,gemeinsam zu trauern und einander zu trösten.Die Medien handelten richtig und verherrlichtenim Nachhinein den Rockstar nicht, der für Alkoholund Drogenexzesse bekannt war, sondern zeig-ten, dass sein Selbstmord ein dummer Akt war.Die Witwe Cobains, Courtney Love, betrauerte ineiner veröffentlichten Tonbandaufnahme erstihren Mann, um ihn dann wegen seiner Tat zubeschimpfen. Auch wurde das Bild des grauen-haft zerstörten Gesichts Cobains veröffentlicht.So kam es, dass im Fall von Kurt Cobain derWerther-Effekt ausblieb. Interessant übrigens,dass auch Goethe versuchte, den Werther-Effektin späteren Auflagen seines Romans mit einemVorwort zu verhindern.

an. Trotz Warnungen von Experten wurde die Serieknapp zwei Jahre später wiederholt. Der Werther-Effekt wiederholte sich.

Den Tod im Kopf

Jugendliche haben naturgemäß andere Interessenals Erwachsene. Auch ist ihre Sicht der Dinge gänz-lich anders. Vieles hat in der Phase des Erwach-senwerdens einen anderen Stellenwert. Auch derTod. So ist es kein Wunder, dass der Gedanke anSelbstmord bei vielen Jugendlichen eine Rollespielt: Allein in Deutschland wird die Zahl derSuizidversuche junger Menschen unter 24 Jahrenauf über 15.000 geschätzt. Pro Jahr; das heißt allehalbe Stunde versucht ein junger Mensch sichumzubringen! Auch wenn es klischeehaft klingt. Inder Vielzahl der Fälle stammen die Kinder aus zer-rütteten familiären und sozialen Verhältnissen. Ofthaben sie niemanden, dem sie sich anvertrauenkönnen. So scheint es wie ein Wunder, dass dieSelbstmordrate unter Kindern und Jugendlichenniedriger liegt als in anderen Altersgruppen. Dennanders als für Erwachsene ist der Selbstmord

beziehungsweise der Versuch sich umzubringenfür Jugendliche in der Regel ein Hilferuf. So alswollten sie sagen: „Seht her, ich bin bereit michselbst zu töten, wenn sich nichts ändert!“. SindJugendliche in solch einem labilen Zustand,erscheint es plausibel, dass sie einem Vorbildnacheifern. Deshalb sind Berichte über Suizide inden Medien besonders brisant.

Der Fall Kurt Cobain

Vor dem Hintergrund, dass der Werther-Effekt sehrgut belegt ist, reagierten Behörden und Elternbesorgt, als 1994 der Selbstmord des Rock-musikers Kurt Cobain bekannt wurde. Der Sängerund Gitarrist der Grunge-Rock-Band Nirvana wareine Ikone der Rockmusik und Vorbild zahlreicherTeenager. Die Psychologen damals wussten – aufsuizidgefährdete Jugendliche kann die Tat an-steckend wirken. Sie fürchteten eine Welle vonSelbstmorden ähnlich wie nach dem Tod MarilynMonroes. Sie setzten alles daran, um im Falle desRockstars den Werther-Effekt zu verhindern: Beider öffentlichen Trauerfeier im Park von Seattle,

Der Werther-Effekt

Kurt Cobain. Der Rockmusiker beging am 5. April 1994Selbstmord. Dank Aufklärung blieb der Werther-Effekt aus

Marilyn Monroe. Je berühmter die Person, um so größer istdas Risiko, dass ihr Tod Nachahmer findet. Eine statistischeUntersuchung ergab, dass die Selbstmordrate in den USAnach dem Tod von Marilyn Monroe um 198 Fälle stieg

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Sie dauert zwei bis vier Jahre. Für Eltern undKinder kann sie immer wieder die Hölle bedeuten,aber eins ist sicher: Durch die Pubertät muss jederdurch. Allerdings ist sowohl Beginn als auch Dauerder Pubertät von Mensch zu Mensch sehr unter-schiedlich. Bei Mädchen beginnt sie mit derKnospung der Brust. Die meisten sind dann etwazehn Jahre alt. Die Mädchen schießen nun in dieHöhe. Becken und Hüfte werden breiter. Scham-haare wachsen und etwas später die Achselhaare.Auch die inneren Geschlechtsorgane verändernsich: Die Scheidenwand wird dicker, die Gebär-mutter wächst, Eizellen reifen. Schließlich kommtes zur ersten Regelblutung. Vor 150 Jahren warendie Mädchen dann durchschnittlich knapp 17 Jahrealt; heute sind sie knapp 13. Der Grund: bessereErnährung und ein besserer allgemeiner Gesund-heitszustand. Die Kinder wachsen heute schnellerund nehmen früher an Gewicht zu. Die Fettzellenproduzieren ein Hormon, das den Eintritt der Regelbei Mädchen begünstigt. Das ist sinnvoll, da Fett-reserven für eine Schwangerschaft wichtig sind.Übergewichtige Mädchen bekommen daher ihreTage meist früher als untergewichtige.

Die Entwicklung der Jungen

Bei Jungen ist das erste äußere Anzeichen derPubertät, dass ihre Hoden wachsen. Meist sind siedann schon etwas älter als die Mädchen: elf biszwölf Jahre. Auch Jungen haben nun einen kräfti-gen Wachstumsschub. Die Schamhaare erschei-nen, der Penis wird größer, Körperhaare und Ober-lippenflaum beginnen zu sprießen. Der Kehlkopfwächst. Dadurch wachsen auch die Stimmbänder,sie werden länger und breiter. Sie vergrößern sichaber nicht gleichmäßig, weshalb die Stimme wäh-rend dieser Zeit manchmal komisch klingt: derStimmbruch. Die vordere Wand des Kehlkopfs, derSchildknorpel, wächst nach vorne, der Adamsapfelbildet sich. Mit etwa 15 Jahren haben die meistenJungen ihren ersten Samenerguss erlebt.

Im Gehirn fängt alles an

Die Vorbereitung auf die Pubertät beginnt bei Mäd-chen und Jungen im Alter von ungefähr 8 Jahren,wenn die Kinder noch gar nichts davon merken.

Der Startschuss für all die Veränderungen fällt imGehirn, und zwar im Hypothalamus, der Region,die im Gehirn für die Steuerung des Hormonsys-tems verantwortlich ist. Hier produzieren Nerven-zellen das Protein Kisspeptin. Warum sie damitplötzlich beginnen, das weiß man noch nicht.Kisspeptin bewirkt die Ausschüttung des soge-nannten Gonadotropin-Releasing-Hormons. Esstimuliert die Hypophyse, die direkt am Hypotha-lamus hängt, und sie beginnt mit der Bildung zwei-er weiterer Hormone: das sogenannte luteinisie-rende Hormon (LH) sowie das follikelstimulieren-de Hormon (FSH). Sie gelangen nun bei Mädchenund Jungen in den Blutkreislauf und stoßen diekörperlichen Veränderungen an.

Diese beiden Hormone, LH und FSH, wirken in denKeimdrüsen der Kinder: den Hoden und Eier-stöcken. Zum einen sorgen sie dafür, dass Eizellenreifen und Samenzellen produziert werden, zumanderen kurbeln sie die Produktion der Sexualhor-mone an: Östrogene und Testosteron. Unter ihremEinfluss beginnt nun die körperliche Veränderungder Kinder.

Hypothalamus und Hypophyse

Der Hypothalamus ist die Verbindung zwischen Körper und Gehirn. Erliegt im unteren Bereich des Zwischenhirns und ist bei der Steuerungvieler körperlicher und psychischer Vorgänge von lebensnotwendigerBedeutung. Zellen im Hypothalamus erhalten Botschaften vonGehirnzellen, die den Hypothalamus veranlassen, Hormone in dieHypophyse auszuschütten, die direkt unterhalb des Hypothalamus liegt.Die Hypophyse produziert daraufhin wiederum Hormone, die dannauch über den Blutkreislauf im Körper verteilt werden können.Hypophyse und Hypothalamus sind somit Bindeglied zwischenNervensystem und Hormonsystem.

Der Kreislauf der Hormone

Die Konzentration der Sexualhormone im Blutsteigt während der Pubertät an. Sie wird immerwieder an die Hypophyse im Gehirn gemeldet.Solange der endgültige Level nicht erreicht ist,werden dort vermehrt Hormone ausgeschüttet. Istschließlich die Konzentration so hoch wie beieinem Erwachsenen, wird die Hormonproduktionim Gehirn wieder gedrosselt. Ein Gleichgewichtpendelt sich ein.

Die Macht der HormoneDie Macht der HormoneWie aus Kindern Erwachsene werden

Links:Die meisten Mädchen haben heutzutage mit 13 bereits ihreerste Regelblutung. Meist wiegen sie dann rund 50 Kilogramm

Mitte: Bei Jungen beginnt die Pubertät im Durchschnitt später als beiMädchen. Als erstes wachsen die Hoden

Rechts:Die Hormone LH und FSH gelangen mit dem Blut aus demGehirn zu den Hoden bzw. Eierstöcken und kurbeln hier dieProduktion der Sexualhormone an

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Sexualhormone fördern die Produktion vonWachstumshormonen, deshalb kommt es wäh-rend der Pubertät zu starken Wachstumsschüben.Anschließend verschließen die Hormone, haupt-sächlich die Östrogene, die Knochenfugen, sodass man nach der Pubertät nicht mehr sehr vielwächst.

Die Sexualhormone beeinflussen auch die Haut.Sie regen die Talgdrüsen an. Die Poren werdengrößer. Bakterien können sich hier einnisten.Pickel entstehen. Doch mit der Zeit gewöhnt sichdie Haut an die Veränderung.

Zweimal im Jahr, von der fünften Klasse bis zumAbitur, tauschte eine Klasse des Jungengymna-siums Collegium Josephinum Bonn ihren Klassen-raum gegen einen Beobachtungsraum in derBonner Universität. Der Raum sieht aus wie einnormales Schulzimmer, allerdings sind die Fensterabgedunkelt, Kameras und Mikrofone hängen ander Decke und hinter verglasten Sehschlitzen inden Wänden befinden sich, für die Schüler nicht zuerkennen, weitere Kameras. Projektleiter ProfessorVolker Ladenthin, Erziehungswissenschaftler ander Universität Bonn, zeichnete hier von 1997 bis2006 insgesamt 36 Unterrichtsstunden auf. Ins-gesamt entstanden so rund 180 Stunden Film.„Das besondere ist, dass wir die gleichen Kinder inverschiedenen Entwicklungsstufen sehen“, meintVolker Ladenthin. „Und man kann hier an ein- undderselben Klasse sehr schön sehen, welchesLehrerverhalten zum Erfolg führt und welchesVerhalten zu Misserfolg führt.“ Und das hängesehr vom Alter der Kinder ab.

Die Kleinsten lieben den Kumpeltyp

„Für Unterstufenschüler ist die Schule die Verlän-gerung ihres Alltags. Sie wollen sich mit ihremAlltag in die Schule einbringen. Sie reagieren ganzspontan, so als wenn es ganz alltäglich wäre. Undsie werden auch Dinge berichten, die sie gar nichtgefragt worden sind, weil sie einfach ein Bedürfnishaben, ihren Alltag in die Schule hineinzubrin-gen“, erläutert Volker Ladenthin. Für die Lehrerheißt das: „Sie müssen sich auf die Eigenschaftender Unterstufenschüler einstellen, das heißt auf ihreErlebnisbereitschaft, auf ihre Erwartung, dass etwasganz Spannendes passiert.“ Der Lehrer solle jetztein Kumpeltyp sein, ein Abenteurer, so Ladenthin,„der auch durch die Körpersprache deutlich macht:Ich gehöre zu euch, der die Schüler unmittelbaranspricht, sich in die Schülergruppe integriert. Ersteht mitten in der Klasse, fordert die Schüler zuHandlungen auf, zum Erkennen auf. Das ist danndas Lernen als Abenteuer des Erkennens.“

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Die Macht der Hormone Lehrer unter ...

Der Bonner Erziehungswissenschaftler Prof. Volker Ladenthin beobachtete neun Jahrelang regelmäßig den Unterricht in einerSchulklasse und zeichnete ihn auf Video auf

Das nervt junge Menschen besonders: Pickel

Lehrer unter Beobachtung Langzeitprojekt der Uni Bonn

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Lehrer unter Beobachtung Wenn der Lehrer allerdings die Kinder nicht alters-gemäß anspricht oder Themen zu allgemein be-handelt, so dass sie die Kinder nicht betreffen,dann fangen sich die Kleinen schnell an zu lang-weilen und beschäftigen sich schließlich mit ande-ren Dingen. Dabei spielt auch die Körperspracheeine wichtige Rolle: Ein Lehrer, der mitten in derKlasse steht, sich auch mal zu Kindern hinunter-beugt, kann die Unterstufenschüler besser errei-chen als einer, der distanziert und lässig mit denHänden in der Tasche vorne am Pult lehnt.

Dominanz ist wichtig in der Pubertät

„Ganz anders ist das in der Pubertät. Dort ent-wickeln sich Persönlichkeiten. Die Kinder ver-stecken sich hinter Masken, man legt sein Herznicht mehr offen zutage, man versteckt sich, mansetzt ein Pokerface auf. Und der Lehrer ist nichtmehr in der Lage, an dem Verhalten der Schüler zuerkennen, wie sie am Unterricht teilnehmen. Dasirritiert viele Lehrer.“ So beschreibt ProfessorLadenthin die Schüler der Mittelstufe, in den

Klassen 8 bis 10. Dies sei die Zeit des Macht-kampfes: Die Schüler versuchen, selber die Regelnfür den Unterricht bestimmen. Der Lehrer alsKumpel ist jetzt nicht mehr gefragt, stattdessenmuss er nun Dominanz zeigen. „In einer Stundeseien zwei Neuntklässler zu spät gekommen“,erzählt Ladenthin „mit großem Hallodri und wolltendie Regeln bestimmen. Der Lehrer ließ sich abernicht auf das Spiel ein.“ Der Lehrer reagierte ganzstreng: „Das ist eine Unverschämtheit, setzt euchauf die Plätze und schlagt das Buch auf.“ Genaurichtig, findet der Erziehungswissenschaftler: „DerLehrer muss hier dominant werden. An demGesicht der Pubertierenden kann man deutlichsehen: Die haben verstanden, wer hier das Sagenhat.“

Der Lehrer als Moderator

In der Oberstufe (Klassen 11 bis 13) ist der Macht-kampf zwischen Lehrern und Schülern ausgetra-gen. Die Kinder sind inzwischen zu jungen Männerngeworden – und das hat Auswirkungen auf den

Lehrer: „Die Lehrerrolle ändert sich nun radikal, erist nicht mehr nur der Animateur, schon gar nichtder Kumpel, er ist aber auch nicht derjenige, dereinen Machtkampf ausficht, sondern er wird jetztzu demjenigen, der Lernprozesse organisiert, dersie arrangiert, der aber die Verantwortung in dieSchülerhände übergibt“, erklärt Ladenthin. EinLehrer habe zum Beispiel ein Lied vorgespielt undanschließend gesagt: „Ihr seid dran!“ „Der Lehrerwird zum Moderator,“ erläutert Ladenthin weiter,„aber er muss aufpassen, dass er diese distanzier-te Rolle nicht durchbricht.“ Wenn der Lehrer jetztnämlich zurückfallen würde auf eine eher emotio-nale Gestaltung des Unterrichts, wenn er zumBeispiel persönliche Bekenntnisse einforderte,würde er nur Schweigen ernten. So erging eseinem Lehrer, der in Stufe 12 ein Lied von StefanSulke besprechen wollte, das sich kritisch mitSchule auseinandersetzt. Nachdem er die Schülernach ihrer persönlichen Meinung gefragt hatte,wurde es im Klassenraum plötzlich still. „DieSchüler pochen darauf, ihre Rollen einzuhaltenund bloß nicht ihr Innerstes preiszugeben“, soVolker Ladenthin.

So hat also jede Altersstufe ihre Eigenheiten undmuss auf besondere Weise behandelt werden. FürVolker Ladenthin ist das ein sehr wichtiges Ergeb-nis dieser Langzeitstudie einer einzigen Schul-klasse. Er fasst zusammen, wie sich ein Lehrer ver-halten sollte: „Er sollte in der Unterstufe eherkumpelhaft sein, das Leben mit in die Schuleholen. In der Mittelstufe bei pubertierendenKindern muss der Lehrer die Regeln setzen, unddarauf achten, dass sie eingehalten werden. Undin der Oberstufe kann er voraussetzen, dass dieRegeln bekannt sind, und muss die Verantwortungden Schülern zusehends übergeben, so dass sieihren Unterricht mehr selbst steuern.“

Nach Ladenthins Einschätzung vergessen dasviele Lehrer, weil sie das Fachliche in den Vorder-grund stellen: „Aber unsere Filme zeigen, dassgleiches Verhalten in unterschiedlichen Altersstu-fen völlig andere Folgen haben kann.“

Links:Wenn die Kleinen sich im Unterricht langweilen, ist die Auf-merksamkeit bald nicht mehr auf den Lehrer, sondern zumBeispiel auf den Nachbarn gerichtet

Mitte: Dieser Junge sieht zwar aus, als würde er träumen, aber das muss nicht der Fall sein. Pubertierenden kann man amGesicht nicht mehr ansehen, ob sie aufpassen oder nicht

Rechts:Aus den Jungen sind erwachsene Männer geworden

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Hilfe für Eltern Zeit miteinander verbringen

Erster Schritt im Kurs: Die Eltern sollen sich klardarüber werden, was in ihrer Familie gut klappt undwo die Probleme liegen. Die Probleme werden ana-lysiert, auch nachgespielt und Lösungen in derGruppe erarbeitet. Aber wichtig sind auch die Din-ge, die gut funktionieren. „Uns wurde immer wie-der gesagt: Legen Sie Wert auf die positiven Sachenund betonen Sie das. Es bringt nichts, dass manden Kindern vorhält, das läuft nicht gut und das läuftnicht gut. Das wird oft als Angriff gesehen“, berich-tet Keschias Mutter. Um wieder eine gemeinsameBasis zu bekommen, haben die Eltern die Aufgabe,wertvolle Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, zumBeispiel gemeinsam etwas Schönes unternehmen.Wichtig ist, dass Eltern mit ihren Kindern wieder insGespräch kommen. „Nicht belehren, sondern aus-tauschen und wirklich Interesse aneinander entwik-keln“, so der Rat von Professor Lauth. Für KeschiasMutter ergab sich oft abends eine gute Gelegenheitfür Gespräche: „Ich habe mich zu ihr ins Zimmergesetzt und habe angefangen von mir zu erzählen,zum Beispiel, was an dem Tag schief gegangen ist.Und auf einmal – es kam langsam – gab sie dannauch mehr von sich preis“, erinnert sich die Mutter.„Und mit der Zeit kam dadurch das Vertrauen wie-der und dann lief es auch wieder besser.“

Wieder Vertrauen gewinnen

Die Änderungen kamen allmählich. Keschia erzähl-te mehr von sich und nahm auch häufiger amFamilienleben teil. Ihre Mutter musste sich aberauch von eigenen Ansprüchen freimachen: „Ichhabe früher immer die Kommandos gegeben: Dasmuss gemacht werden und das muss gemacht wer-den. Aber so läuft das nicht. Wir haben nachher mitunseren Kindern verhandelt - so nenn' ich das mal.Wir haben gesagt, das möchten wir erreichen undwir sehen diesen Weg und sie dann gefragt: Habtihr eine andere Lösung? Die Kinder sollten sich sel-ber einbringen. Dann konnten wir später immerwieder sagen: Das haben wir doch zusammen fest-gelegt, haltet euch auch daran! Das war einAnsporn für die Kinder.“

Heute sind zwar nicht alle Probleme weg, aber sieist zuversichtlich, dass sich immer Lösungen findenwerden. „Man bekommt einen anderen Blickwinkelund sieht die Dinge anders“, erzählt sie. „Ich hättenie gedacht, dass sich das so wenden kann. Heutesind wir beide glücklich, so wie es sich entwickelthat.“

„Es ging damit los, dass unsere Tochter immerunzugänglicher wurde. Dann ging es weiter mitLügen und Zurückziehen.“ Keschias Mutter warverzweifelt. An ihre damals elfjährige Tochter kamsie nicht mehr heran. Keschia hielt sich nicht mehran Vereinbarungen, tauchte abends ein bis zweiStunden später auf als verabredet. „Ich war dannja schon in Panik, hatte mehrfach versucht, sieüber Handy zu erreichen, aber es gab keinenAnschluss, und irgendwann kam sie nach Hauseund tat so, als wäre nichts gewesen“, schildert dieMutter. Es gab kaum noch normale Gespräche,immer nur Streitereien. Zum Essen kam dieTochter zwar noch herunter, ansonsten war sie inihrem Zimmer verschwunden. Schließlich wolltendie Eltern so nicht mehr weitermachen. Die Haus-ärztin gab ihnen den Tipp: einen Kurs für Eltern.Hier trafen sie andere Eltern, die ähnliche Proble-me hatten.

Kompetenztraining für Eltern

Seit 2006 bietet die Heilpädagogische Fakultätder Universität Köln unter Leitung von ProfessorGerhard Lauth, der auch das Konzept erarbeitethat, ein sogenanntes Kompetenztraining für

Das Zusammenleben mit einem Teenager ist oftschwierig. Plötzliche Stimmungswechsel sind ander Tagesordnung

Im Kurs werden problematische Situationen nach-gespielt und anschließend Lösungen erarbeitet

Eltern an. Der Kurs besteht aus sechs wöchent-lichen Sitzungen und einem Auffrischungstreffeneinige Wochen danach. „Die Zeit der Pubertät isteine Zeit des ganz raschen Wandels“, erklärtGerhard Lauth, „und obwohl die Eltern wissen,dass große Änderungen auf sie zukommen, sindsie kaum darauf vorbereitet.“ Der Kurs bietetkeine Patentlösungen für alle an, sondern will denEltern beibringen, wie sie mit ihren Kindern wie-der ins Gespräch kommen, wie sie Konflikte ver-meiden und gemeinsam Lösungen finden können.Bei vielen muss erst ein Teufelskreis durchbro-chen werden: „Es gilt das Motto: Bestrafst dumich, bestraf ich dich. Eltern haben langfristigeZiele, wie Ausbildung, Ehrlichkeit, Zuverlässig-keit. Sie versuchen, diese Ziele durch Bestrafungzu erzwingen. Die Bestrafung setzt den Jugend-lichen ins Unrecht und versetzt ihn umso mehr inseine eigene Welt“, erläutert Professor Lauth.„Der Jugendliche wiederum bestraft durch Mau-len, durch Nörgelei, durch Herabwürdigung, durchmangelnden Respekt. Das geht oft bis hin zu derTatsache, dass er tätlich wird, dass er lügt oderstiehlt. Er hat sehr viele Möglichkeiten und er istmachtvoller, weil er viel weniger Skrupel hat undweniger moralisch gebunden ist. Er kann besserbestrafen.“

Hilfe für Eltern Den Alltag mit Jugendlichen wieder positiv gestalten

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Endlich in der Pubertät! – vom Sinn der wilden Jahre

Autoren: Ralph Dawirs, Gunther Moll,

Verlagsangaben: Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 2008

ISBN: 978-3-407-85874-0

Der Biologe Professor Ralph Dawirs und der Kinderpsychiater Prof.

Gunther Moll arbeiten an der Uniklinik Erlangen in der Kinder- und

Jugendabteilung für Psychische Gesundheit. In ihrem Buch werden

die Ereignisse der Pubertät aus der Sicht zweier Jugendlicher, Lukas

und Laura beschrieben; dazwischen finden sich immer Kolumnen

des fiktiven Vaters von Lukas, seines Zeichens Zeitungsredakteur, in

denen die aktuellen neurobiologische Erkenntnisse über die

Vorgänge während der Pubertät und ihren biologischen (und kultu-

rellen) Sinn und Zweck nachzulesen sind. In dem Buch wird die

Pubertät nicht als Elend beschrieben, das über jeden Jugendlichen

und seine Familie zwangsläufig hereinbricht sondern als spannende

und spannungsgeladene Reise ins Erwachsenenleben. Das Buch ist

sehr gut lesbar, verständlich, lebensnah und amüsant.

Die Leiden des jungen Werther

Autor: Johann Wolfgang von Goethe

Verlagsangaben: Reclam Universal-Bibliothek, Nr. 67,

Ditzingen, 2001

ISBN: 315000067X

Sonstiges: 154 Seiten, Taschenbuch, 3,20 Euro

Goethe wählte für Die Leiden des jungen Werther die Form des

Briefromans. Man liest die Briefe Werthers an einen Freund. Durch

diese dokumentarische Form entstand eine für damalige

Verhältnisse ungewöhnliche Nähe zum Romanhelden Werther.

Werther widerspricht zudem in seinem ganzen Wesen den dama-

ligen bürgerlichen Anschauungen. So ist es nicht verwunderlich,

dass der Werther in seiner Zeit sehr umstritten war.

Die neuen Leiden des jungen W.

Autor: Ulrich Plenzdorf

Verlagsangaben: Suhrkamp, 2008

ISBN: 3518188399

Sonstiges: 148 Seiten, gebunden, 6,00 Euro

Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramaturg Ulrich Plenzdorf

greift in seinem Bühnenstück Die neuen Leiden des jungen W.

Goethes Werther auf. Plenzdorfs Titelheld lebt in der DDR der

1970er-Jahre. Beim Lesen von Goethes Werther fallen dem jugend-

lichen W. immer wieder Ähnlichkeiten zu seinem eigenen Leben auf.

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Warum sie so seltsam sind – Gehirnentwicklung bei Teenagern

Autorin: Barbara Strauch

Verlagsangaben: Berlin Verlag, Berlin, 2003

ISBN: 3-8270 0437-3

Barbara Strauch liefert Hintergründe, die Eltern beim Umgang mit

Teenagern helfen können. Durch fundierte Information über

Entwicklung und Vorgänge im Gehirn hebt sich das Buch von den

üblichen Ratgebern ab.

Pubertät – auf der Suche nach dem neuen Ich

Verlagsangaben: GEO Wissen Nr. 41

In dieser Ausgabe von GEO Wissen werden die verschiedensten

Facetten der Pubertät behandelt: Von Erziehung, Hirnforschung,

Sexualität über Pickelgesicht, Depressionen, Konsumrausch bis zu

Initiationsriten informiert das Heft über ein breites Spektrum von

Themen, die sich um Pubertät drehen.

Die gefilmte Schule

Autoren: Charlotte Jacke, Rainer Winkel (Hg.)

Verlagsangaben: Schneider Verlag Hohengehren,

Baltmannsweiler, 2008

ISBN: 987-3-8340-0363-8, 19,80 Euro

In diesem Buch geht es um gefilmte Schule – Filme, die sich mit

Schule befassen. Häufig haben literarische Texte als Vorlagen

gedient, wie zum Beispiel Das fliegende Klassenzimmer. Verschie-

dene Autorinnen und Autoren stellen die Filme vor und erläutern,

wie hier Schule auf verschiedene Weise dargestellt wird. Volker

Ladenthin hat für dieses Buch das zwölfseitige Kapitel Wenn

Unterricht gefilmt wird beigesteuert, das sein Langzeitprojekt vor-

stellt, in dem er eine Schulklasse von der fünften bis zur 13. Klasse

mit der Kamera begleitet hat.

Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen

Herausgeber: Lauth, Linderkamp, Schneider, Brack

Verlagsangaben: 2. vollständig überarbeitete Auflage

2008

ISBN: 978-3-621-27543-9

In diesem Buch werden die einzelnen Störungsbereiche bei Kindern

und Jugendlichen beschrieben und erläutert. Es werden therapeuti-

sche Methoden und Einzelverfahren vorgestellt. Sehr verständlich

geschrieben und deshalb nicht nur für Fachleute, sondern auch für

interessierte Laien geeignet.

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