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Der Gynäkologe 12•2001 | 1177 Weiter- und Fortbildung Palliativmedizin Seit den Anfängen der Medizin gehört die Behandlung krankheitsbedingter Be- schwerden und die Begleitung des kranken Menschen zu den Aufgaben des Arztes. Palliative Therapie bedeutet „lindernde Behandlung“. Im Gegensatz zur kurativen Therapie, mit dem Ziele der Heilung, geht es bei der palliativen Therapie um den um- fassenden Beistand bei einem letztlich unheilbaren Zustand. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet die Begriffsbestimmung wie folgt: Palliativmedizin ist die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Le- benserwartung, in der die Erkrankung nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung der Schmerzen und anderer Krankheitsbeschwerden, ein- schließlich Probleme psychologischer, sozialer und spiritueller Art, höchste Priorität besitzen. In der ausführlichen Begründung der WHO heißt es: Die palliative Behand- lung betont das Leben und betrachtet das Sterben als einen normalen Vorgang, be- schleunigt weder noch verzögert den Tod, sorgt für Erleichterung der Schmerzen und anderer quälender Symptome, integriert die psychologischen und spirituellen Aspekte der Behandlung und bietet ein Unterstützungssystem an,um dem Patienten bis zum Tod behilflich zu sein. So befasst sich die Palliativmedizin hauptsächlich mit Kranken, die an Krebs im fortgeschrittenen Stadium leiden, aber auch mit Patienten mit Immunschwäche und bestimmten neurologischen Erkrankungen. In Deutschland sterben etwa 250.000 Patienten pro Jahr an bösartigen Erkrankungen. Bei steigender Lebenser- wartung ist mit einer weiteren Zunahme dieser Patientengruppe zu rechnen. Palliativstationen sind in Deutschland an Krankenhäuser angegliedert und ste- hen unter ärztlicher Leitung. An der palliativen Behandlung sind Ärzte verschiede- ner Disziplinen sowie Schwestern, Sozialarbeiter, Psychologen und Geistliche betei- ligt. Die medizinische Behandlung besteht in erster Linie in einer Symptomkontrol- le einschließlich einer angemessenen Schmerztherapie. Ziel ist es, dem Kranken für die ihm verbliebene Zeit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.Vorausset- zung ist jedoch, dass diese Maßnahmen geeignet sind, die Lebensqualität des Patien- ten zu verbessern. Eine Chemotherapie ist daher eher die Ausnahme als die Regel. Palliative Therapie bedeutet „lindernde Behandlung“ Die palliative Behandlung betont das Leben und betrachtet das Sterben als einen normalen Vorgang. Krebs Immunschwäche Neurologische Erkrankungen Eine Chemotherapie ist eher die Ausnahme. Gynäkologe 2001 · 34:1177–1179 © Springer-Verlag 2001 Prof. Dr. Lutwin Beck, Universitäts-Frauenklinik, Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf L.Beck · Düsseldorf Palliativmedizin und Hospiz

Palliativmedizin und Hospiz

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Der Gynäkologe 12•2001 | 1177

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Seit den Anfängen der Medizin gehört die Behandlung krankheitsbedingter Be-schwerden und die Begleitung des kranken Menschen zu den Aufgaben des Arztes.Palliative Therapie bedeutet „lindernde Behandlung“. Im Gegensatz zur kurativenTherapie, mit dem Ziele der Heilung, geht es bei der palliativen Therapie um den um-fassenden Beistand bei einem letztlich unheilbaren Zustand.

Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet die Begriffsbestimmungwie folgt: Palliativmedizin ist die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten miteiner progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Le-benserwartung, in der die Erkrankung nicht mehr auf kurative Behandlung ansprichtund die Beherrschung der Schmerzen und anderer Krankheitsbeschwerden, ein-schließlich Probleme psychologischer, sozialer und spiritueller Art, höchste Prioritätbesitzen. In der ausführlichen Begründung der WHO heißt es: Die palliative Behand-lung betont das Leben und betrachtet das Sterben als einen normalen Vorgang, be-schleunigt weder noch verzögert den Tod, sorgt für Erleichterung der Schmerzenund anderer quälender Symptome, integriert die psychologischen und spirituellenAspekte der Behandlung und bietet ein Unterstützungssystem an, um dem Patientenbis zum Tod behilflich zu sein.

So befasst sich die Palliativmedizin hauptsächlich mit Kranken, die an � Krebsim fortgeschrittenen Stadium leiden, aber auch mit Patienten mit � Immunschwächeund bestimmten � neurologischen Erkrankungen. In Deutschland sterben etwa250.000 Patienten pro Jahr an bösartigen Erkrankungen. Bei steigender Lebenser-wartung ist mit einer weiteren Zunahme dieser Patientengruppe zu rechnen.

Palliativstationen sind in Deutschland an Krankenhäuser angegliedert und ste-hen unter ärztlicher Leitung. An der palliativen Behandlung sind Ärzte verschiede-ner Disziplinen sowie Schwestern, Sozialarbeiter, Psychologen und Geistliche betei-ligt. Die medizinische Behandlung besteht in erster Linie in einer Symptomkontrol-le einschließlich einer angemessenen Schmerztherapie. Ziel ist es, dem Kranken fürdie ihm verbliebene Zeit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Vorausset-zung ist jedoch, dass diese Maßnahmen geeignet sind, die Lebensqualität des Patien-ten zu verbessern. Eine Chemotherapie ist daher eher die Ausnahme als die Regel.

Palliative Therapie bedeutet „lindernde

Behandlung“

Die palliative Behandlung betont das

Leben und betrachtet das Sterben als

einen normalen Vorgang.

�Krebs� Immunschwäche�Neurologische Erkrankungen

Eine Chemotherapie ist eher die

Ausnahme.

Gynäkologe2001 · 34:1177–1179 © Springer-Verlag 2001

Prof. Dr. Lutwin Beck,Universitäts-Frauenklinik, Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf

L.Beck · Düsseldorf

Palliativmedizin und Hospiz

Aufnahmekriterien für eine Palliativstation

Aufgenommen werden Patienten mit einer inkurablen fortgeschrittenen Erkrankungund Symptomen, wie z. B. Schmerzen oder psychosoziale Probleme, die einer Kran-kenhausbehandlung bedürfen. Eine Palliativstation sollte eine eigenständige Einheitvon etwa 8–12 Betten darstellen.

In Deutschland wurde die erste Palliativstation 1983 im Bereich der Universitäts-klinik zu Köln errichtet [1, 2]. 1995 wurde die � Deutsche Gesellschaft für Palliativ-medizin (DGP) gegründet. Im Frühjahr 2000 gab es in Deutschland 62 Palliativsta-tionen mit 6,4 Palliativbetten pro 1 Mio. Einwohner. Demgegenüber stehen in Groß-britannien 54 Palliativhospizbetten pro 1 Mio. Einwohner zur Verfügung. Die Ent-wicklung der Palliativstationen in Deutschland ist in der Tabelle 1 dargestellt.

Auf der Palliativstation im Malteser-Krankenhaus in Bonn beträgt die durch-schnittliche Liegezeit ungefähr 11 Tage; etwa 60% der Patienten können nach Hauseentlassen werden, während ca. 40% bei der Erst- oder Wiederaufnahme auf der Stati-on versterben. Angegliedert ist ein ambulanter Palliativdienst als notwendige Ergän-zung der stationären Einrichtung. Über 70% der Patienten, die vom ambulanten Pal-liativdienst betreut werden,konnten ihrem Wunsch entsprechend zuhause sterben [3].

Die Palliativmedizin ist in der Lage,Schmerzen fast immer,besonders bei Patien-ten mit Tumorschmerzen, auf ein erträgliches Maß zu reduzieren und dem Krankeneine ganzheitliche Betreuung zukommen zu lassen. So ist die Palliativmedizin einewirksame Absage an eine aktive Sterbehilfe. Sie ist vielmehr eine aktive Lebenshilfe.

Die Betriebskosten einer Palliativstation liegen um 10–20% über den Pflegesät-zen anderer Abteilungen des jeweiligen Krankenhauses. Für die Höhe der Betriebs-kosten ist der Personalschlüssel entscheidend, aber auch, ob kostenintensive pallia-tivtherapeutische Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Durch die Kombinati-on von Palliativstation und Hausbetreuungsdienst ergibt sich die Möglichkeit früh-zeitiger Entlassung und die Vermeidung des Hinauszögerns einer stationären Wieder-aufnahme. So liegt der Schwerpunkt der palliativen Arbeit mehr im ambulanten Be-reich. Die relativ kurze mittlere Liegedauer von etwa 12 Tagen wird hierdurch ermög-licht [4]. Der Bedarf an Palliativeinrichtungen wird in Zukunft weiter ansteigen. DiePalliativmedizin, einschließlich der Schmerztherapie, ist daher ein wichtiges Gebietder Weiterbildung.

Eine differenzierte Abhandlung zur Palliativmedizin ist als Themenheft in die-ser Zeitschrift [„Der Gynäkologe“ (2000) Bd. 33, Heft 10] erschienen, redigiert vonHepp und Hiddemann mit 5 Einzelarbeiten zum Thema und einer Abhandlung zurSterbehilfe aus der Sicht der Rechtsprechung (Ulsenheimer).

Hospiz

Als Hospiz wird eine Institution bezeichnet, die von dem lateinischen Wort hospizi-um abgeleitet ist, entsprechend ein gastliches Haus, eine Herberge, die Gastfreund-schaft gewährt und darstellt. Die Geschichte der Hospizidee reicht 2000 Jahre zurückund hat erste Vorläufer im römischen Reich. Im 17. Jahrhundert gründete Vinzenz

von Paul in Paris das Hospiz „Filles de la Charité“. Im 18. Jahrhun-dert eröffnete Pastor Fliedner die Diakonissenanstalt in Düssel-dorf-Kaiserswerth; und auf Florence Nightingale, eine Diakonis-senschülerin geht die Gründung des „Our Lady’s Hospice“ in Du-blin zurück. Die Irish Sisters of Charity gründeten 1902 das „St. Jo-seph’s Hospice“ in London. Von dort aus hat Cicely Saunders, mitderen Namen die heutige Hospizbewegung untrennbar verbundenist, 1967 das „St. Christopher’s Hospice“ in London gegründet, daszum weltweiten Vorbild für derartige Einrichtungen wurde.

Die Hospizbewegung ist in ihrem Ursprung und ihrer Zielset-zung eine Antwort auf die vielschichtigen Bedürfnisse sterbenderPatienten. Hospize gehen in ihrer Arbeit von der Grundüberzeu-gung aus, dass Menschen nicht durch fremde Hand den Tod erlei-den,sondern in Begleitung eines vertrauten Menschen sterben wol-len.Sie distanziert sich daher von jeder Form problematischer Ster-behilfe im Sinne einer aktiven Euthanasie. Zu den Wünschen und

Eine Palliativstation sollte eine eigen-

ständige Einheit darstellen.

�Deutsche Gesellschaft für Pallia-tivmedizin

Die Palliativmedizin ist eine wirksame

Absage an eine aktive Sterbehilfe.

Der Schwerpunkt der palliativen Arbeit

liegt eher im ambulanten Bereich.

| Der Gynäkologe 12•20011178

Tabelle 1Palliativstationen und Hospize in Deutschland.(Nach Klaschik [3])

Palliativstationen Hospize

1983 1 01986 1 11990 3 31993 18 111996 28 301998 34 401999 55 65

Bedürfnissen vieler Menschen zählt vor allem die Bitte, in vertrauter Umgebung,schmerzfrei, in menschlichem Kontakt zu sterben. Die gemeinsamen Ziele im Hos-piz sind: Annahme des Sterbens als Teil des Lebens sowie die Überzeugung, dass imLeben und Sterben Sinn gefunden werden kann. Dabei steht die pflegerische, emotio-nale, soziale und geistliche (spirituelle) Begleitung der Sterbenden und ihrer Ange-hörigen im Vordergrund, unterstützt durch ein � interdisziplinär arbeitendes Teamvon Arzt, Krankenschwester und Sozialarbeiter, unter Einbeziehung von freiwilligenHelferinnen und Helfern. Spezielle medizinische Kenntnisse in der � Schmerzthera-pie und in der Behandlung anderer belastender Symptome müssen gegeben sein. DieKontinuität und Verlässlichkeit in der Betreuung aber auch der Begleitung der Trau-ernden stehen im Vordergrund.

In Deutschland engagieren sich seit Anfang der 80er Jahre eine Vielzahl von Men-schen in der Hospizbewegung. Erste Hospize entstanden in Nordrhein-Westfalen(Aachen und Recklinghausen), wo inzwischen zahlreiche ambulante, ehrenamtlichgeleitete, Hospizgruppen sich zu der Vereinigung � “OMEGA, mit dem Sterben lebene.V.“ zusammengeschlossen haben. Träger sind in vielen Fällen kommunale Trägerund Einrichtungen der Kirche, wobei die ökomenische Zusammenarbeit selbstver-ständlich ist. Um ein Hospiz zu errichten, ist ein Antrag an das Land zu stellen. Nord-rhein-Westfalen hat, im Vergleich zu anderen Bundesländern,die meisten Palliativsta-tionen und Hospizeinrichtungen [5].

In den Hospizen liegt der tagesbezogene Bedarfssatz für Pflege, Betreuung undUnterbringung zwischen 380 und 460 DM. Die Krankenkassen zahlten im Jahre 2000einheitlich einen Zuschuss von 264 DM pro Tag. Hinzu kommt ein Beitrag der Pfle-geversicherung, der je nach dem Pflegesatz des Hospizes unterschiedlich sein kann.Die Hospizträger müssen mit einem etwa 10%igen Eigenanteil zur Finanzierung bei-tragen. Die Kosten für die ärztliche Leistung und Arzneimittel werden separat be-rechnet. Die ärztliche Präsens in den deutschen Hospizen, mit einem qualifiziertenund jeder Zeit verfügbaren Arzt, ermöglicht, dass die medikamentöse Therapie zurSchmerzausschaltung wirksam durchgeführt wird. Im Vordergrund steht das Ge-spräch mit den Kranken und seinen Angehörigen, wobei die � ehrenamtliche Tätig-keit eine große Rolle spielt. Hospize sind auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen, sie er-innern an privates Wohnen mit Farben, Bildern und Gärten. Auch in der letzten Le-bensphase steht das Bemühen um ein möglichst normales Leben unter Mitmenschenim Vordergrund, soziale Kontakte werden gefördert. In vielen Hospizeinrichtungenwird der Patient „Gast“ genannt.

Palliativmedizin und Hospizideen sind dem Leben verpflichtet und lehnenEuthanasie bzw. aktive Sterbehilfe ab. Sie betrachten ihre Möglichkeiten der Behand-lung und Betreuung als die wirksamste und beste Alternative zur aktiven Sterbehil-fe. Folgende Kernpunkte liegen dabei zugrunde: Im Sterben nicht alleine gelassen zuwerden, sondern an einem vertrauten Ort unter Teilnahme vertrauter Menschen zusterben, im Sterben nicht unter starken körperlichen Beschwerden und Schmerzenleiden zu müssen und schließlich Sinnfragen auch über die Lebenszeit hinaus stellenzu können.

Die Hospizidee ist ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen, ermöglicht durchdie engagierte Zusammenarbeit von Krankenschwestern, Ärzten, Seelsorgern undeiner Vielzahl von ehrenamtlichen Helfern.

Auf die von S.Husebo und E.Klaschik herausgegebene Palliativmedizin mit prak-tischer Einführung in die Schmerztherapie, Ethik und Kommunikation wird beson-ders hingewiesen. Dabei wird in einem Anhang auch auf die Grundsätze der Bunde-särztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung – 1999 eingegangen.

Literatur1. Pichlmaier H, Fasselt G (1998) Hospiz-Hospizbewegung. Lexikon der Bioethik, Bd. 2. Gütersloher Verlagshaus, Gü-

tersloh

2. Pichlmaier H (1998) Palliative Therapie. Lexikon der Bioethik, Bd. 2. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

3. Husebo S, Klaschik E (2000) Palliativmedizin, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio

4. Klaschik E (2000) Palliativmedizin. Antwort auf eine ethische Herausforderung. Jahrbuch für Wissenschaft und

Ethik, Bd 5. De Gruyter, Berlin New York

5. Palliativmedizin 2000 (2000) Verzeichnis der stationär und ambulanten Palliativ- und Hospizrichtungen in

Deutschland, 2. Aufl. Klinik der Anästhesiologie, Universität zu Köln

Menschen wollen in Begleitung eines

vertrauten Menschen sterben.

� Interdisziplinär arbeitendes Team

�Schmerztherapie

�„OMEGA, mit dem Sterben leben e.V.“

Der Eigenanteil der Hospizträger zur

Finanzierung beträgt ca. 10%.

Im Vordergrund steht das Gespräch mit

den Kranken.

�Ehrenamtliche Tätigkeit

Palliativmedizin und Hospizideen sind

dem Leben verpflichtet.

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