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Papst-BILD Buch Im September 2011 ist im HERDER-Verlag das Buch „Papst-BILD“ von Jens Lorenzen erschienen.

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Papst-BILD BuchIm September 2011 ist im HERDER-Verlag das Buch „Papst-BILD“ von Jens Lorenzen erschienen.

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Jens Lorenzen Papst-BILD

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J e n s L o r e n z e n Pa p s t - B I L D

Kai Diekmann und Jens Lorenzen mit dem Papst-BILD I vor dem Geburtshaus des Papstes. Anlässlich der Pressekonferenz zur Präsentation der Benedikt Bibel am 10. Juli 2007 wurden Papst-BILD I und II im Geburtshaus von Papst Benedikt XVI. in Marktl am Inn gezeigt.

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Inhalt

Kai Diekmann Vorwort 7

Jens Lorenzen Aus dem Tagebuch 11 Brief an Dominik Meiering 17

Dominik Meiering Wir sind Papst 21

G. H. H. Ceci n’est pas un pape 27

Manuel Herder Mut zur Demut 40

Impressum

HerausgeberJens LorenzenMühsamstr. 62,10249 Berlin

VerlagVerlag Herder GmbHHermann-Herder-Str. 4, 79104 Freiburg

TexteKai Diekmann, Chefredakteur BILDJens LorenzenDr. Dominik Meiering, Jugendpfarrer der Diözese KölnDr. G. H. HolländerManuel Herder, Verleger

FotosFotos Seite 2, 6, 44, 48: Daniel BiskupFoto Seite 47: Frank ZauritzFotos der Werke: Axel Hartmann, Ralf Kranert, Jens Lorenzen

BildbearbeitungJet Foto Kranert GbR, Berlin

Satz und LayoutMaik Borchert

Druckfgb. freiburger graphische betriebewww.fgb.de

© 2011 Jens Lorenzen, Autoren und Inhaber der Bildrechte

ISBN 978-3-451-30514-6

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Vorwort

Auf die Bilder von Jens Lorenzen wurde ich vor einigen Jahren aufmerksam. Damals ar-beitete er an einer Serie über Marken-Logos, die er verfremdete und ironisierte – darunter Lucky Strike, Shell, Ferrari oder Coca Cola. Und eben auch BILD. Lorenzen zerbrach unser Logo, zeigte es schrundig, geborsten, voller Narben und Risse. Marken-Wächtern kann das nicht gefallen, Menschen mit Sinn für Widersprüche schon.

So lernten wir uns kennen. Und irgend-wann kamen wir auf die Idee, die berühm-teste Schlagzeile der letzten Jahre zum Ausgangspunkt eines neuen Werkzyklus zu machen: Wir sind Papst! titelte BILD am 20. April 2005, und sofort wurde die Zeile Teil der Alltagssprache – 1000-mal variiert, mehrfach ausgezeichnet, am Ende fast totzitiert. Heute muß man fürchten: Wir sind Papst! ist nicht nur das erste, was vielen Menschen zum Oberhaupt der katholischen Kirche einfällt, sondern auch das einzige. Wer nach Enzykliken fragt, nach den Botschaften oder dem Wirken Papst Benedikts XVI., stößt dagegen be-stenfalls auf Erstaunen, fast immer auf Un-kenntnis. Indem Jens Lorenzen die Titelzeile teilweise verdeckt oder löscht, stellt er genau diese Gewichtung in Frage. Letztlich geht es um die Möglichkeit des Religiösen in ei-ner Welt, die selbst kirchliche Symbole und Begrifflichkeiten säkularisiert. Wer wüßte ohne Zögern die Nähe solcher Marken wie Shell, San Pellegrino oder Jägermeister zu ursprünglich christlichen Motiven zu be-nennen?

Die beiden Tafelbilder, die unsere Schlag-zeile aufgreifen, spielen noch in anderer

Hinsicht mit dem Ausgangsstoff. Gemalt sind sie auf Druckplatten der damaligen Titelseite. So sind sie gleichzeitig Origi-nal und – wenn man so will – Fälschung, oder besser: Original und Original. Der ur-sprüngliche Stoff, überlagert durch Gestal-tung. Darin kann man die Grundform je-der Kunst sehen, aber auch die des Lebens.

Kai Diekmann

Übergabe der Papst-BILD Lithographie an Papst Benedikt XVI. am 12. April 2010 im Castel Gandolfo.Im Vordergrund: Jens Lorenzen, Kai Diekmann, Monsignore Gänswein, Papst Benedikt XVI.

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Papst-BILD I, 2007, Öl auf Druckplatten/Holz, 240 x 160 cm, Privatsammlung. Die Druckplatten stammen von der BILD-Ausgabe am 20. April 2005.

Papst-BILD II, 2007, Öl auf Druckplatten/Holz, 240 x 160 cm, Privatsammlung. Die Druckplatten stammen von der BILD-Ausgabe am 20. April 2005.

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Aus dem Tagebuch von Jens Lorenzen

Sonntag, 11. April 2010, 18 Uhr

Im Flugzeug auf dem Weg nach Rom. Nun, da Kai und seine Mitarbeiter Willem und Sarah dabei sind, legt sich meine Aufregung schlagartig. Die drei sind total locker und entspannt. Alles Routine. Während die drei Zeitung lesen, studiere ich weiter Jesus von Nazareth. Mein Magen rebelliert, ich sollte nichts mehr essen.

Dienstag, 13. April, 9 Uhr 30

In Rom hat es in Strömen geregnet, als wir am Sonntagabend ankamen. Wir waren erst um 21 Uhr im Hotel. Die Residenz Paolo VI. liegt direkt am Vatikan. Von der Hotel-terrasse bietet sich ein toller Blick auf den Petersplatz. Ich war völlig von den Socken. Das hatte ich nicht erwartet. Obwohl es spät war, als wir uns endlich zur Ruhe begaben, bin ich um 6 Uhr 30 aufgestanden. Ich bin rüber in den Petersdom, habe dort gebetet, bin dann losgelaufen. Konnte eini-ge gute Motive finden – Werbung, abgeris-sene Plakatwände, Schilder und ähnliches. Ein Bettler, der zwischen parkenden Autos kauerte wie in einem Versteck, seine zer-schundenen Füße inspizierte und mich gar nicht wahrnahm, hat mich sehr angerührt. Ich gab ihm etwas Geld. Er war sehr er-staunt. Ich war sehr unsicher.Um 9 Uhr 15 ging es dann im besten Zwirn im Kleinbus nach Castel Gandolfo. Im Café gegenüber der Residenz trafen wir Familie Herder und die Leute vom Presseamt des Vatikan. Das anstrengende, aber sehr inter-essante Zeremoniell des Dialogs unter Al-phatieren – also Rudelführern oder Ronins wie ich – begann. Als wir uns dann mit un-serer Gruppe von 20 Personen in die Som-merresidenz begaben, ging mein Kreislauf vollends in den Keller. Meine Hände eiskalt

Papst-BILD III, 2008, Öl auf Druckplatten/Holz, 116 x 79,5 cm, Privatsammlung. Die Druckplatten stammen von der BILD-Ausgabe am 20. April 2005.

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gegen den Schöpfer, gegen das Subjekt im Verborgenen. Im Gegenteil. Sie predigt die Versöhnung mit dem Schöpfer und hält den Verdacht für ein Werk des Teufels. Die-se Argumentation oder Sehweise scheint den Menschen heute wenig einleuchtend zu sein. Sie fühlen sich eher bestätigt, wenn sie Filme wie Matrix oder Truman Show sehen, in denen ihr paranoider Verdacht gegen die verborgenen Kräfte bestätigt wird.

In meiner Papst-BILD Serie geht es darum, inwieweit christliche Inhalte und Zeichen in unserer medialen Wirklichkeit noch au-thentisch erfahrbar sind, wobei natürlich außer Frage steht, daß die authentische Er-fahrbarkeit christlicher Inhalte stets und in allen Zeiten problematisch war. Auch in der Werbung erscheint christliche Ikonographie, die ich in meinen Bildern umwerte. Aber ich transportiere in meinen Bildern keine bestimmte Botschaft. Des-halb gerate ich zwischen die Stühle. Denn ich kann auch die andere Position, die poli-tisch engagierte, kirchenkritische und intel-lektuell atheistische, nicht bedienen. Auf eine Anfrage des Bayerischen Rund-funks hin, ob ich ein Interview zu dem The-ma „Sind wir noch Papst?“ geben könnte, habe ich ein langes Vorgespräch mit dem Reporter geführt. Er war am Ende spürbar enttäuscht, da er von mir Positionen zum Identitätsgefühl der Deutschen mit dem Papst, zum Mißbrauchsskandal usw. erwar-tete. All dies ist für mich aber total uninter-essant. Ich sagte: „Wir sind immer Papst.“ Ich glaube, er hat mich nicht verstanden. Fand meine Position auf alle Fälle uninter-essant. Er sagte, das passe nicht zur Frage-stellung der Sendung. Das wird also nix. Schade!

Montag, 3. Mai, 20 Uhr

Die Signatur des Papstes in meinem Exem-plar von Jesus von Nazareth ist so ganz und gar nicht, wie man sich eine Papstsignatur vorstellt. Sie sieht klein und krickelig, un-beholfen und unscheinbar aus. Mitten auf der Seite, aber doch nicht mittig. Sie ist für mich das Zentrum des Buches, beansprucht aber keine zentrale Stellung. Die Buchsta-ben scheinen sich verstecken zu wollen in dieser Miniaturschrift, die keinen Platz braucht, aber dennoch die Seite füllt. Ich spüre den Kraftaufwand, den sie für den Papst bedeutet hat.

und blauviolett, trug ich meine Lithogra-phie durch die vielen ehrwürdigen Hallen der Residenz.Der Heilige Vater trat in den Saal. Leise, schwebend, zerbrechlich, lächelnd, abwe-send anwesend. Ich spürte physisch die Last, die auf seinen Schultern liegt und die ihm niemand nehmen kann. Er wollte sich setzen, auf seinen Thron, richtete sich aber auf halbem Wege plötzlich wieder auf, er-schrocken fast, wie ertappt. Monsignore Gänswein sagte, er möge sich doch bitte setzen. Der Heilige Vater flüsterte: „Hier stehen doch alle, da stehe ich auch.“ Gött-liche Geste! Dann eine kurze, ergreifende Ansprache. Er sagte, man muß zurückschauen kön-nen, um voranzuschreiten. Denn nur wer Wurzeln hat, kann wachsen. Grandios! Für mich ein wichtiger Satz, denn ich schaue ungern zurück. Als ich dem Papst die Hand schüttelte, sagte er: „So, so. Sie sind also der Künstler.“ All meine Fragen an ihn mußte ich in dem Händedruck bündeln.Dann waren wir vier Stunden lang mit Monsignore Gänswein essen. Eine äußerst schwierige, heikle Situation. Wie können zwanzig Personen mit dem Mann gemein-sam essen, der dem Papst am nächsten steht? Manuel Herder hat das Wort ergriffen und sich als Moderator eines Tischgespräches zur Verfügung gestellt. Ich kam mir vor, als wäre ich bei Werner Höfer im Frühschop-pen gelandet. Aber dann, oh Schreck, rich-tete Herder das Wort an mich. Ich? Ich soll hier vor der ganzen Gruppe mein Bild erläutern? Erklären, was ich mir dabei gedacht habe?! Wild gestikulierend hielt ich meinen Monolog. Am Ende lächel-te mich Frau Herder senior an und meinte: „Ein Maler muß nicht alles erklären kön-nen, sonst brauchte er kein Maler zu sein.“ Kai raunte mir zu: „Gut gemacht!“

Sonnabend, 17. April, 7 Uhr 30

Die Bildzeitung hat ein langes Interview mit mir gebracht. Das Interview vermittelt den Eindruck, ich sei ein sehr gläubiger Mensch, der sich fragt, was aus der christlichen Bot-schaft in der heutigen Zeit, in der die Medi-en die Wirklichkeit bestimmen, geworden ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das so gut ist. Das Interview ist zwar okay. Alles, was darin steht, habe ich gesagt. Aber vieles, was ich auch gesagt habe und was dazugehört, mußte aus Platzgründen wegfallen.Ich habe so ein bißchen das Gefühl, als ge-rate ich zwischen die Stühle. Meine Bilder transportieren keine christliche Botschaft. Sie befassen sich damit, inwieweit Botschaf-ten medial transportiert werden und was mit ihnen dabei geschieht. Da ich an Gott glaube, interessieren mich diese Phänome-ne, insbesondere im Zusammenhang mit der christlichen Botschaft, ihrer Ikonogra-phie und Zeichen. Die Kirche hatte einst das Monopol auf das Wort und das Bild. Heute gibt es zwar eine unüberschaubare Menge an Bildern und Texten im säkularen Bereich, aber aktuel-le klerikale Texte und Bilder gibt es kaum. Wenn es sie gibt, wirken sie verstaubt, we-nig innovativ. Es scheint, daß sakrale Inhal-te nicht zeitgenössisch übermittelt werden können. Das liegt daran, daß die christliche Botschaft den Verdacht gegen die eigene Medialität nicht zuläßt, ihn nicht themati-siert. Während sich die zeitgenössische Kunst mit dem Schöpfen an und für sich beschäftigt, die Medialität des Mediums thematisiert, oder den Verdacht gegen das Subjekt, wel-ches hinter der medialen Oberfläche wirkt, immer radikaler bestätigt, ist dieser Diskurs für die Kirche völlig uninteressant. Die christliche Botschaft hegt keinen Verdacht

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Papst-BILD Lithographie, 65 x 48 cm, 2010, 99er Auflage.

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Jens Lorenzen an Dominik Meiering

Berlin, den 15. Mai 2010

Lieber Herr Meiering,der Gedanke, daß es sich bei meinen Papst-BILD-Arbeiten um Papstportraits handeln könnte, kam mir eigentlich erst durch die Audienz in den Sinn. Zum einen, weil der Papst meine Lithographie entgegengenom-men hat und wohlwollend zu mir sagte: „So, so. Sie sind also der Künstler.“ Zum anderen, weil Herr Manuel Herder im Tischgespräch Monsignore Gänswein frag-te, ob es denn ein offizielles Papstportrait gebe. „NEIN!“, sagte Gänswein abwehrend. Zwar gebe es viele Bemühungen, aber keine könne offiziell anerkannt werden. In diesem Moment platzte es aus mir heraus: „Den Papst kann man heute nicht mehr portrai-tieren! Das muß man ganz anders machen.“ Meinem Ausruf folgte Stille. Dann wurde das Thema gewechselt.Als ich die Bilder malte, war die Frage des Papstportraits überhaupt nicht Thema. Ich malte eine Oberfläche, ein Medium, etwas aus zweiter Hand, so wie man das in der Postmoderne macht, ich malte ein Zitat, brachte es mit anderen Zitaten in einen Dialog und versuchte, dadurch etwas zum Schwingen zu bringen.So kann und will mein Bild auch nur ein indirektes Papstportrait sein, das zeigt, daß ein Papstportrait als solches – oder besser: ein Papstportrait im traditionellen Sinne – heute nicht mehr möglich ist. Natür-lich stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob ein Papstportrait „als solches“ überhaupt je möglich war, ob nicht auch früher die Wahrheit für den Künstler genauso uner-

reichbar schien wie heute. Aber das sind Fragen, die mich überfordern.Der Maler malt heute eben nur noch ein Objekt, was dem Subjekt natürlich nicht gefallen kann. Wie auch ich eine Schlagzeile gemalt habe, allegorisch alte und neue Icons nebeneinanderstellte und die Zeichensyste-me verschiedener Epochen vermengte. Da-bei habe ich ein heutiges Papstbild gleich-sam freigelegt. Die Grenzen sind fließend und müssen stets neu ausgelotet werden. Während früher eine bestimmte Ikonogra-phie die Form des Portraits diktierte, hat heute die Bildzeitung den Papst in eine allgemein bekannte Zeichensprache einge-bunden. Es stellt sich die Frage, ob das Got-teslästerung ist. In seinem Buch Der Arbeiter schreibt Ernst Jünger: „So muß ein Christ zu dem Urteil kommen, daß Formen, wie sie die Reklame in dieser Zeit angenommen hat, ein satanischer Charakter innewohnt.“Nicht umsonst fragte mich der Dichter Konstantin Hanack, als wir vor meinen Papst-BILD-Buttons standen, was denn an diesen Bildern „heilig“ sei? Auch diese Frage überfordert mich!Herzliche Grüße

Jens Lorenzen

Manuskript von Jens Lorenzen, veröffentlicht in Hochroth Nr. 2, Berlin 2010.

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Plain Dealer Papst-BILD Säule, 2008, Öl auf Leinwand/Holz, h 80cm, Ø 40cm,Privatsammlung. Ansicht 1.

Plain Dealer Papst-BILD Säule, 2008, Öl auf Leinwand/Holz, h 80cm, Ø 40cm.Ansicht 2.

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Wir sind Papst Über Jahrhunderte hinweg war alle Macht und Kompetenz, die mit dem Wort ver-bunden ist, wie selbstverständlich in der Kirche zu Hause. Das alles entscheidende Wort war das Wort der Bibel, das der Pre-diger machtvoll in der Kirche verkündete. Was für das Wort galt, traf auch auf das Bild zu. Das Kultbild, als Andachts- und Gnadenbild, beherrschte die Kirchenräume und Wohnungen der Menschen. Was aber ist aus dem Monopol der Wortverarbeitung und Wortgestaltung durch die Kirche im Zeitalter der Medienvielfalt, von Zeitung, Internet und Fernsehen geworden? Wo ist die kraftvolle Aura des christlichen Bildes, die Hoheit der Kirche über das Bild und das Wort geblieben? Der an vielen Orten erkennbare Wirkkraftverlust der Kirche gegenüber Wort und Bild macht deutlich, was gesamtgesellschaftlich geschehen ist: Es gibt kein Monopol mehr über das Wort und das Bild. Bei niemandem mehr.

Wertvolle Worte und kostbare Texte, aber auch hirnloses Geplapper und sprachlose Geschwätzigkeit, viele Reden und Phra-sen überschwemmen uns Tag für Tag. Die Allgegenwart von Bildern, der wir auf der Straße ausgeliefert sind oder die wir uns via Internet und Fernsehen ins Haus ho-len, überflutet unseren Sehsinn so sehr, dass die Fähigkeit, aufmerksam und einfühlend zu schauen, längst untergegangen ist. Und dennoch gibt es auch heute Monopolisten, die Bilder und Worte zu auratischen Ikonen und idiomatischen Formeln machen kön-nen. Der Anspruch auf ein Wort- und Bild-monopol ist an die Medienleute übergegan-gen. Plakativ und allgegenwärtig reklamiert etwa die Bildzeitung für sich die Wortfüh-rerschaft und Bildautorität in Deutschland und füllt Zeitungsstände und Zeitungsau-tomaten mit ihrer stets wiedererkennbaren Plain Dealer Papst-BILD Säule, 2008, Öl auf Leinwand/Holz, h 80cm, Ø 40cm.

Ansicht 3.

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Das flammende Kreuz im Hirschgeweih eines Kräuterschnapsetiketts (Jägermeister) erinnert an die Vision des heiligen Huber-tus, die ihn zur Umkehr gerufen hat. Über-setzt bedeutet der Name des Schutzpatrons der Jäger „der durch seinen Geist glänzt“. „Jägermeister“ kennt jeder, aber die Bedeu-tung der Marke ist weithin unbekannt und unzugänglich. Ähnliches gilt für den neu gewählten Papst. Jeder kennt ihn, aber wo-für er steht und was er zu sagen hat, bleibt davon unberührt.

Aber da ist noch mehr in Lorenzens Such-bildern zu entdecken. Es geht um die Sehn-sucht, die Frage nach Gott. Der „Lord“, der Herr, der mit mir ist wie das Päckchen Zigaretten (Lord), wird ins Gespräch mit Gottesbildern anderer Religionen gebracht: mit dem „Om“, einer Silbe des Sanskrit, die im Hinduismus, aber auch im Buddhismus sowie in anderen asiatischen Religionen als heilig gilt, oder mit den Schriftzeichen, die den Namen des Propheten Mohammed bil-den und auf den Islam verweisen.

Anspielungen auf den muslimischen Glau-ben und die Regensburger Rede, in der sich Benedikt XVI. bald nach der Papstwahl mit dem Verhältnis des Christentums zum Is-lam beschäftigt hat, finden sich auch in der türkischen Zeitungsheadline „Papa üzgün“, „Der Papst ist traurig“, oder in der Titelsei-te der ersten gedruckten Übersetzung des Koran ins Deutsche aus dem 19. Jahrhun-dert. Der Davidstern symbolisiert das Ju-dentum und den Staat Israel und erinnert gleichzeitig an die deutsche Geschichte im Nationalsozialismus und den „Judenstern“ der Shoah.

Zu den „anderen Religionen“ gehören aber auch Ideologien, politische Ideen und Wer-

tesysteme wie im Ausschnitt eines Propa-gandabildes, das ein junges Mädchen zeigt, das voller Pathos zu einem sowjetischen Flugzeug am Himmel emporblickt. „Der Stolz des Volkes“ steht darunter in rus-sischer Sprache geschrieben. Der Verweis auf die „Kunst des Krieges“ des chinesischen Kriegsstrategen Sunzi ist ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer von Disziplin und Großmut getragenen Lebensphilosophie.Beim „Dju dju“-Bier geht es nicht nur um ein Bier, sondern um den Namen des aus Westafrika stammenden Voodoo-Kultes, um Priester und Priesterinnen, die spiritu-elle und praktische Heiler waren. Bei „Afri-Cola“ kann nicht nur die große Zahl der Ka-tholiken auf dem afrikanischen Kontinent, sondern auch die kultige Werbekampagne der 60er Jahre mit dem Slogan „Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola“ erinnert werden, bei der unter anderem lasziv verschleierte Nonnen hinter einer Glasscheibe Afri-Cola tranken.

Natürlich hat die Papstwahl auch etwas mit der Suche der Menschen nach den eige-nen religiösen Wurzeln zu tun. Bücher wie Dantes „Göttliche Komödie“, Benedikts „Jesus von Nazareth“, Pier Paolo Pasoli-nis Zeitungsartikel „I dilemmi di un papa, oggi“ oder die Frage: „Wo ist Gott?“ in der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ werden kombiniert mit Plattencovern aus der Jugend des Künstlers wie „Jesus Christ Superstar“ oder dem Live-Album „Bless Its Pointed Little Head“ mit psychedelischer Rockmusik von „Jefferson Airplane“.

Filmtitel wie „Blues Brothers“ (Unterwegs im Auftrag des Herrn) oder Alfred Hitch-cocks „Shadow of a Doubt“ erinnern an die Frage, was denn die spezifische Mission des neugewählten Papstes sei und ob er auch an

ersten Seite. Von ihr stammt eine der wirk-samsten Titelseiten der vergangenen Jahre im Printmedienbereich der Bundesrepublik Deutschland, der Bild-Titel Wir sind Papst!

Nicht verwunderlich ist es, dass Jens Lorenzen, der als Künstler stets auf der Suche nach dem Auratischen, nach dem ewigen Bild ist, sich mit dieser Titelseite der Bild-zeitung auseinandergesetzt hat. Schon vor-her hatte Lorenzen sich mit Plakatwänden, Litfaßsäulen, Titelseiten und plakativen Bildern im öffentlichen Raum beschäftigt. Die Sehnsucht des Künstlers nach dem Einmaligen und Außerordentlichen, dem Allgegenwärtigen und Bleibenden findet hier eine starke Inspirationsquelle. Bei der Beschäftigung mit Wort-Bild-Marken der Werbung war auch der BILD-Schriftzug der Bildzeitung zum Gegenstand eines Werkzyklus geworden. Dies hat den BILD-Chefredakteur Kai Diekmann auf den Künstler aufmerksam gemacht. Er gab Lorenzen den Anstoß zur Gestaltung seiner Papstbilder, indem er ihm – gleichsam als Reliquien aus der Zeitungsproduktion – die Druckplatten der Wir sind Papst! - Titelseite brachte, damit er „daraus etwas mache“. Aber kann aus der Zeitung, die am Mittag schon wieder im Altpapier landet, ein kult-haftes, bleibendes Bild werden, das einen unwiederholbaren und deshalb ewigen Au-genblick widerspiegelt? Was hat Lorenzen aus dem Angebot Diekmanns gemacht?

Seine „Papst-BILD“-Bilder sind keine Bil-der aus einer vergangenen Zeit, stehen nicht in der Tradition der Papstportraits, sind keine pathosgeschwängerten barocken „Ölschinken“, wie man sie in den Sakris-teien bayerischer Pfarrkirchen vermutet. Es handelt sich vielmehr um Bilder, die die Möglichkeit des Kultbildes in Frage stellen.

Aus dem vorgefundenen Material erschafft Lorenzen kein neues Kultbild, aber er führt vor Augen, welche Eigenschaften Kultbilder im Zeitalter einer modernen Medienwelt haben müssen.

Den Zeitungstitel Wir sind Papst! verwan-delt Lorenzen in ein Plakatbild, das in Ge-staltung und Größe an eine nach und nach immer neu beklebte, überklebte, abgeris-sene und heruntergekommene Plakatwand erinnert. Die Vergänglichkeit des Kultes und die Frage nach dem Bleibenden, dem Heiligen bringt Lorenzen hier in eine wi-dersprüchliche Verbindung mit Marken und Kultobjekten, die zwar einen religiösen Hintergrund besitzen, ihren religiösen Ur-sprung – ihre religiöse Strahl- und Präge-kraft – aber verloren haben.

Die alte Dose der heilmachenden Penaten-creme hat ihren Namen von den römischen Schutzgöttern der Haushalte, der auf der Dose dargestellte Hirte lässt Christus, den guten Hirten und das Hirtenamt des Papstes assoziieren; die Klosterfrauen unter dem Spitzbogen (Klosterfrau Melissengeist) erinnern an die Erfahrung besänftigender und schmerzlindernder klösterlicher Heil-kunst, an Heil und Heilung; das Bier mit dem Ordensbruder (Franziskaner Weissbier) erzählt vom Ursprung des Bieres und der Brautradition, aber noch mehr vom klösterlichen Glück, von Zufriedenheit eines Lebens mit Gott.

Der Pilger im Kapuzenmantel mit dem Pil-gerstab in der Hand (S. Pellegrino) nimmt Bezug auf die christliche Wallfahrt des Mittelalters und lässt ebenso die Schwere irdischer Pilgerschaft und den zurückzule-genden Weg assoziieren wie die erfrischen-de, prickelnde Kraft christlichen Glaubens.

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irgendetwas zweifeln könnte; Bob Geldofs Afrika-Hilfsorganisation DAT spricht vom Willen, Ungerechtigkeit und Hunger auf der Welt zu überwinden. Das AGIP-Tankstellen-Logo lässt die römische Wölfin und den Sitz des Papstes assoziieren, das Ferrari-Pferd erinnert an den Besuch Papst Johannes Pauls II. in der Produktionsstätte der Automarke, die manchen das Heiligste überhaupt ist. Dagegen setzt Lorenzen die Öffnungszeiten der Basilika Sant’Ambrogio in Mailand. Und dann ist da noch der Name der italienischen Kirchenzeitung „Il segno“ aus dem Geburtsjahr des Künstlers, der die Frage aufkommen lässt, ob hier irgendetwas auch für mich als ein „Zeichen“ von Gott zu interpretieren sein könnte.

Die eigentliche Jahrtausendsensation ist für Lorenzen aber nicht die Papstwahl, son-dern die Ordensregel des Mönchsvaters Benedikt, dessen Namen der neue Papst gewählt hat. Aus ihr zitiert er die Worte: „Vertraulichkeit, Askese, Feststehen in der Gemeinschaft, Bete und arbeite“. Das sind Schlagzeilen, die hinter der Namenswahl Benedikts kaum wahrgenommen werden. Lorenzen formuliert den Verdacht, dass das eine, alles Verbindende, das „Wir sind“ ge-genwärtig ist, aber an der Oberfläche bleibt. Dass das Eigentliche des Wir sind Papst!, dass wir von Gott erwählt sind, nicht reflek-tiert, geschweige denn in Handlungsmaxi-men übersetzt wird.

Diese tiefer liegende Geschichte bringt die Medienwelt nicht zur Geltung, im Gegen-teil. Das ist der ambivalente Charakter der BILD-Titelseite: Einerseits unterstützt sie die Botschaft von Gott und seinem „Ar-beiter im Weinberg“, andererseits verbirgt sie die Botschaft von Gott, das, was als Zentrum der Verkündigung proklamiert

werden müsste. Die Oberfläche verdeckt den Hintergrund und stellt ihn in Frage. Jens Lorenzens Bild aber legt diesen Hin-tergrund frei und macht ihn sichtbar, ohne Partei zu ergreifen.

Dominik M. Meiering

NIVEA Madonna, 2010, Öl auf Holz, Ø 120 cm, Privatsammlung.

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Ceci n’est pas un pape Anlass dieser Feldumgrenzung ist ein Bild, von dem anfangs gar nicht die Rede sein muss, außer insofern, als es sich um ein Papstporträt handelt, oder vielmehr, da es sich um eine Serie möglicher Bilder han-delt, um eine Serie von Papstporträts, eine Feststellung, die durchaus vorläufig ist, denn es handelt sich um eine These, in der sich eine andere, grundlegendere verbirgt: dass dieses Bild nämlich nicht beliebig, sondern durchaus notwendig, nicht beiläu-fig entstanden, sondern unvermeidlich sei, dies aber nicht im Sinne der Macher jener Schlagzeile, die das Bild mitsamt der ganzen Zeitungsseite stark vergrößert zitiert und in ihrem Abblättern wiedergibt, während die Fragmente anderer medialer Erzeugnisse sie beginnen zu überwuchern, sondern der arg-losen Einsicht des Malers folgend, der diese Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit er-kannt hat.

Natürlich ist es heute nicht mehr möglich, ein Papstporträt zu malen. Zu viele Schlag-zeilen und Schnappschüsse vereinen sich zu einer medialen Unmöglichkeit. Wenn hier also doch ein Papstporträt herausgekom-men ist, dann eines, das hinter der medialen Oberfläche erahnt werden kann. Hinter der im Bild zitierten Schlagzeile aber verbirgt sich die Erinnerung an ein Bild, die, wenn sie der Absicht der Macher dieser Schlagzei-le entspräche, zugleich einen Anspruch an den Papst formulierte, den dieser von Amts wegen ablehnen müsste, auch wenn es nicht opportun ist, dies ausdrücklich zu tun. Die Schlagzeile erinnert nämlich an den LEVI-ATHAN des Thomas Hobbes, mit vollem Titel Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil (Leviathan oder Stoff, Gestalt und Macht von kirchlichem und bürgerlichem Gemeinwohl), erschienen 1651 in London,

PENATEN Messias, 2010, Öl auf Holz, Ø 120 cm, Privatsammlung.

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noch des kunsthistorischen Blicks gewür-digt, so weit ist es schon gekommen oder wenn schon nicht ganz, dann doch mehr und mehr, als werde das Original nur in der Reproduktion und nicht im geschriebenen oder gezeichneten Eindruck beglaubigt, der immer ungefähr bleibt, im Wagnis des Un-gefähren aber eine viel größere Glaubwür-digkeit besitzt als jede Abbildung, die den Weg vor das Original doch niemals ersetzen kann. Der Papst jedenfalls konnte gegen das Gemälde von Jens Lorenzen, in dem die mediale Oberfläche seiner Wirkung schon wieder in ein Abbröckeln übergeht, gewiss nichts einwenden, zumal schon das lange und überaus bilderreiche Pontifikat seines Vorgängers ihm klargemacht haben musste, dass er immer nur ein Bild von sich erhal-ten kann, das schon eine Projektion, eine mediale Konstruktion ist, wobei ich das Wort medial wieder und mit Absicht kur-siv schreibe, denn dieser Begriff leidet selbst an den Folgen der unendlichen Reprodu-zierbarkeit, die er bedeutet, er ist selbst un-endlich reproduziert und als Begriff schon fast inhaltslos geworden. Hier aber gilt er doch noch etwas, einfach das eine, dass die Vermittlung, denn das bedeutet Medialität ja zunächst einmal, sich von ihrem Gegen-stand vollständig gelöst hat, schon nur noch für sich selbst funktioniert, also auch ihren Akteuren oder Autoren entgleitet, was die BILD-Schlagzeile überzeugend belegt. Die Bilder, die der Papst hervorruft, wo er geht und steht und sich hinsetzt und wieder auf-steht und sich umdreht, sind so übermäch-tig geworden, dass selbst seine Rückenan-sicht schon viel zu abgenutzt ist, um noch eine beiläufige Authentizität zu erreichen.

Diese mediale Verfasstheit jedes Papstbildes ist eine Tatsache, auf die sich der Maler Jens Lorenzen verlassen konnte, als er für sich

daraus die Konsequenz zog, ein Papstporträt unter Zuhilfenahme einer Bildzeitungsseite zu malen – der Seitenblick auf eine Zeich-nung von Paul Wunderlich beweist dies, die den Vorgänger Benedikts XVI. zeigt, nach einem Zeitungsphoto seines letzten Er-scheinens, als er hinfällig und müde noch einmal sichtbar wurde und sein Amt ver-sah und offensichtlich nur noch mühsam versehen konnte, was diese Zeichnung wie eine Karikatur aussehen lässt, obwohl sie gar keine ist, denn sie stellt nur dar, was das Photo, das aber nicht wie eine Karikatur wirkte, schon zeigte, nämlich die am Fens-ter, halb in eine Ecke zusammengesunkene Figur des Papstes beim Murmeln eines letz-ten Segens, URBI ET ORBI. Kein Zufall ist es, dass die Zeichnung karikaturhaft

ein Buch, dessen bekanntes Titelkupfer ganz im Widerspruch zu jedem Begriff vom Papsttum steht, denn es zeigt den Souverän

als ein riesenhaft hinter dem Horizont auf-tretendes Wesen, das aus vielen Einzelnen zusammengesetzt und so aufgebaut ist, dass nur das Gemeinwohl und der Gemeinsinn es zusammenhalten. Daraus ergibt sich ein zielstrebiges Gewimmel von Leibern, das in der Verständigung über die gemeinsame Absicht die Gestalt des Souveräns zusam-menhält, aber sofort zerfiele, wäre diese gemeinsame Absicht zweifelhaft, denn der Souverän verdankt seine Herrschaft dem Einklang mit den Vielen. Das widerspricht von vornherein jener vielleicht übertriebe-nen, aber nicht wesentlich zu mildernden Vereinzelung und Einzigartigkeit des Paps-tes, jedes einzelnen Papstes, der ganz allein

Souverän ist und dies auch dann noch wäre, wenn kein anderer als er selbst übrigbliebe, denn er steht allein vor Gott, heißt es, da steht ihm niemand bei und keiner bei ihm. In der Eile des Redaktionsschlusses blieb es vielleicht unbemerkt, dass die Schlagzeile einer solchen Vorstellung von der Souve-ränität des Papstes in ihrer scheinbar guten Absicht geradezu widerspricht; vielleicht dachten die Macher der Schlagzeile auch mehr an Fußball und nicht an die Kirche von unten, als sie diese Überschrift ins Blatt setzten, WIR SIND PAPST! Jedenfalls war am Tag darauf nichts mehr zu machen, der Aufschrei war da und nicht mehr aus der Welt zu schaffen; im übrigen klang er bes-ser als die Schlagzeilen in anderen Ländern, war ja auch, soweit die Bildzeitung über-haupt etwas gut meinen kann, gut gemeint, jedenfalls kam es einer Stimmung entgegen, die alle den Kopf schütteln ließ, viele aber nicht ohne ein gewisses Einverständnis, in der Ahnung vielleicht, dass dieses Einver-ständnis gerade nicht der uneingeschränk-ten, persönlichen Souveränität des Papstes galt, an die vielleicht ohnehin fast keiner dachte, auch wenn der Papst selbst immer daran denken muss.

Dieses mediale Papstbild steht in einem bestimmten Beziehungsfeld, das vor ihm schon existierte und zunächst die Feststel-lung bestätigt, dass es von diesem Papst und von früheren Päpsten im Zeitalter der umfassenden Reproduzierbarkeit ihrer Bil-der kein eigentliches Porträt mehr geben kann, ein Bild also, das mangels Abbildung nur unmittelbar oder in mehr oder minder kostbaren Nachahmungen erfahrbar wäre. Dabei gilt die Nachahmung des Wirkli-chen heute sogar mehr als das mögliche Original, ein Ölbild wird nur unter Beigabe von Röntgen- oder Ultraviolettaufnahmen

LEVIATHAN, Thomas Hobbes

Paul Wunderlich, Johannes Paul II. (2005), Pastellzeichnung

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der Andeutung einer Jagdszene im lich-ten, aber doch firnisdunklen Wald, den er für das Bild erfand, der im Nacken etwas ausgeweitete Hermelinkragen und die Auf-schrift, die wie ein Winkeleisen links oben schwebt, PIVS XI und PONT. MAX., alles mit der geschuldeten Sorgfalt gemalt, aber eben in einer, wenn auch erfolgreich, doch nur vorgetäuschten Traditionalität, denn das Gewand kleidet den Papst nicht mit der vorgeschriebenen Vollkommenheit und der Hintergrund, der das Altmeisterliche des Handwerks noch betont, erinnert bloß an altdeutsche oder altniederländische Gemäl-de, ohne an eine bestimmte Bildtradition anzuknüpfen. Mehr ist auch gar nicht nö-tig, aber es ist aus diesem Hintergrund, an-ders als aus den Hintergründen von Porträts der Zeit um 1500, nichts über die Gemüts-

verfassung des Papstes zu entnehmen, deren Darstellung damals der Hintergrund des Bildes diente, daher auch die häufigen Fen-sterblicke, die immer einen Ausblick in die Seele des Porträtierten geben, wenn damals überhaupt das Privatporträt eines Papstes denkbar gewesen wäre, denn diese Porträts zeigten den Einzelnen in einer ganz und gar verallgemeinerbaren Vereinzelung, wie dies später nicht mehr vorkam, auch in Bildern von Rembrandt oder Velázquez nicht.

Drei Jahre nach seinem Papstbild malte Christian Schad dann jenes Porträt einer eher jungen Frau mit kurzgeschnittenen Haaren, das als einer der Höhepunkte der Sammlung in der Nationalgalerie zu Berlin hängt und übrigens auch ein Stück Waren-welt enthält, denn auf dem Caféhaustisch

Christian Schad, Sonja Christian Schad, Pius XI. (1925)

wirkt, denn sie beansprucht nicht mehr, was sie bis um 1900 beanspruchen durfte, nämlich eine Objektivität des Künstlers, die damals noch geradezu gerichtsfest war, in-dem Tatortzeichnungen von der Hand eines Künstlers als Beweismittel in Strafverfahren galten, Photographien noch nicht. Das also ist es nun, was die Zeichnung karikaturhaft wirken lässt – allgemein wird angenommen, dass sie keinen Wert als Beweismittel mehr hat, das Photo aber schon, das von der me-dialen Verfassung seines Gegenstandes aber nur scheinbar profitiert. Denn es bleibt ihm bloß, dass es nicht karikaturhaft wirkt. In allem anderen ist es zu Treibsand geworden; es hält da, wo es nur noch zur Plage gewor-den ist, kein Sandkorn mehr fest. Die Zeichnung gewinnt deshalb einen Vor-sprung vor dem photographischen Bild zurück, indem sie von diesem Bild, das ihr zugrundelag, gleichsam zurücktritt. Hinfäl-ligkeit und Müdigkeit des Papstes werden in ihr zu einer Tatsache, weil sie die mediale Verfassung der Photographie aufhebt und zum Wesentlichen zurückkehrt, das der Betrachter nun dem Zeichner nicht glau-ben möchte, obwohl er es dem Photogra-phen bedingungslos glaubte; dem Zeichner, nicht dem Photographen, unterstellt er eine Meinung, die dieser aber nur insoweit hat, als seine Hand und sein Auge eine Meinung haben, was angesichts der Gefahr, sich mei-nend zu verzeichnen, doch ganz unwahr-scheinlich ist. Die Zeichnung Paul Wunderlichs nach einem beliebigen aus einer Vielzahl gleichzeitig entstandener und gleichzeitig reproduzierter und gedruckter Photos bildet die Unmöglichkeit eines unmittelbaren, nicht medialen Papstbildes ebenso ab wie die gemalte Collage Jens Lorenzens. Auch zu Wunderlichs Zeichnung lässt sich eine Schlagzeile ergänzen, aber sicher nicht

jene, die Lorenzen zitiert, denn seine Hinfälligkeit und Müdigkeit wollte keiner mit dem Vorgänger Benedikts XVI. mehr teilen, daher auch die Empörung darüber, dass man ihm noch einmal zugemutet habe – gegen den Willen seiner medialen Umgebung, wenn nicht seiner nächsten – was er vermutlich selber wollte.

Die Überformung des Papstbildes durch eine mediale Wirklichkeit machte lange vor solchen Zuspitzungen, die dem Maler nicht einmal den scheinbaren Rückgriff auf die Tradition mehr lassen, jenes Porträt sicht-bar, das Christian Schad 1925 von Papst Pius XI. malte, ein Bild, das allem Anschein nach die jahrhundertelange, aber erst seit dem 15. Jahrhundert verwirklichte Tra-dition des Papstbildnisses respektierte, als gleichsam altmeisterliches Bildnis, das aber mit seinem dunklen, nachgealterten Hin-tergrund und der sorgfältigen Behandlung der Kleiderstoffe in Wirklichkeit nicht mehr der Tradition verpflichtet, sondern schon auf die Möglichkeit hin gemalt war, auf dem Titel illustrierter Zeitschriften repro-duziert zu werden, deren Photos den Ma-ler überhaupt auf die Idee gebracht haben dürften, dieses Modell, den, wie man sagt, charaktervollen Kopf zu malen, in mehreren Sitzungen in Rom, bei denen zunächst das Hindernis zu beseitigen war, dass das Ate-lier des Malers sich im Haus einer in wilder Ehe lebenden Frau befand; aber dafür fand sich eine Lösung; denn er, der evangelische Maler aus Aschaffenburg, malte dieses Bild, noch ehe er weitere und ganz andere, aber nur oberflächlich gesehen andere Bilder malte, von Huren und Lebemännern, de-ren Oberflächen ihn interessierten, so wie beim Papstporträt das gebildete Antlitz, dem er eine photographische Beleuchtung gab, dann der golddunkle Hintergrund mit

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dem Eindruck dieses Gemäldes sah und unwillkürlich mit diesem verglich, an dem mich besonders das Lachen oder vielmehr das Gelächter anzog, das Bacons Figur un-unterbrochen erfasst, als könne sie damit gar nicht aufhören oder als sei es ihrem Gesicht aufgesetzt wie eine Maske, jeden-falls scheint die Figur in manchen Bildern sitzend in sich selbst zurückzuweichen, be-sonders dann, wenn dieses Lachen ins Spiel kommt, das mit Velázquez natürlich gar nichts zu tun hat, auch nicht mit irgendei-ner Tradition, denn ein Papst lacht nicht, das sagen alle Bilder, die früher von Päpsten gemalt wurden, wobei wir dies im Zeital-ter der Photographie natürlich besser wis-sen; auch Päpste lachen oder lächeln oder schmunzeln. Entsprechende Bilder werden sofort unendlich oft reproduziert, was bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts schlicht unmöglich gewesen wäre, denn das Zu-standekommen solcher Photos hat mit der Entwicklung der Kleinbildkamera und klei-neren Verschlusszeiten zu tun, also mit dem technischen Fortschritt. Früher war es ein-fach eine Konvention, den Papst nicht la-chend zu zeichnen, zumal er ohnehin nicht lachte, wenn er sich zeichnen ließ. Wäre er lachend gezeichnet worden, dann hätte der Reproduktion dieser Zeichnung eine mehr-fache Konvention im Weg gestanden, gera-de bei den Feinden des Papstes, die einen lachenden Papst so wenig brauchen konn-ten wie seine treuen Verehrer, wenn die-se auch das Lächeln oder das Lachen zum Beispiel von Pius IX., der Papst war, als die Photographie sich bereits gegen die Malerei in ihrer medialen Objektivität zu behaup-ten begann, gern in ihrer Erinnerung aufbe-wahrten. Dem Gedächtnis, einem allgemei-nen Bildgedächtnis, ist ein solches Lachen aber erst im 20. Jahrhundert überantwortet worden, und zwar ganz ausdrücklich und

absichtlich von Johannes XXIII., der seinen eigenen Namen schon mit einem Lächeln wählte und überhaupt auf den meisten Bil-dern zu lächeln scheint oder geradezu lacht, die von ihm in Erinnerung geblieben sind. Bacons Papst aber lacht anders, schon über-haupt, weil dieses Lachen gemalt und nicht durch den scheinbar objektiven Bericht der Kamera beglaubigt ist; während das Lachen Johannes XXIII. von innen zu kommen scheint, setzt sich das Lachen Bacons wie eine durchsichtige Gespensterhand auf das Gesicht des Papstes, den Velázquez ohne dieses von Bacon hinzugefügte Lachen ge-malt hat. Vielleicht ist dieses Lachen Bacons auch ein Lachen des Malers selbst, aber das ist eine Zuschreibung, die der Gespenstig-keit des Vorgangs widerspricht, denn erst das Malen oder die Malerei erzeugen dieses auf das Gesicht des Papstes sich verkrampfen-de, aus dem Nichts in den Käfig des Bildes eindringende Lachen, vor dem er in seinen Thron, aus dem aufzustehen ihn die Hand dieses Lachens hindert, zurückweicht, ein Lachen, das ewig dauert, so lange jedenfalls, als das Gemälde noch vorhanden ist.

Damals wie heute fasziniert mich diese Vor-stellung, dass da aus der Tiefe des Bildes oder vielmehr aus einer unsichtbaren obers-ten Malschicht ein im übrigen ganz tonlo-ses Lachen sich auf das Gesicht einer Figur legt, die sich von Velázquez malen ließ, ohne von diesem Lachen schon zu wissen, das in manchen Bildern nur als Erschre-cken übrigblieb oder in diesem Schrecken schon ahnbar wird, wobei letzteres wahr-scheinlicher ist, denn vom Erschrecken zum Lachen ist ein kurzer Weg in der Vorstel-lungskraft des Malers, umgekehrt wäre es ein langer gewesen, nehme ich an, also sehe ich zuerst die Bilder, in denen der Papst sich zu erschrecken scheint, danach aber die, in

liegt eine Packung Camel-Zigaretten, das Markenzeichen ist deutlich erkennbar, nur hält Sonja in ihrer rechten Hand eine lange Zigarettenspitze, ach ja, denke ich, damals wurden ägyptische Zigaretten noch so ge-raucht, stilvoll, die Marke der Champag-nerflasche im Hintergrund erkennt man nicht, was aber, je nach Charakter des Lo-kals, auch besser so sein dürfte. Dieses Bild konnte der Papst noch nicht kennen, auch die anderen nicht, die Schad noch malen würde, doch musste er sich über die Abwei-chungen von der Regel, den Bruch mit der Tradition klar sein, der in seinem Porträt sichtbar wurde, nur einwenden konnte er dagegen schon nichts mehr, denn sein Bild war längst frei verfügbar, seit es nicht mehr zum Auftrag an Auge und Hand des Künst-lers gemacht und damit geschützt werden konnte, denn auch der Künstler war im Herangehen an seine Aufgabe nicht mehr frei gegenüber der Banalität der vervielfäl-tigten Bilder, musste sie vielmehr einbezie-hen und vorläufig übertreffen, um sein Bild des Papstes überhaupt sichtbar zu machen.

In einer Ausstellung wären die Bilder Chris-tian Schads in einiger Entfernung zu de-nen Jens Lorenzens zu zeigen, die wie auf einem Feld freistehen müssten, über Eck dazu, in einer durchaus vertraulichen Nähe, die Zeichnung von Wunderlich – halb in seinem Rücken befände sich ein weiteres, unbedingt zu zeigendes Bild, auf der dem Bild von Wunderlich abgewandten Seite, mit gehörigem Abstand, um die Differenz zum Papstbild von Lorenzen nicht zu un-terschlagen, nämlich ein Bild aus jener Serie von Papstbildern Francis Bacons, die gleich-sam alle früheren, längst vergessenen Päpste in Gestalt des einen, von Velázquez porträ-tierten Papstes zeigen. Nicht Velázquez oder eines seiner Papstbilder selbst aber regten

Bacon zu seinem Papstbild an, sondern ein Zeitschriften- oder Zeitungsausschnitt, der eines dieser Papstporträts zeigte und den Bacon zum Malen seines Bildes und dann einer ganzen Serie von Bildern zunächst benutzte, ohne sich für das ursprüngliche Werk schon zu interessieren, was nicht heißt, dass er es abgestritten hätte, je einen Velázquez im Original gesehen zu haben, aber damals sah er sich eben keinen an, da ihm die schwarzweiße Abbildung genügte, zu der er den Purpur oder eher das Violett eines klerikalen Gewandes ohne weitere Anschauung ergänzen konnte, da sie ganz selbstverständlich auch in der Schwarzweiß-abbildung vorhanden waren.

Ich habe eines dieser Bilder vor langer Zeit zum ersten Mal gesehen, es war überhaupt das erste moderne Gemälde, das ich be-wusst ansah und das sich mir denn auch tief einprägte, 1974 in London, so dass ich im übrigen auch alle Papstbilder immer unter

Francis Bacon, Innozenz X. nach Velázquez

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Wirkung entfaltet haben, konnten dies nur tun, weil sie trotz ihrer Verbreitung als klei-ne, in Gesangs- und Gebetbücher passende Kupferstiche oder mehrfarbige, von vorne-herein kitschige Andachtsbildchen im We-sentlichen nicht reproduziert wurden oder wenn, dann in sorgfältigen Kopien, dass ihre Verbreitung also in den Köpfen andächtiger Betrachter und nicht als Bildschirmschoner geschah, eine Wirkung, die auch Max Ernsts Gemälde behält, aus dessen Umkehrung sich ein Madonnenbild im Sinne der Kir-che desto sicherer ergibt, als jeder Versuch, eines zu malen, in den Kitsch einmündet.

Ein weiteres Bild sollte in dieser kleinen, distanzwahrenden Ausstellung noch zu se-hen sein, aber hier genügt es, eine beliebi-ge, vielleicht überhaupt eine schwarzweiße Reproduktion auszustellen, vielleicht die vergrößerte Photographie nach einem al-ten Katalog: Ceci n’est pas une pipe, das Bild von Magritte, der ein Meister medialer Durchbrechungen war und Bilder geschaf-fen hat, die alles beschreiben, was die heu-tige Medienkunst mit viel umständlicheren, technischen Mitteln auch zu beschreiben versucht, was nicht heißt, dass sie dies nicht tun sollte, denn die Mittel Magrittes stan-den nur ihm zur Verfügung, schon seinen Zeitgenossen nur bedingt, sie zu nutzen zwänge zum Plagiat, aber daran zu erinnern, wie reproduzierbar seine Bilder sind, das ist schon richtig, deshalb hier die Photokopie.

Warum aber Magritte?Jens Lorenzen hat vor seinen Papstbildern ein anderes Bild gemalt, auf dem ein Wort stand – Bild, aber als Zitat aus dem Zei-tungskopf, weiß auf rot, wandfüllend, eine Aussage, die so eindeutig ist, dass der Be-trachter ihr unwillkürlich misstraute, also das Bild gerade deshalb erst nicht für ein

Bild hielt, weil Bild draufstand, um schließ-lich zu erkennen, dass er im Irrtum war: a rose is a rose is a rose, das ist nunmal so. Dieses Bild scheint durch die Papstbilder gleichsam durch, als Erinnerung daran, dass ein Bild nie das ist, was es abbildet, also weder eine Pfeife noch eine Zeitung, auch wenn es verständlich ist, wenn die Bildzei-tung sich geschmeichelt fühlte.

So könnte unter den Papstbildern Jens Lo-renzens auch stehen: Ceci n’est pas un pape. Hier keine Pfeife, dort kein Papst. Denn den Papst malen heißt heute, keinen Papst zu malen, sondern die Oberfläche, in der er verschwindet. Deshalb ist Jens Lorenzens Bild ein Papstporträt.

G.H.H

denen ein Lachen sich auf sein Gesicht setzt wie ein Krake, wobei es dann ein Leichtes war, noch einmal ein Bild des Erschreckens zu malen und überhaupt das Thema zu va-riieren, bis andere Motive es verdrängten und für Bacon erledigten, aber nicht für den Betrachter, der bei Bacon immer zu-erst an diese Papstbilder denkt, gegenüber denen jeder Versuch, heute einen Veláz-quez zu malen, sinnlos erscheinen muss.

Das Papstbild Bacons, der Einfachheit halber sage ich nicht, die Serie von Bildern, dieses Papstbild kann immer nur in einem Sicher-heitsabstand zu den Bildern gezeigt werden, die von dem jeweils lebenden Papst gemacht oder gemalt werden, denn niemals wird ein Papst ein solches Bild als universelles und jeder Individualisierung enthobenes Bild seines Amtes akzeptieren können, vielmehr wird er sich stets gegen dieses Bild stemmen und zeigen müssen, dass es sich mit seinem Papsttum anders und vielleicht genau um-gekehrt verhält, dass Bacon in seinem Bild also etwas erfunden hat, das es gar nicht gibt, das Bild des Papstes schlechthin, gegen das kein Bild eines Lebenden sich behauptet.

Seit Johannes XXIII. lachen alle Päpste bei Gelegenheit, so dass es immer schwieriger wird, in Bacons Bild die reine Erfindung, die reine Bildhaftigkeit noch zu erkennen, die in späteren Bildern, seiner Kreuzigung zum Beispiel, noch ohne weiteres erkannt

wird. Auch sie gehörte in den Raum, der das Feld um das Papstbild von Jens Lorenzen ab-bilden soll, an die Längsseite, gegenüber der Zeichnung von Wunderlich, neben die je-nes Madonnenbild von Max Ernst gehängt werden könnte, das keines ist, von 1926, ein Jahr nach dem Papstporträt von Christi-an Schad gemalt: Die Jungfrau verhaut den Menschensohn vor drei Zeugen – wobei es eine Anekdote zu diesem Bild gibt, die sich auf die Kindheit des Malers bezieht, aber hier nicht erzählt werden soll, denn sie wür-de erklären, was nicht erklärbar ist, nämlich die Tatsache, dass dieses Bild stärker an eine verlorene Möglichkeit erinnert, nämlich unbefangen ein Marienbild zu malen, als je-des andere und spätere Bild, das ich kenne. Denn alle Marienbilder, die eine besondere

Max Ernst, Madonna verhaut den Jesusknaben

Magritte, Ceci n’est pas une pipe

Francis Bacon, Die Kreuzigung

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Papst-BILD Button I, 2010, Öl auf Druckplatten/Holz, Ø 120 cm, Privatsammlung.Die Druckplatten stammen von der BILD-Ausgabe am 15. April 2010.

Papst-BILD Button II, 2010, Öl auf Druckplatten/Holz, Ø 120 cm, Privatsammlung.Die Druckplatten stammen von der BILD-Ausgabe am 15. April 2010.

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Plain Dealer Papst-BILD, 2008, Öl auf Druckplatten, Holz, 116 x 119 cm, Privatsammlung. Die Druckplatten stammen von der BILD-Ausgabe am 20. April 2005.

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Mut zur Demut Ein Verleger soll seinen Autoren dienen und dafür sorgen, dass inhaltlich und hand-werklich gute Bücher entstehen und ihre Leser finden. Selbst als Autor in Erschei-nung treten sollte er in den Büchern des eigenen Verlags nicht. Diese Maxime habe ich von meinem Vater, Großvater und de-ren Vorgängern übernommen und bis jetzt zumeist beherzigt. An dieser Stelle mache ich eine Ausnahme von dieser Regel, weil sich 2005 etwas höchst Erstaunliches, et-was geradezu Wunderbares ereignet hat – eine glückliche Fügung, die mich bis heu-te ergriffen macht, die ich sozusagen aus der zweiten Reihe miterleben durfte: Der Deutsche Joseph Ratzinger wurde Papst!Nach dem Wunder von Bern, das Deutsch-land 1954 in sportlicher Hinsicht zurück in die Weltgemeinschaft brachte, nach dem Fall der Berliner Mauer, der für uns alle das Ende der Nachkriegszeit bedeutete, ließ nun die Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst keinen Deutschen unberührt. Jeder weiß noch heute, was er in genau diesem Moment tat, als in Rom der weiße Rauch aufstieg und die Meldung über die Ticker, die Radios und über das Fernsehen verbrei-tet wurde. Ich stand damals auf dem Pe-tersplatz und trug in meiner Manteltasche das soeben fertig gewordene Buch von Jo-seph Ratzinger, „Werte in Zeiten des Um-bruchs“, in der Tasche. Joseph Ratzinger ist unserem Hause seit 55 Jahren als Autor verbunden, seinen ersten Verlagsvertrag schloss er mit uns am 6. November 1956.

Wir sind Papst! Mit ihrer Überschrift hat BILD den Stolz der Deutschen am Tag der Wahl und danach auf den Punkt ge-bracht. Es war ein Glücksgefühl, ein tri-umphales Gefühl, zweifelsohne, aber es ist schnell wieder verebbt. Was ist geblieben?Schon beim ersten Betrachten der Wer-

ke von Jens Lorenzen hat mir ein Objekt besonders gut gefallen, die Plain Dealer Papst-BILD Säule von 2008. Vor gut 150 Jahren hat Erich Litfaß in Berlin die welt-weit ersten Werbesäulen, die Litfaßsäulen, aufgestellt. Eine geniale Idee: Werbung, die man von allen Seiten sehen kann. Aber – und das machen die drei Fotos in die-sem Katalog deutlich – von wo man auch schaut, man sieht nur einen Teil des Bil-des, vielleicht ein gutes Drittel, und das auch nur in perspektivischer Krümmung.

Erneut sehen wir auf dieser Säule die be-kannte BILD-Überschrift Wir sind Papst! Doch im Vordergrund steht eine andere Ta-geszeitung: The Plain Dealer aus Cleveland, Ohio, einer der bekanntesten amerikani-schen Industriestädte. Ähnliche Titelseiten gab es an dem Tag unzählige, warum also hat Jens Lorenzen diese gewählt? Plain Dea-ler steht für jemanden, der offen und ehr-lich handelt, jemand, dessen Handeln mit seinen Worten übereinstimmt. So zitierte der Plain Dealer am 20. April 2005 Worte, die Benedikt XVI. eine gute halbe Stunde

nach seiner Wahl den Menschen auf dem Petersplatz und in aller Welt zugerufen hat: er sei ein einfacher und bescheidener Arbei-ter, „simple, humble worker“. Das englische Wort humble bedeutet be-scheiden, einfach und – darauf kommt es hier vor allem an – demütig.Demut ist eine Tugend, die unzeitge-mäß erscheint, die aber in diesem Jahr-hundert wieder wichtiger werden wird. Viele andere Tugenden und Werte sindebenfalls von größter Bedeutung in unserer

globalen Welt: Frieden, Gerechtigkeit, Wahr-haftigkeit, Freiheit, gegenseitige Achtung.

Aber die im 20. Jahrhundert politisch, wirt-schaftlich, militärisch überlegene westliche Welt muss diese Werte unter dem Vorzei-chen der Demut neu fassen, sonst wird die Verständigung mit den neuen Supermäch-ten China und Indien ebenso wenig gelin-gen wie die ökologische Sanierung unseres Planeten und die Linderung von Hunger, Elend und Bürgerkrieg in den benachteilig-ten Winkeln unserer Erde.

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Wenn wir die europäische und amerika-nische Geschichte der letzten 250 Jahre kritisch betrachten, so lassen sich – neben großen Errungenschaften in Demokra-tie, Technik und Wissenschaft – einige bedenkliche Grundzüge ausmachen. Mir geht es hier um die folgenden Stichworte: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt – ökonomisch und ökologisch. Es wird oft mehr Wert gelegt auf materielle Güter, die ein Mensch besitzt, als auf seine seelische Größe, seine geistigen Vermögen oder seine alltägliche Menschlichkeit. Wir sind in vielen Fragen hochmütig, ja vielleicht auch übermütig. Immer größer, schneller und weiter soll alles sein. Während immer höhere Skyscraper gebaut werden, oftmals mit zweifelhaften Aktien unsolide finanziert, verspricht uns die bunte Werbe-welt das Blaue vom Himmel herunter. Und wer nicht auf Teufel komm raus expandiert, wird als kleinerer Fisch von einem größeren gefressen. Als die Brüder Grimm vor rund zweihundert Jahren das Märchen vom Fi-scher und seiner Frau aufschrieben, war dies gewissermaßen ein Kommentar zu einer neuen nachrevolutionären Geisteshaltung und zur beginnenden Industrialisierung. Seitdem hat sich unser Leben grundlegend verändert und zum großen Teil auch verbes-sert, aber nach ethischem Verständnis sind wir in so mancher Hinsicht auf der Stelle getreten. Nicht nur ökonomisch und po-litisch, auch moralisch neigen wir zu einer doppelten Buchführung. Der double dealer setzt sich durch und belächelt den einfälti-gen plain dealer. In dieser Situation brauchen wir den Mut zur Demut. Die schönste Beschreibung der Demut, die ich kenne, stammt vom Kölner Phänome-nologen Max Scheler. Er schrieb 1919 in „Vom Umsturz der Werte“:

„Von den neuen Haltungen des Gemüts, welche die Erscheinung Christi hervor-gebracht und mit dem Glanze göttlicher Glorie umkleidet hat, ist die Demut die-jenige, die – recht gesehen und verstanden – sowohl gegenüber der antiken als der modern-bürgerlichen Tugendhaltung die tiefste Paradoxie und die stärkste Antithese verkörpert. Die Demut ist die zarteste, die verborgenste und die schönste der christli-chen Tugenden.“

Das lateinische Wort, das später mit Demut übersetzt wurde, ist humilitas. Es hat diesel-be Wurzel wie humus, Erde. In der Demut zeigt sich eine Erdverbundenheit, und zwar in zweifacher Hinsicht. Ganz unmittelbar, im Hier und Jetzt sind wir auf der Erde. Hier stehen wir und können nicht anders. Ein Aphorismus aus Kafkas „Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg“ lautet: „Das Glück begreifen, daß der Boden, auf dem du stehst, nicht größer sein kann, als die zwei Füße ihn bedecken.“ Aus Erde sind wir geschaffen, zu Erde wer-den wir wieder werden: Erde zu Erde, Staub zu Staub. Es ist die Endlichkeit und Sterb-lichkeit unserer Existenz, die humilitas ver-langt. Der Tag im Jahr, der uns dieses zu Bewusstsein bringt, ist der Aschermittwoch. Hier tritt man vor seinen Gemeindepfarrer, erhält ein Kreuz aus Asche auf sein Haupt, verbunden mit dem Satz: „Aus Staub bist du, zu Staub wirst du.“

Demut im 21. Jahrhundert bedeutet für mich nicht unmündige Demut, blindes Gottvertrauen, Unterwürfigkeit. Vielmehr ist Demut Ziel und Moment der Selbster-kenntnis. Und zur Selbsterkenntnis gelangt ein Mensch, wenn er weiß, dass letztlich all sein Wissen und all sein Können nich-

tig sind und dass seine Existenz zugleich in einer ganz anderen Dimension steht. Glau-ben und Wissen nicht als Gegensätze zu fassen, sondern als untrennbar ineinander verbunden zu verstehen: Auch das ist eine Weise der Demut.

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Es ist richtungs- und zukunftsweisend, dass sich der große Theologe Joseph Ratzinger unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst als einen einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn bezeichnete. Jens Lorenzen hat uns einen Aspekt dieses Weinberges ansichtig gemacht: der Papst in einer Welt, in der die Aufmerksamkeit des Menschen von Wer-bung für Produkte und Marken umgarnt wird, eine Welt, in der unhaltbare Verspre-chen und materielle Verheißungen an der Tagesordnung sind – unsere Welt. Und zu ihr gehört seit dem 19. April 2005 Papst Benedikt XVI., der in Demut über das Schönste spricht und schreibt, was unsere Welt zu bieten hat: das Wesentliche. Manuel Herder

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Jens Lorenzen seit 1991 freischaffend in Berlin tätig Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland

1985–91 Studium der Malerei bei Prof. Hermann Albert (HBK-Braunschweig)

1981–83 nach dem Abitur Ausbildung zum Tischlergesellen

1978–79 Austauschjahr in Cleveland/Ohio, USA

1961 in Schleswig geboren

Sammlungen

Commerzbank, BerlinSiegwerk Druckfarben, SiegburgVolkswagen Bank, BraunschweigNorddeutsche Landesbank, HannoverAxel Springer Verlag, BerlinSammlung Schamong, KölnSUPER-Verlag, Sammlung BurdaSammlung Nobel, Schweiz

Weitere Informationen unter www.jens-lorenzen.com

Im Atelier, Juni 2007.

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In der Druckwerkstatt Kulturwerk GmbH, März 2010.

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Jens Lorenzen und Papst Benedikt XVI.