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Paradies

Paradies - Natuerlich Online · land, der vom Vogt eingesetzt wurde, be-sorgte die Reinigung dieses Rechens. Und dieser Welschenhans hauste beim Seeloch und verlieh dem Ort seinen

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Wanderung NATUR

Die Sonne brennt vom Himmel.Im Gras unten steht die Hitze,Feldgrillen zirpen und die Luftduftet nach Mittelmeer. Es

lohnt sich, sich ein Weilchen hinzuset-zen, mitten auf den Weg, weil hier imNaturschutzgebiet Latschgetweid das

Sitzen in der Wiese verboten ist. DieWiese ist voller Bewegung über den Hal-men: Schachbrettfalter gaukeln über dieWiese, tauchen gelegentlich ab in diePflanzenstängel. Da erklimmt eine Spinneeinen Grashalm, ein Käfer brummt vor-bei. Dazwischen einzelne bunte Farbtup-

fer: Witwen- und Flockenblumen sowieSonnenröschen leuchten aus dem Grün.

Das Schutzgebiet Latschgetweid imLaufental ist ein ganz besonderes Juwel –klein, aber fein. Es ist mit seinen 3,3 Hekt-aren einer der letzten Reste einer Halb-trockenwiese, wie sie einst im Jura verbrei-

für SchachbrettfalterEs ist klein, aber fein und ist nicht weit von Basel entfernt:

Das Naturschutzgebiet Latschgetweid ist ein eigentliches Juwel. Es ist eine

Oase für Schmetterlinge, die in der restlichen Schweiz bedroht sind

Text und Fotos: Peter Rüegg

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tet war. Anders als im Wallis, wo es echteTrockenwiesen gibt, fällt im Jura mehr Nie-derschlag, was die Zusammensetzung derPflanzenarten stark beeinflusst. Währendin den steppenähnlichen Trockengebietendes Wallis das Federgras dominiert, istauf einem Halbtrockenrasen die AufrechteTrespe (Bromus erectus) die Grasartschlechthin. Heute aber, in Zeiten industri-eller Landwirtschaft, haben solche ertrags-armen Magerwiesen nur noch selten Platz.

Allmend und ViehweideSolche Oasen für Gräser und Schmetter-linge verdanken ihre Existenz dem Ent-stehen von Kulturlandschaften. Früh be-gannen Menschen damit, Wald zu rodenund Land urbar zu machen. Bereits zwi-schen dem 12. und 14. Jahrhundert ha-ben sie das heutige Gebiet der Latschget-weid gerodet und jahrhundertelang alsViehweide genutzt. Bis gegen 1930 dientedie Weide der Gemeinde Himmelried SOals Allmend, dann wurde die Landwirt-schaft intensiviert.

Rund herum düngten Bauern ihre ma-geren Weiden und Wiesen, um mehr Futterfür ihr Vieh zu erhalten. So blieb von denartenreichen Halbtrockenwiesen bald nurnoch ein kläglicher Rest – eben die Latsch-getweid – übrig. Ein Glück, dass sich keinBauer mehr für die steile Hanglage interes-sierte. Pech aber, dass das Land nach derAufgabe der Nutzung schnell vergandete.

Schwarzdorn und Föhre, beide schnell-wüchsig an dieser Südlage, überwuchertendie magere Weide.

Schon fast zu spätDer Schutz kam beinahe zu spät. Erst1972, als die ehemalige Weide bereits zu70 Prozent mit Büschen überwuchertwar, stellte die Gemeinde Himmelried dasGebiet unter Naturschutz. Doch da wardie biologische Vielfalt schon zu einemgrossen Teil verdrängt worden und ver-schwunden.

Schliesslich nahm Pro Natura das Heftin die Hand. Die Naturschutzorganisationunterzeichnete noch im gleichen Jahr mitder Gemeinde einen Dienstbarkeitsvertragund begann, die Weide zu entbuschen undregelmässig zu mähen. Ein ausgeklügeltesMähregime, bei dem nicht jedes Jahr dieganze Fläche gemäht wird, hilft heute, dieVielfalt an Pflanzen und Tieren zu erhalten.Das bestätigt die Erfolgskontrolle einesÖkobüros: 48 Tagfalterarten lebten 2004auf der relativ kleinen Fläche der Latsch-getweid; 14 der dort gefundenen Schmet-terlinge sind gesamtschweizerisch bedroht.Zudem zählten die Biologen 16 Arten vonOrchideen, darunter Pyramidenorchis, ver-schiedene Ragwurzarten oder dasZweiblättrige Breitkölbchen. Auch Kreuz-kraut und Natternkopf, Schwalbenwurzund Büschel-Glockenblume haben sichwieder ausbreiten können.

Felswände mit WappenWill man die Latschgetweid besuchen,nimmt man am besten Grellingen imLaufental als Ausgangspunkt. Vom Bahn-hof führt der Weg in Fahrtrichtung Delé-mont, überquert 150 Meter nach demBahnhof die Bahnschienen und ziehtsich links der Geleise durch ein Wohn-quartier der Bahnlinie entlang. DemHangfuss entlang geht es dann – rechter-hand die Bahn, linkerhand ein Gebüsch-gürtel – bis zum Chessiloch. Mit seinenmarkanten Brücken über die Birs ist esnicht zu verfehlen.

Im Chessiloch waren in beiden Welt-kriegen Grenzsoldaten stationiert. Sie hat-ten die beiden Eisenbahnbrücken zu bewa-chen, denn die Eisenbahnlinie durchs Talder Birs galt als strategisch wichtig. Rund60 verschiedene Einheiten absolviertenhier ihren Dienst, und die Mitglieder dieserEinheiten begannen – aus Langeweile? –die bestehenden Felswände und Felsvor-sprünge mit Wappen und symbolischenFiguren zu bemalen. So entstandenwährend dieser Zeit rund 60 gemalte oderin Stein gehauene Denkzeichen. Über Jahre

Infos LatschgetweidBeste Wanderzeit: Frühjahr und Frühsommer.

Ausrüstung: Leichte Trekkingschuhe, Feld-

stecher, Lupe sowie Bestimmungsliteratur für

Pflanzen und Insekten; Landeskarte 1:25 000,

Blatt 1067, Arlesheim, und Blatt 1087, Pass-

wang.

Anreise: Von Basel oder Delémont mit den

SBB nach Grellingen. Ab Seewen per Postauto

nach Grellingen.

Zeitaufwand: Ein Tag

Schutzstatus Latschgetweid: Das Gebiet steht

seit 1988 unter kantonalem Naturschutz.

Pro-Natura-Engagement: Pro Natura hat einen

Dienstbarkeitsvertrag über 3,3 Hektaren

Magerwiesen.

Verhalten im Schutzgebiet: Markierte Wege

nicht verlassen. Keine Pflanzen ausreissen

oder Tiere sammeln. Hunde an der Leine

führen. Keine Feuer entfachen. Sperrzone bei

Betrieb des Schiessstandes im Schutzgebiet

beachten.

Knabenkrautund Wolfsmilch

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hinweg, insbesondere während des Zwei-ten Weltkrieges und bei den jüngstenpolitischen Auseinandersetzungen umdie Zukunft des Laufentals, wurde derWappenfels mit weiteren Malereien er-weitert oder teilweise die bestehendenWappen übermalt.

MilitärhistorischesKulturdenkmalNach dem Kriegsende im Jahre 1918wurden die beweglichen Wappensteinenach Bern ins Depot des HistorischenMuseums gebracht. Nachdem die Laufen-taler im Hinblick auf eine geplante Erin-nerungsfeier des Kriegsbeginns von 1914interveniert hatten, wurden 1934 dieWappensteine an Ort und Stelle wiederaufgestellt. Die Gesamtanlage wurde fürdie Erinnerungsfeier neu gestaltet undrenoviert. Seither messen sich die Schüt-zen am jährlichen Chessilochschiessenund erinnern damit an den Réduit-Gedanken und die Behauptung der natio-nalen Eigenheit.

Heute sieht man neben Kantonswap-pen und Emblemen der diensttuendenEinheiten auf den Steinen auch Land-schaften, das Kloster St. Gallen sowieFiguren aus der schweizerischen Mytho-logie: Wilhelm Tell, Helvetia und Wach-soldat. Daneben sind auch Skulpturenvon General Wille, Oberst Sprecher undvon Generalstabschef De Loys geschaffenworden. In ihrer Art ist die Wappenfels-anlage Chessiloch einzigartig und gehörtzu den bedeutendsten militärhistorischenKulturdenkmälern. Das Chessiloch stehtheute unter Denkmalschutz.

Kaltes, wildromantisches TalWem beim Gedanken an einstige kriege-rische Bedrohungen ein Schauer überden Rücken jagt, dem wird beim Einbie-gen in das Chaltbrunnental noch kälter.Der Name des Tals übertreibt nicht: Esist wirklich schattig und kühl hier, be-sonders an einem warmen Tag. Entlangdes Ibachs schlängelt sich der Weg, mallinks vom Ufer und mal rechts, mal aufSolothurner Boden und mal auf Basel-bieter Grund. Felsbrocken liegen in derSchlucht und verleihen dem Chaltbrun-nental einen wildromantischen Charak-ter. Nach zwei Kilometern führt ein Fahr-strässchen zum Weiler Steffen. Wo derWald aufhört, zweigt man scharf nach

rechts ab. Dieser Weg führt wieder inden Wald und verzweigt sich dann nachwenigen hundert Metern. Dort geht esnach links über die offene Wiese Rich-tung Steffen.

Von da ist es ein Katzensprung zurLatschgetweid. Vom Weiler Steffen führtein Fussweg hinab in ein kleines Tal zurStrasse nach Nunningen. In einer Spitz-kehre zweigt diese nach Himmelried ab;von dort geht es rund 100 Meter weiter inRichtung Nunningen. Ein Kiesweg führtlinks zu einer alten Fabrik; der Einstiegdazu ist nicht ganz einfach zu finden. DieFabrik lässt man links liegen, denn nachrechts zieht sich der Trampelpfad hang-aufwärts durch das Schutzgebiet.

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Blühender Bärlauch

Im Chessiloch waren in den beidenWeltkriegen Soldaten stationiert,

die der Nachwelt zahlreicheSkulpturen hinterlassen haben.

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Wanderung NATUR

Kleines Stück WunderweltFast tragisch kurz ist das Stück durchdiese Wiesenwunderwelt. An der Strassenach Himmelried geht sie abrupt zuEnde, hier geht es 500 Meter bis zur Orts-mitte. Links an der Kirche vorbei, undwieder links bei der nächsten Weggabe-lung, wandert man durch einen Buchen-wald den Hang hinauf. Auf dem höchstenPunkt, auf 740 Meter Höhe, wendet sichder Wanderweg um 180 Grad um einenmarkanten Felskopf mitten im Wald. Da-nach verläuft der Weg durch Wiesen –durch ertragreiche und artenarme wohl-verstanden. Nach einigen hundert Me-tern hört der Weg auf, und nur einschmaler Trampelpfad fällt im rechtenWinkel zum Waldrand hin ab bis zumAusflugsrestaurant Eigen. Vor der Gast-stätte geht es nach rechts, der Fulnau zu,nachher hält man sich nach links. Dort,wo der Weg auf die Strasse nach Seewentrifft, zweigt rechts der Fussweg zu die-sem Ort ab. Welschhans heisst dieserLandschaftsfleck – und das mit Grund.

Angefangen hat alles mit einem Berg-sturz, der in prähistorischer Zeit den See-bach staute und den Seewener See entste-hen liess. Dieser war eine Brutstätte fürMücken und daher den Menschen eherlästig. Schon im 15. Jahrhundert versuch-ten sie, den See trockenzulegen; gelungenist es erst im Jahr 1588. Ein über 200 Me-ter langer Stollen sollte helfen, das Wasserabzuführen, und ein Rechen sorgte dafür,

dass keine grossen Gegenstände den Tun-nel verstopften. Hans aus dem Welsch-land, der vom Vogt eingesetzt wurde, be-sorgte die Reinigung dieses Rechens. Unddieser Welschenhans hauste beim Seelochund verlieh dem Ort seinen Namen.

Seebach als AbflussrinneAusser der Ebene erinnert heute nichtmehr viel an den einstigen Sumpf und dieWasserfläche. Ein Bauer donnert mit sei-nem Riesentraktor über die Matten undbringt Heu ein. Hie und da ragt einSchacht zur Grasnarbe heraus – er ist Teildes Drainagesystems, welches 1919 dieMoorebene entwässert hat. Das war auslandwirtschaftlicher Sicht nötig, weil derEingang des Entwässerungsstollens zuhoch lag. So konnte das Wasser ausdem See nicht vollständig abfliessen.Auch der Seebach ist wohl als Abflus-srinne konzipiert: Er verläuft schnur-gerade nach Westen. Immerhin tanzenzwei Arten von Prachtflügellibellengleich über dem Rinnsal, landen vonZeit zu Zeit auf Uferpflanzen und stel-len ihre Flügel hoch auf – wie Falter.

Schon von Weitem ist das Wahrzei-chen Seewens zu erkennen: die Kircheauf dem Felssporn über dem Dorf. Sie hatihr heutiges Aussehen aus dem Jahr 1823,als sie renoviert und erweitert wurde undihre barocken Turmaufsätze, die so ge-nannten Welschen Hauben, erhielt. Auf

dieser Felsnase sitzen indes schon langeGotteshäuser. Schon in einer Urkundevon 1147 ist eine Kapelle erwähnt. Zu-dem entdeckten Archäologen auf demFelsen nördlich und westlich des heuti-gen Kirchenschiffs Grabmulden und Ske-lette aus dem 7. und 8. Jahrhundert: Ale-mannen hatten die Mulden in den Felsgeschlagen und dort ihre Toten bestattet.

Ein Stück Kultur bewahrenIn Seewen kann man gleich ins nächstePostauto nach Grellingen steigen – oderdas Musikautomaten-Museum besuchen.Dieses liegt zwar nicht am Weg, und wervom Wandern schon etwas müde ist,möchte den 15-Minuten-Marsch zumMuseum vielleicht nicht mehr unter dieFüsse nehmen. Doch es lohnt sich, einenBlick in die Welt der Konservenmusikvor dem digitalen Zeitalter zu werfen.Denn eines hat das Museum mit demNaturschutzgebiet Latschgetweid ge-meinsam: Es versucht ein Stück Kulturzu bewahren, um die einmalige Vielfaltdieses Landes zu erhalten. ■

Literatur:

– Dierl, Wolfgang, Tagfalter und Nachtfalter, BLV-Naturführer 2005, ISBN: 3-405-15116-3, Fr. 9.70

– Sterry/Mackay, Schmetterlinge, DK-Natur-führer 2005, ISBN: 3-8310-0670-9, Fr. 18.10

– Bellmann, Heiko, Schmetterlinge erkennen und bestimmen Ulmer/Mosaik 2002, ReiheSteinbachs Naturführer, ISBN: 3-8001-4271-6,

Für diesen Beitrag aus der Wanderserie ar-beitet Natürlich mit der Naturschutzorgani-sation Pro Natura zusammen. Sie betreutlandesweit über 600 Schutzgebiete – vomartenreichen Auenwald am Lago Maggiorebis zur kargen Hochgebirgslandschaft imPays d'Enhaut. Die beschriebenen Routenführen zu den schönsten Landschaften undwichtigen Reservaten der Schweiz. Selbst-verständlich gelten in den Schutzgebietengewisse Regeln, damit sich alle an dersensiblen Natur erfreuen können.

Bisher erschienen sind: Klingnauer Stausee(1-2005), Parc Jurassien Vaudois (2-2005), Aarelandschaft Solothurn (3-2005), Kaltbrunner Riet (5-2005)Weitere Infos: www.pronatura.ch

Frühlings-Platterbse