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Persische Musik file:///Users/...ocuments/Studium/VO Musik der Welt im Überblick II/03 - Persische Musik/Persische Musik.html[23.03.10 10:20:47] PERSISCHE MUSIK Der Begriff "persische Musik" wurde gewählt, um ein Phänomen zu beschreiben, das in seiner historischen Dimension weit über das Staatsgebiet des heutigen Iran hinausreicht. Das Perserreich erstreckte sich am Höhepunkt seiner territorialen Ausdehnung (um 500 v. Chr.) nicht nur über den Mittleren Osten, sondern reichte von Pakistan über Zentralasien, Südosteuropa und die Türkei bis nach Libyen und den Sudan. Der kulturelle Austausch mit der arabischen Welt, Zentralasien und Indien war noch bis ins 16. Jh. von großer Bedeutung. Die persische Musik und die Besonderheiten ihrer Skalen werden in vielen Traktaten behandelt, auch in Traktaten in arabischer Sprache, waren doch einige der bedeutendsten Musiktheoretiker, die ihre Werke in arabischer Sprache verfassten, persischer Herkunft. Ab dem 18. Jh. begann der Niedergang der persischen Kunstmusik. Vieles geriet in Vergessenheit, weshalb persische Musiker im 19. Jh. zahlreiche Melodien und Sequenzen, die bis dahin oral überliefert worden waren, zu Papier brachten. Dieses in Schriftform überlieferte Repertoire der persischen Kunstmusik wird radif genannt. Europäische Militärmusik, Klassik und schließlich westliche Popmusik verdrängten aber weiter die alten Formen. Die temperierte Skala des Westens trat an Stelle des an Nuancen so reichen einheimischen Tonsystems. Ihre Wiedergeburt erlebte die persische Kunstmusik jedoch mit der Iranischen Revolution 1979. Diese hatte große Auswirkungen auf das Musikleben. Westlich beeinflusste Musik, vor allem die Popmusik wurde verboten, die "Musik der Gelehrten" hingegen aufgewertet, wenngleich ihre Aufführung seither auch mit gewissen Einschränkungen belegt ist. Einige Grundbegriffe der persischen Musik Dastgah ist mit dem Begriff des maqam in der arabischen Musik verwandt. Er bezeichnet die Skala, auf der ein Stück basiert sowie die mit jedem dastgah assoziierten Gefühle. Es gibt 7 Hauptmodi (dastgah) und 5 abgeleitete Modi (Sub-dastgah bzw. awaz ). Der dastgah shur wird als majestätisch und ernst betrachtet, der dastgah segah ist mystisch, der dastgah tork ruhig und emotionslos usw. Verschiedene dastgah-ha (Mehrz. von dastgah) können auch miteinander gemischt werden. Charakteristische Intervalle in persischen Skalen sind der 3/4- und der 5/4-Ton. In der mit der persischen Musik verwandten aserbaidschanischen, kurdischen und turkmenischen Musik werden hingegen nur Ganz- und Halbtöne verwendet. Wie der maqam wird auch jeder dastgah in nacheinander gespielten Melodiezügen aufgebaut. Diese gushe-ha (Mehrz. von gushe) genannten Abschnitte bestehen zumeist aus einer Viertongruppe (Tetrachord), in welcher der unterste Ton der Grundton ist und ein weiterer zusätzlich als melodischer Hauptton in Erscheinung tritt. Der melodische Umriss der gushe-ha ist durch die Tradition (es gibt ein Repertoire von 250 gushe-ha ) festgelegt, kann aber improvisatorisch frei ausgestaltet werden. Die nacheinander gespielten gushe-ha erreichen im Verlaufe des Stückes immer höhere Lagen - vergleichbar mit der Praxis in der arabischen Musik. Es kann aber auch vorkommen, dass auf einer Tonstufe zwei gushe-ha unterschiedlichen Charakters gespielt werden. Im Rhythmus dominieren hemiolische Gebilde (gleichzeitige oder sukzessive Verwendung von binären und ternären Rhythmen, in Transkriptionen oft als 6/8 notiert). Der 2/4-Rhythmus ist ebenfalls überall

Persische Musik

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Persische Musik

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PERSISCHE MUSIK

Der Begriff "persische Musik" wurde gewählt,um ein Phänomen zu beschreiben, das inseiner historischen Dimension weit über dasStaatsgebiet des heutigen Iran hinausreicht.Das Perserreich erstreckte sich amHöhepunkt seiner territorialen Ausdehnung(um 500 v. Chr.) nicht nur über denMittleren Osten, sondern reichte vonPakistan über Zentralasien, Südosteuropaund die Türkei bis nach Libyen und denSudan. Der kulturelle Austausch mit derarabischen Welt, Zentralasien und Indienwar noch bis ins 16. Jh. von großerBedeutung. Die persische Musik und dieBesonderheiten ihrer Skalen werden in vielenTraktaten behandelt, auch in Traktaten inarabischer Sprache, waren doch einige derbedeutendsten Musiktheoretiker, die ihreWerke in arabischer Sprache verfassten,persischer Herkunft.

Ab dem 18. Jh. begann der Niedergang derpersischen Kunstmusik. Vieles geriet inVergessenheit, weshalb persische Musiker im 19. Jh. zahlreiche Melodien und Sequenzen, die bis dahinoral überliefert worden waren, zu Papier brachten. Dieses in Schriftform überlieferte Repertoire derpersischen Kunstmusik wird radif genannt. Europäische Militärmusik, Klassik und schließlich westlichePopmusik verdrängten aber weiter die alten Formen. Die temperierte Skala des Westens trat an Stelledes an Nuancen so reichen einheimischen Tonsystems. Ihre Wiedergeburt erlebte die persischeKunstmusik jedoch mit der Iranischen Revolution 1979. Diese hatte große Auswirkungen auf dasMusikleben. Westlich beeinflusste Musik, vor allem die Popmusik wurde verboten, die "Musik derGelehrten" hingegen aufgewertet, wenngleich ihre Aufführung seither auch mit gewissenEinschränkungen belegt ist.

Einige Grundbegriffe der persischen Musik

Dastgah ist mit dem Begriff des maqam in der arabischen Musik verwandt. Er bezeichnet die Skala, aufder ein Stück basiert sowie die mit jedem dastgah assoziierten Gefühle. Es gibt 7 Hauptmodi (dastgah)und 5 abgeleitete Modi (Sub-dastgah bzw. awaz). Der dastgah shur wird als majestätisch und ernstbetrachtet, der dastgah segah ist mystisch, der dastgah tork ruhig und emotionslos usw. Verschiedenedastgah-ha (Mehrz. von dastgah) können auch miteinander gemischt werden. CharakteristischeIntervalle in persischen Skalen sind der 3/4- und der 5/4-Ton. In der mit der persischen Musikverwandten aserbaidschanischen, kurdischen und turkmenischen Musik werden hingegen nur Ganz- undHalbtöne verwendet.

Wie der maqam wird auch jeder dastgah in nacheinander gespielten Melodiezügen aufgebaut. Diesegushe-ha (Mehrz. von gushe) genannten Abschnitte bestehen zumeist aus einer Viertongruppe(Tetrachord), in welcher der unterste Ton der Grundton ist und ein weiterer zusätzlich als melodischerHauptton in Erscheinung tritt. Der melodische Umriss der gushe-ha ist durch die Tradition (es gibt einRepertoire von 250 gushe-ha) festgelegt, kann aber improvisatorisch frei ausgestaltet werden. Dienacheinander gespielten gushe-ha erreichen im Verlaufe des Stückes immer höhere Lagen -vergleichbar mit der Praxis in der arabischen Musik. Es kann aber auch vorkommen, dass auf einerTonstufe zwei gushe-ha unterschiedlichen Charakters gespielt werden.

Im Rhythmus dominieren hemiolische Gebilde (gleichzeitige oder sukzessive Verwendung von binärenund ternären Rhythmen, in Transkriptionen oft als 6/8 notiert). Der 2/4-Rhythmus ist ebenfalls überall

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Santur

Kemanche

verbreitet, während asymmetrische Rhythmen (7/8, 5/8) in bestimmten Regionen des Nordens zu findensind. Einige gushe-ha haben ihre spezifischen Rhythmen, andere sind diesbezüglich frei.

Die Form einer dastgah-Aufführung wird aus einer Abfolge von Abschnitten unterschiedlichen Charaktersgebildet, ohne dass dabei jedoch der dastgah gewechselt wird. Auf einen einleitenden freirhythmischenTeil folgen metrisierte Teile. Stets ist auch ein Abschnitt enthalten, der dem Künstler - Sänger oderInstrumentalisten - Gelegenheit gibt, Virtuosität zu zeigen.

Beispiele

Bei den Völkern Persiens, besonders in ländlichen Gebieten, ist der Sologesang die wichtigste Form desmusikalisch-künstlerischen Ausdrucks. Aufgrund der Beschränkungen, die der Islam denMusikdarbietungen auferlegt, treten insbesondere Männer als Sänger in Erscheinung. Häufig werden siedabei von einem oder mehreren Instrumentalisten begleitet, oder sie begleiten sich selbst auf einemInstrument. Wie im Instrumentalspiel kommt auch im Gesangsvortrag der Improvisation ein großerStellenwert zu. Dies gilt für den Text ebenso wie für die Musik. Auch wenn der Künstler ein Stück ausdem Repertoire (radif) interpretiert, ist es doch sehr wichtig, dass er der Performance seine persönlicheNote verleiht. Die Individualität der Musikgestaltung ist ein zentrales Kriterium in der künstlerischenBeurteilung eines Interpreten.

Ghazal ist ein Genre der Liebeslyrik, deren Inhalte oft über die reale Begegnung von Mann und Frauhinaus gehen und eine schmerzerfüllte Sehnsuchtshaltung beschreiben, deren Grundlage dieVergänglichkeit ist. Häufig verwenden diese Gesänge den dastgah afshari, der Trauer und Verzweiflungzum Ausdruck bringt. Ein ghazal setzt sich aus 5 bis 15, meist durch instrumentale Zwischenspielevoneinander getrennte Abschnitte zusammen, die inhaltlich manchmal gar nicht zusammenhängen.

Hörbeispiel: Ghazal in persischer Sprache; Dichtung vonSa'id, vorgetragen von Hossein Ghavami, der auf einemsantur begleitet wird. Der Modus (dastgah) ist afshari. DieAufnahme bricht nach dem zweiten Abschnitt ab. Quelle:Schallplatte Sung Poetry of the Middle East, Seite A, Nr. 2.

Der santur, ein Verwandter des europäischen Hackbretts,ist eines der bedeutendsten Instrumente der persischenKunstmusik. Es ist trapezförmig und hat 27 vierchörigeMetallsaiten, die durch den linken Steg im Verhältnis 2:1(Oktav) unterteilt werden. Der nichtangeschlageneAbschnitt der Saite klingt dadurch stets sympathetisch mit.Daher rührt der obertonreiche Klang. Jede Saite hat 2bewegliche Stege. Dadurch kann das Instrument rasch voneinem dastgah auf einen anderen umgestimmt werden.Vom Mittleren Osten aus hat sich dieser Instrumententypusin Richtung Westen bis nach Europa und in Richtung Ostenbis nach China und Indien verbreitet. Der Prototyp desInstruments wird in einer horizontal gehaltenen und mitzwei Stäbchen angeschlagenen Harfe, die man auf altbabylonischen Bilddokumenten findet, vermutet.

Die kemanche ist eine Stachelgeige (am unteren Ende des Korpusist ein Eisenstachel angebracht, um das Instrument auf dem Bodenabzustützen) mit 4 Metallsaiten, die nach a-e'-a'-e'' gestimmt sind.Der runde Korpus ist einer Kalebasse nachgebildet, besteht aber ausHolzspänen. Die Decke ist aus Fischhaut. Die Saiten werden durchleichten Druck abgeteilt und nicht bis auf den Hals niedergedrückt.Die kemanche war im Iran bereits nahezu ausgestorben, da dieeuropäische Violine ihren Platz eingenommen hatte. In denvergangenen Jahren aber wurde ihr Spiel wiederbelebt.

Hörbeispiel: Ausschnitt aus einem kemanche-Stück, begleitet auf dereinfelligen Bechertrommel zarb bzw. dunbak. Diese der arabischendarabukka ähnliche Trommel ist das wichtigste Rhythmusinstrumentder persischen Kunstmusik. Es ist ein Virtuoseninstrument, dasvielfach auch solistisch gespielt wird. Das Stück steht im dastgahisphahan, welcher im Tonvorrat dem harmonischen Moll unserer

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Tar-Spieler, Aserbaidschan

Musikkultur ähnlich ist, aber neben dem tiefsten Skalenton auch die kleine Sext betont. Dieser Moduswird in ekstatischen Stücken verwendet. Quelle: Schallplatte Iranian Dastgah, Seite B, Track 2.

Die Flöte nay (siehe Bild am Beginn der Seite) ist im gesamten Orient und in Nordafrika weit verbreitetund kann in historischen Quellen 5000 Jahre zurückverfolgt werden. Als Ursprung wird die Türkei - dortwird sie als ney bezeichnet - angenommen. Sie ist in der Kunstmusik genauso vorzufinden wie in denregionalen Volksmusiken. Die nay ist aus Schilfrohr oder Bambus (heute mitunter auch aus Holz oderMetall) hergestellt und kann unterschiedliche Längen (bis zu 1 m) und eine unterschiedliche Anzahl vonGrifflöchern aufweisen (die Zahl 6 überwiegt jedoch). Der Tonumfang kann 3 Oktaven erreichen. Siewird am oberen Ende angeblasen, das so abgeschrägt ist, dass eine scharfe Kante entsteht.Charakteristisch ist die leicht schräge Spielhaltung. Gute Spieler können eine große Anzahlunterschiedlicher Klänge erzeugen. Kein anderes Instrument der persischen Musik kann so vieleunterschiedliche Stimmungen und Emotionen ausdrücken wie die Flöte. Die nay ist insbesondere einInstrument sufistischer Mystiker, für die sie die Sehnsucht des spirituell suchenden Menschensymbolisiert.

Hörbeispiel: Nay-Solo im Modus homayun, der Fröhlichkeit und Zartheit ausdrückt. Quelle: SchallplatteIranian Dastgah, Seite B, Track 1.

Die Langhalslaute tar war das Hauptinstrument, an welchem diepersischen Musiktheoretiker ihre Berechnungen demonstrierten. Siewird auch heute noch als Königin der persischen Instrumentebetrachtet. Terrakottafiguren aus dem 4.Jh. v. Chr. bezeugen, dassihr Ursprung in Mittelasien liegt. Die Bezeichnung tar verweist aufdie Gitarre. Es wird angenommen, dass Vorformen dereuropäischen Gitarre mit den Mauren von Nordafrika nach Spaniengekommen sind. Die tar hat einen Korpus in Form einer Acht(Einschnürung, Taille) und drei doppelchörige Saiten in variierenderStimmung (z.Bsp. c-g-c'). Das Instrument hat eine Decke ausFischhaut und bewegliche Bünde aus Darm (um dem jeweiligenModus mit seinen mikrotonalen Abweichungen zu entsprechen).Gespielt wird mit einem Plektrum. Außer im Iran kommt die tar insbesondere in Aserbaidschan vor, wo sie geradezu alsNationalinstrument betrachtet wird. Die asebaidschanische Musikkultur ist mit der persischen verwandt;sie beruht auf denselben Grundlagen. Die tar kann solistisch gespielt werden, aber meistens begleitetsie den von einem Mann oder mehreren Männern interpretierten Gesang. Wir finden hier, aber auch inden angrenzenden Gebieten bis in die Türkei eine hochentwickelte Kultur der Barden. In Aserbaidschanund im nordwestlichen Iran werden diese aşiq (auch asug, deutsch: Aschugen) genannt.

Hörbeispiel: Gesang zweier Männer aus Aserbaidschan mit tar-Begleitung. Der Text, eineLiebesgeschichte, stammt von einem aserbaidschanischen Dichter des 16. Jh. Das Beispiel steht immugam mahuri-hindi. Mugam entspricht dem persischen Begriff dastgah. Man kennt an die 70verschiedene mugam-Modi. Der Modus dieses Beispiels bringt Männlichkeit und Stolz zum Ausdruck. DieSkalentöne entsprechen der europäische Durtonleiter. Quelle: Schallplatte Azerbaijan I, Seite A, Track 2.

Quellen der Hörbeispiele

Sung Poetry of the Middle East. Schallplatte UNESCO Collection Musical Sources. Philips. [SV 407] Iranian Dastgah. Schallplatte UNESCO Collection Musical Sources. Philips. [SV 193] Azerbaijan I. UNESCO Collection A Musical Anthology of the Orient. Bärenreiter. [SV 633]