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Staatliche Kunstsammlungen Dresden · Museumspädagogik Residenzschloss · Taschenberg 2 · 01067 Dresden · Telefon: +49 (0)351 4914 2756 · Telefax: +49 (0)351 4914 2707 E-Mail: [email protected] · Internet: www.skd.museum Perspektivische Darstellung in der Renaissance Die Perspektive ist ein konstruierendes Darstellungsmittel, das von den Künstlern der Renaissance (1400 - ca. 1620) entwickelt wurde. In dieser Zeit entstand ein neues Selbst- und Weltverständnis der Menschen, das unter anderem zu einer neuen Realitätssicht führte. Mit der Entdeckung der realen Welt, dem heliozentrischen Weltbild und neuen Erfindungen, wurde das mittelalterliche Denken und die byzantinische Konvention überwunden. Neben einer recht flächigen Darstellung waren die Kunstwerke des Mittelal- ters von einer figürlichen Starrheit geprägt. Das Bildbeispiel Enthauptung der heiligen Reparata von dem Künstler Bernardo Daddi (ca. 1280 - 1348) ist ein typisches mittelalterliches Gemälde, bei dem noch keine kon- struierte Perspektive für die bildliche Darstellung verwendet wurde. Der Bildgrund ist von drei Schichten bestimmt: Der Vordergrund, die Figurengruppe und der goldene Hintergrund. Durch die Aufstellung und Überschneidung der einzelnen Figuren wird eine perspektivisch räumliche Ordnung angedeutet. Einige Figuren stehen weiter vorn, andere bilden eine Menschengruppe im hinteren Bereich der grünen Fläche, wo- bei alle Figuren die gleiche Größe besitzen. Dennoch bricht die Starrheit allmählich auf und es wird deutlich, dass die ikonographischen Normen der byzantinischen Tradition erweitert wurden. In der Beobachtung der Natur waren die Künstler bereits sehr ge- schult, aber es fehlte ihnen noch das mathematische Verständnis zum Zeichnen einer räumlich konstruierten Perspektive. Die Maler der italienischen Renaissance waren denen des Nordens in dieser Hinsicht einige Jahre voraus. Als Entdecker der perspek- tivischen Konstruktionsmethoden, besonders der Zentralperspektive, gilt der Floren- tiner Filippo Brunelleschi (1377 - 1446). Er war sowohl Baumeister als auch Bildhauer und es gehörte zu seinen Aufgaben, sich der Raumgestaltung und der Darstellung der dritten Dimension zu widmen. Nördlich der Alpen war Albrecht Dürer (1471 - 1528) einer der ersten Maler, die die Konstruktion der Perspektive für sich entdeckt hatten. Bernardo Daddi Enthauptung der heiligen Reparata Um 1345 Gemäldegalerie Alte Meister Tempera (?) auf Holz, Goldgrund 26 x 36,5 cm Gemäldegalerie Alte Meister Gal.-Nr. 3577 Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Hans-Peter Klut

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Perspektivische Darstellung in der Renaissance

Die Perspektive ist ein konstruierendes Darstellungsmittel, das von den Künstlern der Renaissance (1400 - ca. 1620) entwickelt wurde. In dieser Zeit entstand ein neues Selbst- und Weltverständnis der Menschen, das unter anderem zu einer neuen Realitätssicht führte. Mit der Entdeckung der realen Welt, dem heliozentrischen Weltbild und neuen Erfindungen, wurde das mittelalterliche Denken und die byzantinische Konvention überwunden. Neben einer recht flächigen Darstellung waren die Kunstwerke des Mittelal-ters von einer figürlichen Starrheit geprägt.

Das Bildbeispiel Enthauptung der heiligen Reparata von dem Künstler Bernardo Daddi (ca. 1280 - 1348) ist ein typisches mittelalterliches Gemälde, bei dem noch keine kon-struierte Perspektive für die bildliche Darstellung verwendet wurde. Der Bildgrund ist von drei Schichten bestimmt: Der Vordergrund, die Figurengruppe und der goldene Hintergrund. Durch die Aufstellung und Überschneidung der einzelnen Figuren wird eine perspektivisch räumliche Ordnung angedeutet. Einige Figuren stehen weiter vorn, andere bilden eine Menschengruppe im hinteren Bereich der grünen Fläche, wo-bei alle Figuren die gleiche Größe besitzen. Dennoch bricht die Starrheit allmählich auf und es wird deutlich, dass die ikonographischen Normen der byzantinischen Tradition erweitert wurden. In der Beobachtung der Natur waren die Künstler bereits sehr ge-schult, aber es fehlte ihnen noch das mathematische Verständnis zum Zeichnen einer räumlich konstruierten Perspektive. Die Maler der italienischen Renaissance waren denen des Nordens in dieser Hinsicht einige Jahre voraus. Als Entdecker der perspek-tivischen Konstruktionsmethoden, besonders der Zentralperspektive, gilt der Floren-tiner Filippo Brunelleschi (1377 - 1446). Er war sowohl Baumeister als auch Bildhauer und es gehörte zu seinen Aufgaben, sich der Raumgestaltung und der Darstellung der dritten Dimension zu widmen. Nördlich der Alpen war Albrecht Dürer (1471 - 1528) einer der ersten Maler, die die Konstruktion der Perspektive für sich entdeckt hatten.

Bernardo DaddiEnthauptung der heiligen Reparata

Um 1345 Gemäldegalerie Alte Meister

Tempera (?) auf Holz, Goldgrund 26 x 36,5 cm

Gemäldegalerie Alte MeisterGal.-Nr. 3577

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Hans-Peter Klut

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Raum, Körper und Fläche

Zentralperspektive

Ein Beispiel für die Zentralperspektive ist der Flügelaltar des flämischen Meister Jan van Eyck (1390 - 1441) aus dem Jahre 1437. Hier ist die zentralperspektivische Kons-truktion sehr deutlich in Form der räumlichen Anordnung der Gegenstände, Größenverminderung und Verkürzung zu erkennen. Der Betrachter sieht einen sich weit nach hinten öffnenden Raum, in welchem die heilige Maria mit dem Kind thront. Durch die Schattierungen der Säulen er-reicht der Maler einen Eindruck von Plastizität. Die Säulen wirken im Spiel von Licht und Schatten wie greifbare zylin-derförmige Körper. Ornamentale Strukturen des Teppichs lenken den Blick des Betrachters ebenfalls in den nach hin-ten geöffneten Raum und unterstreichen die tiefenräum-liche Wirkung.

Jan van EyckFlügelaltar, um 1437 (Ausschnitt)

Eichenholz, 33 x 27,5 cmGemäldegalerie Alte Meister

Gal.-Nr. 799Staatliche Kunstsammlungen Dresden,

Foto: Hans-Peter Klut

Zentralperspektivemit einem Fluchtpunkt

Zentralperspektive

In der Mitte der Bildkomposition thront die Gottesmut-ter Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß. Auf beiden Seiten verlaufen nach hinten verjüngende Säulen, die ei-nen tiefenräumlichen Eindruck vermitteln. Die dabei ent-stehenden Fluchtlinien treffen in einem zentralen Punkt zusammen, der sich auf dem Haupt Marias befindet. Das Jesuskind nimmt in seiner Haltung die Richtung der lin-ken unteren Fluchtlinie auf. Ebenso befindet sich der linke Arm von Maria auf einer Fluchtlinie, die somit noch ein-mal deutlich betont wird. Die beiden Figuren bilden in der Komposition ein Dreieck, dessen Spitze sich zentral im Bild befindet und zugleich den Sammelpunkt der Fluchtlinien bildet.

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Übereckperspektive mitzwei Fluchtpunkten

Das Universalgenie Leonardo da Vinci (1452 - 1519) ent-deckte die Übereckperspektive, bei der zwei Fluchtpunkte auf der Horizontlinie liegen.

Für die Konstruktion einer Übereckperspektive mit zwei Fluchtpunkten wird zunächst die Maßlinie gezogen. Das ist die vertikale Linie (vorderste Kante des Körpers), die zum Betrachter zeigt. Dann werden die Eckpunkte und die Fluchtpunkte mithilfe von Linien (Fluchtstrahlen) verbun-den.

Raum, Körper und Fläche

Übereckperspektive

Zentralperspektivemit zwei Fluchtpunkten

Jenny KuhnertTusche und Aquarell

2012

Zentralperspektivemit drei Fluchtpunkten

Zentralperspektivemit drei Fluchtpunkten

Übereckperspektive mit drei Fluchtpunkten

Folgendes Beispiel verdeutlicht die Konstruktion der Über-eckperspektive. Die Horizontlinie, hier der Gartenzaun, bil-det die Grenze zwischen Himmel und Erde. Auf ihr befin-den sich die beiden Fluchtpunkte. Werden die Endpunkte der Maßlinie, hier der vorderen Hauskante, mit den Flucht-punkten verbunden, dann erhält man die seitlichen Haus-kanten. Mit weiteren vertikalen Linien setzt man dann die Begrenzung des Hauses.

Eine weitaus dynamischere Variante bietet die Konstrukti-on einer Übereckperspektive mit drei Fluchtpunkten. Hier-bei werden die Vertikallinien nicht parallel gesetzt, son-dern ihnen wird auch ein Fluchtpunkt zugewisen, der sich unter oder über der Horizontlinie befindet.

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Vogelperspektive

Die Konstruktion der Vogelperspektive ist der Konstruk-tion der Übereckperspektive sehr ähnlich. Dabei befindet sich das Dargestellte unterhalb der Horizontlinie. Es ent-steht der Eindruck von oben wie ein Vogel auf das Darge-stellte zu schauen. In dem Gemälde Abrahams Opfer hat der Künstler Andrea del Sarto (1486 - 1530) diese Perspek-tive verwendet. Der Sockel, auf den sich die beiden Figu-ren stützen, befindet sich unterhalb der Horizontlinie und wird somit von oben betrachtet.

Raum, Körper und Fläche

Vogelperspektive/ Froschperspektive

Vogelperspektive

Wie bei der Übereckperspektive mit zwei Fluchtpunkten wird zunächst die vertikale Maßlinie gezogen, die zum Betrachter zeigt. Mithilfe der Fluchtstrahlen werden die Endpunkte der Maßlinie mit den Fluchtpunkten auf der Horizontlinie verbunden.Für die Perspektive aus der Sicht von unten, die sogenannte Froschperspektive, wird die Maßlinie über der Horizontlinie gesetzt.

Froschperspektive

Froschperspektive

Abrahams OpferAndrea del Sarto

Um 1527/29 Gemäldegalerie Alte Meister

Gal.-Nr. 77Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Foto: Hans-Peter Klut

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Giorgione und Tizian Schlummernde Venus

Um 1508/10 Öl auf Leinwand

108,5 x 175 cmGemäldegalerie Alte Meister

Gal.-Nr. 185Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Foto: Hans-Peter Klut

Farb- und Luftperspektive

Tempelgang MariäGiovanni Battista Cima da Conegliano

Um 1496/97 Öl auf Pappelholz

Gemäldegalerie Alte MeisterGal.-Nr. 63

Staatliche Kunstsammlungen DresdenFoto: Hans-Peter Klut

Mit der Verwendung einer geeigneten Farbregie kann der dreidimensionale Eindruck eines Bildes verstärkt werden. Man spricht in diesem Zusam-menhang von der farbplastischen Wirkung der Objektfarben: Kalte Farb- und Tonwerte treten in den Hintergrund, wohingegen sich die war-men und plakativen Farben in den Vordergrund zu drängen scheinen. Diese Beobachtung wird in der sogenannten Farbperspektive angewendet. Für den Vordergrund eines Bildes werden oft gel-be, orange und rote Töne verwendet während im Hintergrund vor allem die Farben Grün, Blau und Violett erscheinen. In den beiden Gemälden Tem-pelgang Mariä von Giovanni Battista Cima da Co-negliano (1460 - 1517) und Schlummernde Venus von Giorgione (1478 - 1510) und Tizian (um 1490 - 1576) wird diese Farbregel angewendet. Im Hin-tergrund befinden sich die kalten und im Vorder-grund die warmen Farben.

Durch die physikalischen Eigenschaften der At-mosphäre verursacht, erscheinen Gegenstände in weiter Ferne wie z. Bsp. Berge bläulich und un-scharf. Dieser als Verblauung bezeichnete Effekt verstärkt sich mit zunehmender Entfernung. Be-sonders gut ist dieses Phänomen in den beiden Bildbeispielen von Giovanni Battista Cima da Co-negliano und Girogione und Tizian zu erkennen. Bereits Leonardo da Vinci prägte diese naturgege-bene konturauflösende Wirkung und atmosphäri-sche Perspektive mit dem Begriff sfumato.

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Zentralperspektivemit einem Fluchtpunkt

Zentralperspektivemit zwei Fluchtpunkten

Zentralperspektivemit drei Fluchtpunkten

Froschperspektive

Vogelperspektive

Zentralperspektive

Übereckperspektive mit zwei Fluchtpunkten

Übereckperspektive mit drei Fluchtpunkten

Froschperspektive

Vogelperspektive

Möglichkeiten der perspektivischen Darstellung

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Staatliche Kunstsammlungen Dresden · MuseumspädagogikResidenzschloss · Taschenberg 2 · 01067 Dresden · Telefon: +49 (0)351 4914 2756 · Telefax: +49 (0)351 4914 2707E-Mail: [email protected] · Internet: www.skd.museum

Literaturliste

Dijck, J. van: Wie lerne ich zeichnen? Zeichenvorlagen für jung und alt, Verlag Koehler & Amelang, Leipzig 1940

Fuchs, Siegfried E.: Die Perspektive. Entwicklungsgeschichtlicher Überblick und Lehr-gang zum Erlernen der konstruierten Perspektive, Verlag Aurel Bongers Recklinghau-sen 1983

Gollwitzer, Gerhard: Kleine Zeichenschule. Verlag Volk und Wissen, Berlin 1958

Netzband, Georg/ Eschen, Fritz: Kunstpädagogische Anregungen. Band 3: Konstrukti-ves Gestalten. Musterschmidt Verlag, Göttingen 1955

Parramón, José M.: Richtig zeichnen und malen in der Perspektive, Edition Michael Fi-scher, München 1999

Peters, Hugo: Der Äugel - Die Kunst des räumlichen Zeichnens. Verlag Seemann, Leip-zig 2001

Prinz, Dieter/ Meier-Pauken, Klaus D.: Räumliches Architekturzeichnen. Ein Skizzen-buch, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1994

Spies, Joachim: Zeichenlehre. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1981

Thomae, Reiner: Perspektive und Axonometrie, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1976