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Psycholinguistik Peter Indefrey Die Psycholinguistik untersucht, wie Sprachverarbeitungsprozesse im menschlichen Sprecher/Hörer ablaufen

Peter Indefrey Die Psycholinguistik untersucht, wie ... · Wichtige Fragen: Spracherwerb Was können Kinder zu welchem Zeitpunkt? Was ist an der Sprachfähigkeit angeboren, was muss

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Psycholinguistik

Peter Indefrey

Die Psycholinguistik untersucht, wie Sprachverarbeitungsprozesse im

menschlichen Sprecher/Hörer ablaufen

Forschungsgebiete

Die Forschungsgebiete folgen keiner systematischen

Einteilung, sondern haben sich nach den Interessen der Forscher herausgebildet

Sprachproduktion/Sprachverstehen

Lesen

Spracherwerb

Speziellere Gebiete: Zweitsprachverarbeitung/Syntax/Gesten/Gebärdensprache

Methoden

Die klassische Methode der

Psycholinguistik (genauso wie der experimentellen Psychologie im Allgemeinen) ist die Messung von Reaktionszeiten.

Die Methode geht auf die Grundidee des niederländischen Forschers F.C. Donders zurück, der als erster annahm, dass sich die Zeitdauer geistiger (kognitiver) Prozesse messen lässt.

Subtraktionsmethode

-

=

Prozesse 1 und 2

Prozess 1

Prozess 2

Bild benennen =

Bild erkennen +

Wort finden

Bild erkennen

Wort finden

x msec

y msec

x - y msec

Beispiel: Ist Lesen ein automatischer Prozess oder lässt

es sich kontrollieren?

Nennen Sie so schnell wie möglich die Farben der Rechtecke.

AUTO

HAUS

BUCH

AUTO

TÜR

HAUS

TÜR

BUCH

GRÜN

ROT

GELB

GRÜN

BLAU

ROT

BLAU

GELB

Stroop-Effekt

• Die Benennung der Farbe dauert länger, wenn gleichzeitig unpassende Farbwörter zu sehen sind.

• Das Lesen der Wörter lässt sich nicht unterdrücken. Der Zugriff auf die Bedeutung erfolgt beim Lesen automatisch.

Beispiel: wie lange dauert es, einen Buchstaben zu erkennen?

Z RYVMKF

PTHSHG

GTVCBH

HUIRYD

GBHTBN

POLKRF

FTIEWR

KTPNGS

GBWJDE

KSREGD

MKFRYV

SHGPTH

CBHGTV

RYDHUI

TBMGBH

KRFPOL

EWRFTI

NGSKTP

KDEGBW

EGDKZR

VMRYKF

HSPTHG

VCGTBH

IRHUYD

HTGBBN

LKPORF

TEFTWR

PIKTGS

WKGBDE

REKSGD

EWRFTI

NGSKTP

KDEGBW

EGDKZR

VMRYKF

HSPTHG

VCGTBH

IRHUYD

HTGBBN

LKPORF

TEFTWR

PIKTGS

WKGBDE

REKSGD

RYVMKF

PTHSHG

GTVCBH

HUIRYD

GBHTBN

POLKRF

FTIEWR

KTPNGS

GBWJDE

KSREGD

MKFRYV

SHGPTH

CBHGTV

RYDHUI

TBMGBH

KRFPOL

Z kommt ungefähr 100

Buchstaben später:

Zeitunterschied / 100 =

Zeit für einen

Buchstaben

Weitere Methoden

Die Reaktionszeit ist eine abhängige Variable in einem Experiment. D.h. wir ändern z.B. die Aufgabe oder das was dargeboten wird (den Stimulus), und abhängig davon ändert sich die Reaktionszeit. Andere Methoden messen andere abhängige Variablen:

Zählen > Häufigkeit von bestimmten Wörtern

Hautwiderstandsmessung > Schweißproduktion

Eye-Tracking > Augenbewegungen

EEG > elektrische Aktivität der Nervenzellen

PET/fMRI > Blutfluss im Gehirn

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Das ist ein

Donke.

Experiment von Berko (1958)

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Jetzt ist noch ein

Donke dazu

gekommen. Jetzt

sind es zwei ….

Abhängige Variable: (relative)

Häufigkeit richtiger

Pluralendungen

Unabhängige (manipulierte)

Variable könnte z.B. Alter der

Versuchsteilnehmer sein

Weitere Methoden Die Reaktionszeit ist eine abhängige Variable in einem

Experiment. D.h. wir ändern z.B. die Aufgabe oder das was dargeboten wird (den Stimulus), und abhängig davon ändert sich die Reaktionszeit. Andere Methoden messen andere abhängige Variablen:

Zählen > Häufigkeit von bestimmten Wörtern

akustische Analyse > z.B. Realisation von Phonemen beim Sprechen

Hautwiderstandsmessung > Schweißproduktion

Eye-Tracking > Augenbewegungen

EEG > elektrische Aktivität der Nervenzellen

PET/fMRI > Blutfluss im Gehirn

Beispiel: Berücksichtigen wir beim Verstehen von Sätzen auch nichtlinguistische Information wie Stimmqualität?

Experimental stimuli

Critical words in spoken sentences with messages that match or are at odds with voice-based inferences about the speaker’s

age (7-year-old versus adult)

“Zaterdag heb ik de hele middag geknikkerd op straat” (Saturday all afternoon I played marbles on the street) consistent, child inconsistent, adult

In addition, subjects heard sentences that were semantically congruent or contained a

semantic violation (e.g., “You wash your hands with soap/horse and water”).

Weitere Methoden Psycholinguistische Daten werden nicht nur in echten

Experimenten gewonnen (in denen man das Verhalten der Teilnehmer beeinflusst), sondern auch durch Beobachtung von spontan auftretendem Verhalten.

Korpusanalysen:

Bestimmung der Häufigkeit bestimmer Phänomene (z.B. Worttypen oder grammatische Konstruktionen, Typen von Versprechern) in Sammlungen von Texten oder transkribierter gesprochener Sprache (z.B. CHILDES für Kindersprachdaten).

Manchmal werden solche Daten in standardisierter Weise elizitiert (Nacherzählen eines Films, eines Bilderbuchs)

Beispiel: Frog Story bei gesunden Probanden und Williams-Syndrom

Ausrufe, direkte Rede

irreversibel

irresivibel

Beispiel: Versprecher

Wichtige Fragen

1) Wieviele und welche Komponenten hat ein

Sprachverarbeitungsprozess?

2) Wie ist das sprachliche Wissen in den

Komponenten repräsentiert?

3) Wie arbeiten diese zusammen (Informationsfluss

in eine oder in beide Richtungen)?

Modelle fassen die Antworten zusammen. Man versucht dann,

Modelle als Computerprogramme zu implementieren, die so

funktionieren sollten, wie menschliche Sprecher/Hörer, d.h, die

Ergebnisse der bekannten Experimente simulieren können.

4) Wo und wie sind die kognitiven Prozesse im

Gehirn repräsentiert.

5) Sind linguistische Unterscheidungen kognitiv

real?

McClelland & Rumelhart (1981) Seidenberg & McClelland (1989)

Wichtige Fragen: Sprachverstehen

Wie extrahieren Hörer Sprachlaute aus dem

akustischen Signal?

Wie segmentieren Hörer Wörter aus dem

kontinuierlichen akustischen Signal?

Wie finden Hörer die Wörter in ihrem mentalen

Lexikon?

Welche Rolle spielen dabei Morphologie und

Satzkontext?

Text Sereno

Speech signal

Then once you have examined the city you can get a uh nice

contrast to the surrounding country side - uh a very unique country

side which contrasts the distinction between the the mountains to

the uh low land of the coastal regions where there is a lot more uh

fishing.

rate of propositions

1 0 2 3 4 5 6 7 8 9 10 seconds

rate of words

rate of phonemes

mixing of all four

speech

signal

rate of

propositions

rate of

words

rate of phonemes

Wichtige Fragen: Sprachproduktion

Wie planen wir, was wir sagen wollen?

Wie finden wir dazu die richtigen Wörter?

Wie greifen wir auf die grammatischen und

Klanginformationen der Wörter zu?

Wie wird die Klanginformation in Sprechartikulation

umgesetzt?

Wie ist all das zeitlich koordiniert?

Wichtige Fragen: Lesen

Wie erkennen wir Buchstaben?

Erkennen wir Wörter als ganzes oder setzen wir sie aus

Buchstaben zusammen?

Wie kann man die Schwierigkeit von Texten messen?

Welche Ursachen haben Leseschwächen?

Wichtige Fragen: Spracherwerb

Was können Kinder zu welchem Zeitpunkt?

Was ist an der Sprachfähigkeit angeboren, was muss

gelernt werden?

Wie wird es gelernt?

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Wichtige Fragen: Zweitspracherwerb

Was können Zweitsprachlerner zu welchem Zeitpunkt?

Welche Rolle spielt das Anfangsalter für den Lernerfolg

(Gibt es eine “kritische Periode”?

Funktioniert Zweitspracherwerb grundsätzlich anders

als Erstspracherwerb oder nicht?

Sind die beiden Sprachen getrennt repräsentiert oder

interagieren sie? In welcher Weise?

Wichtige Fragen: Syntax

Wie wird die grammatische Struktur von Sätzen beim

Verstehen und bei der Produktion aufgebaut?

Gibt es spezielle Module für die grammatische Analyse

(Parser) und Synthese (Encoder).

Wenn ja, wie funktionieren sie?

Operieren diese zu irgendeinem Zeitpunkt autonom oder

wird immer gleichzeitig nichtsyntaktische Information mit

berücksichtigt?

Wichtige Fragen: Gesten

Welche Arten von Gesten gib es?

Wie ist die zeitliche Koordination von Gestikulieren

und Sprechen?

Sind Gesten im Prinzip in allen Sprachen gleich, oder

(falls nicht) wie hängen Gesten und Sprachstruktur

zusammen?

Wie werden Gesten verstanden (falls überhaupt)?

Wichtige Fragen: Gebärdensprache

Alle Fragen zu gesprochenen Sprachen stellen sich

auch bei Gebärdensprachen.

Darüberhinaus:

Wie werden gesprochene und gebärdete Elemente

koordiniert?

Sind Gebärdensprachen im Gehirn anders

repräsentiert?