Peter Pörtner VORARBEITEN ZU EINER JAPANISCHEN ÄSTHETIK I

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Peter Prtner

VORARBEITEN ZU EINER JAPANISCHEN STHETIK I

Vorlesungsnotizen, ein Sudelbuch (im Sinne Lichtenbergs)

Sehr unkorrigierte Fassung!

Vorbemerkung

Liebe Leserin, lieber Leser,

dass Sie Intesse an nachfolgenden - gleichsam - ungekmmten Notizen zu haben scheinen, erlaubt die Annahme, dass Ihnen der Ausruf Das ist typisch japanisch! Nicht ganz unvertraut ist, - Vielleicht haben Sie ihn sogar selbst schon einem getan den Ausruf: Bei Betrachtung eines japanischen Designs, irgendeines Dinges, irgendeiner Form japanischer oder japanoider Herkunft. (Mit japanoid mchte ich den wirklichen oder vermuteten oder nur unterstellten vermittelten, also nur mittelbaren Bezug zu Japan benennen.)

Meine erste Frage an Sie ist nun: Haben Sie gleich verstanden, was da so typisch japanisch sein sollte, als sie diesen Ausruf hrten,- oder als er Ihnen selbst entglitt? Meine Erfahrung ist die, dass man auf die freundliche Bitte um Aufklrung darber, was denn das typisch Japanische an dem jeweiligen Objekt oder Artefakt sei, nur sehr unspezifische oder tautologische Antworten erhlt oder eine Art Platzverweis von der Ehrenbhne der oft selbsternannten - Kenner mittels der Gegenfrage: Ja sehen Sie das denn nicht?

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Selbst sehr namhafte Japanwissenschaftler tragen eine gewisse Schuld an dieser Situation. So hat etwa Donald Keene mit seinem zweifellos verdienstreichen Essay Japanese Aesthetics aus dem Jahr 1971 ein Deutungsschema formuliert das seither, ich mchte sagen: wie ein running gag, die Literatur zum Thema beherrscht. Ich bin mir fast sicher, dass den meisten von Ihnen, die sich schon einmal etwas intensiver mit japanischer Kunst beschftigt haben, die Vier Prinzipien japanischer sthetik, die Donald Keene ausfindig gemacht hat, schon einmal begenet, vielleicht sogar alte Bekannte sind; nmlich: suggestion, Andeutung, irregularity, das Irregulre, simplicity, die Einfachheit, Schlichtheit, perishability, die Hinflligkeit. Was isch sagen mchte, ist: Solange diese Begriffe oder auch andere, wie die von Suzuki Daisetsu in Diskussion gebrachten imbalance, asymmetry, poverty, aloneness etc. - die Betrachtung und die Analyse japanische sthetik motivieren und begleiten, kann es sehr ntzlich sein und zu wichtigen Ergebnissen fhren, Benutzt man sie aber gleichsam wie ein Merkmalskatalog, im Sinne solch fragwrdiger Publikationen wie Wie erkenne ich impressionistische Kunst? wird das Resultat sehr unbefriedigend sein. Dies gilt auch fr aethetische Grundbegriffe, die es aus dem Japanischen in die nicht-japanische Fachdiskussion geschafft haben: Denken Sie etwa an Begriffe wie wabi und sabi oder ma. In der nchsten Vorlesung werde ich Ihnen eine Liste der Charakteristika vortragen, die man hufig in der Diskussion antrifft und die in dem eben skizzierten Sinn nicht falsch sind, aber nur als Orientierungshilfen betrachtet werden sollten, und deren Beschreibungs- und Erklrungsrelevanz selbst dauernder Prfung unterzogen werden mssen.

Und dennoch, ich knpfe wieder an den Anfang an, hat eine qualifizierende Aussage wie Das ist typisch japanisch! etwas fr sich. Sie trifft ja eine Unterscheidung. Sie sagt zumindest: Dieses Objekt, dieses Artefakt, dieses Design unterscheidet sich von anderen, denen die ich nenne das der Krze wegen und unter Anfhrungsstrichen die sthetische Qualitt des Irgendwie-Japanischseins fehlt. Und genau das ist das Motiv fr die Erkundungen, die 2

ich in desem Semester gerne mit Ihnen unternehmen mchte. Die Frage lautet also: Was macht diese spezifische Differenz aus. Wobei man diese Differenz nicht eigens spezifisch nennen brauchte, wie ich meine, da jede Differenz im Grunde spezifisch ist, solange sie einen qualitativen Sinn hat. Allerdings, das ist eins sehr gewichte Mahnung an uns selbst, drfen wir beim Versuch der Beantwortung der Frage, auf welche spezifische Differenz die Aussage Das ist typisch japanisch! zielt, nicht vergessen, dass hier ein Beobachter spricht. Das heit: zunchst um es bildhaft zu sagen liegt die Differenz nur in den Augen des Beobachters. Ob und wieweit sie auch in der Sache, genauer: in den Dingen liegt, das muss geklrt werden; und das ist die schwierigste Aufgabe. Sie sehen: wir knnten an dieser Stelle schon vor lauter erkenntnistheoretischen oder eher erkenntnispraktischen Skrupeln vor unserer Aufgabe kapitulieren. Wir tun es aber einfach nicht. Statt dessen behalten wir all diese Skrupel auf unserer geistigen Hinterhand und instrumentalisieren sie zu Kontrolleuren unseres Vorhabens. Wir sehen in ihnen gleichsam Stopp-Regeln die uns in unsere hermeneutischen Grenzen weisen sollen.

Mir ist auch klar, dass schon Begriffe wie typisch oder spezifisch bei vielen die hermeneutischen Alarmglocken zum Luten bringen, weil sie entweder vermuten, dass da jemand wieder einen neuen Mythos von der Art Japan ist ganz anders erfinden mchte oder weil sie davon ausgehen, dass es eigentlich gar keine Unterschiede gibt. Denn: Das Andere ist nur das Selbe in Grn. Wieder aus eigener Erfahrung muss ich zu den umtriebigen Planieren aller spezifischen (hier hat das Wort einen Sinn) Unterschiede sagen, dass sie nicht selten von der Angst vor der Mglichkeit des Anderen motiviert sind. Auch hier soll fr uns gelten, dass wir auch diese durchaus bedenkenswerten Befrchtungen oder Einwnde in Herz und Kopf bewahren und zu unseren eigenen Zwecken dienstbar machen. Gehren doch gerade auch Fragen wie: Warum kommt es immer wieder zu einer Art Fetischisierung des Andersseins, ja der Einzigartigkeit der japanischen sthetik einerseits; und anderseits zu jener gei3

stigen Wut gegen Andersheit und was damit zusammenhngt Vielfalt. Fr Friedrich Nietzsche jedenfalls war es klar, dass Gleichseherei etwa mit schlechten Augen zu tun hat.

Die ursprngliche Synthesis, das Identifizieren der Identitt von Erscheinungen als `Ding ist gleichbedeutend mit ihrem In-Besitz-Nehmen. (Horkheimer/Adorno,4454)

Die Vorlesung hat den un genannten - Untertitel Dinge und Formen. Dinge: mono; Formen: katachi. Das deutet zwar darauf hin, dass die Haupt-Theoriearbeit irgendwann - spter einmal folgen soll: und dass wir uns zunchst, Gott sei es gedankt! - mit dem materialen Bestand befassen werden: Thema wird frs erste also sein:: Welche Dinge und Formen, in denen der japanische Weltbezug und die japanische Wahrnehmung sicht- und fassbar werden, gab und gibt es berhaupt und wie lassen sie sich beschreiben? Welche Dinge, Artefakte und Designs sind charakteristisch fr welche Epoche? Und was ist ein diesem Designs, Artefakten und Dingen selbst charakteristisch? - - - Aber: Da nach schner und plausibler alteuropischer berzeugung Begriffe ohne Anschauungen leer, Anschauungen ohne Begriffe aber blind sind, kommen wir, damit sich die Augen unserer Anschauung ffnen bedrfen wir der Begriffe als Impulsgeber. Und, um ehrlich zu sein, um philosophisch ehrlich zu sein, selbst die auf den ersten Blick so schlicht und vertraut, ja harmlos wirkenden Wrter Dinge und Formen haben es in sich und an sich. Dabei brauchen wir gar nicht auf Kant oder Heidegger und seiner Frage nach dam Ding hinzuweisen. Die Wrter Ding und Form gehren zu den komplexesten der Ideengeschichte und diese Geschichte ist gerade in einer Zeit, die sozusagen unter dem Index vielleicht dem Fluch des Virtuellen steht, noch lngst nicht zu Ende. Fr Thomas von Aquin war die Welt identisch mit dem ordo rerum, Die Welt ist, ist nichts anderes als die Ordnung der Dinge. Und um Dinge sein zu knnen, bedrfen sie der Form; denn forma fit esse, Form mach Sein. Sein verdankt sich der Form. Und: Ohne Form kein Ding. Und: Ohne Ding keine Form. Hinreichend paradox gesagt: Das 4

Ding ist das Medium der Form und die Form ist das Medium des Dinges. Ohne Form kein Ding. Ohne Ding keine Form. Ohne beide kein Medium. Und ohne Medium weder Ding noch Form.

Eine der groartigsten Huldigungen an die Dinge ist die Schrift Janua rerum, also Pforte der Dinge von Johann Amos Comenius (erschienen im Jahr 1681). Den Anfang des ersten Kapitels mchte ich Ihnen nicht vorenthalten, weil er uns auch als Gebrauchsanweisung fr unseren Umgang mit japanischen Dingen Things Japanese, so der Titel eines berhmten Buchs des Lord Chamberlain . dienen kann. Comenius schreibt:

Sei gegrt, gebildeter Leser, der du es bereits verstehst, die ueren Umstnde der Dinge zu beobachten und durch ihre Bezeichnungen auseinander zu halten. 2. Wenn du fragst, was du noch weiter zu tun habest, so erhalte als Antwort: DEN DINGEN Mhe zuzuwenden. 3. Habe ich die Dinge denn nicht zusammen mit den Sprachen gelernt? Antw.: In Sprachen zu reden und die Dinge nicht einzusehen ist Papageienverhalten, oder es ist, wie er der Apostel (... 1. Kor. 13,1) sagt, wie tnendes Erz oder lrmende Schelle sein, was fr die meisten Menschen zutrifft. 4. Was heit es aber, den Dingen Mhe zuwenden? Danach streben, dass du die Dinge kennst, die Dinge einsiehst und die Dinge gebrauchen kannst. 5. Was sind die Dinge? Du musst es mir entfalten; wie auch was die Dinge kennen, die Dinge einsehen und die Dinge gebrauchen heit, und wie sich dies alles unterscheidet. 6. Gut! Mgen wir von Grund auf Einsicht erlangen. Den Namen DING verwenden wir an dieser Stelle in allgemeiner Weise von allem, was ist oder gesagt oder gedacht wird.

Und nun folgt noch eine wunderbar bermtige etymologische Funote: 5

Ding (res) kommt nmlich von rhesis ((gr.)), sagen, in welchem Sinne die Hebrer dabar haben. Es bezeichnet das Ding und das Sagen, wie sich bei den Griechen auch das rhema findet. Die Deutschen haben ein Ding oder Dink, von Denken (d.h. was gedacht wird) und Sach vom Sagen (d.h. was gesagt wird). Und die Bhmen haben vec vom alten vece, er spricht, er sagt.

Wir werden noch sehen, dass uns auch die japanischen Wrter fr Ding und Sache, mono und koto, viel zu sagen haben und zu denken geben. berhaupt wird sich der Begriff des Dings dafr eignen er bietet sich geradezu an! Unterschiede der Wahrnehmung im Westen und in Japan zu bestimmen. - brigens denke ich, dass es durch meine Vorbemerkungen schon klar geworden ist, dass ich die Worte sthetik und sthetisch in ihrem Doppelsinn gebrauche, der sich im Laufe der Geschichte herausgebildet hat. Ich werde also zwischen aisthesis in seiner ursprnglichen Bedeutung von Wahrnehmung und sthetik im modernen Sinne pendeln. (Abgesehen davon, dass dieser Begriff vor allem in diesem 1. Teil der Vorlesung keine hervorstechende Rolle spielen wird.)

Im Ding-Bezug und der Ding-Wahrnehmung verdichtet sich der Welt-Bezug der Menschen aufs deutlichste. Hier wird es sozusagen handgreiflich, manifest; dingfest. Und an den Dingen lsst sich viel ber das Welt- oder auch Hinterwelt-Bild der Menschen ablesen die mit diesen Dingen umgehen, sie gebrauchen, herstellen, betrachten, wertschtzen, sthetisch genieen oder auch einfach nur sein lassen. - Hierher gehrt zum Beispiel die Frage, ob die groen Steingarten-Gestalter Japans die Steine in ihren Grten nur einfach haben das sein lassen, was sie waren (offen bleibt freilich, was sie waren) oder ob sie etwas aus ihnen gemacht haben? Hierher gehrt auch die Frage, warum die Japaner Materialien tendenziell

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gerne in ihren Natur-Zustand belassen, also nicht vor-bearbeiten, pr-parieren, bevor sie sie verwenden.

Aus dem Ding-Bezug lsst sich auch darauf schlieen, ob und welche Rolle Begriffe wie Subjektivitt und Reflexivitt in einem bestimmten Kultur-Zusammenhang spielen. Die Japaner der Vormoderne haben sich allem Anschein nach eine Art vorsokratischen Blicks auf die Welt bewahrt, der ihre Intimitt und Unittelbarkeit zu den Dingen schtzte: Da die antike Philosophie ber keinen Begriff der Subjektivitt und der Reflexivitt verfgt und sich die menschliche Erkenntnis nach den Dingen richtet, entwickelt sie sich notwendig in intentione recta. (Rantis, 15)

Ich werde mich in der Vorlesung mit Fragen beschftigen, an Fragen orientieren wie: Sind die Dinge fr die Japaner nur ein Abglanz, sind sie nur als Abglanz eines Glanzes zu haben, der nicht ihr eigener ist; folgen sie einer Logik des Nach, des Nachahmens, des Nachholens, des Nachstellens, wie fr den platonisch-christlich genormten Menschen, fr den die ganze Welt mit ihren zahllosen Dingen gleichsam nur ein Schatten-Spiel ist, ein Theater des Ineffabile oder ein Reprsentationstheater des in seiner wahrehit und Eigentlichkeit nicht-Zeigbaren.

Wir (Europer) verstehen den Begriff der Reprsentation gerne in dem (vermeintlich) harmlos-kommoden Sinn, dass da etwas fr etwas anderes steht, das es eben reprsentiert und vergessen dabei, das eine repraesentatio auch immer das Bild eines Geheimnisses ist, dessen Geheimnisstand dadurch nur besiegelt wird. Bezeichnend, dass das Offenlegen eines Geheimnisses, als apokalyptische Offenbarung gedacht wird (denn man blickt in Europa nicht ungestraft hinter den Vorhang). Whrend in diesem Kontext repaesentatio Zeichen oder Bild eines Geheimnisses (signum/imago mysterii) ist, knnte man die praesentatio als 7

ein Zeichen oder Bild als Bezug (signum/imago qua nexus) bezeichnen. Und damit htten wir uns dem japanischen Welt-Bild um ein groes Stck angenhert. Hier ist die Welt uns damit ihre Dinge nicht Mimesis einer wirklich wirklichen Jenseitswelt, nicht, um im Jargon der europischen berlieferung zu bleiben, nicht Ektyp eines Archetypen, sondern ein vielfach inenandergefalteter Konnex von Ektypen ohne Archetyp. (Eben nicht wie bei Dionysius Aeropagita, der die Beziehung der gttlichen Prdikate (den Archetypen) zu den Dingen der Welt (den Ektypen) in folgendem Bild beschreibt Gleicherweise hat an dem Mittelpunkt des Kreises jede der im Kreise liegenden geraden Linien Anteil, und die vielen Abdrcke (Ektypen) eines Siegels haben Anteil an dem Originalsiegel (Archetyp), ohne dass von irgendeinem der Abdrcke das ganzen und immer gleichen Siegels blo irgend ein Teil desselben sich findet. - Ein einfaches aber geniales Bild, dass die unberbrckbare Kluft, die wirklich unendliche Ferne, die zwischen creator und creatur herrscht Ganz abgesehen davon, dass dieses Bild auch nahelegt, dass die Abdrcke, die Ektypen, also die Dinge der Welt, seitenverkehrte Kopien der gttlichen Archetypen sind. Kaum eine Vorstellung knnte, will mir scheinen, dem japanischen Bezug zu den Dingen der Welt fremder sein.

An dieser Stelle mchte ich Ihnen ein Buch zur Lektre empfinden, das fr unsere Fragestellung so wichtig ist, weil es gar nichts mit Japan zu tun hat. Sein Titel ist: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendlndischer Spiritualitt in Antike, Mittelalter und Frher Neuzeit. Geschrieben hat es Wilhelm Schmidt-Biggemann. Erschienen ist es 1998 bei Suhrkamp. Es ist deshalb fr uns so wichtig und ntzlich, weil es ich mchte sagen: mit ungemeiner Wucht verdeutlicht, wie weit die das abendlndische Denken prgenden Grundvorstellungen von denen der asiatischen Spiritualitt im allgemeinen und der japanischen Spiritualitt im besonderen entfernt sind. Und wie fremd sich, die daraus resultierenden Weltbilder und (vor allem) Welt-Bezge gegenber stehen.

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Was um Gottes Willen hat das mit things japanese zu tun. Alles Denkbare! Wenn wir den Gedanken akzeptieren, und es spricht nichts dagegen, es zu tun, - dass Dinge und Formen Medien sind, die auf die eine oder andere Weise vermitteln, was nur sie vermitteln knnen, dann gilt das, was ich ber Bilder und Zeichen ausgefhrt habe, auch fr die Dinge. Dann ist in einer Welt der Reprsentation das Ding ein Medium des Geheimnisses, das heit, es vermittelt etwas, das im Bunker der Jenseitigkeit verbleibt. Und in einer Welt der Prsentation ist das Ding ein Medium als Bezug, also ein Inbegriff der Konnektivitt, um ein Begriff aus dem bayerischen Verwaltungsjargon zu gebrauchen. Man knnte auch sagen, wenn das auf Deutsch nur nicht so negativ, fast vorwurfsvoll klnge, hier gibt es nur Oberflche. und nichts dahinter, aber eben nicht in unserem Alltags-Sinn von:: da steckt nichts dahinter, sondern im Sinne von: Da steckt nur das Nichts dahinter. Und weit vorausgreifend mchte ich hier schon behaupten, dass genau darin die Intensitt und In-Stndigkeit japanische Dinge beruht, einer Tee-Schale, einer Kalligraphie, eines Steingartens, eines Gedichts, Szenen des N-Theaters. Dinge sind hier eben keine Stellvertreter eines Abwesenden, sondern sie sind prsentieren = vergegenwrtigen = zeitigen, was wir vom Nichts haben knnen. Und genau das, so scheint mir, gibt den von Donald Keene formulierten Vier Grundelementen japanischer sthetik erst ihre Signifikanz.

Vor einigen Jahren ist bei der edition suhrkamp ein Buch mit dem Titel Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Prsenz (edition suhrkamp 2364) erschienen. Darin versucht der Autor, der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, Mglichkeiten zu erkunden, ob und wie man sich der Zwangsjacke des abendlndischen Denkens entledigen kann. Fr Gumbrecht verhindert das neuzeitlich-abendlndische Denken, das seinem Wesen nach metaphysisch sei jegliche Unmittelbarkeit. Auf seiner Suche nach Sinn verhindert das moderne abendlndische Denken die Erfahrung von Prsenz. Dass Gumbrecht glaubt, man knne durch eine Rckbesinnung auf das Mittelalter dem neuzeitlich-abendlndischen 9 Herme-

neutik-Zwang entfliehen, scheint mir problematisch, aber: wenn man seine typologische Unterscheidung von Sinnkultur und Prsenzkultur akzeptiert, trug Japan zumindest bis zum Einbruch des Westens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts alle Merkmale eine PrsenzKultur. Ein Charakteristikum einer Prsenzkultur. Es sollte uns daher nicht berraschen, dass gegen Ende des Buchs, an der einzigen Stelle, wo Gumbrecht eine persnliche PrsenzErfahrung als Alternative zum abendlndischen Sinnzuschreibungszwang schildert, ber das klassische japanische Theater spricht. Die Erfahrung eines N-Spiels das sich u.a. durch Momente stiller Intensitt auszeichne die Erfahrung eines N-Spiels etwa knne, so Gumbrecht, das eigene Verhltnis zu den Dingen dieser Welt verndern. (S.174). Zitat: Vielleicht wird man sogar die Gelassenheit spren, die es gestattet, die Dinge auf sich zukommen zu lassen, und vielleicht wird man aufhren zu fragen, was diese Dinge bedeuten denn nun scheinen sie einfach prsent und bedeutungsvoll zu sein. Vielleicht wird man sogar feststellen, wie man, whrend man die Dinge ganz langsam zum Vorschein kommen lsst, selbst zu einem Teil dieser Dinge wird. (S.174/5) - Vielleicht knnen Sie sich denken, wie ich mich ber dieses prchtige Fundstck gefreut habe. Dass ein in Amerika lehrender deutscher Literaturprofessor aus ganz anderen Motiven und auf ganz anderen Wegen auf Gedanken kommt, die ihn zu einer Art Kronzeugen meiner Thesen zur japanischen Wahrnehmung und Erfahrung der Dinge machen. Und: Dass die Erfahrung von Andersheit ein unmittelbares und hchst intensives Verwandlungserlebnis sein kann.

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Vorlesung II

Eine italienische Kennerin der asiatischen Kunst und sthetik, Grazia Marchiano, formuliert es prgnant und, wenn man so will, auch schn: Sie sagt, wenn das Staunen die Alten Griechen zum Philosophieren inspiriert, motiviert, getrieben hat, so ist das Staunen fr den asiatischen Geist (asiatic mind) the beginning of a sensitivity to things, and sensitivity to things (jap. mono no aware) is the most comprehensive way to be in the world an to make the world be in oneself. (Vgl. Grazia Marchiano, What to Learn from Eastern Aesthetics; www.uqtr.uquebec.ca/AE/vol_2/machiano.html) Durchlssigkeit fr die Dinge, selbstlose Sympathie und Offenheit fr die Dinge, also das, was die frhen indischen Denker sahrdayat genannt haben, bedeutet auch durch und durch Lssigkeit: denn damit man etwas wirklich sein lassen kann, bedarf es einer Seins-Lssigkeit, die leider nur erarbeitet werden kann. Marchiano charakterisiert die sino-japanische sthetik unter anderem auch als: ein blitz-schneller Sprung in die Identifikation mit den Dingen (a lightning-swift leap into identification with things).

Wie angekndigt werde ich heute anders als in der letzten Woche sozusagen mit/in fremder Zunge sprechen; das heit: ich werde Ihnen vorstellen, was man im allgemeinen ber die japanische Kunst an sich und im Vergleich zur westlichen Kunst (so) hrt und liest. Darber hinaus heit das aber auch: Was ich Ihnen vortragen werde, das ist nicht notwendig auch meine Meinung. Einiges davon halte ich fr richtig, anderes muss modifiziert werden, wieder anderes gewinnt seine Geltung nur oder erst unter ganz bestimmten Voraussetzungen und Einschrnkungen. Doch nhern wir uns der Sachlage erst einmal mit aller gebotenen Unbefangenheit. Es folgt also nun ein abschnitt, dem ich den Titel geben mchte: Was man ber japanische Kunst und sthetik so hren oder lesen kann. Meine Auswahl erfolgt nicht chronologisch; eher assoziativ nach Magabe eine Hpf-Logik (wie W. Schmidt-Biggemann 11

es nennt), deren Plausibilitt und inneren Zusammenhang ich im einzelnen jedoch demonstrieren und rechtfertigen knnte.

Die japanische Kunst soll in einem greren Mae als die westliche ins Leben und in den Alltag integriert oder eingebettet sein. Formelhaft gesagt: Weltanschauung (wenn dieses schwergewichtige euro-theologische Wort hier erlaubt ist) und life style reichen sich, um es in ein unglckliches aber plastisches Bild zu bringen, in der japanischen Kunst gleichsam die Hand. Vielleicht erscheint dies fast selbstverstndlich, wenn wie uns an jene Knste erinnern, die auf Japanisch d oder michi, , Wege, genannt werden. (ber den Begriff der Wege werden wir im Verlauf der Vorlesung noch ausfhrlich zu reden haben.) Im Wege-Begriff fallen die Bedeutung von Kunst und Kunsthandwerk und Kunstbung zusammen. Denken wir an den Tee-Weg, , den Blumen-Weg, , den Weg des Schreibens, , den wir mit vllig anderem Sinn-Akzent -Kalligraphie nennen, - oder auch an den Duft-Weg, , und last not least an den Weg des Kriegers, ; aber auch die Garten-Kunst und die Architektur mssen hier genannt werden. Die Schlsselrolle, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts der Begriff michi in der Diskussion um den rechten Weg der waka-Dichtung, uta no michi, , einzunehmen begann, dokumentiert, dass zu dieser Zeit das Dichten von waka, , von einer hfischen Kompetenz zu einer Kunst wurde; - und, um dies an dieser Stelle vorweg zu nehmen, das qualifizierende Moment vom Thema/Topos, dai, , eines Gedichtes auf seinen Stil, tai/tei, , verschoben wurde. Indem Dichten zu einem Weg wurde, wurde die zeitgenssische kritische Terminologie (Konzept/Thema, kokoro, , Sprache/Ausdruck, kotoba, , und Ge-

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stalt/Konfiguration, sugata, eher im Sinne von Stil eines spezifischen Gedichts) um ein wesentliches Element bereichert, das sozusagen unter dem Namen Stil (tei=der bergeordnete Stil, an dem ein einzelnes Gedicht teilhat) oder Art und Weise, , sama (im Sinne eines Vermittlers zwischen sugata und tei) einen gleichsam auratischen, bestimmenden Ton forderte. Der abgedankte Kaiser Go-Toba (1180-1239) verlangte clare et distincte -: Frhlings- und Sommergedichte sollten dick und gro (futoku ki ni) sein. Herbat- und Wintergedichte sollten dnn und verwittert (hosoku karabi), und Liebes- und Reisegedichte sollten anmutig und zart (en ni yasashiku) sein. (Mumysh) Der Unterschied zu westlichen Vorstellungen fllt ins Auge. Zumindest der Unterschied zum main stream der westlichen Vorstellungen von der Kunst ist offensichtlich. - Denn dass es auch in Europa abweichende oder hretische Konzepte gab, das ist wohlbekannt, entscheidend ist aber, dass sie marginal blieben. - Es ist sicher nicht falsch zu sagen, dass die Kunst im Westen (primr) nicht zuletzt ihrer (oft) starken theologischen Implikationen wegen (der Knstler als profaner Schpfergott) - als etwas Elitres, zumindest aber vom Alltagsleben Abgetrenntes, wenn nicht gar der Alltagswelt berhobenes betrachtet wurde. Der Begriff die Kunst in dem Sinne, wie wir ihn heute gebrauchen, geht darauf zurck, dass durch Baumgarten die sthetik als eigene philosophische Disziplin begrndet wurde, und er geht vor allem auf die Ableitung des Kunstschnen in Kants Kritik der Urteilskraft zurck, wodurch die begriffliche Voraussetzung fr ein Denken ber die Kunst als eines fr sich existierenden, autonomen Bereichs erst geschaffen wurde. (Mhlmann, 127) Aber auch schon davor nicht zuletzt wgen ihrer engen Beziehung zum Christentum - war im Westen das spezifische ontologische Gewicht der Kunst hher, in Japan ist hingegen das spezifische anthropologische Gewicht hher. Nicht umsonst wurde Die Kunst im deutschen Sprachraum gerne Hohe Kunst oder gar Hehre Kunst genannt. Dem entspricht, dass Kunst im Westen mit Vorliebe ausgestellt wurde/wird; in Museen, Galerien oder auch Privathusern, wo 13

Kunstwerke displayed werden. Dass es bis ins spte 19. Jahrhundert nicht einmal ein Wort fr Museum in Japan gab, verwundert im Gegenzug freilich nicht. Verbunden mit der Sonderstellung der Kunst war im westen auch die Sonderstellung des Knstlers, die im Genie-Kult des 18. Jahrhunderts wohl ihren Hhepunkt erreichte. Und diese dem Knstler zugemutete Sonderstellung machte ihn zudem noch einsam. Existentiell einsam. Kunst und Kunst-Schaffen sind fr den Westen Ausdruck (schon das ist sehr westlich gemutmat: dass sie Ausdruck von (etwas sein sollen!) also Ausdruck vom Individualitt, SelbstAusdruck einer Persnlichkeit, vor der auerdem noch Originalitt, Einzigartigkeit und Innovation gefordert wird. - - - Wie anders war es (zumindest) in Japan, wo Kunst und Kunstschaffen wenn schon ein Ausdruck, dann einer des Kollektivs war: Das Ritual, die (mndliche) Tradition (kuden, ) von Herz (Meister) zu Herz (Schler), ishin-denshin, , das (kperlich-)unmittelbare Lernen durch Sehen, minarai, , die Gruppen-Verbundenheit, ja GruppenVerpflichtung waren gleichsam naturwchsige ingredientia der Knste im Sinne der Wege. Dass dies fr die Art und Weise der japanischen sthetischen Wahrnehmung Folgen hatte, das liegt (geradezu) auf der Hand. Zudem haben unter solchen Voraussetzungen Alltagsobjekt oder einfache Dinge eine unverhltnismig grere Chance, in ihrer - ihnen eigentmlichen - Schnheit wahrgenommen zu werden, also jenes aware!, jenes Ach! pathetisch-sthetischer Rhrung zu provozieren, dem wir im mono no aware, , dem (mit existentieller Verve) Herzzerreissenden der Dinge schon begegnet sind. Dies fhrt auch zu der Frage, welche elementaren Formen und/oder designs oder features od design in Japan wertgeschtzt wurden und (noch) werden. und welche im Westen (zum illustrativen Vergleich). Fr Japan kann man hier nennen (fast willkrlich herausgegriffen und nur als Vergrerung unseres Vorrats an Perspektiven und Vokabular gedacht):

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Eine gewisse ausbalancierte oder austarierte Asymmetrie (wobei die Diagonale oft eine ausgleichend Rolle spielt. Weiter: Eine Betonung der Vertikale und + vor allem natrlich in der Malerei eine mehr atmosphrische Perspektive, sozusagen vom Typus Sfumato (sozu (wobei wir das Wort Perspektive in einem sehr erweiterten Sinne verstehen mssen.)) Weiter: Eine /tendentiell) feine Linienfhrung. - Notabene: Dies sind Charakteristika, die ihrem Wesen nach - also unabhngig von der technischen Frage nicht auf Reproduktion oder gar massenhafte Reprodukion angelegt sind. Ich erinnere hier an die von Donald Keene in die Diskussion gebrachten Begriffe Andeutung, Irregularitt, Einfachheit und Hinflligkeit; denen man noch Einzigartigkeit im Sinne des nur einmal so! Gelingenden hinzufgen knnte. Ergnzt sei an dieser Stelle, dass Donald Keene seine Typologie anhand des Tsurezuregusa, eines so ge nannten zuihitsu, , von Yohida Kenk (geschrieben um 1333) entwickelt hat.

Im Westen finden wir sowohl eine symmetrische als auch eine asymmetrische Balance, ein Vorherrschen der Linearperspektive (seit sie entdeckt wurde), eine Tendenz zum Chiaroscuro zum Deutlichen, zumindest Deutbaren berhaupt, auch wenn dies doch viel Allegorik, Symbolik, Rhetorik etc. verdeckt wurde; (U.a.: Goethe: Man sieht nur, was man wei.) Freilich ist auch die abendlndische nicht eigentlich daraufhin ausgelegt, aber dennoch fgt sie sich der Reproduktion widerstandsloser.

Ergnzen muss ich an dieser Stelle, dass ich den soziologischen Anstzen zuneige und zustimme, die in der Kunst prinzipiell nicht einen Ausdruck der Gesellschaft sehen, sondern einen integralen Bestandteil; also kein Nebenprodukt oder oder Ornament oder gar Luxus; Kunst ist part and parcel der Gesellschaft: Extrahierte man Kunst aus der Gesell-

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schaft, wre der Rest Schweigen - keine Gesellschaft mehr. (Vgl. dazu z.B. Viala, Alain: Prismatic Effects, in: Crirical Inquiry 14: 3, 1988, 563-573.)

In eine gewisse Nhe zu dem, was ich Ihnen in der letzten Woche vorgetragen habe, fhrt uns das Argument, dass das japanische Weltbild nicht anthropozentrisch sei. Zumeist wird diese Feststellung mit der Bemerkung verbunden, dass dies mit der (exorbitanten) Naturverbundenheit der Japaner/innen zu tun habe: Die Japaner/innen verstehen sich nach dieser Interpretation nicht als Kreaturen, also nicht als Geschpfe Gottes, sondern als Teil der Natur oder Teil des Kosmos, also nicht als bewirkte Kreatur, sondern als Ingredienz des ganzen Wirkungszusammenhangs. Darauf spielt auch die Rede von der von der geradezu exklusiven Harmonie, welche die Japaner mit der Natur verbinde. Aus all dem erwachse Respekt vor der Natur und das Bedrfnis, den Gesetzen (obgleich dieses Wort hier nicht recht passen will) der Natur zu entsprechen, - bis zu dem Punkt gnzlicher Ichlosigkeit, wie sie etwa im buddhistischen muga-Konzept, , wrtl. einfach Nicht-Ich, gleichsam vor-modelliert erscheint. Hren/Lesen Eie bitte, wie weit die Idee von der Ich-Auflsung im Angesicht der Natur getrieben werden kann; und welche Folgen das fr die Wahrnehmung das Schnen mitunter haben mag. G. Marchiano (s.o.) schreibt Writing about night as an aesthetic category, Tomonobu Imamichi (=einer der bekanntesten japanischen Philosophen und sthetiker der 2. Hlfte des 20. Jahrhunderts (PP)), the comparativist philosopher from Tokyo, remarks that the mental situation arising from an attuned contemplation of moonlight on a starry night is a total experience of beauty to the degree to which it is bathed in egolessness. The linguist form in which that experience is conveyed, says Imamichi, is a propoition without a subjct: is beautiful, i.e. the linguistic form taken by the inner feeling of total experience of beauty. Everything which becomes a subject of this halfsentence... will become beautiful because the implicit predicate is beautiful. We should ha-

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ve in ourselves the moonlight. As Imamichi concludes, we must be unified with night as a productive aesthetic category. -- total experience of beauty, -- bathed in egolessness, -in ourselves the moonlight, -- we must be unified with night --: Kein leichtes sthetisches Spiel fr einen Abendlndschen (wie Heinrich Heine reimt) Menschen. Denn de ist ja, so die gngige Diagnose ein unverbesserlicher Anthropozentriker. Als Eben-Bild des Schpfergottes und Krone der Schpfung, hlt der kleine Gott der Welt (wie Mephisto ihn nennt) hlt das westliche Ebenbild des creator und conditor mundi sich fr die Mitte der Schpfung. Der Mensch als Gottes beste Idee ist der Natur an Seinswrde, dignitas entis, berlegen. Und bei der Vertreibung aus dem Paradies erging an ihn sogar der Auftrag, sich die Erde samt Natur untertan zu machen. Einer der Folgen davon, dass der Gipfel der Schpfung letztlich aus derselben vertrieben wurde (die Abendlndschen sind im Grunde Schpfungs- und somit Seins-Vertriebene, wie man bei Martin Heidegger nachlesen kann), eine Folge davon also ist, dass der platonisch-christlich normierte Westmensch in seinem in seinem Innersten, wo er ja eigentlich zu Hause zu sein vermeint, nicht an perishability glaubt/glauben will, sondern an permanence in welch erpresster Form auch immer. Freilich das hat unbertrefflich schon Augustinus beschrieben nimmt auch er die Vergnglichkeit schmerzlich wahr (Wir sind nur Gast auf Erden, O vanitas vanitatum), aber er kmpft, lehnt sich auf gegen sie und proklamiert (Endlich, endlich wird einmal!) die Bestndigkeit von Ideen und Konzepten und versucht zum Beispiel durch die schon beschrieben Musealisierung auch Artefakten Dauer zu verleihen. Ist nicht, wenn ich dieses Beispiel hier anfhren darf, James Joycens Ulysses ein einziges, verzweifeltes (=jesuitisches) Anschreiben gegen die Zeit? Abgesichert sind solche Versuche u.a. durch Markus 13.31: Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. (Als bei Friedrich II eine Beschwerde ber einen Pfarrer einging, der vor seiner Gemeinde die Auferstehung im Fleische leugnete, beruhigte Friedrich die Gemeinde, sie solle das nicht so ernst nehmen, und der Pfarrer knnte, wenn er es wolle, zum Zeitpunkt der Auferstehung aller To17

ten ja einfach liegen bleiben...) Anders gesagt: in Anlehnung an andere, die sich mit dieser Fragestellung befasst haben mchte ich gegen die (japanische) Neigung, der Vergnglichkeit und Hinflligkeit gleichsam affirmativ zu begegnen, die (westliche) Affirmation der Dauer (O Ewigkeit, du Donnnerwort!) setzen (die sich sogar noch verstrkt, wenn sie angst-beladen ist). Auch hier wieder exemplarisch: Goethes Faust, der , wie Ihnen wohlbekannt ist, sagt: Es soll die Spur von meinen Erdentagen nicht in onen untergehn! Ich glaube, dass es nicht falsch ist zu behaupten, dass die japanische Kunst mit der Zeit arbeitet, die westliche aber gegen sie, Die westliche Kunst erhebt Einspruch gegen die Zeit. Die japanische willigt in sie ein. Aus diesem anderen Bezug zur Zeit lassen sich vielleicht auch andere Unterschiede erklren oder zumindest ableiten. Etwa die Bevorzugung der Wahrnehmung gegenber dem Denken. Oder auch ganz konkret auf die knstlerische Technik bezogen: - die Betonung der Stimmung anstelle realistischer Darstellung. Erzeugt Stimmung etwa bei der Betrachtung eines Bildes doch eher ein Gefhl von Prsenz als eine so genannte realistische Abbildung. Der Faible fr realistische oder naturalistische Darstellung (oder auch Beschreibung) ist ein prgnant westlicher. Dazu gehrt wir haben vor einer Woche schon ber die westliche Logik des Nach gesprochen dazu gehren: die Nachahmung der Natur (Imitation, - auch das ein der japanischen sthetik zutiefst fremder Begriff), das (wissenschaftliche) Fragen nach dem Wesen der Realitt, und auch die oft kontroverse - Einbeziehung sozialer Motive und Fragestellung (d.h. die Frage nach dem Wesen der gesellschaftlichen Realitt). Wir erkennen in allen diesen Oppositionen auf der westlichen Seite einen Mangel an Prsenz (und dem Sinn fr Prsenz) und auf der japanischen Seite einen Mangel an Sinn fr Eigentlichkeit. Ich hoffe, dass Sie dies an meine Thesen ber das Fehlen einer Zwei-Welten-Theorie im japanischen Denken und das Vorherrschen einer prsentativen Vorstellungsweise (und eben keiner reprsentativen, der es letztlich immer um das abwesende Eigentliche geht) erinnert. Ich knnte mir denken, dass erst in einem solchen Interpretationsrahmen deutlich werden kann, was ge18

meint ist, wenn gesagt wird, dass sich etwa in einer gelungenen Kalligraphie, die ursprngliche Spontaneitt der kosmischen Energie () unmittelbar niederschlgt. Ebenso gewinnt erst in einem solchen Deutungsrahmen eine Aussage wie: Das japanische Konzept von Schnheit betont die Oberflche und nicht die Illusion von Raumtiefe und dergleichen; es verlangt nach Grundtnen, Grundfarben, und organischen Formen. Im Vergleich dazu, tendiert das westliche Design (im westlichen Sinn) zweifellos zu hherer Komplexitt. Perspektive: die Darstellung von Dreidimensionalitt auf einer zweidimensionalen Flche. Die hhere Komplexitt und die bedeutet ja nota bene nicht notwendig hhere Qualitt oder Kreativitt, diese hhere Komplexitt ist sozusagen der Preis, den die westliche Kunst fr ihre metaphysische Verankerung in der abendlndischen Transzendenz zahlen muss. Dafr fehlen ihr auch, bis auf gewisse Ausnahmen in der Moderne abgesehen, jene Unmittelbarkeit und Spontaneitt, die einer Kalligraphie, aber euch einer Teeschale ihren Reiz geben. Dieser Reiz verdankt sich der Tatsache, dass die japanischen Wege, ein gemeinsames sthetisches Ziel haben: das Resultat soll sich als eine Einheit aus bung und Zufall erweisen. Anders gesagt: der Pinsel verachtet das Lineal. Und kann es auch gar nicht gebrauchen. Und oder aber: bei alledem bewahrt die japanische Kunst eine gewisse Nhe zum Bauhaus; schon lange, schon als es das Bauhaus noch gar nicht gab. Das berrascht sie vielleicht, aber cum grano salis fr die japanische sthetik gilt, dass Schnheit und Funktionalitt der Form eine Einheit bilden, eine Einheit bilden mssen. Die Form folgt auch in Japan der Funktion. Das heit im Gegenzug -, das die Idee des Lart pour lart dem japanischen Denken sozusagen strukturell fremd ist.

Ich ergnze noch einige Begriffs-Oppositionen, die und bei unseren weiteren Erkundungen begleiten sollen. Aber es gilt wieder, was ich schon in der letzten Woche betont habe: nicht als festgeschriebene Resultate, sondern Orientierungshilfen. Die Reihenfolge der Begriffe ist

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immer Ost West. Die Unterscheidung intuitiv versus rational halte ich nicht fr sehr ergiebig; die zwischen partikular versus universal ist hingegen in ihrer Reichweite noch nicht ausgelotet. Der (Begriff) Fortschritt ist fr die japanische Kunst nicht relevant (auch wenn sie im Laufe der Geschichte permanent Fortschritte gemacht hat): die japanische Kunst ist nicht Ausdruck eines wie auch immer gearteten Fortschrittglaubens. Japanische Formen sind eher organisch (weich, vage (?)) als geometrisch; und wenn sie geometrisch erscheinen (Kreise, Quadrate, Dreiecke) werden sie (problematische These!) als organisch wahrgenommen. Es handelt sich nicht um konstruierte Formen. Denken sie an die kreisrunden Fenster; mit Namen Mondfenster. Fr die japanische Seite habe ich die Kennzeichnung die Schale als Metapher gefunden: eine freie Form, ungemein flexibel, oben offen. Ich habe vor, Ihnen zu demonstrieren, wie viele Formen diese eine Form, Schale, in Japan angenommen hat! Fr die westliche Seite steht die Schachtel als Metapher: gradlinig, genau, geschlossen. Ist es ein Zufall, dass gerade die Japaner aus der Schachtel ein Objekt nicht endender kreativer Spielfreude gemacht haben: mit der Folge, dass es eine Publikation gibt, die am Beispiel der bent-Box sich Rtsel der japanischen sthetik anzunhern versucht. Titel: Die sthetik der Bent-Box.

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Vorlesung III

Da die Prhistorie und die Besiedlungsgeschichte Japans uns zwar auch, in diesem Semester uns aber nur am Rande interessiert, erlaube ich mit im Rahmen der angekndigten Par-Forcetour durch die japanische Kunstgeschichte die Vor- und Frhzeit nur knapp und in aus der Perspektive unserer Fragestellung, der Geschichte der Wahrnehmung der Dinge, zu beschreiben.

Die ersten Besiedler Japans, so genannten Jmon-Menschen sie waren wahrscheinlich zur in der Wrmeiszeit ber noch bestehende Landbrcken vom Kontinent nach Japan gelangt und ihre Epoche wird in der Regel als die Zeit von etwa 10.500 bis 300 vor der Zeitenwende angegeben schon die Jmon-Leute also sind benannt nach einem bestimmten Artefakt, das zu den bedeutendsten Zeugnissen ihrer Kultur gehrt, nmlich Tongefe, die ein charakteristisches Muster, oder ein markantes Dekor, wie man es formuliert findet, aufweisen; und zwar: Schnur- und Mattenabdrcke, die auf Japanisch eben jmon, , genannt werden. Daneben fanden sich auch einige Tonidole, kleine menschnhnliche Figuren aus Terrakotta; womglich Kultdarstellungen weiblicher Gottheiten, die auf eine weibliche Vorherrschaft im sozialen Leben und einen ausgeprgten Fruchtbarkeitskult hindeuten sollen. Die JmonMenschen waren zunchst Nomaden, Jger, Fischer, Wurzel- und Nusssammler Sammler, bis sie sich in Gruppen von zumindest Hinderten niederlieen, Ackerbau betrieben und Drfer und kleine Stdte errichteten, wo sie in einfachen Holz- und thach-Hasern, die ber vertieften Erdhhlen errichtet waren, wohnten. In der Altsteinzeit hatten sie sich hauptschlich im Innern des Landes aufgehalten, uns erst in Jungsteinzeit siedelten sie in Kstennhe . Neben Keramikfunden zeugen vor allem sogenannte kaizuka, , Muschelhaufen, die mit Knochen und Grten durchsetzt sind; also Nahrungs-Mll, der zeigt, dass die Jmon-Menschen 21

sich vor allem von Schalen-Tieren ernhrt haben. Dafr, dass sie zu den frhesten Erzeugnissen ihrer Art auf der ganzen Welt gehren, vielleicht in ihren frhesten Formen die ltesten sind, zeichnet sich die Jmon-Keramik (bei der sich freilich auch Entwicklungsstufen nachweisen lassen) durch eine groe Originalitt sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Dekor aus. Die Hhe ihrer Kunst erreichte die Jmon-Keramik in der so genannten Mittleren Jmon-Zeit von 2500 bis 1500 vor der Zeitenwende. Neben den Schnurabrcken findet sich reicher Reliefdekor, wie zum Beispiel Ovale, Kreise und Spiralformen in beachtlicher Variation in Gre und Expressivitt. (Vgl. Douglas Moore Kenrick, Jomon of Japan: The Worlds Oldest Pottery, London an New York: Kegan Paul, 1996) Oft sind ihrer Rnder ungemein skulptural ausgearbeitet man fhlt sich an Flammen, Wellen- oder Wol kenformen erinnert. Ein durchaus faszinierendes Moment von Keramik berhaupt ist, dass sie, anders als andere Fundstcke aus der Prhistorie, wie Handwerkszeuge oder Waffen, und gar von Menschenhand gleichsam ganz

geformt sind; - die Jmon-Keramik brigens in der Aufbau-

technik in Spiralgang, wie es genannt wird. Sie wurde in offenem Feuer bei vergleichsweise niedriger Temperatur (d.h. nicht hher als 900 Grad Celsius) gebrannt. Die Farben wurden Rtlich oder buchstabierten sozusagen die mglichen Abstufungen durch zwischen Grau und Schwarz. Einige der erwhnten Kultfiguren und auch Gebrauchsgefe waren poliert oder

mit Eisenoxid berzogen. Es wird nun angenommen, dass die Jmon-Keramik, wie man es auch bei andern neolithischen Kulturen findet, von Frauen hergestellt worden ist. Obgleich es sehr schwer ist, die Artefakte aus der Jmon-Zeit, gerade weil sie fast die einzigen Zeugnisse der Epoche sind, aus der sie stammen, zu beurteilen und zu deuten, darf man, denke ich, doch sagen, dass sie eine auerordentliche Prsenz besitzen, von sehr prgnanter Dinghaftigkeit, dass sie sich sozusagen ganz auf ihrer Materialitt verlassen. Sie stellen, um das Vokabular der letzten beiden Vorlesungen einzubeziehen, nichts dar, sie reprsentieren nichts. Ihr Dekor erzhlt nichts; keine Geschichten, wie es die (klassische) griechische Keramik gerne tut. Gleichzeitig zeigt ihre Neigung zum reinen Dekor bereits 22

eine Tendenz, die fr die japanische sthetik berhaupt prgend werden sollte: Die Neigung zu dem, was auf Japanisch kazari, , genannt wird; Schmuck, Ornament, decorum. Der Kunstwissenschaftler Nobuo Tsuji schreibt unter dem Titel Ornament (kazari) an Approach to Japanese Culture, dass Ornament, Dekoration und die dekorativen Knste a universal human delight by its purely visual richness and ingenuity audrcken. Tsujis ganzes Argument ist ein mutiger und auch bezeichnender Versuch, vor allem aber nicht nur - die visuellen japanischen Kunstformen auf das Konzept des kazari, also des Schmuckhaften in einem weiten Sinne zurckzufhren. Welt ist hier also, um es so zu formulieren, alles, was schmuckhaft ist. Also die japanische und damit sehr andere Variante des griechisch gedachten kosmos. Tsuji spricht auch geradzu vom (japanischen) Willen zu dekorieren. (Kazari. Decoration and Display in Japan...) Ein amerikanischer Kommentator, Fred Stern, glaubt einer Rezension (des Ausstellungskataloges Kazari) den Titel Japans Decorative Delirium geben zu mssen. Und trifft aus westlicher Sicht meines Erachtens das Richtige. Dem westlichen Auge muss dieser ungebundene (bisweilen unbndige, barocke) Zug zum Dekorativen, als Delirium erschienen (warum nicht gar als Hresie?), da sie sich drber hinaus gar nicht einmal willlentlich dem Sinnzwang entzieht. Eine perspektivenreiche Darstellung der Geschichte des Schmuckhaften in Japan bietet das von Tsuji Nobuo herausgegebene Buch `Kazarino Nihonbunka (Erschienen im Verlag Kadakawa Shoten, Tky 1998).

Nun aber wieder zurck in die Vorzeit! Wir mssen uns dessen bewusst sein, dass wir, wenn wir von der Jmon-Epoche sprechen, von der Steinzeit reden, die auf dem japanischen Archipel erst um 300 vor der Zeitenwende zu Ende ging. Um 300 vor der Zeitenwende begann die sogenannte Yayoi-Zeit; auch diese wieder, auf eine etwas vermitteltere Weise als die Jmon-Zeit, nach ihrer Keramik benannt. Yayoi heit, bezihungsweise hie, eine Teil Tky-

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s, wo man bei archologischen Grabungen Tongefe fand, die zu den bedeutendsten Relikten jener Epoche gehren, die jetzt eben Yayoi-Zeit genannt wird. Mit dieser Zeit begann der Reisanbau auf Nassfeldern, die Verarbeitung vom Metall und eine neue Art zu tpfern. Wir knnen uns auf die sehr komplizierte und ber aus ideologisch belastete Diskussion um die Herkunft, das eigentliche Alter und den Siedlungsweg der Yayoi-Menschen und ihrer Kultur hier nicht einlassen. Wann die Yayoi nach Japan kamen ( vielleicht schon im 9. Jahrhundert vor der Zweitenwende?), ob sie wirklich den Reisanbau auf Nassfeldern aus Korea mitbrachten? Und wie gro der Zahl der Immigranten war und wie sie sich mit JmonMenschen arrangierten - ist umstritten; und wird es aufgrund der Quellen- und Materiallage auch noch ich denke: lange! - bleiben. Die ltesten Yayoi-Menschen, kamen, ausgerstet mit Steinwerkzeugen, aus Nord-Knysh und mischten sich mit den Jmon-Menschen. Die Tpferkunst, die sie mitbrachten, war zwar technisch hher entwickelt als die der JmonLeute, - sie benutzen eine Tpferscheibe -, aber ihre Produkte waren schlichter und weniger ornamentiert als die Jmon-Ware. Die Yayoi stellten auch seltsame glockenfrmige bronzene Objekte her, so genannte dtaku, ceremonial unfunctional bells, wie ich sie einmal genannt fand, daneben Spiegel und Waffen; und im ersten Jahrhundert nach der Zeitenwende auch Ackergerte (und Waffen) aus Eisen. Wenn man von der Schlichtheit der Yayoi-Keramik spricht, darf man nicht vergessen zu ergnzen, dass sie, was sie im vergleich zur JmonKeramik an Ornament verloren, an Deliktesse gewonnen hat. Sie sind aus feinerem Ton gearbeitet, dnnwandiger als die Jmon-Gefe und von einer neuartigen Anmut der Form, wie ich es nennen mchte. Dass sie in Gleichma, Symmetrie und Balance den Jmon-Gefen berlegen sind, hat sicher nicht wenig damit zu tun, dass sie auf Tpferscheiben geformt wurden.

Ich wei nicht, ob Sie mir folgen wollen, ich befrchte sogar, dass Sie es nicht tun, wenn ich den Vorschlag mache, in den beiden (prhistorischen) Keramiktypen, von denen der eine 24

den Namen Jmon und der andere den Namen Yayoi trgt, sozusagen Archetypen zu sehen, die beide in der spteren Geschichte Japans ungemein vielfltige Ausformungen erfahren haben. Ist es wirklich abwegig, in diesen beiden Formtypen so etwas wie Urbilder fr die beiden Extreme sthetischer Wahrnehmung, sthetischen Erfahrens, sthetischer Orientierung zu sehen, die in der japanischen Geschichte immer wieder auffllig wurden: Auf der einen Seite das Delirium des Dekors, mit anderen Worten: die Hitze, auf der anderen Seite die Delikatesse und die Diskretion, mit anderen Worten: die Khle, - wofr in spteren Zeiten immer wieder der Mond (oder auch der Herbst) als Metapher einstehen sollte. Mir scheint, in Japan ist die Schnheit (wobei es mir sogar schwerfllt, diesen Begriff in Japanische zu bersetzen: ? bi? utsukushisa?), in Japan ist Schnheit eine Kontrast-Kategorie: Schnheit erweist sich immer nur im Unterschied. Aber vielleicht ist sie anders ja auch berhaupt nicht denkbar. Jedenfalls ist sie hier nicht, wie Hegel sich das gewnscht htte, das sinnlicher Scheinen der Idee, eher, wenn es hoch kommt, das sinnliche Scheinen an sich (und das klingt ja noch Hegelsch genug), - ohne Idee (denn welche sollte es auch sein?). Es fllt uns (am Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus noch immer schwer, eine solche Idee zu akzeptieren, aber vielleicht wre es den Versuch (einmal) wert.

Nachdem wir von der prhistorischen Keramik gesprochen haben, mchte ich jetzt noch auf das japanische Raum-Konzept zu sprechen kommen.

Man sagt, dass die frhen Japaner besonders auffllige, seltsame, staunenswerte NaturPhnomene, das heit: gewaltige Bume, imposante Felsen, Berge fr yorishiro, , oder shintai, , gehalten haben. Mit yorishiro meinten sie Orte, an denen Gottheiten vorbergehend weilten; mit shintai bezeichneten sie Orte, von denen sie glaubten, dass sie auf Dauer von Gottheiten, auf japanisch kami ganannt, bewohnt seien. Es war und ist noch 25

heute blich -, solche Orte als heilig zu markieren, etwa mit einem gedrehten Seil aus ReisStroh, dem shimenawa, , genannten Tabu-Seil. Auch, die Ihnen sicher nicht unbekannten torii genanten Joch-Tore signalisieren: hier ist heiliger Bezirk, Wohnort der kami-Gottheiten.

So sind etwa der Kanasana-Schrein, ( in der heutigen Prfektur Saitama) und der MiwaSchrein (in der Prfektur Nara) gleichsam nur Merkzeichen, die die zentralen Objekte der Anbetung, nmlich die Berge, die hinter ihnen stehen, markieren. Bis heute besitzen keine Haupthalle, wie sie in anderen Shint-Komplexen die Regel, ja: unverzichtbar ist. Am Miwa-Schrein ist stattdessen ein Felsen der Mittelpunkt des wenn man so will: - sakralen Eintritts- oder bergangsbereichs. Es berrascht nicht, dass dieser massive Felsblock yorishiro genannt wird Verweil-Ort der kami-Gottheiten.

Die kultische Logistik fordert natrlich auch am Heiligen Miwa-Berg eine (kleine) Anbetungs-Halle und ein torii, das Jochtor, das jedem, der vorbergeht oder fhrt zuruft: Hier ist heiliger Bezirk! (Das ist sehr persnlich formuliert. Aber mir kommen torii, vor allem in der freien Landschaft, wie Signale vor. )

Die heute noch zahlreichen shintistischen Schreine sind aus Strukturen entstanden, die gebaut wurden, um Gottheiten herbeizurufen, um sie um eine gute Ernte zu bitten oder ihnen fr eine gute Ernte zu danken. Allerdings wurden diese Schrein-Prototypen nicht irgendwohin gebaut, sondern eben auch vor Berge, Felsen oder auch an prgnante Orte im Dorf, - eben dahin, wo man annahm, dass Gottheiten verweilen resp. wohnen (wollen) also potentielle yorishiro... Entsprechend waren diese Proto-Schreine auch nur provisorische Bauwerke, Gtter-Herbergen auf Zeit und Widerruf.

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Aber was hat das alles mit ma, , dem japanischen Raum-Konzept, wenn ich es so nennen darf, zu tun? Sehr viel. Denn in der japanischen Wahrnehmung werden Zeit und Raum durch ein Drittes sozusagen vermittelt.

Raum ist das, was zwischen bedeutenden Momenten liegt. Raum hat also wenn Sie so wollen keine eigene positive Bedeutung, Raum existiert nicht, sondern, jetzt kommen wir in die Nhe Heideggers, Raum rumt ein, er ermglicht bedeutende Ereignisse; im japanischen Verstande ist Raum Intervall und zwar im eigentlich rumlichen, aber auch in zeitlichem Sinne, - etwa das Intervall das die Abwesenheit der Gottheiten zwischen ihrer Prsenz an einem gewissen Ort bezeichnet. Dennoch darf man nicht annehmen, dieses NurDazwischensein, dieses Nichts zwischen signifikanten Ereignissen im Raum oder in der Zeit habe keine eigene Qualitt. Vielleicht darf man sich das Verhltnis zwischen ma und seinen ereignishaften Endpunkten wie das zwischen Hintergrund und Gestalt denken.

Ich hoffe, dass es Ihnen sofort auffllt, wie weit wir hier von der neuzeitlich-abendlndischen Vorstellung vom geometrischen, homogenen und letztlich geschlossenen Raum entfernt sind. Descartes htte mit dem japanischen Raum-Konzept wenig anfangen knnen; fr den das arbeitsvolle Wachen in der Dunkelheit der Zelle so bedeutsam war.

In einem Seminar ist mir so vor einem Jahr - unterlaufen zu sagen: in einen japanischen Raum tritt man nicht ein oder hinein, sondern hinaus oder heraus. Das ist sicher eine berzogene Ausdrucksweise, aber auch nicht ganz falsch. Sie gibt zumindest persnliche Erfahrungen wieder, die ich selbst mit japanischer Architektur gemacht habe.

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Der traditionelle japanische Raum, - brigens auch in einem ganz konkreten Sinne, also im Sinne von Zimmer, auf Japanische ma genannt -, der traditionelle japanische Raum ist tendenziell offen; freilich kann er geschlossen werden, mit der Hilfe von Schiebetren, fusuma, , oder shji, , - aber das ist sozusagen eine Manipulation am seinem Wesen nach offenen Raum. Darber hinaus ist der traditionelle japanische Raum prinzipiell wandelbar, sowohl was sein Design als auch seine Funktion betrifft.

Ein Ausdruck wie meine eigenen vier Wnde, msste ins Japanische mit meine eigenen vier Pfosten, hashira, bersetzt werden. Die im statischen und im symbolischen Sinne tragenden Elemente eines japanischen Hauses sind die Pfosten, zwischen denen sich sozusagen das ma abspielt.

Ein japanisches Lexikon erklrt uns ma auf folgende Weise(n): Der Abstand zwischen Dingen und Ereignissen. Zwischen-Raum, Intervall, Spalt, Ri. Zwischen-Zeit, die Zeit, von der man im Deutschen sagt, dass man sie hat, etwa in einem Ausdruck wie: jetzt hab ich Zeit fr Dich!. Das Lexikon bezieht sich aber auch ganz konkret auf Architektur und definiert: ma ist der abstand zwischen zwei Pfosten. Auch ken genannt. Und als ken galt ma in der japanischen Architektur auch als Ma, als Modul orientiert etwa an der Gre eines Menschen, konkret 180 Zentimeter. Das ist auch die Standardlnge eines tatami. Das Lexikon sagt uns auch, dass ma der Raum ist, der durch Schiebetren, fusuma, Stellwnde, bybu, und dergleichen begrenzt wird. ma ist aber auch das Zhlwort fr Zimmer.

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Und noch schner: ma heien auch die wie soll man sagen? Leerstellen in der Musik, im Tanz, zwischen den Zeilen eines Gedichts, die den Rhythmus ja Schaffen? Erzeugen? Man sagt etwa von einer Knstlerin: ma no torikata ga umai, toll, wie sie das ma nimmt, greift, schnappt! Auch die Momente, in denen ein Schauspieler etwa einen Monolog mit Schweigen fllt, heien auf Japanisch ma. Paul Celan htte dieses ma gewiss mit Atem-Wende bersetzt. Selbst dass, was die Griechen als kairos bezeichnet haben, den glcklichen Augenblick, die Gelegenheit, die Diebe machen soll, nennen die Japaner ma. Und da gibt es auch noch eine ganz spezielle Bedeutung von ma, sozusagen eine fachsprachliche Bedeutung: Anlegestelle eines Bootes, funagakari. Was ich besonders hbsch finde; - denn man kann ja so weiter phantasieren: der Raum ist der Ort, wo das Schiff der Zeit auf Zeit, zeit-weilig an-legt.

Die Beschreibung von ma bleibt aber unvollstndig wenn man eine ganz wesentliche Charaktereigenschaft unerwhnt lsst; sei es rumlich, sei es zeitlich vorgestellt, nie eignet ihm eine mechanische Genauigkeit; immer weicht es um die entscheidende Spur ab. Respektlos gesagt: dem echten ma eignet wirkungssthetisches Raffinement. Genau das, was einen spannungsgeladenen Rhythmus vom Ticken einer Uhr oder eines Metronoms unterschiedet.

Das Schne oder das Traurige ist nun, dass wir im Wort, im Begriff, im Konzept ma einer Vorstellung wieder-begegnen, die auch den alten Europern bekannt und vertraut war: all die diversen Worte fr Raum: spatium, espace, space, weisen auf eine indogermanische Wurzel zurck, die Schritt bedeutet, wir habens noch im englischen pace, im franzsischen pas und! das ist fr mich das schlagendste Exempel - im deutschen spazieren. 29

Unsere Altvorderen wussten es eben, es war ihnen selbstverstndlich, es war ihnen eine Erfahrungs- und alltags-Tatsache, dass Raum heiderggerisch gesagt Rumung ist Raum wird spaziert, Raum wird herbei- und herein-spaziert. Auch insofern, wenn ich das noch einmal wiederholen darf, kann man gar nicht in einen Raum HINEIN gehen; sondern wenns hoch kommt nur hinaus.

Im 5. und 6. Jahrhundert vernderte sich Japan unter koreanisch-chinesischem Einfluss dramatisch und auch traumatisch. Was damals geschah war in gewisser Weise ein Vorgeschmack dessen, was Japan im 19. Jahrhundert ereilen sollte. Die chinesische Schrift, die chinesische Regierungs- und Verwaltungsform, der Buddhismus, auch die chinesische Medizin und nicht zuletzt die komplexeren kontinentalen Kunstformen revolutionierten Japan. Bedenken Sie: Japan wurde aus der Bronze- und Eisenzeit in die Geschichte gerissen.

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Vorlesung IV

Magnarum rerum etiam tenuis notitia in pretio habet. So beginnt Gottfried Wilhelm Leibniz sein Werk Protogaea. - Von groen Dingen ist auch eine geringe Kenntnis wertvoll. Getrstet von diesem Diktum, wage ich die (schon) vierte Vorlesung im laufenden Semester: Die letzte Vorlesung endete mit dem Versuch, Ihnen eine bestimmet, sozusagen energetische Deutung der japanischen Raum-Vorstellung nahe zu bringen; dies geschah nicht zuletzt auch mit der Ansicht, den japanischen Terminus ma ein wenig vertraut zu machen. Mit gleicher absicht habe ich auch schon hufiger die Begriffe wabi, , und sabi, , ins Spiel gebracht, ohne sie inhaltlich zu bestimmen (zu versuchen). Vererst ist es genug, wenn Sie sich an diese Worte gewhnen; dass sie Ihnen sagen wir: wie alte bekannte vorkommen, die Sie (noch immer) nicht durchschauen. Heute mchte ich zu wabi nur dies anmerken: Es handelt sich dabei um ein Konzept, das sich vom japanischen Mittelalter an in den Bereichen des Tee-Wegs und der Literatur entwickelte. Ursprnglich, bevor es eine Wendung ins sthetische nahm, war das Wort durchaus nicht positiv konnotiert; bedeutete es doch soviel wie einsam, verloren, hilflos. Bis es eine bestimmte Art von Schnheit, - nein, man muss sagen: Schnheits-Erfahrung bezeichnete, die sich kargen, khlen, sprden, leisen Qualitten verdankte. In dieser Bedeutung sekundierte ihm der Begriff sabi, der ein Moment, wie man wohl formulieren darf, - des Auratischen ins Spiel (der Bedeutung) bringt; die Patina des Alten, des Gebrauchten, des Welken, des Verwitterten, des Herbstlichen, Hier muss ich nun noch einen weiteren, bedeutungsflankierenden Begriff einfhren: shibui, , als Adjektiv. shibusa, als Nomen.: herb oder das Herbe. Unter den Filmhelden des 20. Jahrhunderts gilt etwa John Wayne als shibui; eine Frucht, Tee, auch eine Stimme kann shibui genannt werden; eben nicht glatt, sondern rauh im Sinn von diskret widerstndig. So kann in einem Gedicht die Stimme eines der Lieblingsvgel japanischer Dichter, 31

des uguisu, , shibui klingen. Zur Bedeutungs-Entourage von shibui gehren auch gelassen, und schlicht. In gewissen Kontexten, zum Beispiel auf den Ausdrucks eines Gesichts bezogen, kann shibui auch: gramvoll, geschmerzt meinen. Auch das Unfertige kann als shibui empfunden werden; shibui ist die sozusagen ephemere Leere, die zu fllen dem Betrachter berlassen wird; shibui ist die Auslassung, welche die Wahrnehmung herausfordert. Wie zu einem schperischen - Duell. Mehr mchte ich heute nicht verraten. Vielleicht nur noch: dass man diese japanischen Konzepte, wenn man sie so nennen darf, als Kontrastkategorien verstehen sollte; findet man doch oft Bilder fr das, was sie bedeuten sollen, die sich dem genaueren Blick als Widerspruchs-, wenn nicht gar Unmglichkeitsmetaphern offenbaren. (Ein greiser Samurai in einer funkelnden Rstung etc.) Zu den Kategorien/Prinzipien/Konzepten, die ich Ihnen in knftigen Vorlesungen noch vorstellen werden gehren fukinsei, (kontrollierte) Asymmetrie (mit der wir in Anstzen bereits vertraut sind; vielleicht wre es sogar treffender, den Begriff der Dys-symmetrie zu verwenden), kanso, , das ich jetzt einfach mit das Einfache bersetze, kko, , das Strenge, Harte, Ernste oder das Reduktive, im Sinne von Zurckfhrung auf das Elementare und Basale und auf das Frhere =(noch) Unkorrumpierte. Andere Begriffe, mit denen wir uns noch zu befassen haben werden, sind: Der Begriff ygen, , den wir schon gestreift haben, der den subtilen Zauber oder das wesentliche Surplus eines Dinges, einer Erfahrung meint. Der Begriff datsuzoku, , das Umsetzen oder Umverwandeln eines profanen oder konventionellen Moments in einen neuen und nicht mehr profanen; mittels eines nichttrivialen Stupore(berraschungs-)Effekts, eines kreativen Verfremdungseffekts, der sich aber als ein echter Ent-fremdungseffekt entpuppt, der, - lassen Sie mich es bildhaft sagan die Dinge in ein helleres Licht versetzt. 32

Schlielich werden wir uns auch dem sino-japanischen Begriff fr Natur, shizen, , widmen mssen; ein zwangslufig abenteuerliches Unterfangen, das allerdings auch groe Ausbeute verspricht. Heute als erster ein wenig skurriler - Hinweis (oder Ansto) einige Gedanken zum japanischen Begriff von Natur, die sich auf der home page des Japanese Friendship Garden, San Diego (www. Niwa.org/Shizen.html) finden. Dort heit es nmlich: der Begriff shizen beinhalte: eine echte Natrlichkeit (true naturalness) im Unterschied zur raw nature; shizen schliee die Bedeutung von Kreativitt und Absicht(lichkeit) ein, im Unterschied zum Naiven (Ursprnglichen) und Zuflligen (accidental). Nichts in shizen sollte gezwungen (forced) oder self-conscious sein. In fact sei echte Natrlichkeit/Naturhaftigkeit die Negation des Naiven und des Zuflligen. Zu shizen gehre das Ungeknstelte (artlessness), dafr fehle alles Prtentise und Geknstelte, - und doch beinhalte shizen full creative intent and should never be forced. Das Interessante oder Bedenkenswerte an dieser natrlich unzureichenden Charakterisierung von shizen, ist die m-E. richtige und wichtige Beobachtung, dass shizen, das heit von Menschen geschaffenes shizen (denken Sie etwa an Zen-Grten) nicht natura naturans, sondern natura concepta, also eigentlich concept art sei, Oder im Jargon des Japanese Friendship Garden: intendiert aber nicht gezwungen. (Kann man das berhaupt? Etwas ohne Zwang intendieren? intendere meinte zwar lateinisch-ursprnglich nichts anderes als seine Aufmerksamkeit (auf etwas) lenken oder richten, aber schon bei einem Intendanten reicht das schon lngst nicht mehr aus.) Das klingt (wie gesagt) interessant, aber leider bleibt es uns berlassen, herauszufinden was jene Absicht (intent), die das Zufllige (accidental) ohne Zwang domestiziert, eigentlich bedeutet, - und wo die Grenze zwischen naiv-roher, zuflliger Natur und durch schaffende und/aber ungeknstelte und zwanglose Absicht hervorgebrachter Natur verluft. Und wie vershnen wir diese Thesen mit dem etymologischen Faktum, dass der sino-japanische Begriff shizen wrtlich (soviel wie) das aus sich selbst

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Seiende bedeutet; also gar nicht so weit entfernt zu sein scheint von dem griechischen Konzept der physis. Anders gefragt: Was wird aus dem Von-sich-aus, jap. onozukara, der Natur-qua-shizen, wenn der Mensch sich einmischt. Jedenfalls ist es spannend zu sehen, wie sich selbst bei Amerikanern, die mit groer Offenheit, groem Neugier und (offnbar) groer Lernbereitschaft um die japanische Auffassung von Natur bemhen, von ihrem eigenen Weltbild eingeholt werden. .. Dass die traditionellen japanischen Zimmermnner genau darauf geachtet haben sollen, dass Holz mglichst so verbaut werden sollte, wie es gewachsen war, also die das Wurzel-Ende eines Stammes nach unten, das Wipfel-Ende nach oben; Bume von Westhngen an der Westseite eines Gebudes, die Vorderseite, das heit die Sonnenseite eines Stammes nach vorne etc., - das! scheint mir hingegen wirklich eine Art Respekt von der natrlichen Gewordenheit des Holzes zu beweisen. Stand dahinter doch die Vorstellung, dass Holz eine Art Gedchtnis hat, ein Gedchtnis daran, wie es im Verhltnis zu Himmel und Erde dastand - und dass man dem Holz gleichsam neues Leben schenken kann, wenn man es diesem Gedchtnis entsprechend verwendet. Ein Baum, der als Pfosten auf dem Kopf stehen muss, wird nach dieser Vorstellung zwangslufig das Gefhl vermittteln, dass da etwas nicht stimmt, dass da etwas verkehrt ist. Man kann es auch so formulieren: Der Zimmermann fgte sich der Gelegenheit, die sein Material ihm bot. Sein Arbeiten war in hohem Mae offen fr die Angebote, die sein Material ihm macht. Oder wenn man die Bewegungsrichtung umkehrt: Der Zimmermann daiku, ldt das Material ein, ihm seine Angebote zu machen. Und genau diese einladende Geste in je anders pointiertem Sinne ist es, was das Grundelement der kata, , genannten Bewegungsform(en) ausmacht: Denn kata ist ein, wahrscheinlich der wesentliche Ausdruck japanischer Krpererfahrung, vermittelt durch gy, , die bung als der signifikantesten Form menschlicher Vergegenwrtigung des Lebens. kata bedeutet mithin Kontaktaufnahme mit dem

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Leben, im Sinne von Hervortreten/Hervorkommen (, Kreszenz, Emergenz) oder dem Werden (, Kurrenz): naru. Dieses naru bedarf, wenn man sich mit der japanischen Wahr-nehmung von Welt befasst, besonderer Aufmerksamkeit, da sich an diesem schlichten Wort, das prima vista nur werden bedeutet vieles ber japanische Sensibilitten, Idiosynkrasien ablesen lsst. naru meint zeit-abhngiges Werden, der Fluss eines Ereignisses zum anderen, wobei sich das sptere Ereignis als eine Option des frheren erweist; ein Prozess, der nach altjapanischer Vorstellung von einer Art Lebensenergie getragen wurd, die den Namen musubi hat (Geist der Hervorbringung(?)), gleichsam das Incitament des Werdens. Zeit ist der Name fr das Fluidale am Werden; sie ist selbst nicht kontrollier- noch manipulierbar. Man knnte in diesem Kontext und Konnex, das schon detailliert besprochene ma, , als nicht-mechanischer Taktgeber des Werdens-Prozesses verstehen.

- Doch zurck zu kata: Ich beschrieb kata eben als eine Art der Kontaktaufnahme mit dem Leben oder dem Werden, eben jenem naru, , ; mit anderen Worten: als ein Sichffnen fr, ein Einladen von; kata ist somit die Form reiner Rezeptivitt. Damit die Form reiner Rezeptivitt sich erfllen kann, bedarf es des rechten timings, wie man ki: , in diesem Zusammenhang bersetzen muss, des rechten Grades, do: , und des rechten Gebrauchs von ma, , das ich Ihnen in der letzten Woche schon in einiger Ausfhrlichkeit vorgestellt habe. Der Ausdruck sottaku no ki, fr vollkommenes timing meint den Moment, in dem Kken und Mutter Henne gleichzeitig gegen die Eierschale picken, das Kken von innen, die Henne von auen, um die Schale zum springen zu bringen. Der rechte Grad meint das richtige Ma von Intensitt (etwa von Kraftanstrengung), und ma bedeutet hier 35

der Rhythmus, der, wie Noguchi Hiroyuki sagt, alle Kunstfertigkeiten zum Leben erweckt. Die Kunst kata in diesem Sinne zum glcklich einsetzen zu knnen, heit auf Japanisch waza, , , was mit Geschick oder Kunstfertigkeit also nur sehr ungenau wiedergegeben wird. (Siehe: Hiroyuki Noguchi: The Idea of the Body in Japanese Culture and its Dismantlement, in: International Journal of Sport and Health Science Vol. 2, 8-24, 2004; vgl. wwwsoc.nii.ac.jp/jspe3/index.htm)

Doch nun wirklich wieder genug des term-droppings; - tauchen wir wieder ein in die Geschichte, - bis dahin, wo wir in der letzten Woche wieder aufgetaucht sind: Wir haben die Yayoi-Epoche wohlbehalten hinter uns gebracht und befinden uns in einer Zeit, die heute die Kofun-() oder Tumulus-Periode genannt wird und um 300 nach der Zeitenwende begann. Eine Epoche also, die nicht auf unmittelbare oder mittelbare Weise nach ihrer Keramik benannt wurde, sondern nach den Hgelgrbern, die sich die Sippenhupter, der zu Reichtum und Macht gekommenen Militraristokratie, haben errichten lassen. Die Kofun-Zeit war eine in einem prgnanten Sinn kritische Phase des bergangs Japans von der Prhistorie in die Historie. Deshalb wird diese Zeit bisweilen auch Japans Protohistorie genannt. Am fortgeschrittensten erscheint die kofun-zeitliche Gesellschaft in der Kinai-Gegend und im stlichsten Teil der Inlandsee, Seto Naikai, , Es war der Yamato-Klan, der aus den Machtkmpfen der Kofun-Zeit erfolgreich hervorgehen sollte und ab der Mitte des 6. Jahrhunderts, sekundiert vom Buddhismus und kontinentaler (=chinesischer) Staatsideologie das weitere Schicksal Japans bestimmen sollte.

In Innern der kofun-Tumuli finden sich vergleichsweise groe Grabkammern; bisweilen sind sie mit Wassergrben umzogen. kofun wurden in verschiedenen Formen errichtet; die mit einem runden oder viereckigen Grundriss sind die einfachsten. Die vielleicht spektakulr36

ste Form eines kofun ist das so genannte zenp ken kofun, , das kofun in Schlssellochform, bei dem der hintere Teil rund und der vordere annhernd trapezgestaltig ist. Viele der kofun sind natrliche Hgel, die zu Hgel-Grbern umgearbeitet wurden. Manche haben eine Lnge von nur einigen Metern; einige messen mehrere hundert Meter. Als die grten gelten die Grabsttten, in denen die Kaiser jin, , (erste Hlfte des 5. Jahrhunderts) und dessen vierter Sohn Nintoku, , (ebenfalls erste Hlfte des 5. Jahrhunderts) begraben worden sein sollen. kofun werden auch eingeteilt in solche, bei denen die Eingnge zu den Grabkammern horizontal (yoko-ana, ), und solche, bei denen die Eingnge in die Grabkammern vertikal (tate-ana, ) ausgerichtet sind. Die berittenen Krieger der Kofun-Epoche trugen Rstungen und Schwerter (oder andere Waffen) und standen in ihrer Kampfstrategie den Kriegern auf dem nordostasiatischen Festland nicht nach. Wir erkennen dies an gewissen charakteristischen Artefakten, die zu Tausenden gefunden worden sind: den so genannten haniwa, ; die bedeutendsten haniwa wurden auf Sud-Honsh (vor allem in der Kinai-Gegend), um Nara und Nord-Kysh entdeckt. haniwa sind, nennen wir sie zunchst einfach so: Grabbeigaben, welche die mannigfaltigsten Formen annehmen knnen: Pferde, Hhner, Vgel, Fische, Waffen, Huser, Haushaltsgegenstnde und auch menschliche Gestalten: wie Krieger und Musikerinnen und Schamaninnen (die auf einer Art hohen Barhocker sitzen. Juwelenschmuck und Kmme tragen). Im Unterschied zu ihren Vorbildern, den chinesischen Grabfiguren, sind bereits eine japanische Spezifitt (?!) die haniwa nicht glasiert, sie tragen nur den Ton zur Schau, aus dem sie geformt sind; sie verzichten auf elaborierte Details, sind das klingt uns schon vertraut einfach und von einer fast abstrakten Formgebung; wobei sich Reste einer diskreten Rotfrbung (slip) gefunden haben. Die haniwa, wrtlich Tonringe, waren ursprnglich einfache

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Tonzylinder, die als Wchter? - auf die Spitze der Grabhgel ber der Grabkammer platziert wurden; sie entwickelten sich zu groen plastisch ausgearbeiteten Skulpturen aus Terrakotta, die nun die Grabhgel im Kreis umstanden. Die Keramik, die sich unter den Grabbeigaben in kofun fand, ist die so geanannte graue SueWare, die zeitgenssischer koreanischer Keramik eng verwandt ist; zugleich auch auf chinesische (neolithische) Vorbilder verweist. Sue ist ein graues Steinzeug mit natrlicher Aschenglasur (eine Glasurart, die ein Charakteristikum spterer japanischer Keramik (aus Tanba, Tokoname, Bizen, Shigaraki) werden sollte. Eine andere Grabbeigabe, die magatama, , das so genannte Krummjuwel wurde spter zu eiem der Drei Reichsinsignien, den Symbolen fr die Macht des Kaiserlichen Hauses. Die materielle Kultur der Kofun-Zeit hnelt in vieler Hinsicht der der zeitgenssischen sdlichen koreanischen Halbinsel; was augenfllig den engen politischen, konomischen und kulturellen Kontakt mit dem kontinentalen Asien (via Korea) dokumentiert. (Vgl. Higuchi, Takayasu: Kofin jidai no kagami, haniwa, buki: Kofun ibutsu kara mita kodai Nihon, Gakuseisha, ISBN 4311201621)

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Vorlesung V

Der Animismus war die Reaktion der Menschen auf die angreifende Natur. Der Mensch hatte die Welt durch den Mechanismus der Personifizierung mit Geistern ausgestattet. (Rantis, 22/23)

Mglicherweise bestand eine/die Funktion der haniwa-Figuren darin, der Welt der Lebenden von der der Toten zu trennen, die Ruhe der Toten zu schtzen; vielleicht aber auch die Lebenden vor den Geistern der Toten. Die Furcht vor der Rache (urami, ) unbefriedeter Totenseelen (onry, , gory, ) beherrschte die Japaner durch ihre ganze Geschichte. Immer wieder wurden Naturkatastrophen, Krankheiten, Epidemien, aber auch Aufruhr in der Gesellschaft als Taten rachschtiger Totengeister gedeutet. Wie dem auch sei, die haniwa schon waren liminale Figuren, die an der, besser: auf der Grenze zwischen einem Disseits und einem Jenseits standen. Aber wir wollen uns heute mit einer anderen Grenz-Phnomen befassen; zugleich einer Elementarform japanischer Wahrnehmung: Zu den aufflligsten

Markierungen in der japanischen Landschaft auch der Stadtlandschaft - gehren die torii, , genannten Jochtore, die da errichtet werden, wo der profane Bereich an den Bereich der Heiligen stt. Obgleich sie sich eindeutig, man mchte sagen: demonstrativ als Eingangs-Tore Tore ohne Tren - prsentieren, bestehen sie schlicht aus zwei in den Boden eingelassenen Pfosten, hashira, , genannt, die von zwei vertikalen Balken, in der Regel ungleicher Lnge, kasagi, , Schirmholz genannt, bekrnt werden. Genauer: wenn der obere der beiden kasagi-Balken, der Lnge nach aus zwei Lagen besteht, wird die untere shimagi, , Inselholz, genannt. Das Prinzip ist immer dasselbe, auch wenn die Va-

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riationen sich als berraschend vielfltig erweisen. Zu diesem Prinzip gehrt auch, dass die torii in der Regel - frei von dekorativen Zutaten sind, Ernst und Reinheit (auch im Sinne von Ursprnglichkeit und Natrlichkeit) ausstrahlen sollen. Sie bestehen zumeist aus Holz, aber auch aus Stein, selbst aus Porzellan und Metall aber auch oft aus Stahlbeton. Ihr Material kann unbearbeitet sein und ist es zumeist auch oder aber mit roter oder schwarzer Farbe bermalt. Es gibt torii,, die in der Hhe und der Breite nicht einen Meter erreichen; und es gibt andere, die bis zu zwanzig Metern breit und/oder hoch sein knnen. Ich habe schon gelesen, dass sie Ideogrammen, also (chinesischen) Schriftzeichen hneln, die von menschlicher Hand gleichsam in die Natur gemalt wurden. - Insofern darf man die torii vielleicht als Signaturen eines vershnten Umgangs, - (eben) des Menschen mit der Natur sehen und deuten. Die torii markieren somit auch die Schwelle ber die Mensch und Natur (zu der die kami ja ungleich wesentlicher gehren als die Menschen) (miteinander) kommunizieren, Man findet einzelne torii etwa am Fu eines Berges oder am Ufer eines Sees. In solchen Situationen sind Der Berg oder der See das Heilige im Sinne Gttlicher Natur. Und die torii, die diese Gttliche Natur signalisieren, sind die einzigen sichtbaren Zeichen menschlicher Gegenwart. - - Dass die torii, wie schon gesagt, keine Tren haben, bedeutet, dass sie nicht geschlossen werden knnen; und in ihrer Eingangs-Funktion fhren sie in keinen geschlossenen Raum. Eher erffnen sie einen Raum - ganz in dem Sinne, in dem ich Ihnen bestimmt Aspekte des ma-Konzeptes vorgestellt habe.; torii stehen immer offen: dem Wind, dem Licht, den Geruschen, den Tieren, den Menschen. Zugleich stellen die torii eine hchst intensive Prsenz her. Sie stehen da, wenn dies Wort hier erlaubt ist, wie Embleme des Numinosen, der kami, , deren Wohnbereich, , die torii ja markieren und fr die Wahrnehmung des Menschen berhaupt erst ver-gegenwrtigen. Wenn man bereit ist, diese Funktion des torii als ein in-between, oder als ein match maker anzuerkennen, dann gibt es uns mglicherweise auch einige Hinweise, wie wir das Verhltnis von Natur und

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Kunst, von Spontaneitt und Konzept/Intention denken knnen oder sollen. Ich mchte zur Ihrer Beruhigung - hier nur andeuten, dass ich glaube, es wre lohnenswert, zu berlegen, welche hermeneutischen Dienste uns die Begriffe inter-face oder auch Schnittstelle leisten knnten, wenn wir die Dinge in ihrer medialen Funktion beschreiben; in Bezug auf das torii knnte man dann sagen, es fungiert als Schnittstelle zwischen dem Heiligen und dem Profanen, indem es durch den Schnitt, den es setzte, beide Seiten berhaupt erst unterscheidbar macht und dadurch berhaupt erst schafft. Jedenfalls stellt sich bei solcher berlegung heraus, dass es weder das jeweils Eine noch das jeweils Andere in seiner Reinform gibt. Eher fungieren beide (durch einen Schnitt) voneinander unterschiedene Seiten freinander als Medien, die einander gegenseitig erst ermglichen; so wie die von Menschenhand errichtete torii die Prsenz der Gtter berhaupt erst sichtbar machen, - oder, wer wei?!, die Gtter berhaupt erst ap-prsentieren. (Aber immer, erlauben Sie diesen philosophischen Einwurf und Zwischen-Ruf, im Sinne eines Ereignisses auf der Immanenzebene.) Ich mchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf viel schlichtere Faktum lenken: nmlich dass das torii ein sehr einfaches, ja elementares design ist und dass dieses design allen Japanern mehr oder weniger vertraut ist. Das torii gehrt also zu den Elementarformen japanischer Gestaltwahrnehmung. Folglich liest man auch, dass das torii heute zu a popular icon for Japan geworden sei. Mehr mchte ich an dieser Stelle nicht sagen. Ob dies etwas bedeutet und wenn ja -, was es bedeuten knnte, - darauf werden wir, mssen wir sicher noch zurckkommen. Die Herkunft dieser Elementarform torii ist anscheinend nicht bekannt. Onose Junichi schreibt in seinem Buch Nihon no katachi-engi. sono dezain ni kakusareta imi, Die Herkunft japanischer Formen. Die in ihrem Design verborgene Bedeutung.

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( ) Onose sagt, dass die Form des torii, ihn dshite mo, also unweigerlich an das chinesische Schriftzeichen fr Himmel: erinnere. Er hlt das torii fr das zur Architektur gewordene Schriftzeichen fr Himmel, . Schreibungen fr torii tenmon, Und in der Tat ist eine der zahlreichen ateji-

, also Himmelstor. - Freilich kann Onose dies nicht

historisch belegen. Er geht von einem frhen Einfluss des Daoismus, , auf den Shint aus und berichtet, dass bei der alle zwanzig Jahre zelebrierten Neuerrichtung des Ise-Schreins, , shikinen-seng, die zum Baumaterial ausgewhlten Baumstmme, die bei einem okibiki, , das ehrenwerte Baumziehen genannten Ritual nach Ise geschafft werden, mit zwei Schriftzeichen markiert werden, nmlich mit dem fr gro, dai, , und dem fr eins, ichi, . Auch die Beteiligten tragen auf ihren traditionellen kasaSchirm-Strohhten, , happi-Jacken, , und hachimaki-Stirnbnden, , dieselben Zeichen. Zu einem zusammengesetzt ergeben sie das Schriftzeichen fr Himmel: + = , also das, das der Gestalt eines torii so hnlich sein soll. Fr bedeutsam hlt Onose, dass das Kompositum daiichi, , die groe Eins, im Daoismus fr tentei, , und in der Yin-Yang-Lehre, , fr taikyoku, , steht, beides Namen fr das oberste hervorbringende Prinzip des Kosmos. Es wre ein uerst schwieriges Unterfangen, Onoses Annahmen (historisch, religionsgeschichtlich, philologisch) zu verifizieren; entscheidend ist, dass die schlichte Elementarform des torii Assozuiationen auslsen kann, die bis zum 42

Grundprinzip des kosmischen Werdens fhren: Ein Gebilde aus vier Holzstmmen als Vermittler des absoluten Urspungs. - Immerhin der Variantenreichtum der Elementarform torii beachtlich; zugleich legt ein Vergleich der Varianten eine bestimmte Entwicklungslinie nahe: vom shinmei-torii, , ber das Kashima-torii, , das Kasuga- und Hachiman-torii, , und das myjin-torii, , zum Inari-torii, . Dazu treten noch die Sonderformen des rybu-torii, , des san-torii, , und des Miwa-torii, , Die Funktion eines torii wird viellerorts verstrkt durch die Addition eines shimenawa, , jenes gedrehten Kult- oder Tabu-Seils aus Reisstroh, inawara, , dem ebenfalls die Aufgabe zukommt, heilige Gegenstnde, Orte, Bume etc. zu markieren. Der Mythos behauptet, das shimenawa sei erstmals zur Anwendung gelangt, um zu verhindern, dass die Sonnengttin Amaterasu--mikami wieder in die Felsenhhle zurckkehrt, aus der sie gerade erfolgreich herausgelockt worden war, nachdem sie sich aus Groll ber den Mutwillen ihres Bruders Susanoo-no-mikoto darin verborgen hatte. Also ist auch das shimenawa durch Ambivalenz geprgt: einmal soll es die Gottheit hindern von hier wegzugehen, ein andermal soll es signalisieren, dass dort auf der anderen Seite, die heilige Raum-Zeit beginnt. Das bedeutet (wieder einmal) nicht mehr und nicht weniger als: den Schnitt, den sie setzt, und die Unterscheidung, die sie trift, sind das Wesentliche. Anders gesagt: wie das torii ermglicht auch das shimenawa, etwas zu beobachten, wie es ohne sie nicht zu beobachten wre. Wenn man auf dem Weg zur Haupthalle eines Schreins drei torii durchschreiten muss, ichi no torii, ni no torii, san no torii, dann trgt meist nur das erste torii, ichi no torii, ein shimenawa; es gibt aber auch den Fall, dass nur das dritte torii mit einem shimenawa versehen ist. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass es so etwas wie verschiedene Grade aktueller Gtterprsenz gibt; oder verschiede Grade virtueller Prsenz. Die anfangs besprochenen torii am Fu von Hgeln 43

oder Bergen einen Schreinbezirk markieren, tragen keine shimenawa. Um dieses Verteilungssystem deuten, um Gesetzmigkeiten festzustellen und daraus Schlsse ziehen zu knnen, bedarf es vollstndigeren, statistischen Materials,. Offensichtlich ist jedoch, dass Sinn und Funktion von shimenawa und torii im Laufe der Geschichte einen hohen Grad an Viskositt erreicht haben, der es etwa erlaubt, dass manche Schreine ohne ein einiges torii auskommen oder dass der Fushimi Inari-Schrein in Kyto, berhmt wurde fr seine Kilometer langen Tunnels aus eng hintereinander aufgereihten roten torii, die hier freilich Stiftungen von Glubigen sind. Dabei sind wir nun bei den Schreinen selbst angelangt, die zu markieren, oder auf die hinzufhren ja die Hauptaufgabe der torii ist. So sicher und freundlich zum allerhaiiligsten geleitet, ergreifen wir die Gelegenheit, mit den wichtigsten Typen shintistischer Sakralarchtektur ein wenig vertrauter zu machen, um uns auch hier wieder zu fragen, welche Spezifika wir ausfindig machen knnen, die wir als japanisch qualifizieren drfen.

Heute denken auch Japaner, wenn sie das Wort jinja, , Shint-Schrein, hren, zunchst an einen Schreinbezirk, , keidai, und ein shaden, , genanntes Gebude, in dem kami-Gottheiten eingeschreint sind und verehrt werden. Aber ursprnglich hat ein solches Gebude an heiligen Orten nicht existiert. Wir haben im Zusammenhang der Genese des japanischen Raum-Konzepts schon drber gesprochen: Verehrt wurden die shintai, , die von kami bewohnten oder mit kami identifizierten Berge, Wlder, Bume... selbst. Beispiele dafr sind bis in die Gegenwart der miwa-jinja (in Nara), der Suwa-taisha (in Nagano), der Kanasana-jinja (in Saitama). Die Gtter wohnten nicht in Husern oder Htten. Es scheint, dass sie erst daran gewhnt werden mussten, ihr Leben unter freiem Himmel aufzugeben. In der Gedichtsammlung Manysh taucht der heute noch gebruchliche Name fr Schint-Schrein, yashiro, , in der Schreibung auf, was sich deuten lsst als:

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statt eines Hauses. Und das wiederum deutet darauf hin, dass am Anfang der shintistischen Sakralarchitektur wohl eine Art von Haus-Attrappen standen, Modell von menschlichen Behausungen, die nur zu Festzeiten errichtet wurden, um die kami einzuladen (berhaupt ist das Rufen (mehr Her-rufen als An-rufen) ein wesentlicher Bestandteil des Shint-rituals). Nach dem Fest wurden diese Gottes-Huser auf Widerruf wieder entfernt. Bisher lsst sich kaum mehr sagen, als dass diese passageren kami-Herbergen zu festen Wohnsitzen wurden. Das geschah wohl sptestens in der Kofun-Zeit. Die frhesten Schreinbauten waren wie auch die zeitgenssischen Wohnhuser ganz aus Holz errichtet, fr die Wnde wurde weder Ton noch Schlamm noch Mrtel verwendet. In den Boden eingelassene Pfostern hielten Dcher, die entweder mit der Rinde des hinoki-Baums oder anderen dnnen Holzplttchen gedeckt waren. Der schon zu Beginn des 8. Jahrhunderts bezeugte und neben dem IzumoSchrein bedeutendste shintistische Kultsttte Japans verfgt zwar ber eine shaden, , weist aber eine signifikante Besonderheit auf, von der gleich die Rede sein wird. Auf der Grundlage mehrfachen persnlichen Erlebens mchte ich die Schreinanlage von Ise als eine Art architektonische Symphonie oder symphonischer Architektur beschreiben. berhaupt erscheint es sinnvoll, japanische Schreinanlagen und Tempelanlagen als ritelle Landschaften zu beschreiben. Schreinbezirke sollen idealiter ergangen werden. Daher fhrt ein sand, , genanter Weg, der auf das und durch das Schreingelnde fhrt, ein Weg auf dem die Wahrnehmung gleichsam getunt wird. Der ausdruck tuning erscheint ihnen wahrscheinlich als unangemessen, aber ich mchte aus verschiednen Grnden den Begriff Einstimmung hier vermeiden. Und was ist die shintistisch verstandene Purifikation der Geistes/Herzens anderes ein attunement an die Prsenz der kami-Gtter. Auch der sand genannte Weg ist markiert (mit Bumen, Steinlaternen etc.), um ihn als einen besonderen Weg auszuweisen. Er fhrt ber Brcken, die heilige Brcken, shinky, , genannt werden, weil auch sie Reinigung des Geistes symbolisieren. Als rituelle Landschaft ist der 45

Ise-Schrein ist ein musikalisches ma-Arrangement sondergleichen. Leider durch groe Parkplatzanlagen und andere tourismo-religise Monstrsitten stark in Mitleidenschaft gezogen bleibt Ise doch einzigartig: Mit seiner Zweiteilung in Inneren Schrein, , auch K-taijing genannt, und ueren Schrein, , auch Toyuke-taijing genannt, mit seinen zahlreichen Nebenschreinen, (betsug, sessha, massha, shokansha); mit seinem wirklich atemberaubenden Gleichklang von Berg, Tal, Fluss, Vegetation, dem was man heutzutage saund-scape nennt (ich denke an das Wasser- und Bltterrauschen, aber auch an die Schritte der Besucher auf den Sand- und Kieselwegen) und eben Architektur. Nun bleibt aber durch seine Anlage das Hauptheiligtum den Blicken entzogen. Warum? Nun haben die kami hier eine vergleichsweise bleibende Wohnstatt gefunden, - da wird auch diese invisibilisiert (freilich: man kann auf Bume klettern, aus dem hubschgrauber fotografieren etc..). Wie kann man das deuten? Ist das der Preis dafr, dass man den Gottheiten Huser gebaut hat; darf man sie, soll man sie nicht mehr sehen, weil sie nun selbst zu shintai geworden sind, nun also selbst die faszinierend-erschreckende Heiligkeit der Berge, Felsen, Wlder, Wasserflle, Hhlen besitzen, jene natrlichen Orte hchster Konzentration und Ladung, die einmal Sitz, yorishiro, und/oder Leib, shintai, der kami waren? Wird doch auch in Ise die Form, in der die Gottheit anwesen soll goshintai, , genannt.

Die Haupttypen der Schrein-Architektur, die bis heute berlebt haben und bis heute vorherrschen, haben ihre endgltige Ausgestaltung erst nach der Einfhrung des Buddhismus nach Japan gefunden. Obgleich also unleugbar von der (kontinentalen) buddhistischen Architektur beeinflusst, haben sie doch einen distinkten und diskreten Charme, der ihnen sozusagen einen stilistischen Eigen-Sinn verleiht. Man unterscheidet drei magebliche Schrein-Typen: a) Shinmei , b) Sumiyoshi , c) Taisha .

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Fr jeden der drei Stile gibt es einen reprsentatives, ja formidables Exempel, was sich auch in ihrer Namensgebung niederschlgt: Fr den Shinmei-Stil den Ise-Schrein, fr den Sumiyoshi-Stil den Sumiyoshi-Schrein in saka, fr den Taisha-Stil den Izumo-Schrein (in der Prfektur Shimane). Der Ise-Schrein besteht faktisch aus zwei Schreinen, dem inneren, Naik, , und dem ueren, Gek, . Das wichtigste Gebude ist die Haupthalle des Inneren Schreins, shg, . Sie steht im Zentrum des Komplexes, mit einem EingangsKorridor im Sden (Eingang parallel zum Firstbalken: hirairi, ; Eingang am Ende des Firstbalkens: tumairi, . Die zwei massiven Pfeiler, die nur visuell - den Firstbalken an seinen Enden sttzen, werden munamochibashira, , genannt, was schlicht Balkentragepfeiler bedeutet... Das Dach ist getoppt mit 10 katsuogi, . Gegabelte Firstabschlsse chigi, . Hinter dem Hauptschrein zwei Schatzhuser, hden, . Das Ganze umschlieen 4 konzentrische Zume: mizugaki (uchitamagaki, sotonitamagaki, itagaki). Auf dem Nachbargelnde die kleine Struktur ist ber der Stelle errichtet, an der der Herzpfeiler eingesenkt wird: der shin no mihashira.

Der Izumo-Schrein, in dem die Gottheit kuninushi und 4 geringere Gottheiten verehrt werden, ist brigens auch 25 Mal neu erbaut, neu wiedererrichtet worden.

Die Haupthalle, honden, hat noch immer einer imposante Dimension. Wenn auch nicht mehr die ihrer mutmalichen Prototypen. Dieser imposante Typus mit dem Eingang an der Firstseite hat daher nicht zu Unrecht den Namen Taisha, was nichts anderes bedeutet als Groer Schrein. Der Grundriss hnelt dem des so genannten daije shden, dem Gebude,

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in dem neue Kaiser rituell die Nachfolge ihrer Vorgnger bernehmen. Man nimmt daher an, dass der Taisha-Stil den Stil alter Wohnhuser bewahrt hat...

Der Sumiyoshi-Schrein besteht aus vier fast identischen Gebuden (Eingang Firstseite, also tsumairi), die einmal Meerblick hatten, - weil hier die Gottheiten, die fr den Schutz von Seefahrern zustndig sind, verehrt werden. Eine auffllige Besonderheit des Sumiyoshi-Stils ist die krftige Bemalung: in Rot und Wei.

Dass auch die Dcher von Shint-Schreinen nach und nach einen edlen Schwung annahmen bezeugt einen deutlichen buddhistischen Einfluss.

Unter buddhistischem Einfluss steht auch der so genannte nagare-Stil, Flie-Stil der shintistischen Sakral-Architektur. Es handelt sich dabei um Gebude, mit einen hirairi-Eingang, also einem Eingang an der Lngs-(nicht an der First-)Seite, bei denen die Dachhlfte an der Eingangsseite quasi berfliet, schtzend ber die Treppe, wo die worshipper stehen, gleichsam hinauswchst...

Man kann im nagare-Typus eine Variante des shinmei-Stils sehen, was auf anhieb vielleicht ein wenig berrascht. Aber man braucht sich nur die Haupthalle des Naik in Ise eine wenig viskos vorzustellen... Der Eingang ist eh schon an der richtigen Seite, das Dach ber dem Eingang (der ja genau genommen keiner ist!) wird wie ein Jalousie ein wenig heruntergezogen und der Dachschmuck , die katsuogi und chigi als nicht mehr der Mode entsprechend entfernt. Die schnsten Beispiele dieses Stils findet man im K