4
Lehre 63 Dipl.-Phys. Frank Schweickert, Daniel Roth, Dr. Martin Menzel und Prof. Dr. Hans-Jörg Jodl, Fachbereich Physik, Universität Kaisers- lautern, Postfach 30 49, 67653 Kaisers- lautern, E-Mail: fips @physik.uni-kl.de Die Universität Kaiserslautern bietet die Einführungsvorlesungen des Hauptfachstudiums Physik auch als Fernstudium an. In Euro- pa ist dieser „Früheinstieg ins Physikstudium“ (FiPS) inzwischen mit an der Spitze einer Entwick- lung, die in den Flächenstaaten mit Fernstudientradition Austra- lien und USA naturgemäß schon früher stärkeres Interesse gefun- den hat. FiPS hat dabei keines- wegs zum Ziel, das Präsenz- studium entbehrlich zu machen. Vielmehr möchte es auch Anre- gungen dafür geben, wie eine künftige Physiklehre an Hoch- schulen durch multimediale Fern- studienelemente bereichert wer- den kann. F iPS versorgt zurzeit haupt- sächlich Wehr- und Zivil- dienstleistende mit Vorlesun- gen der ersten beiden Fachsemester. Angeboten werden pro Semester eine Experimentalphysikvorlesung mit theoretischer Ergänzung und eine Vorlesung zur Mathematik für Physiker, jeweils mit Übungen, was einem Präsenzstudium von insge- samt 18 Semesterwochenstunden entspricht. Aus Zeitgründen haben zwei Drittel der Fernstudenten le- diglich die Physikkurse aktiv belegt: Zum Erwerb eines bundesweit an- erkannten Übungsscheines ist ein wöchentlicher Arbeitsaufwand von mindestens 15 Stunden erforder- lich. Die Teilnehmer senden jede Woche konventionelle, schriftliche Rechenaufgaben ein, mehrheitlich per Briefpost. Dazu kommen multi- mediabasierte Aufgaben und Dis- kussionen im Internet (Abb. 1). Während des Semesters finden zwei bis drei Präsenzwochenenden statt, an denen in Klausuren auch regulä- re Übungsscheine erworben werden können. Einige Fernstudenten neh- men auch an dem vierwöchigen Ferienpraktikum der Präsenzlehre teil. Von den FiPS-Teilnehmern wird erwartet, dass sie mindestens einmal in der Woche Zugang zum Internet haben, was für die meisten Zivildienst- und viele Wehrdienst- leistende nach der Grundausbil- dung auch keine Schwierigkeit ist. Das Projekt entstand im Winter- semester 1997 aus einer Eigeninitia- tive des Fachbereichs und erhält seit 1999 Mittel aus dem Förder- schwerpunkt Fernstudium der Bund-Länder-Kommission (BLK). Seit 1998 beschert FiPS der Univer- sität Kaiserslautern in jedem Win- tersemester zunächst etwa 90 zu- sätzliche Studienanfänger in Phy- sik. Die Hälfte davon sendet trotz der enormen zeitlichen Belastung und der gewissen Unverbindlichkeit des Früheinstiegs bis zum Semester- ende Übungsaufgaben ein. Wir hof- fen, diesen Anteil durch verstärkte Betreuungsmaßnahmen noch er- höhen zu können, vermuten aber eine natürliche Grenze angesichts der hohen Abbrecherquote, die auch in der Präsenzlehre bis zum Vordiplom beobachtet wird. Etwa 30 Teilnehmer setzen das Fernstudi- um im Sommersemester fort. In das Präsenzstudium der Universität Kaiserslautern wechseln ungefähr zehn Prozent unserer Fernstuden- ten. Die übrigen Teilnehmer streben zumeist ein Physikstudium an einer anderen Hochschule an. Die Fern- studienmaterialien können auch in der Präsenzlehre verwendet wer- den, um einen Studienbeginn im Sommersemester zu ermöglichen. Dies erleichtert die Vorbereitung des Fachbereichs auf das rheinland- pfälzische Frühabitur ab 2001 1) . Die ersten Schritte unternahm FiPS mit dem bereits vorhandenen Fachbereichswebserver, einer hal- ben Personalstelle für die zusätzli- chen organisatorischen Aufgaben, sowie zwei wissenschaftlichen Hilfskräften. Eine grundlegende Voraussetzung für FiPS war die Be- reitschaft der Dozenten, sich auf die Erfordernisse des Fernstudiums einzulassen. Zu Anfang galt es, in kürzester Zeit erste Lehrmaterialien zu erstellen. Im Kern griff man da- bei auf Lehrbücher und Skripte von Kaiserslauterer Professoren zurück [1, 2]. Dazu fertigen die jeweiligen FiPS-Dozenten tabellarische Lern- anweisungen an, die mit Leitfragen durch den gebundenen Lehrtext führen und darüber hinaus den Zu- sammenhang zu schriftlichen Übungsaufgaben und Multimedia- Material herstellen (Abb. 2). Die übersichtliche Tabellenform lässt sich leicht überarbeiten, um neue Aufgaben und Multimediaelemente einzufügen. Auch ist es in dieser Form verschiedenen Dozenten in Folge möglich, trotz vorgegebenem Lehrbuch jeweils eigene Akzente zu setzen. Dies ist wichtig, da sich kaum ein Dozent ohne eigene Ge- staltungsmöglichkeiten das Material seiner Vorgänger zu eigen machen wird. Das auf drei Jahre angelegte FiPS-Projekt arbeitet nun mit zwei vollen und einer halben Mitarbei- terstelle für die Organisation, das Experimentieren mit verschiedenen Lehrformen, Lehrmaterialerstellung und Rechnerwartung. Dazu kom- men zeitweise über 60 Wochenstun- den wissenschaftlicher Hilfskräfte für diverse Schreib- und Program- mierdienste sowie logistische Auf- gaben. Im anschließenden Regelbe- trieb wird vermutlich nur noch eine Mitarbeiterstelle benötigt, um das Fernstudium aufrecht zu halten und zu aktualisieren. Zusätzlich muss mit einer etwas höheren Belastung der Tutoren aufgrund der ausführli- cheren schriftlichen Korrekturen Physik studieren per Internet Können E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit dem multimedialen Fernstudium in Kaiserslautern Frank Schweickert, Daniel Roth, Martin Menzel und Hans-Jörg Jodl Physikalische Blätter 56 (2000) Nr. 11 0031-9279/00/1111-63 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2000 1) In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt lau- fen Modellversuche, die Abiturienten ab 2001 (bzw. 2002) bereits zum Sommersemester entlas- sen. Abb. 1: Mit einem synchronen Kommunikationswerkzeug wie Netmee- ting können Skizzen über das Internet von mehreren Teilneh- mern gleichzeitig bearbeitet werden. Stimm- und Videoübertra- gung sind damit derzeit nur zwischen zwei Teilnehmern, z. B. einem Studierenden und seinem Tutor, möglich.

Physik studieren per Internet: Können E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit dem multimedialen Fernstudium in Kaiserslautern

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Physik studieren per Internet: Können E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit dem multimedialen Fernstudium in Kaiserslautern

Lehre

63

Dipl.-Phys. FrankSchweickert, DanielRoth, Dr. MartinMenzel und Prof. Dr.Hans-Jörg Jodl,Fachbereich Physik,Universität Kaisers-lautern, Postfach 3049, 67653 Kaisers-lautern, E-Mail: [email protected]

Die Universität Kaiserslauternbietet die Einführungsvorlesungendes Hauptfachstudiums Physikauch als Fernstudium an. In Euro-pa ist dieser „Früheinstieg insPhysikstudium“ (FiPS) inzwischenmit an der Spitze einer Entwick-lung, die in den Flächenstaatenmit Fernstudientradition Austra-lien und USA naturgemäß schonfrüher stärkeres Interesse gefun-den hat. FiPS hat dabei keines-wegs zum Ziel, das Präsenz-studium entbehrlich zu machen.Vielmehr möchte es auch Anre-gungen dafür geben, wie einekünftige Physiklehre an Hoch-schulen durch multimediale Fern-studienelemente bereichert wer-den kann.

F iPS versorgt zurzeit haupt-sächlich Wehr- und Zivil-dienstleistende mit Vorlesun-

gen der ersten beiden Fachsemester.Angeboten werden pro Semestereine Experimentalphysikvorlesungmit theoretischer Ergänzung undeine Vorlesung zur Mathematik fürPhysiker, jeweils mit Übungen, waseinem Präsenzstudium von insge-samt 18 Semesterwochenstundenentspricht. Aus Zeitgründen habenzwei Drittel der Fernstudenten le-diglich die Physikkurse aktiv belegt:Zum Erwerb eines bundesweit an-erkannten Übungsscheines ist einwöchentlicher Arbeitsaufwand vonmindestens 15 Stunden erforder-lich.

Die Teilnehmer senden jedeWoche konventionelle, schriftlicheRechenaufgaben ein, mehrheitlichper Briefpost. Dazu kommen multi-mediabasierte Aufgaben und Dis-kussionen im Internet (Abb. 1).Während des Semesters finden zweibis drei Präsenzwochenenden statt,an denen in Klausuren auch regulä-re Übungsscheine erworben werdenkönnen. Einige Fernstudenten neh-men auch an dem vierwöchigenFerienpraktikum der Präsenzlehreteil. Von den FiPS-Teilnehmernwird erwartet, dass sie mindestenseinmal in der Woche Zugang zumInternet haben, was für die meistenZivildienst- und viele Wehrdienst-

leistende nach der Grundausbil-dung auch keine Schwierigkeit ist.

Das Projekt entstand im Winter-semester 1997 aus einer Eigeninitia-tive des Fachbereichs und erhältseit 1999 Mittel aus dem Förder-schwerpunkt Fernstudium derBund-Länder-Kommission (BLK).Seit 1998 beschert FiPS der Univer-sität Kaiserslautern in jedem Win-tersemester zunächst etwa 90 zu-sätzliche Studienanfänger in Phy-sik. Die Hälfte davon sendet trotzder enormen zeitlichen Belastungund der gewissen Unverbindlichkeitdes Früheinstiegs bis zum Semester-ende Übungsaufgaben ein. Wir hof-fen, diesen Anteil durch verstärkteBetreuungsmaßnahmen noch er-höhen zu können, vermuten abereine natürliche Grenze angesichtsder hohen Abbrecherquote, dieauch in der Präsenzlehre bis zumVordiplom beobachtet wird. Etwa30 Teilnehmer setzen das Fernstudi-um im Sommersemester fort. In dasPräsenzstudium der UniversitätKaiserslautern wechseln ungefährzehn Prozent unserer Fernstuden-ten. Die übrigen Teilnehmer strebenzumeist ein Physikstudium an eineranderen Hochschule an. Die Fern-studienmaterialien können auch inder Präsenzlehre verwendet wer-den, um einen Studienbeginn imSommersemester zu ermöglichen.Dies erleichtert die Vorbereitungdes Fachbereichs auf das rheinland-pfälzische Frühabitur ab 20011).

Die ersten Schritte unternahmFiPS mit dem bereits vorhandenenFachbereichswebserver, einer hal-ben Personalstelle für die zusätzli-chen organisatorischen Aufgaben,sowie zwei wissenschaftlichenHilfskräften. Eine grundlegendeVoraussetzung für FiPS war die Be-reitschaft der Dozenten, sich aufdie Erfordernisse des Fernstudiumseinzulassen. Zu Anfang galt es, inkürzester Zeit erste Lehrmaterialienzu erstellen. Im Kern griff man da-bei auf Lehrbücher und Skripte vonKaiserslauterer Professoren zurück[1, 2]. Dazu fertigen die jeweiligenFiPS-Dozenten tabellarische Lern-anweisungen an, die mit Leitfragendurch den gebundenen Lehrtext

führen und darüber hinaus den Zu-sammenhang zu schriftlichenÜbungsaufgaben und Multimedia-Material herstellen (Abb. 2). Dieübersichtliche Tabellenform lässtsich leicht überarbeiten, um neueAufgaben und Multimediaelementeeinzufügen. Auch ist es in dieserForm verschiedenen Dozenten in

Folge möglich, trotz vorgegebenemLehrbuch jeweils eigene Akzente zusetzen. Dies ist wichtig, da sichkaum ein Dozent ohne eigene Ge-staltungsmöglichkeiten das Materialseiner Vorgänger zu eigen machenwird.

Das auf drei Jahre angelegteFiPS-Projekt arbeitet nun mit zweivollen und einer halben Mitarbei-terstelle für die Organisation, dasExperimentieren mit verschiedenenLehrformen, Lehrmaterialerstellungund Rechnerwartung. Dazu kom-men zeitweise über 60 Wochenstun-den wissenschaftlicher Hilfskräftefür diverse Schreib- und Program-mierdienste sowie logistische Auf-gaben. Im anschließenden Regelbe-trieb wird vermutlich nur noch eineMitarbeiterstelle benötigt, um dasFernstudium aufrecht zu halten undzu aktualisieren. Zusätzlich mussmit einer etwas höheren Belastungder Tutoren aufgrund der ausführli-cheren schriftlichen Korrekturen

Physik studieren per InternetKönnen E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit demmultimedialen Fernstudium in Kaiserslautern

Frank Schweickert, Daniel Roth, Martin Menzel und Hans-Jörg Jodl

Physikalische Blätter56 (2000) Nr. 110031-9279/00/1111-63$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 2000

1) In Rheinland-Pfalzund Sachsen-Anhalt lau-fen Modellversuche, dieAbiturienten ab 2001(bzw. 2002) bereits zumSommersemester entlas-sen.

Abb. 1: Mit einem synchronen Kommunikationswerkzeug wie Netmee-ting können Skizzen über das Internet von mehreren Teilneh-mern gleichzeitig bearbeitet werden. Stimm- und Videoübertra-gung sind damit derzeit nur zwischen zwei Teilnehmern, z. B.einem Studierenden und seinem Tutor, möglich.

Page 2: Physik studieren per Internet: Können E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit dem multimedialen Fernstudium in Kaiserslautern

Physikalische Blätter56 (2000) Nr. 1164

Lehre

und der Betreuung per Internet ge-rechnet werden. Als Faustregel sindetwa 45 min an wöchentlichem Be-treuungsaufwand für jeden aktivenTeilnehmer in der Experimental-physik einschließlich theoretischerErgänzung anzusetzen.

Multimedia-EinsatzFernstudenten, die sorgfältig

produzierte Videofilme auf CD-ROM erhalten, die sie nach Belie-ben auch anhalten und erneutabspielen können, scheinen zumin-dest bezüglich der Demonstrations-experimente nicht unbedingt imNachteil zu sein gegenüber Prä-senzstudenten, die solche Versuche

auf einem großen Videoschirm inder letzten Reihe eines großen Hör-saals verfolgen. FiPS-Studenten er-halten hierzu auch interaktive, pho-torealistische Bildschirmexperimen-te (IBEs), die an der TechnischenHochschule Berlin [3] gefertigt wer-den. Dabei wird das reale Experi-ment in sehr vielen Einzelphasenfotografiert und die Aufnahmen miteiner Multimedia-Autorensoftwareso aufbereitet, dass sich der Ver-such scheinbar mit dem Mauszeigerbedienen lässt (Abb. 3). Diese Tech-nik ist besonders dort sinnvoll, woes auf die naturgetreue Wiedergabeeines Phänomens ankommt, das inseiner charakteristischen Art oderin seiner subjektiven Wirkung nichtin einer Computeranimation dar-stellbar ist. IBEs dokumentierenauthentische Experimente und ver-mitteln somit auch im Fernstudiumein Element induktiver Naturbe-schreibung.

Ein ganz anderes Thema sindPraktikumsexperimente. Sie bietenden Studierenden nach wie vor dieunersetzliche Gelegenheit, physika-lischen Realitätssinn zu erwerben.

Nach Aussagen von Praktikums-betreuern stellen die Teilnehmerjedoch nach multimedialen Vor-übungen, z. B. mit einem computer-simulierten Oszilloskop, regelmäßigüberlegtere und zielstrebigere Fra-gen zu den durchzuführendenVersuchen [4]. Daher besteht dieHoffnung, dass das multimedialeFernstudium auch die Praktikums-vorbereitung wirksam unterstützenkann.

Didaktische Physiksimulations-programme sind seit Jahrzehntenbekannt. Im Gegensatz zu IBEsveranschaulichen sie theoretischeModelle mittels numerischer Me-thoden und bildlicher Darstellung.

Damit gehören sie grundsätzlichzum Bereich deduktiven Vorgehens,denn sie zeigen die phänomenologi-schen Konsequenzen idealisierterAnnahmen. Durch ihre Interakti-vität bieten sie einen handlungsori-entierten Zugang zu physikalischenVorstellungen auch abstrakterer Art(Beispiel: Trajektorien im Phasen-raum). Ihre Hauptaufgabe liegt alsoim Bereich der Konzeptbildung. In-wieweit sich aber auch experimen-telle Grundfertigkeiten, wie Beob-achten, systematisches Variierenvon Parametern, Datenanalyse undFehlerabschätzung ebenfalls an Si-mulationen üben lassen, sollte kri-tisch diskutiert werden.

FiPS verwendet Simulationspro-gramme auf Internet-Webseiten, sogenannte Physlets® (Physik-Applets,Abb. 4), die von Wolfgang Christianam Davidson College, North Caro-lina, entwickelt wurden. Sie sind imWWW dokumentiert und stehendort für nichtkommerzielle Zweckekostenlos zum Herunterladen bereit[5]. Dabei handelt es sich jedochnicht etwa um eine Sammlung vonJava-Applets, die unverändert über-

nommen werden müsste, sondernum ein sehr flexibles Konzept: EinPhyslet stellt physikalische Objektezur Verfügung, wie zum Beispielstoßende Teilchen, stromdurchflos-sene Leiter, Aufbauten einer opti-schen Bank oder auch Graphen-plotter für die beteiligten Größen.Diese Objekte sind von jedem Web-seitengestalter ohne besondereSoftwarehilfsmittel mit elementarenProgrammieranweisungen zu kom-binieren.

Unsere Erfahrung ist aber, dasssich FiPS-Fernstudenten unter demZeitdruck ihrer sonstigen Tätigkei-ten kaum auf – ihrer Ansicht nach– rein illustratives Beiwerk einlas-sen. Daher und aufgrund allgemei-nerer methodischer Überlegungenversuchen wir, die Darstellungkomplexerer Demonstrationsversu-che stets in handlungsorientierteÜbungsaufgaben einzubinden, dienach Möglichkeit auch bewertetwerden.

Die Multimedia-Elemente wer-den in einer Mediendatenbank ver-waltet, zu der alle Dozenten Zugrifferhalten – auch zum Einsatz in derPräsenzlehre [6]. Die Aktivitätendes Fernstudienbetriebs habenaußerdem ein Seminar zur numeri-schen Physik in Kaiserslautern an-geregt, in dem Präsenzstudentenphysikalische Java-Simulationenschreiben, die wiederum im Fern-studium verwendet werden.

FernbetreuungDer schwächste Punkt des Fern-

studiums ist die Kommunikation.Das gilt für den sozialen Umganggenauso wie für die fachliche Zu-sammenarbeit. Aber auch hier eb-net das Internet neue Wege, dieüber das klassische Fernstudiumper Briefpost hinausgehen. Längli-che Berechnungen werden sicher-lich nach wie vor am besten auf Pa-pier ausgeführt und korrigiert. Da-bei ist es gar nicht entscheidend, obsie dann eingescannt per E-Mailoder als Brief versandt werden.Dies sind lediglich Fragen von Ko-sten und Bequemlichkeit. 95 % derFiPS-Teilnehmer bevorzugen dieEinsendung der Übungsaufgabenper Briefpost.

Die tatsächlichen Bedürfnisse im„virtuellen“ Fernstudium gehenaber sehr viel weiter: � Teilnehmer müssen individuelleBeiträge mit Skizzen und Formelnauch ihren Mitstudenten präsentie-ren können. Dabei kommt es aufein klares Arrangement von Beiträ-

Kap. Hinw. Thema Seite Zeit

3.2.1 � Magnetischer Kraftfluss 79 10’Vergleichen Sie Glg. 3.4 mit Fig. 1.9 b. �

Vergleichen Sie Glg. 3.5 (Abb 3.7a-c) mit Glg. 1.10 (Abb 1.13). Was bedeutet also div B = 0 physikalisch? 80 �

Prägen Sie sich das Ampèresche Gesetz in der integralen Form 3.6 (rechts) und in der differentiellen Form 3.7 (links) ein. Welcher mathematische Satz verbindet beide? 81 �

3.2.2 � Das Magnetfeld eines geraden Stromleiters 81 20’

�� Applet: Magnetfeld eines geraden StromleitersEntspricht die Feldliniendichte in Abb. 3.5 der magnetischen Feldstärke B (früher: „Flussdichte“) nach Glg. 3.9 ? 82 �

�� Applet: Magnetfeld eines KoaxialkabelsBegründen Sie das Ergebnis mit der Integralform des Ampèreschen Gesetzes, analog zu Abb 3.11.(Tipp: Richtung des Magnetfelds folgt aus Symmetrie) 82 �

Abb. 2: Die tabellarischenLehranleitungenführen in Leitfra-gen durch dasLehrbuch und in-tegrieren Multime-dia, schriftlicheÜbungsaufgabenund zusätzlicheAnmerkungen. Zujedem Abschnittwerden erwarteteBearbeitungsdauerund -intensität an-gegeben.

Page 3: Physik studieren per Internet: Können E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit dem multimedialen Fernstudium in Kaiserslautern

Physikalische Blätter56 (2000) Nr. 11

Lehre

65

gen, Bezügen und Bewertungen an.� Teilnehmer müssen in Echtzeitmiteinander diskutieren können,wobei Stimme, Skizzen und For-meln und möglichst auch das Ge-sicht der Teilnehmer übertragenwerden sollten.� Die Rückmeldungen der Studen-ten müssen möglichst automatischgesammelt und strukturiert werden,um den Tutoren den aktuellenLernfortschritt anzuzeigen.

Die Beobachtungen der Tutorenbei einer wöchentlichen Telefon-sprechstunde im FiPS haben ge-zeigt, dass nur sehr wenige Studen-ten dieses rein auditive Mediumnutzen, um effektiv über Physik zureden (obwohl diese wenigen esdann ausgiebig tun). Sehr vielbesser angenommen werden e-mail-basierte Internetforen wie News-gruppen. Die dabei noch wün-schenswerten Strukturierungs-möglichkeiten werden in einemeigens entwickelten Web-Forum un-tersucht. Spontanen Gedankenaus-tausch pflegen FiPS-Teilnehmer mitder kostenlosen Software ICQ vonMirabilis, die permanent anzeigt,welche Teilnehmer online sind. Mitdem Programm Netmeeting vonMicrosoft können auch gemeinsamSkizzen bei gleichzeitiger Sprach-übertragung bearbeitet werden(Abb. 1). Die Erfahrung zeigt, dassdie benötigten Software-Hilfsmittelin einem mehrwöchigen Fernkursvor Beginn des Physikstudiums ein-geführt werden müssen, da die Teil-nehmer später im Semester keineZeit mehr in technische Experimen-te investieren wollen.

Bei der Darstellung von mathe-matischen Formeln in den News-gruppen scheinen interessanter-

weise die meisten Teilnehmer ohnemathematische Sonderzeichen aus-zukommen, obwohl es mit etwasMehraufwand möglich ist, Formel-satz durch Eingabe von TeX-Codeoder mit menügesteuerten Formele-ditoren zu erstellen und in E-Mailseinzufügen. Vermutlich hat die Be-schwerlichkeit der Formeldarstel-lung mitunter sogar den positivenEffekt, dass die Beiträge genauerüberdacht werden, um den begriff-lichen Kern eines fachlichen Pro-blems herauszuarbeiten.

Als sehr vorteilhaft hat es sicherwiesen, die Teilnehmer in regio-nale Kleingruppen mit jeweils 7–8Personen einzuteilen und deren Zu-sammenhalt in Vorkursübungen zufördern. Auf einem ersten Präsenz-wochenende, möglichst zu Semes-terbeginn, wird die persönliche Bin-dung innerhalb dieser Lerngruppenverstärkt. Die Einteilung in Klein-gruppen durchbricht die Anonym-ität und motiviert die Fernstuden-ten dazu, sich für Fragen andererTeilnehmer zuständig zu fühlen.Dies könnte auch die sozialeGrundlage eines weitergehendensog. Peer-Tutorings sein, dessenMöglichkeiten in der Physikfern-lehre jedoch noch auszuloten sind.Eine Schilderung von technischenEinzelheiten und Ergebnissen bleibteiner weiteren Veröffentlichungvorbehalten, die auch auf der FiPS-Internetseite (s. u.) abrufbar seinwird.

Offen ist in diesem Zusammen-hang auch noch die Frage nachdem lerntheoretisch erwünschtenselbstgesteuerten Lernen, bei demsich Lehrmaterial und Lerntempoindividuell anpassen lassen. Zumeinen erschwert der innere Zusam-

menhang des Fachs eine nichtlinea-re Stoffpräsentation. Zum anderensollte eine gewisse Anzahl von Teil-nehmern gleichzeitig denselbenStoff bearbeiten, um fachlich kom-munizieren zu können. Daher wer-den zurzeit noch alle FiPS-Übun-gen im gleichen wöchentlichenRhythmus gehalten. So belohntzum Beispiel ein Webquiz dasrechtzeitige Durchlesen derÜbungsaufgaben vor Einsende-schluss mit zusätzlichen Hinweisen,damit sich in den Newsgruppen ei-ne Diskussion darüber entfaltenkann. Außerdem besteht bei vielenTeilnehmern das Bedürfnis, sich mitdem durchschnittlichen Leistungs-stand der anderen Teilnehmer zuvergleichen. Hierzu liefert FiPSüber das Internet grafische Statisti-ken aus einer Datenbank, in die die Übungsbetreuer ihre Korrektur-ergebnisse eintragen.

Es wird deutlich, dass auch dieTutoren auf die neuen Betreuungs-möglichkeiten vorbereitet werdenmüssen. Als Physiker haben sie da-bei allerdings weniger Schwierigkei-ten, sich in die technischen Grund-lagen einzuarbeiten, als vielmehrdann mithilfe der elektronischenKommunikationsmittel fachlichsinnvolle Aktivitäten zu stimulieren.

Abb. 3: Ein einfaches interaktives Bildschirm-experiment zeigt ein Fadenstrahlrohr miteiner Ausschnittsvergrößerung rechts imBild. Durch horizontale Mausbewegunglässt sich das angezeigte Magnetfeld derHelmholtz-Spulen variieren und die Ab-lenkung des Elektronenstrahls beobach-ten. Eine Übungsaufgabe besteht darin,das für eine hier nicht mehr einstellbareBahnkrümmung erforderliche Magnetfeld

zu errechnen. Dazu kann man zunächstden Radius einer beliebigen Bahn geome-trisch bestimmen und mit dem zugehöri-gen Feld die konstante Beschleunigungs-spannung errechnen. Die gefundene ma-thematische Beziehung zwischen Feldund Radius lässt sich anhand andererEinstellungen experimentell überprüfenund schließlich gemäß der Aufgabenstel-lung extrapolieren.

Abb. 4: Dieses Physlet zeigt zwei ortsfeste Pol-Punktladungen und eine bewegliche Test-ladung. Die Markierungen A, B, C fragennach der Bahn der reibungsfreien Testla-dung beim Loslassen. Denn sehr leichterliegen Studierende außerhalb von Me-chanik-Lektionen erneut dem klassischenVorurteil, dass die Kraftrichtung und Be-wegungsrichtung identisch seien, bzw.dass die Bahn den Feldlinien folge. Eineinschaltbarer Kraftpfeil verdeutlicht,wie schnell das Dipolfeld mit der Entfer-nung an Einfluss verliert. Außerdem sol-len Argumente für die zunächst verblüf-fende Tatsache gefunden werden, dassweder die veränderbare Masse noch dieStärke der elektrischen Wechselwirkungden Bahnverlauf beeinflussen.

Page 4: Physik studieren per Internet: Können E-Mail und Internet eine Physikvorlesung ersetzen? Erfahrungen mit dem multimedialen Fernstudium in Kaiserslautern

Physikalische Blätter56 (2000) Nr. 1166

Lehre

Ausblick: Lehrer undSchüler als ZielgruppenDie entscheidende Frage zum

Fernstudium Physik muss aber nochbeantwortet werden: Welche Ziel-gruppe soll angesprochen werden?Bislang leisten 95 % der FiPS-Teil-nehmer gleichzeitig Wehr- bzw. Zi-vildienst, wo sich nach der derzeiti-gen politischen Diskussion einigeWandlungen abzeichnen. Fraglichist, ob Berufstätige, Rentner oderPersonen, die einen Haushalt ver-sorgen, in großer Zahl ausdauernddazu motiviert sind, sich in die ma-thematisch formulierte Hochschul-physik zu vertiefen. Aber die multi-mediale, netzbasierte Physiklehrefindet neue Einsatzfelder, die vomklassischen Fernstudium bisherkaum berührt wurden:� Spezialvorlesungen für Haupt-und Nebenfachstudenten andererUniversitäten. Anerkennungsfragensollten bis dahin durch ein europäi-sches Credit-Point-System (z. B.ECTS) gelöst werden. � Multimediale Fernstudientechni-ken in der Präsenzlehre der eigenenUniversität. Es treten Mischformenvon Präsenz- und Fernlehre an dieStelle des traditionellen Schemasvon Vorlesung plus Übungen. EinBeispiel ist Just in Time Teaching(JiTT), bei dem die Präsenzveran-staltungen auf Webrückmeldungen

der Studierenden eingehen [7].� Lehrerfortbildungen, für die zweiverschiedene Studieninhalte denk-bar sind:– die fachliche Auffrischung in Physik – Anleitungen zum didaktisch-me-thodischen Einsatz von Multime-diaelementen im Physikunterricht.� hochbegabte Schüler der gym-nasialen Oberstufe, die durch aus-gewählte Fernstudienmaterialiender universitären Physiklehre ge-zielt gefördert werden können.

Damit entschärft sich auch dieFrage, ob ein volles Fernstudiumder Physik bis zum Diplom ausSicht der Physiker und Physikerin-nen überhaupt wünschenswert sei.Denn wo angesichts neuer techni-scher Möglichkeiten die Grenzenzwischen Fern- und Präsenzlehreverschwimmen, da entstehen gänz-lich neue Lehr- und Lernformen anden Universitäten. Über deren Aus-gestaltung sollte sich die Physikge-meinde allerdings intensiv Gedan-ken machen, wobei natürlich immerzuerst Inhalte und Ziele erwogenwerden sollten, bevor man sichüber die Form streitet. FiPS liefertseinen Beitrag zu dieser Diskussionund ist umgekehrt dankbar für An-regungen, Kritik oder interessierteAnfragen. Auf der FiPS-Internetsei-te http://fips-server.physik.uni-

kl.de/fips/ liegen weitere Informa-tionen zu den Themen Multimediaund Fernbetreuung in der Physik-lehre bereit.

Literatur[1] W. Demtröder, „Experimentalphy-

sik 1 und 2“, Springer, Berlin, Hei-delberg

[2] H.-J. Korsch, „Mathematische Er-gänzungen zur Einführung in diePhysik“, Binomi-Verlag, Springe

[3] R. Rass, J. Kirstein, Institut fürFachdidaktik und Lehrerfortbil-dung (IFPL), Fachbereich Physikder Technischen Universität Berlin(http://www.physik.tu-berlin.de/institute/IFPL/IBE/IBE.html)

[4] M. Vindevoghel, LEMM, UniversitéLille 1, Vortrag auf dem jährlichstattfindenden europäischen Sym-posium „Multimedia in PhysicsTeaching and Learning“, Lille,1998.

[5] W. Christian, Davidson College,North Carolina: „Physlet Homepa-ge“ (http://webphysics.davidson.edu/applet/applets.html)

[6] Umfangreiche Ressourcensamm-lung von Physik im WWW bei P.Krahmer (http://didaktik.physik.uni-wuerzburg.de/~pkrahmer/home/homepage.html)

[7] Speziell auf die Physiklehre beziehtsich: G. M. Novak, E. T. Patterson,A. D. Gavrin, W. Christian, „Just-in-Time-Teaching. Blending ActiveLearning with Web Technology“,Prentice Hall, 1999 (http://web-physics.iupui.edu/jitt/jitt.html)