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TREFFPUNKT FORSCHUNG auf anziehend um. Dazu benutzten wir eine sogenannte Feshbach-Reso- nanz. Sie beruht darauf, dass neutrale Atome nur über ihre Molekülpoten- tiale miteinander wechselwirken und wir diese über Magnetfelder gegenein- ander verschieben können. Außerdem mussten wir die Falle in eine Antifalle umschalten. Anfangs lag die Atomwolke in einem Potenti- altal, das wir dann durch das Um- schalten von Laserstrahlen schlagar- tig in einen Hügel umformten. Zum Abschluss des Experiments mussten wir nun den Mott-Isolator wieder in bewegliche Teilchen „schmelzen“ und konnten dann deren Energiever- teilung messen: Bei positiver Tempe- ratur würden die Teilchen den Hügel hinunterrollen und potentielle Ener- gie in Bewegungsenergie umwan- deln. Aufgrund der negativen Tempe- ratur bleiben sie jedoch auf dem Hügel, da ihre Bewegungsenergie nicht mehr weiter zunehmen kann. Wir konnten dabei experimentell zeigen, dass sich die Teilchen tatsäch- lich in den Zuständen mit der höch- sten Bewegungsenergie ansammeln und dabei stabil auf der Spitze des Hügels verbleiben [1]. Bei negativen Temperaturen wird das System mit steigender Energie wieder zunehmend geordnet, seine Entropie nimmt also ab. Dies hat unter anderem zur Folge, dass eine Wärmekraftmaschine, deren oberes Reservoir bei negativen Temperatu- ren liegt, einen Carnot-Wirkungsgrad von größer als eins erreichen kann. Der Carnot-Wirkungsgrad ist dabei der Anteil an aus dem oberen Reser- voir entnommener Wärme, der als Energie genutzt werden kann. Wenn das obere Reservoir nun bei negativer Temperatur liegt, so kann die Maschine gleichzeitig auch aus dem unteren Reservoir (beispiels- weise der Umgebung) Energie ent- nehmen, ohne den zweiten Haupt- satz zu verletzten [3]: Systeme bei negativer Temperatur wollen spontan Energie abgeben und können dabei sogar noch Entropie aufnehmen. Literatur [1] S. Braun et. al, Science 2013, 339, 52. [2] E. M. Purcell, R. V. Pound, Phys. Rev. 1951, 81, 279. [3] A. Rapp, S. Mandt, A. Rosch, Phys. Rev. Lett. 2010, 105, 220405. [4] M. Greiner et al., Nature 2002, 415, 39; Phys. Unserer Zeit 2011, 42(1), 8. www.quantum-munich.de Ulrich Schneider, Uni München und MPI für Quantenoptik, Garching © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2013 (44) Phys. Unserer Zeit 59 ASTROPHYSIK | Physikalische Konstanten in Raum und Zeit Seit einigen Jahrzehnten können durch Messung optischer Spektral- linien in astronomischen Objekten die Größen physikalischer Funda- mentalkonstanten bestimmt werden. Bei dem Versuch, immer genaue- re Daten zu erhalten, erweisen sich seit kurzem Linien interstellarer Moleküle im Radiobereich als besonders geeignet. So konnten wir kürzlich das Proton-zu-Elektron-Massenverhältnis mit bislang uner- reichter Präzision im jungen Universum messen und mit dem heutigen Wert vergleichen. Die Frage, ob die Fundamentalkon- stanten zu jeder Zeit und an jedem Ort im Universum denselben Wert haben, berührt unser grundlegendes Verständnis der Welt. Wären die Kon- stanten nicht konstant, so könnten wir nicht die physikalischen Gesetze, die wir in Erdnähe messen, auf den Rest des Universums übertragen. Das Massenverhältnis von Proton-zu- Elektron ist eine solche Konstante. Die Protonenmasse wird durch die starke Wechselwirkung bestimmt, welche die Atomkerne zusammen- hält. Die Elektronenmasse ist dage- gen von der schwachen Wechsel- wirkung abhängig, die für den radio- aktiven Zerfall von Atomkernen verantwortlich zeichnet. Daher ver- bindet das Verhältnis der beiden Massen, μ = m p /m e ~ 1836 zwei grundlegende Naturkräfte. Dieses Verhältnis bestimmt auch die Fre- quenzen molekularer Linien. So hängen die Frequenzen von elektro- nischen Übergängen, Vibrations- schwingungen und Rotationsüber- gängen in unterschiedlicher Weise von μ ab [1]. Jede astronomische Quelle besitzt eine für sie charakteristische Radial- geschwindigkeit, die anzeigt, wie schnell sie sich auf uns zu oder von uns weg bewegt. Dies äußert sich im Doppler-Effekt, also durch eine Ver- schiebung der gemessenen Linien- frequenz relativ zum Laborwert. Falls μ in der astronomischen Quelle vom Laborwert abweicht, sollten beispielsweise Vibrations- und Rota- tionslinien eines Moleküls in ein und demselben Objekt unterschiedliche (auf dem Laborwert von μ basieren- de) Radialgeschwindigkeiten aufwei- sen. Ziel ist es, derartige Unterschie- de exakt zu messen. Interessante Ergebnisse konnten in den letzten Jahren durch einen Vergleich von Rotationslinien mit den Inversionslinien des Ammoniak- moleküls (NH 3 ) bei etwa 1,3 cm Wel- lenlänge erzielt werden [2]. Hier ließ sich in Molekülwolken mit besonders Abb. 1 Die Struktur des Methanolmole- küls (hellgrau: Wasserstoff; rot: Sauerstoff; schwarz: Kohlen- stoff) und die interne Dreh- bewegung des Moleküls (gelber Pfeil) (Grafik: VU University Amster- dam, P. Jansen).

Physikalische Konstanten in Raum und Zeit

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

auf anziehend um. Dazu benutztenwir eine sogenannte Feshbach-Reso-nanz. Sie beruht darauf, dass neutraleAtome nur über ihre Molekülpoten -tiale miteinander wechselwirken undwir diese über Magnetfelder gegenein-ander verschieben können.

Außerdem mussten wir die Fallein eine Antifalle umschalten. Anfangslag die Atomwolke in einem Potenti-altal, das wir dann durch das Um-schalten von Laserstrahlen schlagar-tig in einen Hügel umformten. ZumAbschluss des Experiments musstenwir nun den Mott-Isolator wieder inbewegliche Teilchen „schmelzen“und konnten dann deren Energiever-teilung messen: Bei positiver Tempe-ratur würden die Teilchen den Hügelhinunterrollen und potentielle Ener -gie in Bewegungsenergie umwan-deln. Aufgrund der negativen Tempe-

ratur bleiben sie jedoch auf demHügel, da ihre Bewegungsenergienicht mehr weiter zunehmen kann.Wir konnten dabei experimentellzeigen, dass sich die Teilchen tatsäch-lich in den Zuständen mit der höch-sten Bewegungsenergie ansammelnund dabei stabil auf der Spitze desHügels verbleiben [1].

Bei negativen Temperaturen wirddas System mit steigender Energiewieder zunehmend geordnet, seineEntropie nimmt also ab. Dies hatunter anderem zur Folge, dass eineWärmekraftmaschine, deren oberesReservoir bei negativen Temperatu-ren liegt, einen Carnot-Wirkungsgradvon größer als eins erreichen kann.Der Carnot-Wirkungsgrad ist dabeider Anteil an aus dem oberen Reser-voir entnommener Wärme, der alsEnergie genutzt werden kann.

Wenn das obere Reservoir nunbei negativer Temperatur liegt, sokann die Maschine gleichzeitig auchaus dem unteren Reservoir (beispiels-weise der Umgebung) Energie ent -nehmen, ohne den zweiten Haupt-satz zu verletzten [3]: Systeme beinegativer Temperatur wollen spontanEnergie abgeben und können dabeisogar noch Entropie aufnehmen.

Literatur[1] S. Braun et. al, Science 2013, 339, 52.[2] E. M. Purcell, R. V. Pound, Phys. Rev. 1951,

81, 279.[3] A. Rapp, S. Mandt, A. Rosch, Phys. Rev.

Lett. 2010, 105, 220405.[4] M. Greiner et al., Nature 2002, 415, 39;

Phys. Unserer Zeit 2011, 42(1), 8. www.quantum-munich.de

Ulrich Schneider, Uni München und MPI für

Quantenoptik, Garching

© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2013 (44) Phys. Unserer Zeit 59

A S T RO PH YS I K |Physikalische Konstanten in Raum und Zeit

Seit einigen Jahrzehnten können durch Messung optischer Spektral -linien in astronomischen Objekten die Größen physikalischer Funda-mentalkonstanten bestimmt werden. Bei dem Versuch, immer genaue-re Daten zu erhalten, erweisen sich seit kurzem Linien interstellarerMoleküle im Radiobereich als besonders geeignet. So konnten wirkürzlich das Proton-zu-Elektron-Massenverhältnis mit bislang uner-reichter Präzision im jungen Universum messen und mit dem heutigenWert vergleichen.

Die Frage, ob die Fundamentalkon-stanten zu jeder Zeit und an jedemOrt im Universum denselben Werthaben, berührt unser grundlegendesVerständnis der Welt. Wären die Kon -stanten nicht konstant, so könntenwir nicht die physikalischen Gesetze,die wir in Erdnähe messen, auf denRest des Universums übertragen. DasMassenverhältnis von Proton-zu-Elektron ist eine solche Konstante.

Die Protonenmasse wird durchdie starke Wechselwirkung bestimmt,welche die Atomkerne zusammen-hält. Die Elektronenmasse ist dage-gen von der schwachen Wechsel -

wirkung abhängig, die für den radio-aktiven Zerfall von Atomkernenverantwortlich zeichnet. Daher ver -bindet das Verhältnis der beidenMassen, µ = mp/me ~ 1836 zweigrundlegende Naturkräfte. DiesesVerhältnis bestimmt auch die Fre-quenzen molekularer Linien. Sohängen die Frequenzen von elektro-nischen Übergängen, Vibrations-schwingungen und Rotationsüber-gängen in unterschiedlicher Weisevon µ ab [1].

Jede astronomische Quelle besitzteine für sie charakteristische Radial-geschwindigkeit, die anzeigt, wie

schnell sie sich auf uns zu oder vonuns weg bewegt. Dies äußert sich imDoppler-Effekt, also durch eine Ver -schiebung der gemessenen Linien -frequenz relativ zum Laborwert. Falls µ in der astronomischen Quellevom Laborwert abweicht, solltenbeispielsweise Vibrations- und Rota-tionslinien eines Moleküls in ein unddemselben Objekt unterschiedliche(auf dem Laborwert von µ basieren-de) Radialgeschwindigkeiten aufwei-sen. Ziel ist es, derartige Unterschie-de exakt zu messen.

Interessante Ergebnisse konntenin den letzten Jahren durch einenVergleich von Rotationslinien mitden Inversionslinien des Ammoniak-moleküls (NH3) bei etwa 1,3 cm Wel -lenlänge erzielt werden [2]. Hier ließsich in Molekülwolken mit besonders

Abb. 1 DieStruktur desMethanolmole-küls (hellgrau:Wasserstoff; rot: Sauerstoff;schwarz: Kohlen-stoff) und dieinterne Dreh -bewegung desMoleküls (gelberPfeil) (Grafik: VUUniversity Amster-dam, P. Jansen).

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

schmalen Spektrallinien in einigenhundert Lichtjahren Entfernung zei -gen, dass µ höchstens um 3 · 10–8

vom Laborwert abweicht. Dieserobere Grenzwert ist deshalb beson -ders interessant, weil es Theoriengibt, wonach die Teilchenmassen vonder Materiedichte der Umgebungabhängen. Da die Dichten in deninterstellaren Molekülwolken typi-scherweise um 15 Größenordnungengeringer sind als in unserer Atmo-sphäre, sollten Unterschiede in µeventuell nachweisbar sein. Wir wis -sen jetzt, dass diese Unterschiede, so sie denn überhaupt existieren,extrem klein sein müssen.

Interessanterweise bieten Zustands-änderungen, die beide Arten vonRotation umfassen und zur Aussen-dung von Linienstrahlung führen,eine sehr starke Frequenzabhängig-keit von µ.

Mit dem 100-m-Radioteleskop inEffelsberg in der Eifel konnten wirbei 5, 1,3 und 1 cm Wellenlängederartige CH3OH-Absorptionsinien,wieder in PKS 1830-211, nachweisen(Abbildung 2). Diese Messungenhaben den Grenzwert noch einmalum eine volle Größenordnungverbessert [4]. Wir fanden Δµ/µ =(0,0 ± 1,0) · 10–7 – also keine Ände-rung mit der Zeit. Die Suche nachnoch weiter entfernten und damitnäher am Urknall befindlichenObjekten läuft bereits.

Literatur[1] E. Garcia-Berro, J. Isern, Y. A. Kubyshin,

Astron. Astrophys. Rev. 2007, 14, 113.[2] C. Henkel et al., Astron. Astrophys. 2009,

500, 725.[3] P. Jansen et al., Phys. Rev. Lett. 2011, 106,

100801. [4] J. Bagdonaite et al., Science 2013, 339, 46.

Christian Henkel, Karl Menten, MPI für Radioastronomie

60 Phys. Unserer Zeit 2/2013 (44) www.phiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Das NH3-Molekül lässt sich auchin entfernten Galaxien nachweisen.Wegen der endlichen Geschwindig-keit des Lichts können wir in derQuelle PKS1830-211 die entspre-chenden Spektrallinien zu einer Zeitvon vor etwa 7 Milliarden Jahrenbeobachten, einer Zeit, in der unserSonnensystem noch gar nicht exis-tierte. Die NH3-Linien erscheinen inAbsorption vor der breitbandigenKontinuumstrahlung einer noch weitdahinter liegenden Radioquelle. Dieauf diese Weise gemessenen Absorp-tionslinien sind deutlich breiter alsdie in Dunkelwolken, weswegen sichFrequenzverschiebungen nicht ganzso genau bestimmen lassen. Immer-hin konnte für µ eine Abweichungvon weniger als 10–6 relativ zumirdischen Wert bestimmt werden.

Vor kurzem stellte sich heraus,dass sich das Molekül Methanol(CH3OH), die einfachste Form desAlkohols, noch besser für derartigeStudien eignet [3]. Das Molekül kannals Ganzes rotieren. Zum anderenbewirkt seine innere Struktur, beste-hend aus einem Methylkopf (CH3)und einem Hydroxylschwanz (OH),dass sich Kopf und Schwanz gegen-einander drehen, also interne Rota-tion ausführen können (Abbildung 1).

Abb. 2 Das 100-m-Radioteleskop des Max-PlanckInstituts fürRadioastronomieund Methanol-spektren (oben),beobachtet inAbsorption vonMethanol gegendie Radiokontinu-umsquelle PKS1830-211 (Grafik:W. Ubachs).

Q UA N T E N O P T I K |Moleküle leisten Sisyphus-Arbeit Die Kühlung von Atomen bis hin zum ultrakalten Bose-Einstein-Konden-sat ist seit Jahren Stand der Technik. Für Moleküle, insbesondere solchemit mehr als zwei Atomen, ist es bislang jedoch nicht gelungen, in diesenTemperaturbereich vorzustoßen. Die in unserer Gruppe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik entwickelte optoelektrische Sisyphus-Kühlungbirgt erstmals das Potenzial, ultrakalte Moleküle zu produzieren [1].

Ultrakalte Moleküle eröffnen vieleneue Möglichkeiten. So könnenbeispielsweise deren Vibrationsan -regungen (Schwingungen der Atomegegeneinander) und Rotationsanre-gungen (Drehungen des Moleküls umeine Achse) als Quantenspeicher inhybriden Quantencomputern dienen.Mit ausgerichteten Molekülen ließen

sich zudem Quanteneffekte wieMagnetismus studieren oder orientie-rungsabhängige chemische Reaktio-nen induzieren. Außerdem tretenwegen der Ladungstrennung imInnern von polaren Molekülen großeelektrische Felder auf. Das ermög-licht es, ein von fundamentalenTheorien vorhergesagtes elektrisches

Dipol moment des Elektrons aufzu-spüren.

Doch der Segen von Molekülenist gleichzeitig ihr Fluch: Wegen ihrerKomplexität lassen sie sich schwerkühlen. Insbesondere für die Tempe-raturreduktion von etwa 1 K auf 1mK, an die weitere gängige Kühlver-fahren anschließen können, existiertebislang keine Methode.

Speziell polare Moleküle habenjedoch eine weitere, für viele Experi-mente vorteilhafte Eigenschaft: Siebesitzen ein großes elektrischesDipolmoment. Neben großen inter-molekularen Kräften führt dies zueiner starken Wechselwirkung mitelektrischen Feldern und einer darausresultierenden großen Aufspaltungder Rotationsniveaus (Stark-Effekt).