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PHYSIKMISCHE BIÄTTER 12. JAHRGANG 1956/HEFT 10 Entwicklung, Stand und Aussichten einer mathematischen Wettervorhersage Von H. Flohn

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PHYSIKMISCHE BIÄTTER12. JAHRGANG 1956/HEFT 10

Entwicklung, Stand und Aussichten

einer mathematischen Wettervorhersage

Von H. Flohn

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Entwicklung, Stand und Aussichten einer mathematischenWettervorhersage

Von Professor Hermann Flohn, Frankfurt a. M.

In den Tagen vom 23. bis 28. Mai 1956 trafen sich auf Einladung der Deut-schen Meteorologischen Gesellschaft (Zweigverein Frankfurt/M.) rund 35 Fach-leute aus 12 Ländern zu einer Konferenz über Fragen der numerischen Wetter-vorhersage in Frankfurt/Main. In zahlreichen Vorträgen und Diskussionenwurden die bisherigen Resultate der laufenden Großversuche in Schweden(seit Nov. 1954) und den USA (seit Mai 1955) erörtert, die theoretischen Grund-lagen der Weiterentwicklung und das Forschungsprogramm besprochen. Eswar die zweite europäische Konferenz dieser Art, nachdem die erste imHerbst 1952 unter dem Vorsitz von C. G. Rossby in Stockholm stattgefundenhatte. Fast alle Arbeitsgruppen waren vertreten (einschließlich Meteorologenaus Reykjavik, Potsdam und Prag), nur die japanische Gruppe mußte sichwegen der Entfernung auf Übersendung von Manuskripten und Verteilungvon Arbeitsberichten beschränken. Die in ausgezeichneter Stimmung durch-geführte Konferenz stand im Zeichen sorgfältiger und sachlicher, stets freund-schaftlicher Kritik der bisherigen Methoden, die aber das optimistische Ge-samturteil über die Aussichten der mathematischen Wettervorhersage inner-halb der erreichbaren Grenzen nur noch unterstrich.

Vor wenig mehr als 50 Jahren hatte Vilhelm Bjerknes — damals (1904)Professor der Physik an der Universität Oslo, Schüler von H. Hertz — seinberühmt gewordenes Programm formuliert*): „Die notwendigen und hin-reichenden Bedingungen für eine rationelle Lösung des Prognoseproblemsder Meteorologie sind die folgenden:1. Man muß mit hinreichender Genauigkeit den Zustand der Atmosphäre

zu einer gewissen Zeit kennen.2. Man muß mit hinreichender Genauigkeit die Gesetze kennen, nach

denen sich der eine atmosphärische Zustand aus dem anderen entwickelt.. . . Der Zustand der Atmosphäre zu einer beliebigen Zeit wird in meteo-rologischer Hinsicht bestimmt sein, wenn wir zu dieser Zeit zu jedem Punktdie Geschwindigkeit, die Dichte, den Druck, die Temperatur und die Feuch-tigkeit der Luft berechnen können."

Dieses faszinierende Programm erregte in den folgenden Jahrzehntennche Diskussion, obwohl die ersten Versuche (F. M. Exner 1906 in Wien,i1. Richardson 1922 in London) scheiterten. Eine geschlossene Lösung des

, jtems von Differentialgleichungen mit den komplizierten Randbedingun-gen der Atmosphäre (z. B. an der Erdoberfläche) erwies sich als unerreich-bar. Eine numerische Integration einer entsprechenden Differenzengleichung— wie sie Richardson2) versuchte — ist nur möglich, falls die Raum- undZeitinkremente gewissen Ungleichungen genügen; diese mathematischenKriterien wurden erst 1928 von Courant-Friedrichs-Lewy abgeleitet.V. Bjerknes selbst suchte die Lösung in der Linearisierung der Gleichun-gen, indem er die Wettervorgänge als kleine Störungen eines idealisierten

1) V. Bjerknes, Das Problem der Wettervorhersage, betrachtet vom Standpunkt derMechanik und der Physik, METEOR. Z. 21, l (1904). • '

2) L. F. Richardson, Weather prediction by numerical processes, Cambridge 1922.

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Grundzustandes auffaßte. Dieser Weg führte jedoch wegen der ausschlag-gebenden Rolle nichtlinearer Terme nicht zum Ziel, wenn er auch eineziemlich richtige Beschreibung gewisser Aspekte der Entstehung von Zyklo-nen liefert.3)

Die heutige Entwicklung gründet sich einmal auf eine technische Groß-tat: die Entwicklung von e l e k t r o n i s c h e n Hochgeschwindigkeits-R e c h e n a n l a g e n , die den zahlenmäßig ungeheuren Aufwand an ein-fachen Rechenoperationen in ausreichend kurzer Zeit bewältigt. DieseRechenanlagen basieren bekanntermaßen auf dem Übergang vom dezimalenzum dualen Zahlensystem oder zu einer Kombination beider, so daß jedeeinzelne Röhre bzw. jeder Transistor jeweils nur mit 0 (ja) oder l (nein)zu reagieren braucht. Verschiedene Konstruktionen dieser Art sind inzwi-schen über die Betriebsreife der individuellen Anlage in die Serienferti-gung übergegangen, und die heutige industrielle Evolution der Automatis^Ärung fördert diesen Prozeß erstaunlich rasch. Ihre Verwendung für Zweckeder meteorologischen Praxis stellt die höchsten Anforderungen an Speicher-kapazität und Rechengeschwindigkeit; an der Lösung dieser Probleme warund ist noch heute einer der führenden Mathematiker der Welt, J. von Neu-mann, maßgebend beteiligt.

Die Entwicklung der mathematischen Wettervorhersage gründet sich aufdie Formulierung eines einfachen hydrodynamischen W i r b e l e r h a l -t u n g s s a t z e s durch C. G. Rossby (1939), der nur unter bestimmten Vor-aussetzungen (barotrope, reibungsfreie, trockene und adiabatische Atmo-sphäre) abgeleitet -worden war, aber eng mit dem grundlegenden Zirkula-tionstheorem von V. Bjerknes (1897) zusammenhängt (Ertel4). Dieser Wirbel-erhaltungssatz, meist als Vorticity-Gleichung bezeichnet, leistet in der Dy-namik der Atmosphäre Ähnliches wie in der Thermodynamik die aus dem1. Hauptsatz abgeleitete Adiabatengleichung: beide formulieren — in derabsoluten Vorticity bzw. der potentiellen Temperatur — eine Größe, dieunter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen invariant bleibt undso eine rechnerische Behandlung und Integration der gesamten Vorgängeermöglicht, selbst dann, wenn diese Voraussetzungen nur näherungsweisegegeben sind.

Ein weiterer notwendiger Schritt war die A n p a s s u n g der vorlie-genden Differentialgleichungen der theoretischen Physik an die meteoro-logische Fragestellung. Sie beschreiben nämlich in ihrer ursprünglichsehr allgemeinen Formulierung alle Vorgänge der Atmosphäre, vonuns für die Aufgabe der Wettervorhersage nur ein Teil interessiert. Sosind die Schallwellen, die Gravitationswellen, aber auch die kleinräumig-turbulenten Vorgänge z. B. bei der Konvektion (Ausbildung von Quell-wolken bis zu lokalen Schauern) zunächst einmal uninteressant gegenüberden um 2 bis 3 Zehnerpotenzen großräumigeren Prozessen der Entstehung,Verlagerung und Auflösung von Zyklonen und Antizyklonen, deren Erfas-sung das erste Hauptziel der Wettervorhersage sein muß. Die A u s f i l t e -

3) V. und J. Bjerknes, T. Bergeron, H. Solberg, Physikalische Hydrodynamik, Ber-lin 1933.

4) H. Ertel, Über das Verhältnis des neuen hydrodynamischen Wirbelsatzes zumZirkulationssatz von V. Bjerknes, Meteor. Z. 59, 385 (1942) sowie a.a.O. S. 277.

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r u n g d e r k l e i n r ä u m i g e n V o r g ä n g e , d e s „meteorologischenLärms (noise)" gelang zuerst J. Charney (1949) durch Anwendung der — inder empirischen Wettervorhersage seit langem üblichen — Gleichgewichts-bedingungen, d. h. der statischen Grundgleichung (barometrischen Höhen-formel) und dem geostrophischen Windgesetz, das Gleichgewicht zwischenDruck- und Windfeld, d. h. zwischen Druckgefälle und ablenkender Kraftder Erdrotation voraussetzt.

Das war eine sehr einschneidende Voraussetzung: denn schon um 1925hatte H. Jeffreys in zwei klassisch gewordenen Arbeiten aufgezeigt, daßbei streng geostrophischem Gleichgewicht keine Druckänderungen, keineVertikalbewegungen, m. a. W. kein Wetter zustande kommt. Daher kannder wahre Wind nicht in allen Termen, sondern nur selektiv durch den geo-

«sphischen Wind ersetzt werden; die Ermittlung der Divergenz des Win-läßt sich nur mit Hilfe des wahren Windes oder mittels der Kontinui-

tätsgleichung durchführen. Immerhin: der erste Schritt zu einer modell-mäßig vereinfachten Durchrechnung der Prozesse setzt zur Vereinfachungdie Annahme eines quasistatischen, quasigeostrophischen und quasiadiabati-schen Verhaltens der Atmosphäre voraus, und er erzwingt noch eine An-zahl weiterer Vernachlässigungen von Termen, die sich bei einer Abschät-zung als l bis 2 Zehnerpotenzen kleiner erwiesen. So kommen wir wie inanderen Anwendungen der theoretischen Physik zur Konstruktion vonR e c h e n m o d e l l e n , die zwar zum Teil zunächst äußerst unrealistischanmuten, von denen aus aber unsere Vorstellungen über den Mechanismusder Wettervorgänge tiefgreifend umgestaltet •werden.

Zur Vereinfachung der Gleichungen wird in einem kartesischen Koordi-natensystem — ganz analog den in der meteorologischen Praxis (Scherhag1935) eingeführten, ebenfalls von V. Bjerknes (1909) vorgeschlagenen Topo-graphien Isobarer Flächen — anstelle der Höhe der Druck p verwendet, sodaß das Gleichungssystem für die zeitlichen Änderungen des dreidimensio-nalen Druckfeldes

p = p (x, y, z, t)

übergeht in ein Gleichungssystem für die zeitlichen Änderungen der Höhe zbzw. des Geopotentials <? aller Isobaren Flächen

^ = <? (x, y, p, t) .

rbei ist l geopotentielles Meter (Dimension m2sec~2, Abkürzung gpm)— y/980 geometr. m, wobei g die (breiten- und höhenabhängige) Schwere-beschleunigung in cm sec~ä darstellt; die Zahlenwerte von z und (I> weicheni. a. um weniger als 0,5 %> voneinander ab.

In diesem Koordinatensystem verhält sich die (trockene) Atmosphärewie eine inkompressible Flüssigkeit im (x,r/,z)-System. Außerdem erhältman in dem totalen Differential der zeitlichen Druckänderung im (x,y,p)-System t

dp/dt = co

einen einfachen generalisierten Ausdruck für die großräumige Vertikal-komponente der Geschwindigkeit, die in der Dynamik zu Wolkenbildung

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und -auflösung, sowie zu großräumigen Niederschlägen führt, d. h. zu denWettervorgängen, die für die Mehrzahl der Interessenten am wichtigstensind. Die Anwendung von Kugelkoordinaten erschwert die Lösung; daherwerden diese mittels stereographischer Kartenprojektion und einem (breiten-abhängigen) Verzerrungsfaktor auf ebene Koordinaten transformiert.

Die Ausschaltung der Lärmvorgänge für die großräumigen Wettervor-gänge ist auch notwendig, weil die zeitlich-räumliche Dichte der kostspieli-gen Beobachtungen in der freien Atmosphäre aus ökonomischen Gründennicht über eine bestimmte Schwelle hinaus gesteigert werden kann. Heuteist der Abstand der Aerologischen Stationen (mit punktweiser Messung vonTemperatur und Feuchte als Funktion des Druckes bzw. der Höhe, sowiePeilung des Windvektors für Schichten von endlicher Dicke) auf Land rund300 km, im Polargebiet und auf dem Nordatlantik 600 bis 1000 km, (zeitliche Abstand der Messungen 12 Stunden (beim Wind 6 Stunden). Die,Netz schaltet von sich aus die Beobachtung aller nicht großräumiger Vc~gange — auch den noch weitgehend unbekannten Bereich mittelräumigerTurbulenz mit Turbulenzelementen in der Größenordnung l h bzw. 10" — 105 m— aus; die mathematische Behandlung muß sich — wie oben erörtert —diesen Gegebenheiten anpassen und ausgeglichene Felder zugrundelegen.

Aus diesem Grunde hat man von der unmittelbaren Verwendung der(Eulerschen) hydrodynamischen Bewegungsgleichungen zunächst abgesehen.Vielmehr verwendet man an ihrer Stelle den Wirbelsatz als sog. V o r -t i c i t y g l e i c h u n g : 5)

+ v • ̂ r/ + 7; • V ' v = 0 .

Hierbei ist v der (zweidimensionale) Nabla-Operator, v der wahre Wind,r/ = £ + f die absolute Vorticity (Wirbelmaß) auf der rotierenden Erde, zu-sammengesetzt aus dem relativen Wirbelmaß f = 3u/3x — 3u/3y (u und vhorizontale Komponenten von v in Richtung der x- bzw. y-A.chse) und demWirbelmaß der festen Erde f = 2.Q sin w (ü = Winkelgeschwindigkeit derErde, <p = geogr. Breite). Stellt man f in einem natürlichen Koordinaten-system dar, so setzt sich diese Größe aus zwei Anteilen zusammen, diedurch die horizontale Scherung des Windfeldes und durch seine Krümmunggegeben sind. In dieser Form ist schon der Einfluß des vertikalen Trans-portes von r/ vernachlässigt. Ebenso ist B a r o t r o p i e — d. h. das Fehlenvon Temperaturunterschieden auf einer isobaren Fläche p = konst. — vausgesetzt: das bedeutet in der Atmosphäre zugleich, daß sich der Windder Höhe nicht ändert. Die Gleichung kann aber auch für eine über dieVertikale bzw. über p gemittelte Atmosphäre angewandt werden, ebensofür ein annähernd barotropes Niveau in der mittleren Troposphäre, dasnach statistischen Untersuchungen im räumlich-zeitlichen Mittel etwa bei630 mb liegt; in der Praxis führt man die Rechnungen meist für das 500 mb-Niveau durch, das den mittleren Zustand der Atmosphäre repräsentiert.

Als R a n d b e d i n g u n g e n verwendet man an der Obergrenze derAtmosphäre p = 0 das Verschwinden der individuellen Ableitung oj, wäh-rend die Erdoberfläche als für den Wind undurchdringlich angesehen wird,

5) Vgl. H. Reuter, Methoden und Probleme der Wettervorhersage, Wien 1954.

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so daß die zu ihr senkrechte Windkomponente vz verschwindet. In speziel-len Fällen kann man auch am Boden näherungsweise co = 0 setzen, wasvom Standpunkt der praktischen Wettervorhersage zunächst kaum zulässigerscheint. Für die seitlichen Randbedingungen müssen künstliche Annah-men gemacht werden; ihr •wirksamer Einfluß verbreitet sich jedoch — wieumfangreiche Rechnungen sowie die Erfahrungen der Routinevorhersagegezeigt haben — nur mit •wenig mehr als Windgeschwindigkeit, so daß diegewählte Ausdehnung des Kartenausschnittes den Vorhersagezeitraum mit-bestimmt. H. Ertels 6) prinzipieller Nachweis, daß eine rechnerische Vorher-sage nur bei Berücksichtigung der gesamten Atmosphäre auf der geschlos-senen Erdoberfläche, ohne seitliche Berandung, möglich sei, hindert alsoglücklicherweise eine zeitlich-räumlich begrenzte Näherungslösung nicht.

t Mehrere Lösungsversuche mit Hilfe der linearisierten Gleichung führteni speziellen Lösungen (z. B. Rossbjy-Wellen), die sich jedoch in der prak-

tischen Vorhersage als wenig geeignet erwiesen. Eine vollständige n u m e -r i s c h e I n t e g r a t i o n der nichtlinearen barotropen Wirbelgleichunggelang erstmals 1950 am Institute of Advanced Studies in Princeton (USA,N. Jersey) durch J. Charney, R. Fjörtoft und J. v. Neumann 7) mit Hilfeeiner der ersten, neu konstruierten Elektronen-Rechenanlagen. Hierbeiwurde zunächst ?/ mittels der geostrophischen Beziehung aus dem 0-Feldapproximiert. Dann ergibt sich für die zeitliche Änderung (Tendenz) desGeopotentials i = 3<£/3t die Tendenz- oder P r o g n o s e g l e i c h u n g

Hierbei definiert der Jakobi-Operator J (a,b) die Funktionaldeterminante

• 3b/3y — 3a/3j/ • 3b/3x .

Der Laplace-Operator A = V2 wird durch die Differenz zwischen dem Argu-ment an einem Gitterpunkt und dem Mittel der Werte der vier benachbartenGitterpunkte gegeben, so daß A^ ein Maß der Zyklonalität bzw. Antizyklo-nalität des Druckfeldes darstellt. Alle rechts stehenden Größen lassen sichdem <?-Feld der Ausgangskarte entnehmen, das allerdings — wegen derBildung höherer Ableitungen von <Z> — sorgfältig ausgeglichen werden muß.

Bei einer Maschenweite finiter Differenzen von 200 bis 300 km (entspre-|iend der Dichte des aerologischen Netzes) läßt sich diese Rechnung mit

einem Zeitschritt von etwa l Stunde durchführen (Couront-Kriterium).Serienmäßig herzustellende Rechenanlagen bewältigen diese Rechenarbeitin 5 bis 7 Iterationen für mehrere 100 Gitterpunkte in einem Zeitraum vonetwa l min., so daß die reine Rechenzeit für eine 24 h- Vorhersage sich auf20 bis 30 min, für eine 72 h-Vorhersage auf wenig mehr als l h beläuft. DieZeitspanne zur Vorbereitung der Ausgangsdaten — Sammeln und Kontrol-lieren der aerologischen Beobachtungen, Eintragen in Karten, Analyse undAusgleichung der Karte, Entnahme der Werte an den Gitterpunkten, Kon-

6) H. Ertel, Das Problem der Wettervorhersage vom Standpunkt der theoretischenMeteorologie, Z. METEOR. 2, 97 (1948).

7) J. Charney, R. Fjörtoft, J. v. Neumann, Numerical integration of the barotropicvorticity equation, TEtLUS 2, 237 (1950).

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trolle dauert z. Zt. noch 6 bis 8 h, so daß ein Zeitgewinn erst eintritt, wennauch diese Arbeit teilweise oder ganz automatisiert werden kann; auf diejetzt bereits in Schweden und in den USA systematisch erprobte Methodeder (mechanisierten) objektiven Analyse gehen wir nachher noch ein.

Kurz darauf entwickelte Fjörtoft (heute Leiter des norwegischen Wetter-dienstes) eine N ä h e r u n g s l ö s u n g mit einfachen g r a p h i s c h enR e c h e n v o r g ä n g e n . 8 ) Hierbei wird das Wirbelmaß rj mit einem räum-lich gemittelten, also ausgeglichenen Wind vg anstelle des geostrophischenWindes vg transportiert. Dieses Verfahren hat gewisse äußere Parallelenzu dem 1939 von Scherhag empirisch abgeleiteten kinematischen Verfahrender Vorhersagekarte, bei dem (anstelle des Wirbelmaßes) die 24 h-Änderungvon po mit 50 % des beobachteten Windvektors vg in 500 mb graphisch trans-portiert wird; beide Verfahren beschränken sich auf einen Zeitschritt fü24 (bzw. sogar 48) h. Dieses .Fjörtoft-Verfahren läßt sich von eingearbeiteten Meteorologen im praktischen Dienst — ebenso wie Scherhags in derPraxis mehrerer Länder gut bewährte Methode — in 2 bis 3 h durchführen.Sein Vorzug besteht darin, daß die Rechnung mit graphischer Addition,Multiplikation und Differentiation für das ganze Feld und nicht mittelsfiniter Differenzen an Gitterpunkten durchgeführt werden kann. Wie jedesNäherungsverfahren läßt es aber in der Praxis noch manchen Wunsch offenund hat sich daher im täglichen Routinebetrieb des Wetterdienstes nichtdurchsetzen können, zumal in den graphischen Rechnungen erhebliche sub-jektive Fehlerquellen enthalten sind. Mehr oder weniger systematischeVersuche wurden in verschiedenen Ländern angestellt, so in Norwegen,Island und der Tschechoslowakei; ein mechanisierbares Verfahren mit dop-pelten Former-Reihen wurde in Japan ausgearbeitet.

In verschiedenen Versuchen haben amerikanische, britische, deutsche undjapanische Arbeitsgruppen die Weiterentwicklung der Modelle vorwärts-getrieben, und verschiedene b a r o k l i n e *) geostrophische Modelle sinderprobt •worden. Das realistischste dieser Modelle ist das von Hinkelmann,das für einen 12 h-Zeitschritt mittels einfacher Bürorechenmaschinen erprobtwurde; trotz dieses Verstoßes gegen das oben erwähnte Courant-Kriteriumwaren die Resultate auf Anhieb recht gut. Tatsächlich hat bisher keines dervorgeschlagenen Modelle in der Praxis mehr geleistet als das einfache undnur scheinbar unrealistische barotrope Modell. Ihr Hauptfehler liegt in derVerwendung der geostrophischen Näherung: wir wissen heute aus den syste-Jmatischen Vergleichen der Höhenkarten mit den Trajektorien ausgewoge-ner driftender Ballonen °), daß die senkrecht zu den Isobaren gerichteteK o m p o n e n t e des Windes in 300 mb ~ 9 km im Mittel 15 bis 20% deswahren Windes beträgt, die ageostrophische (einschl. Krümmungseffekt)

*) Als baroklin (im Gegensatz zu barotrop) wird eine Atmosphäre bezeichnet, in derIsobare und isotherme Flächen sich schneiden, in der also horizontale Temperatur-differenzen (Frontalzonen) und vertikale Windzunahmen (Strahlströmungen)existieren.

8) R. Fjörtoft, On a numerical method of integrating the barotropic vorticity equa-tion, TELLUS 4, 179 (1952).

9) M. Neiburger, J. K. Angell, Meteorological applications of constant-pressureballoon trajectories, J. METEOR. 13, 166 (1956).

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sogar 39 °/o. Dieser Fehler — entsprechend einer Winkelabweichung von•-o 10° — spielt im praktischen Flugwetterdienst bisher noch keine ernst-hafte Rolle, wohl aber bei der numerischen Vorhersage. Wenn auch dasbarotrope Rechenverfahren immer noch gewisse Verbesserungsmöglichkei-ten (z. B. durch Berücksichtigung der Dämpfung durch die Stratosphäre)enthält, so gehört doch nach den Ergebnissen der Frankfurter Konferenzdie Entwicklung n i c h t g e o s t r o p h i s c h e r b a r o k l i n e r Rechen-modelle zu den wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre. An dieser grund-sätzlich wichtigen und notwendigen Arbeit ist die Frankfurter Gruppe(Hinkelmann, Hollmann und Mitarbeiter 1(l) in erster Linie beteiligt, da derpraktische Einsatz der numerischen Vorhersage in Deutschland auch nachBereitstellung der Mittel für eine geeignete Rechenanlage noch einige Zeit

i Anspruch nehmen wird.

Der entscheidende Mangel aller quasigeostrophischen Rechenmodelle be-sieht in der Unverträglichkeit mit dem Energiesatz: es läßt sich zeigen, daßbei ihrer Verwendung ") in jedem Falle einer Entwicklung, d. h. einer Zu-nahme der kinetischen Energie, auch die Enthalpie anwächst. Dieser Man-gel kann nur durch weitgehenden Verzicht auf die Anwendung der geo-strophischen Approximation des Windfeldes beseitigt werden.

Drückt man den Wind v durch eine Stromfunktion '7y aus, deren Ab-leitungen nach y und x die horizontalen Windkomponenten u und v wieder-geben, so läßt sich ein (allerdings, divergenzfreies!) Gleichgewicht zwischenWind- und Druckfeld durch die B a l a n c e g l e i c h u n g ausdrücken:

23(BWßx, 3</y/3t/) — fA?' — 3f/3y • SV/Sy = — A<P .

Diese Gleichung gestattet, zu einem gegebenen Zeitpunkt das Druckfeld <7>aus dem Stromfeld W zu berechnen oder umgekehrt.

Die E r g e b n i s s e der Erprobungsversuche in Stockholm sind erstaun-lich gut: die 48 h-Vorhersage mit dem barotropen Modell für das 500 mb-Niveau ist mindestens ebensogut wie die kinematische 24 h-Vorhersage aufempirischer Basis (Korrelationskoeffizient zwischen beobachteter und be-rechneter Tendenz r = ~ 0,7). In 35 bis 50 °/o aller Fälle liefert noch die72 h-Vorhersage ein gutes Resultat, während 48 h bzw. 72 h-Vorhersage-

,rten mit empirischen Methoden kaum je zu befriedigenden Ergebnissenführt haben. Bei mehrparametrigen Modellen nimmt — im Gegensatz zu

^.ipirischen Verfahren — die Güte der Ergebnisse mit der Höhe zu: dieserEinfluß der lokal bzw. regional veränderlichen Reibungsvorgänge undWärmequellen am Erdboden wird sich auch in Zukunft kaum vermeidenlassen.

Die Vorhersage von Wind- bzw. Druckfeld ist aber noch keine W e t t e r -v o r h e r s a g e : wir benötigen hierzu mindestens eine Vorhersage der

10) G. Hollmann, Über die Behandlung barokliner Prognoseprobleme mit Hilfenichtgeostrophischer Gleichungen, METEOR. RUNDSCH. S, 73 (1955) sowie a.a.O.S. 42.

11) G. Hollmann, Über prinzipielle Mängel der geostrophischen Approximation unddie Einführung ageostrophischer Windkomponenten, MET. RUNDSCH. 9, 73 (1956).

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Vertikalkomponente oj des Windes aus der Divergenz in der unterlagern-den Schicht zwischen Erdboden (Druck po) und der Druckfläche p,:

co = dp/dt = — / V' v dp .o

Versuche dieser Art sind mit Mehrschichtenmodellen in den USA und Japanmit recht positivem Ergebnis angestellt worden; die prinzipielle Möglichkeitder Vorhersage großräumiger Vertikalbewegungen liefert auch unter Be-rücksichtigung des H^O-Gehaltes der Atmosphäre die Grundlage einerWolken- und Niederschlagsvorhersage. Zweifellos muß sich die praktischeVorhersage der Zukunft mehr auf der Basis der Höhenkarte abspielen:neue objektive Prognoseverfahren (statistische Synoptik) werden erst dienumerische Vorhersage in der Praxis des Wirtschaftswetterdienstes zur vol-len Auswirkung kommen lassen.

Die F e h l e r q u e l l e n der numerischen Vorhersage sind mannigfach:(1) Vernachlässigung kleiner, aber doch wesentlicher Terme der Ausgangs-gleichungen; (2) Übergang von Differentialen auf finite Differenzen (sog.Trunkationsfehler); (3) Unrealistischer Ansatz der Randbedingungen; (4)Fehler in der Kenntnis der Anfangsbedingungen (Ausgangsfeld). Hierbeikönnen die unter l bis 3 genannten Fehlermöglichkeiten schrittweise durchAnpassung der Rechenmodelle an die Wirklichkeit verkleinert werden,während die letztgenannte bessere, genauere und dichtere Messungen vor-aussetzt.

Eine der wichtigsten Aspekte ist die o b j e k t i v e A n a l y s e der Aus-gangswetterkarten, die heute in subjektiv-empirischer Form hohe Auf-wendungen an Personal und Zeit erfordert. Die ursprünglich vorgeschla-gene mechanisierte (lineare oder polynomische) Interpolation zwischen denBeobachtungswerten verbietet sich wegen deren viel zu großem Abstandauf dem Ozean. Aber es ist zwanglos möglich, eine für 12 oder 24 h vorher-gesagte Karte bzw. Kartenserie mit Hilfe der neuen Beobachtungen ein-wurfsfrei zu korrigieren: diese Methode ist beim barotropen Modell nacheinem schwedischen Versuch l'2) in der Praxis der empirischen Methode min-destens gleichwertig, teilweise sogar überlegen. Sie fordert aber mit 30 bis40 min nur etwa ein Zehntel der jetzt notwendigen Zeit. Andererseits istdie objektive Analyse bei allen Mehrschichtenmodellen mit veränderlichemvertikalen Temperaturgradienten in der Praxis eine notwendige Voraus-setzung, da eine ausreichende dreidimensionale Ausgleichung durch denMeteorologen kaum möglich ist und mindestens 8 bis 12 h Zeit benötigt. Beidieser Methode ist auch die Verwendung zusätzlicher Beobachtungen zwi-schen den offiziellen Terminen möglich; das gilt vor allem für die sehrzahlreichen, aber leider nicht ganz einwandfreien Flugzeugbeobachtungenauf Ozeanflügen. Auf die hochwichtigen und grundsätzlich bedeutsamenNachrichtenprobleme (Informationstheorie!), die hiermit verknüpft sind,kann wegen Raummangels nur andeutend hingewiesen werden.

12) P. Bergthorsson, K. Döös, Numerical Weather Map Analysis, TELLUS 7, 329 (1955)sowie a.a.O. 8, 76 (1956).

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Im ganzen ermöglicht die Entwicklung der numerischen Vorhersage einewirksame R a t i o n a l i s i e r u n g 1 3 ) der Prognoseverfahren, die den Me-teorologen von handwerklicher •—• ohne Qualitätsverlust mechanisierbarer-—•Arbeit entlastet und ihm für die eigentliche Prognose genügend Zeit ge-währt. Die neu aufgetretenen Probleme des Wetterdienstes — zusammen-gesetzte Vorhersagekarten (Zeit t entsprechend der Flugzeit) für Weit-streckenflüge, Vorhersagekarten für Flüge in 8 bis 20 km Höhe, Vorhersageder Ausbreitung radioaktiver Staubmassen mittels Trajektorien •—• sindüberdies mit rein empirischen Methoden kaum mehr lösbar, ganz atagesehenvon dem hohen zusätzlichen Personalbedarf.

Andererseits ist die meteorologische Vorhersage weitgehend vom Maß-stab abhängig, der durch das S p e k t r u m der m e t e o r o l o g i s c h e nf u r b u l e n z v o r g ä n g e gegeben ist. Hier muß man — wenn wir vonclimatischen Vorgängen, etwa dem sehr aktuellen, physikalisch fundierten^roblem der Klimaschwankungen und ihrer eventuellen Prognose abse-

hen —• fünf verschiedene Größenstufen der „Vorhersagbarkeit"14)15) unter-scheiden:

Mikrosynoptik

Lokal synoptik

Regionalsynoptik

Makro synoptik

Globalsynoptik

Charakt.Länge

100— 102 m

1Q3— 10* m

1-5X1Q5 m

1—5x10° m

IQ7 m

Charakt.Zeit

1—10 sec

IQ3— 10'sec

105 sec

2— 5xl05sec

I06— 107sec

EmpirischeBefunde

Böigkeit

Wolkenformen,Schauer,Lokal winde

Aufheiterungs-und Nieder-schlagsgebiete

Steuerung,"Witterung

allgem. Zirku-lation, natürl.Jahreszeiten

Physikalische Vorgängeund Begriffe

Turbulenz i. e. S,, kolloi-dale Instabilität von Wol-kenluft

Konvektion, thermodyna-mischc Instabilität, klcin-räumige Zirkulationen

Zyklogenese und Anti-zyklogenese, dynamischeInstabilität

Lange Wellen (Rossby-Wellen) der Westdrjft

Energiebilanz der Atmo-sphäre

Art derVorhersage

-

Stunden-vorhersage

(1-3 h)

Kurzfrist-vorhersage(12-24 h)

Mittelfrist-vorhersage

(2-6 d)

Langfrist-vorhersage

(>10d)

Hierbei gehört die Mikrosynoptik wie die Lokalsynoptik in den Bereichles „meteorologischen Lärms", der bei der großräumigen numerischen Vor-lersage ausgefiltert bleiben muß. Eine Prognose auf der Stufe der Lokal-

synoptik erfordert — wegen der Ausdehnung (l bis 10 km) und Lebens-dauer (~ 30 min) der Zellen der Gewitterwolken — ein viel dichteres Be-obachtungsnetz als das augenblicklich vorhandene: die Entwicklung weit-reichender Radargeräte mit Wellenlängen von etwa 3 cm erlaubt ein Ein-dringen in diesen interessanten und praktisch wichtigen Bereich (Unwetter-

13) K. Hinkelmann, Rationalisierung der Wettervorhersage, METEOR. RUNDSCH. 9,10 (1956).

14) R. C. Sutcllffe, Predictability in Meteorologie, ARCH. METEOR. GEOPHYS.BIOKL. A 7, 3 (1954)

15) H. Flohn, Zur Entwicklung der Wettervorhersage, MITT. DT. WETTERDIENST30, 80 (1955).

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Warnung). Die numerische Vorhersage beschränkt sich im heutigen Stadiumauf Regional- und Makrosynoptik. Die Langfristvorhersage im Bereich derGlobalsynoptik erfordert darüber hinaus eine quantitative Behandlung dernichtadiabatischen (anisentropen) Prozesse, wobei wir über die Strahlungs-ströme in der freien Atmosphäre bisher nur recht grobe Vorstellungen (undBeobachtungen) haben, sowie die Verwendung zeitlich ausgeglichener Felder.

Besonders tief greifen aber die Erfahrungen mit der numerischen Vor-hersage in unsere Vorstellungen über den M e c h a n i s m u s des Wettersein. Es zeigt sich, daß die geostrophisch-advektive Neuverteilung des vor-handenen Wirbelmaßes (Vorticity) — wie sie dem barotropen Modell zu-grundeliegt — alle anderen Einflüsse (Baroklinie bzw. Existenz von Fron-talzonen, überhaupt Temperaturunterschiede in der Horizontalen, Heizungund Abkühlung, Reibung am Erdboden, vertikale und ageostrophischeWindkomponenten) einschließlich der Produktion bzw. Dissipation vonWirbelmaß zunächst — d. h. auf 24 bis 48 h — an Bedeutung weitaus über-wiegt. Auch die Existenz von Diskontinuitätsflächen (Fronten) spielt fürdie großräumige Entwicklung nur eine sekundäre Rolle. Unsere Lehrbüchermüssen sich — mit wenigen Ausnahmen5)1(i) — diesen Erkenntnissen erstnoch anpassen.

Die Meteorologie — wenn wir sie hier vom etwas einseitigen Standpunktder praktischen Wettervorhersage aus beurteilen dürfen — tritt jetzt in dasentscheidende Stadium der Entwicklung zur exakten Naturwissenschaft(Sutton "). Beurteilt der Laie das Wetter wie im Zeitalter von Aristotelesbis Goethe noch meist eindimensional (allein mit der Zeit als Variable), sowaren die Möglichkeiten der zweidimensionalen Bodenwetterkarte der Iso-barensynoptik zu Beginn des ersten Weltkrieges erschöpft. Dreidimensio-nale Begriffe wie Front, Luftmasse, Frontalzone beherrschten in meist reinbeschreibender Auffassung die Entwicklung zwischen beiden Weltkriegen.Die heutigen Aufgaben des Wetterdienstes erfordern jedoch eine vierdimen-sionale Konzeption im Sinne der anfangs erwähnten Gleichungssysteme fürp bzw. 3>, die an die Grenze des Vorstellungsvermögens des menschlichenHirnes heranreicht. Mit dem Beginn vertiefter Einsicht in den physikali-schen Mechanismus des atmosphärischen Geschehens wandelt sich aber auchdie Methode der Darstellung, die offensichtlich vom Druckfeld mehr undmehr zum Strömungsfeld übergehen wird. Es war die „Philosophie der Chi-cagoer Meteorologenschule", die unter der Führung von C. G. Rossby die(durch die Balancegleichung wiedergegebene) Beziehung zwischen Druck-und Windfeld von der anderen Seite, vom Wind her konzipierte. Der Nach-weis (H. Faust) der Existenz hypergeostrophischer Winde in der Schichtmaximaler Windgeschwindigkeit, dem Niveau der Strahlströmungen weistin die gleiche Richtung; über ihre Erklärung als Folge einseitig gerichtetenImpulsaustausches kann hier nicht weiter gesprochen werden.

Die M e t e o r o l o g i e befindet sich (nach einem in anderem Zusam-menhang gebrachten Ausspruch von V. P. Starr) heute in einem ähnlichen

16) Sv. Petterssen, Weather Analysis and Forecasting, 2. Edit. 1956.17) o. G. Sutton, The development of Meteorology äs an exact science, QUART. J.

ROY. METEOR. SOG. 80, 328 (1954).

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Zustand wie die A s t r o n o m i e zur Zeit Keplers. Die erdrückende Fülleder Beobachtungen — täglich gehen in der Wetternachrichtenzentrale Frank-furt über 1,5 X 10° Zeichen ein — wird erst überschaubar mit Hilfe dergrundlegenden Gleichungen der theoretischen Physik. Diese liefern aberauch die Grundlage für eine rationale Vorhersage. Zweifellos ist das Prog-noseproblem der Himmelsmechanik, das sich mit einem stabilen System derPunktmechanik (Mehrkörperproblem) beschäftigt, unvergleichlich einfacherals das der Meteorologie, die es mit einem vielfach instabilen Kontinuum,mit einem Vielfelderproblem zu tun hat. Diese skalenmäßig verschiedenenI n s t a b i l i t ä t e n — kolloidal instabile Mischungen von Eisteilchen undWassertröpfchen in Wolken, thermodynamisch instabile vertikale Tempe-raturgradienten, dynamisch instabile horizontale Windgratienten (S. Tab.a. S. 450) — verhindern seine allgemeinste Lösung ebenso wie die gesicherteExistenz extraterrestrischer Effekte (z. B. solarer UV- oder Korpuskelemis-sionen) in der Hochatmosphäre. Dem Mathematiker John von Neumannwird der Ausspruch zugeschrieben, die Meteorologie behandle das zweit-komplizierteste aller denkbaren Systeme — wobei das kompliziertesteoffenbar in „human behaviour" gesehen wird. Heute ist dieser Übergangvon der Meteorologie zur M e t e o r o n o m i e — bisher ein Wunschtraum,der öfters Anlaß zu mancher ironisch-skeptischen Randbemerkung demMeteorologen gegenüber gewesen ist — voll in Gang gekommen.

300 Jahre nach Kepler ist das Prognoseproblem der Himmelsmechanik,die Vorhersage von Sonnen- und Mondfinsternissen usw. mit jeder belie-bigen Näherung als gelöst zu betrachten. Die ersten Versuche zur Nähe-rungslösung des von V. Bjerknes formulierten meteorologischen Prognose-problems mit exakten Methoden rechtfertigen die Aussicht auf eine prak-tisch brauchbare Lösung. Und es erscheint bei der Beschleunigung allertechnischen Entwicklungen nicht allzu vermessen, wenn wir eine wirklichbefriedigende Näherungslösung nicht erst in 300 Jahren, sondern in wesent-lich kürzerer Zeit erwarten.

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