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politik &kommunikation | Dezember 2011 / Januar 2012 Skrupellos Die konservativen Koch-Brüder Charles und David spalten die USA INTERNATIONAL 30 Identitätslos Angela Merkel rückt die CDU in die politische Mitte – und vernachlässigt die Basis POLITIK 14 www.politik-kommunikation.de Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 08/11 | Dezember 2011 / Januar 2012 | 7,20 Euro Politiker des Jahres Kretschmann

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politik&kommunikation ist das einzige deutsche Fachmagazin für politische Kommunikation. Es bietet eine professionelle Plattform für die Diskussion aktueller Themen und Trends und berichtet unabhängig und parteiübergreifend über Kampagnen und Köpfe, Techniken und Methoden.

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SkrupellosDie konservativen Koch-Brüder Charles und David spalten die USA INTERNATIONAL 30

IdentitätslosAngela Merkel rückt die CDU in die politische Mitte – und vernachlässigt die Basis POLITIK 14

www.politik-kommunikation.de Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 08/11 | Dezember 2011 / Januar 2012 | 7,20 Euro

Politiker des JahresKretschmann

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VORAUSSCHAUENDE DELEGIERTE14. November Der CDU-Parteitag war geprägt von Diskussionen über Eurokrise, Mindestlohn und Oberschule – zumindest im Plenarsaal. Abseits der Bühne ging es unter anderem darum, wer das Rennen um Angela Merkels Nachfolge als Kanzlerin macht (dass es ein Sozialdemokrat sein könnte, zog kaum jemand in Betracht). Dabei fielen immer wieder die Namen zweier Politi-ker, die sich angeblich bereits jetzt für die besseren Kanzler hal-ten: Ursula von der Leyen und Norbert Röttgen. Die Delegier-

ten tuschelten darü-ber, wer die besseren Chancen habe, und auch in der Presse-lounge gab es ange-regte Diskussionen. Für Abwechslung sorgte ein Journa-list, der einen dritten Namen in die Diskus-sion warf: Thomas de

Maizière. Nach der Einschätzung des erfahrenen Polit-Korres-pondenten werden sich Röttgen und von der Leyen nach Mer-kels Abgang um den Parteivorsitz streiten, während de Maizière ihnen das Kanzleramt vor der Nase wegschnappt. Nicht jeder Kollege teilte diese Einschätzung. Mehr über die Stimmung auf dem Parteitag lesen Sie in dem Artikel „Die Abräumerin“ auf Seite 14. p&k-Redakteur Florian Renneberg hat sich in Leipzig umgehört, was die Delegierten vom neuen Kurs der CDU halten, und wie die Mandatsträger ihn kommunizieren.

JENSEITS DER RITUALEAm 26. November eröffnete die Friedrichshafener Zeppelin Uni-versität (ZU) mit einer großen Feier ihr neues Hauptstadtbüro am Hackeschen Markt. Der Höhepunkt des Abends: eine Po-diumsdiskussion zum Thema „Politische Kommunikation jen-seits der Rituale“. Tatsächlich schaffte es die ZU, eine Gesprächs-runde zu veranstalten, die mit einer der sonst üblichen Prakti-ken in Berlin wenig zu tun hatte: diplomatisch korrekte und oft einschläfernde Zurückhaltung. Zwei der Podiumsgäste sorgten für klare Worte: TV-Moderator Günther Jauch und Zukunftsfor-scher Matthias Horx. Auf seine seit September laufende Talk-show angesprochen, sagte Jauch: „Rund ein Drittel der Aus-gaben waren schlecht, das weiß ich auch.“ Er brauche einfach noch ein paar Sendungen, um seinen Rhythmus zu finden. So viel Demut kam beim Publikum an, der spontane Applaus be-wies es. Nicht ganz so viel Zustimmung bekam der Moderator des Abends, ZU-Präsident Stephan Jansen. Regelmäßig verlor er sich in Anekdoten – in denen er selbst die Hauptrolle spielte. Das Publikum nahm es mit Verwunderung hin. Nicht so Horx. Als Jansen ihn fragte, über welche Qualifiktion Politiker heute verfügen müssten, sagte der Forscher: „Quatschen“, und fügte an: „Sie können das übrigens auch ganz gut.“ Jansen moderierte sichtlich verärgert weiter, Horx freute sich, das Publikum auch – und p&k wartet schon gespannt auf die nächste ZU-Diskussion!

Redaktionstagebuch

WAHLJAHRIm Dezember Geschafft, das Wahljahr 2011 liegt hin-ter uns. In der ersten Aus-gabe dieses Jahres wagte p&k anhand der Wahl-Umfragen eine Prognose darüber, wie wohl die sie-ben Landtagswahlen aus-gehen könnten – und lag gar nicht so schlecht, so war auch die Möglichkeit eines grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg ein Thema in diesem Heft. Aber genug uns selbst auf die Schulter geklopft, das kann ja auch schmerz-haft werden, wenn man es übertreibt. Blicken wir nach vorn: Im Jahr 2012 gibt es nur eine einzige Landtagsawahl, die im Mai in Schleswig-Holstein. Es könnte passieren, dass dort der Sozial-demokrat Torsten Albig Nachfolger des Christdemokraten Peter Harry Carstensen. Wer mehr über Albig erfahren will, dem sei das „Porträt in Zahlen“ auf Seite 77 empfohlen. Nun aber wünscht die Redaktion Ihnen eine gute Lektüre, eine schöne Weihnachtszeit und alles Gute für 2012!

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Essay

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Idioten

Empört Euch! Occupy Wallstreet! Jawohl, die Jugend der Welt begehrt auf gegen das Finanzkapital, und die „99 Pro-zent“ der vom System Abgehängten wehren sich, sie orga-

nisieren sich – und überhaupt: Erleben wir in diesen Tagen nicht ein neues 1968? Ja, ein bisschen. Aber nur ein ganz kleines bis-schen. Wenn man genauer hinschaut, hält sich das politische Bewusstsein der Jugend in Grenzen, was eigentlich für die meis-ten Bewohner der westlichen Welt gilt. Im Grunde sind wir Idi-oten, und zwar im ursprünglichen Sinne. „Idiotes“, so hießen im antiken Griechenland die Bürger, die sich nicht um die Belange der Polis, der Allgemeinheit, kümmerten. Der Begriff war damals noch kein Schimpfwort, er bezeichnete eine Art Privatier. Doch war das politische Bewusstsein den alten Griechen wichtig, und nur als politisch engagierter Mensch war man ein vollwertiger Bürger. Jeder, der wählte, sollte auch bereit sein, sich selbst wählen zu lassen.

In unseren Zeiten, in denen Politiker meist Berufspolitiker sind, ist das Idealbild des Bürgers jedoch eher das des Homo Oeco-nomicus als das des Homo Politicus.

Zum Homo Oeconomicus, der sein Schick-sal nach wirtschaftlich-rationalen Gesichtspunk-ten gestaltet, wurden Generationen wie meine, die der in den 70er oder 80er Jahren Geborenen, frühzeitig erzogen. War schon zu Helmut Kohls Zeiten immerfort die Rede vom „Stand-ort Deutschland“, so ging es unter den an die Macht gekomme-nen 68ern von Rot-Grün ähnlich weiter: Konsumieren war Bür-gerpflicht, auf die Nachfrage kam es an; Gerhard Schröder for-derte die Bürger auf, einkaufen zu gehen. Zugleich wurde das System der universitären Ausbildung europaweit auf Effizi-enz getrimmt, auf dass die kleinste wirtschaftliche Einheit, der Mensch, sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten könne. Hum-boldtsches Bildungsideal, Studium Generale? Weg mit dem Plunder, nun war der Master of Business Administration, der MBA, gefragt. Auch der Kunsthistoriker sollte Manager sein – wie sollten künftige Museumsdirektoren denn sonst vernünftig Sponsoren werben können?

Nach der ersten Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 frohlockte manch einer, das Primat des Politischen kehre endlich zurück, nun, nachdem das Versagen der Finanz- und Wirtschaftselite so offenbar wurde. Doch war das Versagen schnell vergessen, und mit der zweiten Krise, der aktuellen, da zeigte sich: Die politi-sche Klasse versagte ebenso, nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa und den USA. Sie türmte Schulden auf, weil sie den Wählern, diesen Idioten, keinen der Wünsche abschlagen wollte, die sie nie geäußert hatten.

Nun aber begehren einige zaghaft auf. Occupy Wallstreet, empört Euch! – das ist schnell auf Facebook „geliked“, und so dürfen wir uns als Teil einer globalen Bewegung fühlen, ohne dass es dazu nennenswerter Anstrengung bedürfte. Tatsäch-lich aber ist der „Like“ ein Accessoire, Teil des Designs unserer Selbstdarstellung. Tatsächlich engagieren wir uns wenig, sind eher damit beschäftigt, beruflich voranzukommen – obwohl wir inmitten eines unfassbaren Wohlstands leben, in einem Land, das so friedlich ist wie nie zuvor. Doch fühlen wir uns gefähr-det, haben Angst um den Klassenerhalt, um die iPads, Flach-bildschirme und Manufactum-Möbel.

Gerne stellen wir, die gut Ausgebildeten, die Systemfrage – theoretisch. Doch fehlt es an persönlicher Betroffenheit. Wo

die 68er noch persönliche Konflikte austrugen, weil es ihre Eltern waren, die sich in Unrecht verstrickt,

ihre Lehrer, die sich autoritär gebärdet hatten, geht es uns womöglich zu gut, um so rich-

tig wütend zu werden, uns zu empören. Die Probleme der Welt sind drängend, aber wir spüren sie noch nicht. Natürlich ist jeder gegen Hunger in Afrika, doch fühlt es sich für viele irgendwie total „eighties“ an, dage-gen zu protestieren. Wir sind nicht betrof-

fen. Wir sind Idioten. Vielleicht wissen wir es nicht besser. Der

Grieche wusste noch, was seine Polis ist, sie begann unten am Hafen und endete oben auf der

Burg. Was aber ist unsere Polis? Unsere Polis ist die hochvernetzte Welt, doch sind die globalen Institutionen

noch zu schwach, als dass wir uns wirklich als Weltbürger füh-len dürften. Wir kommunizieren weltweit miteinander, doch beschränkt sich das meist noch auf flüchtige Klicks. Und über-haupt: Wo soll man bloß anfangen?

Protest ist ein guter Anfang, doch könnte man in der Zwi-schenzeit vielleicht mal zu einer dieser altmodischen Parteiver-sammlungen gehen; man könnte in die Ortsgruppe vom Natur-schutzbund gehen oder in die Kirchengemeinde nebenan. Da finden Graswurzeln Boden. Die Leute dort sind langweilig? Das mag sein, aber wenigstens sind sie keine Idioten.

Mal ein bisschen das Bankenviertel BESETZEN ist schon ganz ok, doch eigentlich macht die Jugend der westlichen Welt lieber noch einen MBA, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt

zu verbessern.

VON SEBASTIAN LANGE

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Tabakwaren gehören nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen. Diese Haltung vertreten wir seit langem,

seit 2001 z.B. mit dem Packungsaufdruck „Rauchen: Bitte nur Erwachsene.“ Auch die Erhöhung des Abgabealters

von 16 auf 18 Jahre haben wir immer bejaht: Der Schlüssel zum konsequenten Jugendschutz ist die Nichtverfügbarkeit

von Tabakwaren für Jugendliche. Deshalb haben wir eine umfassende Informationskampagne gestartet, die den

Handel und die Gastronomie darin unterstützt, an Jugendliche unter 18 Jahren keine Cigaretten zu verkaufen.

Mehr über unser Engagement erfahren Sie auf bat.de/jugendschutz

Für Jugendliche gibt’s bei uns nichts zu holen.

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Thüringen hat seine im August gestar-tete Image-Kampagne „Das ist Thürin-gen“ vorerst eingestellt. Vor dem Hinter-grund der Mordserie der rechtsextremen Jenaer Terrorzelle sei es kontraproduk-tiv, die Kampagne weiterzuführen, sagte Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) gegenüber der „Thüringer Allge-meinen“. Stattdessen hat das Bundes-land einen Teil der freigewordenen Mittel – rund 120.000 Euro – in eine Anzeige mit dem Titel „Gesicht zeigen – Thüringen gegen Nazis“ investiert. In der von der Kommunikationsagentur KNSK entwor-fenen Anzeige sprachen sich die Landes-regierung und die Vorsitzenden der Land-tagsfraktionen Anfang Dezember gegen rechte Gewalt aus. Zudem warb die Lan-desregierung in der Anzeige für das Kon-

zert „Rock‘n‘Roll-Arena in Jena – für die bunte Republik Deutschland“. Dort traten zahlreiche Künstler, darunter Udo Lindenberg, Clueso und die Band Silly, vor rund 60.000 Zuschauern auf, um ein Zeichen gegen rechte Gewalt zu setzen.

Kompakt

IMAGE-KAMPAGNE

Kampf gegen Rechts statt Eigenwerbung

Das thüringische Landeskabinett setzt ein Zeichen

Die CDU wirbt um Mitglieder, indem sie Mitglieder zeigt. Zum Beispiel Johanna Gaßmann, nur auf dem Fußballplatz neutral.

Die Otto-Brenner-Stiftung hat Anfang Dezember die Lobby-Studie „Marktordnung für Lobbyisten“ veröffentlicht. Die Autoren Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger und Sven Osterberg empfehlen darin ein Transparenzregister und einen verbindlichen Verhaltenskodex. Demnach sollen Abgeordnete nach dem Ausscheiden aus der Politik bei-spielsweise eine Karenzzeit einhal-ten, bevor sie als Interessenvertreter tätig werden. Um die Einflussnahme von Lobbyisten auf die Politik trans-parenter zu gestalten, fordern die Macher der Studie zudem, Stellung-nahmen, Gutachten und Expertisen frei zugänglich zu veröffentlichen. www.lobby-studie.de

LOBBYISMUS

Klare Regeln

Auf ihrem Bundesparteitag Mitte Novem-ber in Leipzig hat die CDU eine neue Mitgliederwerbeaktion vorgestellt. Das Motto: „Verpassen Sie der CDU Ihre Handschrift!“ Ins Zentrum der Neumit-glieder-Kampagne haben die Christdemo-

kraten eine Motivreihe mit zwölf CDU-Mitgliedern gestellt, die für eine Partei-mitgliedschaft werben. Die Union setzt dabei auf ihren Charakter als Volkspar-tei und lässt unter anderem einen Mittel-ständler, einen Pfarrer und eine Sportle-

rin zu Wort kommen. Ein kurzer Beistell-text erklärt jeweils, warum die einzelnen Personen der Partei beigetreten sind. Die CDU will die Motive vor allem als Postkar-tensets an der Basis einsetzen.www.mitglied.cdu.de

CDU-KAMPAGNE

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Kompakt

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Die Hamburger Volksinitiative „Transpa-renz schafft Vertrauen“ hat Ende Okto-ber ihre Kampagne für ein Transparenz-gesetz gestartet. Hinter der Initiative stehen die Nichtregierungsorganisatio-nen Mehr Demokratie, Transparency International Deutschland sowie der Chaos Computer Club (CCC). Sie for-dern den Hamburger Senat auf, Ver-träge, Gutachten, Statistiken und Verwal-tungsvorschriften im Internet zu veröf-fentlichen. Bislang müssen Bürger einen

Antrag stellen, um diese Daten einzu-sehen. „Künftig soll es eine Bringschuld

des Senats und der Verwaltung gegenüber den Bürgern geben“, sagt Michael Hirdes vom CCC. Ziel der Initiative ist es, zeit-gleich mit der Bundestagswahl 2013 einen Volksentscheid zum Thema durchzufüh-ren. Dafür musste sie bis zum 9. Dezem-ber 10.000 Unterschriften sammeln. Die Hamburger Piratenpartei, der Grünen-Landesverband, die Hamburger Links-fraktion, die ÖDP und Attac Hamburg unterstützen die Initiative.www.transparenzgesetz.de

64 Prozent der deutschen Internet-nutzer glauben, dass das Netz die Demokratie stärkt. Das geht aus einer Studie des Verbands Bitkom hervor. Vor allem junge Menschen sehen im Netz die Chance, Politik aktiv mitzugestalten. Das Institut Aris hat über 1000 Internetnutzer ab 14 Jahren in Deutschland befragt.www.bitkom.org

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LOBBYISMUS I I

Lobbycontrol vergibt MedailleNETZPOLITIK

Netz als ChanceDie Transparenzinitiative Lobby Cont-rol hat der Deutschen Bank und deren Vorsitzenden Josef Ackermann Anfang Dezember die „Lobbykratie-Medaille“ für undemokratische Lobbyarbeit verlie-hen. Der Grund: Das Geldinstitut habe die Konditionen der Griechenland-Rettung durch seine politischen Kontakte zuguns-ten des Bankensektors beeinflusst und zugleich vorgegeben, hart von den Maß-

nahmen getroffen zu werden. Bei der On-line-Abstimmung über den erstmals ver-gebenen Negativ-Preis votierten rund 45 Prozent der über 5500 Teilnehmer für die Deutsche Bank. Nominiert waren auch die Spielautomatenfirma Gauselmann, der Bundesverband Medizintechnolo-gie, die Deutsche Vermögensberatung und der Energiekonzern RWE. www.lobbycontrol.de

SPD-Altkanzler fordern schnelle Entscheidung: Sollte die SPD zügig einen Kanzlerkandidaten benennen?

Zu Guttenberg bringt sich wieder ins Gespräch: Schafft er die Rückkehr in die Bundespolitik?

Partizipation und offene Gesellschaft: Machen die Piraten den Grünen Kernthemen streitig?

Republikanische Kandidaten patzen im US-Vorwahl-kampf: Hat Obama bei der Wahl 2012 leichtes Spiel?

Lohnuntergrenze, Oberschule, Energiewende: Verprellt Merkel die Stammwähler der Union?

EXPERTEN-

TIPP

TRANSPARENZ

Senat soll Daten offenlegen

Das Hamburger Rathaus

Wolfgang Ismayr(Uni Dresden)

Ulrich Sarcinelli(Uni Koblenz-

Landau)

Ulrich vonAlemann

(Uni Düsseldorf)

Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-

Essen)

Wichard Woyke(Uni Münster)

Uwe Jun(Uni Trier)

Peter Lösche(Uni Göttingen)

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Kompakt

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KOMMUNIKATIONSSTUDIE

Digitaler Nachholbedarftern in elf Parlamenten untersucht. Die Ergebnisse bestätigen den Trend der ver-gangenen Jahre: Digitale Medien spie-len in der politischen Kommunikation eine immer größere Rolle – seit 2009 ist die Bedeutung sozialer Netzwerke um 32 Prozent gestiegen. Das bedeutet auch für Lobbyisten eine Umstellung. Nur eine intelligente Mischung aus traditio-nellen und digitalen Strategien führe zu einer effektiven politischen Interessen-vertretung, sagt Bernd Buschhausen, Leiter des Edelman Standorts Berlin. In Deutschland haben die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter jedoch Nachholbe-darf. Nur 30 Prozent nutzen den Kurz-nachrichtendienst Twitter für die poli-tische Kommunikation. Zum Vergleich: Im Durchschnitt tun das 60 Prozent der Befragten in den untersuchten Parla-menten. Den Spitzenwert erreichen die Kanadier mit 96 Prozent. Auf Facebook sind immerhin zwei von drei deutschen Abgeordneten aktiv. Neben Deutsch-land, Großbritannien, Frankreich, der EU und den USA hat der Index erstmals auch Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien berücksichtigt.www.edelman-newsroom.deQuelle: Capital Staffers Index(Alle Angaben in Prozent)

Das Online-Polit-Portal für Jugendliche „Du hast die Macht“ hat Anfang November die inter-aktive Online-Serie „Wenn Du Dich traust“ gestartet. Im Mit-telpunkt der Serie stehen die Gesamtschüler Alex und Hayal aus Berlin-Wedding. Obwohl die beiden 16-Jährigen zunächst nicht viel verbindet, erleben sie im Ver-lauf der Serie gemeinsam alltäg-liche Situationen rund um Inte-gration, Mobbing, Jugendgewalt, Armut und Emanzipation – und kommen sich dabei langsam näher. Das Besondere an der Serie: Vor dem Start des Projekts konnten Internetnutzer die Hauptcha-raktere und die ersten Dialoge bestim-men, nach jeder Folge entscheiden die

Zuschauer online, wie die Geschichte weitergeht. Das im Jahr 2010 gegründete Online-Portal „Du hast die Macht“ ist ein gemeinsames Projekt der Robert-Bosch-Stiftung und der Filmfirma Ufa.www.duhastdiemacht.de/wenn-du-dich-traust

POLITISCHE BILDUNG

Zuschauer bestimmen Drehbuch

Die Hauptdarsteller der interaktiven Serie

Welche Online-Kanäle nutzen die Bundestagsabgeordneten?

BlogsText Messaging

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KAMPAGNEN- TRENDS

Sei persönlich

Für p&k analysieren die Autoren der Arbeitsgemeinschaft für Online-Kommunikation

„Kampagnenpraxis”, wie Politiker das Internet für ihre Kampagnen nutzen können.

Internetauftritte von zahllosen loka-len Parteien und Regionalpolitikern kennen oft nur eine Form der Aktua-lität: die Pressemitteilung. Während in Zeitungen und Radio kaum noch über Lokalpolitik berichtet wird, hal-ten Ortsverbände und Politiker im Wahlkreis stoisch daran fest, klassi-sche Pressemitteilungen herauszu-geben. Internet sei dank, haben die eine zweifelhafte, neue Bestimmung gefunden. Sie werden auf die eigene Webseite gestellt und dienen dort als „Aktuelle Nachrichten“. Besu-cher lokaler Politik-Webseiten sind aber selten Journalisten, sondern meistens Bürger, Nachbarn oder Vereinskollegen. Sie müssen nun die harte Journalistenkost schlucken, obwohl sich die Form der Schreibe gar nicht an sie richtet. Der Aufma-cher auf der persönlichen Webseite der Lokalpolitikerin muss statt „CDU-Ratsfrau Mönkeberg stimmt dem Neubaugebiet am Stadtrand von Musterstadt zu“ lauten: „Das geplante Neubaugebiet finde ich gut.“ Über sich selbst in der dritten Person zu schreiben, macht unnah-bar und distanziert. Beenden wir am besten die Zweitverwertung von Pressemitteilungen als vermeintlich aktuelle Nachrichten! Schreiben wir besser flotte, kurze Meldungen zum Geschehen im Ort und schildern die Standpunkte aus dem eigenen Blickwinkel. So wie wir es auch im persönlichen Gespräch auf dem Dorfplatz oder im Wirtshaus tun.

Oliver Zeisbergerist Inhaber der barracuda digitale agentur und berät Parteien und NGOs bei Kommunikations-strategien. Mit anderen Autoren hat er 2009 das Online-Projekt Kampagnenpraxis gestar-tet. www.kampagnenpraxis.de

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Instant Messaging

Die Kommunikationsagentur Edelman hat Anfang Dezember zum dritten Mal den „Capital Staffers Index“ veröffent-licht. In diesem Jahr hat die internatio-nale Studie das Online-Nutzungsver-halten von Abgeordneten und Mitarbei-

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Politiker haben ein diffuses Bild ihrer Bürger. Das geht aus einer Stu-die des Verbands der Redens-chreiber deutscher Sprache (VRDS) und der Universität Kob-lenz-Landau hervor. Vertreter von VRDS und Hochschule haben zehn Reden deutscher Spitzenpolitiker von Angela Merkel über Guido Wes-terwelle bis Sigmar Gabriel analy-siert. Danach halten Politiker die Bürger eher für einen Teil des Pro-blems als für dessen Lösung. „Die Rede ist verräterisch. Sie offenbart oft mehr, als der Redner ausdrück-lich sagen möchte“, so VRDS-Prä-sident Vazrik Bazil. Der Studie zufolge teilen Politiker Bürger rheto-risch in vier Kategorien ein: schwer fassbare Subjekte, widerspens-tige Kinder, Sozialleistungsempfän-ger oder Beitragszahler sowie Men-schen, denen Freiheit Angst mache.

POLITIKER-REDEN

Diffuses Bild

Neulich, es ging gerade die Welt unter, hatte der Prä-sident der Vereinig-ten Staaten von Ame-rika nichts Besse-res zu tun, als im viel zu gewagten Kleid und mit spit-zem Ton kokette Lie-der zu singen. Nun ist die Lage in den USA nicht so, dass dies ein angemesse-nes Verhalten wäre für ein Staatsober-haupt, und so sind wir recht erleich-tert, dass sich hernach alles als Irr-tum rausgestellt hat. Beziehungsweise als mal gehörig versemmelte General-probe. Getestet werden sollte an jenem Tag nämlich die Einsatzfähigkeit des seit 50 Jahren bestehenden „Emergency Alert System“. Dieses ermöglicht es der Regierung, sich beim Einfall von zum Beispiel Aliens, Terroristen oder Kom-munistennazis „draufzuschalten“, und zwar auf sämtliche Rundfunkkanäle

des Landes. Geplant war, beim Test einen kurzen schril-len Pfeifton über den Äther zu sen-den. Das passierte dann auch, nur zog sich der schrille Ton so lange hin, dass er sich schließlich als Lied von Lady Gaga herausstellte. Auf anderen Kanälen lie-fen alte Football-

Spiele oder Shopping-TV. Kurz gefasst: Man wünschte sich als betroffener Fernsehzuschauer in diesen Minuten wohl nichts sehnlicher als das, wovor gewarnt werden sollte, nämlich das Ende der westlichen Zivilisation. Doch, wie auch immer, bei Licht betrach-tet hat die ganze Misere ja auch etwas Optimistisches. Denn obwohl wir zu Redaktionsschluss noch nicht wussten, wann genau demnächst die Welt unter-geht – wir dürfen wohl sicher sein, dass auch das in den Sand gesetzt wird.

Aufgedeckt: Apokalypse Gaga

Noch nicht US-Präsidentin: Lady Gaga

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Der Parteitag in Leipzig war ein voller Erfolg für die CDU. Die Partei zeigte sich geschlossen, Angela Merkel

rief die Union zum wirtschaftlichen Re-formmotor des Landes aus und grenzte sie scharf von der politischen Konkurrenz ab. Mitglieder und Mandatsträger waren geeint in dem Wissen um eine christde-mokratische Identität. Die CDU war ganz bei sich – und voller Zuversicht für die kommende Bundestagswahl. Das war im Jahr 2003.

In diesem November fand erneut ein CDU-Parteitag in Leipzig statt, doch die Vorzeichen könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Partei hat sich von alten christdemokratischen Gewissheiten ver-

Die AbräumerinAngela Merkel stellt die ersten Weichen für den kommenden Bundestagswahlkampf – und führt die CDU dabei immer weiter nach links. Durch die Öffnung der Partei will sie bei Wechselwählern punkten – dabei verliert sie jedoch die Stammwähler aus den Augen.

VON FLORIAN RENNEBERG abschiedet: die Wehrpflicht ausgesetzt, das Elterngeld eingeführt, den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Auf dem Parteitag stimmen die Delegier-ten für ein „Lohnuntergrenze“ genanntes Mindestlohn-Modell und die Reform des dreigliedrigen Schulsystems.

Keine Leidenschaft

Vom neoliberalen Reformeifer des Jahres 2003 ist nicht viel geblieben. Während Merkel damals in ihrem Werben für die Kopfpauschale, die Bierdeckel-Steuerre-form und einen flexiblen Arbeitsmarkt polarisierte, bemüht sie sich heute, nie-mandem weh zu tun. Am Ende ihrer Rede erhält sie pflichtschuldig minutenlangen Applaus von den Delegierten – Leiden-

schaft kommt in der Leipziger Messe-halle jedoch nicht auf, weder bei Merkel, noch bei ihren Zuhörern. Eine sachliche Arbeitsrede habe die Kanzlerin gehalten, sagen nachher diejenigen, die es gut mit ihrer Parteichefin meinen.

Die Botschaft der Kanzlerin ist klar: Die Volkspartei CDU ist für alle wählbar. Was auf den ersten Blick beliebig wirkt, folgt einem klaren Muster. Denn poli-tische Konfrontationen rufen nur allzu leicht Emotionen hervor. Das mobilisiert die eigenen Anhänger – allerdings auch die des politischen Gegners. Und daran hat die Kanzlerin kein Interesse. Denn zwischen den beiden Leipziger Parteita-gen liegen nicht nur acht Jahre, sondern auch zwei Bundestagswahlen, aus denen Merkel ihre Lehren gezogen hat.

Angela Merkel auf dem Parteitag der CDU in Leipzig

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munaler Ebene für die Partei aktiv ist, er-gänzt: „Manchmal weiß selbst ich nicht genau, warum ich die Union wählen soll.“ Der Unmut über die Aufgabe des konser-vativen Markenkerns sei an der Basis per-manent zu spüren, versichern viele Teil-nehmer des Parteitags.

Das bleibt auch den Mandatsträ-gern nicht verborgen. Jens Spahn, ge-sundheitspolitischer Sprecher der Uni-ons-Fraktion, spürt eine große Verunsi-cherung an der Basis. Er findet die Positi-onsveränderungen der vergangenen Mo-nate allerdings richtig – und er glaubt, auch die Anhänger der Partei von diesem Kurs überzeugen zu können. „Die Men-schen an der Basis sind keine Kernkraft-Fanatiker“, sagt Spahn, „aber sie erwarten zu Recht, dass wir ihnen erklären, warum wir unsere Meinung ändern.“ Der Abge-ordnete wünscht sich mehr und offenere Diskussionen innerhalb der Partei: „Das

wäre gut für die CDU, für unsere Anhän-ger und für die Ergebnisse.“

Doch das ist in der Merkel-CDU eher Ausnahme als Regel – auch auf dem Par-teitag bleiben kontroverse Diskussionen aus. Anstatt die Partei behutsam auf Ver-änderungen vorzubereiten, verteidigt die CDU-Führung ihre Positionen bis zuletzt eisern, um deren Aufgabe schlussendlich als alternativlos und selbstverständlich zu postulieren. Christean Wagner, Frak-tionsvorsitzender der CDU im hessischen Landtag, verweist in diesem Zusammen-hang auf Mindestlohn, Energiewende und Hauptschule. „Dort haben wir inner-halb kürzester Zeit jahrzehntelange Po-sitionen aufgeben – ohne intern ausrei-chend darüber zu diskutieren. Das hält keine Partei aus.“

Die Auswirkungen dieser Politik spürt Wagner direkt vor Ort. In seinem Kreis-verband sind bereits Mitglieder ausgetre-ten. Von ihnen höre er immer öfter, die

sich her treiben können, so der Bonner Politikwissenschaftler: „Die CDU hat die SPD und die Grünen mit ihren Entschei-dungen zum Mindestlohn und der Ener-giewende ein Stück weit entwaffnet.“

Aus wahltaktischer Sicht sei diese Entscheidung richtig gewesen, sagt Lang-guth. Denn eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition liegt in weiter Ferne – Union und FDP kommen in Umfragen derzeit auf nicht einmal 40 Prozent der Stimmen. Aber: Rot-Grün hätte den De-moskopen zufolge ebenfalls keine Mehr-heit. Sollte die FDP bis zur kommenden Wahl die Kurve kriegen und die Piraten ihren Höhenflug fortsetzen, wären sechs Parteien im Bundestag vertreten. Die Ko-alitionsoptionen wären merklich einge-schränkt – insbesondere, da die Piraten-partei und die Linke derzeit nicht koaliti-onsfähig seien, wie Klaus-Peter Schöpp-ner bemerkt. Das kommt Merkel ent-

gegen. Ihr Kalkül ist einfach: Sollte die Union stärkste Kraft werden, kann nicht gegen sie regiert werden. So könnte sich Merkel womöglich als Kanzlerin einer Großen Koalition – oder einer schwarz-grünen Koalition – in eine dritte Amts-zeit retten.

Gefährliche Gratwanderung

Doch die vermeintlich sichere Wahl-strategie entpuppt sich mehr und mehr als gefährliche Gratwanderung, die sich 2013 bitter rächen könnte. Indem Merkel sämtliche konservativen Stolpersteine aus dem Weg räumt, demobilisiert sie zu-nehmend die eigenen Anhänger. „Früher konnte ich aus dem Stegreif fünf Gründe aufzählen, die CDU zu wählen – das geht heute nicht mehr“, sagt eine Delegierte aus Baden-Württemberg am Rande des Parteitags. Ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen, der seit vielen Jahren auf kom-Fo

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2005 war die Union haushohe Favo-ritin, die SPD schien weit abgeschlagen. Merkel setzte auf klare Kante und wirt-schaftsliberale Themen – das Ergebnis: Die Gewerkschaften liefen Sturm gegen die Reformthesen der CDU-Vorsitzen-den, und viele Arbeitnehmer waren ver-ängstigt – die vermeintlich darniederlie-genden Sozialdemokraten bekamen Auf-trieb. Der Union blieb mit einem Prozent Vorsprung auf die SPD letztlich nur der Weg in die Große Koalition.

Diffuse Wohlfühlpolitik

„Emotionen sind für die Union im Wahl-kampf eine große Gefahr“, urteilt der Chef des Umfrageinstituts TNS Emnid, Klaus-Peter Schöppner. Deshalb tue Merkel gut daran, Themen mit Emotionalisierungs-potenzial möglichst klein zu halten, so der Demoskop.

Vor der Bundestagswahl 2009 ist ihr das gelungen. Merkel führte einen Ku-schelwahlkampf: nicht zuspitzen, nicht festlegen, keine Angriffsflächen bieten. Stattdessen bot sie eine diffuse Wohlfühl-politik für alle an. Das Ergebnis: Trotz Verlusten von 1,4 Prozent konnte sie ihre damalige Wunschregierung aus CDU/CSU und FDP bilden. Anders als noch 2005 fanden die Sozialdemokraten kein Thema, mit dem sie ihre Wähler mobili-sieren konnten.

In dieser Strategie – von Politikwis-senschaftlern asymmetrische Demobili-sierung genannt – scheint die Kanzlerin ihre Taktik für den kommenden Bundes-tagswahlkampf gefunden zu haben. Dass sie plötzlich ihre Leidenschaft für den Mindestlohn entdeckt hat, glaubt Mer-kel-Biograph Gerd Langguth nicht. Mit dem Vorstoß habe die Kanzlerin viel-mehr ein unangenehmes Thema berei-nigt, bei dem die SPD die Union hätte vor

In der Union richten sich alle nach der Kanzlerin: Ursula von der Leyen, Karl-Josef Laumann, Angela Merkel, Norbert Röttgen und Annette Schavan (v.l.)

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Pol i t ik

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CDU sei nicht mehr ihre Partei. „Eine an-dere Partei wollen die gar nicht wählen“, sagt Wagner, „aber die CDU eben auch nicht mehr.“ Asymmetrische Wählerde-mobilisierung nennt er einen „Angriff auf den gesunden Menschenverstand“. Er for-dert: „Wir sollten uns weniger um SPD- und Grünenwähler und mehr um unsere eigenen Anhänger kümmern.“ Die seien der Partei in Scharen davongelaufen.

„Die CDU hat erstmals ein Nicht-wählerproblem“, sagt auch Emnid-Chef Schöppner. Das liege daran, dass die Par-tei ihren Markenkern vernachlässige: „Gerade in Zeiten von Entpolitisierung und oberflächlicher Betrachtung bietet er den Wählern eine wichtige Richtschnur“, so Schöppner. Außerdem, so der Demo-skop, schütze ein intakter Markenkern die Partei davor, dass die Konkurrenz mit kurzfristig au�ommenden Themen punkten kann: „Je stärker der Marken-kern, desto weniger anfällig ist eine Partei für Agenda-Setting.“ Wo vor einigen Jah-ren der konservative Kern der Union lag, ist heute jedoch ein großes Loch.

Wunsch nach heiler Welt

Anstatt eigene Akzente zu setzen, rea-giert die CDU hauptsächlich auf äußere Einflüsse. Anfang November beschwerte sich ein Nutzer auf dem Kurznach-richtendienst Twitter beim Parlamen-tarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Peter Altmaier, über den Schlingerkurs der Union. Das Mitglied der Schwesterpartei CSU schrieb, dass er an den Infoständen heute zum Teil das Gegenteil dessen vertreten müsse, wofür er vor vier Jahren geworben habe. „Wehr-pflicht war KT, Kernkraft war Fukushima, Lohnuntergrenze ist Basis. Euro ist Grie-chenland“, fasste Altmaier die Volten der Partei lapidar zusammen und hängte zum Zeichen des Bedauerns einen trau-rigen Smiley an.

Dabei wäre eine klare Linie dringen-der geboten denn je. Je komplexer und komplizierter die Fragen, desto einfa-chere Antworten wünschen sich die Mit-glieder an der Basis. Denen nimmt der Bundestagsabgeordnete Michael Fuchs den Wind aus den Segeln: „Die Menschen wollen eine heile Welt, aber die kann ihnen die Politik nicht liefern.“ Auch den Vergleich mit dem Leipziger Parteitag aus dem Jahr 2003 lässt er nicht gelten: „Von 2003 bis heute hat sich die Welt ein paar

kel ist eine pragmatische, unideologi-sche Problemlöserin“, so der Politikwis-senschaftler. Die Kunst eines CDU-Poli-tikers sei es, Wechselwähler zu gewinnen – und die Stammwähler trotzdem zu hal-ten. Die Kanzlerin sei im Gewinnen je-doch deutlich besser als im Halten.

Wenn mehr alte Anhänger gehen als neue dazu kommen, steht die Union vor einem Problem. Kann die CDU ihre einstigen Stammwähler nicht mehr mo-bilisieren, droht der Partei ein Überbie-tungswettbewerb mit der politischen Konkurrenz um die Gunst der Wechsel-wähler. Den kann sie nur um den Preis der Selbstaufgabe gewinnen. Die Dele-gierten auf dem Leipziger Parteitag sind sich dieser Gefahr bewusst: „Der CDU hat es noch nie gut getan, die SPD links zu überholen“, sagt eine Teilnehmerin. Ein anderer ist sich sicher: „Einen Links-schwenk nehmen die Bürger der Union sowieso nicht ab.“

Ihre größte Sorge ist, dass sich die Partei nicht mehr ausreichend von der politischen Konkurrenz abhebt. Sie tei-len den Wunsch Christean Wagners, die Union möge sich mehr auf die eigenen Stärken konzentrieren und diese offen-siv vertreten. Bislang nimmt die Kanzle-rin darauf wenig Rücksicht. Merkels Tak-tik – aus der Schwäche der Anderen Kapi-tal zu schlagen – steht allerdings auf tö-nernen Füßen. Selbst wenn sie es schaf-fen sollte, die Union 2013 wieder in die Bundesregierung zu führen, gefährdet sie mit ihrem Kurs auf Dauer die Schlagkraft der CDU. Sie wäre nicht die erste Bundes-kanzlerin, die ihre Partei durch den Ver-lust großer Teile der Stammklientel in eine lange, tiefe Krise stürzt.

Mal um sich selbst gedreht und die poli-tischen Veränderungen sind den neuen Realitäten geschuldet.“ Den vielbeschwo-renen Markenkern sieht Fuchs nicht be-schädigt.

In diese Kerbe schlägt auch Tho-mas Strobl, Bundestagsabgeordneter und CDU-Chef in Baden-Württemberg: In der CDU gebe es keine heiligen Kühe oder Heilsideologien. Das unterscheide die Partei wohltuend von linken Dogma-tikern. „Wenn die Welt sich verändert, verändert sich auch die Union – das war schon immer eine Stärke der CDU“, so Strobl. Eine Verletzung des Markenkerns kann auch er nicht erkennen. Seine Argu-mentation: Beim Modell der Lohnunter-grenze würden die Tarifpartner gestärkt, und in der Bildungspolitik setze sich die Union deutlich von der Einheitsschule ab. Also alles im Lot? Nicht ganz. „Viele Mit-glieder sind verwirrt über den Kurs der Partei“, räumt Strobl ein. Umso wichtiger sei es zu kommunizieren, zu diskutieren und zu erklären, so der baden-württem-bergische Parteichef.

Keine konservativen Ausputzer

Dass das Reservoir an CDU-Stammwäh-lern immer mehr austrocknet, liegt nicht allein an Angela Merkel, sondern auch daran, dass es der Union an Integrations-figuren mangelt. „Der Union fehlen kon-servative Ausputzer, die die Seele der Par-teibasis streicheln“, urteilt Gerd Lang-guth. „Die Konservativen vermissen bei Merkel die Orientierung.“ Früher hätten Typen wie Alfred Dregger oder Friedrich Merz diese Funktion ausgefüllt – heute ist diese Flanke verwaist. „Angela Mer- Fo

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Christean Wagner sorgt sich um das Profil der CDU: „Das hält keine Partei aus.“

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Deutschland geht neue Wege. Mit Antworten für nachhaltige medizinische Versorgung.

Gesundheit ist unbezahlbar. Genau deshalb muss sie bezahlbar bleiben.

Unsere Gesellschaft altert – wir leben länger. So wird sich die Altersgruppe der über 65-Jährigen bis zum Jahr 2030 nahezu verdoppelt haben. Mit der Zahl älterer Menschen steigt der Bedarf an medizinischer Versorgung. Und damit die Belastung für das Gesundheitssystem.

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gnostik. Je spezifischer die Diagnose, umso individueller kann der Patient behandelt werden. Was sich positiv auf Heilungschancen und Behandlungsdauer auswirkt – und damit auf die Kosten. So kommt innovative Medizintech-nik nicht nur dem Patienten zugute, sondern dem gesamten Gesundheitssystem.

Die Antworten für nachhaltige medizinische Ver sorgung sind da. Und die Zeit für neue Wege ist jetzt. Denn die Welt von morgen braucht unsere Antworten schon heute.

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Im Zentrum des HassesDie KOCH-BRÜDER spalten die USA: Für die Liberalen sind sie Reizfiguren und Dunkelmänner, die Konservativen verehren sie als Mitgründer der „Tea Party“ und einflussreiche Obama-Gegner. Doch wie groß ist der Einfluss der beiden Milliardäre wirklich?

VON JOHANNES ALTMEYER

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Den amerikanischen Traum verteidi-gen – um nichts weniger geht es An-fang November in Washington DC.

Zum fünften Mal hat die konservative Stiftung „Americans for Prosperity“ (AFP) zu ihrer jährlichen Konferenz „Defending the American Dream“ eingeladen. The-matischer Schwerpunkt: die „Schulden-politik von Barack Obama“. Ganz vorne im Washington Convention Center sitzt AFP-Gründer David Koch. Entspannt und gut gelaunt hört der schwerreiche Industrielle den Rednern zu. Direkt vor dem Kongresszentrum ist von der gelas-senen Stimmung nichts zu spüren. An-hänger der „Occupy“-Bewegung demons-trieren lautstark gegen Koch. Ihr Vorwurf: Als Geldgeber der populistischen Tea-Party-Bewegung verhinderten David und sein Bruder Charles jeglichen politischen Fortschritt in der US-Hauptstadt. Als die Konferenz endet, bricht David Koch auf. Das Kongresszentrum verlässt er jedoch nicht durch einen Seiteneingang, er wählt den Haupteingang. Der 71-Jährige geht direkt an den Protestierenden vorbei, die wenige Minuten zuvor seinen Namen ge-

rufen haben. Koch bleibt unerkannt. Die vom Wirtschaftsmagazin „Forbes“ über-lieferte Begebenheit beweist: Längst sind David und sein fünf Jahre älterer Bruder Charles zu mächtigen Gegenspielern Ob-amas geworden – vor den neugierigen Bli-cken der Öffentlichkeit konnten sich die Kochs jedoch lange Zeit verstecken.

Kerngeschäft Öl

Den Kampf gegen die Politik des US-Prä-sidenten finanzieren die beiden Brüder mit ihrem milliardenschweren Famili-enunternehmen Koch Industries. Dieses sitzt in Wichita, im US-Bundesstaat Kan-sas, und erwirtschaftet im Jahr rund 100 Milliarden US-Dollar – mehr als das Soft-ware-Unternehmen Microsoft und der Internetriese Google zusammen. Nach eigenen Angaben beschäftigt das Unter-nehmen – Charles fungiert als Vorstands-vorsitzender, David als sein Stellvertreter – rund 70.000 Mitarbeiter in 60 Ländern. Zu den hergestellten Produkten gehö-ren unter anderem Kunstfasern, Kaffee-becher und Küchenrollen. Das Kernge-schäft ist jedoch: Öl. Die Koch-Brüder be-sitzen Pipelines, die quer durch die USA

und Kanada verlaufen, und verfügen über zahlreiche Öl-Raffinerien. Eine profitable Mischung: Mittlerweile ist Koch-Indus-tries der zweitgrößte private Konzern der USA. David Koch bezeichnete ihn selbst einmal als „das größte Unternehmen, von dem Sie noch nie etwas gehört haben“. Laut „Forbes“ können die Brüder auf ein privates Vermögen von je rund 25 Milli-arden US-Dollar zurückgreifen. Auf der von dem Wirtschaftsmagazin jährlich er-stellten Liste der reichsten Amerikaner teilen sie sich den vierten Platz.

Die Kochs sind klassische Libertäre – sie fordern drastisch reduzierte Steu-ersätze, minimale Sozialleistungen und vor allem: keine staatlichen Auflagen. Mit allen Mitteln wollen sie ihr Vermögen vor dem Zugriff des Staats schützen. „Ihre Weltanschauung passt mit ihren wirt-schaftlichen Interessen zusammen“, sagt Christoph von Marschall, der sich als US-Korrespondent des Berliner „Tagesspie-gels“ regelmäßig mit den Koch-Brüdern beschäftigt. „So setzen sie sich als Öl-Produzenten beispielsweise für weniger staatliche Umweltrichtlinien ein.“ Zwar stellt Koch-Industries auf seiner Web- seite zahlreiche Projekte vor, mit denen

Milliardäre, Libertäre und einflussreiche Unterstützer der Tea-Party-Bewegung: Charles (Foto links) und David Koch

Internat ional

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31pol it ik&kommunikat ion | Dezember 2011 / Januar 2012

logisch aufgeladenen und mit einem wis-senschaftlichen Gütesiegel versehenen Studien beeinflussen längst die öffentli-che Meinung.

Ein gekaufter Präsident?

Zurzeit sorgen die republikanischen Prä-sidentschaftskandidaten dafür, dass poli-tische Schlagwörter wie Steuererleichte-rungen und Ausgabenkürzungen in poli-tischen Diskussionen auftauchen. So zum Beispiel bei den von Millionen US-Ameri-kanern verfolgten TV-Debatten der Partei – oder jener AFP-Konferenz Anfang No-vember in Washington. Als prominenten Redner konnte die Organisation unter an-derem den republikanischen Präsident-schaftsbewerber Mitt Romney gewinnen.

Artig bedankte er sich bei David Koch für die Einladung: „Vielen Dank für all das, was Sie und AFP tun.“ Bei so viel demons-trativer Nähe fragen sich viele Amerika-ner: Entscheiden am Ende gar die beiden Koch-Brüder mit ihrem Milliardenvermö-gen, wer ins Weiße Haus einzieht?

„Das glaube ich nicht“, sagt Christoph von Marschall. Natürlich, Geld sei wich-tig. Anzeigen und TV-Werbung in den einzelnen Bundesstaaten zu schalten, sei nun mal kostspielig. „Aber“, fügt von Mar-schall an, „Geld ist nicht alles.“ Am Ende zähle der Kandidat. Dieser müsse glaub-würdig sein, für etwas stehen – und die Parteibasis begeistern. Ein solcher Kan-didat fehle den Republikanern. Von Mar-schall ist sich sicher: „Das Geld der Koch-Brüder ist hilfreich. Aber selbst sie können mit noch so viel Geld nicht einen Politiker ins Weiße Haus bringen, den die Wähler nicht wollen.“

sie Abgase vermeiden und Energie spa-ren, viele Amerikaner wollen dem Unter-nehmen sein „grünes Gewissen“ aber nicht abkaufen. Für die Umweltschutzor-ganisation Greenpeace verfolgt die Firma schlicht eine „zerstörerische Agenda“. Auch aus der Wissenschaft kommt Kritik: In einer im Frühjahr 2010 veröffentlich-ten Studie führt die Universität von Mas-sachusetts Koch Industries als einen der zehn größten Umweltsünder der USA auf. Kein Wunder, dass der 2009 mit ehrgeizi-gen umwelt- und sozialpolitischen Zielen gestartete Präsident Obama schnell zum Feindbild der Koch-Brüder wurde. „Es gibt niemanden in den USA, der so viel Geld für politische Zwecke gespendet hat wie die Koch-Brüder“, zitiert das Maga-zin „The New Yorker“ im August vergan-genen Jahres Charles Lewis, den Gründer der Journalistenorganisation Center for Public Integrity. „Sie brechen systema-tisch das Gesetz. Sie manipulieren und verwischen ihre Spuren. So etwas habe ich in Washington noch nicht erlebt.“

Die „Tea Party“ als Machtmittel

Die Kochs setzen ihr Geld ein, um poli-tischen Einfluss zu erlangen. Zwei Orga-nisationen spielen dabei die Hauptrolle: AFP und Freedom Works (FW). Beide gingen 2004 aus dem Think-Tank „Citi-zens for a Sound Economy“, auf Deutsch: „Bürger für eine starke Wirtschaft“, her-vor, den die Koch-Brüder Mitte der 80er Jahre gegründet hatten. AFP und FW set-zen sich als vermeintliche Graswurzel-bewegungen für niedrigere Steuern und reduzierte Staatsausgaben ein. Klassi-sche Koch-Ziele. Während der Präsident-schaft des Republikaners George W. Bush hielten sich AFP und FW mit öffentli-chen Kampagnen zurück. Bushs politi-sche Agenda war maßgeblich von den Ideen erzkonservativer Berater geprägt – es gab keinen Grund, gegen die Politik des Präsidenten zu demonstrieren. Mit Obamas Einzug ins Weiße Haus änderte sich das. Inmitten der Finanzkrise kün-digte der Demokrat an, die kollabierende US-Wirtschaft mit Staatshilfen zu retten. Dazu kam sein im Wahlkampf geäußertes Ziel, eine staatliche Gesundheitsvorsorge einzuführen. Für die Aktivisten der Tea-Party-Bewegung waren das die maßgebli-chen Gründe für ihre Proteste. AFP und FW unterstützten die „Tea Party“ finan-ziell und organisatorisch. Mit Erfolg: Bei

der Kongresswahl 2010 konnten die Repu-blikaner – dank der Hilfe der Tea-Party-Aktivisten – das Repräsentantenhaus zu-rückerobern.

„Das Problem mit dem Libertarismus in den USA war lange Zeit, dass er zwar viele Anhänger hatte, es aber keine wirk-liche Bewegung gab“, sagte der Historiker Bruce Bartlett einmal über die politischen Beweggründe der Koch-Brüder. Mit der „Tea Party“ habe sich das geändert. Bart-lett: „Die Brüder wollen die populistische Bewegung kontrollieren. So versuchen sie, unbemerkt ihre eigenen Ziele durch-zusetzen.“ Der linke Blog „Think Pro-gress“ bezeichnete die Kochs jüngst als „die Milliardäre hinter dem Hass“.

So sehr das liberale Amerika mit den beiden Industriellen auf Kriegsfuß steht: Auch die Demokraten bauen auf einen Milliar-där, der die Partei finanzi-ell unterstützt: den Inves-tor George Soros. Mit sei-nem Open-Society-Ins-titut hat der 81-Jährige zahlreiche demokratische Kampagnen unterstützt – 2008 auch die des damali-gen Präsidentschaftskan-didaten Obama. Doch im Gegensatz zu den Koch-Brüdern unterstützt Soros zivilgesellschaftliche Pro-jekte. Er setzt sein Geld nicht dafür ein, den eige-nen Reichtum politisch abzusichern. Die Kochs machen das – und vertrauen dabei nicht nur auf AFP und FW.

1977 war Charles Koch einer von drei Gründern des konservativen Cato Ins-tituts, heute einer der einflussreichsten Think-Tanks der USA. Laut dem Center for Public Integrity haben die Koch-Brü-der der Denkfabrik alleine in den 80er und 90er Jahren rund elf Millionen US-Dollar gespendet. Cato verfasst Studien, die zahlreiche Zeitungen, TV-Sender und Webseiten weiterverbreiten. Kernthemen des Think-Tanks laut eigener Webseite: „Freiheit, schmaler Staat und freie Wirt-schaftsmärkte“. Auch die Umweltpoli-tik gehört zu den Kernthemen der liber-tären Denkfabrik: 2008 schaltete Cato eine ganzseitige Anzeige in der „New York Times“, in der das Institut erklärte, warum Obamas These der wissenschaftlich beleg-baren Erderwärmung falsch sei. Die ideo-

Tea-Party-Protest im September 2009 in Washington D.C.

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türlich ist es gepanzert und daher ziem-lich schwer. Aber es ist umweltfreundli-cher als das Vorgängermodell.Sie sind einen weiten politischen Weg gegangen: vom späten Achtund-sechziger bis zum Ministerpräsiden-ten. Würde der Kretschmann der 70er Jahre den heutigen Kretschmann als zu bürgerlich kritisieren?Das glaube ich nicht. Nachdem ich meine linksradikale Vergangenheit hinter mir gelassen habe, war meine weitere politi-sche Entwicklung nicht mehr so kurven-reich. Und was meine Werteorientierung angeht, meine Grundauffassungen, da habe ich seit vielen Jahren ein klares und festes Gerüst.Sind Sie ein Wertkonservativer?Wer mich so beschreibt, der denkt in Kli-schees. Natürlich habe ich meine konser-

„ Das Volk hat gesprochen“WINFRIED KRETSCHMANNS Wahl zum ersten grünen Minis-terpräsidenten Deutschlands war eine Sensation. Die Baden-Württemberger bewundern ihren neuen Regierungschef – selbst die verlorene Volksabstimmung über „Stuttgart 21“ schadet ihm nicht. Ein Interview mit dem Politiker des Jahres.

p&k: Herr Ministerpräsident, Sie sind seit rund sieben Monaten baden-württembergischer Regierungschef. Haben Sie sich schon an die Insig-nien der Macht gewöhnt? Den sprit-

schluckenden Dienstwagen Ihres Amtsvorgängers beispielsweise.Winfried Kretschmann: Ob es im 21. Jahrhun-dert wirklich ein Insignium der Macht ist, eine schwere Limousine zu fahren, das will ich einmal bezweifeln. Im Übrigen: Mittlerweile habe ich ein Fahrzeug, das wesentlich weniger Sprit verbraucht. Na-

INTERVIEW: SEBASTIAN LANGE , JOHANNES ALTMEYER

POLITIKERDES

JAHRES

Pol i t ikaward

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Was ist Ihr Fazit des Konflikts um „Stuttgart 21“?Diese Protestbewegung hat Deutschland einen großen Dienst getan. Sie ist in der Sache zwar gescheitert, in der gesamten Republik hat sie jedoch etwas angestoßen: In Zukunft werden solche Projekte nicht mehr von oben durchgedrückt. Die Bür-gerschaft wird daran beteiligt. Von daher kann ich mit Überzeugung sagen, dass diese Protestbewegung erfolgreich war.Der Protest als Lehrstunde in Sachen Demokratie.Nicht nur das. Die Demonstrationen waren ein großer Schritt in Richtung Bür-gergesellschaft. Wenn wir erreichen, dass die Zivilgesellschaft die gleichen Mög-lichkeiten hat, so auf Regierung und Par-

lament einzuwirken, wie es starke Inte-ressenvertretungen und Lobbys schon immer getan haben, dann haben wir einen guten Job gemacht.Sind Sie ein Befürworter von direkter Demokratie?Ja, denn es gibt keinen Grund, dem Volk zu verweigern, solche Entscheidungen wie „Stuttgart 21“ anzufechten. Genauso wichtig ist jedoch, neue Formate zu ent-wickeln, die es den Bürgern ermögli-chen, sich an neuen Infrastrukturprojek-ten und ähnlichen strittigen Vorhaben zu beteiligen. Zum Schluss müssen na-türlich immer gewählte Mehrheiten dar-über abstimmen – oder eben das gesamte Volk.Sie sind der erste grüne Ministerprä-sident in Deutschland. Wie haben die Mitarbeiter im Stuttgarter Staatsmi-nisterium, dieser alten CDU-Bastion, auf Sie reagiert?Im Staatsministerium arbeite ich mit einer hervorragenden Ministerialverwal-tung zusammen. Das sind engagierte Beamte, die das machen, was sie sollen. Dazu gehört auch, einen Wechsel an der Spitze zu akzeptieren. Die Verwaltung folgt dem Demokratieprinzip. Das ist die Theorie – es ist erfreulich, das in der Pra-xis mitzuerleben.Als p&k Sie Ende November mit dem Politikaward ausgezeichnet hat, hielt Fo

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Winfried Kretschmannist seit Mitte Mai baden-württembergischer Ministerpräsident und Deutschlands erster grüner Regierungschef. Die Jury begründete ihre Wahl, den 63-Jährigen zum „Politiker des Jahres“ zu küren, mit dem „neuen Politikstil der Offenheit und Beteiligung“ die Kretsch-mann in die Landespolitik gebracht hat.

vativen Ecken. Und auch eines der wich-tigsten Ziele der Grünen ist konserva-tiv: die Schöpfung zu bewahren. Aber ich würde mich eher als Liberalen bezeich-nen. Und selbst mit der Nachhaltigkeit ist es doch so: Um etwas bewahren zu kön-nen, muss man Dinge auch verändern. Zum Beispiel das aktuelle Wirtschafts-system.Ist Ihnen die Occupy-Bewegung sym-pathisch?Durchaus. Die Finanzmärkte haben eine dienende Funktion gegenüber der Re-alwirtschaft. Sie daran zu erinnern, und zwar heftig und klar, das ist richtig.Sie engagieren sich in der katholi-schen Kirche, deren Papst anmahnt, dass der Mensch nicht zum Diener des Kapitals werden dürfe. Wurzelt Ihre Sympathie für die Occupy-Bewe-gung im Glauben?Die soziale oder sozialökologische Markt-wirtschaft ist natürlich durch das christli-che Gedankengut imprägniert. Die Nächs-tenliebe ist – neben der Gottesliebe – das wichtigste Gebot. Mit dem Subsidiaritäts-gedanken hat die Kirche der Welt außer-dem ein wunderbares Geschenk gemacht. Bedauerlich ist, dass sie es nur als Export-artikel betrachtet. In den eigenen Reihen wird es nicht wirklich angewendet.Der Konflikt um „Stuttgart 21“ war einer der Gründe für Ihren Wahlsieg Ende März, doch müssen Sie als Mi-nisterpräsident nun für die Umset-zung des Projekts sorgen. Haben Sie keine Angst, dass Sie Ihre Wähler ver-prellen werden?Das Volk hat gesprochen – und zwar in einer direkten Abstimmung. Mehr De-mokratie geht einfach nicht. Deswegen muss jeder Demokrat das akzeptieren. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen: In einer Demokratie entscheidet am Ende immer die Mehrheit – und nicht die Wahrheit. Und das ist gut so.Werden Sie Wasserwerfer einsetzen, wenn die „S21“-Gegner auch weiter-hin gegen das Bauprojekt demonst-rieren?Ich bin qua Amt dazu verpflichtet, Recht zu wahren – dazu gehört auch das Bau-recht. Aber dazu gehört auch das De-monstrationsrecht. Um dort eine ausge-wogene Balance zu finden, orientiere ich mich an der Verhältnismäßigkeit der Mit-tel. Diese muss man beachten. Aber mir ist auch klar: Letztlich bleibt das ein Di-lemma, das ich nie ganz lösen kann.

Thomas Schmid, der Herausgeber der Welt-Gruppe, die Laudatio. Schmid, der Sie gut kennt, sagte, dass er Ihren neuen Weg mit Sympathie verfolge, aber auch mit Sorge. Muss er das?Höchstens, wenn es um meine Gesund-heit geht.Spüren Sie bereits die Belastung durch das Amt?Es beansprucht einen mit einer Totali-tät, die ich so nicht erwartet habe. Jeder, der in so ein Amt gewählt wird, muss sich ganz gezielt Freiräume schaffen, sonst hält er das auf Dauer nicht durch.Sehnen Sie sich womöglich nach der Oppositionsbank zurück?Nein, in keiner Weise. Unser Ziel in der Opposition war es ja, die Regierung abzu-lösen. Nach 30 Jahren haben wir das jetzt endlich geschafft.Müssen Sie sich als Regierungschef oft verbiegen?Etwas biegen lassen muss ich mich schon. Jeder Halbsatz wird jetzt auf die Gold-waage gelegt. Ich kann also nicht mehr ganz so unbekümmert reden wie in der Opposition. Aber mich in meinem Alter verbiegen zu lassen? Nein.Fühlen Sie sich inzwischen schon als Landesvater, oder ist das nicht die Rolle, in der Sie sich sehen?In den ersten drei Monaten habe ich mich gegen den Begriff gewehrt. Ich finde ihn so paternalistisch. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Es scheint ein Bedürfnis nach diesem Typ Politiker zu geben. Ich interpretiere das einfach so: In schweren Krisenzeiten wollen die Men-schen jemanden haben, der besonnen und verlässlich ist.Auf Bundesebene befinden sich die Grünen im Umfrage-Sinkflug, ihre Werte in Baden-Württemberg dage-gen steigen.Das bekomme ich mit. Aber als Christ weiß ich, dass zwischen Hosianna und Kreuzigung nur drei Tage liegen.

„Ich kann nicht mehr so unbekümmert reden wie in der Opposition“

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Was Politiker von Machiavelli & Co lernen können

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����������Die Sozialen Medien spielen bei der arabischen Revolution eine wichtige Rolle. ����������������

����������Wie Helmut Metzner von den Medien zum „Maulwurf“ gemacht wurde. ����������

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���������Die US-Kampagnentrends

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�����������Das Internetportal Greenleaks soll helfen, Umweltskandale aufzudecken. ���������

����������Die Bundeswehr wird zur Freiwilligenarmee – künftig muss sie um Soldaten werben. �����������

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Zwischen Fraktionszwang und Gewissen

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������������US-Botschafter Philip Murphy über den American Dream – und über Wikileaks ����������������

����������Die Bürger erwarten mehr Transparenz – doch die Parlamentarier tun sich schwer �����������������

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Die Lobby der Netzbürger formiert sich

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�����Welche Rolle das Design im modernen Wahlkampf spielt �����������

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Ihre Strategien, ihre Ziele

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����������Die Politik setzt immer stärker auf Youtube-Filme als Kommunikationskanal ���������

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