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Praktikum Hochfrequenztechnik, Teil 1 Impulsreflektometrie SoSe 2017 1 Einleitung In diesem Versuch werden verschiedene St¨ orstellen auf Leitungen mithilfe der Methode der Impulsreflektometrie (engl. time-domain reflectometry, TDR) analysiert. Die Impulsreflektometrie ist ein Messverfahren, mit dem von einer St¨ orstelle (z.B. Ste- cker¨ ubergang oder Leitungsstoßstelle) neben der Gr¨ oße des Reflexionsfaktors auch ihre ¨ ortliche Lage bestimmt werden kann. Prinzip: Ein auf die zu untersuchende Schaltung gegebener Spannungssprung wird an jeder Diskontinuit¨ at (St¨ orstelle, z.B. Stecker mit Reflexion, Leitungs¨ ubergang mit ande- rem Leitungswellenwiderstand. . . ) mehr oder weniger stark reflektiert. Das Eintreffen des reflektierten Spannungssprungs wird am Eingang der Schaltung mit einem Oszilloskop verfolgt. Aus der Laufzeit l¨ asst sich der Ort der Diskontinuit¨ at und aus der Form, Gr¨ oße und Polarit¨ at des reflektierten Signals die Art der Diskontinuit¨ at und die Gr¨ oße ihres Reflexionsfaktors bestimmen. 2 Theorie Die Grundidee wird zun¨ achst an einem einfachen Beispiel veranschaulicht. 2.1 Verlustlose Leitung mit dem Wellenwiderstand Z L , Abschluss mit einem beliebigen reellen Widerstand R Eine verlustlose Leitung mit dem Wellenwiderstand Z L soll mit einem beliebigen reellen Widerstand R abgeschlossen sein (Bild 1). Zum Startpunkt sei die erzeugte Spannung am Anfang: U 0 2 (t) t U 0 2s Da es sich um eine Sprungfunktion handelt, wird diese zur Vereinfachung im Laplace- Bereich betrachtet. Nach einer Laufzeit t 1 = l/c 0 wird die Spannungsamplitude am Ende 1

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Praktikum Hochfrequenztechnik, Teil 1Impulsreflektometrie

SoSe 2017

1 Einleitung

In diesem Versuch werden verschiedene Storstellen auf Leitungen mithilfe der Methodeder Impulsreflektometrie (engl. time-domain reflectometry, TDR) analysiert.Die Impulsreflektometrie ist ein Messverfahren, mit dem von einer Storstelle (z.B. Ste-ckerubergang oder Leitungsstoßstelle) neben der Große des Reflexionsfaktors auch ihreortliche Lage bestimmt werden kann.Prinzip: Ein auf die zu untersuchende Schaltung gegebener Spannungssprung wird anjeder Diskontinuitat (Storstelle, z.B. Stecker mit Reflexion, Leitungsubergang mit ande-rem Leitungswellenwiderstand. . . ) mehr oder weniger stark reflektiert. Das Eintreffen desreflektierten Spannungssprungs wird am Eingang der Schaltung mit einem Oszilloskopverfolgt. Aus der Laufzeit lasst sich der Ort der Diskontinuitat und aus der Form, Großeund Polaritat des reflektierten Signals die Art der Diskontinuitat und die Große ihresReflexionsfaktors bestimmen.

2 Theorie

Die Grundidee wird zunachst an einem einfachen Beispiel veranschaulicht.

2.1 Verlustlose Leitung mit dem Wellenwiderstand ZL, Abschlussmit einem beliebigen reellen Widerstand R

Eine verlustlose Leitung mit dem Wellenwiderstand ZL soll mit einem beliebigen reellenWiderstand R abgeschlossen sein (Bild 1).

Zum Startpunkt sei die erzeugte Spannung am Anfang:

U0

2ε(t) t d U0

2s

Da es sich um eine Sprungfunktion handelt, wird diese zur Vereinfachung im Laplace-Bereich betrachtet. Nach einer Laufzeit t1 = l/c0 wird die Spannungsamplitude am Ende

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Abbildung 1: Sprungfunktion auf einer Leitung.

reflektiert. Bekanntlich betragt der Reflexionsfaktor am Leitungsende

r =R− ZLR + ZL

.

Soll der Spezialfall R = ZL ⇔ r = 0 (Anpassung) vorliegen, so beobachtet man amAnfang keine Veranderung der Spannungsamplitude. Ist das nicht der Fall, dann ergibtsich nach einer weiteren Zeitdauer t1 die Spannungsamplitude am Anfang als:

Ua =U0

2s+ Ur mit Ur = r

U0

2sexp(−2t1s)

Die Spannungsamplitude andert sich um den Faktor 1 + r. Damit sieht man, dass anhandder Messung der Spannungsamplitude am Anfang einer Leitung, eine Storung an einerbeliebigen Stelle erkannt werden kann. Die Art der Storung kann je nach der Art desSpannungsverlaufs durch ein i.A. RLC-Ersatzschaltbild modelliert werden und ihre genaueStelle kann durch Berucksichtigung vom Zeitpunkt der Spannungsanderung bestimmtwerden.

2.2 Verlustlose Leitung mit dem Wellenwiderstand ZL,abgeschlossen mit einem beliebigen komplexen Widerstand z

Der genaue Verlauf des Reflexionsoszillogramms lasst sich fur beliebige Abschlusswi-derstande rechnerisch durch Multiplikation von r(s) [r(s): Reflexionsfaktor des Abschluss-widerstandes in Abhangigkeit von der komplexen Kreisfrequenz s = σ + jω] mit derLaplace-Transformierten des Sprungimpulses und anschließender Rucktransformation die-ses Produktes in den Zeitbereich ermitteln. Fur die Serienschaltung von Spule L und Wi-derstand R nach Bild 2 lasst sich das Reflexionsoszillogramm folgendermaßen berechnen:

Die Ausgangsspannung des Impulsgenerators u1(t)

u1(t) =U0

2· ε(t) (1)

2

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mit ε(t) = 0 fur t < 0 und ε(t) = 1 fur t >= 0 ergibt sich durch Laplacetransformationfolgende Gleichung 2:

U1(s) =U0

2· 1

s. (2)

Damit ergibt sich die Spannung am Abtasttor U(s)

u(t) = u1(t) + ur(t) (3)

U(s) =U0

2· 1

s

(1 + r(s) · e−2t1s

)(4)

mit r(s) = sL+R−ZL

sL+R+ZLwie folgt im s-Bereich

U(s) =U0

2

(1

s+

s+ R−ZL

L

s(s+ R+ZL

L)· e−2t1s

). (5)

Im Zeitbereich ist u(t) damit

u(t) =U0

2·(ε(t) +

[R− ZLR + ZL

+2ZL

R + ZL· e−(t−2t1)/τ

]ε(t− 2t1)

)(6)

mit τ = LR+ZL

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Abbildung 2: Reflexionsoszillogramm fur Reihenschaltung von Spule und Widerstand.

Die Reflexionsoszillogramme fur verschiedene Abschlusswiderstande sind in Bild 3 zu-sammengefasst.

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Abbildung 3: Verlauf der reflektierten Spannung.

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2.3 Verlustlose Leitung mit mehreren Stoßstellen

Nun soll die verlustlose Leitung mehrere Stoßstellen (mit reellen Reflexionsfaktoren) auf-weisen (Bilder 4 und 5).

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Abbildung 4: Spannungsverlauf fur Mehrfachreflexionen.

In diesem Fall ist nur die Reflexion r1 der ersten Stoßzelle direkt angezeigt. Zur Berech-nung des zweiten Reflexionsfaktors r2 dient das Gitterdiagramm nach Bild 5.

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Abbildung 5: Gitterdiagramm fur Mehrfachreflexion.

Eine Welle mit der normierten Amplitude 1 kommt auf die erste Stoßstelle ZL0, ZL1und wird mit

r1 =(ZL1 − ZL0)(ZL1 + ZL0)

(7)

reflektiert. Die Amplitude der weiterlaufenden Welle ist mit 1 + r1 gegeben. In Folge derzweiten Fehlanpassung ZL1, Z2 wird sie mit

r2 =(Z2 − ZL1)(Z2 + ZL1)

(8)

reflektiert. Nach erneuter Teilreflexion an der ersten Stoßstelle betragt die Amplitude derzweiten, rucklaufenden Teilwelle

r′2 = r2(1− r21

). (9)

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Dieser Wert wird auf dem Reflexionsoszillogramm in Bild 4 angezeigt. Da sich r1 und r′2aus Bild 4 ablesen lassen, ist somit auch r2 bekannt.

3 Durchfuhrung und Messung

Zur Veranschaulichung des Messaufbaus soll die Blockschaltung eines Impulsreflektome-ters mit Abtastoszilloskop betrachtet werden (Abb. 6). Es enthalt einen Triggergenerator,der einerseits das Abtastoszilloskop triggert, andererseits uber eine Verzogerungsschaltungden Sprungfunktionsgenerator steuert. Die abgegebene Sprungspannung gelangt zum einenauf die Abtast-Halte-Schaltung, zum anderen nach der Laufzeit t1 auf das Messobjekt.Die am Messobjekt reflektierte Spannung addiert sich dann an der Abtastschaltung nachder Laufzeit 2t1 zu der anliegenden Sprungspannung.Das Abtastoszilloskop besteht aus der Abtast-Halte-Schaltung und dem Vertikalverstarkersowie Baugruppen fur die Zeitbasis und die Abtastimpulserzeugung. Die Zeitbasis enthaltden langsamen und schnellen Sagezahngenerator sowie den Komparator, der bei Span-nungsgleichheit den Abtastimpulsgenerator triggert. Die Ausgangsspannung des langsa-men Sagezahngenerators wird dem x-Verstarker des Oszilloskops zugefuhrt.

Abbildung 6: Blockschaltung eines Impulsreflektometers.

Sprungfunktionsgenerator Der steile Spannungssprung (engl. step function) wird nachBild 7 mit einer Tunneldiode erzeugt.

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Abbildung 7: Erzeugung eines steilen Spannungssprungs.

Dargestellt ist in der Mitte die statische Kennlinie einer Tunneldiode, die einen Teil mitnegativer Spannung aufweist. Die Tunneldiode ist mit einem Lastwiderstand beschaltet,so dass sich bei einem bestimmten Ruhestrom der Arbeitspunkt A mit der Spannung UD1

einstellt. Fließt zum Zeitpunkt t = t0 der Triggerstrom IT zusatzlich durch die Tunneldi-ode, springt die Spannung fur I > IP sehr schnell auf den Wert UD2 (Arbeitspunkt B), diesich nach dem Abschalten des Triggerstroms auf den Wert UD3 (Arbeitspunkt C) vermin-dert. Mit einem negativen Triggerstromimpuls kann der Arbeitspunkt A wieder erreichtwerden. Der sehr schnelle Spannungssprung von A nach B (etwa 20 ps sind erreichbar)wird in einem Sprungfunktionsgenerator ausgenutzt.

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Abbildung 8: Prinzip der Abtast-Halte-Schaltung (engl. sampling and hold).

Abtast-Halte-Schaltung Das Prinzip der Abtast-Halte-Schaltung ist in Bild 8 gezeigt.Sie besteht aus schnellen Schaltdioden D1 und D2 (Schottky-Dioden), Koppelkondensa-toren C1 und C2, Widerstanden R1 und R2 und der Speicherkapazitat C3. Das abzutas-tende Signal wird auf den Eingang E gegeben. Die Abtastdioden D1 und D2 sind imRuhestand gesperrt. Zum Abtastzeitpunkt wird auf die Impulseingange 1 und 2 jeweils

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ein sehr schmaler negativer bzw. positiver Impuls gegeben, so dass die Dioden kurzzei-tig durchschalten. Damit wird uber R1 und R2 der Haltekondensator C3 auf einen derEingangsspannung proportionalen Wert aufgeladen, der dann am Ausgang A anliegt.

Abtastoszilloskop Die Zeit- und damit die Ortsauflosung des TDR-Verfahrens ist abhangigvon der Flankensteilheit des Spannungssprungs und von den Bandbreiten des zu messen-den Systems. Die obere Frequenzgrenze ublicher Breitbandoszilloskope liegt bei einigen100 MHz; eine großere Bandbreite und außerdem eine hohere Ubersteuerungsfestigkeit be-sitzt das sog. Abtastoszilloskop (engl. sampling oscilloscope), bei dem nicht das gesamteSignal gemessen wird, sondern immer einzelne Zeitpunkte des Signals in regelmaßigenAbstanden abgetastet wird, was eine periodische Wiederholung des Signals voraussetzt.

Das zu messende Signal muss sich immer wiederholen und wird von einem Abtastim-puls sehr geringer Dauer T in jeder Periode einmal abgetastet. Der Abtastzeitpunkt wirdfolgendermaßen festgelegt (siehe Abb. 9): Aus dem zu messenden Signal wird ein Trigge-rimpuls abgeleitet, der seinerseits einen schnellen Sagezahn auslost. Stimmt die Spannungdieses schnellen Sagezahns mit einer Referenzspannung uberein, wird der Abtastimpulsausgelost. Hat diese Referenzspannung eine Rampen- oder Treppenform, wird der Abta-stimpuls von Periode zu Periode um einen konstanten Betrag verschoben. Der abgetas-tete Wert wird gespeichert und dem Vertikalverstarker des Oszilloskops zugefuhrt. DieEinhullende der abgetasteten und gehaltenen Spannungswerte stellt dann das abzubil-dende Signal in einem transformierten Zeitmaßstab dar.

Abbildung 9: Prinzip des Abtastoszilloskops.

Die obere Frequenzgrenze des Abtastverfahrens ist abhangig von der Breite und vomgenauen zeitlichen Einsatz des Abtastimpulses (z.Z. lassen sich mit Lawinentransistorenzur Rechteckimpulserzeugung und mit Speicherschaltdioden zur Formung der PulsflankenAbtastimpulse mit einer Breite von ca. 25 ps erzeugen, woraus eine Grenzfrequenz von18 GHz resultiert).

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4 Aufgaben

4.1 Vorbereitungsaufgaben

Berechnen Sie fur die beiden gezeigten Anordnungen in Bild 10 die Sprungantwort, undstellen Sie diese graphisch dar.

Abbildung 10: Verschiedene Leitungsabschlusse

4.2 Versuchsaufgaben und Auswertung

1. Messen Sie die Eigenanstiegszeit tr des Gerates. Diese ist die Zeit, die ein Impulsbenotigt, um von 10% auf 90% relativer Amplitude zu steigen.

2. Messen Sie die mechanische Lange eines Koaxialkabels. Fuhren Sie dazu eine Leer-laufmessung durch und bestimmen Sie daraus die Signallaufzeit. Berechnen Sie an-schließend die Permittivitatszahl εr des Kabeldielektrikums.

3. Bestimmen Sie die Sprungantwort eines Widerstands mit langen Anschlussdrahten,skizzieren Sie den Kurvenverlauf und bestimmen Sie aus dem Endwert und derZeitkonstante τ die Großen L und R.

4. Messen Sie die Sprungantwort einer Wellenleiterverzweigung und vergleichen Sie dieErgebnisse mit der Theorie aus der Vorbereitungsaufgabe (b).

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