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Predigt über Amos 5,21-24 am Sonntag vor der Passionszeit (19.2.2012) in der Auferstehungskirche
Großhansdorf-Schmalenbeck. Von Pastor Dr. Christoph Schroeder
Liebe Gemeinde,
„Und wenn ich prophetisch reden könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ Prophet
werden, das kann man sich nicht vornehmen und planen. Amos ist Bauer. Genauer: Er ist
Maulbeerfeigenzüchter. Maulbeerfeigen, das sind ziemlich kleine Feigen. Sykomoren heißen die
Bäume, an denen sie wachsen. Die stehen oft an den Straßen als Schattenspender. Als der Zöllner
Zachäus Jesus sehen will, steigt er auf einen Maulbeerfeigenbaum. Weil Maulbeerfeigen nicht so
gut und süß sind wie die, die wir kennen, müssen sie veredelt werden. Das geschieht, indem man
sie anschneidet, bevor sie reif sind. Das ist die Arbeit, der Amos nachgeht. Mühsam, den Baum
hochklettern und die einzelnen Früchte mit einem Messer anritzen. Nebenher hat Amos noch
eine Herde von Schafen und Ziegen. Mit diesen beiden Aufgaben ist er ganz gut ausgefüllt.
Dann passiert, womit er nicht gerechnet hat: „Der Herr nahm mich von der Herde und sprach zu
mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel.“ Von einem Tag auf den anderen verändert sich
sein Leben.
Amos kommt aus dem Südreich. Weissagen soll er aber im Nordreich Israel mit seiner
Hauptstadt Samaria und dem ehrwürdigen Heiligtum in Bethel. Sozusagen als Ausländer. Warum
Gott wohl ausgerechnet ihn ausgesucht hat? Weil jemand von außen einen klareren Blick hat.
Weil jemand, der täglich mit der Natur umgeht, ein Gespür dafür hat, wie alles miteinander
zusammenhängt. Wahrscheinlich denkt er, sein Auftrag dauert ein paar Wochen, höchstens ein
paar Monate. Vielleicht bittet er einen Nachbarn, die Tiere zu versorgen. Ein professioneller
Prophet, der damit sein Geld verdient, ist er jedenfalls nicht.
Das, was Amos dort im Nordreich den Leuten weissagt, klingt nicht gerade freundlich:
„Höret dies Wort, ihr fetten Kühe, die ihr auf dem Berge Samarias seid und den Geringen
Gewalt antut und schindet die Armen und sprecht zu euren Herrn: Bringt her, lasst uns saufen!“
Fette Kühe, so nennt er die reichen Frauen. Wie Kühe im Stroh, so fläzen sie sich in ihren Villen
auf den Sofas. Auf Kosten der Armen feiern sie rauschende Feste und betrinken sich dabei.
Amos nimmt kein Blatt vor den Mund. Er nennt die Dinge beim Namen. So redet er die
Machthaber und Geschäftemacher an: „Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt und die
Elenden im Lande zugrunde richtet.“ Er spricht öffentlich aus, was sie heimlich denken:
„Ihr sprecht: Wann will denn der Neumond ein Ende haben, dass wir Getreide verkaufen, und
der Sabbat, dass wir Korn feilhalten können und das Maß verringern und den Preis steigern und
die Waage fälschen, damit wir die Armen um Geld und die Geringen um ein paar Schuhe in
unsere Gewalt bringen und Spreu für Korn verkaufen?“
Wann ist der Sonntag endlich zu Ende, dass wir unsere Läden öffnen können? Wann wird der
verkaufsoffene Sonntag eingeführt? Unsere Ware wird zwar unter unwürdigen Bedingungen in
China und Bangladesh hergestellt. Von dem Hungerlohn können die Arbeiter dort kaum leben.
Die Näherinnen bekommen fast nichts. Hauptsache wir machen Profit und haben am Ende den
Maximalgewinn herausgewirtschaftet. So muss das weitergehen!
2
Wie denkt Gott darüber? „Der Herr hat bei sich, dem Ruhm Jakobs, geschworen: niemals werde
ich diese ihre Taten vergessen!“ Aber die Geschäftemacher lassen sich von dieser Drohung nicht
verunsichern.
Im Gegenteil. Da es die Feiertage nun einmal gibt, lassen sie sich nicht lumpen. Sie gehen in den
Tempel, bringen Opfer dar und geben viel Geld für Kultur und für die schönsten Gottesdienste
aus. Sie lassen sich feiern als Mäzene und Sponsoren.
Auch da tritt Amos auf.
„So spricht Gott der Herr: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure
Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speiseopfer opfert, so
habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von
mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das
Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Im Alltag krumme Geschäfte machen, das Recht beugen, die Gewichte der Waage fälschen,
Menschen klein machen und schikanieren, sie unter Druck setzen und über den Tisch ziehen, das
eigene Machtgefühl steigern, indem man andere herabsetzt. Und dann am Sonntag schöne
Gottesdienste feiern, sich durch Kultur von den Kämpfen der Woche reinigen. Geradezu
allergisch und angeekelt reagiert Gott auf dieses gespaltene Verhalten. Als sei er nur der Gott des
Sonntags und nicht auch des Alltags! Als habe das eine nichts mit dem anderen zu tun.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Das ist das Bild, das Amos gegen die Missstände stellt, die er aufzählt und öffentlich macht. Als
Bauer, der täglich mit der Natur umgeht, fällt es ihm leicht, die Zusammenhänge, die er dort
beobachtet, auf das menschliche Zusammenleben zu übertragen. Besonders in trockenen,
wüstenartigen Gegenden ist Wasser ein Lebenselixier. Gerechtigkeit ist wie Wasser. Aber Wasser
ist nicht gleich Wasser. Damit kennt Amos sich aus. Wasser, das sich in einem Tümpel
angesammelt hat, wird schnell trübe. In der Hitze wird es zu einer Brutstätte von Keimen.
Trinken kann man es nicht. Es wird schnell ungenießbar und ist dann eine Gefahr für die
Gesundheit.
Platzregen kann ein Bachbett auf einmal mit Wasser füllen. Wo vorher nur Sand war, fließt auf
einmal ein reißender Strom. Schon ein paar Stunden später kann er wieder weg sein. Es nützt
nichts, wenn Gerechtigkeit nur sporadisch geübt wird. „Du bist mir geworden wie ein
Trugbach.“ So klagt der Prophet Jeremia Gott einmal an. Er meint, Gott entziehe sich ihm wie
ein trügerischer Bach, der nach ein paar Stunden wieder verschwunden ist, und er könne sich auf
seine Treue nicht mehr verlassen.
Amos tritt da auf, wo das Recht gebeugt und verdreht wird. Das Wasser wird trübe. Einige
wenige leiten das Wasser auf ihre Mühlen. Für die anderen bleibt nur ein mageres Rinnsal.
Bestechungsgelder fließen. Die Richter geben ihre Unabhängigkeit auf. Die Starken bereichern
sich auf Kosten der Armen. Aber wenn der Bach umgeleitet oder verdreckt wird, geht das Leben
an seinen Ufern ein.
3
Manchmal strömt Wasser aus einer Quelle, und sie speist einen nie versiegenden Bach. Tiere und
Menschen leben an seinen Ufern. Da gedeihen Bäume und Blumen. „Der ist wie ein Baum,
gepflanzt an den Wasserbächen und trägt seine Frucht zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken
nicht. Und was er macht, das gerät wohl.“ So beschreibt der Psalmist den Gerechten. Der Baum
ist auf das Wasser angewiesen. Eine Gesellschaft und die Menschen in ihr darauf, dass Recht und
Gerechtigkeit beständig geübt werden. Nur dann kann menschliches Zusammenleben gedeihen.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Die Menschen damals lassen sich von Amos nicht zur Einsicht bringen. Ausgerechnet der
Priester des Heiligtums in Bethel verweist ihn des Landes: „Du Seher, geh weg und flieh ins Land
Juda und iss dort dein Brot und weissage daselbst.“ Was für eine einfache Lösung - den Kritiker
mundtot machen. Erst als es zu spät ist, merken sie, dass sie besser auf ihn gehört hätten.
Liebe ist mehr als die private Zweisamkeit. Sonntag und Alltag gehören zusammen. Liebe ist
unteilbar; sie muss sich im gesellschaftlichen Zusammenleben bewähren. Diese prophetische
Botschaft hat der Apostel Paulus wieder in Erinnerung gerufen. „Hätte ich die Liebe nicht, so
wäre ich nichts.“ Diese Einsicht ist überlebenswichtig. Genauso das Bild, das Amos entwirft:
„Es ströme aber das Recht wie Wasser, und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Amen.