102
Atom-, Molek¨ ul- und Quantenphysik Prof. Dr. A. T¨ unnermann

Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Atom-, Molekul- und Quantenphysik

Prof. Dr. A. Tunnermann

Sommersemster 2007

Page 2: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Inhaltsverzeichnis

1 Das Wasserstoff-Atom 71.1 Das optische Spektrum des Wasserstoff-Atoms . . . . . . . . . 71.2 Die Bohrschen Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1.2.1 Energie, Radius und Drehimpuls der n-ten Bahn . . . . 91.2.2 Wasserstoffahnliche Systeme . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.3 Mitbewegung des Kerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.3.1 Myonen-Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1.4 Sommerfelds Erweiterung des Bohrschen Modells . . . . . . . 111.5 Grenzen der Bohr-Sommerfeld-Theorie . . . . . . . . . . . . . 11

1.5.1 Rydberg-Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2 Das mathematische und begriffliche Gerust der Quantenphy-sik 132.1 Messungen, Messwerte, Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . 142.2 Operatoren, Erwartungs- und Eigenwerte . . . . . . . . . . . . 152.3 Der harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3 Quantenmechanik des Wasserstoff-Atoms 183.1 Die Bewegung im Zentralfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.1.1 Bestimmung des Winkelanteils der Wellenfunktion . . . 193.2 Der Radialteil der Wellenfunktion beim Zentralfeld . . . . . . 203.3 Der Radialteil der Wellenfunktion beim Wasserstoff-Atom . . . 223.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.4.1 Entartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.4.2 Aufhebung der Entartung bzgl. l und m . . . . . . . . 23

4 Alkaliatome 254.1 Abschirmung der Kernladung durch innere Elektronenschalen 264.2 Termschema der Alkaliatome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

4.2.1 Bezeichnungsweise der Terme . . . . . . . . . . . . . . 274.2.2 Tiefere Schalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2

Page 3: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

4.3 Theoretische Modelle fur Mehrelektronensysteme . . . . . . . 27

5 Bahn- und Spinmagnetismus, Feinstruktur 28

5.1 Magnetisches Moment der Bahnbewegung . . . . . . . . . . . 28

5.1.1 Bohrsches Magneton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

5.2 Prazession und Orientierung im Magnetfeld . . . . . . . . . . 29

5.3 Spin und magnetisches Moment des Elektrons . . . . . . . . . 30

5.3.1 Gyromagnetisches Verhaltnis . . . . . . . . . . . . . . . 31

5.4 Nachweis der Richtungsquantelung durch Stern und Gerlach . 31

5.5 Feinstruktur und Spin-Bahn-Kopplung . . . . . . . . . . . . . 32

5.6 Spin-Bahn-Aufspaltung im Bohrschen Atommodell . . . . . . 33

5.6.1 Auswahlregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

5.7 Feinstruktur beim Wasserstoffatom . . . . . . . . . . . . . . . 34

5.8 Lamb-Verschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

5.8.1 Uberblick uber die verschiedenen Aufspaltungsvorgange 35

6 Atome im Magnetfeld - Halbklassische Beschreibung 36

6.1 Elektronenspin-Resonanz (ESR) . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

6.2 Zeeman-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

6.2.1 Klassische Erklarung des normalen Zeeman-Effekts . . 37

6.2.2 Quatentheoretische Erklarung des normalen Zeeman-Effekts (Vektormodell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

6.2.3 Quatentheoretische Erklarung des anomalen Zeeman-Effekts (Vektormodell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

6.3 Magnetisches Moment bei der Spin-Bahn-Kopplung . . . . . . 40

6.4 Paschen-Back-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

7 Atome im Magnetfeld - Quantenmechanische Behandlung 42

7.1 Quantentheorie des normalen Zeeman-Effekts . . . . . . . . . 42

7.2 Quantentheoretische Behandlung des Spins . . . . . . . . . . . 43

7.2.1 Spinoperatoren, Spinmatrizen und Spinwellenfunktionen 43

7.2.2 Schrodinger-Gleichung des Spins im Magnetfeld . . . . 44

7.2.3 Spinprazession im konstanten Magnetfeld . . . . . . . . 45

7.3 Quantenmechanische Behandlung des anomalen Zeeman-Effekts 45

7.3.1 Quantentheoretische Betrachtung des Spins in einemkonstanten und einem dazu transversalen zeitabhangi-gen Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

7.3.2 Blochsche Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

7.3.3 Relativistische Theorie des Elektrons . . . . . . . . . . 48

3

Page 4: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

8 Atome im elektrischen Feld 498.1 Stark-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

8.1.1 Linearer Stark-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498.1.2 Quadratischer Stark-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . 49

8.2 Quantentheorie des linearen und quadratischen Stark-Effekts(Storungstheorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508.2.1 Der lineare Stark-Effekt (Storungstheorie mit Entartung) 52

8.3 Wechselwirkung eines Zwei-Niveau-Atoms mit einem koharen-ten Lichtfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

8.4 Spin- und Photonenecho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538.4.1 Spinsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

9 Optische Ubergange 549.1 Ubergangswahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

9.1.1 Induzierte und spontane Ubergange . . . . . . . . . . . 549.1.2 Ubergangswahrscheinlichkeiten und Matrixelemente . . 559.1.3 Ubergangswahrscheinlichkeiten fur Absorption und in-

duzierte Emission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569.2 Auswahlregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

9.2.1 Auswahlregeln fur die magnetische Quantenzahl . . . . 589.2.2 Paritatsauswahlregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589.2.3 Auswahlregeln fur die Spinquantenzahl . . . . . . . . . 58

9.3 Multipolubergange hoherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . 599.3.1 Elektrische Quadrupolstrahlung . . . . . . . . . . . . . 599.3.2 Magnetische Dipolstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . 60

9.4 Lebensdauer angeregter Zustande . . . . . . . . . . . . . . . . 609.5 Linienbreite der Spektrallinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

9.5.1 Naturliche Linienbreite . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619.5.2 Doppler-Verbreiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619.5.3 Stoßverbreiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629.5.4 Sattigungsverbreiterung, Flugzeitverbreiterung . . . . . 63

10 Mehrelektronenatome 6410.1 Das Helium-Atom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

10.1.1 Naherungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6510.1.2 Symmetrie der Wellenfunktion . . . . . . . . . . . . . . 6510.1.3 Elektronenspin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6610.1.4 Das Pauli-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6710.1.5 Termschema des Helium-Atoms . . . . . . . . . . . . . 67

10.2 Aufbau der Elektronenhullen großerer Atome . . . . . . . . . . 6810.2.1 Schalenmodell der Atomhullen . . . . . . . . . . . . . . 68

4

Page 5: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

10.2.2 Hundsche Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6810.2.3 Atomvolumen und Ionisierungsenergien . . . . . . . . . 69

10.3 Theoretische Modelle von Mehrelektronen-Atomen . . . . . . . 6910.3.1 Storungstheoretische Beschreibung des Helium-Atoms . 7010.3.2 Modell unabhangiger Elektronen . . . . . . . . . . . . 7110.3.3 Hartree-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7110.3.4 Elektronenkonfigurationen und Drehimpulskopplungen 72

10.4 Kopplungsschemata fur die Elektronendrehimpulse . . . . . . 7210.4.1 ~L-~S-Kopplung (Russel-Saunders-Kopplung) . . . . . . 7210.4.2 ~-~-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

10.5 Angeregte Atomzustande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7410.5.1 Einfachanregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7410.5.2 Anregung mehrerer Elektronen, Autoionisation . . . . 7410.5.3 Innerschalenanregung: Auger-Prozess . . . . . . . . . . 7510.5.4 Planetarische Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

10.6 Kontinuierliche Absorptions- und Emissionsspektren . . . . . . 7610.6.1 Photoionisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7610.6.2 Rekombinationsstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

11 Hyperfeinstruktur 7711.1 Wechselwirkung mit außeren Magnetfeldern . . . . . . . . . . 7911.2 Kernspin-Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8011.3 Casium-Atomuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

12 Molekule 8112.1 Das H+

2 -Molekulion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8112.1.1 Ansatz zur exakten Losung fur das starre Molekul . . . 8112.1.2 Molekulorbitale und die LCAO-Methode . . . . . . . . 83

12.2 Das H2-Molekul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8512.2.1 Molekulorbitalnahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8512.2.2 Valenzbindungsnaherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

12.3 Elektronische Zustande zweiatomiger Molekule . . . . . . . . . 8712.3.1 Molekulorbitalkonfiguration . . . . . . . . . . . . . . . 8812.3.2 Angeregte Molekulzustande . . . . . . . . . . . . . . . 8812.3.3 Excimere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8912.3.4 Korrelationsdiagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

12.4 Chemische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9012.4.1 Multipolentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9112.4.2 Induzierte Dipolmomente und van-der-Waals-Potential 9112.4.3 Bindungstypen (Zusammenfassung) . . . . . . . . . . . 92

12.5 Rotation und Schwingung zweiatomiger Molekule . . . . . . . 93

5

Page 6: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

12.5.1 Born-Oppenheimer-Naherung . . . . . . . . . . . . . . 9312.5.2 Der starre Rotator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9412.5.3 Zentrifugalaufweitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9512.5.4 Einfluss der Elektronenbewegung . . . . . . . . . . . . 9512.5.5 Schwingung zweiatomiger Molekule . . . . . . . . . . . 9612.5.6 Schwingungs-Rotations-Wechselwirkung . . . . . . . . 9612.5.7 Rotationsbarriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

12.6 Spektren zweiatomiger Molekule . . . . . . . . . . . . . . . . . 9712.6.1 Das Ubergangsmatrixelement . . . . . . . . . . . . . . 9812.6.2 Schwingungs-Rotations-Ubergange . . . . . . . . . . . 9912.6.3 Elektronische Ubergange . . . . . . . . . . . . . . . . . 9912.6.4 Franck-Condon-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10012.6.5 Kontinuierliche Spektren . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

12.7 Elektronische Zustande mehratomiger Molekule . . . . . . . . 10112.7.1 Hybridisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10112.7.2 π-Elektronensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10212.7.3 Chemische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

6

Page 7: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 1

Das Wasserstoff-Atom

1.1 Das optische Spektrum des Wasserstoff-

Atoms

Das Spektrum des Wasserstoffs besteht aus Linien, deren Wellenzahlenν = 1/λ sich mit Hilfe von

ν = RH

(1

n′2− 1

n2

)(1.1)

aus zwei ganzen Zahlen n′, n mit n′ < n und der (experimentell bestimmten)Rydberg-Konstante RH mit dem Wert RH = 109677, 5810cm−1 berechnenlassen. Die Zahlen n′, n werden Hauptquantenzahlen genannt. Fur n → ∞erhalt man die Seriengrenze ν∞. Jenseits der Seriengrenze erstreckt sich dassog. Kontinuum, in dem das Spektrum keine Linien mehr aufweist, sondernkontinuierlich ist.

Als erste wurde 1885 von Balmer die Serie mit n′ = 2 entdeckt (sog.Balmer-Serie). Zu ihr gehoren die drei auffalligsten Spektrallinien des Was-serstoffs im sichtbaren Bereich:

n Bezeichnung λ/[A] in Luft3 Hα 6562, 794 Hβ 4861, 335 Hγ 4340, 46

Die Seriengrenze liegt bei ν∞ = RH/4. Weitere Serien sind mit n′ = 1 dieLyman-, mit n′ = 3 die Paschen-, mit n′ = 4 die Brackett- und mit n′ = 5die Pfund-Serie.

Das Ritzsche Kombinationsprinzip druckt die Moglichkeit der Kombina-tion einzelner Serien aus; es lautet:

7

Page 8: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

”Die Differenz der Frequenzen zweier Linien einer Serie ist

gleich der Frequenz einer Linie, die im gleichen Atom in eineranderen Serie tatsachlich auftritt.“

1.2 Die Bohrschen Postulate

Im Rutherfordschen Atommodell bewegen sich die Elektronen der Massem0 auf Kreisbahnen mit Radius r mit der Kreisfrequenz ω um den Atomkern.Dabei herrscht ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Coulomb-Kraft undZentrifugalkraft:

e2

4πε0r2= m0rω

2 (1.2)

Die zugehorige Gesamtenergie E = Ekin + Epot (wobei Epot durch eine ne-gative Bindungsenergie gegeben ist) lasst sich unter Verwendung von Gl. 1.2schreiben als:

E =1

2m0r

2ω2 − e2

4πε0r= −1

2

e2

4πε0r(1.3)

Die klassische Theorie wirft dabei folgende Probleme auf:

• Es sind Bahnen mit beliebigem Radius r erlaubt, also sollten auchkontinuierliche Energiewerte E moglich sein; dies widerspricht den ex-perimentellen Befunden.

• Die Elektronen auf den Kreisbahnen sollten als beschleunigte Ladungenelektromagnetische Strahlung mit der Frequenz ν = ω/2π abstrahlen(Hertzscher Oszillator). Dabei mussten sie Energie verlieren, die Bah-nen waren also instabil.

Mit Hilfe dreier Postulate versuchte Bohr, die Diskrepanz zwischen klassi-scher Physik und Beobachtung zu uberbrucken:

1. Fur die Elektronen im Atom gelten die klassischen Bewegungsgleichun-gen. Es sind aber nur Bahnen, die diskreten Energiewerten En entspre-chen, zulassig.

2. Auf diesen ausgewahlten Bahnen bewegen sich die die Elektronen strah-lungslos. Der Ubergang zwischen einer Bahn mit der Energie En undeiner Bahn mit En′ kann durch Absorption bzw. Emission eines Quantsmit der Energie En−En′ = hν erfolgen. Ein Vergleich mit Gl. 1.1 zeigt,dass die Energieterme gegeben sein mussen durch

En = −Rhcn2

(1.4)

8

Page 9: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

3. Mit wachsendem Bahnradius r gehen die Gesetze der quantisiertenAtomphysik in diejenigen der klassischen Physik uber. Damit kann furgroße Hauptquantenzahlen n die Rydberg-Konstante durch Vergleichder Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen mit der Frequenzder emittierten oder absorbierten Strahlung berechnet werden:

R =m0e

4

8ε20h

3c(1.5)

Der aus dieser Formel bestimmte Zahlenwert wird als R∞ bezeichnetund lautet R∞ = (109737, 318± 0, 012)cm−1.

Die Bohrschen Postulate beschreiben Zustande, keine Vorgange. Es werdenkeine Aussagen uber den zeitlichen Verlauf der Strahlungsaussendung ge-macht, sondern nur Anfangs- und Endzustand beschrieben.

1.2.1 Energie, Radius und Drehimpuls der n-ten Bahn

Mit Gl. 1.4 und Gl. 1.5 ergibt sich die Energie der n-ten Bahn zu

En =m0e

4

8ε20h

2n2(1.6)

und durch Vergleich mit Gl. 1.3 erhalt man fur den quantisierten Bahnradius

rn =n2h24πε0

e2m0

. (1.7)

Aus dieser Quantisierung und der diskreten Kreisfrequenz ωn = πm0e4/(2ε2

0h3n3)

folgt, dass auch der Drehimpuls ~l = ~r × ~p nur bestimmte Werte annehmenkann: ∣∣∣~l ∣∣∣ = m0r

2nωn = n · h (1.8)

1.2.2 Wasserstoffahnliche Systeme

Durch die Anwedung des Bohrschen Modells auf wasserstoffahnliche Ato-me (ein Kern der Ladungszahl Z wird von einem einzelnen Elektron um-kreist), erhalt man die entsprechenden Energieterme und Radien zu

En = − Z2e4m0

32π2ε20h

2n2(1.9)

rn =n2h24πε0

Ze2m0

(1.10)

9

Page 10: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

und daraus eine angepasste Formel analog zu Gl. 1.1 fur die Wellenzahl derSpektrallinien.

Der Verschiebungssatz von Sommerfeld und Kossel beschreibt denZusammenhang zwischen dem Spektrum eines Atoms und dem seines Nach-barn im Periodensystem:

”Das Spektrum eines beliebigen Atoms ist sehr ahnlich dem

Spektrum des einfach positiv geladenen Atoms, das im Perioden-system folgt.“

1.3 Mitbewegung des Kerns

Zwischen der theoretisch berechneten Große R∞ (Gl. 1.5) und der ge-messenen Große RH = 109677, 5810 cm−1 (Gl. 1.1) besteht ein leichter Un-terschied, der dadurch zustande kommt, dass im bisher behandelten Modellein unedlich schwerer Kern angenommen wurde. Bei einem Kern mit end-licher Masse M muss berucksichtigt werden, dass die Bewegung von Kernund Elektron um einen gemeinsamen Schwerpunkt erfolgt. Deshalb ist in al-len bisherigen Rechnungen die Masse m0 des Elektrons durch die reduzierteMasse µ = m0M/(m0 + M) zu ersetzen; dies fuhrt zu einer Korrektur derRydberg-Konstante:

R = R∞1

1 + m0

M

(1.11)

Aus der Energiekorrektur resultiert eine spektroskopisch nachweisbareIsotopieverschiebung (z.B. zwischen normalem Wasserstoff und Deuterium).Man erkennt, dass die durch die Kernmitbewegung verursachte Energiekor-rektur mit wachsender Kernmasse rasch abnimmt.

1.3.1 Myonen-Atome

Myonen sind Teilchen mit einer negativen Elementarladung wie die Elek-tronen, jedoch 207mal schwerer als diese. Werden sie wie Elektronen in Ato-me eingebaut ist der Radius ihrer Umlaufbahn (vgl. Gl. 1.7) entsprechend207mal kleiner, d.h. Myonen-Atome sind nicht wesentlich großer als typischeKerndimensionen.

10

Page 11: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

1.4 Sommerfelds Erweiterung des Bohrschen

Modells

Bei hoherem spektralen Auflosungsvermogen stellt sich heraus, dass dieLinien des Wasserstoffs nicht einfach sind, sondern mehrere Komponentenhaben. Um dies zu erklaren, fuhrte Sommerfeld als Erweiterung des Bohr-schen Atommodells ein, dass neben den Kreisbahnen auch Ellipsenbahnenmit gleicher Energie (die nach Gl. 1.6 gegeben ist durch die Hauptquanten-zahl n) moglich sind. Deren große Halbachse wird durch n bestimmt; eineneu eingefuhrte zweite Quantenzahl k legt die kleine Halbachse so fest, dassder Betrag des Drehimpulses ein ganzzahliges Vielfaches k des Drehimpuls hist (k ≤ n).

Diese Nebenquantenzahl k wird in der Quantentheorie zur Bahndrehim-pulszahl l mit l = k − 1 (d.h. l = 0, 1, . . . , n − 1). Fur den Bahndrehimpulsgilt dann (verandert gegenuber Gl. 1.8):∣∣∣~l ∣∣∣ = √

l(l + 1) · h (1.12)

Fur die Zahlenwerte der Drehimpulsquantenzahlen haben sich Buchsta-benbezeichnungen1 eingeburgert:

Quantenzahl l 0 1 2 3 4

Drehimpuls∣∣∣~l ∣∣∣ 0

√2h

√6h

√12h

√20h

Name s p d f g

Diese spektral beobachtete Aufhebung der Entartung erfolgt nach Som-merfeld durch den vernachlassigten Effekt der relativistischen Massenande-rung m = m(ν). In Kernnahe werden die Elektronen beschleunigt (analogzum Kepler-Problem), sind deshalb nach der Relativitatstheorie auch schwe-rer. Dies fuhrt zu einer Energieabsenkung, die um so großer ausfallt, je kleinerdie kleine Halbachse der Ellipse ist.

1.5 Grenzen der Bohr-Sommerfeld-Theorie

Die Bohr-Sommerfeld-Theorie liefert zwar Aussagen uber die Frequenzender Spektrallinien, jedoch nicht uber ihre Intensitat oder den zeitlichen Ver-lauf der Emission und Absorption. Diese Schwache versuchte Bohr durchAnwendung des Korrespondenzprinzips zu umgehen; dieses besagt:

1ursprunglich abgeleitet von Eigenschaften der zugehorigen Spektrallinien: s ”sharp“,p ”prinzipal“, d ”diffuse“, f ”fundamental“ etc.

11

Page 12: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

”Jede nicht-klassische Theorie muss im Grenzfall hoher Ener-

gien und kleiner Energieanderungen in die klassische Theorie uber-gehen.“

Praktisch werden die aus den Gestzen der klassischen Physik gewonne-nen Aussagen uber Intensitat, Polarisation und Auswahl der Spektrallinieneinfach mit Hilfe einer Quantisierungsvorschrift in die Quantentheorie uber-setzt; damit ist die Bohr-Sommerfeld-Theorie als eigenstandiges theoretischesKonzept unbefriedigend. Bereits bei der Behandlung von Atomen mit zweiElektronen liefert sie falsche Resultate; die magnetischen Eigenschaften derAtome werden unzureichend beschrieben.

1.5.1 Rydberg-Atome

Atome, bei denen ein Elektron in ein außergewohnlich hohes Energieni-veau (bis zu n ≈ 350) angeregt ist, nennt man Rydberg-Atome. Das Orbitaldes außersten Elektrons befindet sich dann so weit außerhalb der Orbitale deranderen Elektronen, dass das außerste Elektron einen

”Atomrumpf“ mit der

wirksamen Ladung e sieht; d.h. ein Rydberg-Atom verhalt sich wie ein sehrhoch angeregtes Wasserstoff-Atom. Dabei wird der Ubergang zwischen klas-sischer Physik und Quantenmechanik deutlich: Ein Rydberg-Atom hat den100 000fachen Durchmesser eines Atoms im Grundzustand und der Abstandbenachbarter Energieniveaus ist sehr klein.

12

Page 13: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 2

Das mathematische undbegriffliche Gerust derQuantenphysik

Die Quantentheorie wird notig, weil die klassische Physik selbst bei derBeschreibung des einfachsten Atoms (Wasserstoff) bereits versagt. Ihre we-sentlichen Merkmale sind:

1. Die Teilchen der klassischen Physik werden durch Materiewellen be-schrieben.

2. An die Stelle der deterministischen Beschreibung von Ort und Impulstritt in der Quantenphysik deren statistische Behandlung.

3. Bei gleichzeitiger Bestimmung von Ort und Impuls tritt zwingend eineUnscharfe auf.

Daraus ergibt sich, dass die klassisch wohldefinierte Bahnkurve ~r(t) einesTeilchens ubergeht in die Wahrscheinlichkeitsdichte W (~r, t); es gilt

W (~r, t)dV = |Ψ(~r, t)|2 dV, (2.1)

wobei die linke Seite die Wahrscheinlichkeit dafur bezeichnet, das Teilchenzur Zeit t im Volumenelement dV = dx · dy · dz am Ort ~r zu finden. Ψ(~r, t)ist die sog. Materie-Wellenfunktion, deren Bestimmungsgleichung die Schro-dinger-Gleichung ist; fur das kraftefreie Teilchen lautet sie (m0 Ruhemassedes Teilchens, ∆ Laplace-Operator):

− h2

2m0

∆Ψ(~r, t) = ih∂

∂tΨ(~r, t) (2.2)

13

Page 14: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Bei Anwesenheit eines Potentialfeldes V (~r ) muss diese Gleichung erwei-tert werden: (

− h2

2m0

∆ + V (~r )

)Ψ(~r, t) = ih

∂tΨ(~r, t) (2.3)

H = −(h2/2m0) ·∆+V (~r ) nennt man den Hamilton-Operator. Hangt dasPotentialfeld V (~r ) nicht von der Zeit ab, kann fur Ψ(~r, t) der Ansatz Ψ(~r, t) =ψ(~r ) · e−iEt/h gemacht werden; eingesetzt in die zeitabhangige Schrodinger-Gleichung ergibt das

(− h2

2m0

∆ + V (~r )

)ψ(~r ) = Eψ(~r ) (2.4)

die zeitunabhangige Schrodinger-Gleichung. Die Wellenfunktion Ψ(~r, t) mussbestimmten Randbedingungen genugen; im Allgemeinen fordert man, dassΨ(~r, t) im Unendlichen verschwindet, sodass Normierbarkeit, d.h.

∫|Ψ|2 dV = 1,

gegeben ist.

2.1 Messungen, Messwerte, Operatoren

Das Ergebnis einer Messung lasst sich in der Quantentheorie nicht vor-aussagen; es lassen sich nur Aussagen uber die Wahrscheinlichkeit von Mes-sergebnissen treffen. Wird eine Messung dagegen sehr oft wiederholt, kannaus allen Ergebnissen der Mittelwert berechnet werden; dies erfolgt quan-tenmechanisch mit Hilfe der Wellenfunktion Ψ(~r, t). Dieser Mittelwert wirddann als Erwartungswert bezeichnet. Den Erwartungswert A einer Observa-blen A erhalt man durch Anwendung des A zugeordneten Operators A aufdie Wellenfunktion Ψ(~r, t) (dτ = dV ):

A =∫

Ψ∗AΨdτ (2.5)

Wenn bei der Anwendung von A die Wellenfunktion Ψ(~r, t) sich bis aufeinen konstanten Faktor reproduziert, d.h.

AΨ(~r, t) = AΨ(~r, t), (2.6)

dann ist Ψ(~r, t) eine Eigenfunktion zu A und die Konstante A wird Eigenwertgenannt.

14

Page 15: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

2.2 Operatoren, Erwartungs- und Eigenwer-

te

Zu jeder Messgroße aus der klassischen Physik gehort in der Quanten-theorie ein Operator, durch dessen Anwendung auf die Wellenfunktion Ψ(~r, t)(eindimensional: Ψ(x, t)) man wie in Gl. 2.5 beschrieben den Erwartungswerteiner Messgroße erhalt:

Klassische

Messgroße Operator A Erwartungswert AA

Ort x(t) x = x x =∫

Ψ∗(x, t) · x ·Ψ(x, t)dx

Impuls p(t) p = hi

ddx

p =∫

Ψ∗(x, t) · hi

ddx·Ψ(x, t)dx

Energie E H = − h2

2m0

d2

dx2 + V E =∫

Ψ∗(x, t) ·[− h2

2m0

d2

dx2 + V]·Ψ(x, t)dx

Drehimpuls~l = ~r × h

i∇ ~l =

∫Ψ∗(~r, t) ·

[~r × h

i∇]·Ψ(~r, t)dV~l = ~r × ~p

z-

lz = hi

(x ∂

∂y− y ∂

∂x

)lz =

∫Ψ∗(~r, t) · h

i

(x ∂

∂y− y ∂

∂x

)·Ψ(~r, t)dV

Komponentedes

Drehimpulseslz

Eigenfunktionen, d.h. Funktionen Ψ(~r, t), die Gl. 2.6 genugen, werdenbei Anwendung eines Operators A mit dem konstanten Eigenwert A multi-pliziert; das bedeutet, dass bei einer Messung von A (also der zugehorigenMessgroße aus der klassischen Physik) an einem System im Zustand Ψ(~r, t)der Messwert (= Eigenwert) A gefunden wird. Insbesondere liefert eine Wie-derholung der Messung am gleichen System wieder genau den gleichen Ei-genwert A.

Es gibt Messungen, die nicht gleichzeitig mit beliebiger Exaktheit durch-gefuhrt werden konnen, d.h. sie storen sich gegenseitig. Ein notwendiges Kri-terium fur die gleichzeitige Messbarkeit zweier Großen ist die Vertauschbar-keit der zugehorigen Operatoren; Vertauschbarkeit bedeutet, dass zwei Ope-ratoren A1, A2 die gleichen Eigenfunktionen haben. Fur A1, A2 gilt dann dieVertauschungsrelation: [

A1, A2

]= A1A2 − A2A1 = 0 (2.7)

15

Page 16: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Im Folgenden sind einige spezielle Vertauschungsrelationen zusammenge-stellt.

Operator A1 Operator A2Vertauschungsrelation

[A1, A2] = A1A2 − A2A1

Impuls p Ort x [ hi

ddx, x] = h

i

Impuls p Potential V (x) [ hi

ddx, V (x)] = h

idV (x)

dx

Impuls p kinetische Energie Ekin [ hi

ddx,− h

2m0

d2

dx2 ] = 0

i-Komponete des j-Komponete des[li, lj] = ihlk

Drehimpulses li Drehimpulses ljQuadrat des j-Komponete des

[~l2, lj] = 0Drehimpulses ~l2 Drehimpulses lj

Man erkennt insbesondere, dass die Komponenten des Drehimpulses nichtmiteinander vertauschen, dass aber jede Komponente einzeln mit dem Qua-drat des Drehimpulses vertauscht.

2.3 Der harmonische Oszillator

Als harmonischen Oszillator bezeichnet man ein Teilchen in einem para-belformigen Potential mit der potentiellen Energie Epot = kx2/2 . Mit derBewegungsgleichung m0x = −kx findet man, dass das Teilchen harmonischeSchwingungen mit der Frequenz ω2 = k/m0 um die Ruhelage ausfuhrt. Diezugehorige Schrodinger-Gleichung in der Quantenmechanik lautet:

[− h2

2m0

d2

dx2+m0

2ω2x2

]ψ(x) = Eψ(x) (2.8)

Nach Variablentransformation ξ = x√m0ω/h kann man den allgemeinen

Losungsansatz

ψν(ξ) = Hν(ξ) · e−ξ2

2 (2.9)

machen, wobei Hν(ξ) die Hermiteschen Polynome vom Grade ν sind, fur diegilt: Hν(ξ) = (−1)ν ·eξ2 · dν

dξν (e−ξ2). Damit erhalt man fur die Eigenfunktionen

ψν(ξ) des harmonischen Oszillators:

16

Page 17: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

ν ψν(ξ)

0 N0 · e−ξ2

2

1 N1 · 2ξ · e−ξ2

2

2 N2 · (4ξ2 − 2) · e− ξ2

2

Dabei sind die Normierungsfaktoren Ni so zu wahlen, dass∫|ψ(x)|2dx =

1 erfullt ist. Weil die Hermiteschen Polynome durch eine Potenzreihenent-wicklung H(ξ) =

∑νi=0 aiξ

i dargestellt werden konnen, erhalt man durchKoeffizientenvergleich den Zusammenhang zwischen den Quantenzahlen ν(ν = 0, 1, 2, . . .) und den Energiewerten E(ν):

E(ν) =(ν +

1

2

)· hω (2.10)

17

Page 18: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 3

Quantenmechanik desWasserstoff-Atoms

3.1 Die Bewegung im Zentralfeld

In der Quantenmechanik sind die Gesamtenergie E, die z-Komponentedes Drehimpulses lz sowie das Quadrat des Drehimpulses ~l2 gleichzeitig scharfmessbar, wie aus den Vertauschungsregeln fur die jeweiligen Operatoren folgt(vgl. Kap. 2.2). Besonders interessant sind deshalb Funktionen ψ(~r ), die dieSchrodinger-Gleichung losen und Eigenfunktionen zu den Operatoren H, lz

und ~l2 gleichzeitig sind.Es soll nun ein allgemeines zentralsymmetrisches Potential V (r) betrach-

tet werden, d.h. die Schrodinger-Gleichung lautet (vgl. Gl. 2.4):[− h2

2m0

∆ + V (r)

]ψ(~r ) = Eψ(~r ) (3.1)

Geht man von kartesischen zu Polarkoordinaten uber, lautet der Operatorder kinetischen Energie

− h2

2m0

∆ = − h2

2m0

1

r2

∂r

(r2 ∂

∂r

)+

1

2m0r2~l2 (3.2)

mit dem Operator des Drehimpulsquadrates

~l2 = −h2

[1

sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂ϑ

)+

1

sin2 ϑ

∂2

∂ϕ2

](3.3)

Fur die Wellenfunktion ψ(~r ) kann man den Separationsansatz

ψ(~r ) = R(r) · F (ϑ, ϕ) = R(r) ·Θ(ϑ) · Φ(ϕ) (3.4)

machen.

18

Page 19: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

3.1.1 Bestimmung des Winkelanteils der Wellenfunk-tion

Nach Einsetzen in Gl. 3.1 lasst sich zunachst fur Φ(ϕ) wegen d2Φ(ϕ)dϕ2 =

−C1 · Φ(ϕ) der Ansatz Φ(ϕ) = A · e±i√

C1ϕ machen (A,C1 = const.). DaΦ(ϕ) im ganzen Raum eindeutig sein soll, muss Φ(ϕ) = Φ(ϕ+ 2π ·n) gelten.Daraus erhalt man wegen e±i

√C12πn = 1, dass

√C1 = m gelten muss, wobei

m eine positive oder negative ganze Zahl, die sog. magnetische Quantenzahl,ist. Die Konstante A kann mit Hilfe der Normierung

∫ 2π0 Φ∗(ϕ)Φ(ϕ)dϕ = 1

bestimmt werden: A = 1/√

2π. Damit lautet die Losungsfunktion:

Φm(ϕ) =1√2π· eimϕ (3.5)

Die Funktionen zu unterschiedlichen Werten von m sind orthogonal zu-einander: ∫ 2π

0Φ∗

m(ϕ)Φm′(ϕ)dϕ = δmm′ (3.6)

Als Gleichung fur Θ(ϑ) erhalt man aus Gl. 3.1

1

Θ sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂Θ

∂ϑ

)− m2

sin2 ϑ= −C2. (3.7)

Mit der Ersetzung ξ = cosϑ sind die Losungen dieser Gleichung unterder Bedingung C2 = l(l+1) die sog. assoziierten Legendre-Funktionen Pm

l (ξ)mit −l ≤ m ≤ l, deren Bestimmungsgleichung

Qml (cos J) = Pm

l (x) = a ·(1− x2

)|m2| d|m|

dx|m| (Pl(x)) (3.8)

lautet (Θl(ξ) = Pl(x) sind die Legendre-Funktionen). Die Konstante a be-stimmt man wiederum aus der Normierung∫ π

0|Pm

l |(cosϑ)|2 sinϑdϑ = 1. (3.9)

Die so erhaltenen Produktfunktionen

Fml (ϑ, ϕ) = Pm

l (cosϑ) · Φm(ϕ) = Y ml (ϑ, ϕ) (3.10)

heißen Kugelflachenfunktionen; fur sie gilt ebenfalls eine entsprechende Nor-mierungsbedingung. Ihr Absolutquadrat gibt die Winkelverteilung der Auf-enthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens im Potential V (r) an1. Wegen−l ≤ m ≤ l

1Weil die Kugelflachenfunktionen Y ml fur alle kugelsymmetrischen Potentiale Losungs-

funktionen des Winkelanteils sind, hangt die Winkelverteilung der Aufenthaltswahrschein-lichkeit nicht vom Radialverlauf des Potentials V (r) ab.

19

Page 20: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

gibt es zu jeder festen Energie E und vorgegebenen Quantenzahl l (2l + 1)verschiedene Kugelflachenfunktionen:

l m Y ml (ϑ, ϕ)

0 0 12√

π

1±1 ∓1

2

√32π

sinϑ · e±iϕ = ∓√

38π

x±iyr

0 12

√3π

cosϑ =√

34π

zr

2

±2 14

√152π

sin2 ϑ · e±2iϕ = 14

√152π

(x±iy

r

)2

±1 ∓12

√152π

cosϑ sinϑ · e±iϕ = ∓12

√152π

x±iyr2 z

0 14

√5π

(2 cos2 ϑ− sin2 ϑ

)= 1

2

√54π

2z2−x2−y2

r2

Der Winkelanteil des Laplace-Operators ∆ ist proportional zu ~l2 (Gl. 3.2und Gl. 3.3); das bedeutet, dass die Kugelflachenfunktionen Y m

l (ϑ, ϕ) Eigen-

funktionen zu ~l2 sind und es gilt (vgl. Gl. 1.12):

~l2Y ml (ϑ, ϕ) = l(l + 1)h2Y m

l (ϑ, ϕ) (3.11)

D.h. fur den Erwartungswert von ~l2 erhalt man l2 =∫ψ∗~l2ψdτ = l(l + 1)h2.

Damit gilt fur den Betrag des Drehimpulses |~l| =√l(l + 1)h. Fur l ≥ 0

nennt man l Drehimpulsquantenzahl. Analog folgt fur die z-Komponente desDrehimpulses2

lz =∫ψ∗lzψdτ = mh (3.12)

3.2 Der Radialteil der Wellenfunktion beim

Zentralfeld

Als Gleichung fur die Radialfunktion R(r) ergibt sich aus Gl. 3.1 mit

1

r2

d

dr

(r2 d

dr

)=

d2

dr2+

2

r

d

dr(3.13)

2Der Vektor ~l hat also eine wohldefinierte Lange |~l| und Projektion auf die z-Achse lz,aber keine definierte Raumrichtung.

20

Page 21: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

und unter Verwendung der bisherigen Ergebnisse

d2R

dr2+

2

r

dR

dr+

[A− V (r)− l(l + 1)

r2

]R = 0, (3.14)

wobei

A =2m0

h2 E =−κ2, wenn E < 0;κ2, wenn E > 0;

und

V (r) =(

2m0

h2

)· V (r).

Die Losungen dieser Gleichung hangen vom Radialverlauf des Potentials V (r)ab.

Ein Elektron bewege sich in einem zentralsymmetrischen PotentialfeldV(r), das im Unendlichen verschwindet. Fur die Losung R(r) gilt bei großenr der Ansatz R(r) = u(r)/r ; damit wird Gl. 3.14 zu

d2

dr2u(r) +

[A− V (r)− l(l + 1)

r2

]u(r) = 0 (3.15)

V (r) und der Term ∼ 1/r2 gehen im Unendlichen gegen Null und konnengegenuber A vernachlassigt werden. Die verbleibende Gleichung erlaubt zweiLosungstypen:

R(r) =u(r)

r=

1r

[C1 · eikr + C2 · e−ikr

], wenn E bzw. A > 0;

Cr· e−kr, wenn E bzw. A < 0.

Physikalische Bedeutung:

E,A > 0: R(r) wird zur Losung der zeitabhangigen Schrodin-ger-Gleichung noch mit einem Faktor e−iωt multipliziert;dann entspricht der Term bei C1 einer auslaufenden, derbei C2 einer einlaufenden Kugelwelle aus dem Unendlichen(Hyperbelbahnen beim Kepler-Problem).

E,A < 0: |R2(r)| stellt ein Maß fur die Aufenthaltswahrschein-lichkeit des Elektrons dar; diese fallt nach außen exponenti-ell ab, d.h. dass das Elektron auf einen bestimmten Raum-bereich beschrankt ist (geschlossene Ellipsenbahnen beimKepler-Problem). (Ein Term mit ekr ist physikalisch nichtsinnvoll wg. Anwachsen fur r →∞.)

21

Page 22: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

3.3 Der Radialteil der Wellenfunktion beim

Wasserstoff-Atom

Das Potential V (r) ist in diesem Fall das Coulomb-Potential

V (r) = − Ze2

4πε0r(3.16)

Wir gehen zur dimensionslosen Abstandsvariablen ρ = 2κr uber (Fall E < 0),d.h. R(r) = R(ρ). Anstelle von Gl. 3.15 ergibt sich dann als Gleichung fur

R(ρ) mit R′(ρ) ≡ dRdρ

und B = m0Ze2/(h24πε0

):

R′′ +2

ρR′ +

(−1

4+B

κρ− l(l + 1)

ρ2

)R = 0 (3.17)

Nennt man B/κ = n und macht den Exponentialansatz R(ρ) = e−ρ/2ν(ρ),wobei ν(ρ) ein Polynom in ρ ist, erhalt man unter der Forderung nach Re-gularitat im ganzen Raum und Verschwinden im Unendlichen die Energieei-genwerte (n = 1, 2, . . .))(vgl. Gl. 1.9)

En = − m0Z2e4

2h2(4πε0)2

1

n2. (3.18)

Im Fall E > 0 folgen die Energiewerte dagegen kontinuierlich aufeinander(nichtgebundene Zustande)!

Damit gilt fur den Radialteil der Wellenfunktion

Rn,l(r) = Nn,l · e−κnr · rl · L2l+1n+l (2κnr). (3.19)

Nn,l ist der aus∫∞0 R2

n,l(r) · r2dr = 1 zu bestimmende Normierungsfaktorund

κn =1

n· m0Ze

2

4πε0h2 (3.20)

der sog. inverse Radius (vgl. Gl. 1.10). L2l+1n+l (ρ) ist ein Polynom, das sich

durch (2l+1)-maliges Differenzieren aus dem Laguerreschen Polynom Ln+1(ρ)bestimmen lasst, d.h.

L2l+1n+l (ρ) =

d2l+1Ln+1

dρ2l+1mit (3.21)

Ln+1(ρ) = eρ dn+1(e−ρρn+1)

dρn+1.

22

Page 23: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

3.4 Zusammenfassung

Die Wellenfunktion des Wasserstoff-Atoms lasst sich in der Form

ψn,l,m(r, ϑ, ϕ) = eimϕ · Pml (cosϑ) ·Rn,l(r) (3.22)

schreiben mit folgenden Quantenzahlen:

n Hauptquantenzahl n=1,2,. . .l Drehimpulsquantenzahl 0 ≤ l ≤ n− 1m magnetische Quantenzahl (Richtungsquantenzahl) −l ≤ m ≤ l

3.4.1 Entartung

Die zugehorige Energie einer gebundenen Bahn ist durch Gl. 3.18 gege-ben und hangt nur von n ab, d.h. zu jeder Energiestufe En gehoren we-gen 0 ≤ l ≤ n − 1 mehrere Wellenfunktionen (Ausnahme ist n = 1, d.h.der energetisch tiefste Zustand ist eindeutig). Diesen Sachverhalt bezeichnetman als Entartung; er ist charakteristisch fur das Wasserstoffproblem mitCoulomb-Potential. Wegen −l ≤ m ≤ l besteht zusatzlich noch Entartungbzgl. m . D.h. zu jeder Hauptquantenzahl n gibt es insgesamt

∑n−1l=0 (2l +

1) = n2 verschiedene Zustande bzw. Wellenfunktionen. Die ersten Wellen-funktionen des Wasserstoff-Atoms mit Coulomb-Potential (Gl. 3.16) lauten(a0 = 4πε0h

2/m0e2, sog. Bohrscher Radius):

n l m ψn,l,m(r, ϑ, ϕ)

1 0 0 1√π

(Za0

) 32 · e−

Zra0

2 0 0 14√

(Za0

) 32(2− Zr

a0

)· e−

Zr2a0

2 1 0 14√

(Za0

) 32 Zr

a0· e−

Zr2a0 · cosϑ

2 1 ±1 18√

π

(Za0

) 32 Zr

a0· e−

Zr2a0 · sinϑ · e±iϕ

3.4.2 Aufhebung der Entartung bzgl. l und m

Die Entartung bzgl. l wird aufgehoben, wenn das Potential V (r) zwarnoch kugelsymmetrisch ist, aber nicht mehr von der Form −const./r ; d.h.die Energiestufen werden dann auch l-abhangig (effektive Abweichung vomCoulomb-Potential in Mehrelektronensystemen, relativistische Behandlung).

23

Page 24: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Die m-Entartung wird dagegen nur bei Uberlagerung des Potentials mit ei-ner nichtkugelsymmetrischen Storung aufgehoben (elektrisches/magnetischesFeld, siehe Kap. 6,7,8).

24

Page 25: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 4

Alkaliatome

Alkaliatome besitzen ein schwach gebundenes außeres Elektron (Valenz-elektron) und sonst nur abgeschlossene Schalen mit (Z − 1) inneren Elek-tronen. Deshalb kann man die zugehorigen Einelektronenzustande durch dieQuantenzahlen n, l,m charakterisieren, obwohl mehrere Elektronen an einenKern gebunden sind. Durch die Wechselwirkung der Elektronen untereinan-der sind die Energiewerte gegenuber dem Einteilchenproblem jedoch starkmodifiziert.

Summiert man die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten |ψn,l,m|2 fur eine ge-gebene Hauptquantenzahl n uber alle zulassigen Werte von l und m, erhaltman die gesamte Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Zustand n; diese ist im-mer kugelsymmetrisch (Elektronenschale). Eine abgeschlossene Schale (Edel-gaskonfiguration) liegt immer dann vor, wenn das nachste hinzukommende

Elektron in den s-Zustand (∣∣∣~l ∣∣∣ = 0) der nachsthoheren Hauptquantenzahl n

eingebaut werden wurde. Elektronen in abgeschlossenen Schalen sind starkergebunden und liegen naher am Kern als Valenzelektronen. AbgeschlosseneSchalen haben verschwindenden Drehimpuls und sind besonders stabil; des-halb sind sie chemisch inaktiv und haben ein hohes Ionisationspotential (z.B.Edelgase). Dagegen ist die Ionisierungsenergie besonders klein, wenn geradeein Elektron mehr vorhanden ist, als einer Edelgaskonfiguration entspricht.

Aus den Spektren der Alkaliatome erkennt man, dass Zustande mit un-terschiedlicher Drehimpulsquantenzahl l verschiedene Energie haben (Auf-hebung der l-Entartung). Wahrend bei kleinen Hauptquantenzahlen n dieTerme der Alkaliatome tiefer als diejenigen des Wasserstoff-Atoms liegen(großere negative Bindungsenergie), gibt es fur hohere Werte von n kaumeinen Unterschied (Abschirmung des Kerns).

25

Page 26: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

4.1 Abschirmung der Kernladung durch in-

nere Elektronenschalen

Die Alkaliatome kann man mit folgendem Modell verstehen: Ein Leucht-elektron befindet sich in großem Abstand r vom Kern; die Kernladung Z · ewird durch die (Z − 1) inneren Elektronen weitgehend abgeschirmt. Des-halb lasst sich das Mehrelektronenproblem durch Einfuhrung eines effektivenPotentials V (r) fur das Leuchtelektron auf ein Einteilchenproblem reduzie-ren; sehr weit entfernt vom Kern wird dieses Potential die Form V (r) =e2/(4πε0r) haben (vgl. Wasserstoff-Problem), naher am Kern wird die La-dung weniger abgeschirmt und das Potential geht gegen V (r) = −Ze2/4πε0r.Doch ist bei Alkaliatomen, wie bereits erwahnt, die Entartung bzgl. l auf-gehoben, d.h. fur das effektive Potential V (r) kann im Allgemeinen nichtdie Proportionalitat ∼ 1/r gelten. Die Aufhebung der Entartung ist damitauf die unterschiedliche Abschirmung bei Elektronen mit unterschiedlicherradialer Wahrscheinlichkeitsdichte zuruckzufuhren. Da die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit des Elektrons im kernnahen Bereich mit Zunahme des Wertesvon l abnimmt, sind die s-Elektronen (|~l| = 0) dem nicht abgeschirmten Felddes Kerns am starksten ausgesetzt; bei gleicher Hauptquantenzahl n sind dieEnergieterme fur s-Elektronen deshalb am weitesten nach negativen Wertengegenuber dem Wasserstoff-Atom verschoben.

4.2 Termschema der Alkaliatome

Die Serien in den Emissionsspektren der neutralen Alkaliatome werdendurch Serien erfasst, die der Balmer-Serienformel ahnlich sind. Fur die durchn und l bestimmten Energieterme En,l lasst sich eine effektive Hauptquanten-zahl neff einfuhren, sodass z.B. fur Natrium gilt (RNa hier in cm−1 gemessen):

En,l = −RNahc1

n2eff

= −RNahc1

(n−D(n, l))2(4.1)

neff = n − ∆(n, l) ist im allgemeinen nicht ganzzahlig, ∆(n, l) ist der zu nund l gehorende Quantendefekt, der die unterschiedliche Abschirmung derElektronen beschreibt und empirisch bestimmt wird. Quantendefekte sindfur s-Elektronen am großten, nehmen mit steigender Drehimpulsquantenzahll ab und sind weitgehend unabhangig von der Hauptquantenzahl n.

26

Page 27: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

4.2.1 Bezeichnungsweise der Terme

Ein Energieterm wird mitn2s+1lj (4.2)

bezeichnet, wobei n die Hauptquantenzahl, 2s+ 1 die sog. Multiplizitat mits = 1/2, l die Drehimpulsquantenzahl (bzw. der entsprechende Buchstabe,

siehe Kap. 1.4) und j die Quantenzahl des Gesamtdrehimpulses ~ = ~l+~s (sie-he unten) ist. Kleine Buchstaben n, l, s, j gelten dabei fur Terme einzelnerElektronen, große Buchstaben N,L, S, J werden verwendet, wenn mehrereElektronen des Atoms erfasst sind. (Bei Alkaliatomen mit einem Leuchtelek-tron sind die beiden Bezeichnungsweisen aquivalent.)

4.2.2 Tiefere Schalen

Bisher wurden nur Leuchtelektronen mit Hauptquantenzahlen n ≥ 2 beiLithium, n ≥ 3 fur Natrium usw. betrachtet, die die optischen Spektrender Alkaliatome erzeugen. Die Zustande mit kleineren Hauptquantenzahlensind voll besetzt; Ubergange, an denen diese Elektronen beteiligt sind, sindaber ebenfalls moglich. Diese Ubergange liegen jedoch bei hoheren Energien(Rontgenspektren), weil die inneren Elektronen starker gebunden sind.

4.3 Theoretische Modelle fur Mehrelektronen-

systeme

Bereits bei Helium ist eine exakte analytische Losung wegen der nicht-kugelsymmetrischen Wechselwirkung zwischen den Elektronen nicht mehrmoglich. Man geht zu Naherungsverfahren uber, wobei die Naherung entwe-der vom exakten physikalischen Ansatz der Schrodinger-Gleichung ausgeht,oder man beginnt gleich mit einem vereinfachten Modell des Atoms (Modellunabhangiger Elektronen, Hartree-Verfahren).

27

Page 28: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 5

Bahn- und Spinmagnetismus,Feinstruktur

Bisher wurden die magnetischen Eigenschaften der Atome vernachlassigt;es zeigt sich aber, daß sie die Spektren der Atome signifikant beeinflussen(z.B. sog. Dubletts (Doppel-Linien) in den optischen Spektren). Zur Erlaute-rung dieser Struktur muß das bisherige Bild erweitert werden:

• Zum Bahndrehimpuls ~l des Elektrons gehort ein magnetisches Moment~µl.

• Das Elektron hat einen Eigendrehimpuls (Spin) ~s. Auch dieser hat einmagnetisches Moment ~µs.

• Die magnetischen Momente ~µl und ~µs treten miteinander in Wechsel-wirkung.

5.1 Magnetisches Moment der Bahnbewegung

Ein Elektron (Ladung q = −e), das auf einer Bahn (Radius r) mit derGeschwindigkeit v bzw. Kreisfrequenz ω = v/r den Atomkern umlauft, istaquivalent zu einem Kreisstrom I. Bei einer Umlaufzeit von T = 2π/ω fließtein Strom I = q/T = −eω/2π. Fur das magnetische Dipolmoment einer

Leiterschleife der Flache A gilt ~µ = I · ~A ( ~A steht senkrecht auf der auf-gespannten Flache); ubertragen auf das Elektron auf der Kreisbahn erhaltman also fur den Betrag des magnetischen Moments µl = eωr2/2. Wegen∣∣∣~l ∣∣∣ = m0ωr

2 folgt schließlich fur das magnetische Moment der Bahnbewe-gung:

~µl = − e

2m0

~l (5.1)

28

Page 29: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

~µ und ~l sind aufgrund der negativen Elektronenladung einander entge-gengerichtet.

5.1.1 Bohrsches Magneton

Magnetische Momente von Elektronen misst man haufig in Einheiten dessog. Bohrschen Magnetons µB, das definiert ist als das magnetische Momenteines Elektrons mit Drehimpuls

∣∣∣~l ∣∣∣ = h:

µB =e

2m0

h = 9, 274078 · 10−24 Am2 (5.2)

Damit gilt fur den Betrag des magnetischen Bahnmoments eines Zustandsmit Bahndrehimpulsquantenzahl l

ml = mB

√l(l + 1) · gl (5.3)

(wobei gl = 1) und fur das magnetische Bahnmoment selbst

~µl = −glµB

~l

h, (5.4)

wobei gl der sog. g-Faktor ist, der das Verhaltnis des magnetischen Moments(in Einheiten von µB ) zum Drehimpuls (in Einheiten von h) angibt.

5.2 Prazession und Orientierung im Magnet-

feld

Auf einen magnetischen Dipol ~µ wirkt in einem homogenen Magnetfeldder Flussdichte ~B ein Drehmoment ~D = ~µ× ~B; der Dipol hat im Magnetfelddie potentielle Energie Vmag = −~µ · ~B. D.h. das Drehmoment versucht, ~µ und~B parallel zu richten, weil dann die potentielle Energie minimal wird. Auchein Elektron mit dem magnetischen Moment ~µl erfahrt in einem Magnetfeldeine entsprechende Kraftwirkung; das Elektron verhalt sich mechanisch wieein Kreisel und fuhrt eine Prazessionsbewegung um die Feldrichtung aus. DiePrazessionsfrequenz ωP eines Kreisels unter Einwirkung des Drehmoments ~Dbetragt

ωP =

∣∣∣ ~D ∣∣∣∣∣∣~l ∣∣∣ sinα (5.5)

29

Page 30: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

(α: Winkel zwischen den Richtungen von ~l und ~B). Ubertragen auf den ato-maren Kreisel erhalt man fur die Prazessionsfrequenz der Elektronenbahndie sog. Lamorfrequenz :

ωL =µlB sinα∣∣∣~l ∣∣∣ sinα =

glµB

hB = γB (5.6)

Dabei ist γ das sog. gyromagnetische Verhaltnis.Bei der Losung der Schrodinger-Gleichung hatte sich ergeben, dass bei

Vorgabe einer Vorzugsrichtung eine Komponente des Drehimpulses gequan-telt ist; diese Vorzugsrichtung ist hier durch das Magnetfeld ~B gegeben. Des-halb kann der Winkel α zwischen ~µl und ~B nur diskrete Werte annehmen.Fur die Komponente des Drehimpulses in der Vorzugsrichtung galt lz = mlh;

1

also ist auch das magnetische Bahnmoment ~µl quantisiert und fur seine z-Komponente gilt

µl,z = − e

2m0

lz = −mlµB (5.7)

Die x- und y-Komponente von ~µl mitteln sich wegen der Prazessionsbe-wegung bei der Messung der Wechselwirkungsenergie heraus, wahrend diez-Komponente messbar ist.

5.3 Spin und magnetisches Moment des Elek-

trons

s-Zustande mit Bahndrehimpuls l = 0 haben kein magnetisches Bahn-moment. Daher sollten alle Einelektronen-Atome (ein Leuchtelektron in deraußeren und alle anderen Elektronen in abgeschlossenen Schalen) im Grund-zustand diamagnetisch sein. Tatsachlich sind diese Atome jedoch parama-gnetisch. Der Paramagnetismus wird bewirkt vom Eigendrehimpuls (Spin) ~sund dem damit verbundenen magnetischen Moment des Elektrons. Fur denBetrag von ~s gilt:

|~s | =√s(s+ 1)h (5.8)

Dabei ist s = 1/2 (Spinquantenzahl) und das zugehorige magnetische Mo-ment lautet

~µs = −gse

2m0

~s (5.9)

gs heißt der g-Faktor des Elektrons und ergibt sich empirisch zu gs = 2, 0023.Dirac zeigte, dass der Spin des Elektrons eine Folge einer relativistischen

1Die magnetische Quantenzahl m wird mit einem zusatzlichen Index l versehen zurUnterscheidung der noch einzufuhrenden magnetischen Quantenzahlen ms und mj .

30

Page 31: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Quantentheorie (die Schrodinger-Theorie rechnet nichtrelativistisch) ist, ausder auch der g-Faktor abgeleitet werden kann.

Stern und Gerlach konnten zeigen, dass der Spin ~s in einem außerenMagnetfeld ~B nur zwei Orientierungen einnehmen kann, parallel oder anti-parallel zum Feld. In der Vorzugsrichtung z lautet die Komponente des Spinsdann

sz = msh (5.10)

mit der Quantenzahl ms = ±1/2 (s und ms sind analog zu l und ml derBahnbewegung). Dies hat auch eine Orientierung des magnetischen Momentszur Folge:

µs,z = −gsmsµB (5.11)

Anschaulich prazedieren der Spin und das magnetische Moment des Spinsum die Feldrichtung, wobei die z-Komponente konstant bleibt.

5.3.1 Gyromagnetisches Verhaltnis

Das gyromagnetische Verhaltnis γ ist unterschiedlich fur das magnetischeMoment der Bahnbewegung,

γl =|~µl|∣∣∣~l ∣∣∣ =

1

2

e

m0

(5.12)

und das magnetische Moment des Spins:

γs =|~µs||~s |

= 1, 00116e

m0

(5.13)

Deshalb lasst sich durch Messungen des gyromagnetischen Verhaltnisses be-stimmen, ob in einer Probe der Magnetismus auf Spin- oder Bahnmagnetis-mus zuruckzufuhren ist. Bei der Messung des gyromagnetischen Verhaltnissesnach Einstein und de Haas andert man die Magnetisierung einer Probe(d.h. die Ausrichtung der atomaren magnetischen Momente in der Probe).Damit andert man auch die Richtung der atomaren Drehimpulse und diesmuss sich als Drehimpuls der ganzen Probe außern (Drehimpulserhaltung).

5.4 Nachweis der Richtungsquantelung durch

Stern und Gerlach

Ein Strahl von Atomen durchfliegt ein stark inhomogenes Magnetfeldsenkrecht zur Richtung des Feldes und des Feldgradienten. Ohne Feld sind die

31

Page 32: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Vektoren ~µl und ~µs der Atome beliebig im Raum orientiert; im homogenenFeld fuhren sie eine Prazession um die Feldrichtung aus. Ein inhomogenesFeld ubt zusatzlich eine Kraft auf die magnetischen Momente aus, derenRichtung und Große von der relativen Orientierung zwischen dem Magnetfeld~B und dem magnetischen Dipol ~µ abhangen. Die ablenkende Kraft in z-Richtung ergibt sich aus der potentiellen Energie im Magnetfeld Vmag =

−~µ · ~B zu

Fz = µzdB

dz= µ

dB

dzcosα (5.14)

(α: Winkel zwischen ~µ und Richtung des Feldgradienten). Klassisch ist jedeEinstellung α der atomaren Magnete zum Feld erlaubt. Beobachtet werdenaber zwei scharfe Strahlen. Daraus folgt:

• Es gibt eine Richtungsquantelung. Die Atome haben nur diskrete Mog-lichkeiten (parallel/antiparallel) der Einstellung relativ zu einem Feld~B.

• Eine Messung der atomaren magnetischen Momente ist moglich uberden Abstand der Teilstrahlen, wenn die Große des Feldgradienten be-kannt ist.

• Die mechanischen und magnetischen Momente innerer Elektronen (ab-geschlossene Schalen) heben sich auf.

• Das s-Elektron hat den Bahndrehimpuls ~l = 0 und das Bahnmoment~µl = 0, man misst also nur den Spinmagnetismus.

5.5 Feinstruktur und Spin-Bahn-Kopplung

Die Feinstruktur lasst sich nicht mit der Coulomb-Wechselwirkung zwi-schen Kern und Elektron erklaren, sondern beruht auf der magnetischenWechselwirkung zwischen Bahnmoment ~µl und Eigenmoment ~µs, der sog.Spin-Bahn-Kopplung. Es ergeben sich leicht unterschiedliche Energieterme jenachdem, ob sich die beiden Momente parallel oder antiparallel einstellen.Die Kopplung von ~µl und ~µs fuhrt auch zu einer Addition der zugehorigenDrehimpulse ~l und ~s zu einem Gesamtdrehimpuls ~:

~ = ~l + ~s (5.15)

Fur den Betrag von ~ gilt

|~ | =√j(j + 1)h (5.16)

32

Page 33: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

wobei j eine neue Quantenzahl, die Quantenzahl des Gesamtdrehimpulses,ist, fur die j = l+s, l+s−1, . . . , |l−s|, im Fall s = 1/2 also j = |l±1/2|, gilt.

Fur ~ gibt es wie fur ~l eine Richtungsquantelung in einer Vorzugsrichtung

jz = mjh (5.17)

mit mj = j, j − 1, . . . ,−j. Zu jedem ~ gehort ein magnetisches Moment ~µj.

Anschaulich ergibt sich folgendes Bild: ~l und ~s prazedieren um den Vektor~ = ~l + ~s. In einem außeren Magnetfeld der Richtung z prazediert zusatzlich~ um dieses Feld.

5.6 Spin-Bahn-Aufspaltung im Bohrschen Atom-

modell

Beim Umlauf des Elektrons um den Kern entsteht am Ort des Elek-trons ein Magnetfeld ~Bl, mit dem das magnetische Moment des Elektronsin Wechselwirkung tritt. Wahlt man ein Koordinatensystem, dessen Null-punkt im Elektron liegt (d.h. der Kern bewegt sich), erhalt man nach demBiot-Savartschen Gesetz ein Magnetfeld der Große

~Bl = −Zem0

4πr3(~v × ~r ) , (5.18)

was sich mit der Definition des Drehimpulses, ~l = (~r ×m0~v), schreiben lasstals

~Bl =Zem0

4πr3m0

~l =Ze

4πr3~l (5.19)

In diesem Magnetfeld hat der Spin zwei Einstellmoglichkeiten (sz = ±1/2·h), und fur die Wechselwirkungsenergie zwischen Spin und dem durch dieBahnbewegung erzeugten Magnetfeld erhalt man:

Vl,s = −~µs · ~Bl =Ze2µ0

8πm20r

3

(~s ·~l

)(5.20)

Bezeichnet man a = (Ze2µ0h2)/(8πm2

0r3) als die Spin-Bahn-Kopplungskon-

stante und druckt das Skalarprodukt mit Hilfe des Kosinussatzes aus als

~s ·~l = |~ |2 −∣∣∣~l ∣∣∣2 − |~s |2 = j(j + 1)− l(l + 1)− s(s+ 1) , (5.21)

ergibt sich daraus

Vl,s =a

2[j(j + 1)− l(l + 1)− s(s+ 1)] . (5.22)

33

Page 34: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Die Feinstrukturaufspaltung kann aufgefasst werden als Zeeman-Aufspalt-ung (siehe Kap. 6.2) infolge der Wechselwirkung der magnetischen Spinmo-mente mit dem Magnetfeld, das durch die Bahnbewegung erzeugt wird. JedesNiveau spaltet in zwei Unterniveaus auf (Dublett). Fur s-Terme gibt es keineAufspaltung, weil kein Magnetfeld vorhanden ist, relativ zu dem die Einstel-lung erfolgen konnte.

5.6.1 Auswahlregeln

Fur optische Ubergange gelten die Auswahlregeln ∆l = ±1 und ∆j =0,±1 (der Ubergang von j = 0 nach j = 0 ist verboten). Bei ∆j = 0 mussensich also Bahndrehimpuls und Spin gegenlaufig andern.

5.7 Feinstruktur beim Wasserstoffatom

Da beim H-Atom die Wellenfunktion bekannt ist, kann man die Feinstruk-tur sehr genau berechnen. Zusatzlich muss dabei die relativistische Massen-zunahme des Elektrons bei seiner Bewegung um den Kern berucksichtigt wer-den. Sowohl die Feinstrukturwechselwirkung El,s als auch die Relativitatskor-rektur Erel sind beim Wasserstoffatom klein gegen En,l, aber von vergleichba-rer Großenordnung; deshalb kann man diese Korrekturen getrennt berechnenund schreiben:

En,l,s = En + Erel + El,s = En + EFS (5.23)

Dabei ist EFS die aus El,s und Erel gebildete Feinstruktur-Korrektur, die vonder Großenordnung α2 ≈ 1/1372 (α: Sommerfeldsche Feinstruktur-Konstante)ist. Die vollstandige Rechnung fur EFS (durchgefuhrt von Dirac) zeigt, dassdie Feinstruktur-Korrektur nur von j und nicht von l abhangt; alle Termemit gleichen Quantenzahlen n und j haben gleiche Energie.

5.8 Lamb-Verschiebung

Lamb und Retherford beobachteten eine weitere Aufspaltung (sog.Lamb-Verschiebung) bei Termen mit gleichem j beim Wasserstoff. Diesezusatzliche Aufspaltung ist nur mit Hilfe der Quantenelektrodynamik be-rechenbar und hat folgende physikalische Deutung: Die nach der Quanten-theorie auftretenden Nullpunktsschwankungen des elektromagnetischen Fel-des (Absorption und Emission virtueller Photonen) greifen statistisch amElektron an und bewirken durch den Photonenruckstoß eine Zitterbewegung

34

Page 35: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

im Coulomb-Feld, was eine Verschiebung der potentiellen Energie zur Folgehat.

5.8.1 Uberblick uber die verschiedenen Aufspaltungs-vorgange

-zunehmende Aufspaltung

BohrscheEnergieniveaus

(Schrodinger-Gleichungohne Spin)

Feinstrukturnach Dirac

(rel. Korrektur~l-~s-

Kopplung)

Lamb-Verschiebung(Strahlungs-korrektur

nach QED)

Hyper-feinstruktur(Kerneffekte)

35

Page 36: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 6

Atome im Magnetfeld -Halbklassische Beschreibung

6.1 Elektronenspin-Resonanz (ESR)

Als Elektronenspin-Resonanz bezeichnet man Ubergange zwischen dendurch die verschiedenen Werte der magnetischen Quantenzahl m (bzw. ms)gekennzeichneten Energiezustanden der Elektronen (Ubergangsfrequenzenim GHz-/Mikrowellenbereich). Die Entartung wird dabei im Allgemeinendurch ein außeres Magnetfeld aufgehoben.

Wir betrachten das vom Spin bewirkte magnetische Moment ~µs einesfreien Elektrons im Magnetfeld ~B0. Das magnetische Moment hat den Betrag

µs =√s(s+ 1)µBgs, und fur die Vorzugsrichtung z von ~B0 gilt (µs)z =

±(1/2) · gsµB. Damit unterscheidet sich die potentielle Energie der beidenOrientierungen um

∆E = gsµBB0 (6.1)

Mit einem senkrecht zu ~B0 eingestrahlten magnetischen Wechselfeld ~B1 =~B sinωt konnen Ubergange zwischen den beiden Energieniveaus induziertwerden, wenn die Kreisfrequenz ω der Bedingung ∆E = hω = gsµBB0

genugt. (Die Ubergange ∆ms = ±1 sind erlaubte Dipolubergange.)Diese Uberlegungen fur ein freies Elektron lassen sich auch auf ein Atom

ubertragen. In diesem Fall muss das gesamte, aus Spin und Bahnbewegungdes Elektrons resultierende magnetische Moment ~µj des Atoms eingesetzt

werden. Die Bedingung an die Kreisfrequenz ω des Wechselfeldes ~B1 lasstsich auch so verstehen, dass ω gleich der Lamorfrequenz sein muss:

ω = ωL =|~µj|

∣∣∣ ~B0

∣∣∣∣∣∣~l ∣∣∣ = γB0 (6.2)

36

Page 37: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Es muss betont werden, dass der Elektronenspin bzw. das zugehorigemagnetische Moment bei Erfullung der Resonanzbedingung anders als derklassische Kreisel nicht auf einer Spiralbahn von einer stabilen Lage in dieandere ubergeht, sondern, da nur diskrete Einstellrichtungen erlaubt sind,von einer Richtung in die andere umklappt.

6.2 Zeeman-Effekt

Die Aufspaltung der Energieterme von Atomen im Magnetfeld kann manals Anderung der Frequenzen von Ubergangen im optischen Spektralbereichbeobachten. Bei nicht zu starken Magnetfeldern ~B0 findet man den normalenund den anomalen Zeeman-Effekt.

Beim normalen Zeeman-Effekt handelt es sich um die Aufspaltung vonZustanden mit reinem Bahn-Magnetismus. Man findet bei transversaler Be-obachtung (d.h. senkrecht zur Magnetfeldrichtung) die unverschobene Spek-trallinie sowie zwei symmetrisch dazu aufgespaltene Linien mit linearer Po-larisation. Bei longitudinaler Beobachtung (d.h. parallel zur Magnetfeldrich-tung) sieht man nur die beiden verschobenen Komponenten, sie erscheinenbei dieser Art der Beobachtung zirkular polarisiert.

Beim anomalen Zeeman-Effekt spalten Zustande mit Spin- und Bahnma-gnetismus auf. Die Anzahl der Aufspaltungskomponenten ist großer als beimnormalen Zeeman-Effekt.

6.2.1 Klassische Erklarung des normalen Zeeman-Effekts

Zum Verstandnis des normalen Zeeman-Effektes nach der klassischenTheorie ziehen wir die Modellvorstellung heran, dass der Umlauf des Elek-trons bei Projektion auf eine Richtung als Oszillation betrachtet werden kann.Gesucht ist die Kraft, die das Magnetfeld auf ein strahlendes Elektron ausubt,das in beliebiger Richtung relativ zu den magnetischen Feldlinien oszilliert;dazu ersetzen wir das Elektron durch drei Ersatz-Oszillatoren1:

• Ersatz-Elektron 1 schwingt linear parallel zur Richtung von ~B0.

• Ersatz-Elektron 2 und 3 schwingen entgegengesetzt zirkular zueinanderund senkrecht zur Richtung von ~B0.

1Die Zerlegung folgt den Regeln der Vektoraddition sowie der Regel, dass jede lineareSchwingung durch Addition zweier entgegengesetzt zirkularer Schwingungen ersetzt wer-den kann.

37

Page 38: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Liegt kein Feld ~B0 an, ist die Frequenz aller drei Ersatz-Elektronen gleichder Frequenz ω0 des ursprunglichen Elektrons. Das Vorhandensein eines Ma-gnetfeldes ~B0 jedoch wirkt sich unterschiedlich auf die drei Ersatz-Elektronenaus:

• Das Ersatz-Elektron 1 parallel zu ~B0 erfahrt keine Kraft und seine Fre-quenz bleibt unverandert; das emittierte Licht ist linear polarisiert mitdem ~E-Vektor parallel zu ~B0. D.h. dieses Elektron hat dieselbe Strah-lungscharakteristik wie ein Hertzscher Dipol, es erfolgt keine Ausstrah-lung in ~B0-Richtung; deshalb ist diese Komponente bei longitudinalerBeobachtung nicht zu sehen und wird als π-Komponente (π: parallel)bezeichnet.

• Die zirkular schwingenden Ersatzelektronen 2 und 3 werden beim Ein-schalten des Feldes ~B0 durch den dabei auftretenden Induktionsstoßje nach ihrer Umlaufrichtung beschleunigt oder abgebremst, d.h. ihreKreisfrequenz ω andert sich: ω = ω0 ± δω. In ~B0-Richtung strahlendie Ersatzelektronen zirkular polarisiertes Licht ab, senkrecht dazu er-scheinen die Komponenten linear polarisiert. Deshalb werden sie als σ+-bzw. σ−-Komponenten bezeichnet (σ: senkrecht; +: rechts-, -: linkszir-

kular in Bezug auf ~B0).

Die unterschiedliche Polarisation der verschiedenen Zeeman-Komponentenkann man benutzen, um auch ohne die eigentlich erforderliche Auflosung (d.h.Laserlinienbreite) selektiv einzelne Zeeman-Niveaus des angeregten Atoms zubevolkern.

Die Verschiebung δω der Kreisfrequenz kann man klassisch berechnen ausder Annahme, dass ohne Magnetfeld Gleichgewicht zwischen Zentrifugalkraftund Coulombkraft herrscht, d.h.

m0ω20~r =

Ze2

4πε0r3~r (6.3)

und dass bei Anlegen des Magnetfelds ~B0 die Lorentzkraft ~FL hinzutritt:

~FL = −e~v × ~B0 (6.4)

Daraus erhalt man fur die Frequenzverschiebung δν = δω/2π der beidenOszillatoren senkrecht zur Magnetfeldrichtung:

δν =1

e

m0

B0 (6.5)

Hieraus erkennt man, dass die Verschiebung der Spektrallinie unabhangigvon ihrer Frequenz ist und nur von der Starke des Magnetfeldes abhangt.

38

Page 39: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

6.2.2 Quatentheoretische Erklarung des normalen Zeeman-Effekts (Vektormodell)

Der Drehimpulsvektor ~ und damit gekoppelt das magnetische Moment~µj prazedieren gemeinsam um die Feldrichtung ~B0 (z.B. die z-Richtung)2.Die Zusatzenergie des Atoms im Magnetfeld betragt dann

Vmj= −(~µj)zB0 = −mjgjµBB0, (6.6)

wobei mj = j, j − 1, . . . ,−j. Die (2j + 1)-fache Richtungsentartung ist alsoaufgehoben, der Term spaltet in 2j+1 aquidistante (da bei reinem Bahnma-gnetismus gj = 1) Komponenten auf, die den Energieabstand ∆E = gjµBB0

zueinander haben. Damit erhalt man aus der quantentheoretischen Betrach-tung dieselbe Frequenzverschiebung δν = ∆E/h = (e/4πm0))·B0 wie aus derklassischen Rechnung (Gl. 6.5). Als Auswahlregel fur optische Ubergange gilt∆mj = 0,±1; es gibt also unabhangig von der Anzahl der Termkomponen-ten stets drei Linien (wie in der klassischen Betrachtung), das sog. normaleZeeman-Triplett.

6.2.3 Quatentheoretische Erklarung des anomalen Zeeman-Effekts (Vektormodell)

Der anomale Zeeman-Effekt wird beobachtet, wenn der atomare Magne-tismus eine Uberlagerung von Spin- und Bahnmagnetismus ist, und kannnur mit der Quantentheorie verstanden werden. Beide an einem Ubergangbeteiligten Terme haben im Allgemeinen wegen des unterschiedlichen An-teils von Spin- und Bahnmagnetismus unterschiedliche gj-Faktoren; deshalbist die Aufspaltung der Terme im Grund- und Anregungszustand (andersals beim normalen Zeeman-Effekt) unterschiedlich groß und die Energiedif-ferenz zweier Terme hangt von den Quantenzahlen l, s, j ab. Fur optischeUbergange gilt wieder die Auswahlregel ∆mj = 0,±1.

Normaler und anomaler Zeeman-Effekt gehen bei großen Feldstarken ~B0

in den Paschen-Back-Effekt uber.

2Achtung:Beim normalen Zeeman-Effekt liegt reiner Bahnmagnetismus vor, d.h. ~s = 0,also ~ = ~l + ~s = ~l, und damit gibt es auch nur ~µl; hier werden bereits die Bezeichnungen ~und ~µj verwendet zum besseren Vergleich mit dem anomalen Zeeman-Effekt.

39

Page 40: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

6.3 Magnetisches Moment bei der Spin-Bahn-

Kopplung

Wie erwahnt gilt bei reinem Bahnmagnetismus gj = 1, bei reinem Spin-magnetismus gj = 2; der anomale Zeeman-Effekt zeigt aber, dass der gj-Faktor auch andere (nichtganzzahlige) Werte annehmen kann.

Der gj-Faktor verknupft den Gesamtdrehimpuls eines Atoms mit derGroße des magnetischen Moments. Das magnetische Moment ~µj setzt sichvektoriell zusammen aus dem magnetischen Bahnmoment ~µl und dem ma-gnetischen Spinmoment ~µs:

~µj = ~µl + ~µs (6.7)

Dabei sind die Richtungen von ~µl und ~l einander antiparallel, ebenso ~µs

und ~s. Dagegen fallen im Allgemeinen die Richtungen von ~µj und ~ wegen derunterschiedlichen gj-Faktoren fur Bahn- und Spinmagnetismus nicht zusam-men. Vielmehr prazediert ~µj um die raumfeste Richtung von ~; daher kannman experimentell nur die Projektion von ~µj auf ~ beobachten, (~µj)j, fur die

(~µj)j = −gjµB~

h(6.8)

gilt, wobei

gj = 1 +j(j + 1) + s(s+ 1)− l(l + 1)

2j(j + 1)(6.9)

Diese Komponente prazediert in einem außeren Magnetfeld ~B0 wiederumum die Richtung dieses Feldes. In Gl. 6.6 muss also das zweifach projiziertemagnetische Moment (~µj)j,z, das man aus

(~µj)j,z = −mjgjµB (6.10)

erhalt, eingesetzt werden.

6.4 Paschen-Back-Effekt

Die bisherigen Betrachtungen uber die Aufspaltung von Spektrallinien imMagnetfeld gelten fur schwache Felder, d.h. die Aufspaltung der Energienive-aus im Magnetfeld ist klein gegenuber der Feinstruktur-Aufspaltung. Da dieSpin-Bahn-Kopplungsenergie mit wachsender Kernladungszahl Z stark zu-nimmt, ist der Fall des starken Feldes bei leichten Atomen schon bei sehr vielkleineren Magnetfeldern erfullt als bei schweren Atomen. In einem starken

40

Page 41: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Magnetfeld ~B0 vereinfacht sich das Aufspaltungsbild, weil die Feinstruktur-kopplung (in erster Ordnung) gelost wird: ~l und ~s prazedieren einzeln um ~B0,der Gesamtdrehimpuls ~ ist nicht definiert und damit verliert auch die Ge-samtdrehimpulsquantenzahl j ihre Bedeutung. Dieses Verhalten bezeichnetman als Paschen-Back-Effekt. Die Komponenten von Bahn- und Spinmomentin Feldrichtung, (~µl)z und (~µs)z, sind einzeln gequantelt; die entsprechendemagnetische Zusatzenergie betragt

Vms,ml= (ml + 2ms)µBB0, (6.11)

woraus fur die Aufspaltung der Spektrallinien folgt:

∆E = (∆ml + 2∆ms)µBB0 (6.12)

Fur optische Ubergange gelten die Auswahlregeln ∆ml = 0,±1 sowie∆ms = 0, d.h. die elektrische Dipolstrahlung kann in erster Naherung keineSpinumkehr bewirken. Damit erhalt man wieder ein Aufspaltungstriplett vonSpektrallinien wie beim normalen Zeeman-Effekt.

41

Page 42: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 7

Atome im Magnetfeld -QuantenmechanischeBehandlung

7.1 Quantentheorie des normalen Zeeman-Effekts

Zur quantentheoretischen Behandlung des normalen Zeeman-Effekts ver-wenden wir, dass sich ein Magnetfeld ~B aus einem Vektorpotential ~A durch~B = ∇ × ~A gewinnen lasst. Die elektrische Feldstarke ~E erhalt man aus ~A

und dem elektrischen Potential V nach ~E = −∇V − d ~Adt

. Damit lautet dieBewegungsgleichung eines Teilchens der Ladung −e und der Masse m0:

m0~r = −e ~E − e(~r × ~B

); (7.1)

man erhalt sie aus der Hamilton-Funktion

H =1

2m0

(~p+ e ~A

)2+ V (7.2)

mit V = −eV als potentieller Energie. Durch Anwendung der JordanschenRegel (der klassische Impuls ~p geht in der Quantenmechanik uber in (h/i)·∇)ergibt sich aus der Hamilton-Funktion der Hamilton-Operator der Bahnbe-wegung:

H = − 1

2m0

(h

i∇+ e ~A

)2

+ V (7.3)

= − h2

2m0

∆ +e

m0

~A~p+eh

2m0i∇ ~A+

e2

2m0

~A2 + V

42

Page 43: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Wahlt man ~B in z-Richtung und eine gunstige Darstellung des zugehori-gen Vektorpotentials ~A, lasst sich mit einem kugelsymmetrischen PotentialV fur die Schrodinger-Gleichung Hψ(~r ) = Eψ(~r ) der Ansatz

ψ(~r ) = Rn,l(r)eimϕPm

l (cos θ) (7.4)

machen. Damit erhalt man fur die Energieeigenwerte

E = E0n +Bz

eh

2m0

m (7.5)

mit −l ≤ m ≤ l. In Abhangigkeit von der magnetischen Quantenzahl mwird also die Energie E gegenuber der ungestorten Energie E0

n verschoben,es kommt zur Aufspaltung. Mit den Auswahlregeln ∆m = 0,±1 ergibt sichdas bekannte Aufspaltungsbild des normalen Zeeman-Effekts.

7.2 Quantentheoretische Behandlung des Spins

Elektron, Proton sowie weitere Elementarteilchen besitzen neben denTranslationsfreiheitsgraden noch einen Eigendrehimpuls, den Spin, der bis-her in der Herleitung der Schrodinger-Gleichung und deren Anwendung nichtberucksichtigt wurde. Dies ist aber notwendig zur exakten Beschreibung derSpin-Bahn-Kopplung, des anomalen Zeeman-Effekts etc.

Wie jeder Drehimpuls hat der Spin drei raumliche Komponenten, ~s =(sx, sy, sz); außerdem muss eine Beschreibung des Spins dem Befund Rech-nung tragen, dass die Spin-Komponente in einer Vorzugsrichtung nur diediskreten Einstellmoglichkeiten ±h/2 hat. Es handelt sich also um ein Zwei-Niveau-System.

7.2.1 Spinoperatoren, Spinmatrizen und Spinwellen-funktionen

Man fuhrt zwei Wellenfunktionen ϕ↑, ϕ↓ entsprechend den Spinrichtun-gen ein; diese Wellenfunktionen werden so gewahlt, dass die Anwendung desMessoperators den jeweiligen Messwert der Wellenfunktion ergibt, also (diez-Richtung sei die Vorzugsrichtung)

szϕms = hmsϕms (7.6)

wobei ms = ±1/2 die Quantenzahl der z-Komponente des Spins ist. DerOperator sz kann geschrieben werden als (σ1 ist eine der Pauli-Matrizen,siehe unten)

sz =h

2

(1 00 −1

)=h

2σ1 (7.7)

43

Page 44: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

und die Spinfunktionen lauten:

ϕ↑ =

(10

), ϕ↓ =

(01

)(7.8)

Die allgemeinste Spinfunktion stellt eine Uberlagerung von ϕ↑ und ϕ↓dar:

ϕ = aϕ↑ + bϕ↓ (7.9)

In x- und y-Richtung lauten die Operatoren:

sx =h

2

(0 11 0

)=h

2σ2, sy =

h

2

(0 −ii 0

)=h

2σ3 (7.10)

(σ2, σ3 sind die anderen beiden Pauli-Matrizen.) Damit gilt fur den Spinope-rator zum Quadrat

s2 = h2 3

4

(1 00 1

), (7.11)

d.h. bei Anwendung von s2 auf eine beliebige Spinfunktion ϕ gilt immer

s2ϕ = h2 3

4ϕ = h2s(s+ 1)ϕ (7.12)

mit s = 1/2 als Spinquantenzahl (Analogie zum Bahndrehimpuls).

7.2.2 Schrodinger-Gleichung des Spins im Magnetfeld

Mit dem Elektronenspin ~s ist ein magnetisches Moment ~µs verbunden(vgl. Kap. 5.3),

~µs = − e

m0

~s, (7.13)

das in einem raumlich homogenen Magnetfeld ~B die Energie Vs = −~µs~B hat.

Damit erhalt man die Schrodinger-Gleichung fur den Spin:

e

m0

~B~sϕ = Eϕ (7.14)

Bei einem Magnetfeld in z-Richtung hat diese Gleichung dieselben Eigen-funktionen wie Gl. 7.7 und die Energieeigenwerte lauten:

E = ±µBBz (7.15)

Die entsprechende zeitabhangige Schrodinger-Gleichung lautet:

e

m0

~B~sϕ = ihdϕ

dt(7.16)

44

Page 45: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

7.2.3 Spinprazession im konstanten Magnetfeld

Die allgemeine Losung der zeitabhangigen Schrodinger-Gleichung des SpinsGl. 7.16 ist eine Uberlagerung von ϕ↑ und ϕ↓ mit Zeitfaktoren (ω0 = (e/m0) ·Bz Lamorfrequenz ):

ϕ(t) = ae−iω0t2ϕ↑ + be+iω0

t2ϕ↓ (7.17)

Damit lassen sich die Erwartungswerte der einzelnen Spinkomponentenberechnen; es stellt sich heraus, dass nur der Erwartungswert in z-Richtungzeitlich konstant ist, d.h. der Spin fuhrt eine Prazessionsbewegung aus. DieKomponente des Spins in der x-y-Ebene rotiert mit der Winkelgeschwindig-keit ω0.

7.3 Quantenmechanische Behandlung des an-

omalen Zeeman-Effekts

Ohne Berucksichtigung der Spin-Bahn-Kopplung sind die Energie derBahnbewegung und die Energie des Spins im Magnetfeld additiv, d.h. denGesamt-Hamilton-Operator kann man einfach aus den beiden einzelnen Ha-miltonoperatoren zusammensetzen, was auf die Pauli-Gleichung fuhrt: 1

2m0

(h

i∇+ e ~A

)2

+ V +e

m0

~s ~B

Ψ = ih∂Ψ

∂t(7.18)

Aufgrund der Additivitat kann die Wellenfunktion Ψ(r) als ein Pro-dukt der beiden Einzelwellenfunktionen geschrieben werden. Die Spin-Bahn-Kopplung ergibt sich nun durch einen zusatzlichen Term, der aus der Wech-selwirkungsenergie resultiert:

W(~l, ~s)

=Ze2µ0

8πm20r

3

(~l · ~s

)=Zµ0

4πr3

(~µl · ~µs

)(7.19)

Damit ergibt sich eine neue Gesamt-Schrodinger-Gleichung. Fur die zei-tunabhangigen Wellenfunktionen muss wegen des Matrixcharakters des Spin-operators ~s

ψ(r) =

(ψ1(r)ψ2(r)

)gelten. Durch die Spin-Bahn-Kopplung werden Bahn- und Spinzustande ver-mischt und es mussen neue Quantenzahlen statt der alten (n, l,ml,ms) ein-gefuhrt werden. Gute Quantenzahlen findet man durch die Gultigkeit von

45

Page 46: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Vertauschungsrelationen. Wir fuhren den Operator des Gesamtspins ~ = ~l+~s(mit der z-Komponente jz) ein; aus der Betrachtung der dann gleichzeitigscharf messbaren Großen erhalt man die Quantenzahlen (j, s, l,mj). Da dieSpin-Bahn-Kopplung viel kleiner ist als die Termabstande, charakterisiert dieHauptquantenzahl n weiterhin in guter Naherung die Eigenfunktionen.

Wir betrachten nun den Fall eines Magnetfeldes in z-Richtung, ~B =(0, 0, Bz). Der Hamilton-Operator sei zerlegt in den der ungestorten Bewe-

gung H0, der Spin-Bahn-Wechselwirkung W(~l,~s)

und der Wechselwirkung

mit dem magnetischen Feld Wmag, fur den gilt:

Wmag =eB

2m0

(z + sz) (7.20)

Wendet man Wmag auf eine Wellenfunktion an, die durch die Quanten-zahlen j, s, l,mj gekennzeichnet ist, folgt

Wmagψ =eB

2m0

[1 +

j(j + 1)− l(l + 1) + s(s+ 1)

2j(j + 1)

]zψ, (7.21)

d.h. zwei Energieterme unterscheiden sich um

∆Ej,l,mj=

eh

2m0

Bg∆mj, (7.22)

wobei

g = 1 +j(j + 1)− l(l + 1) + s(s+ 1)

2j(j + 1)(7.23)

der Lande-Faktor ist (der sich auch aus dem Vektormodell herleiten lasst).

7.3.1 Quantentheoretische Betrachtung des Spins ineinem konstanten und einem dazu transversalenzeitabhangigen Magnetfeld

Bei Uberlagerung des konstanten Magnetfelds in einer Vorzugsrichtung(z.B. z-Richtung) durch ein Wechselfeld in der dazu senkrechten Ebene (z.B.x-y-Ebene) kommt es zu Spin-Umklapp-Phanomenen; damit konnen u.a. ma-gnetische Momente gemessen werden und diese Phanomene bilden die Grund-lage der Spinresonanztechnik. Dieses Magnetfeld kann geschrieben werden als~B = ~B0 + ~Bs (t) mit ~B0 = (0, 0, Bz

0) und Bs(t) =(Bs

x(t), Bsy(t), 0

). Zur Be-

schreibung der zeitabhangigen Ubergange nimmt man als Losungsansatz fur

46

Page 47: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

die zeitabhangige Schrodinger-Gleichung des Spins (Gl. 7.16) in allgemeinerForm

ϕ(t) = c1(t)ϕ↑ + c2(t)ϕ↓ =

(c1(t)c2(t)

)(7.24)

Durch Einsetzen erhalt man damit fur den Spin eine Bewegung wie dieeines Kreisels unter der Einwirkung außerer Krafte: Die z-Komponente desSpins oszilliert mit einer Frequenz 2Ω hin und her, woraus sich fur den Er-wartungswert

sz =

(− h

2

)cos(2Ωt) (7.25)

ergibt. Die Spinbewegung in der x-y-Ebene ist eine Uberlagerung von zweiBewegungen, einer raschen Umlaufbewegung mit der Frequenz ω0 und einerModulation der Amplitude mit der Frequenz 2Ω; die Erwartungswerte lauten:

sx = − h2

sin (2Ωt) sin (ω0t) , sy =h

2sin (2Ωt) cos (ω0t) (7.26)

7.3.2 Blochsche Gleichungen

In vielen Fallen stehen die Spins der Teilchen eines Ensembles in Wechsel-wirkung mit ihrer Umgebung. So werden die Spins z.B. durch Gitterschwin-gungen standig in ihrer Bahnbewegung gestort. Dies fuhrt dazu, dass diePrazession des Spins nicht gleichmaßig erfolgt, sondern es finden standigPhasenverschiebungen statt. Dann muss auch ein Ensemble von Spins stattder Gleichungen eines einzelnen Spins reprasentativ fur alle betrachtet wer-den, d.h. uber die quantenmechanischen Erwartungswerte wird noch einmalgemittelt. Eine bestimmte Komponente des Spins (z.B.: x-Komponente) hatdemnach in einem Ensemble eine bestimmte Werteverteilung, die im Laufeder Zeit auseinander lauft; der Abklingprozess wird beschrieben durch diephanomenologische Gleichung

d

dts inkoh

x = − 1

Tsx. (7.27)

(Analoges gilt fur die y-Komponente.) Da die Prazession des Spins um diez-Achse erfolgt, klingen also die transversalen Komponenten ab und die ZeitT wird als transversale Relaxationszeit bezeichnet.

Die z-Komponente zeigt einen anderen Zerfall, der von der Orientierungdes anliegenden Magnetfeldes (positive oder negative z-Richtung) abhangt.Wird die Umgebung bei der Temperatur Θ = 0 gehalten, kann der Spin durchEnergieabgabe in Zustand niedrigster Energie ubergehen, andernfalls stelltsich ein thermisches Gleichgewicht ein. Entfernt man den Spin aus diesem

47

Page 48: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Gleichgewichtszustand, versucht er, diesen wieder zu erreichen, was durch dieGleichung

d

dts inkoh

z = −s0 − sz

T ′ (7.28)

beschrieben wird, wobei T ′ die longitudinale Relaxationszeit ist. T ′ und Tsind ein Maß dafur, wie stark der Elektronenspin an die Umgebung koppelt.

7.3.3 Relativistische Theorie des Elektrons

Der mit dem Spin zusatzlich eingefuhrte Freiheitsgrad des Elektrons er-gibt sich nach Dirac ganz automatisch aus der relativistischen Quanten-theorie. Die Dirac-Theorie lasst Wellenfunktionen mit vier Komponenten zuΨ = (Ψ1,Ψ2,Ψ3,Ψ4), was aus der Tatsache resultiert, dass freie Teilchen so-wohl positive als auch negative Energiewerte haben konnen. Die Losungender Dirac-Gleichung fur kraftefreie Teilchen sind ebene Wellen.

Es ergibt sich aber das Problem, dass Teilchen positiver Energie dannunter Aussendung von Licht in immer tiefere negative Zustande ubergehenkonnten und in einen Energieschlund fallen wurden. Diracs Idee besagt nun,dass alle Energiezustande bereits mit Elektronen aufgefullt sind (nach demPauli-Prinzip). Die unendlich hohe negative Ladung dieses Dirac-Sees kannman sich kompensiert denken durch die positiven Ladungen der Protonen, dieebenfalls der Dirac-Gleichung genugen und entsprechende Seen auffullen. DasVakuum ist also zu interpretieren als diese beiden aufgefullten Dirac-Seen.

48

Page 49: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 8

Atome im elektrischen Feld

8.1 Stark-Effekt

Frequenzverschiebungen in optischen Spektren unter dem Einfluss elektri-scher Felder bezeichnet man als Stark-Effekt. Man unterscheidet den linearenund den quadratischen Stark-Effekt.

8.1.1 Linearer Stark-Effekt

Darunter versteht man eine zur elektrischen Feldstarke ~E proportionaleAufspaltung der Terme mit l 6= 0 beim Wasserstoff oder wasserstoffahnlichenAtomen. Der lineare Stark-Effekt liegt vor, wenn die l-Entartung, d.h. dieEntartung der Zustande mit gleicher Hauptquantenzahl n und verschiedenerBahndrehimpulsquantenzahl l erst durch das außere Feld und nicht bereitsdurch innere atomare Felder aufgehoben wird. Die Wellenfunktionen der ent-arteten Zustande mischen so, dass ein permanentes elektrisches Dipolmoment~pel entsteht. Ohne außeres Feld ist der Gesamtdrehimpuls ~J (Großbuchsta-ben stehen fur mehrere beteiligte Atome) nach Richtung und Große zeitlich

konstant, sodass ~pel um ~J prazediert. Im elektrischen Feld ~E prazediert ~pel

und damit auch ~J um die Feldrichtung, in der mh die Projektion von ~Jist. Der lineare Stark-Effekt nimmt eine Sonderstellung ein, weil er nur beimWasserstoff-Atom und ahnlichen Systemen beobachtet wird.

8.1.2 Quadratischer Stark-Effekt

Eine zu ~E2 proportionale Verschiebung und Aufspaltung von Termen beiallen nicht wasserstoffahnlichen Atomen wird als quadratischer Stark-Effektbezeichnet. Das angelegte elektrische Feld ~E induziert im Atom ein elektri-sches Dipolmoment ~p = α~E, wobei α die Polarisierbarkeit des Atoms ist. Die

49

Page 50: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Polarisierbarkeit ist eine Funktion aller Quantenzahlen und fur jede Elek-tronenkonfiguration verschieden. An diesem induzierten Dipolmoment greiftdas elektrische Feld an, wobei fur die Wechselwirkungsenergie

Wel =1

2· ~p · ~E =

1

2· α · ~E2 (8.1)

gilt.Der wesentliche Unterschied zur Aufspaltung von Spektrallinien im Ma-

gnetfeld ist, dass sich in einem elektrischen Feld Zustande mit gleichem Abso-lutwert der magnetischen Quantenzahl mj gleich verhalten. Die Anzahl derAufspaltungskomponenten ist deshalb beim Stark-Effekt (j + 1 Terme beiganzzahligem j, j+1/2 Terme bei halbzahligem j) kleiner als beim Zeeman-Effekt (2j + 1 Terme). Der Stark-Effekt wird angewandt zur Analyse vonMolekulspektren, Gasen hoherer Dichte etc.

8.2 Quantentheorie des linearen und quadra-

tischen Stark-Effekts (Storungstheorie)

Untersucht wird, wie sich die Wellenfunktionen und Energien eines Elek-trons andern, das neben dem Anziehungspotential des Atomkerns V (r) noch

einem konstanten elektrischen Feld ~E unterworfen ist. Der Hamilton-Operatordes Gesamtproblems lautet

H = H0 +Hs, (8.2)

wobei

H0 = − h2

2m0

·∆ + V (r) (8.3)

der Hamilton-Operator ohne außeres Feld ist. Hat das elektrische Feld dieFeldstarke ~E, so wirkt auf das Elektron die Kraft − ~E und die zugehorigepotentielle Energie ist:

V s = e · ~E · ~r = Hs (8.4)

In vielen Fallen ist das angelegte Feld klein und beeinflusst daher die Elek-tronenwellenfunktionen und Energien nur geringfugig. Die zeitunabhangigeSchrodinger-Gleichung des ungestorten Problems,

H0ϕν = E0νϕν , (8.5)

sei gelost. Um die Schrodinger-Gleichung mit Storpotential,

Hψ = Eψ, (8.6)

50

Page 51: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

losen zu konnen, macht man die Annahme, dass die gesuchte Losung ψ alseine Uberlagerung der ungestorten Losungen ϕν darstellbar ist. Wir erwarten,dass durch das außere Feld die Wellenfunktion verschoben und deformiertwird. Diese veranderte Wellenfunktion lasst sich aber aus der ursprunglichengewinnen, indem man zu dieser noch Wellenfunktionen anderer Energiestufenhinzufugt, also:

ψ(~r ) =∞∑

ν=1

cνϕν(~r ) (8.7)

Die Wellenfunktionen ϕν hangen von der Ortskoordinate ab, die Koeffizientencν jedoch nicht. Damit lautet die Hamilton-Funktion:

H0

∑ν

cνϕν(~r ) +Hs∑ν

cνϕν(~r ) = E∑ν

cνϕν(~r ) (8.8)

Die ~r-Abhangigkeit kann durch Ausnutzung der Orthogonalitat der Wellen-funktionen ∫

ϕ∗µϕνdV = δµν (8.9)

beseitigt werden. Mit dem Matrixelement des Storoperators

Hsµν =

∫ϕ∗µH

sϕνdV (8.10)

wird die Schrodinger-Gleichung damit zu:(E0

µ − E)· cµ +

∑ν

Hsµνcν = 0 (8.11)

Der Ausgangszustand trage den Index κ, d.h. ohne Storung muss fur denKoeffizienten c0ν = δνκ gelten; schreiben wir die Storung Hs als Hs = λH1 (λist ein kleiner Parameter), kann man die Koeffizienten fur λ 6= 0 entwickeln,

cν = δνκ + λc(1)ν + λ2c(2)ν + . . . , (8.12)

d.h. auch die Energieeigenwerte werden nach Potenzen von λ entwickelt.Durch Ausmultiplizieren und Koeffizientenvergleich erhalt man die gestorteWellenfunktion in 1. Naherung

ψ(~r ) = ϕκ(~r ) +∑µ 6=κ

Hsµκ

E0κ − E0

µ

ϕµ(~r ) (8.13)

sowie die Energie der Zustande in Storungsenergie 2. Ordnung in der Form

E = E0κ +

∑ν 6=κ

|Hsκν |

2

E0κ − E0

ν

(8.14)

(Hsκκist infolge der Auswahlregeln Null!) Die Verschiebung ist hier also pro-

portional zu ~E2, es handelt sich also um den quadratischen Stark-Effekt.

51

Page 52: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

8.2.1 Der lineare Stark-Effekt (Storungstheorie mit Ent-artung)

Liegen entartete Zustande, d.h. Zustande mit gleicher Energie, vor (wie imWasserstoff-Atom alle zu einem n gehorigen Zustande mit unterschiedlicheml und m), schlagt das diskutierte storungstheoretische Verfahren formal fehl,weil in Gl. 8.14 der Nenner verschwindet, wahrend das Matrixelement imZahler von Null verschieden ist. Deshalb macht man einen Ansatz ahnlichGl. 8.7,

ψ(~r ) =∑ν

c(0)ν ϕν(~r ) + corr. (8.15)

wobei aber nur uber die entarteten Wellenfunktionen summiert wird. Auseiner exakten Rechnung folgt, dass z.B. der Zustand n = 2 des Wasserstoff-Atoms proportional zu ~E aufspaltet.

8.3 Wechselwirkung eines Zwei-Niveau-Atoms

mit einem koharenten Lichtfeld

Eine einfallende elektromagnetische Welle stellt fur ein Atom ein zeitlichveranderliches Feld dar, das Ubergange zwischen zwei benachbarten Niveaushervorrufen kann. (Der Einfluss der ubrigen Zustande, die energetisch weitentfernt liegen sollen, werde vernachlassigt, d.h. wir betrachten ein Zwei-Niveau-Atom.1) Die zugehorige Schrodinger-Gleichung lautet:

[(− h2

2m0

)·∆ + V + Vs

]Ψ (~r, t) = ih

dΨ (~r, t)

dt(8.16)

(V ist das Kernpotential), das Lichtfeld sei eine ebene Welle der Form ~F =~F0 cos (ωt) und in z-Richtung polarisiert, also ~F0 = (0, 0, F0). Das Lichtfeldkann uber das Atom raumlich konstant angenommen werden, weil die Licht-wellenlange λ im Allgemeinen sehr viel großer als die Erstreckung der Elek-tronenwellenfunktionen ist2. Fur die potentielle Energie der Wechselwirkungdes Elektrons mit dem Lichtfeld gilt:

Vs = e · F0 · z · cos (ωt) (8.17)

1Im Bild der Storungstheorie ohne Entartung bedeutet das: Beimischungen derjenigenWellenfunktionen, die zu weit entfernt liegenden Energieniveaus gehoren, werden als kleinangesehen (Nenner in Gl. 8.14 wird groß).

2Dies gilt nicht mehr bei Rontgenstrahlung mit λ < 1nm.

52

Page 53: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Als Losungsansatz verwenden wir

Ψ (~r, t) = c1 (t)ϕ1 (~r ) + c2 (t)ϕ2 (~r ) (8.18)

mit den ungestorten Wellenfunktionen der beiden betrachteten Energienive-aus ϕ1 (~r ) , ϕ2 (~r ). Die Koeffizienten c1 (t) , c2 (t) werden wie bei der storungs-theoretischen Behandlung des quadratischen Stark-Effekts bestimmt. |cj (t)|2gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass das System im Zustand j angetroffenwird und kann daher als Besetzungszahl Nj aufgefasst werden. Das Elektronoszilliert mit einer Frequenz Ω zwischen beiden Zustanden hin und her.

8.4 Spin- und Photonenecho

Es besteht eine enge Analogie zwischen dem Verhalten eines Spins ineinem konstanten Magnetfeld, uberlagert mit einem transversalen magne-tischen Wechselfeld (siehe Kap. 7.3), und einem Elektron im Zwei-Niveau-Atom, das sich in einem elektrischen Wechselfeld befindet. In beiden Fallensei die Frequenz der anliegenden Felder in Resonanz mit der Ubergangsfre-quenz Ω des Spins bzw. Elektrons.

8.4.1 Spinsystem

Unter der Einwirkung eines koharenten, resonanten Feldes klappt der Spinim Laufe der Zeit um. Eine wichtige Anwendung ist das sog. Spinecho. Dabeilegt man zunachst einen π/2-Puls an (d.h. man lasst das Feld so lange ein-wirken, dass der Spin gerade um π/2 gedreht wurde). Es zeigt sich, dass dieSpins eines Ensembles nicht mit der gleichen Geschwindigkeit, sondern leichtunterschiedlich prazedieren; sie laufen mit der Zeit auseinander. Bezeichnetman mit ∆ω∗ die Frequenzbreite dieser Prazessionsbewegung (inhomogeneBreite), so lasst sich damit eine Zeit T ∗

2 = 2π/∆ω∗, in der die Spins ausein-ander laufen, definieren. Ein prazedierender Spin sendet elektromagnetischeStrahlung aus; laufen die Phasen mehrerer Spins auseinander, gerat auchdie Ausstrahlung außer Phase und die Gesamtintensitat klingt ab. Durch dieneuerliche Einstrahlung eines π-Pulses werden die Spins umgeklappt, sie sindalso nach einer bestimmten Zeit wieder gleichphasig und strahlen nahezu mitder Ausgangsintensitat ab (eine geringe Dampfung kommt durch irreversiblePhasenschwankungen zustande); es gibt also ein Echo des eingestrahlten π-Pulses. Bei wiederholten Pulsen ergibt sich die Abklingzeit T , die bereits ausden Blochschen Gleichungen (Kap. 7.3) bekannt ist.

Dem Vorgang des Spinechos entspricht das Photonenecho bei der Wech-selwirkung eines Lichtfeldes mit einem Zwei-Niveau-Atom (z.B. Rubin).

53

Page 54: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 9

Optische Ubergange

Bisher wurden vor allem stationare Atomzustande beschrieben, die furEinelektronensysteme durch eine Wellenfunktion ψn,l,ml,ms , die Drehimpul-

se ~l, ~s,~ und ihre Energien Ei charakterisiert werden konnen. Im BohrschenAtommodell wurde bereits phanomenologisch berucksichtigt, dass ein Atom-zustand Ei durch Absorption oder Emission eines Photons mit der Energiehν in einen anderen Zustand Ek ubergehen kann, wenn Ei − Ek = hν gilt.Experimentell findet man jedoch, dass im Absorptions- bzw. Emissionsspek-trum eines Atoms nicht jede mogliche Frequenz ν als Spektrallinie erscheint.Außerdem haben die einzelnen Spektrallinien ganz unterschiedliche Inten-sitaten, d.h. verschiedene Ubergange im Atom haben unterschiedliche Wahr-scheinlichkeiten.

9.1 Ubergangswahrscheinlichkeiten

9.1.1 Induzierte und spontane Ubergange

Ein Atom im Zustand Ek, das sich in einem elektromagnetischen Strah-lungsfeld mit der spektralen Energiedichte ων(ν) = n(ν)hν befindet, kann einPhoton mit Energie hν aus diesem Strahlungsfeld absorbieren und dadurchin einen energetisch hoheren Zustand Ei ubergehen. (n(ν) ist die Anzahldich-te der Photonen im Einheitsintervall Dn = 1s−1.) Die Wahrscheinlichkeit fureinen solchen Absorptionsubergang pro Zeiteinheit ist proportional zurspektralen Energiedichte:

Wki = Bki · ων(ν) (9.1)

Analog kann ein Strahlungsfeld ein Atom veranlassen, aus einem angereg-ten Zustand Ei zu emittieren; die Wahrscheinlichkeit fur diese induzierte

54

Page 55: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Emission ist ebenfalls proportional zur spektralen Energiedichte:

W indik = Bik · ων(ν) (9.2)

Ein angeregtes Atom kann seine Anregungsenergie aber auch spontan, dasheißt ohne außeres Feld, abgeben; die zugehorige Wahrscheinlichkeit fur diespontane Emission sei

W spontanik = Aik. (9.3)

Befinden sich Ni Atome im Zustand Ei und Nk Atome im Zustand Ek ineinem Strahlungsfeld der spektralen Energiedichte ων(ν), so mussen im sta-tionaren Zustand die Zustandsbesetzungen zeitlich konstant sein, d.h. dieEmissionsrate entspricht der Absorptionsrate:

AikNi +Bikων(ν)Ni = Bkiων(ν)Nk (9.4)

Die GroßenAik, Bik, Bki sind die Einstein-Koeffizienten. Setzt man fur die Be-setzungszahlenNi, Nk im thermischen Gleichgewicht die Boltzmann-Verteilung

Ni

Nk

=gi

gk

· e−hνkT (9.5)

an (g = 2J + 1 ist das statistische Gewicht eines Zustandes, die Zahl derenergetisch entarteten Unterniveaus eines Zustandes der Gesamtdrehimpuls-quantenzahl J), kann man fur die spektrale Energiedichte

wn(n) =Aik

Bik

1(gkBki

giBike

hnkT

)− 1

(9.6)

berechnen. Dies vergleicht man mit der Planck-Formel

ων(ν) =8πhν3

c31

ehνkT − 1

(9.7)

und aus der Forderung nach Gultigkeit fur alle Frequenzen ν und beliebi-ge Temperaturen T folgt fur die Einstein-Koeffizienten Bik = (gk/gi) · Bki,Aik = ((8πhν3) /c3). Bei gleichen statistischen Gewichten gi, gk sind die Ko-effizienten fur induzierte Emission und Absorption also gleich groß.

9.1.2 Ubergangswahrscheinlichkeiten und Matrixelemen-te

Der Mittelwert des elektrischen Dipolmoments eines Atoms mit einemLeuchtelektron im stationaren Zustand (n, l,ml,ms) = i ist in der quanten-mechanischen Beschreibung der Erwartungswert (~r ist der Ortsvektor des

55

Page 56: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Elektrons und dτ = dxdydz das Volumenelement)

~p(= e · ~r) = e ·∫ψ∗i ~r ψidτ. (9.8)

Bei einem Ubergang Ei → Ek mussen bei der Bildung des Erwartungswertesdie Wellenfunktionen beider Zustande berucksichtigt werden; dieser Erwar-tungswert wird bezeichnet als das sog. Ubergangsdipolmoment:

~pik = Mik = e ·∫ψ∗i ~r ψkdτ (9.9)

Dabei gilt |Mik| = |Mki|. Die im Mittel von einem Atom im Zustand Ei aufdem Ubergang Ei → Ek emittierte Leistung betragt

Pik =4

3· ω4

ik

4πε0c3|Mik|2 . (9.10)

Von Ni Atomen wird also bei der Frequenz ωik die Leistung P = Ni · Pik

abgestrahlt. Mit dem Einstein-Koeffizienten Aik lasst sich dies auch schreibenals P = Ni · Aik · hνik, woraus man eine Gleichung fur Aik erhalt:

Aik =2

3

e2ω3ik

ε0c3h·∣∣∣∣∫ ψ∗i ~r ψkdτ

∣∣∣∣2 (9.11)

Man kann die Erwartungswerte Mik fur alle Ubergange eines Atoms in einerMatrix anordnen, deren von Null verschiedene Elemente dann alle mogli-chen Ubergange und ihre Intensitaten angeben. Daher heißen die Mik auchMatrixelemente.

9.1.3 Ubergangswahrscheinlichkeiten fur Absorption undinduzierte Emission

Bei induzierten Prozessen spielt auch die spektrale Energiedichte ων(ν)des induzierenden elektromagnetischen Feldes eine Rolle. Lasst sich die ein-fallende elektromagnetische Welle durch ~E = ~E0 · eiωt beschreiben1, so ergibtsich fur die Wahrscheinlichkeit, dass das Atom pro Sekunde ein Photon hνabsorbiert, mit dem Einheitsvektor ~ε = ~E/| ~E|:

Wki =πe2

2h2 · E20

∣∣∣∣∫ ψ∗k ~ε~r ψidτ∣∣∣∣2 (9.12)

Die Wahrscheinlichkeit Wki hangt also von der relativen Orientierung desVektors ~E der Lichtwelle und des Dipolmoments ~p = e ·~r des Atoms ab. Mit

1Es gelte wieder, dass die Wellenlange λ groß gegen die Abmessungen des Atoms ist.

56

Page 57: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

der zeitlichen Mittelung der Energiedichte des elektromagnetischen Feldesων = (1/2) · ε0 · E2

0 gilt

Wki =πe2

3ε0h2 ·∣∣∣∣∫ ψ∗k ~r ψidτ

∣∣∣∣2 · ων , (9.13)

woraus durch Vergleich mit Wki = Bki · ων(ν) der Einstein-Koeffizient Bki

der Absorption bestimmt werden kann:

Bki =2

3· π

2e2

ε0h2 ·∣∣∣∣∫ ψ∗k ~r ψidτ

∣∣∣∣2 (9.14)

9.2 Auswahlregeln

Nicht jeder nach dem Energiesatz mogliche Ubergang wird tatsachlichim Spektrum beobachtet. Außer der Energieerhaltung spielen die Erhaltungdes Drehimpulses und Symmetrieprinzipien eine entscheidende Rolle. Es sindnur solche Ubergange erlaubt, bei denen fur die Einstein-Koeffizienten Aik 6=0, Bik 6= 0 gilt, d.h. das Ubergangsdipolmoment Mik muss mindestens einevon Null verschiedene Komponente

(Mik)j = e ·∫ψ∗i j ψkdτ (9.15)

(j = x, y, z) haben.Wir behandeln nun das Wasserstoff-Atom unter Vernachlassigung des

Spins (Integration erfolgt nur uber die Raumkoordinaten). Die Wellenfunk-tion des Zustands (n, l,ml) sei

ψn,l,ml=

1√2π·Rn,l(r) ·Θl

m(ϑ) · eimϕ. (9.16)

Fallt eine linear polarisierte Welle mit dem Feldvektor ~E = (0, 0, E0) (d.h. dieAusbreitung erfolgt senkrecht zur z-Richtung; sog. π-Licht) auf das Atom,so ist im Skalarprodukt in Gl. 9.12 nur der Term E0 · z von Null verschieden.Mit der Quantisierungsachse in z-Richtung und z = r · cosϑ ergibt sich furdie z-Komponente des Dipolmatrixelements:

(Mik)z =1

2π·∫ ∞

r=0RiRkr

3dr ·∫ π

ϑ=0Θlk

mkΘli

misinϑ cosϑdϑ ·

∫ 2π

ϕ=0ei(mk−mi)ϕdϕ

(9.17)Die Ubergangswahrscheinlichkeiten sind also nur fur solche Ubergange vonNull verschieden, fur die keiner der drei Faktoren zu Null wird.

57

Page 58: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

9.2.1 Auswahlregeln fur die magnetische Quantenzahl

Der letzte Faktor in Gl. 9.17 ist nur fur mi = mk ungleich Null, d.h. esgilt die Auswahlregel

∆m = mi −mk = 0 (9.18)

Im Fall zirkular polarisierten Lichtes (σ+/σ−-Licht) wird die Absorption bzw.Emission durch die komplexe Linearkombination der x- und y-Komponentevon Mik, also (Mik)x± i(Mik)y, beschrieben. Aus analogen Betrachtungen zuoben erhalt man dann, dass bei nichtverschwindenden Dipolmatrixelementenmk = mi ± 1 gelten muss, d.h. die Auswahlregel lautet

∆m = mi −mk = ±1. (9.19)

Diese Auswahlregeln kann man auch direkt aus der Erhaltung des Gesamt-drehimpulses fur das System aus Atom und Photon ableiten.

9.2.2 Paritatsauswahlregeln

Sei also ∆m = 0,±1 erfullt; damit der zweite Faktor in Gl. 9.17 ungleichNull wird, muss zusatzlich lk − li = ±1 gelten. (Dies gilt ebenso bei zirkularpolarisiertem Licht.) Fur die Bahndrehimpulsquantenzahl l erhalten wir alsodie Auswahlregel

∆l = li − lk = ±1. (9.20)

Dies lasst sich auch aus Symmetrieuberlegungen schließen: Der Ortsvektor ~rhat ungerade Paritat; die beiden am Ubergang beteiligten Zustande mussenunterschiedliche Paritat haben. Das bedeutet aber, dass sich l bei einemerlaubten Dipolubergang um eine ungerade Zahl andert.

9.2.3 Auswahlregeln fur die Spinquantenzahl

Bei Atomen mit nur einem Elektron in einer nicht aufgefullten Schale

ist der Betrag des Spins immer |~s | =√

3/4 · h. Der Betrag des Spins kann

sich also bei optischen Ubergangen nicht andern2, d.h. die entsprechendeAuswahlregel ist

∆s = si − sk = 0. (9.21)

Beim Helium-Atom mit zwei Elektronen folgt aus der Forderung, dass dasDipolmatrixelement unabhangig von einer Vertauschung der Elektronen sein

2Das gilt auch bei Einelektronen-Ubergangen in Mehrelektronensystemen mit ~S =∑i ~si.

58

Page 59: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

soll, dass beide Zustande entweder symmetrische oder antisymmetrische Orts-funktionen haben, d.h. zum Singulett- oder Triplett-System gehoren mussen.Ubergange zwischen beiden Systemen sind verboten. Die Auswahlregel Gl. 9.21gilt nur streng, solange die Spin-Bahn-Kopplung klein ist, d.h. die Wellen-funktion kann als Produkt von Orts- und Spinfunktion geschrieben werden.Bei schwereren Atomen ist die Kopplung starker und S ist keine gute Quan-tenzahl mehr. Ubergange zwischen verschiedenen Multiplett-Systemen (In-terkombination) ist dann moglich.

Obwohl sich der Betrag des Gesamtspins nicht andert, kann sich die Rich-tung relativ zum Bahndrehimpuls durchaus andern. Damit gilt fur die Quan-tenzahl J des Gesamtdrehimpulses ~J = ~L+ ~S die erweiterte Auswahlregel

∆J = 0,±1, (9.22)

ausgenommen den Ubergang von J = 0 nach J = 0. Das bedeutet, dassdie notwendige Anderung ∆L = ±1 durch eine entgegengesetzte Anderung∆ms = ∓1 kompensiert werden kann.

9.3 Multipolubergange hoherer Ordnung

Außer den elektrischen Dipolubergangen, deren Ubergangswahrschein-lichkeit durch das Quadrat des Dipolmatrixelements bestimmt ist, gibt esauch elektrische Quadrupolubergange und magnetische Dipolubergange, de-ren Ubergangswahrscheinlichkeiten aber um mehrere Großenordnungen klei-ner sind. So werden auch Ubergange, die bei elektrischer Dipolstrahlung ver-boten sind, beobachtet.

9.3.1 Elektrische Quadrupolstrahlung

Diese wird von sich zeitlich andernden Quadrupolmomenten emittiert.Das elektrische Quadrupolmoment einer Ladungsverteilung hat gerade Pa-ritat, da es Produkte zweier Koordinaten enthalt. Deshalb mussen die Wel-lenfunktionen der Zustande, zwischen denen ein elektrischer Quadrupoluber-gang stattfinden kann, gleiche Paritat (gerade/ungerade) haben. Die Aus-wahlregel der Bahndrehimpulsquantenzahl l bei Quadrupolubergangen lau-tet deshalb

∆l = 0,±2. (9.23)

(Gleichzeitige Absorption von zwei Photonen, sog. Zwei-Photonen-Ubergange,kann bei sehr hohen Lichtintensitaten - zwei Photonen mussen

”gleichzeitig“

59

Page 60: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

am Ort des Atoms sein - auftreten.) Fur die GesamtdrehimpulsquantenzahlJ gilt

∆J = 0,±1,±2. (9.24)

Dabei ist neben dem Ubergang von J = 0 nach J = 0 auch der von J = 0nach J = 1 verboten.

9.3.2 Magnetische Dipolstrahlung

Sie entsteht, wenn sich Richtung oder Betrag des magnetischen Dipolmo-ments eines Atoms bei einem Ubergang andert. Beispiele sind Ubergange mit∆m = ±1 zwischen den Strukturniveaus eines Zustandes. Die Energiediffe-renzen sind im Allgemeinen sehr klein, also ist wegen Aik ∼ ω3

ik die spontaneUbergangswahrscheinlichkeit sehr klein.

9.4 Lebensdauer angeregter Zustande

Mit der WahrscheinlichkeitAij pro Zeiteinheit (Einstein-Koeffizient), dassein Atom im Zustand Ei spontan unter Aussendung eines Photons in einentieferen Zustand Ej ubergeht, folgt fur die Zahl der im Zeitintervall dt uberge-henden Atome dNi = −AijNidt mit der Anzahl Ni der Atome im Zustand Ei.(Falls ein Zerfall in mehrere Zustande mit Ej < Ei moglich ist, ist Aij durchAi =

∑j Aij zu ersetzen.) Durch Integration erhalt man die zeitabhangige

Besetzungsdichte des Zustands Ei:

Ni(t) = Ni(t = 0) · eAit (9.25)

Die Konstante τi = 1/Ai ist die mittlere Lebensdauer des Zustandes Ei.Durch deren Messung kann die Summe der Einstein-Koeffizienten Ai be-stimmt werden; bestimmt man zusatzlich die relativen Lichtintensitaten Iikder einzelnen Ubergange, konnen auch die einzelnen Ubergangswahrschein-lichkeiten berechnet werden:

Aik = Ai ·(Iik/hνik)∑j

(Iij/hνij)(9.26)

Tragen noch andere Deaktivierungsprozesse wie z. B. inelastische Stoße mitder Wahrscheinlichkeit Ri pro Zeiteinheit zur Entvolkerung des Niveaus bei,mussen Ri und die spontane Wahrscheinlichkeit Ai addiert werden und manerhalt eine effektive Lebensdauer τ eff

i = 1/(Ai +Ri).

60

Page 61: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

9.5 Linienbreite der Spektrallinien

Bei einem Ubergang von Ei nach Ek ist die Ubergangsfrequenz νik nichtstreng monochromatisch, sondern es wird eine spektrale Verteilung beob-achtet; die Spektrallinie lasst sich dann charakterisieren durch die spektraleLeistungsdichte Pν(ν) und das Linienprofil Pν(ν − ν0). Den Spektralbereichinnerhalb der Halbwertsbreite der Linie bezeichnet man als Linienkern, dieBereiche außerhalb als Linienflugel. Die endliche Breite einer Spektrallinie re-sultiert aus der endlichen Energiebreite δE der Zustande, der Bewegung derabsorbierenden bzw. emittierenden Atome (Doppler-Effekt) und der Wech-selwirkung mit Nachbaratomen (Stoßverbreiterung).

9.5.1 Naturliche Linienbreite

Die naturliche Linienbreite ist eine Folge der endlichen Lebensdauer derZustande. Ein angeregtes Elektron verhalt sich analog einem gedampftenharmonischen Oszillator mit der Bewegungsgleichung x+γx+ω2

0x = 0. Wegender zeitlich abklingenden Schwingungsamplitude x(t) ist die Frequenz ω derabgestrahlten Welle nicht mehr monochromatisch, sondern die Amplitudender abgestrahlten Welle zeigen ein Frequenzspektrum

A(ω) =1√2π·∫ ∞

−∞x(t) · e−iωtdt (9.27)

(Fouriertransformierte zu x(t)). Fur die abgestrahlte spektrale Leistung Pω(ω)gilt Pω(ω) ∼ A(ω) ·A∗(ω); das Linienprofil ist dann das Lorentz-Profil (C isteine Normierungskonstante):

Pω(ω − ω0) =C

(ω − ω0)2 + (γ/2)2(9.28)

Ersetzt man die klassische Dampfungskonstante γ durch die spontane Uber-gangswahrscheinlichkeit Aik, so folgt fur die naturliche Linienbreite δωn =γ = Ai = 1/τi. (Dies lasst sich auch aus der Heisenbergschen Unscharfere-lation zwischen Energie und Zeit herleiten.) Bei einem Ubergang zwischenzwei angeregten Niveaus tragen beide Lebensdauern τi, τk zur naturlichenLinienbreite bei (die Energieunscharfen addieren sich).

9.5.2 Doppler-Verbreiterung

Bewegt sich ein angeregtes Atom mit einer Geschwindigkeit ~v = (vx, vy, vz),so wird die Mittenfrequenz ω0 des vom Atom in Richtung des Wellenvektors

61

Page 62: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

~k mit |~k| = 2π/λ emittierten Lichts fur einen ruhenden Beobachter infolgedes Doppler-Effekts verschoben zu

ωe = ω0 + ~k · ~v. (9.29)

(Die Absorptionsfrequenz ωa eines bewegten Atoms andert sich entsprechend;damit das Atom in seinem Ruhsystem genau mit der Eigenfrequenz ω0 ab-sorbieren kann, muss die Frequenz der einfallenden Welle ωa = ω0 + ~k · ~vsein.)

Im thermischen Gleichgewicht haben die Atome eines Gases eine Maxwell-sche Geschwindigkeitsverteilung. Daraus lasst sich ableiten, dass das Profilder durch den Doppler-Effekt verbreiterten Spektrallinie

Pω(ω − ω0) = Pω(ω0) · e−(

c(ω−ω0)

ω0·v

)2

(9.30)

eine Gauss-Funktion ist (v =√

2kBT/m ist die wahrscheinlichste Geschwin-

digkeit der Atome bei der Temperatur T). Die Halbwertsbreite ergibt sich zuδωD = 2

√ln 2 · ω0 · v/c.

Die Doppler-Verbreiterung ubertrifft die naturliche Linienbreite im sicht-baren Spektralbereich typischerweise um zwei Großenordnungen. Da dasGauss-Profil in großer Entfernung von der Mittenfrequenz ω0 viel schnel-ler gegen Null geht als das Lorentz-Profil, kann man aus der Betrachtung derLinienflugel Informationen uber die naturliche Linienbreite gewinnen.

9.5.3 Stoßverbreiterung

Nahern sich zwei Atome A,B an, so fuhrt die Wechselwirkung zwischenihnen zu einer Verschiebung der Energieniveaus, die von der Struktur derElektronenhullen und dem Abstand der beiden Atome R(A,B) (definiert alsAbstand der Schwerpunkte) abhangt. Die Energieverschiebung ist im Allge-meinen fur die einzelnen Energieniveaus Ei unterschiedlich groß und kannpositiv (bei abstoßendem Potential zwischen A und B) oder negativ (bei an-ziehender Wechselwirkung) sein. Tragt man die Energien zweier Niveaus desAtoms A in Abhangigkeit vom Abstand R(A,B) auf, erhalt man sog. Po-tentialkurven Ei(R), Ek(R). Eine Annaherung der Teilchen A,B bis zu demAbstand R, bei dem sie sich merklich beeinflussen, bezeichnet man als Stoßzwischen den Teilchen. Bei einem strahlenden Ubergang zwischen den Ni-veaus Ei und Ek wahrend eines Stoßes hangt die Frequenz des Lichtes νik

gemaß hνik = |Ek(R) − Ei(R)| von der Differenz der Potentialkurven beimAbstand R ab. Deshalb liefert das Profil der stoßverbreiterten SpektrallinieInformationen uber die R-Abhangigkeit der Potentialkurvendifferenz und da-mit uber die Differenz der Wechselwirkungspotentiale. Ein elastischer Stoß

62

Page 63: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

liegt vor, wenn ein Energieniveau Ei des Atoms A wahrend der Wechselwir-kungszeit (geringfugig) verschoben wird, danach aber wieder seinen ursprung-lichen Wert annimmt. Bei einem inelastischen Stoß wird die Anregungsener-gie Ei − Ek ganz oder teilweise in innere Energie des Stoßpartners B oderin Translationsenergie beider Atome umgesetzt. Beide Stoßarten fuhren zueiner Verbreiterung der Spektrallinien, elastische Stoße bewirken zusatzlichnoch eine Linienverschiebung. Das Linienprofil hat eine Lorentz-Form.

9.5.4 Sattigungsverbreiterung, Flugzeitverbreiterung

In der Laserspektroskopie kommt es durch die hohen Lichtintensitatenzur sog. Sattigungsverbreiterung, weil die Besetzungsdichten absorbierenderNiveaus durch optisches Pumpen geandert werden. Bei Ubergangen mit lan-gen spontanen Lebensdauern kann die Wechselwirkungszeit der Atome miteiner einfallenden Lichtwelle kurzer sein als deren Lebensdauer. In diesenFallen wird die Linienbreite nicht durch die Lebensdauern, sondern durchdie Flugzeit bestimmt.

63

Page 64: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 10

Mehrelektronenatome

Bei Atomen mit mehr als einem Elektron treten neue Phanomene auf, diemit der gegenseitigen elektrostatischen und magnetischen Wechselwirkungder Elektronen zu tun haben. Zusatzlich gelten neue Symmetrieprinzipien,die aus der Vertauschbarkeit der Elektronen resultieren.

10.1 Das Helium-Atom

Das Heliumatom besteht aus einem Kern mit der Kernladungszahl Z = 2und zwei Elektronen, deren Zustand durch die Wellenfunktion ψ (~r1, ~r2) be-schrieben wird, die von den Ortskoordinaten der beiden Elektronen abhangt.Die potentielle Energie der Elektronen betragt

Epot = − e2

4πε0

(Z

r1+Z

r2− 1

r12

)(10.1)

und der Operator der kinetischen Energie der Elektronen im Schwerpunkt-system ist (µ = me ·mP/ (me +mP ))

Ekin = − h2

2µ(∆1 (~r1) + ∆2 (~r2)) (10.2)

Dabei wirkt ∆i auf die Koordinaten von ~ri. Da mP me folgt µ ≈ me ≈ mund die Schrodinger-Gleichung fur das Heliumatom lautet damit:

− h2

2m∆1ψ (~r1, ~r2)−

h2

2m∆2ψ (~r1, ~r2) + Epotψ (~r1, ~r2) = Eψ (~r1, ~r2) (10.3)

Der Wechselwirkungsterm in der potentiellen Energie bewirkt, dass dasPotential nicht mehr kugelsymmetrisch ist, sondern vom Winkel α zwischen

64

Page 65: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

den Radiusvektoren der beiden Elektronen abhangt. Man kann daher nichtwie beim H-Atom die Wellenfunktion in einen Radialanteil und einen Winke-lanteil separieren. Die Schrodinger-Gleichung 10.3 ist nicht mehr analytischlosbar.

10.1.1 Naherungsmodelle

Wegen ihrer gegenseitigen Abstoßung werden die beiden Elektronen imMittel weiter von einander als vom Kern entfernt sein. Daher kann in ers-ter Naherung der Wechselwirkungsterm in Gl. 10.1 vernachlassigt werden.Verwendet man den Produktansatz

ψ (~r1, ~r2) = ψ1 (~r1) · ψ2 (~r2) (10.4)

zerfallt Gl. 10.3 in zwei getrennte Gleichungen fur die beiden Elektronen,die identisch mit der des H-Atoms sind. Die aus dieser Naherung erhalteneGesamtenergie des tiefsten Heliumzustandes (beide Elektronen im Zustandn = 1) betragt EHe = −108, 8eV , wohingegen man experimentell EHe =78, 93eV findet. Bei Vernachlassigung der Elektronenabstoßung entsteht alsoein Fehler von 40%!

Eine bessere Naherung erhalt man, wenn man berucksichtigt, dass je-des der beiden Elektronen sich in einem Potential bewegt, welches aus demCoulomb-Potential des Kerns mit Z = 2 und der im zeitlichen Mittel kugel-symmetrischen Ladungsverteilung des anderen Elektrons besteht. Diese nega-tive Ladungsverteilung um den positiv geladenen Kern schirmt das Coulomb-Feld teilweise ab, sodass dieses abgeschirmte Feld fur das zweite Elektronbeschrieben werden kann wie ein Zentralfeld, das durch die effektive Zentral-ladung (Z − s) · e erzeugt wird. s heißt Abschirmkonstante. Man erhalt denexperimentellen Wert EHe = −78, 93eV fur s = 0, 656, d.h. die effektive Kern-ladung fur eines der beiden Elektronen betragt in diesem Bild Zeff = 1, 35.Befindet sich ein Elektron in einem angeregten Zustand, so wird fur dieseseine großere Abschirmung beobachtet, weil das zweite Elektron dann einegroßere Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Kernort hat.

10.1.2 Symmetrie der Wellenfunktion

Die Separationsanteile der Wellenfunktion (Gl. 10.4) hangen von den dreiQuantenzahlen (n, l,ml) der beiden Elektronen ab. Der Zustand (n1, l1,ml1)wird mit a bezeichnet, der Zustand (n2, l2,ml2) mit b. In Folge der Ununter-scheidbarkeit der Elektronen sind die Wellenfunktionen Linearkombinationenaus den Produkttermen, die berucksichtigen, dass das Elektron 1 im Zustand

65

Page 66: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

a, das Elektron 2 im Zustand b ist und umgekehrt:

ψs = ψ1 (a) ·ψ2 (b)+ψ1 (b) ·ψ2 (a) , ψa = ψ1 (a) ·ψ2 (b)−ψ1 (b) ·ψ2 (a) (10.5)

Dabei ist ψs symmetrisch bei Vertauschung der Elektronen, ψa antisym-metrisch. Welche der beiden Funktionen den Atomzustand richtig beschreibt,hangt vom Spin der beiden Elektronen ab.

10.1.3 Elektronenspin

Jedes Elektron hat einen Spin ~s (vgl. Kap. 5.3, 7.2), dessen Betrag

|~s | =√s (s+ 1) · h (10.6)

mit s = 1/2 ist. Die Projektion auf die z-Richtung kann die Werte

sz = ms · h (10.7)

mit ms = ±1/2 annehmen. Man unterscheidet bei einem Zwei-Elektronen-System eine parallele und eine antiparallele Einstellung der Spins.

Die gegen Elektronenvertauschung symmetrischen Spinfunktionen lauten:

ϕ1 = ϕ↑(1) · ϕ↑(2),Ms = +1 (10.8)

ϕ2 = ϕ↓(1) · ϕ↓(2),Ms = −1 (10.9)

ϕ3 =1√2· [ϕ↑ (1) · ϕ↓ (2) + ϕ↑ (2) · ϕ↓ (1)] ,Ms = 0 (10.10)

Diese beschreiben einen atomaren Zustand mit dem Gesamtspin (~S =

~s1 + ~s2 mit |~S | =√S (S + 1) · h und S = 1). Da der Gesamtspin ~S drei

raumliche Einstellmoglichkeiten, Ms = 0,±1, hat, nennen wir dies einenTriplett-Zustand.

Die gegen Elektronenvertauschung antisymmetrische Spinfunktion

ϕa = ϕ↑ (1) · ϕ↓ (2)− ϕ↑ (2) · ϕ↓ (1) ,Ms = 0 (10.11)

gehort zu einem Zustand mit der Spinquantenzahl S = 0, den wir Singulett-Zustand nennen.

Die gesamte Wellenfunktion eines Atomzustandes wird dann als Produktder Ortswellenfunktionen und der Spinfunktion geschrieben.

66

Page 67: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

10.1.4 Das Pauli-Prinzip

Die Beobachtung des Heliumspektrums und vieler anderer Atomspektrenzeigte, dass nur Atomzustande, deren Gesamtwellenfunktion antisymmetrischgegen Vertauschung zweier Elektronen ist, auftreten. Pauli stellte das ver-allgemeinerte Postulat auf:

”Die Gesamtwellenfunktion eines Systems mit mehreren Elek-

tronen ist antisymmetrisch gegen Vertauschung zweier Elektro-nen.“

Dieses Antisymmetrisierungsprinzip gilt fur alle Teilchen mit halbzah-ligem Spin (Fermionen wie Protonen, Neutronen...). Es folgt aus der rela-tivistischen Quantenfeldtheorie. Wenn zwei Elektronen eines Atoms beidedie gleichen Quantenzahlen (n, l,ml) haben, so wird das Atom in diesemZustand durch eine bei Elektronenvertauschung symmetrische Ortsfunktionbeschrieben. Dann folgt aus dem Pauli-Prinzip, dass die Spinfunktion anti-symmetrisch sein muss.

10.1.5 Termschema des Helium-Atoms

Der tiefste Energiezustand des Heliumatoms wird realisiert, wenn sichbeide Elektronen im tiefstmoglichen Zustand n = 1 befinden. Dann sind ihreraumlichen Quantenzahlen identisch und daher mussen ihre Spinquantenzah-len sich unterscheiden. Fur den Gesamtspin muss gelten ~S = ~s1 +~s2,Ms = 0,also ein Singulett-Zustand. Die korrekte Bezeichnung des Zustands lautet1 1S0 (vgl. Kap. 4.2). Fuhrt man dem He-Atom Energie zu, so wird ein Zu-stand mit hoherer Hauptquantenzahl n besetzt; angeregte Zustande konnensowohl als Singulett- als auch als Triplett-Zustande vorkommen. Wegen derSpin-Bahn-Kopplung spalten alle Triplett-Zustande mit der SpinquantenzahlS = 1 und der Bahndrehimpulsquantenzahl L ≥ 1 in drei Feinstrukturkom-ponenten auf.

Das Spektrum zeigt beim Helium-Atom Ubergange, fur die die Auswahl-regeln

∆l = ±1; ∆ml = 0,±1; ∆j = 0,±1; ∆s = 0 (10.12)

fur das angeregte Elektron gelten (außer fur den Ubergang j = 0 nach j = 0).Da sich bei der Anregung nur eines Elektrons die Quantenzahlen des

anderen Elektrons nicht andern, gilt zudem:

∆L = ±1; ∆ML = 0,±1; ∆S = 0 (10.13)

Ubergange zwischen Zustanden des Singulett-Systems (S = 0) und denendes Triplett-Systems (S = 1) sind demnach verboten (vgl. Kap. 9.2).

67

Page 68: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

10.2 Aufbau der Elektronenhullen großerer

Atome

Da wegen des Pauli-Prinzips nicht mehr als zwei Elektronen den tiefs-ten Energiezustand mit n = 1 einnehmen konnen, mussen beim Aufbau derElektronenhullen großerer Atome alle weiteren Elektronen energetisch hohereNiveaus mit n ≥ 2 besetzen. Die Verteilung der Elektronen eines Atoms aufdie verschiedenen Energiezustande (n, l,ml,ms) geschieht so, dass das Pauli-Prinzip erfullt ist und die Gesamtenergie aller Elektronen fur den Grundzu-stand jedes Atoms minimal wird.

10.2.1 Schalenmodell der Atomhullen

Es gibt zu jeder Hauptquantenzahl n insgesamt n2 verschiedene Zustande1,die bei Berucksichtung der verschiedenen Spinquantenzahlen ms = ±1/2 mitinsgesamt 2n2 Elektronen besetzt werden konnen. Die gesamte zeitlich ge-mittelte Ladungsdichteverteilung aller Elektronen mit gleichem n ergibt sichdurch Summation uber alle zugelassenen Werte von l und ml. Sie ist kugel-symmetrisch und hat Maxima bei bestimmten Werten des Abstandes r vomKern (Kugelschale). Man nennt eine solche kugelsymmetrische Ladungsver-teilung bei gegebener Hauptquantenzahl n deshalb eine Elektronenschale.

n 1 2 3 4 5Name der Schale K L M N O

10.2.2 Hundsche Regeln

1. Volle Schalen und Unterschalen tragen zum gesamten Drehimpuls ~Lund zum Gesamtspin ~S nichts bei.

2. Diejenigen Elektronen, die bei gleichem l auf die zugehorigen Unter-zustande ml verteilt werden, werden im Grundzustand so eingebaut,dass der resultierende Gesamtspin ~S maximal wird. Zustande mit derhochsten Multiplizitat liegen also energetisch am tiefsten, z.B. Triplett-Zustande tiefer als Singulett-Zustande.

3. Bei der Realisierung des großten Wertes der Quantenzahl S werdenunter Beachtung des Pauli-Prinzips die Elektronen so auf die Unter-zustande ml verteilt, daß

∣∣∣~Lz

∣∣∣ =∑mlh = mLh ein Maximum wird.

1∑n−1

l=0 (2l + 1) = n2

68

Page 69: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Die resultierende Drehimpuls-Quantenzahl L ist dann gleich |mL|. Beigleicher Multiplizitat S(S + 1) liegen deshalb die Zustande energetischum so tiefer, je großer L ist.

4. Wird noch die Spin-Bahn-Wechselwirkung berucksichtigt, so gilt: Innormalen Multipletts liegen die Terme mit der kleinsten QuantenzahlJ energetisch am tiefsten, sonst ist es umgekehrt. Normal heißt hier,daß die Teilschale weniger als zur Halfte besetzt ist.

Nach den Hundschen Regeln hat der Grundzustand eines Atoms dengroßtmoglichen, mit dem Pauli-Prinzip vereinbaren Wert des Gesamtspins~S, was daran liegt, dass zwei Elektronen mit parallelem Spin einen großerenmittleren Abstand r12 haben und deshalb eine kleinere Abstoßungsenergie;damit haben die Terme mit großerem Gesamtspin nach Gl. 10.2 eine tiefereEnergie als die mit antiparallelem Spin.

10.2.3 Atomvolumen und Ionisierungsenergien

Die Schalenstruktur der Atomhullen wird experimentell auch bei der Be-stimmung der Atomvolumina bestatigt. Jedes Mal bei Beginn des Aufbauseiner neuen Schale steigen die Atomvolumina an. Auch die Ionisierungsener-gien zeigen eine durch den Schalenaufbau erklarbare Periodizitat.

Rechnungen zeigen, dass es manchmal energetisch gunstiger ist, eine neueSchale mit Elektronen zu fullen, bevor eine Unterschale mit kleinerer Haupt-quantenzahl n, aber hoherer Bahndrehimpulsquantenzahl l vollig aufgefulltist. Dies liegt daran, dass Elektronen mit kleineren Werte von l tiefer in dieElektronenhulle eintauchen, d.h. eine großere Aufenthaltswahrscheinlichkeitin der Nahe des Kerns haben und damit tiefere Energie. Die Elektronenkonfi-guration der außeren Elektronen (Valenzelektronen) bestimmt physikalischeund chemische Eigenschaften.

10.3 Theoretische Modelle von Mehrelektronen-

Atomen

Naherungsverfahren fur Mehrelektronen-Atome gehen entweder vom ex-akten physikalischen Ansatz der Schrodinger-Gleichung oder von einem ver-einfachten Modell des Atoms aus.

69

Page 70: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

10.3.1 Storungstheoretische Beschreibung des Helium-Atoms

Man geht von der unabhangigen Bewegung zweier Elektronen im Coulomb-Feld aus und behandelt ihre gegenseitige Wechselwirkung als Storung. DieSchrodinger-Gleichung des Systems lautet:

[H (1) +H (2) +W (12)]ψ (~r1, ~r2) = Eψ (~r1, ~r2) (10.14)

Dabei sind H (1) und H (2) die Operatoren des Einteilchenproblems,W (12) die Wechselwirkung der beiden Elektronen. Man setzt als Losungdieser Schrodinger-Gleichung eine Linearkombination der beiden bekanntenProduktansatze mit vertauschten Teilchenkoordinaten an (r, s stehen fur dieSatze der Quantenzahlen (n, l,m) der Zustande2):

ψ (~r1, ~r2) = aψr (~r1)ψs (~r2) + bψs (~r1)ψr (~r2) (10.15)

(Fur die Koeffizienten a, b gilt die Normierung a2 + b2 = 1.) Ohne Beruck-sichtigung der Wechselwirkung ist die Energie E0 = Er + Es. Berechnetman nun die Matrixelemente der Storung aus der Wechselwirkung W (12) =e2/(4πε0r12), so erhalt man:

W11 = W22 = e2 ·∫ |ψr (~r1)|2 · |ψs (~r2)|2

r12dV1dV2 = K (10.16)

W12 = W21 = e2 ·∫ ψ∗r (~r1) · ψs (~r1) · ψr (~r2) · ψ∗s (~r2)

r12dV1dV2 = A (10.17)

K ist die Coulomb-Wechselwirkung, A ist die Austauschenergie, die den Um-stand berucksichtigt, dass ein Elektron sowohl im Zustand ψr als auch imZustand ψs sein kann und zu der es kein klassisches Analogon gibt. DieGroße von A hangt vom Uberlappungsgrad der beiden Wellenfunktionen ab(z. B. ist die Austauschenergie zwischen dem Grundzustand und einem hochangeregten Zustand gering). Durch die Storung erfolgt also die Energieauf-spaltung E = K ± A, der Zustand spaltet in einen symmetrischen

ψs (~r1, ~r2) =1√2

(ψr (~r1)ψs (~r2) + ψs (~r1)ψr (~r2)) (10.18)

und einen antisymmetrischen Zustand

ψa (~r1, ~r2) =1√2

(ψr (~r1)ψs (~r2)− ψs (~r1)ψr (~r2)) (10.19)

2Die Entartung der Wasserstoffwellenfunktion bleibt hier außer Acht

70

Page 71: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

auf. Wegen des Pauli-Prinzips muss die Gesamtwellenfunktion ψ = ψ (~r1, ~r2)·ϕ antisymmetrisch sein, also mussen ψs bzw. ψa jeweils mit einer antisym-metrischen (Parahelium) bzw. symmetrischen (Orthohelium) Spinfunktion ϕkombiniert werden.

Das Parahelium stellt den energetisch tiefsten Zustand des Heliums dar,da die Ortsfunktion symmetrisch ist, die beiden Elektronen also gleichzeitigim Grundzustand sein konnen. Im Orthohelium ist die Spinfunktion symme-trisch, also konnen sich nicht beide Elektronen gleichzeitig im Grundzustandbefinden. Die Wahrscheinlichkeit eines Spinumklappprozesses im Orthoheli-um ist sehr gering, deshalb stellt es einen metastabilen Zustand des Heliumsdar.

10.3.2 Modell unabhangiger Elektronen

In diesem Modell wird ein beliebiges Elektron herausgegriffen, seine Wech-selwirkungen mit den anderen Elektronen werden nicht explizit berechnet,sondern man versucht, sie summarisch zu berucksichtigen, indem man eineffektives kugelsymmetrisches Potential Φ(r) aufstellt, das von der Kernla-dung und der zeitlich gemittelten Ladungsverteilung aller anderen Elektro-nen erzeugt wird. In diesem effektiven Zentralpotential bewegt sich jedesbeliebig herausgegriffene Elektron unabhangig vom momentanen Ort der an-deren Elektronen. Damit liegt fur jedes Elektron ein Einteilchenproblem vor.Die Einteilchenlosungsfunktionen ψi haben die gleichen Winkelanteile wiebeim Wasserstoffatom, aber andere Radialfunktionen, da das Potential keinCoulomb-Potential ist. Die optimalen Wellenfunktionen ψi erhalt man durchein Iterationsverfahren wie das Hartree-Verfahren.

10.3.3 Hartree-Verfahren

Man beginnt mit einem kugelsymmetrischen Potential Φ(0)(r), das dieAbschirmung der Elektronen grob berucksichtigt; ein Ansatz fur diese Nahe-rung 0.Ordnung ist:

Φ(0) (~r) = − e

4πε0

(Z

r− a · e−br

)(10.20)

Setzt man dieses Potential in die Schrodinger-Gleichung des i-ten Elek-trons ein, erhalt man die Wellenfunktionen ψ

(0)i und die Energiewerte E

(0)i .

Die Energiezustande werden jetzt ausgehend vom tiefsten Zustand unter Be-achtung des Pauli-Prinzips mit Elektronen besetzt, bis alle N Elektronenuntergebracht sind. Jetzt wird mit diesen Wellenfunktionen ψ

(0)i das mittlere

Potential fur das i-te Elektron in 1. Naherung, Φ(1)i (ri), berechnet, das durch

71

Page 72: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

alle anderen Elektronen und die Kernladung erzeugt wird. Dieses Potentialgeht wieder in die Schrodinger-Gleichung ein usw. Die Iteration wird solan-ge fortgefuhrt, bis die erhaltenen Energieeigenwerte gegen einen minimalenWert konvergieren. Die Gesamtwellenfunktion ψ (~r1, ~r2, . . .) eines Atoms mitN Elektronen wird beim Hartree-Verfahren zuruckgefuhrt auf das Produkt:

ψ (~r1, ~r2, . . . , ~rN) = ψ1 (~r1) · ψ2 (~r2) · · ·ψN (~rN) (10.21)

Zur Coulomb-Wechselwirkung tritt die Austauschenergie hinzu, was zudeutlichen Abweichungen zwischen den Ergebnissen der Hartree-Methode undexperimentellen Befunden fuhrt. Dieser Effekt wird in der Hartree-Fock-Methode berucksichtigt.

10.3.4 Elektronenkonfigurationen und Drehimpulskopp-lungen

Bei Atomen mit mehreren Elektronen mussen zur Beschreibung der Term-konfigurationen außer der Coulomb-Kraft zwischen jedem Elektron und demAtomkern und der elektrostatischen Wechselwirkung zwischen den Elektro-nen auch alle magnetischen Wechselwirkungen berucksichtigt werden, die aufGrund der magnetischen Momente von Elektronen und Atomkernen auftre-ten konnen. Diese Wechselwirkung fuhrt zur Feinstrukturaufspaltung, d.h.die Energiewerte En,l spalten je nach Spinstellung auf in die beiden Kompo-nenten j = l ± 1

2fur l > 0 und j = l + 1

2fur l = 0.

10.4 Kopplungsschemata fur die Elektronen-

drehimpulse

Die Reihenfolge der Zusammensetzung der Einzeldrehimpulse zum Ge-samtdrehimpuls wird bestimmt durch die energetische Reihenfolge der Kopp-lungsenergien. Es gibt zwei Grenzfalle:

10.4.1 ~L-~S-Kopplung (Russel-Saunders-Kopplung)

Ist die Wechselwirkung zwischen dem magnetischen Bahn- und Spinmo-ment, ~µl und ~µs, eines Elektrons klein gegen die Wechselwirkung der Spinmo-mente ~si und Bahnmomente ~li aller Elektronen untereinander, dann koppelndie ~li zum Gesamtbahndrehimpuls

~L =∑

i

~li,∣∣∣~L ∣∣∣ = √

L (L+ 1) · h (10.22)

72

Page 73: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

und die ~si zum Gesamtspin:

~S =∑

i

~si,∣∣∣~S ∣∣∣ = √

S (S + 1) · h (10.23)

Der Gesamtdrehimpuls der Elektronenhulle ist dann:

~J = ~L+ ~S,∣∣∣ ~J ∣∣∣ = √

J (J + 1) · h (10.24)

Die Zahl der Feinstrukturkomponenten ist gleich der kleineren der beidenZahlen (2S + 1) und (2L+ 1), weil es bei vorgegebenen Werte von L und

S genau so viele Kopplungsmoglichkeiten ~L + ~S = ~J gibt. Die Energie derFeinstrukturkomponenten ist

Ej = E (n, L, S) + C · ~L · ~S, (10.25)

wobei

C · ~L · ~S =1

2· C · [J (J + 1)− L (L+ 1)− S (S + 1)] · h2 (10.26)

die Kopplungsenergie zwischen ~L und ~S ist.Aus den Aufbauprinzipien der Elektronenschalen folgt direkt, dass in die-

sem Kopplungsfall der Gesamtdrehimpuls und der Gesamtspin abgeschlos-sener, d.h. voll besetzter Schalen Null sind. Zur Ermittlung von L und Sbraucht man also nur die Elektronen in nicht abgeschlossenen Schalen zuberucksichtigen.

10.4.2 ~-~-Kopplung

Ist dagegen die Wechselwirkungsenergie zwischen dem magnetischen Bahn-und Spinmoment desselben Elektrons groß gegen die Kopplung zwischenBahn- und Spinmomenten aller Elektronen, so verbinden sich ~li und ~si zumDrehimpuls

~i = ~li + ~si (10.27)

des i-ten Elektrons. Die ~i koppeln dann zum Gesamtdrehimpuls:

~J =∑

i

~i (10.28)

Dieser Kopplungsfall tritt bei Atomen mit großer Kernladungszahl auf.Gesamtdrehimpuls ~L und Gesamtspin ~S sind dann nicht mehr definiert. DieSpektren solch schwerer Atome sind unubersichtlich, weil die Zustande mit

73

Page 74: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

gleichem Wert ~li, aber unterschiedlichem Spin nicht mehr dicht benachbar-te Feinstrukturkomponenten bilden, sondern energetisch mit Zustanden mitunterschiedlichem ~li vermischt sind.

Die Terme der meisten Atome liegen zwischen den beiden Grenzfallender Kopplung. Die Gesamtzahl der moglichen Terme eines Atoms fur einegegebene Elektronenkonfiguration ist fur beide Grenzfalle gleich groß.

10.5 Angeregte Atomzustande

Bei angeregten Atomen ist die Zahl der Moglichkeiten der Drehimpuls-kopplung im Allgemeinen viel großer als im Grundzustand, weil sich dieHauptquantenzahl n des angeregten Elektrons von der der anderen Elektro-nen unterscheidet und deshalb das Pauli-Prinzip weniger Beschrankungenfur die anderen Quantenzahlen auferlegt. Anregung kann durch Absorption,Stoß, etc. erfolgen.

10.5.1 Einfachanregung

Die geringste Energie ist notig, wenn ein Elektron aus der außerstenbesetzten Schale (sog. Valenzelektron) in hohere Energiezustande angeregtwird. Die Anregungsenergien dieser Valenzelektronen liegen im Bereich von1− 10eV. Der angeregte Zustand Ek ist nicht stabil. Er geht spontan durchAussendung eines Photons h · ν = Ek − Ei in tiefere Zustande Ei uber. Diemittlere Lebensdauer τk eines angeregten Zustandes hangt von der Wahr-scheinlichkeit solcher Ubergange in tiefere Zustande ab. Das Elektron kehrt(ggf. uber Zwischenschritte) wieder in seinen Grundzustand zuruck; nur wenndie Anregungsenergie oberhalb der Ionisierungsenergie liegt (Photoionisati-on) wird das Atom ionisiert.

10.5.2 Anregung mehrerer Elektronen, Autoionisation

Unter geeigneten Bedingungen konnen zwei oder mehrere Elektronengleichzeitig angeregt werden. Der mehrfach angeregte Zustand kann entwederdurch Emission von Photonen in den Grundzustand zuruckkehren oder einElektron kann infolge der Coulomb-Wechselwirkung seine Anregungsenergieauf andere Elektronen ubertragen. Dadurch geht ein Elektron zuruck in denGrundzustand, andere Elektronen werden weiter angeregt. Da die Gesam-tenergie erhalten bleiben muss, ist dieser letzte Prozess nur moglich, wennein hoch angeregter Zustand fur Einelektronenanregung existiert, der genaudie richtige Energie hat. Fur E > 0 ist jeder Energiezustand moglich, weil

74

Page 75: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

das freie Elektron ein kontinuierliches Energiespektrum hat. Deshalb wirdder Prozess der Energieubertragung von zwei angeregten Elektronen auf einhoch angeregtes Elektron erst genugend wahrscheinlich, wenn die Gesamt-anregungsenergie oberhalb der Ionisierungsenergie eines einfach angeregtenElektrons liegt; dann kann die Ubertragung der Energie des einen auf daszweite Elektron zur Ionisation dieses Elektrons fuhren (sog. Autoionisation).

10.5.3 Innerschalenanregung: Auger-Prozess

Wird ein Elektron aus einer inneren Schale angeregt auf ein hoheres,nicht bereits besetztes Energieniveau, so braucht man dazu hohere Energienals bei der Anregung von Valenzelektronen aus der außeren Schale, weil dieBindungsenergie der Elektronen in den inneren Schalen, wo die KernladungZ ·e wesentlich weniger abgeschirmt wird, viel großer ist. Die Anregung kanndurch hochenergetische Photonen oder durch Elektronenstoß erfolgen.

In das durch die Anregung entstandene Loch in der inneren Schale kannein Elektron aus einem hoheren Energiezustand fallen. Die entsprechendeEnergiedifferenz kann in Form eines Photons abgestrahlt werden. Dieser Pro-zess ist die Quelle fur charakteristische Rontgenstrahlung.

Die Energiedifferenz kann aber auch direkt auf ein anderes Elektron derHulle ubertragen werden. Ist dessen Bindungsenergie EB kleiner als Ei−Ek,so kann es das Atom verlassen, das heißt, es tritt Autoionisation auf. DieserVorgang heißt Auger-Effekt.

Die Emission von Rontgenstrahlung und die von Auger-Elektronen sindkonkurrierende Prozesse. Die Fluoreszenzausbeute bzw. Emission von Auger-Elektronen hangt von der Kernladungszahl ab: Z < 30 Auger-Prozess, Z >60 Fluoreszenzausbeute > 90%.

10.5.4 Planetarische Atome

Regt man zwei Valenzelektronen in verschiedene Rydberg-Zustande n1

und n2 an, liegt die Gesamtenergie des Systems weit oberhalb der Ioni-sierungsgrenze, sodass Autoionisation eintreten kann. Da die Radien derRydberg-Bahnen aber mit n2 anwachsen, ist fur n1 6= n2 der mittlere Ab-stand zwischen den beiden Elektronen so groß, dass die Wechselwirkung zwi-schen ihnen klein ist (große Lebensdauer). Da die beiden Rydberg-Elektronenauf fast klassischen Bahnen um den Atomkern mit seiner restlichen Elektro-nenhulle aus (Z − 2) Elektronen kreisen, gleicht das System einem Mikro-modell eines Planetensystems. Kommen sich die beiden Elektronen zu nahe,kann das eine Elektron einen Teil seiner Energie auf das andere ubertragen,sodass dieses das Atom verlassen kann.

75

Page 76: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

10.6 Kontinuierliche Absorptions- und Emis-

sionsspektren

Ubergange zwischen gebundenen Zustanden von freien Atomen oder Mo-lekulen fuhren immer zu Linienspektren, weil die Energiedifferenz durch diediskreten Energiewerte der Zustande bestimmt ist. Kontinuierliche Spektrenerhalt man, wenn wenigstens einer der beiden Zustande eines Ubergangs nichtgebunden ist.

10.6.1 Photoionisation

Misst man das Absorptionsspektrum eines Atoms, das sich in einem ge-bundenen Zustand Ek befindet, so erhalt man mit zunehmender Frequenzν eine immer dichter werdende Folge diskreter Absorptionslinien, die zuUbergangen in hoher liegende, aber immer noch gebundene Rydberg-ZustandeEi fuhren. Diese Serie von Absorptionslinien konvergiert fur ni → ∞ gegendie Ionisierungsgrenze des Atoms hνk. Fur ν > νk beginnt der kontinuierlicheTeil des Absorptionsspektrums, in dem das Atom photoionisiert wird.

10.6.2 Rekombinationsstrahlung

Wird ein freies Elektron mit der Geschwindigkeit v von einem Ion ineinen gebundenen Zustand mit der Bindungsenergie Ei < 0 eingefangen, sokann die dabei frei werdende Energie als Strahlung mit der Photonenener-gie hν = Ekin − Ei emittiert werden. Dieser Prozess wird Zwei-Teilchen-Rekombination oder auch dielektrische Rekombination genannt. Die Rekom-binationsstrahlung spielt vor allem in Plasmen und Sternatmospharen eineRolle. Der Wirkungsquerschnitt hangt ab von der Relativgeschwindigkeit vdes Elektrons zum Ion.

76

Page 77: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 11

Hyperfeinstruktur

Bisher wurden die Energieterme und Spektrallinien aus der Schrodinger-Gleichung unter Verwendung des Coulomb-Potentials Φ(r) = −Ze/(4πε0r)gewonnen; die Feinstruktur der Spektrallinien ließ sich durch die magnetischeWechselwirkung zwischen dem magnetische Moment des Elektronenspins ~µs

und dem durch die Bahnbewegung des Elektrons erzeugten Magnetfeld er-klaren. Bei sehr hoher Auflosung stellt sich beim H-Atom jedoch heraus,dass jede der beiden Feinstrukturkomponenten der Ubergange selbst wiederin zwei Komponenten aufspaltet, deren Abstand beim H-Atom im Allge-meinen kleiner als die Dopplerbreite der Spektrallinie ist. Diese Aufspaltungheißt Hyperfeinstruktur.

Die Hyperfeinstruktur resultiert dabei aus der Tatsache, dass Atomkerneeine raumliche Ausdehnung haben und außer ihrer elektrischen Ladung Zeauch einen mechanischen Drehimpuls ~I, den Kernspin, haben, der durch dieKernspinquantenzahl I beschrieben wird:∣∣∣~I ∣∣∣ = √

I(I + 1) · h (11.1)

Der Einfluss des Kerns auf die Spektren zeigt sich außerdem noch durchden Isotopeneffekt, d.h. Atome mit gleicher Kernladungszahl, aber unter-schiedlicher Kernmasse zeigen leicht verschiedene Energieterme.

Die Projektion des Kernspins ~I auf eine Vorzugsachse (z.B. z-Achse) kann- analog zum Elektronenspin - (2I + 1) Werte annehmen,

Iz = mI · h (11.2)

wobei −I ≤ mI ≤ I.Mit dem Kernspin ~I ist ein magnetisches Moment ~µI verknupft; als Ein-

heit wird das Kernmagneton

µK =e

2mP

· h =me

mP

· µB =µB

1836= 5, 05 · 10−27 JT−1 (11.3)

77

Page 78: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

eingefuhrt (me,mP : Masse des Elektrons bzw. Protons, µB: Bohrsches Ma-gneton). Dann lasst sich ~µI schreiben als:

~µI = γK · ~I = gI ·µK

h· ~I (11.4)

wobei gI = γK · h/µK der g-Faktor des Kerns und γK das gyromagnetischeVerhaltnis ist. Auch hier kann nur die Komponente langs der Vorzugsrichtungbeobachtet werden, fur die mit Gl. 11.2 gilt:

(~µI)z = γK ·(~I)

z= gI · µK ·mI (11.5)

Das magnetische Moment des Kerns ist drei Großenordnungen kleiner alsdasjenige der Elektronen, dementsprechend sind auch die Wechselwirkungenmit Feldern kleiner. Es gibt auch Kerne mit verschwindendem Kernspin I =0, bei denen keine Hyperfeinstrukturaufspaltung auftritt.

Das magnetische Kernmoment ~µI liefert zwei Beitrage zur Aufspaltungund Verschiebung von Energieniveaus der Elektronenhulle:

1. Wechselwirkung von ~µI mit dem Magnetfeld, das von den Elektronenam Kernort erzeugt wird (Zeeman-Effekt des Kernmomentes mit dematomaren Magnetfeld)

2. Wechselwirkung des elektronischen magnetischen Moments ~µj mit demvon ~µI erzeugten Magnetfeld

In dem vom Elektron mit dem Drehimpuls ~ = ~l+~s am Kernort erzeugteninneren Magnetfeld ~Bj hat das magnetische Kernmoment ~µI die Energie:

EI,j = −~µI · ~Bj = − |~µI | ·Bj · cos(6(~, ~I

))(11.6)

Fuhrt man den Gesamtdrehimpuls des Atoms ~F = ~ + ~I ein, so erhalt manaus

~ · ~I =1

2·(~F 2 − ~ 2 − ~I 2

)(11.7)

cos(6(~, ~I

))=

(~ · ~I

)(|~ | ·

∣∣∣~I ∣∣∣) (11.8)

fur die Hyperfeinenergie des H-Atoms:

∆EHFS =A

2[F (F + 1)− j (j + 1)− I (I + 1)] (11.9)

78

Page 79: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Dabei ist die Hyperfeinkonstante:

A =gI · µK ·Bj√j (j + 1)

(11.10)

Es kommt also zu einer Aufspaltung des Energieniveaus En,l,j in die Hy-perfeinstrukturkomponenten EHFS = En,l,j + ∆EHFS.

Das innere Magnetfeld ~Bj(~r = 0) am Kernort hangt außer von ~ noch vonder raumlichen Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen ab, die durchdie Wellenfunktion |ψn,l|2 bestimmt wird. Fur die s-Elektronen, deren Aufent-haltswahrscheinlichkeit am Kernort nicht verschwindet, findet man die sog.Kontakt-Wechselwirkung. Fur Elektronen mit l > 0 verschwindet die Auf-enthaltswahrscheinlichkeit am Kernort und nur der zweite Beitrag zur Hy-perfeinstruktur, die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen ~µl und ~µs, tragtbei (diese Wechselwirkung verschwindet fur die kugelsymmetrische Ladungs-verteilung in s-Zustanden).

Die Aufspaltung des Grundzustandes im H-Atom betragt ∆ν = 0, 0474 cm−1.Der Ubergang von F = 0 nach F = 1 hat damit eine Wellenlange vonλ = 21 cm (Mikrowellengebiet); diese Wellenlange findet man bei der Mes-sung von Temperaturen in der Radioastronomie.

11.1 Wechselwirkung mit außeren Magnetfel-

dern

In einem außeren Magnetfeld ~B spaltet jeder Atomzustand (n, l, s, j) ohneBerucksichtigung des Kernspins in (2j + 1) Zeeman-Komponenten auf, derenAbstand vom Lande-Faktor

gj = 1 +j (j + 1) + s (s+ 1)− l (l + 1)

2j (j + 1)(11.11)

abhangt und deshalb im Allgemeinen fur verschiedene Zustande (n, l, s, j)unterschiedlich ist (anomaler Zeeman-Effekt).

Wenn diese Aufspaltung klein gegen die Hyperfeinstrukturaufspaltung ist(~µF · ~B < ∆EHFS), d.h. die Zeeman-Energie ist klein gegen die Kopplungs-

energie zwischen ~ und ~I, kann das außere Magnetfeld die Kopplung nichtaufbrechen, ~F = ~+~I bleibt bestehen und hat (2F + 1) Einstellmoglichkeitenrelativ zur Magnetfeldrichtung. Jedes Hyperfeinstrukturniveau spaltet dannauf in (2F + 1) Zeeman-Komponenten.

Bei großeren Magnetfeldern (~µF · ~B > ∆EHFS) wird die Kopplung zwi-

schen ~ und ~I aufgebrochen und es gibt keinen Gesamtdrehimpuls ~F mehr.

79

Page 80: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Die Verschiebung der Zeeman-Niveaus richtet sich nach den Energien ~µj · ~B.

Bei noch großeren Feldstarken ~µj · ~B > ∆EFS kann auch die Kopplung zwi-

schen ~s und ~l aufbrechen; es gibt dann kein ~ mehr, sondern ~s und ~l praze-dieren getrennt im Magnetfeld (Paschen-Back-Effekt).

11.2 Kernspin-Resonanz

Mit der Atom- bzw. Molekulstrahlresonanz nach Rabi misst man ahn-lich zur Elektronenspin-Resonanz die Lamorfrequenz des Kernspins in einemaußeren Magnetfeld, also das Verhaltnis µI/I. Dazu muss im Allgemeinen dasFeld der Elektronenhulle am Kernort verschwinden. Diese Bedingung ist furmanche Atome oder Molekule gegeben, weil sich bei diesen die magnetischenMomente der Hulle zu Null addieren. Der Nachweis der Resonanz erfolgt beider Molekulstrahl-Resonanzmethode durch die Ablenkung der Atome oderMolekule in inhomogenen Magnetfeldern.

Raumliche Informationen uber die Dichte von Atomkernen konnen er-halten werden, wenn man dem homogenen Magnetfeld einen Feldgradientenuberlagert, sodass die Feldstarke und damit die Resonanzfrequenz von Ortzu Ort verschieden ist. Da die Prazessionsbewegung des Kernspins weitestge-hend unabhangig von translatorischer oder rotierender Bewegung des Kernsist, kann die Methode der Kernspin-Resonanz nicht nur auf freie Atome,sondern auch auf Atomkerne in Flussigkeiten und Festkorpern angewendetwerden.

11.3 Casium-Atomuhr

Eine Anwendung der Atomstrahl-Resonanz ist die als Frequenz- und Zeit-normal dienende Casium-Atomuhr. Man misst mit einer Atomstrahl-Resonanz-Apparatur (Rabi-Aufbau) Ubergange zwischen Hyperfein-Komponenten F =

4,mF = 0 und F = 3,mF = 0 in einem schwachen außeren Feld ~B0. Die Uber-gangsfrequenz ist weitgehend von ~B0 unabhangig. Die Resonanzfrequenz liegtbei ν = 9, 192631770 GHz und lasst sich mit einer Genauigkeit von ca. 10−13

reproduzieren.

80

Page 81: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Kapitel 12

Molekule

12.1 Das H+2 -Molekulion

Das einfachste aller Molekule ist das Wasserstoff-Molekulion H+2 , das aus

zwei Protonen und einem Elektron besteht. Das Wechselwirkungspotentialzwischen den drei Teilchen ist gegeben durch:

Epot = − e2

4πε0

(1

rA+

1

rB− 1

R

)(12.1)

~rA, ~rB sind die Positionen der Atomkerne, ~R der Verbindungsvektor. Mit demKoordinatenursprung im Massenschwerpunkt der Atomkerne (die Masse desElektrons sei klein) folgt

~r = ~RA + ~rA = ~RB + ~rB, (12.2)

wobei ~r = 12(~rA + ~rB) und ~RA = −~RB. Die zugehorige Schrodinger-Gleichung[

− h2

2M

(∆A

(~RA

)+ ∆B

(~RB

))− h2

2m∆e (~r ) + Epot

(~r, ~R

)]ψ(~r, ~Ri

)= Eψ

(~r, ~Ri

)(12.3)

kann nicht mehr exakt gelost werden. Deshalb werden Naherungen notwen-dig.

12.1.1 Ansatz zur exakten Losung fur das starre Mo-lekul

Wegen der großen Masse der Kerne (M/me ≈ 1836) ist die kinetischeEnergie der Kerne sehr klein gegen die des Elektrons, deshalb kann sie in

81

Page 82: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

erster Naherung vernachlassigt werden. Die Kerne werden also im AbstandR festgehalten (starres Kerngerust); man berechnet aus Gl. 12.3 fur ver-schiedene Werte von R die Energie E(R) als Summe aus kinetischer undpotentieller Energie des Elektrons und der Abstoßungsenergie der Kerne (diebei festem R eine Konstante ist).

Die Schrodinger-Gleichung Gl. 12.3 kann bei starrem Kerngerust exaktgelost werden, wenn man elliptische Koordinaten

µ =rA + rBR

ν =rA − rBR

ϕ = arctan(y

x

)

mit den beiden Kernen in den Brennpunkten der Ellipse und der Kernver-bindungslinie in z-Richtung verwendet. In diesen Koordinaten lasst sich dieWellenfunktion in das Produkt von drei Funktionen separieren, fur die dreigetrennte Gleichungen gelten:

ψ(~r1, ~r2, R) = M(µ) ·N(ν) · Φ(ϕ) (12.4)

Analog zum H-Atom erhalt man aus der Forderung der Eindeutigkeit undNormierbarkeit der Funktionen die Energieeigenwerte, die durch Quantenbe-dingungen eingeschrankt sind. Es gibt auch hier eine Hauptquantenzahl n,durch die alle moglichen Energiewerte En(R) festgelegt werden (sie hangenaber noch vom Kernabstand R ab):

En(R) = Ekin(e−) +

e2

4πε0

(1

R−(

1

rA+

1

rB

))(12.5)

(Diese Kurven nennt man auch Potentialkurven.) Diejenigen EnergiewerteEn(R) mit einem Minimum fuhren zu stabilen Molekulzustanden, die mono-ton abfallenden zu instabilen Zustanden, die in zwei getrennte Atome disso-ziieren, wobei die Atome in unterschiedlichen elektronischen Zustanden seinkonnen.

Da das Potential fur das Elektron nicht mehr kugelsymmetrisch ist, bleibtsein Drehimpuls ~l nicht mehr zeitlich konstant, sondern prazediert um dieKernverbindungsachse. Sein Betrag |~l | hangt im Allgemeinen vom Kern-abstand R ab, aber seine z-Komponente hat einen wohldefinierten Erwar-tungswert: Der Operator lz = h

i∂

∂ϕwirkt nur auf den Faktor Φ(ϕ) und er-

gibt den Eigenwert lz = m · h (fur gegebenes En(R) unabhangig von R,

82

Page 83: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

m = 0,±1,±2, . . .). Dies ist vollig analog zum Wasserstoffatom in einemaußeren Magnetfeld, wo auch wegen der vorliegenden Zylindersymmetrienur noch die z-Komponente lz definierte Werte hat. Der Unterschied zumMagnetfeld ist jedoch, dass die Energie eines Molekulzustandes im axialenelektrischen Feld der beiden Kerne nicht von der Richtung der Prazessionabhangt, das heißt Zustande mit lz = ±mh haben im nichtrotierenden Mo-lekul dieselbe Energie. Daher werden die Molekulzustande durch die Quan-tenzahl λ = |m| beschrieben:

|lz| = λh (12.6)

Die im Atom mit lateinischen Buchstaben bezeichneten Zustande fur lwerden in der Molekulphysik mit griechischen Buchstaben bezeichnet:

λ 0 1 2 3Nomenklatur σ π δ ϕ

Durch die Bewegung des Elektrons um die Kernverbindungsachse entstehtfur λ > 0 ein Magnetfeld in z-Richtung, in dem sich das durch den Elek-tronenspin bewirkte magnetische Moment ~µs einstellen kann (analog zumStern-Gerlach-Versuch). Der Elektronenspin ~s prazediert deshalb ebenfallsum die z-Richtung und nur seine Projektion hat definierte Werte:

sz = msh = ±1

2h (12.7)

Der Zustand eines Elektrons in einem zweiatomigen Molekul ist also durchdie Hauptquantenzahl n, die Drehimpulsprojektionsquantenzahl λ und dieSpinprojektionsquantenzahl ms bestimmt. Die Wellenfunktion ψn,λ(~r ), derenAbsolutquadrat die raumliche Verteilung der Aufenthaltswahrscheinlichkeitdes Elektrons im Molekul angibt, heißt Molekulorbital. Jedes Molekulorbi-tal kann bei großeren Molekulen maximal mit zwei Elektronen besetzt wer-den, deren Spinprojektionsquantenzahl sich dann unterscheiden muss (ms =±(1/2)).

12.1.2 Molekulorbitale und die LCAO-Methode

Beim LCAO-Verfahren1 werden die molekularen Wellenfunktionen als ge-eignete Linearkombinationen atomarer Wellenfunktionen der das Molekul bil-denden Atome angesetzt. Die Koeffizienten dieser Linearkombinationen wer-den so optimiert, dass die mit diesen Wellenfunktionen berechneten Energienminimal werden.

1Linear Combination of Atomic Orbitals

83

Page 84: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Man kann das H+2 -Ion zusammensetzen aus einem H-Atom und einem

H+-Ion (Proton), wobei sich das H-Atom im 1s -Grundzustand befindet. Dieatomare Wellenfunktion lautet:

ΦA(~rA) =1√πa3

0

e− rA

a0 (12.8)

Das Elektron kann sich entweder beim Kern A aufhalten oder beim KernB. Beide Moglichkeiten fuhren bei Annaherung der Kerne zu einem H+

2 -Molekul. Da wir zwischen beiden Moglichkeiten nicht unterscheiden konnen,setzen wir die Molekulwellenfunktionen als Linearkombination an:

ψ(~r, ~R ) = c1ΦA(~rA) + c2ΦB(~rB) (12.9)

An diese Gesamtwellenfunktion muss die Normierungsbedingung gestelltwerden. Die Einzelwellenfunktionen ΦA,ΦB sind bereits normiert, daher folgtfur die Koeffizienten:

c21 + c22 + 2c1c2<∫

ΦA(~rA)ΦB(~rB)dτ︸ ︷︷ ︸SAB

= 1 (12.10)

Das Integral SAB hangt vom raumlichen Uberlapp der beiden Atomwel-lenfunktionen ab. Sein Wert hangt vom Kernabstand R ab. Aus Symme-triegrunden gilt |c1|2 = |c2|2 = |c|2. Weiter muss die Wellenfunktion sym-metrisch oder antisymmetrisch beim Vertauschen der beiden Atomorbitalesein, woraus folgt c1 = ±c2. Damit ergeben sich aus Gl. 12.9 die normiertenMolekulorbitale:

ψs =1√

2 + 2SAB

(ΦA + ΦB) , ψa =1√

2− 2SAB

(ΦA − ΦB) (12.11)

Mit dem Hamilton-Operator H fur das starre Molekul erhalt man aus derSchrodinger-Gleichung (Gl. 12.3) die Energiefunktionen:

Es(R) =HAA +HAB

1 + SAB

, Ea(R) =HAA −HAB

1− SAB

(12.12)

mit den vom Kernabstand R abhangigen Integralen

HAA =∫

Φ∗A ·H · ΦA dτel , HAB =

∫Φ∗

A ·H · ΦB dτel.

Es(R) zeigt ein Minimum, wahrend Ea(R) eine mit wachsendem R monotonfallende Funktion ist. Also beschreibt das Molekulorbital ψs den bindendenZustand, wahrend ψa einen abstoßenden, nicht stabilen Zustand ergibt. ZurBindung im Zustand ψs tragen zwei Effekte bei:

84

Page 85: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Erniedrigung der potentiellen Energie beim Abstand R (Gleich-gewichtsabstand): Das Elektron, dessen Aufenthaltswahrscheinlich-keit zwischen den beiden Kernen maximal wird, zieht aufgrund derCoulomb-Kraft die beiden Protonen zur Mitte. Dies ist beim H+

2 dergroßte Anteil zur Bindung.

Verringerung der Impulsunscharfe: Dem Elektron wird durch die Funk-tion ψs mehr Raum gegeben als in den Einzelorbitalen; dadurch wirdseine Ortsunscharfe großer, seine Impulsunscharfe also kleiner. Deshalbsinkt seine kinetische Energie.

Die Bindungsenergie von EB = 1, 79 eV aus der LCAO-Methode liegtdeutlich unter dem exakten Wert von EB = 2, 79 eV. Man kann die LCAO-Naherung deutlich verbessern, wenn man statt der ungestorten atomarenWellenfunktion modifizierte Funktionen

ΦA = c (1 + λz) e−η(R)

rAa0 (12.13)

verwendet, in denen die beiden Parameter λ und η(R) fur jeden KernabstandR so optimiert werden, dass E(R) den minimalen Wert annimmt. Der Ansatzberucksichtigt, dass durch die Wechselwirkung zwischen dem Elektron undden beiden Protonen die Ladungsverteilung nicht mehr kugelsymmetrischbleibt, sondern in z-Richtung verformt wird. Außerdem hangt auch die ra-diale Wahrscheinlichkeitsverteilung |ΦA(~rA)|2 und |ΦB(~rB)|2 des Elektronsvom Abstand R zwischen den beiden Kernen ab. Dies wird durch den Para-meter η(R) berucksichtigt, der fur η > 1 zu einer Kontraktion der atomarenOrbitale fuhrt, was eine Erniedrigung der potentiellen Energie bewirkt.

12.2 Das H2-Molekul

Das H2-Molekul hat zwei Elektronen, deren Wechselwirkung untereinan-der berucksichtigt werden muß. Dies fuhrt dazu, dass man auch bei festge-haltenen Kernen die Schrodinger-Gleichung (Gl. 12.3) nicht mehr separierenkann, es gibt also keine exakten Losungen.

12.2.1 Molekulorbitalnahrung

Da der Grundzustand des H2-Molekuls fur R → ∞ in zwei H-Atome im1s -Zustand dissoziiert, wahlt man in der Molekulorbitalnaherung als Mo-lekulorbital analog zum H+

2 -Molekulion die symmetrische normierte Linear-kombination aus den Wasserstoff-1s -Funktionen,

ψs =1√

2 + 2SAB

· (ΦA + ΦB) . (12.14)

85

Page 86: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Fur den Fall, dass beide Elektronen des H2-Molekuls im Grundzustand sind,setzen wir fur unsere Zweielektronen-Wellenfunktion das Produkt der beidenMolekulorbitale an:

ψ(~r1, ~r2) = ψs(~r1) · ψs(~r2) (12.15)

Mit diesem Ansatz wird der Einfluss der Wechselwirkung zwischen denbeiden Elektronen auf die raumliche Verteilung des Molekulorbitals ver-nachlassigt. Der Ansatz ist symmetrisch gegen Vertauschung der beiden Elek-tronen; da nach dem Pauli-Prinzip die Gesamtwellenfunktion antisymme-trisch gegen Vertauschung der beiden Elektronen ist, muss der Spinanteil imProduktansatz antisymmetrisch sein. Die Gesamtwellenfunktion lasst sich inForm einer Slater-Determinante darstellen (ϕ↑ bzw. ϕ↓ entsprichtms = +1/2bzw. ms = −1/2):

ψ =

∣∣∣∣∣ ψs(~r1) · ϕ↑(~r1) ψs(~r2) · ϕ↑(~r2)ψs(~r1) · ϕ↓(~r1) ψs(~r2) · ϕ↓(~r2)

∣∣∣∣∣ (12.16)

Die Gesamtenergie der Elektronen im H2-Molekul ist E =∑

iE(i)kin +Epot,

d.h. der Hamilton-Operator des starren H2-Molekuls ist:

H =−h2

2m

(∇2

1 +∇22

)+

e2

4πε0

(− 1

rA1

− 1

rB1

− 1

rA2

− 1

rB2

+1

r12+

1

R

)(12.17)

Darin ist der Anteil der zur Energie des H+2 -Ions gehorige Hamilton-

Operator :

Hi = − h2

2m∇2

i +e2

4πε0

(− 1

rAi

− 1

rBi

+1

R

)(12.18)

D.h. hier ist nur eines der beiden Elektronen vorhanden. Also kann Gl. 12.17in drei Anteile aufgespaltet werden:

H = H1 +H2 +e2

4πε0

(1

r12− 1

R

)(12.19)

Davon wurden die ersten beiden Terme bereits beim H+2 -Ion behandelt.

Der dritte Term gibt die Abstoßung der beiden Elektronen an, von der dieKernabstoßung wieder abgezogen wird, da sie in den ersten beiden Termenbereits doppelt berucksichtigt ist. Die zugehorige Energiekurve E(R) hatein Minimum bei R = Re (Gleichgewichtslage); die Berechnung ergibt, dassin der Umgebung von Re die Elektronen- und Kernabstoßung sich nahezuaufheben, sodass die Bindungsenergie des H2-Molekuls in dieser einfachenMolekulorbitalnaherung etwa doppelt so groß ist wie die des H+

2 -Ions in derLCAO-Naherung (EB ≈ −3, 5 eV; experimentell EB ≈ −4, 7 eV).

86

Page 87: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

12.2.2 Valenzbindungsnaherung

Auch die Heitler-London-Naherung geht vom Molekulorbitalmodell aus.Im tiefsten Molekulorbital konnen zwei Elektronen mit entgegengesetztemSpin untergebracht werden. Die Wellenfunktion lautet ψ1 = c1ΦA(1) ·ΦB(2);infolge der Ununterscheidbarkeit der Elektronen gilt zudem ψ2 = c2ΦA(2) ·ΦB(1). Die normierte Wellenfunktion ergibt sich damit unter Berucksichti-gung des Pauli-Prinzips zu:

ψs,a = ψ1 ± ψ2 (12.20)

(Die Koeffizienten c1, c2 konnen aus einer Rechnung analog zum H+2 -Ion be-

stimmt werden.)

Der Unterschied zur LCAO-Naherung ist, dass bei jener ein Molekulor-bitalansatz fur ein Elektron gemacht wird, das sich sowohl in ΦA und ΦB

aufhalten kann und deshalb als Linearkombination geschrieben wird. Fur dieBesetzung des Molekulorbitals mit zwei Elektronen wird dann der Produkt-ansatz verwendet. Bei der Heitler-London-Naherung dagegen werden gleichbeide Elektronen betrachtet, sodass fur ψ1 der Produktansatz der atoma-ren Orbitale notwendig ist, deren Linearkombination dann durch das Pauli-Prinzip erzwungen wird. Ein Vergleich der beiden zu den Naherungen gehori-gen Wellenfunktionen zeigt, dass in der Molekulorbitalnaherung auch Termeauftreten, die die Situation beschreiben, dass sich beide Elektronen bei einemKern aufhalten (d.h. sie bilden ein Ionenmolekul); diese Terme fehlen in derHeitler-London-Naherung.

12.3 Elektronische Zustande zweiatomiger Mo-

lekule

Bisher wurde der Grundzustand von einfachen Molekulen unter der Vor-aussetzung untersucht, dass die Kerne sich nicht bewegen, sondern starr sind.Die Energie in Abhangigkeit des Kernabstands E(R) gab dann die gesamtepotentielle Energie des Systems von Kernen und Elektronen plus der zeit-lich gemittelten kinetischen Energie der Elektronen an. Dieses Konzept giltauch fur großere zweiatomige Molekule; selbst wenn die Kerne sich bewegen,ist ihre Geschwindigkeit wegen ihrer großen Masse so klein gegen die Ge-schwindigkeit der Elektronen, dass sich die Elektronendichteverteilung unddie Elektronenenergie praktisch momentan auf den jeweiligen KernabstandR einstellen, sodass man nach wie vor die Potentialkurven E(R) angebenkann (Born-Oppenheimer-Naherung). Durch Kombination atomarer Wellen-

87

Page 88: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

funktionen, welche angeregte Atomzustande beschreiben, lasst sich eine großeMannigfaltigkeit elektronisch angeregter Molekulzustande darstellen.

Alle Zustande werden durch ihre Wellenfunktion ψ(~r ) (Molekulorbital)und deren Symmetrieeigenschaften charakterisiert. Eine Wellenfunktion ψ(~r )und der durch sie beschriebene Molekulzustand wird gerade genannt, wennψ(~r ) bei Spiegelung aller Koordinaten am Ursprung in sich selbst ubergeht,d.h. ψg(~r ) = ψg(−~r ). Fur ungerade Zustande gilt ψu(~r ) = −ψu(−~r ). Ge-rade bzw. ungerade Symmetrie kann nur bei Molekulen mit gleichen Kernen(homonukleare Molekule) auftreten.

Als weitere Symmetrieoperation wird die Spiegelung an einer Ebene durchdie Kernverbindungsachse (z.B. y-z-Ebene) eingefuhrt. Ein Zustand ist po-sitiv, wenn ψ+(x, y, z) = ψ+(−x, y, z) gilt, und negativ, wenn ψ−(x, y, z) =−ψ−(−x, y, z) gilt. Diese Symmetrie tritt sowohl bei homo- als auch bei he-teronuklearen Molekulen auf.

12.3.1 Molekulorbitalkonfiguration

Um die Zustande von Molekulen mit mehreren Elektronen zu bestim-men, ordnet man die berechneten Molekulorbitale nach steigender Energiean und besetzt sie bei Beachtung des Pauli-Prinzips mit Elektronen. DieMolekulorbitale werden charakterisiert durch die Energie En(R), den elek-

tronischen Bahndrehimpuls ~L =∑~li, dessen Projektion auf die Molekulachse

|Lz| = Λ · h = h ·∑λi, den Gesamtspin ~S =∑~si und dessen Projektion auf

die Molekulachse |Sz| = MS · h = h ·∑msi. Die Bezeichnungsweise ist analogzu den Elektronenzustanden im Atom

2S+1Λ+/−g/u (12.21)

wobei fur die Werte von Λ jetzt analog zu Kap. 12.1 große griechische Buch-staben verwendet werden und mit +/− und g/u (nur bei homonuklearenMolekulen) die o.g. Symmetrien bezeichnet werden.

12.3.2 Angeregte Molekulzustande

Wird eines der Elektronen angeregt in ein energetisch hoheres Orbital, soentstehen elektronisch angeregte Molekulzustande, deren Energie En,l,λ(R)genau wie beim Grundzustand vom Kernabstand abhangt. Wir erhalten inBorn-Oppenheimer-Naherung deshalb fur jeden elektronischen Zustand einePotentialkurve E(R), die fur R → ∞ die Dissoziation in getrennte Atomebeschreibt. (Es gibt auch doppelt angeregte Zustande, die fur R → ∞ zweiangeregte Atome bilden.)

88

Page 89: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Der großte Teil aller angeregten Zustande des H+2 hat Potentialkurven

ohne Minimum, die also nicht zu stabilen Molekulzustanden fuhren. Diesliegt daran, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons zwischenden Kernen in angeregten Zustanden nur noch kleine Werte annimmt unddie Kernabstoßung deshalb nicht mehr kompensiert werden kann.

Bei der Bildung von Molekulen aus großeren Atomen tragen die Elektro-nen in den abgeschlossenen inneren Schalen kaum zur Molekulbindung bei,da sie auch bei der Molekulbildung um den Kern ihres Atoms konzentriertsind. Die Molekulbindung wird daher im wesentlichen durch die Valenzelek-tronen in der außeren, nicht voll gefullten Elektronenschale der Atome be-wirkt. (Das Potentialkurvenschema der Alkali-Dimere ist daher sehr ahnlichdem Diagramm des H2-Molekuls. Der Unterschied in den AbsolutenergienEn(R) hangt zusammen mit den geringeren atomaren Anregungsenergien desValenzelektrons.) Die Verformbarkeit (Polarisation) der inneren Schalen derAtome bei der Molekulbildung tragt dagegen nur geringfugig zur chemischenBindung bei.

12.3.3 Excimere

Edelgase konnen in ihren Grundzustanden, die abgeschlossenen Schalenentsprechen, keine stabilen Molekule bilden, weil die Anregungsenergie inhohere Zustande zu groß ist. (Der Energieaufwand, der notig ist, um einstark an seinen Kern gebundenes Elektron aus seinem Atomorbital in einbeiden Atomen gemeinsames Molekulorbital zu bringen, ist viel großer alsder Energiegewinn durch die erniedrigte kinetische Energie im Molekulorbi-tal.) Wird hingegen ein Edelgasatom in einen angeregten Zustand gebracht,so kann es durchaus mit anderen Atomen eine Molekulbindung eingehen.Solche zweiatomigen Molekule, die nur in elektronisch angeregten ZustandenPotentialkurven mit einem Minimum aufweisen, im Grundzustand jedoch einrepulsives Potential zeigen, also instabil sind, heißen Excimere oder Exciple-xe2.

12.3.4 Korrelationsdiagramme

Um die Symmetrie der angeregten Molekulzustande und ihre zugehorigenAtomzustande, in welche sie bei R→∞ dissoziieren, angeben zu konnen, hat

2Solche Excimere/Exciplexe stellen ideale Kandidaten fur durchstimmbare Laser dar,weil bei Ubergangen vom gebundenen angeregten Zustand zum repulsiven Grundzustanddas untere Molekulniveau durch Dissoziation automatisch vollstandig entleert wird, sodasseinfach Besetzungsinversion erzeugt werden kann.

89

Page 90: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

man Korrelationsdiagramme eingefuhrt, die den Verlauf der Energie E(R)eines Molekulzustandes von R =∞ bis R = 0 beschreiben.

Das einfachste System ist das zweier gleichartiger Atomkerne. Betrachtenwir nur den Fall des Grundzustandes sowie einfach angeregter Zustande (nurein Elektron angeregt), dann erhalt man fur R = 0 die Terme des vereinigtenMolekuls mit der Kernladung 2Ze, fur R → ∞ dissoziiert das Molekul inein Atom im Zustand (n, l) und ein Atom, das immer im Grundzustand ist.Bei der Variation von R bleibt die Projektion |Lz| = Λ · h des elektronischenBahndrehimpulses fur leichte Molekule, bei denen die Spin-Bahn-Kopplungklein ist, erhalten. Der Verlauf der Kurven En(R) in Korrelationsdiagrammendurch die Eugene-Wigner-Symmetrieregel bestimmt:

”Kurven En(R) gleicher Symmetrie durfen sich nicht kreu-

zen.“

12.4 Chemische Bindung

Wir haben gesehen, dass fur Potentialkurven, die ein Minimum beimKernabstand Re haben, im wesentlichen zwei physikalische Effekte zur Bil-dung eines stabilen Molekuls beitragen (vgl. Kap. 12.1):

1. Durch die raumliche Umordnung der Wahrscheinlichkeitsverteilung deratomaren Valenzelektronen wird die Elektronendichte zwischen denAtomen großer. Das fuhrt zu einer gerichteten elektrostatischen An-ziehung zwischen den positiven Atomrumpfen und der negativen La-dungswolke zwischen ihnen. Dieser Effekt schlagt sich im Valenzbin-dungsmodell der Chemie wieder.

2. Bei der chemischen Bindung teilen sich beide Atome ein oder mehrereValenzelektronen. Die im Vergleich zum Atomorbital großere raumli-che Ausdehnung des Molekulorbitals verringert die mittlere kinetischeEnergie der an der Bindung beteiligten Valenzelektronen, was zum Mi-nimum der Potentialkurve, in der die mittlere kinetische Energie Ekin

enthalten ist, beitragt. Dieser Beitrag zur Molekulbindung wird Aus-tauschwechselwirkung genannt, weil in den Ansatzen der Austauschununterscheidbarer Elektronen berucksichtigt wird.

Beide Effekte spielen eine Rolle bei Kernabstanden R, die kleiner sind alsder Betrag der Summe ~rA + ~rB der mittleren Atomradien von A und B. Beidiesen Abstanden uberlagern sich die Elektronenhullen, sodass es gemein-same Elektronen gibt. Bindungen, die auf diesen Effekten beruhen, heißenkovalent oder homoopolar.

90

Page 91: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Bei großen Kernabstande R > ~rA+~rB, bei denen die Elektronenwolken derbeiden Atome kaum noch uberlappen, verliert die auf diesen beiden Effektenberuhende chemische Bindung ihren Einfluss. Trotzdem gibt es auch dortnoch stabile Molekule.

12.4.1 Multipolentwicklung

Klassisch beruht die Bindung auf der Multipolentwicklung des elektri-schen Potentials einer Ladungsverteilung ρ(~r ) fur einen Aufpunkt P außer-halb der Verteilung. Durch die Anwesenheit des Atoms B wird die Ladungs-verteilung des Atoms A verandert: Sie wird polarisiert und eventuell auchkontrahiert. Dadurch ist sie nicht mehr kugelsymmetrisch und enthalt hohereMultipolanteile, welche zum Potential am Ort des Atoms B beitragen. Durcheinen geeigneten Ansatz fur das Potential einer Verteilung von Ladungen qian den Orten ~ri, Φ(R) = (1/4πε0) ·

∑i qi(~ri)/|~R − ~ri|, und eine konvergente

Taylor-Entwicklung ergeben sich folgende Wechselwirkungsenergien zwischenzwei Atomen A und B:

• Zwei Ionen mit Ladungen qA, qB haben eine langreichweitige Coulomb-Wechselwirkung :

Epot(qA, qB, R) =1

4πε0

qA · qBR

(12.22)

• Ein Ion mit Ladung qA und ein neutrales Atom oder Molekul B mitpermanentem Dipolmoment ~pB, dessen Richtung einen Winkel ϑ gegendie Verbindungsachse hat, erfahren die Wechselwirkungsenergie:

Epot(qA, ~pB, R) =1

4πε0

qA · ~pB · cosϑ

R2(12.23)

• Fur zwei permanente Dipole ~pA,~pB, die mit der Verbindungslinie dieWinkel ϑA, ϑB bilden und um diese Achse die Azimutwinkel ϕA, ϕB

haben, gilt:

Epot(~pA, ~pB, R) ∼ 1

4πε0

pA · pB

R3(12.24)

12.4.2 Induzierte Dipolmomente und van-der-Waals-Potential

Wird ein neutrales Atom A ohne permanentes Dipolmoment in ein elek-trisches Feld ~E gebracht, so entsteht durch die entgegengesetzten Krafte auf

91

Page 92: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

den positiv geladenen Atomkern und die negativ geladene Elektronenhulleein induziertes Dipolmoment ~p ind

A = αA · ~E (αA: Polarisierbarkeit). Fur dieMolekulphysik ist die Wechselwirkung zwischen zwei neutralen Atomen vonbesonderer Bedeutung. Bei einer im zeitlichen Mittel kugelsymmetrischenLadungsverteilung der Elektronenhulle im Atom A ist zwar das zeitlich ge-mittelte Dipolmoment ~pA = 0, aber es gibt immer ein momentanes Dipolmo-ment ~pA, zu dem es ein momentanes Feld

~EA =1

4πε0R3· (3pA cos ΘA

~R− ~pA) (12.25)

gibt. Dieses Feld induziert im Atom B ein Dipolmoment ~p indB = −αB

~EA, das

wiederum am Ort des Atoms A ein Feld ~EB erzeugt.Durch diese wechselseitige Beeinflussung wird die kugelsymmetrische La-

dungsverteilung dauernd gestort, sodass auch im zeitlichen Mittel das Dipol-moment nicht mehr Null ist, sondern ~p ind

A = −αA~EB. Die beiden induzierten

Dipolmomente stehen parallel zur Verbindungsachse beider Atome; deshalbgilt fur die potentielle Wechselwirkungsenergie zwischen den beiden induzier-ten Dipolen Epot(R) = ~p ind

B~EA = ~p ind

A~EB, was sich auch als van-der-Waals-

Wechselwirkungspotential schreiben lasst3:

Epot(R) = −C1αAαB

R6=C2

R6(12.26)

Dieses Potential ist anziehend, aber sehr kurzreichweitig. Die Polarisier-barkeiten αA, αB konnen experimentell bestimmt oder quantentheoretisch be-rechnet werden.

Die Multipolbetrachtung fur die Molekulbindung gilt nur fur genugendgroße Kernabstande, fur kleinere Kernabstande muss die Uberlagerung derElektronenhullen berucksichtigt werden, die zur Austauschwechselwirkungfuhrt und quantenmechanisch berechnet werden muss. Man kann jedoch dengesamten Teil des Potentials empirisch durch das Lenard-Jones-Potential

Epot(R) =a

R12− b

R6(12.27)

schreiben, bei dem a und b Anpassungsparameter sind.

12.4.3 Bindungstypen (Zusammenfassung)

Je nach Molekulart und Kernabstand unterscheiden wir folgende Bin-dungstypen:

3Zur quantenmechanischen Berechnung der Wechselwirkung zwischen induzierten Di-polen ist Storungsrechung 2. Ordnung erforderlich!

92

Page 93: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

kovalente (oder homoopolare) Bindung: Sie basiert auf dem Austauschgemeinsamer Elektronen zwischen zwei Atomen und der dadurch be-wirkten Umordnung der Dichteverteilung der Elektronen, die zu einerErhohung der Elektronendichte zwischen den Kernen fuhrt. Sie spieltnur bei Kernabstanden R < ~rA + ~rB eine Rolle.

ionische Bindung zwischen positiven und negativen Ionen: Sie wirdbeobachtet, wenn der Elektronenaustausch zu einer erhohten Elektro-nendichte am Atom A und einer verminderten Dichte am Atom B fuhrt.Beispiele fur ionische Bindung sind die Verbindungen von Atomen derersten Gruppe des Periodensystems mit denen der siebten Gruppe.Die Wechselwirkungsenergie der ionischen Bindung ist langreichweitig(Epot(R) ∼ 1/R).

van-der-Waals-Bindung : Sie tritt auf als Wechselwirkung zwischen zweineutralen, polarisierbaren Atomen. Sie ist schwach und kurzreichweitig(Epot(R) ∼ 1/R6).

Wasserstoff-Brucken-Bindung: Bei mehratomigen Molekulen tritt eineweitere Wechselwirkung auf, bei der eine Anziehung zwischen zwei Ato-men durch ein H+-Ion (Proton) vermittelt wird. Das Proton polarisiertdie beiden Atome und vermittelt so eine anziehende Kraft, die zu einerBindung fuhrt, deren Starke zwischen der der van-der-Waals-Bindungund der der ionischen Bindung liegt.

12.5 Rotation und Schwingung zweiatomiger

Molekule

Nun soll die zuvor vernachlassigte Bewegung der Kerne, Rotation undSchwingung (kinetische Energie der Kerne in der Schrodinger-Gleichung)berucksichtigt werden.

12.5.1 Born-Oppenheimer-Naherung

Wegen der wesentlich großeren Masse der Atomkerne verlauft die Kernbe-wegung viel langsamer als die der Elektronen. Dies bedeutet, dass die Elek-tronenhulle bei der Bewegung der Kerne sich praktisch momentan auf denjeweiligen Kernabstand R einstellen kann. Die Elektronenenergie E(R) hangtdamit zwar parametrisch von R ab, wird aber durch die Geschwindigkeit derKernbewegung kaum beeinflusst. Deshalb lasst sich die Gesamtwellenfunkti-on ψk

(~ri ,

~Rj

)des Molekuls im Zustand k = (n, L,Λ), die sowohl von

93

Page 94: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

den Elektronenkoordinaten ~ri als auch von den Kernkoordinaten~Rj

abhangt, naherungsweise als Produkt aus der Wellenfunktion χ

~Rj

der

Kernbewegung und der elektronischen Wellenfunktion des starren Molekulsψ0

k

(~ri ,

~Rj

)bei einer beliebigen Kernkonfiguration

~Rj

ansetzen, bei

der die ~ri die Variablen sind:

ψk

(~ri ,

~Rj

)= χ

(~Rj

)· ψ0

k

(~ri ,

~Rj

)(12.28)

Einsetzen in die Schrodinger-Gleichung fuhrt fur χ(~Rj

)formal zu ei-

ner Gleichung wie fur das H-Atom4, die genau wie diese in Kugelkoordinatensepariert werden kann in einen Radialanteil (S(R), Schwingungswellenfunk-tion) und einen winkelabhangigen Teil (Y (ϑ, ϕ), Rotationswellenfunktion),was zu folgendem Ansatz fuhrt:

χ(R, ϑ, ϕ) = S(R) · Y (ϑ, ϕ) (12.29)

12.5.2 Der starre Rotator

Ein zweiatomiges Molekul mit den Atommassen M1 und M2 kann umeine Achse durch den Schwerpunkt rotieren. Seine Rotationsenergie bei ei-ner Winkelgeschwindigkeit ω ist dann Erot = 1/2 · I · ω2 = ~J 2/2I mitM = (M1M2)/(M1+M2)und dem Tragheitsmoment des Molekuls bzgl. seiner

Rotationsachse I = M1R21+M2R

22 = MR2. | ~J | = I ·ω ist sein Drehimpulsbe-

trag. Da das Betragsquadrat des Drehimpulses nur diskrete Werte annehmenkann, ∣∣∣ ~J ∣∣∣2 = (J + 1)J (12.30)

(J = 0, 1, 2 . . . ist die Rotationsquantenzahl), erhalt man fur die Rotations-energien beim Gleichgewichtsabstand R = Re eine Folge diskreter Werte

Erot =J(J + 1)h2

2MR2e

(12.31)

deren Abstande ∆Erot = Erot (J + 1)−Epot (J) = (J +1)h2/I linear mit derRotationsquantenzahl J zunehmen. Wenn eine elektromagnetische Welle vonden Molekulen absorbiert wird, so entsprechen den Ubergangen zwischen denRotationsniveaus bestimmte Absorptionsfrequenzen:

νrot =E(J + 1)− E(J)

h(12.32)

4Die potentielle Energie E0k(R) der Kernbewegung im elektronischen Zustand k =

(n, L, Λ) hangt nur vom Kernabstand R, nicht von den Winkeln ϑ, ϕ ab, d.h. sie ist ku-gelsymmetrisch.

94

Page 95: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Die Rotationsfrequenzen liegen im Mikrowellenbereich. (Spater ergibt sich,dass nur Molekule mit einem permanenten Dipolmoment Strahlung auf rei-nen Rotationsubergangen absorbieren konnen; homonukleare zweiatomigeMolekule haben daher kein reines Rotationsspektrum.)

12.5.3 Zentrifugalaufweitung

Bei einem realen rotierenden Molekul stellt sich der Kernabstand so ein,dass die rucktreibende Kraft durch das Potential Epot(R), ~Fr = −∂Epot

∂R, gleich

der Zentripetalkraft ~Fz = −Mω2 ~R wird. Durch die sogenannte Zentrifugal-aufweitung wird das Tragheitsmoment großer und daher die Rotationsenergiebei gleichem Drehimpuls kleiner.

12.5.4 Einfluss der Elektronenbewegung

Bisher haben wir bei der Betrachtung der Molekulrotation noch nichtden Drehimpuls der Elektronen berucksichtigt. Im axialsymmetrischen elek-trostatischen Feld der beiden Atome prazediert der vom Kernabstand Rabhangige Bahndrehimpuls ~L =

∑~li der Elektronenhulle um die Kernver-bindungsachse (z-Achse) mit der konstanten Projektion |Lz| = Λh; dies giltfur Molekule in Singulett-Zustanden, d.h. mit dem GesamtelektronenspinS = 0.

In Zustanden mit S 6= 0 prazediert bei leichten Molekulen, bei denendie Spin-Bahn-Kopplung schwacher ist als die Kopplung des Spins an dasdurch die Prazession der Elektronenhulle bewirkte magnetische Feld, derGesamtspin ~S getrennt um die z-Achse und hat die Projektion:

|Sz| = MS · h (12.33)

Beide Projektionen addieren sich zu der Gesamtprojektion:

Ω = Λ +MS (12.34)

Der Gesamtdrehimpuls ~J des rotierenden Molekuls setzt sich zusammenaus dem Drehimpuls der Rotation des Kerngerusts ~N und den Projektionenvon ~L und ~S5:

~J = ~N +(~L)

z+(~S)

z(12.35)

5Betrachtet man die gesamte Elektronenhulle als starres Gebilde, das sich um die z-Achse dreht, lasst sich das rotierende Molekul also im Modell eines symmetrischen Kreiselsbeschreiben, der zwei verschiedene Tragheitsmomente I1, I2 hat: I1 fur die Rotation derElektronenhulle um die z-Achse, I2 fur die Rotation von Kernen und Elektronenhullen umeine Achse senkrecht zur z-Achse.

95

Page 96: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

(D.h. fur Ω 6= 0 steht ~J nicht mehr senkrecht auf der Molekulachse.) Da ~Jfur ein freies Molekul ohne außere Felder zeitlich konstant ist, dreht sich dasMolekul um die raumfeste Richtung von ~J .

12.5.5 Schwingung zweiatomiger Molekule

Fur ein nichtrotierendes Molekul wird die Rotationsquantenzahl J = 0,d.h. in der Schrodinger-Gleichung gibt es keinen Zentrifugalterm, sondern dieLosungen hangen nur noch von der Form der potentiellen Energie Epot(R)ab.

Das reale Molekulpotential Epot(R) kann in der Nahe des MinimumsR = Re gut durch ein Parabelpotential genahert werden (es ergibt sich dieGleichung des harmonischen Oszillators mit den zugehorigen Energieeigen-werten E(ν) =

(ν + 1

2

)· hω und Eigenfunktionen, vgl. Kap. 2.3), fur hohere

Energien gibt es jedoch erhebliche Abweichungen. Ein Potential, welches denPotentialverlauf im anziehenden Teil fur R > Re sehr gut annahert, ist dasMorse-Potential

Epot(R) = ED ·[1− e−a(R−Re)

]2(12.36)

das fur R → ∞ gegen die Dissoziationsenergie ED geht und sein MinimumEpot(R) = 0 fur R = Re annimmt. (Der abstoßende Teil wird nicht so gut be-schrieben.) Mit dem Morse-Potential kann die Schrodinger-Gleichung exaktgelost werden und fur die Energie der Schwingungsniveaus gilt:

Evib(ν) =(ν +

1

2

)· hω − h2ω2

4ED

(ν +

1

2

)2

(12.37)

Die Energiedifferenzen

∆E (ν) = E (ν + 1)− E (ν) = hω ·[1−

(hω

2ED

)· (ν + 1)

](12.38)

benachbarter Schwingungsniveaus sind nicht mehr konstant wie beim harmo-nischen Oszillator, sondern nehmen mit wachsender Schwingungsquantenzahlν ab. (Bis zur Dissoziationsenergie ED bleibt ∆E aber endlich, d.h. es gibtfur alle zweiatomigen Molekule nur eine endliche Anzahl von Schwingungs-niveaus.)

12.5.6 Schwingungs-Rotations-Wechselwirkung

Molekule konnen im Allgemeinen rotieren und schwingen. Da die Schwin-gungsfrequenz um ein bis zwei Großenordnungen hoher ist als die Rotati-onsfrequenz, durchlauft ein Molekul wahrend einer Rotationsperiode viele

96

Page 97: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Schwingungen6. Dadurch andert sich der Kernabstand R wahrend der Ro-tation dauernd und auch die Rotationsfrequenz ωrot schwankt im Takt derSchwingungsfrequenz ωvib; die Rotationsenergie variiert. Da die Gesamtener-gie E = Erot +Evib +Epot aber konstant ist, findet im schwingenden Rotatorein standiger Energieaustausch zwischen Rotation, Schwingung und potenti-eller Energie statt.

12.5.7 Rotationsbarriere

Das effektive Potential fur ein rotierendes Molekul lasst sich als Summedes rotationslosen Potentials E

(0)pot(R) und eines J-abhangigen Zentrifugal-

terms schreiben:

Eeffpot(R) = E

(0)pot(R) +

J (J + 1)

2MR2(12.39)

Bei einem bindenden Zustand fuhrt dies zu einem Maximum (Zentrifu-galbarriere) bei einem Kernabstand RZB, der sich aus Gl. 12.39 durch Diffe-rentiation ergibt,

RZB =J (J + 1) · h2

M(

dE(0)pot

dR

) (12.40)

Das Minimum des Potentials verschiebt sich von Re zu etwas großerenKernabstanden und die Dissoziationenergie wird durch die Rotation kleiner.Die Zustande oberhalb der Dissoziationsenergie konnen infolge der Rotati-onsbarriere stabil sein; die Rotationsbarriere kann aber auch durchtunneltwerden.

12.6 Spektren zweiatomiger Molekule

Beim Ubergang zwischen zwei Molekulzustanden Ei(ni,Λi, νi, Ji) ←→Ek(nk,Λk, νk, Jk) kann Strahlung absorbiert oder emittiert werden, wenn dieUbergangswahrscheinlichkeiten verschieden von Null sind. Da die Ubergangs-wahrscheinlichkeit proportional zum Quadrat des Dipolmatrixelementes ist,lassen sich die relativen Intensitaten der Spektrallinien bestimmen, wenn mandie Matrixelemente fur die entsprechenden Ubergange berechnen kann.

6Wenn man von der Rotationsenergie eines Molekuls spricht, meint man den zeitlichenMittelwert, gemittelt uber viele Schwingungsperioden.

97

Page 98: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

12.6.1 Das Ubergangsmatrixelement

Das Dipolmatrixelement fur einen Ubergang zwischen zwei Zustandenmit den Wellenfunktionen ψi und ψk ist

~Mik =∫ψ∗i · ~p · ψkdτeldτN (12.41)

wobei die Integration uber alle Elektronen- und Kernkoordinaten erfolgt. ~pkann geschrieben werden als

~p = ~pel + ~pN = −e ·∑

i

~ri + Z1 · e · ~R1 + Z2 · e · ~R2 (12.42)

hangt also von Elektronen- und Kernkoordinaten ab7. Im Rahmen der Born-Oppenheimer-Naherung kann die Gesamtwellenfunktion ψ

(~r, ~R

)angesetzt

werden als Produkt von elektronischer Wellenfunktion des starren Molekulsψel

(~r, ~R

)und Kernwellenfunktion χN

(~R):

ψ(~r, ~R

)= ψel

(~r, ~R

)· χN

(~R)

(12.43)

Dies setzt man in das Dipolmatrixelement ein; es mussen zwei Falle un-terschieden werden:

1. Die Niveaus i und k gehoren zum selben elektronischen Zustand; der Di-polubergang findet zwischen zwei Schwingungs-Rotations-Niveaus des-selben elektronischen Zustands statt: Ei (ni,Λi, νi, Ji)←→Ek (nk = ni,Λk = Λi, νk, Jk). Dann reduziert sich das Dipolmatrixele-ment auf:

~Mik =∫χ∗iN · ~pN · χkNdτN (12.44)

2. Die Niveaus i und k gehoren nicht zum selben elektronischen Zustand.Dann kann das Dipolmatrixelement geschrieben werden als

~Mik =∫χ∗iN ·

[∫ψ∗iel · ~pel · ψkeldτel

]· χkNdτN

=∫χ∗iN · ~M el

ik (R) ·χkNdτN (12.45)

wobei der elektronische Teil des Matrixelementes ~M elik(R) allgemein

noch vom Kernabstand abhangig ist.

7Im homonuklearen Molekul gilt Z1 = Z2, aber ~R1 = −~R2, also ist ~pN = 0

98

Page 99: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

12.6.2 Schwingungs-Rotations-Ubergange

Ubergange zwischen Schwingungs-Rotations-Niveaus innerhalb desselbenelektronischen Zustandes bilden fur νi 6= νk das Schwingungs-Rotations-Spektrum eines Molekuls, das im infraroten Spektralbereich liegt; fur νi = νk

erhalt man das reine Rotationsspektrum im Mikrowellenbereich. Homonu-kleare Molekule haben wegen ~pN = 0 in Gl. 12.44 in Dipolnaherung keineerlaubten Schwingungs-Rotations-Ubergange innerhalb desselben elektroni-schen Zustandes.

Um das Schwingungs-Rotations-Spektrum eines heteronuklearen zweiato-migen Molekuls zu bestimmen, schreibt man die Kernwellenfunktion χN(~R )als Produkt

χN (R, ϑ, ϕ) = S (R) · Y MJ (ϑ, ϕ) (12.46)

aus Schwingungswellenfunktion S(R) und der Rotationswellenfunktion Y MJ (ϑ, ϕ)

fur einen Molekulzustand mit Rotationsdrehimpuls ~J und seiner ProjektionM · h.

Setzt man dies in das Dipolmatrixelement ein, erhalt man fur den Termdes Schwingungsanteils bei einem harmonischen Oszillator die Auswahlre-gel ∆ν = νi − νk = ±1; in einem anharmonischen Potential (z.B. Morse-Potential) sind auch Ubergange mit ∆ν = 2, 3, 4, . . . moglich, allerdings mitwesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit, die mit wachsenden Werten von ∆νstark abnimmt.

Der Term des Rotationsanteils ist nur verschieden von Null fur ∆J = Ji−Jk = ±1; dabei heißen die Ubergange mit ∆J = +1 R-Linien, die Ubergangemit ∆J = −1 P-Linien. Alle Rotationslinien eines Schwingungsubergangesbilden eine sog. Schwingungsbande. Die R-Linien liegen auf der hoherfrequen-ten Seite des sog. Bandenursprungs ν0, die P-Linien liegen bei niedrigerenWellenzahlen.

12.6.3 Elektronische Ubergange

Der elektronische Anteil ~M elik(R) hangt im Allgemeinen von Kernabstand

R ab; daher kann eine Taylor-Entwicklung um den Gleichgewichtsabstand Re

durchgefuhrt werden und in erster Naherung setzt man ~M elik(R) = ~M el

ik(Re) =const. Dies setzt man zusammen mit dem Ansatz Gl. 12.46 in Gl. 12.45ein und erhalt ~M el

ik (R) = ~M elik (Re) ·

√FC (νi, νk) ·

√HL (Ji, Jk) (dabei ist√

FC (νi, νk) der Schwingungsanteil,√HL (Ji, Jk) der Rotationsanteil). Fur

die Intensitat eines Ubergangs gilt dann I ((ni, νi, Ji)↔ (nk, νk, Jk))∣∣∣ ~M el

ik

∣∣∣2 ·FC ·HL.

99

Page 100: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

Der elektronische Anteil∣∣∣ ~M el

ik

∣∣∣2 (Wahrscheinlichkeit fur den Elektronen-

sprung von i nach k) hangt ab vom Uberlapp der elektronischen Wellenfunk-tionen und ihren Symmetrien. Der Franck-Condon-Faktor FC entspricht demUberlappintegral der Schwingungswellenfunktionen im oberen und unterenZustand; der Honl-London-Faktor HL hangt ab von den Rotationsdrehim-pulsen und der Orientierung im Raum. Nur wenn keiner der drei Faktorenzu Null wird, kann ein elektronischer Dipolubergang stattfinden.

Das Molekulspektrum besteht also aus einem System von Schwingungs-banden, deren relative Intensitaten durch die entsprechenden Franck-Condon-Faktoren gegeben sind. Innerhalb jeder Schwingungsbande gibt es viele Ro-tationslinien, welche den Auswahlregeln ∆J = Jk − Ji = ±1, 0 folgen.(Ubergange mit ∆J = 0 sind dabei nur moglich, wenn sich die Projekti-on des elektronischen Bahndrehimpulses um ∆Λ = ±1 andert.) Die relati-ve Intensitat der Rotationslinien innerhalb einer Schwingungsbande hangtab vom Honl-London-Faktor und den Besetzungsdichten im absorbierendenbzw. emittierenden Zustand ab.

12.6.4 Franck-Condon-Prinzip

Die Absorption bzw. Emission eines Photons und die damit verbundeneAnderung der Elektronenhulle geschieht in einer Zeitspanne, die klein istgegen die Schwingungsdauer der Kerne. Im Potentialkurvendiagramm desMolekuls erfolgt der elektronische Ubergang daher senkrecht. Da der Impulsdes Photons sehr klein ist gegen den der schwingenden Kerne, bleibt derImpuls der Kerne und damit auch ihre kinetische Energie beim elektronischenUbergang erhalten.

Wenn zwei Potentialkurven E ′pot(R) und E ′′

pot(R) einen ahnlichen Verlaufhaben und ihre Minima annahernd beim gleichen Kernabstand R = R′

e ≈ R′′e

liegen, dann sind die Franck-Condon-Faktoren fur Ubergange mit ∆ν = 0maximal, fur ∆ν 6= 0 sehr klein. Sind die beiden Potentialkurven gegenein-ander verschoben, so haben Ubergange mit ∆ν 6= 0 die großte Intensitat.Je großer die Verschiebung ist, desto großer werden die Werte ∆ν fur diestarksten Schwingungsbanden.

12.6.5 Kontinuierliche Spektren

Wenn Absorptionsubergange in Zustande oberhalb der Dissoziationsgren-ze fuhren, dann ist die Energie des oberen Zustandes nicht gequantelt, weilsie zum Teil in Translationsenergie umgewandelt wird. Das Absorptionss-pektrum besteht dann nicht mehr aus diskreten Linien, sondern hat ei-

100

Page 101: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

ne kontinuierliche Intensitatsversteilung I(ν). (Auch wenn der obere Zu-stand oberhalb der Ionisationsgrenze liegt, entsteht ein kontinuierliches Ab-sorptionsspektrum.) Bei Molekulen sind diesem Absorptionsspektrum jedochscharfe Absorptionslinien uberlagert. Sie entsprechen Ubergangen in hohereSchwingungs-Rotations-Niveaus molekularer Rydberg-Zustande, deren elek-tronische Energie zwar unterhalb der Ionisationsgrenze liegt; infolge der zu-satzlichen Schwingungs-Rotations-Energie wird jedoch die Ionisationsgrenzedes nichtschwingenden Molekulions uberschritten. Solche Zustande konnendurch Autoionisation zerfallen.

Kontinuierliche Emissionsspektren treten auf bei Ubergangen von stabi-len oberen Zustanden E ′ in dissoziierende tiefere Zustande E ′′. Auch hier giltdas Franck-Condon-Prinzip. Die Intensitatsverteilung I(ν) ist gegeben durchdas Uberlappintegral der Schwingungsfunktion des oberen gebundenen Zu-standes und der Kernwellenfunktion χN(E ′′) des unteren nicht gebundenenZustandes.

12.7 Elektronische Zustande mehratomiger Mo-

lekule

Molekulorbitale werden als Linearkombination von Atomzustanden derAtome im Molekul gebildet. An der chemischen Bindung sind im wesentli-chen nur die Valenzelektronen beteiligt. Um eine moglichst starke Bindungzu erreichen, sollte das Uberlappintegral zwischen den an der Bindung betei-ligten Atomorbitalen der Atome moglichst groß sein.

12.7.1 Hybridisierung

Hybridisierung bedeutet eine Mischung aus s- und p-Orbitalen, hervorge-rufen durch die Verformung der Elektronenhulle auf Grund der Wechselwir-kung zwischen den an der Bindung beteiligten Atomen8. Die Atomorbitalesind dann keine reinen s- oder p-Funktionen mehr, sondern Linearkombina-tionen (Hybride) von beiden. Das Grundprinzip bei der Hybridisierung istdie Minimierung der Gesamtenergie durch Maximierung der (negativen) Bin-dungsenergie von Atomen im Molekul, d.h. die Hybridisierung wird energe-tisch vorteilhaft, wenn die positive Energie, die aufgewendet werden muss, umein s-Elektron in einen p-Zustand anzuheben, uberkompensiert wird durch

8Es konnen auch d-Orbitale in der Hybridisierung vorkommen, falls diese bei den Ato-morbitalen besetzt werden konnen.

101

Page 102: Prof. Dr. A. Tunnermann¨ - iap.uni-jena.deder+Materie+III+... · große Hauptquantenzahlen ndie Rydberg-Konstante durch Vergleich der Umlauffrequenzen der Elektronen auf den Bahnen

den Gewinn an zusatzlicher negativer Bindungsenergie. Hybride spielen beiKohlenstoffverbindungen eine entscheidende Rolle.

Man spricht von sp-Hybridisierung, wenn sich ein s- und ein p-Orbitalvermischen. Dies fuhrt zu zwei entgegengerichteten Bindungen und damitzu einem linearen Molekul (falls keine anderen Bindungen vorhanden sind).Mischt sich ein s-Orbital mit zwei p-Orbitalen, findet eine sp2-Hybridisierungstatt; es gibt dann drei gerichtete Bindungen, die in einer Ebene liegen. Beisp3-Hybridisierung (ein s- und drei p-Orbitale) entstehen vier Atomorbitale,die in die vier Ecken eines Tetraeders zeigen. Alle Molekule nehmen also imGrundzustand die Geometrie an, bei der ihre Gesamtenergie minimal wird.

12.7.2 π-Elektronensysteme

Neben den bisher behandelten lokalisierten Bindungen (d.h. die Wahr-scheinlichkeitsverteilung der an der Bindung beteiligten Valenzelektronen istauf ein enges Raumgebiet zwischen den bindenden Atomen beschrankt) gibtes auch Bindungen durch delokalisierte Elektronen. Diese sog. π-Bindungenresultieren aus uberlappenden p-Orbitalen und fuhren zu erhohter Polarisier-barkeit.

12.7.3 Chemische Reaktionen

Bei einer chemischen Reaktion

mA + nB→ AmBn (12.47)

d.h. m Atome bzw. Molekule A verbinden sich mit n Partnern B zu einemProduktmolekul AmBn, hangt die Zahl der Reaktionen pro Volumen- undZeiteinheit R = kR · na

A · nbB von den Konzentrationen der Reaktionspartner

nA,nB ab (kR Reaktionskonstante). Die Summe der Exponenten (a+b) ergibtdie Ordnung der Reaktion.

Um eine chemische Reaktion zwischen zwei Reaktanden wahrend einesStoßes zu realisieren, mussen Bindungen gelost und neue gebildet werden. Da-zu mussen sich die Elektronenhullen der Reaktanden genugend stark durch-dringen, sodass die notwendige Umordnung der Elektronenhullen erfolgenkann. Deshalb muss bei der Annaherung der Reaktanden im AllgemeinenEnergie aufgewendet werden. Bei der Bildung der Reaktionsprodukte wirddann wieder Energie frei. Eine Reaktion heißt exotherm, wenn ∆E > 0, undendotherm, wenn ∆E < 0. Ist eine Reaktion exotherm, so muss die zugehori-gen Umkehrreaktion endotherm sein.

102