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Prof. Dr. Rainer Wernsmann Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere Finanz- und Steuerrecht Universität Passau Vorlesung im Staatsrecht II – Sommersemester 2010 Vorlesung im Staatsrecht II Sommersemester 2010

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Prof. Dr. Rainer Wernsmann

Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere Finanz- und Steuerrecht

Universität Passau

Vorlesung im Staatsrecht II – Sommersemester 2010

Vorlesung im Staatsrecht II

Sommersemester 2010

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

Übersicht 7

Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG:Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit,

Rundfunkfreiheit, FilmfreiheitLiteraturhinweise: Pieroth/Schlink, Grundrechte, 25. Aufl. 2009, § 13; Hufen, Staatsrecht II, 2. Aufl. 2009, §§ 25-29, Ipsen, Staatsrecht II, 10. Aufl. 2009, § 10 I – VI, IX – X. Zur Vertiefung bei Interesse lesenswert Grimm, NJW 1995, 1697

I. Bedeutung des Art. 5 I, II GG - Schutz der Kommunikation des Einzelnen mit anderen- Für Demokratie schlechthin konstituierend

II. Ausgangspunkt: Struktur und systematische Stellung der Norm

Struktur der Norm:

o Art. 5 I 1, 2 GG (= Schutzbereiche): insges. fünf Grundrechte:

 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 I 1 Hs. 1 GG) Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 Hs. 2 GG) Pressefreiheit (Art. 5 I 2 Alt. 1 GG) Rundfunkfreiheit (Art. 5 I 2 Alt. 2 GG) Filmfreiheit (Art. 5 I 2 Alt. 3 GG)

 o Art. 5 II GG = Schranken dieser Grundrechte:

  Allgemeine Gesetze Jugendschutzbestimmungen Recht der persönlichen Ehre

o Art. 5 I 3 GG = besondere sog. Schranken-Schranke für Grundrechte aus Art. 5 I 1, 2 GG

  Zensur in keinem Fall zulässig, der Abwägung nicht zugänglich!

(Zensurverbot).

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

III. Schutzbereiche (und mögliche Eingriffe in diese)

1. … der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 Hs. 1 GG)

a) Persönlicher Schutzbereich

Jeder (Art. 5 I 1 GG)

Grundrechtsträger = jeder Mensch, ggf. auch juristische Personen des Privatrechts (Art. 19 III GG)

b) Sachlicher Schutzbereich

Freiheit, seine Meinung zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 I 1 Hs.1)

  Problem: Was ist „Meinung“?

  Jedenfalls Werturteile (egal ob dumm oder klug)

  Problem: auch Tatsachenbehauptungen (= dem Wahrheitsbeweis zugänglich) geschützt?

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

BVerfG: auch Tatsachenbehauptungen geschützt, wenn und soweit Voraussetzung für die Bildung von Meinungen 

(-) bei Zwang zur Angabe im Rahmen statistischer Erhebung (hier daher negative Meinungsfreiheit – s.u. – nicht einschlägig!)

(-) ferner bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen (Argument: Prozesscharakter von Kommunikation/ Verdachtsäußerungen) 

Verbot kommerzieller Werbung (früher h.M.: nur Art. 12 I GG ein-schlägig; nun a.A. BVerfGE 102, 107: auch Art. 5 GG einschlägig) Auch Fragen vom Schutz umfasst? (+)  Geschütztes Verhalten:

o Positive Meinungsfreiheit: Äußern und Verbreiten,z.B. auch Weiterleitung von Gefangenenpost

 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

o Nicht geschützt: außerargumentative Druckmittel („Blinkfüer“)o Negative Meinungsäußerungsfreiheit: Freiheit, sich nicht zu

äußern und Meinung nicht zu verbreiten, ebenfalls geschützt

Bsp.: Pflicht zu Warnhinweis: „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“ – Eingriff in negative Meinungsäußerungsfreiheit nur dann, wenn kein Hinweis auf Dritte (z.B. die Gesundheitsminister); jedenfalls aber Eingriff in Art. 12 I GG

2. … der Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 Hs. 2 GG)

a) Persönlicher Schutzbereich: jederb) Sachlicher Schutzbereich:

Freiheit, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten

Problem: was sind „allgemein zugängliche“ Quellen?

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

Solche, die technisch geeignet und bestimmt sind, einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreise Informationen zu beschaffen

o z.B.: Zeitung, Fernsehsendung, Gerichtsverhandlungo nicht: Behördenakten (str.)o Maßnahmen wie zB Beschlagnahme lassen die allgemeine

Zugänglichkeit nicht entfallen

3. … der Pressefreiheit (Art. 5 I 2 Alt. 1 GG)

a) Persönlicher Schutzbereich 

Jeder im Pressewesen TätigeUnternehmen i.d.R. (+), Art. 19 III GG 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

b) Sachlicher Schutzbereich

o Presse = alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse

periodisch erscheinende und einmalig gedruckte also sowohl Zeitungen/Zeitschriften als auch Bücher und

Flugblätter auf die Qualität oder einen politischen Bezug kommt es nicht

an

o Geschütztes Verhalten auch:

Informationsbeschaffung Inhaltsferne Hilfsfunktionen der Verbreitung

(Pressegroßhändler, Vertrieb etc.)

Grund: „Die Pressefreiheit“ (vgl. Formulierung des Art. 5 I 2 GG) kann durch technische Behinderungen mindestens ebenso getroffen werden wie durch inhaltliche Beschränkungen

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

o Konkurrenzverhältnis zur Meinungsfreiheit? 

Meinungsäußerungen bleiben auch dann durch Art. 5 I 1 Hs. 1 GG („Meinungsfreiheit“) geschützt, wenn sie in der Presse getätigt werden (BVerfG)

o  Beachte: keine unmittelbare Drittwirkung der Pressefreiheit (etwa Redakteur gegen Verleger)

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

4. … der Rundfunkfreiheit (Art. 5 I 2 Alt. 2 GG) 

a) Persönlicher Schutzbereich 

Beachte: ausnahmsweise auch juristische Personen des öffentlichen Rechts geschützt (öffentlich-rechtliche Rundfunksender, z.B. Bayerischer Rundfunk, ZDF …), Art. 19 III GG

 b) Sachlicher Schutzbereich

Rundfunk = Hörfunk und Fernsehen

Geschütztes Verhalten: wie bei Pressefreiheit (Informationsbeschaffung bis Verbreitung); Meinungsäußerungen unterfallen weiter Art. 5 I 1 Hs. 1 GG

„Berichterstattung“ (auch Musiksendungen etc.)

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

5. … der Filmfreiheit (Art. 5 I 2 Alt. 3 GG) Umfassender Schutz, nicht nur „Berichterstattung“

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

IV. Eingriff (Ergänzende Hinweise) Beachte: Die Grundrechte des Art. 5 I 1 GG sind Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Sie vermitteln keine Leistungsansprüche, z.B. auf Bereitstellung von Informationen durch den Staat Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gibt einen solchen Anspruch, konkretisiert jedoch insoweit nicht Art. 5 I 1 Hs. 2 GG. Solche Gesetze sind an der Verfassung zu messen (z.B. Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, wenn personenbezogene Daten in den Akten enthalten sind; auf dieser Ebene findet aber keine Abwägung mit Art. 5 I 1 Hs. 2 GG statt!). Beachte: Förderung der Presse („Pressesubventionen“) grundsätzlich zulässig, muss aber „meinungsneutral“ erfolgen – sonst ggf. Konkurrentenrechtsschutz wegen Eingriffs in die Pressefreiheit des Nichtgeförderten! 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

V. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Eingriff in die Meinungsfreiheit muss von den Schranken des Grundrechts gedeckt sein (1), und die Schranken müssen ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an grundrechtseinschrän-kende Gesetze genügen (sog. Schranken-Schranken)(2). Zudem muss das beschränkende Gesetz im Einzelfall verfassungskonform angewendet worden sein (3).

(Hinweis zur Fallbearbeitung: Schwerpunkt in Fällen zur Meinungsfreiheit liegt i.d.R. bei (3))  1. Schranken Wichtigste Schranke: Die „allgemeinen Gesetze“ (Art. 5 II GG) Weitere: Art. 17a GG (Gesetzesvorbehalt), Recht der persönlichen Ehre, Jugendschutzbestimmungen (Art. 5 II GG) 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

a) Die allgemeinen Gesetze Problem: Was bedeutet „allgemein“?

o Abstrakt-generelle Regelung reicht nicht aus, das ist Begriffsmerkmal jedes (materiellen) Gesetzes

o Verbot des Einzelfallgesetzes? Kann auch nicht gemeint sein, da dieses Merkmal bei diesem Verständnis neben Art. 19 I 1 GG überflüssig wäre

Sog. Sonderrechtslehre:o „allgemein“ bedeutet, dass sich das Gesetz nicht eine Meinung als

solche verbieten darf oder sich das Gesetz nicht gegen das Äußern von Meinungen als solche richten darf

o = Kein Sonderrecht gegen die Meinungsfreiheit

 Meinungsneutralität des Gesetzes

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

Abwägungslehre: o Allgemein bedeutet, dass das Gesetz ein Rechtsgut schützt, das

höherwertig ist als die Meinungsfreiheit (= Vorwegnahme der Verhältnismäßigkeit i.e.S. = Angemessenheit)

BVerfG verlangt beide Elemente (grundlegend BVerfGE 7, 198, 209 f. – Lüth)

Beachte aber jetzt BVerfG v. 4.11.2009, 1 BvR 2150/08, www.bverfg.de: § 130 IV StGB ausnahmsweise als nichtallgemeines Gesetz (= Verbot von Meinungen, die die NS-Herrschaft in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise rechtfertigen, billigen oder verherrlichen) taugliche Schranke

Außerdem sog. Wechselwirkungslehre (BVerfGE 7, 198; Interpretation des einschränkenden Gesetzes im Lichte des eingeschränkten Grundrechts)

 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

b) Weitere Schranken 

aa) Recht der Ehre (Art. 5 II GG) 

§ 185 StGB (Strafbarkeit von Beleidigungen)

§§ 823 I, 826 BGB (Unterlassungsansprüche, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche)

Bsp.: Formalbeleidigungen/Schmähkritik 

 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

 bb) Jugendschutz (Art. 5 II GG)

cc) Einschränkungen für Wehr- und Zivildienstleistende (Art. 17a GG)  Bedeutung: Bei Art. 17a GG muss es sich nicht um „allgemeine“

Gesetze handeln

Art. 17a GG ist einfacher Gesetzesvorbehalt

 

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Die Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG

2. Schranken-Schranken a) Allgemeine: Verhältnismäßigkeitsprinzip b) Besondere für Einschränkungen der Meinungs-, Pressefreiheit usw. (=

alle Grundrechte des Art. 5 I 1, 2 GG außer Informationsfreiheit <so BVerfG>): Zensurverbot (Art. 5 I 3 GG)

 o Zensurverbot = Verbot einer präventiven (= vorherigen) Kontrolle

 o Wichtig: Zensurverbot ist Schranken-Schranke, d.h. selbst nicht

wieder relativierbar (einschränkbar), gilt also absolut.

 

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Vorlesung Staatsrecht II – Art. 5 I, II GG

3. Verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der Schranken im Einzelfall (i.d.R. durch die Gerichte)

Beachtung des Art. 5 I GG auf drei Ebenen (insoweit voll durch BVerfG überprüfbar):

a) Beim Verständnis der Äußerung (Sinnebene)

b) Bei Auslegung der Normen (Normauslegungsebene) („regelbezogene Abwägung“)

c) Bei Abwägung der kollidierenden Rechtspositionen (Normanwendungsebene)

(„fallbezogene Abwägung“) Probleme insbesondere: „Meinungsfreiheit und Ehrenschutz“

Beachte: BVerfG überprüft tatsächliche Feststellungen der Fachgerichte nicht (Ist Äußerung gefallen? Von wem? usw.)

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Vorlesung im Staatsrecht II – Gliederung

Verstoß gegen Art. 5 I GG liegt vor, wenn eine Äußerung den der Verurteilung zugrunde gelegten Sinn nicht hat oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen andere mögliche Auslegungen nicht ausgeschlossen worden sind (Fachdiskurs/Alltagssprache; nicht zurechenbarer Zusammenhang mit Äußerungen Dritter)

Beispiel aus der Rspr.: Äußerung „Soldaten sind Mörder“

strafbare Kollektivbeleidigung der Soldaten der Bundeswehr …

… oder grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung gegen Soldatentum und kriegerische Auseinandersetzungen?

So BVerfGE 93, 266, 298; a.A. Sondervotum BVerfGE 93, 313

Zu a) Sinnebene

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Vorlesung im Staatsrecht II – Gliederung

Abstrakte Abwägung:

Von Normauslegung durch Fachgerichte darf kein abschreckender Effekt ausgehen

Meinungsfreiheit für Demokratie schlechthin konstituierend

Andererseits aber auch Ehrenschutz über allgemeines Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlich abgesichert (Art. 2 I iVm Art. 1 I GG)

Zu b) Normauslegungsebene

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Vorlesung im Staatsrecht II – Gliederung

Verstoß gegen Art. 5 I GG liegt vor, wenn im Einzelfall die Abwägung durch die Fachgerichte fehlerhaft verlaufen ist

Vorab zu prüfen: Verletzt die Meinung die Menschenwürde eines Dritten? Dann kein Einstieg in die Abwägung:Menschenwürde ist nicht abwägungsfähig, geht immer der Meinungsfreiheit vor (Bsp. zur Kunstfreiheit: Karikatur des mit Schweinen in Richterrobe kopulierenden F.J. Strauß, BVerfGE 75, 369, 380)

i.d.R. gilt das Gleiche bei Schmähkritik/ Formalbeleidigungen (eng zu verstehen), bei denen es um die Herabsetzung einer Person als solcher und nicht um Kritik an deren Verhalten geht (BVerfGE 93, 266, 293 f.)

I.Ü. Abwägung (einige Kriterien Folie 23)

Zu c) Normanwendungsebene

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Vorlesung Staatsrecht II – Art. 5 I, II GG

Werturteile Tatsachenbehauptungen

Persönliche subjektive Anschauungen => Freiheit eigener Bewertung

Bedrohlicher, falls unwahr; Distanz des Empfängers erschwert

Vorrang des allg. Persönlichkeitsrechts, wenn Menschenwürde berührt (Strauß) …

Vorrang des allg. PR hinsichtlich Informationen aus der Intimsphäre (auch falls wahr)

… oder wenn Formalbeleidigung oder Schmähung

… oder Informationen unter Vertrauensbruch erlangt (Wallraff) …

Gegenschlag oder Erstschlag? Teilnehmer am öffentlichen Meinungskampf?

Oder Erschwerung Resozialisierung (Lebach; Film über Mörder am Tag der Haftentlassung)

Differenzierung bei nicht bewusst unwahren Tatsachen ggf. für Unterlassung für Zukunft und Sanktionen für die Vergangenheit

Einige Kriterien der Rechtsprechung zur Abwägung Meinungsfreiheit - Ehrenschutz