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1 Prof. PD Dr. habil. Ass. Angelika Karger, Schwäbisch Gmünd 11. Juli 2017 Erörterungen zum Vortrag am 06. Mai 2017 „Bedeutungskonstituierung und Kontext, Exponieren in Ausstellungen und die Peircesche erweiterte Basistheorie zur Bestimmung u.a. der Semiotizität von Exponaten und der Ontizität von Zeichen“, der Arbeitstagung „Exponate. Zeichen. Prozesse“ 5.-6. Mai 2017 an der HfG Schwäbisch Gmünd, Skript IAF der HfG Schwäbisch Gmünd „Noli me tangere“ – Rühr mich nicht an (NT Johannes 20, 17) Zentrale Tagungsfrage: Wie untersuchen die unterschiedlichen Disziplinen den Zeichencharakter von Objekten im Rahmen von Ausstellungen? Diese Frage möchte ich aus der Sicht der wissenschaftlichen Semiotik der Stuttgarter Schule um Max Bense, Elisabeth Walther, Angelika Karger u.a. beantworten, welche die Basistheorie der Semiotik von Ch. S. Peirce (1839-1914) erweitert hat. In diesem Sinne sehe ich es als meine Aufgabe, diese semiotische Frage grundlagenwissenschaftlich zu hinterleuchten. Wir kommunizieren nicht nur in unterschiedlichen Kontexten, wir sind Kontexte, lebendige Gewebe, Texte, die mit umgebenden Texten, Kontexten auf verschiedene Weise in Verbindung stehen. Wenn wir ausstellen, kommunizieren, dann exponieren wir zwangsläufig etwas von uns. Letztlich bedeutet jede Kommunikation, nicht nur diejenige durch Ausstellungen, dass wir etwas Existentielles von uns preisgeben müssen. Wer einfach dadurch mit seiner Umwelt kommuniziert, dass er diese ver-stoff-wechselt (Stoff- und Energieaustausch), ist nicht in dem Maße gefährdet wie ein Lebewesen, das über diese Verbindung hinaus weitere Ziele verfolgt: Jagen in der Gruppe, sich gegenseitig entlasten, um verschiedene Ziele zu erreichen, von der viele profitieren etc. Die Geschichte der Evolution des Verhaltens, dient nach Varela und Maturana 1 dazu, in sozialen Verbänden arbeitsteilige Aufgaben durch Koordination von Koordinationen zu ermöglichen. Die allererste vorangehende Koordinationsaufgabe von Lebewesen betrifft neurophysiologisch die komplexe Koordination unserer autopoetisch sich selbstorganisierenden Sinne zur Orientierung in Raum und Zeit. Dies geschieht völlig unbewusst. Kooperative arbeitsteilig koordinierte „Swarm intelligence“ 2 und zeitweises eher konkurrierendes Einzelgängerverhalten (z.B. Eisbär) werden als Überlebensstrategien mal der Art (oder vieler), mal des Individuums gedeutet werden: Verbergen, Verstecken, Tarnen, Täuschen sind hierbei komplexe sich ergänzende bewährte Überlebensstrategien (man denke aber auch an Martin Heideggers „Ent-bergen“ in seinen technikphilosophischen Überlegungen zur Technik als Gestell). Wenn also Archive, wissenschaftliche Sammlungen, Dokumente, ausgestellt werden, sich einer breiten Öffentlichkeit „exponieren“, so wird damit mindestens ein höherer Zweck verfolgt: Breitenbildung und/oder Bewahrung. Wir wissen, dass dann die Exponate besonders geschützt werden müssen, da z.B. der unwiederbringliche wissenschaftliche Wert nicht von jedermann geteilt wird. Gerade deshalb ist es ja ein Anliegen, die Wertigkeit durch Öffentlichkeitsarbeit, Popularisierung, Aufklärung und durch Museumsarbeit bekannt zu machen. Archive, Museen, Schatzkammern, Kuriositätenkabinette haben größtenteils ihren Ursprung in den elitären Kreisen von Adelsdynastien, Klöstern und Privatgelehrten 1 Umberto Maturana , Francisco Varela, Der Baum der Erkenntnis, Fischer Verlag 1984 2 Angelika Karger, Wissensmanagement und swarm intelligence, in „Die Zukunft des Wissens“, XVIII. Deutscher Kongress für Philosophie, Hrg. J. Mittelstraß, Universität Konstanz 1999

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Prof. PD Dr. habil. Ass. Angelika Karger, Schwäbisch Gmünd 11. Juli 2017 Erörterungen zum Vortrag am 06. Mai 2017 „Bedeutungskonstituierung und Kontext, Exponieren in Ausstellungen und die Peircesche erweiterte Basistheorie zur Bestimmung u.a. der Semiotizität von Exponaten und der Ontizität von Zeichen“, der Arbeitstagung „Exponate. Zeichen. Prozesse“ 5.-6. Mai 2017 an der HfG Schwäbisch Gmünd, Skript IAF der HfG Schwäbisch Gmünd „Noli me tangere“ – Rühr mich nicht an (NT Johannes 20, 17) Zentrale Tagungsfrage: Wie untersuchen die unterschiedlichen Disziplinen den Zeichencharakter von Objekten im Rahmen von Ausstellungen? Diese Frage möchte ich aus der Sicht der wissenschaftlichen Semiotik der Stuttgarter Schule um Max Bense, Elisabeth Walther, Angelika Karger u.a. beantworten, welche die Basistheorie der Semiotik von Ch. S. Peirce (1839-1914) erweitert hat. In diesem Sinne sehe ich es als meine Aufgabe, diese semiotische Frage grundlagenwissenschaftlich zu hinterleuchten. Wir kommunizieren nicht nur in unterschiedlichen Kontexten, wir sind Kontexte, lebendige Gewebe, Texte, die mit umgebenden Texten, Kontexten auf verschiedene Weise in Verbindung stehen. Wenn wir ausstellen, kommunizieren, dann exponieren wir zwangsläufig etwas von uns. Letztlich bedeutet jede Kommunikation, nicht nur diejenige durch Ausstellungen, dass wir etwas Existentielles von uns preisgeben müssen. Wer einfach dadurch mit seiner Umwelt kommuniziert, dass er diese ver-stoff-wechselt (Stoff- und Energieaustausch), ist nicht in dem Maße gefährdet wie ein Lebewesen, das über diese Verbindung hinaus weitere Ziele verfolgt: Jagen in der Gruppe, sich gegenseitig entlasten, um verschiedene Ziele zu erreichen, von der viele profitieren etc. Die Geschichte der Evolution des Verhaltens, dient nach Varela und Maturana1 dazu, in sozialen Verbänden arbeitsteilige Aufgaben durch Koordination von Koordinationen zu ermöglichen. Die allererste vorangehende Koordinationsaufgabe von Lebewesen betrifft neurophysiologisch die komplexe Koordination unserer autopoetisch sich selbstorganisierenden Sinne zur Orientierung in Raum und Zeit. Dies geschieht völlig unbewusst. Kooperative arbeitsteilig koordinierte „Swarm intelligence“2 und zeitweises eher konkurrierendes Einzelgängerverhalten (z.B. Eisbär) werden als Überlebensstrategien mal der Art (oder vieler), mal des Individuums gedeutet werden: Verbergen, Verstecken, Tarnen, Täuschen sind hierbei komplexe sich ergänzende bewährte Überlebensstrategien (man denke aber auch an Martin Heideggers „Ent-bergen“ in seinen technikphilosophischen Überlegungen zur Technik als Gestell). Wenn also Archive, wissenschaftliche Sammlungen, Dokumente, ausgestellt werden, sich einer breiten Öffentlichkeit „exponieren“, so wird damit mindestens ein höherer Zweck verfolgt: Breitenbildung und/oder Bewahrung. Wir wissen, dass dann die Exponate besonders geschützt werden müssen, da z.B. der unwiederbringliche wissenschaftliche Wert nicht von jedermann geteilt wird. Gerade deshalb ist es ja ein Anliegen, die Wertigkeit durch Öffentlichkeitsarbeit, Popularisierung, Aufklärung und durch Museumsarbeit bekannt zu machen. Archive, Museen, Schatzkammern, Kuriositätenkabinette haben größtenteils ihren Ursprung in den elitären Kreisen von Adelsdynastien, Klöstern und Privatgelehrten                                                                                                                1  Umberto Maturana , Francisco Varela, Der Baum der Erkenntnis, Fischer Verlag 1984 2 Angelika Karger, Wissensmanagement und swarm intelligence, in „Die Zukunft des Wissens“, XVIII. Deutscher Kongress für Philosophie, Hrg. J. Mittelstraß, Universität Konstanz 1999

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bis zur Gründung von Universitäten als öffentlichen Einrichtungen, die nun ebenfalls über mehr oder weniger museal verwahrte Sammlungen, Archive etc. verfügen. Wer sich der Wertigkeit bewusst ist, musste immer wieder solche „Schätze“ vor Krieg und Vandalismus i.w.S. zu schützen suchen, in besonderen Fällen gibt man lieber der Öffentlichkeit lediglich Duplikate für Anschauungszwecke preis und schützt so die Originale für die wissenschaftlich empirischen Untersuchungen, denn nur diese sind Originalquellen von Zeichen ihres Alters, der Gebrauchs- und Herstellungsspuren usw. Aber auch von durch dickes Panzerglas geschützten Originalen geht für das Laienpublikum mitunter oder gerade erst dadurch eine „besondere“ Aura aus. Der Nimbus des Unwiederbringlichen, des Einzigartigen, lockt im positivem wie im negativen Sinne auf eine geradezu archaische Weise. Man denke an die Bedeutungsaufladung - im Sinne von Bedeutsamkeit und magischer Kausalvorstellungen - von Berührungsreliquien. Wir kommen nicht als tabula rasa auf die Welt. Wir sind Relationen bildende Wesen mit einer langen zu rekonstruierenden Stammesgeschichte und stehen immer schon mitten im Prozess zwischen ich/wir-Konstituierung und Welt: Ego und Non-Ego wie Peirce einmal diese Opposition benannte. Konstituierung des Anderen, des Fremden, Ab- und Ausgrenzung sind Prozesse mit fließenden Grenzen. Wir sind uns mitunter gar selber fremd, sobald wir uns unseres Selbst bewusst werden. Da wir auch Signale, aus dem sogenannten Inneren unseres Körpers empfangen und diese mitunter zu widersprüchlichen Deutungen Anlass geben, fragt sich mancher, ob er sein Körper ist oder ob er einen Körper hat. Habe ich ein Gehirn oder hat mein Gehirn mich? Haben wir unsere „Gene“ im Griff oder diese uns? 3 Das sich durch Gedächtnis in Merk- und Umwelt konstituierende und modifizierende Bewusstsein „ent-deckt“ und/oder „er-findet“ die Welt, indem es Signale aus der Außen- und auch seiner Innenwelt, fest-stellt durch Memorieren und versucht, durch selektive Verarbeitung adäquat zu handeln, d.h. die Welt zu deuten. Die Selektivitätsformen hängen von den jeweils herausgemendelten Formen der Sinnesorgane ab, d.h. lebendige Interpreten haben das Potential, eine Auswahl von Signalen in bedeutsame Zeichen zu verwandeln. „Bedeutsamkeit“ heißt, dass der Interpret den Signalen Wichtigkeit in Bezug auf unterschiedliche Wertsysteme verleiht und dadurch in Zeichen verwandelt: Eine Zelle, ein Organismus, ein Lebewesen „deutet“ die Signale, indem repetitive Muster gebildet werden und so gesetzmäßige Verhaltensweisen auf unterschiedlichen Ebenen bereitgestellt werden. Die neodarwinsche Evolutionstheorie vereint Darwins Prinzipien ohne Widersprüche mit den Einsichten der Molekulargenetik. Leider gibt es auch falsche Auslegungen bzw. Umdeutungen, z.B. der ideologisch missbräuchliche Sozialdarwinismus, welcher Darwins Prinzip des „survival of he fittest“ (= das zu einem jeweiligen Zeitpunkt optimal Angepasste) umdeutet in das Überleben des Stärksten. Ein Plädoyer für das Faustrecht und Übleres. Genauso kann aber auch körperlich Schwäche, Feigheit u.a., die in dieser Ideologie verachtet werden, dem Überleben in der „Nische“ dienen. Die einzige wissenschaftlich neutrale und der Ideologie unverdächtig kürzeste Zusammenfassung der Deskription dieses einen Prinzips der Evolutionstheorie (es gibt noch einige mehr: z.B. Prinzip der Großen Zahl, Prinzip der Koevolution, Prinzip der Kumulation etc.) muss notwendigerweise tautologisch formuliert werden: „ Was

                                                                                                               3  Hierzu zwei einschlägige Werke: 1. Karl Popper und John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, Piper Verlag1989 2. Richard Dawkins, The selfish Gene, Oxford 1976

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überlebt, überlebt.“4 Deswegen wurden schon früh in der Biologie alle in biologische Formen hineininterpretierten Zwecke, Funktionen verneint. Sauber wird unter-schieden zwischen einerseits teleonomen Formen, d.h. sie erscheinen uns funktional und zielgerichtet und sind dennoch nur ein Ergebnis nicht zielgerichteter, stochastisch deutbar blinder5 Ergebnisse, und andererseits ihrer falschen teleologischen Deutung. Die biologische Evolution kennt keine Ziele, sie ist eine Geschichte der Ergebnisse. Wir haben es hier wissenschaftlich mit einer besonders wirkungsvollen Form der Enthaltsamkeit gegenüber nicht notwendigen Begriffen und Modellen zur Erklärung von evolutiven Phänomen und Prozessen zu tun: Occams razor: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem“. hat sich bezüglich der Evolutionstheorie wieder einmal bewährt. Peircesche Basistheorie und das Wissenschaftsideal der Wahrheit Als Semiotikerin der Stuttgarter Schule um Max Bense und Elisabeth Walther u.a. haben wir die Basistheorie der Semiotik von Charles Sanders Peirce (1839-1914) erweitert und zu einer semiotischen Wissenschaftstheorie (Max Bense) weiterentwickelt, welche die wissenschaftlichen Metaebenen jeglicher Erkenntnistheorie durch einheitliche Terminologie zu vereinbaren weiß. Die steten Erweiterungen der Peirceschen Basistheorie6 ergeben sich nicht nur aus theoretischen Überlegungen, sondern auch durch Präparierung aus der wissenschaftlichen Praxis und aus technischer sowie alltäglicher Anwendung von verbalen und nonverbalen Zeichen auf jeglicher Sinnesebene. Manche neueren wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse werfen dabei traditionelle philosophische Fragen auf, die auch in the-long-run der Forschung der „community of scientists“ als grundsätzlich nicht entscheidbar erscheinen. Man denke z.B. in der Mathematischen Logik an den nach ihm benannten „Gödelschen Unvollständigkeitssatz“ (Kurt Gödel), der nachweist, dass 1. es auch in starken formalen (Zeichen-)Systemen, wie der Arithmetik, Aussagen geben muss, die man weder widerlegen noch beweisen kann (nach Peirce also letztlich rhematische Zeichenkonnexe bleiben, die weder w noch f, weder entscheidbar noch nicht entscheidbar sind) und dass 2. auch starke widerspruchsfreie (Zeichen)Systeme nicht ihre eigene Widerspruchsfreiheit beweisen können, was nach den Grundsätzen der Peirceschen Semiotik nicht überrascht, da der interpretierende Zeichenprozess (autoreproduktiv) als prinzipiell niemals abgeschlossen betrachtet werden kann 7. Damit ist dann auch der grundsätzlich hypothetische Charakter von Zeichen, Superzeichen wie wissenschaftlichen Theorien, die gut bestätigt sind, erwiesen. Dies entspricht in jüngerer Zeit dem Grundsatz des Erkenntnistheoretikers Karl Popper, der, um jeglichen Dogmatismus im Sinne eines Unfehlbarkeitsanspruches zu entgehen, bekanntlich ähnlich wie Peirce forderte, dass auch die bestbestätige und optimal überprüfte Theorie immer so formuliert werden muss, dass auch diese prinzipiell falsifiziert werden kann, ja dann auch werden muss, wenn sich ganz neue Perspektiven, Paradigmenwechseln, notwendige Modifikation von Theorieteilen oder gar Veränderungen des Weltseins eintreten sollten (Extremer Fall einer sich verändernden Welt: die bekannten Naturgesetze ändern sich abrupt. Eine Möglichkeit, die auch nach Peirce stets in Betracht gezogen werden muss. Wir                                                                                                                4 Empfehlung. Bernhard Irrgang, Lehrbuch Evolutionäre Erkenntnistheorie, UTB 2001  5  Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, dtv München 2008 6 Ch. S. Peirce, Collected Papers, Bd. I-VIII, The Belknap Press, Cambridge, Mass., 1978, 4th Printing, Rd. Charles Hartshore and Paul Weiss 7 Elisabeth Walther, Allgemeine Zeichenlehre, 2. erweiterte Auflage, Stuttgart 1979

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können nicht wissen, ob nicht das Gesetz der Naturgesetze selbst „frei“ ist.) Ganz abgesehen davon, sind die während der in jedem Fall zu kurzen Menschheitsgeschichte berechneten Naturkonstanten weder empirisch noch durch reines Gedankenexperiment auf ewige Dauerhaftigkeit überprüfbar (Vgl. Gerhard Vollmer, Physiker, der in seinen Werken wissenschaftstheoretische Annahmen zur Evolutionären Erkenntnistheorie kritisch prüft). Nach Peirce u.v.a.m. können wir uns dem Ideal der „Wahrheit“ in einem langen Prozess der ‚community of scientist’ zwar in the long run annähern, jedoch können wir diese nie erreichen. An dieser Stelle möchte ich darin erinnern, dass „Wahrheitswerte“ in der Logik immer nur bestimmten beurteilbaren, behauptungsfähigen Superzeichen, also Sätzen, Urteilen, zugesprochen oder abgesprochen werden. Den Bezugsrahmen, ob und wann die Werte zur Anwendung kommen, bilden die unterschiedlichen Wahrheitstheorien in Logik und Philosophie ( z.B. Redundanztheorie (Ramsey); Pragmatische Wahrheitstheorie (W. James, J. Dewey); Kohärenztheorie (Bradley, Rescher); Konsensustheorie (J. Habermas, Apel) usf.. Es kann nach Regeln über die Wahrheit von Sätzen geurteilt werden, nicht jedoch darüber, ob die Welt und bestimmte Realitäten als solche wahr seien. Wir fragen dann nach der Realität der Welt oder nach der Existenz bestimmter Realitäten und wir suchen in diesem Sinne nach dem Semiotizitätsgrad oder dem Ontizitätsgrad unserer Realitätszugänge. Max Bense hat deshalb auf der Grundlage der Peirceschen Semiotik in Analogie zu den Wahrheitskriterien der Logik den Begriff „Realitätskriterium“ in seinem Spätwerk eingeführt. Und genau um dieses Kriterium geht es, wenn die entsprechenden graduierbaren Zeichen- und dualen Realitätsthematiken nach Peirce in unserem Denken eine Rolle spielen. Die klassischen philosophischen Fragen in Theorie und Praxis der Semiotik, die Fragen nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis, von Geistes- zu Naturwissenschaften, von Bewusstsein zur Welt, von Idealismus zu Materialismus, die Frage nach der Wiederbelebung des mittelalterlichen Universalienstreites: Nominalismus versus Realismus8 usw. werden von allen Philosophen und so auch von Peirce in seiner Semiotik behandelt. Auch kennen wir z.B. die zeitgenössischen Varianten des Radikalen Konstruktivismus der 80ziger und 90ziger des letzten Jahrhunderts (auch in Form von erkenntnistheoretischem Sollipsismus in Abgrenzung zum ontologischem (esoterisch magischem) Sollipsismus sowie zur Evolutionären Erkenntnistheorie9. Nach Stefan Gabriel10 sind alle metaphysischen Positionen aus seiner Sicht Weltnegation, sofern diese versuchen, die Welt als Ganzes zu betrachten. M.E. ein (keineswegs billiger) rhetorischer Trick, um Publikum mit seiner These locken zu können: „Warum es die Welt nicht gibt“. Seit dem Deutschen Idealismus gilt die grundsätzliche Weltferne insofern als uns die Welt niemals unvermittelt, sondern nur vermittelt bzw. mittelbar zugänglich ist, was Immanuel Kant durch die Unterscheidung zwischen Phänomen

                                                                                                               8  Anmerkung: Ch. S. Peirce sagte, dass er in Bezug auf den mittelalterlichen Universalienstreit als Realist zu verorten sei, d.h. Zeichen sind für ihn nicht bloß Namen, Bezeichnungen, sondern Etwas von realer Wirksamkeit 9 Angelika Karger, Semiotik - Vermittlung zwischen Evolutionärer Erkenntnistheorie und Radikalen Konstruktivismus, Semiosis 61/62 1991 10 Stefan Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt, Berlin 2013

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(empirisch vermittelt zugänglich) und Ding-an-sich (unzugänglich) in seiner Kritik der reinen Vernunft von 1781 ausarbeitete. Beispiele für das Leiden an der Weltenferne gibt es zahlreich. Für Heinrich von Kleist soll die so ausgelöste „Kantkrise“ eine Mitursache seines Selbstmordes sein. Symptomatisch für die „Verschleierung des Blicks auf die Welt“, von der Jan Keupp11 spricht, scheinen die ständigen Erweiterungen und Neuerungen der semiotischen Welten durch neue Medien zu sein: soziale Netzwerke, Virtualität, augmented realities, immer bessere Simulationen der Wahrnehmungswelt, Verschmelzung von Biomaterie und chips, etc. Diese rufen in den akademischen Diskursen die typischen Schwerpunktwenden semiotischer Fragen auf den Plan: Linguistic turn Semantic turn iconic turn material turn. Mahnungen, aus den semiotisierten Welten herauszufinden, deute ich so: wir müssen wieder differenzierte Orientierung finden bei der Nutzung von Zeichensystemen, die eine immer höhere Semiotizität bei geringer Ontizität haben. Mir gefallen die Beispiele gut, die - ohne etwa einen naiven Realismus zu huldigen - vor der harten Korrektur durch die Welt warnen, wenn diese verleugnet wird: So schon Kant in der Kritik der reinen Vernunft, wenn er daran erinnert, das trotz der Kopernikanischen Wende in der Erkenntnistheorie, die er inaugurierte, wir z.B. den Mond dennoch nicht einfach am Gängelbande führen können. Neuere Beispiele mahnen, dass man das Wort „Wasser“ nicht trinken kann oder dass die Menschen in den Armutsvierteln vom Bild eines Burgers oder einer Schüssel Reis nicht satt werden. Gern wird heute sinngemäß die Indianerweisheit zitiert: Erst wenn der letzte Fisch gestorben ist etc., wird der weiße Mann merken, dass er Geld nicht essen kann. Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal erkannten nicht nur die Macht der Worte, sondern auch die Diskrepanz zwischen sich präsentierender Welt und der Welt der Worte: „Denn die Worte haben sich vor die Dinge gestellt. Das Hörensagen hat die Welt verschluckt.“11 Ich erinnere mich eindrucksvoll auch an den „Brief des Lord Chandos an Francis Bacon“ von Hugo von Hofmannsthal. Der Lord schreibt: „und die Worte zerfielen mir wie modrige Pilze im Mund.“ Nochmals eine zeitgenössische Warnung aus mündlichen Mitteilungen von Prof. Dr. Dr. Radermacher (Ulm) schon vor 25 Jahren: Erst wenn die Flüchtlinge in unseren Vorgärten übernachten, wird die Mehrheit der Menschen hier in Europa merken, dass die großen Flüchtlingswellen nicht nur Filmereignisse in den Medien sind, mit denen wir nichts zu haben. Ethik der Fachterminologien und kommunikationsethische Fragen in Bereichen der Anwendung im öffentlichen Leben Demgemäß ist es meines Erachtens für Museen und für neue Ausstellungskonzepte jeglicher Art immer Herausforderung, die Differenz zwischen internen hypothetischen Objektbezügen und hypothetischen externen Objektbezügen (wie auch die der Differenz zwischen internen Interpretantenbezügen und

                                                                                                               11 Zitiert von Jan Keupp, Die Gegenstandslosigkeit des Materiellen: Was den material turn zum Abtörner macht, published 26. June 2017  

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externen Interpreten) 12zu vermitteln und den daraus erwachsenden Konflikten und so ihrer verantwortungsvollen Aufgabe im Sinne der Aufklärung gerecht zu werden. Schon sehr gut gelungene Ansätze sind in der jüngsten Zeit entstanden. Ich denke z.B. an das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden. Auch die Anfang der 80ziger des 20. Jahrhunderts vom Historiker August Nitschke (Universität Stuttgart) inaugurierte historische Verhaltensforschung hat viele Ausstellungskonzepte inspiriert: Indem zurückliegende Zeiten durch Laien nachgestellt werden. Beispiele hierfür sind Studierende, die in Originalrüstungen römische Schlachten nachstellen, Kampftechniken üben und sich genauso wie römische Soldaten ernähren, oder Familien, die freiwillig fast unter Originalbe-dingungen für einige Zeit in prähistorischen Unterkünften leben – nur mit der rekonstruierten Kleidung, Werkzeugen etc. ausgestattet, um so den prähistorischen Anbau und die Jagd usw. nachzustellen. Derartige Angebote nennen sich z.B. „Leben wie die Wikinger“. Einige Konzepte dienen direkt der Forschung, andere sind eher Touristenattraktionen. Ich denke auch daran, wie bis in die 90ziger diskutiert wurde, ob Exponate, z.B. Kunstgemälde von blinden BesucherInnen – auch mit Führung – berührt werden dürften. Klar war, dass Beschädigungen von Originalen vermieden werden mussten. Diskutiert wurde aber, ob es nicht durch das Anfassen von Exponaten zu einer Art „sakralem, entweihendem Abrieb“ käme, wie ich es nur ironisch ausdrücken kann. Auch fürchteten z.B. Kirchenmitglieder der Gemeinde Weingarten, eine „Entweihung“ ihrer Basilika, wenn moderne Kunst in den „sakralen Raum“ eindringe, so erfahren bei einem Projekt der „Bildhauerklasse Brodwolf“ auf Einladung der Erzdiözese Rottenburg Stuttgart, in und an der Basilika Weingarten, sich mit dem Gebäude künstlerisch auseinanderzusetzen.13 Während sich die Einladenden weltoffen und tolerant gaben, gelang dies den Gemeindemitgliedern nicht. Als die Autorin ein paar kleine Ortschaften weiter ein kleine Kirche besichtigen wollte, fand dort im sakralen Innenraum gerade eine im Vergleich zu Weingarten höchst provokative Ausstellung junger KünstlerInnen statt. Hier hatte man jedoch ein älteres Gemeindemitglied lange vorbereitet, das mich nun höchst eifrig als „Führung“ in die Geheimnisse der modernen Kunst einweihte und mir z.B. erklärte, dass die verbogene Plastikgabel, Christus darstellend, keineswegs im Widerspruch mit dem Glauben stehen müsse. In jedem Fall sind VertreterInnen der Wisenschaft jeglicher Provenienz und gleich welcher Weltanschauung verpflichtet, sich von jeglichem „naiven Realismus“ entschieden abzugrenzen, und zwar auch dann, wenn sie selbst z.B. aus Gründen der didaktischen/ museumspädagogischer Anschaulichkeit, Theorien vereinfachen. Vereinfachte Darstellungen komplexer Verhältnisse in pädagogischen Zusammen-hängen oder in Ausstellungskonzepten, die eine breite Öffentlichkeit erreichen wollen, erfordern eine vorübergehende Erhöhung der geistig begrifflichen Anstren-gung auf einer Metaebene, die Komplexität nur soweit zulässig und verantwortungs-voll reduziert, wenn bereits gewonnene Einsichten in komplexe Verhältnisse aus ihrer nun reduzierten Darstellung vom möglichen Rezipienten noch generiert werden können. Diese selbstgestellte Aufgabe von Ausstellungsgestaltung in Museen ist nicht zu unterschätzen:

                                                                                                               12  Siehe  Anhang  Abb.1  13 Angelika Karger: „Wieviel Unsicherheit können wir ertragen?“ Katalogtext über das Bildhauersym-

posion der Klasse Jürgen Brodwolf in Weingarten vom 19. 6.-30. 9. 1988, Hrg. Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart 1988

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Die weitgehend anerkannte Beschreibung der Museumsfunktionen stammt vom International Council of Museums (ICOM). In der Fassung 1986 hieß es: „Das Museum ist eine nicht gewinnbringende, ständige Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist und materielle Belege des Menschen und seiner Umwelt zum Zwecke des Studiums, der Erziehung und der Freude erwirbt, erhält, erforscht, vermittelt und ausstellt.“ Fassung vom 4. November 1986, Artikel 3 und 4[9]. Museen wenden sich an ein möglichst breites, heterogenes Publikum wenden, das heißt sowohl an Fachleute als auch an Laien jeglichen Bildungsgrades. Wenn wir dazu bedenken, in wie vielen Fällen wir uns mit stark reduzierten „Erklärungen“ auf allen möglichen Gebieten, für die wir jeweils keine Fachmenschen sind, sogar sehr gern begnügen, einfach weil uns die Zeit fehlt, können wir leicht nachvollziehen, warum die Aufgaben der Popularisierung der wissenschaftlichen Aufgaben denen der Bewahrung, Erhaltung und Rekonstruktion oft entgegenstehen. Viele Menschen holen sich nur bei Bedarf (z.B. bei plötzlicher schwerer Erkrankung) benötigte Expertisen auf unvertrauten Gebieten (meist über das Internet), welche über die sogenannte „Allgemeinbildung“ hinausgehen. Im Zeitalter des wesentlich leichteren Zugangs zu Fachwissen jeglicher Art führt dies zu neuen Kommunikationsformen mit Übergangskonflikten, da hierdurch überkommene gesellschaftliche Regeln gebrochen werden, z.B. die überholte Spielregel, dass Laien ganz und gar den ExpertInnen, im genannten Beispiel ÄrztInnen (Götter/Göttinen in Weiß) oder auch ihren AnwältInnen, ihren Museums-pädagogInnen etc. blind vertrauen. Fachleute stehen deshalb vor neuen Herausforderungen und kommunikationsethi-schen Problemen, besonders dann, wenn ihre Klientel Halbwissen mit Dreistigkeit und Respektlosigkeit verbindet oder wenn sie selbst Dünkel hegen oder ihre geschützte Position als ExpertInnen in Gefahr sehen, wenn selbstbewusste BürgerInnen umfassend von ihrem Aufklärungsrecht Gebrauch machen möchten. Erläuterungen zur Darstellung des nach Karger modifizierten „semiotischen Dreiecks“ der Peirceschen Basistheorie der Semiotik Zunächst einmal: es gibt kein „semiotisches Dreieck“. Es wird zwar oft davon ge-sprochen, jedoch handelt es sich lediglich um eine mögliche Darstellung der Peirce-schen Definition des Zeichens als dreistellige Relation, die Peirce aus seinem relationslogischen Überlegungen abgeleitet hat. Statt des Dreiecks könnte auch ein lineares oder z.B. spiralförmiges und vor allem 3-dimensionales Modell dienen. Bezogen auf eine Theorie der Dinge, auch unter den Aspekten der Diskussionen um den „material turn“ und den umstrittenen Begriffsabgrenzungen „Dinghaftigkeit“, „Materialität“, „ Erkenntnisgegenstand“, „Erkenntnisobjekt“, ist dies eine wesentliche Feststellung: Nach Peirce findet man Zeichen eben nicht wie Kieselsteine auf der Erde, sondern sie sind RELATIONEN zwischen Korrelaten (selbst relationalen Charakters). Dabei ist ein Zeichen per Definition erst dann ein vollständiges Zeichen, wenn von SemiotikerInnen in einem konkreten Fall alle drei Korrelate des Zeichens identifiziert werden können. Nur in Peirces frühester Fassung waren die Korrelate, die viele Autoren leider so übernommen haben, folgende: Etwas = das Zeichen selbst, steht für etwas anderes = Objekt und für Jemanden = Interpret. Peirces Definition des theoretischen Zeichens basiert auf der von ihm relationenlogisch entwickelten eigenen Kategorienlehre, die für ihn zugleich erkenntnistheoretisch als auch ontologisch fundiert und begründet waren. Sie

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erinnern mich in vielfacher Hinsicht an Karls Poppers Drei-Welten-Theorie. Ohne an dieser Stelle in die Tiefe gehen zu wollen, habe ich oft den Eindruck, dass Karl Popper sehr stark von Peirce beeinflusst war. Peirce kannte das Bemühen in der Philosophie aller Zeiten, mit möglichst wenigen Oberbegriffen vollständig die Realität beschreibbar zu machen. Aristoteles spannte10 Kategorien auf, Immanuel Kant 12 Kategorien, und fast alle PhilosophInnen entwickelten ihr eigenes System mit einer mehr oder weniger großen Anzahl an Kategorien. Peirce wollte jedoch die tatsächlich kleinstmögliche, irreduzible (unverzichtbare) Anzahl von Kategorien zugrunde legen, aus der alle weiteren logisch ableitbar sind. Da wir immer schon in Beziehung zu etwas anderem (i.w.S. der Welt), immer im „Dazwischen“ stehen, auch wenn wir uns selbst reflektieren, sind wir wie das Zeichen selbst, das ein Vermittlungsschema und damit zugleich ein mögliches Kommunikationsschema darstellt: Wir sind „Medium“ im Medium, Wir sind oder haben unsere eigenen „Repräsentationsschemata“ - was übrigens heute in Bezug auf unser „Körperschema“ neurophysiologisch bestätigt ist und bei Störungen z.B. zu out-of-body-Erlebnissen oder zu Doppelgänger-Wahrnehmungen von sich selbst etc. führen kann. Peirce spricht mitunter davon, dass der Mensch selbst ein (Super)-Zeichen ist. Er erfährt sich einerseits als Quelle von Signalen aus seinem Inneren, für die er Zeichen bildet - im Sinne von (gesetzmäßigen) Mustern des Verhaltens - und andererseits solche Signale, die er als extern verortet und für die er ebenfalls Muster des Verhaltens bildet. Beide sucht er in Einklang zu bringen. Ego und Non-Ego und die Vermittlung als Drittes dazwischen. Da ein Drittes jedoch immer ein Zweites und ein Erstes voraussetzt, sind das vorausgesetzte Zweite und Erste immer aus der Drittheit heraus rekonstruierte Realitäten. Wir sind immer schon mitten im Prozess. Die „reinen“ Peirceschen Kategorien: Firstness = Erstheit ist das, was so ist, wie es ist, ohne Bezug zu etwas anderem (also reine Möglichkeit, von uns nur rekonstruiert denkbar) Secondness = Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, in Bezug zu etwas anderem Thirdness = Drittheit ist das, was so ist, wie es ist, indem es ein Erstes und ein Zweites in Bezug zueinander setzt. Dies sind also die Peirceschen irreduziblen (Occams razor*) 14 universalen Fundamentalkategorien: Diese dominieren nach ihm z.B. folgende klassischen Erkenntnisebenen, sind aber nicht mit ihnen identisch(sic !): Firstness Wahrnehmung Eigenschaft Möglichkeit Secondness Erfahrung/actio-reactio Gegenstand Wirklichkeit Thirdness Denken, Zeichen Relation Notwendigkeit Wahrnehmung ist zum Beispiel selbstverständlich auch durch die grundsätzlich dritt-heitlichen Zeichen vermittelt: durch Wahrnehmungszeichen. Jedoch werden die Wahrnehmungszeichen dominiert von den erstheitlichen Qualitäten, die dem                                                                                                                14  Occams razor: "Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem"

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modalen Bereich der Möglichkeit angehören (dem Reich der ästhetischen Phäno-mene). Erstheit stellt die vorrangige Kategorie für das Korrelat des Mittelbezuges des Zeichens dar. Zeichen von und für Erfahrung, Messungen usw. werden von Zweitheit dominiert. Zweitheit stellt die vorrangige Kategorie für das Korrelat des Objektbezuges des Zeichens dar. Denkzeichen haben dagegen mehr mit Gesetzmäßigkeiten, z.B. Gewohnheiten, oder strengen Konventionen (gesetzten Spielregeln wie in der Mathematik und Logik) etc. zu tun. Diese schließen jedoch zweitheitliche (kausale) Erfahrungs- und erstheitliche Wahrnehmungselemente zunächst mit ein, sie sind inkludiert. Erkenntnissicherheit und Denksicherheit werden durch die Dominanz drittheitlicher Zeichen quasi „erkauft“ zum Preis der Weltferne, der Ferne vom Phänomenalem und Empirischem. Drittheit stellt die vorrangige Kategorie für das Korrelat des Interpretantenbezuges dar. 15 Peirce unterschied manchmal grob: Instinktsicherheit (erstheitliche Stufe) Erfahrungssicherheit (zweitheitliche Stufe) Denksicherheit (drittheitliche Stufe) Zunächst aber folgt die je trichotomische Unterteilung der Korrelate des Zeichens in Subzeichen, die keine selbstständigen Zeichen sind. Sie werden jedoch aus denselben Peirceschen kategorialen Begriffen abgeleitet.16 Das theoretische Zeichen ist also stets eine 3-stellige, triadische Relation, welche zugleich ein kategoriales irreduzibles, universales Repräsentationsschema, Kommunikationsschema und Vermittlungsschemata bildet. Die Korrelate, welch die Zeichen bilden, sind

1. der erstheitlich dominierte Mittelbezug 2. der zweitheitlich dominierte interne Objektbezug 3. der drittheitlich dominierte interne Interpretantenbezug

ZR3 = ((M ->0) ->I)) = Repräsentamen. Die Korrelate können nur einander zugeordnet werden; sie sind nicht auseinander selektiert. Es folgt nun die je trichotomische Unterteilung der Korrelate des theoretischen Zeichens, sodass realisierte und identifizierte Zeichen sinnvoll in Zeichenklassen unterteilt werden können. Das erste Korrelat des Zeichens Ist also nach Peirce erstheitlich dominiert, er nennt es auch „means“. In Stuttgart haben wir es den erstheitlichen Mittelbezug des Zeichens genannt, um zu verdeutlichen, dass jedes Korrelat eine Relation ist.

                                                                                                               15  Vgl. Anhang Abb.1 und Abb. 2 16 Vgl. Abb. 2

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Der Mittelbezug des Z, der materielle, energetische Zeichenträger, hat physikalische Eigenrealität; M = z.B. Verkehrsschild, ist aus Blech, aber kein „Zeichending“: M muss aus der energetisch, materiellen Welt selektierbar sein, und für den möglichen Kommunikator (als Expedient und/oder als Rezipient) wahrnehmbar sein. Die Trichotomien der Subzeichen, die keine selbstständigen Zeichen sind (denn diese müssen ja die Bedingung der Triade erfüllen), leitet Peirce mathematisch ab, indem er die Erstheit der Erstheit, die Zweitheit der Erstheit und die Drittheit der Erstheit bildet u sw. Dadurch ergibt sich die Trichotomie der Subzeichen des M-Bezuges wie folgt: Erstheit der Erstheit 1.1 Qualizeichen = mögliche Mittel Zweitheit der Ersheit 1.2 Sinzeichen = singulär hier und jetzt (hic et nunc)

realisierte M (Signalcharakter) Drittheit der Erstheit 1.3 Legizeichen = gesetzmäßig verwendete M (z.B.

Gesetz der Konvention: Codierung oder Gesetz der Gewohnheit (Konditionierung) verwendete M) Gesetze setzen Iterierbarkeit voraus.

Die höchste Semiotizität (Zeichenhaftigkeit = empirische Weltferne) im Mittel des Zeichens haben die Legizeichen 1.3 . Qualizeichen 1.1 haben die höchste Weltnähe (Ontiztät). Die (zuordnende) Beziehung zwischen dem Mittelbezug des Zeichens und dem internen Objektbezug Oi charakterisiert die Bezeichnungsfunktion. Das zweite Korrelat des Zeichen Mit der Bezeichnungsfunktion ist noch nicht die Bedeutungsfunktion gegeben! Wenn etwas als Zeichen bestimmt werden kann, dann hat dieses stets einen hypothetischen internen Objektbezug. Dieser charakterisiert das „Wie“ der Bezeichnung. Diese kann iconisch 2.1 (Erstheit der Zweitheit) , indexikalisch 2.2 (Zweitheit der Zweitheit) oder symbolisch 2.3 (Drittheit der Zweitheit) sein. Die höchste Semiotizität (Zeichenhaftigkeit = empirische Weltferne) hat in der Trichotomie des Objektbezuges die symbolische (2.3) Bezeichnungsrelation. Oft wird diese Trichotomie mit Icon17, Index, Symbol abgekürzt, und suggeriert uns so, dass wir von dem Icon etc. sprechen könnten. In der Peirceschen Fachsprache muss man aber exakterweise von Zeichen sprechen, die im Objektbezug Oi iconisch, indexkalisch oder symbolisch fungieren. Es ist damit auch noch nicht entschieden, welche Arten von Objekten, also was iconisch, indexikalisch oder symbolisch thematisiert werden kann. Jedenfalls sind dies die einzigen uns bekannten Arten, ein Etwas zu bezeichnen. Ferner ist damit noch nicht thematisiert, ob der internen Objektbezug Oi eines Zeichens mit einem externen Objekt Oex (als Gegenstand, Ereignis etc.) überhaupt korrespondiert. Dies betrifft eine unserer Haupttätigkeiten semiotischer Art: Wir versuchen, durch Unterscheidung von hypothetischen Vorstellungen von Etwas herauszubekommen, ob es einem Realgehalt in der externen Außenwelt, oder einem externen Objekt, Ereignis etc. entspricht: z.B. Bin ich schon wach in der externen Welt oder noch in der internen, womöglich lebhaften Innenwelt eines Traumes ( luzi-

                                                                                                               17  Allein das Iconisieren ist hochkomplex, Vgl. z.B. Mechthild Keiner, Untersuchungen zur Entwicklung des „icon“-Begriffes bei Ch. S. Peirce, Diss. Stuttgart 1978

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de Zustände). Beispiel Mordfall: Zeichen (Indices mit Kausalbeziehungen für einen Mord) sind vorhanden, jedoch die Leiche fehlt (Mord so noch nicht nachweisbar). Beispiel: Interne Vorstellung/Überzeugung von der Echtheit eines musealen Exponates wird getäuscht durch eine „echte Fälschung“! Die Trichotomie der Subzeichen des internen O-bezuges nochmals in der Übersicht: Erstheit der Zweitheit = 2.1 Icon (und Co-iconischer Bezug) Zweitheit der Zweitheit = 2.2 Index (genuin) Drittgheit der Zweitheit = 2.3 Symbol Man überdenke zum Symbolgebrauch das besondere symbolische Sprachprimat in vielen Teilen unserer Kultur.18 Man denke z.B. auch an Albert Einstein, der formuliert hatte, dass die Sätze der Mathematik (und ich würde die der Logik hinzufügen) insofern sie sich auf die (empirische) Wirklichkeit beziehen, nicht sicher seien, und insofern sie sicher seien, bezögen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. Er konstatierte einen „unüberbrückbaren“ Hiatus zwischen der Welt der rationalen Denksicherheit und der empirisch unsicheren Welt. Die Mathematik, die ja auch nach Hegel der freien Erfindungskunst gleicht, scheint ihre Sicherheit dadurch zu erkaufen, dass sie weltfern sich mit selbstgesetzten Zeichen und frei erfundenen Regeln beschäftigt (Siehe der Mathematiker David Hilbert: Am Anfang ist das Zeichen). Dies bedeutet semiotisch, dass die Mathematik mit drittheitlich dominierten Zeichen operiert, welche auf der Bezeichnungsebene nur reine Symbole und auf der Korrelatsebene des Mittelbezuges des Zeichens nur Legizeichen sein können. Einstein ging von einem echten Hiatus aus und beschrieb es als geradezu ein Wunder, dass just die Mathematik der Schlüssel zu allen (empirischen) Naturwissenschaften ist, oft mit großer Zeitverzögerung, was wissenschaftshistorisch sich tatsächlich belegen lässt (siehe z.B. die Geschichte der fraktalen Geometrie und der deterministic chaos theory oder auch die Schaltelektronik, die empirische Modellerfüllungen der Jahrtausende zuvor rein theoretischen Aussagenlogik liefert). Auch Galilei war bekannt dafür, dass er mehr seiner Ratio als der empirischen Wirklichkeit vertraute. So ließ er bekanntlich seinen Schüler Torrichelli an seinen Bischof schreiben, dass die Berechnungen seines Meisters immer stimmten und wenn Kanonenkugel eine andere Bahn beschrieben als die, welche Galilei errechnet hatte, so seien die Kugeln schuld, nicht sein Meister. Galilei war auch bekannt dafür, dass seiner Ansicht nach, die Sprache der Natur in den Buchstaben der Mathematik geschrieben sei. Ein weiteres Beispiel der semiotischen Differenz zwischen Welt und ihrer Erkenntnis gibt der Physiker Werner Heisenberg, der stets festhielt, dass jedes Bild, das wir uns vom Atom machen, a priori falsch sei. Die falschen Bilder und Modelle des Atoms, dienen uns dennoch dazu, einen versuchsweise „richtigen“ Gebrauch in bester Annäherung an die materielle Welt und ihren (strukturellen) Aufbau zu machen. Ferner bezeugt die lebenslange Beschäftigung des Gründungsrektors der HfG Ulm Max Bill mit der Kategorie der platonischen Präzision in seiner Malerei und Bildhauerei die Differenz zwischen Welt und Erkenntnis, weil eine solche Präzision in der empirischen, materiellen Welt nie erreicht werden kann. Selbst obsessives Polieren von Bronzeoberflächen platonischer Körper kann in der „Wirklichkeit“ nur eine Annäherung an mathematisch präzise Gebilde erreichen. Eine durch Max Bense überkommene Anekdote besagt, dass Bill in einer seiner Ausstellungen von „exakten Quadraten“ einmal von einem Besucher provoziert wurde, Bill möge ihm                                                                                                                18 Angelika Karger, Sprachprimat und Zeichenvielfalt, in: Kontinuum der Zeichen, Springer Verlag 2002

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doch sein das „exakteste“ Quadrat seiner Ausstellung zeigen. Bill hätte daraufhin gesagt: „Gerne“ und notierte auf ein Blatt Papier das Symbol a2. Was alles mittels Zeichen bezeichnet werden kann, ist damit noch nicht zwingend erschlossen. Wir bezeichnen z.B. re-konstruierte Gegenstände der Wahrnehmung, Erfahrungen, Vergangenes, Zukünftiges, Gefühle, das Denken selbst, Wünsche, Befehle, Analysen, Prozesse, Poetisches, Faktisches, Postfaktisches, Lügen, Fiktionen, Simuliertes, Idealtypisches, Wertungen, Raum, Zeit, andere Zeichen, Metazeichen, Meta-Metazeichen etc., Fragen, Fragen nach der Beziehung von Vorstellungen zu möglichen externen Objekten, Fragen nach der Beziehung unserer Vorstellungen zu korrespondierenden externen Objekten, Zweifel über die „Realität“ dieser Beziehung, z.B. bei Hypothesen/Wahrnehmung von Sinnestäuschungen, Halluzinationen uvam. Ob zwischen den hypothetischen (oder thetisch behaupteten) internen Objekten Oi und externen Objekten Oex ( empirische Außenwelt) eine Beziehung besteht oder nicht, bzw. ob überhaupt ein externes Objekt gegeben ist, kann nur durch explizierende Semiosen in intersubjektiven Überprüfungen mit strengen Auflagen und Regeln geklärt werden. Das dritte Korrelat des Zeichens Die Bedeutungsfunktion kommt also erst durch den internen Interpretantenbezug, das Interpretierende, das Explizierende, das Erklärende, den Zuwachs an Zeichen in mehr oder weniger strukturierter Form zustande: Die Subzeichen des internen Interpretantenbezugs bilden Superzeichen, (nicht nur sprachliche) Texte, Kontexte, die selbst wieder als solche Texte, Superzeichen als Ganzes oder Teile davon zunächst mal wieder hypothetisch auf der Metaebene zum Zeichen erklärt werden. Das „Interpretierende“ = der interne Interpretantenbezug kann also wie das 1. Korrelat und das 2. Korrelat des triadischen Zeichen drei trichotomische Stufen bilden. Die Trichotomie des internen Interpretantenbezuges 19(die trichotomischen Subzeichen), welche Zeichenkonnexe, Superzeichen, Gewebe sind: quasilogisch nach Peirce: 3.1 weder w noch f Rhema (Erstheit der Drittheit) 3.2 entweder w oder f Dicent (Zweitheit der Drittheit) 3.3 notwendig w Argument (Drittheit der Drittheit) kontexttheoretisch nach Bense: 3.1 offen abduktiv 3.2 geschlossen induktiv 3.3 abgeschlossen (Gödelsatz)! deduktiv

                                                                                                               19  siehe Anhang Abb. 2

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Handlungstheoretisch nach Karger 3.1 Rhema weder beurteilbar noch nicht beurteilbar

weder zu Handlungen auffordernd noch nicht auffordernd 3.2 Dicent entweder entscheidbar oder nicht entscheidbar

entweder auffordernd oder nicht auffordern 3.3 Argument zwingende/notwendige/gesetzmäßige Handlung z.B. abgeschlossenes striktes Ritual/ festgelegte Choreographie Die internen Interpretantenbezüge haben eine gemeinsame Schnittmenge mit den externen Interpreten (den Zeichennutzern, den Kommunikatoren, Menschen, Maschinen, Lebewesen etc.)oder sie sind im Spezialfall ganz mit einem externen Interpreten identisch, z.B. wenn der Interpret nicht einen Teil seines „Gedächtnisses“ auslagern kann, z.B. in einem Buch, in geschaffenen Denk-mälern, in Bewahrungs-stätten: Archive, Museen etc.). Die internen Interpretantenbezüge hängen mit dem Prinzip zusammen, dass kein Zeichen alleine stehen kann. Da der interne Interpretantenbezug aus (oft autoreproduktiven) Zeichen besteht, bilden diese „Kontexte“, d.h. zusammenwachsende Texturen, die selber wieder Mittelbezüge haben müssen, die selber wachsen können und als Zeichenträger eine geeignete materielle, energe-tische Form von Texten, Texturen, also auch organischen Texturen bilden können. Für den externen Interpret (z.B. Mensch) ist die externe Welt Signalquelle, aber auch er selbst empfängt Signale aus dem Inneren seines Körpers. Beide Signalarten werden verwandelt in Superzeichen von.../Zeichen für... und bilden so die Teilorgane der biologischen (oder auch nicht-biologischen) externen Interpreten: Beispielsweise organische Texturen, organische Gewebe, genetische Trägermuster, elizitierbare Aktionsmuster, „exportierbare“, „ge-äußerte“, „ent-äußerte“ Texte, Kontexte (verbale und nonverbale Sprachen, Werkzeuge und alle Ausdruckmittel etc.), machen die jeweilige Bedeutung als konfigurierte Muster in ihren Trägern aus. Schon Karl Popper wies darauf hin, dass alle unsere Organe Organhypothesen sind, die sich als lebendige Zeichentexturen in der Welt „bewähren“ müssen, d.h. durch Passung in die Welt für eine Zeit existieren. Ferner entstehen manchmal semiotische Hypothesenorgane: nämlich Gehirne, die neben Gedächtnisspeicher zur Unterstützung flexibler Lernleistungen, auch ausgesprochen experimentelle Eigenrealitäten ohne Passung an eine aktuelle Außenrealität hervorbringen können. Peirce verdeutlicht das, indem er uns daran erinnert, dass wir das „Irreale“, nicht zur Außenwelt gehörige Zeichen, die aus dem Gehirn, der bloßen Vorstellung, kommen, oft daran zu erkennen sind, dass diese sich in großer Geschwindigkeit modifizieren lassen20. Die uns umgebende Welt oder unseren Körper können wir nicht in der gleichen hohen Geschwindigkeit manipulieren. Wir können uns z.B. einen Ball vorstellen, der ständig die Farbe und die Größe wechselt, kaputt geht und wieder heil ist, wir können ihn so gar auf links drehen ohne ihn zu zerstören. Einen Ball, welcher der empirischen materiellen (externen) Welt angehört, können wir nicht so leicht verändern.

                                                                                                               20  Angelika Karger, Untersuchungen zur Bewusstseinskonzeption bei Ch.S. Peirce, Diss., Stuttgart 1981  

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Die Kontexte, Texturen, Gewebe bilden implizite „Wissenskontexte“. Sie sind im Prinzip fragil und können durch biologische/technische Semiosen stabilisiert werden. Sie bilden so z.B.: GENE - MEME Genetisch verankertes - kulturell überformtes und erworbenes, Implizites Wissen: ange- erlerntes Gewohnheitswissen/Gewohnheiten borenes Verhalten i.w.S. implizit - explizierbar Mit der Kontextualisierung und Übersetzung von Innen- und Außenwelt in die hypothetischen Zeichen erfolgen zugleich hypothetische bewusste oder unbewusste (Zeichen)-Bewertungen = Bedeutsamkeiten. Ich möchte an dieser Stelle Paul Watzlawick abwandeln, der bekannt ist für sein kommunikationstheoretisches Axiom „Wir können nicht nicht kommunizieren“. Ich möchte sagen: „Wir können nicht nicht werten.“ Auch wenn wir gleichgültig, unter Schock gelähmt sind, so ist dies eine „Bewertung“ der Situation, die angemessen oder unangemessen, ja sogar richtig oder falsch sein kann. Aber gerade darin liegt ja dann die implizite Wertung, Bewertung. Wir haben zwar keinen unmittelbaren Weltzugang, aber wenn auch alle Zugänge „Zeichen vermittelt“ sind, so bedeutet das in der Konsequenz keinen pansemiotischen Ansatz. Jeder Zugang ist zwar „vermittelt“, jedoch mit mehr oder weniger re- konstruierbarer empirischer Weltnähe bzw. Weltferne (hohe Semiotizität), die neue Orientierung zur Bewertung der Stellung in der Welt erlaubt. Interne explizierte und exponierte Interpretationssysteme = Zeichen-Superisationen gehören folgenden Bezugssystemen an (meist mehreren gleichzeitig):

a. Re-konstruierenden Deskriptionssystemen (messbar) b. Zeichenwertungssystemen (graduierbar) c. Präskriptionssystemen (deontische Logik) d. zielgerichteten Anwendungssystemen (Technik, Design: thetisch

setzend/ generierend und konstruierend) e. reflektierenden Metakommunikationssysteme (Grammatik, Semiotik,

Soziologie etc.) Zeichenwirkungen sind dabei entweder absichtslos oder intentional. Sie zielen stark vereinfacht auf den emotionalen Interpretanten: z.B. durch Ereignis wird Freude, Schock elizitiert energetischen Interpretanten: verändert Verhalten, gewecktes Interesse logischen Interpretanten: verändert Denken, Denkgewohnheiten Da die Zeichenwirkungen sowohl Interpreten verändern als auch durch die Interpreten das Eingreifen in die Welt bereitet wird, sind die Hypothesen über die manipulativen Wirkungen durch die angewandten Wissenschaften sehr gut erforscht:

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Rhetorik, Design und Produktsprache, Pädagogik, Demagogie und Gehirnwäsche, Werbepsychologie, Illusionskunst, medizinischer Placebo-Effekt etc. Nichtwissenschaftliche IllusionskünstlerInnen werden sogar oft in der Grundlagenforschung als PrüferInnen bei Tests beteiligt, um wissenschaftlichen Betrug oder Täuschungen durch Manipulatoren auszuschließen. Im Tarnen und Täuschen hat es der Mensch zur Perfektion gebracht. Es gibt KI-Forscher, die überzeugt sind, dass erst durch die Perfektion des Täuschens sich hohe menschliche Intelligenz entwickelt hat.21 Den verschiedenen Arten der Zeichenwirkung hat Peirce immer wieder anschauliche Kapitel gewidmet. Dabei taucht eine Vielzahl von neuen Fachtermini auf, die ich aus E. Walthers Allgemeiner Zeichenlehre, Stuttgart 19792, als Kompendium22 zusammengestellt habe. Peirce hat aus den 9 trichotomischen Subzeichen der Zeichentriade in einer mathematischen Halbhierarchie 10 Zeichenklassen abgeleitet. Theoretisch wären es 27 Zeichenklassen, von denen einige redundant sind, sowohl aus Plausibilitätsgründen als auch begründungstheoretisch. Max Bense hat aus den Zeichenthematiken (Zeichenklassen) dual zugeordnete Realitätsthematiken abgeleitet. Dualitätsverhältnisse sind zum Beispiel der Welle-Teilchen-Dualismus aus der Physik oder aus der Mathematik die sich dual sich verhaltenden Definitionen von Punkt und Gerade (J. D. Gergonne). Bense entwickelte deshalb aus Peirces Kategorien einen kompositionellen Realitätsbegriff, der das klassische Ringen um die eine Realität überwinden soll. Über den drei Grundrealitäten: die Welt als Mittel, die Welt als hypothetische Objekte und die Welt das kontextuelle Interpretanten werden dual zu den zehn Peirceschen Zeichenklassen mindestens 10 Realitäten begrifflich zugänglich macht. Dies ist für die aktuelle Diskussion um den „material turn“ und die Theorie der Dinge (Ontologie) m.E. von Bedeutung. Die Autorin Karger hat durch Einführung des Repräsentationswertes23 eine unmittelbare Vergleichbarkeit der Realitätszugänge durch semiotische Analysen ermöglicht. So kann über die hypothetische Analyse der Zeichenklassen, ohne weiteres der Grad der Semiotizität = Zeichenhaftigkeit der Zeichen und der Grad der Ontizität der Zeichen im Sinne der empirischen Weltnähe ermittelt werden. Peirce verzichtet bei der kohärenten Ableitung seiner 10 Zeichenklassen auf die Beziehung zu speziellen Interpreten oder zu internen und externen Objekten. Es war wohl für ihn relevanter, die Zeichenkorrelate im Sinne seiner irreduziblen Universalkategorien und deren Ableitungen selbst als 1-stellige- , 2-stellige und 3-stellige Relationen auszuzeichnen, die wie „chemische Verbindungen“ ihr Eigengesetzlichkeit haben. Peirce betonte, dass auch Gedanken Zeichen seien. Sie können aber nur von uns als solche behandelt werden, wenn diese geäußert werden. Insofern erscheint es der Autorin sinnvoll, zur Darstellung überzugehen, nach der der externe Interpret auch eine „andere drittheitliche Entität“ sein kann, eine Lernmaschine, also ein Computer oder z.B. ein Material mit „Gedächtnis“, das immer wieder in seine Ursprungsform zurückkehrt, identifizierbare Meme, Gene etc. In jedem Fall ist der interne Interpretantenbezug des Zeichens, sofern im externen Interpreten aktiviert, mit diesem teilweise überlappend in der Verortung.

                                                                                                               21 Angelika Karger, Zeichenwirkung als philosophische Aufgabe, Semiosis 85-90, Baden-Baden 1997 und Angelika Karger, Ein „Trick“ als wissenschaftlich sinnvolles Verfahren? Zu Ulf Harendarski, Murder and Abduction, Zeitschrift fü Anomalistik, Sandhausen 2001 22 Siehe Anhang: Kompendium aus E. Walthers Allgemeiner Zeichenlehre, 19792

23 Angelika Karger, Über Repräsentationswerte, Semiosis 17/18, Baden-Baden 1980  

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Der interne Interpretantenbezug ist nicht anderes als die lebendige Verbindung, die Zeichen (wie chemische Verbindungen) miteinander (auf Zeit) eingehen, dem SEMIOTISCHEN PRINZIP UND GRUNDSATZ FOLGEND, DASS KEIN ZEICHEN ALLEINE STEHEN KANN und dass kein erstes Zeichen ausgemacht werden kann (so wenig wie eine erste Ursache). Entscheidend für die Beurteilung des internen Interpretantenbezuges des Zeichens sind also, wie gezeigt wurde, nicht nur seine im Prinzip unendlich quantitativen Erweiterungen, die in direkten Zusammenhang mit dem Münchhausentrilemma gestellt werden können: 1. Infiniter Regress sonst dogmatisch 2. Zirkelschluss vermeidbar 3. Abbruch des Verfahrens vorläufig, pragmatische Begründung24 Dies heißt jedoch auch, dass wir immer auf einer Metaebene der Betrachtung operieren, freiwillig oder unfreiwillig. Zeichen selbst haben für den Interpreten/BenutzerIn/Kommunikator einen hypothetischen „Bewährungscharakter“. In diesen Fällen legt der Interpret (von Karger als der externe Interpret 1 bezeichnet) selbst bewusst oder unbewusst fest, wann das Ziel seiner Zeichennutzung erreicht ist. Es können aber mehrere Akteure (externe Interpreten 2-n) beteiligt sein, die selbst quasi theoretisch wie der Semiotiker, die vom externen Interpreten1 wahrnehmbaren verwendeten Zeichen „zum Zeichen erklären“, also Hypothesen über dessen Hypothesen anstellen. In der Praxis sieht dies meist so aus, dass gar nicht erst Hypothesen über Hypothesen angestellt werden, sondern unter Entscheidungsdruck oder es aus Gewohnheit gleich zu behaupteten Deutungen und Entscheidungen (Vor-urteilen) kommt. Wenn es möglich ist, und z.B. zwei Interpreten in Austausch von Zeichen kommen, finden eventuell Korrekturen, Annäherungen oder Distanzierungen statt. (Besonders spannend heute, wenn Siri und Luna, 2 künstliche Intelligenzen, sich unterhalten, sich nähern und distanzieren.) Liegen jedoch nur noch „Äußerungen“, d.h. ent-äußerte Zeichen vor, z.B. weil ein Interpret gestorben ist, und es im geschichtlichem oder archäologischem Sinn nur noch „Dokumente“, „Spuren“ und andere „Hinterlassenschaften“ gibt, so scheinen die „re“-konstruierten Bedeutungen einseitig zu werden. Man könnte auf die Idee kommen, dass es da nichts zu rekonstruieren gäbe, weil wir uns eh nicht in vergangene Zeiten versetzen könnten und es für die Toten der Vergangenheit nicht mehr wichtig sei (?!). Aber auch hier muss man verschiedene Re-konstruktionstypen von Zeichen unterscheiden. Es gibt Typen, die ein Mehrwissen über den Toten hervorbringen, das ihm zu seiner Zeit noch nicht möglich war, weil sie z.B. aufgrund von DNS-Analysen etwas über seine verwandtschaftlichen Beziehungen aussagen oder die Wanderungen seiner Vorfahren oder seine Krankheiten rekonstruieren, oder posthume Vaterschaftsfragen klären. Bei diesem semiotischen Rekonstruktionstypus handelt es sich um speziell vorrangig zweitheitlich dominierte Zeichen, die ausgewählt werden, um methodisch z.B. Fälschungen von Originalen zu trennen oder z.B. gar absichtlich zerstörte Dokumente empirisch zu rekonstruieren, um Geschichtsklitterungen zu vereiteln. Ein eindringliches Beispiel liefert das Projekt, Reste zerstörter Stasiakten durch das Berliner Fraunhofer Institut zu rekonstruieren, auch mittels neuer Software. Es konnten bereits 1,5 Millionen Seiten rekonstruiert werden, für die normalerweise manuell RestauratorInnen 500 Jahre gebraucht hätten.                                                                                                                24  (Pyrrhon von Elis) Begründbarkeit von Wissen und wissenschaftlichen Aussagen bzw. mit der Unmöglichkeit von Letztbegründungen (Hans Albert)  

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Eine gründliche semiotische Analyse der hier angewandten Verfahren im Vergleich zu den herkömmlichen Verfahrenkönnte zeigen, dass die neuen Medien und die neuen semiotischen „Denkwerkzeuge“ in Form neuer Software nicht nur weitere semiotische „Verstellungen der Welt“ durch Vermehrung semiotischer Welten bringt, sondern auch Chancen liefert, Realitäten mit empirischem Bezug zu materiellen Trägern vergangener Ereignisse besser und schneller rekonstruieren zu können. Es kommen heute hauptsächlich naturwissenschaftliche Methoden der Re-konstruktion zusammen mit auf sie abgestimmter Software zum Einsatz. In der Informatik wird vielfach von „Ontologien“ gesprochen, stets in Abgrenzung zur Ontologie in der Philosophie. Wenn wir jedoch aus der Informatik etliche „Ontologien“ übersetzen würden in die semiotische Frage des Grades der Ontizität von Zeichen so würde auch der philosophische Bezug schnell wieder sichtbar werden. Wie in der Peirceschen Semiotik wird auch in der Informatik von Relationen über Relationen gesprochen (RDF, Reifikation) und auch von autopoetischen Semiosen. „Ontology learning“ ist das Stichwort. Gerade unser letztes Beispiel der Rekonstruktion der mit Absicht zerrissenen Stasiakten zeigt, dass die neuen semiotisierten Welten, die neuen Vermittlungsschemata der neuen Medien, nicht immer zwangsläufig zu einer weiteren Verstellung des Blicks auf die externe Welt führen müssen, sondern durch Einsatz verfeinerter semiotischer Mittel und Techniken, zu punktgenaueren Darstellungen oder Rekonstruktionen der vermittelten externen Außenwelt führen. Weitere Beispiele wären punktgenaue bildgebende Verfahren in der Medizintechnik, welche sich durch präzisen Eingriff in den menschlichen Körper bewähren oder punktgenaue Landungen auf dem Mars etc. Für solche gelungenen Bewährungen sind gut abgestimmte semiotisch drittheitlich dominierte deduktive Verfahren verbunden mit zweitheitlich dominierten induktiven Verfahren in geprüfter Annäherung. Dennoch möchte ich einen bestimmten Bereich der Kulturforschung nochmals anschneiden, der mit immer besseren naturwissenschaftlich bewährten semiotischen Prozessen nichts direkt zu tun hat. Ich sprach bereits von den divergierenden kulturellen Überformungen. Es kommt nämlich bei der Erforschung kultureller Bedeutungen erschwerend hinzu, dass die hohe Diversität von kulturellen Überformungen aufgrund daseinszufälliger (abduktiv erstheitlicher) Ereignisse und aufgrund des Prinzipes, dass jedes beliebige Etwas zum Zeichen, zum Symbol für ein ganz anderen Etwas werden kann, verursacht wird. Viele begrüßen die kulturelle Vielfalt, die jedoch auch zu großen interkulturellen Konflikten führen kann. Man bedenke, dass ein und der selbe Ausgangspunkt durch daseinszufällige gesellschaftliche Entwicklungen völlig konträre Deutungen und damit zwar im Prinzip wandelbare Verhaltensweisen und Einstellungen, MEME, aber auch konträre Menschenbilder, erzeugt. So ist z.B. die Sexualität für lange Zeit im Christentum als „Sünde“ = Gottferne angesehen worden, was aus der Rezeptionsgeschichte der griechischen Philosophie und des Neoplatonismus durch die frühen Kirchenväter rekonstruiert und verstanden werden kann. Durch bestimmte kulturzufällige Zuordnungen mit fatalen Folgen z.B. für das Frauenbild, das sich bis in unsere Zeit auswirkt. Genau derselbe Ausgangspunkt: „Sexualität und Sinnesfreuden“ wurden im frühen Hinduismus, im Tantrakult, als heilig angesehen und als Zeichen besonderer Gottesnähe und Gottesnäherung. Tantra kommt aus dem Sanskrit und bedeutet übrigens auch Gewebe, Verbindung, was zu einem meiner Ausgangspunkte zurückführt.

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Man könnte die Anzahl der Beispiele beliebig fortsetzen. Ohne dies an dieser Stelle ernsthaft vertiefen zu können, bin ich der Auffassung, dass gerade die Arbeiten von C.G. Jung, der mit seiner Archetypenlehre auf der Suche nach einer Universalsprache der verschiedenen Kulturen war, eine Fundgrube von kulturellen Phänomenen bieten, deren Analyse zu verblüffenden (und gerade deshalb kritisch zu hinterfragenden) Ergebnissen führt. Es scheint oft so, als ob gerade kreative, zufällige Varianten der Erscheinungsformen zu ein- und demselben Archetypus als allgemeine und kollektive Form global zugeordnet werden können. Als jahrzehntelange Dozentin u.a. im Bereich der Kunst und des Designs bin ich immer wieder durch offensichtlich archetypische Erscheinungsformen von Werken der Studierenden überrascht worden. C.G. Jungs Schülerin Marie-Louise von Franz beschäftigt sich mit archetypischen Zeichen in den Naturwissenschaften.25 Dass C.G. Jung insbesondere mit seinem Patienten und späterem Freund, dem Nobelpreisträger auf dem Gebiet der Quantenphysik, mit Wolfgang Pauli, im regen Austausch stand über die Klammer zwischen archetypischen und naturwissen-schaftlichen Phänomenen, zeigt, dass es noch vielfältige m.E. lohnenswerte Möglichkeiten gibt, Geistes- Kultur-, und Naturwissenschaften miteinander zu verbinden. Die Brücke ist m.E. der bewusste Umgang mit unseren Kommunikationsmitteln, d.h. mit den semiotischen Analysemitteln, die uns zur Verfügung stehen - und zwar ohne Vorurteile, Minderwertigkeitskomplexe, immer wieder mit der gebotenen Distanz, dem zeitweisen Zurücktreten und Innehalten, um klarer sehen zu können. Wir müssen keine ideologischen Hürden aufbauen, um uns unserer Existenzberechtigung zu versichern. In der Wissenschaft anders als vielleicht im Leben, bringt uns das Ideal der Annäherung an die Wahrheit über verschiedene Realitäten näher. Jedenfalls nutzen Terroristen, Politiker, du und ich, Christen, Hindi, Moslems, Juden, Sachsen, Bayern, Polen, Briten etc. auf dieselbe technische Weise Computer, Autos, Lichtschalter, Fernbedienungen, etc Anhang: 1. Abbildung 1 2. Abbildung 2 3. Kompendium 4. Zeichenklassen und Realitätsthematiken

                                                                                                               25 Marie Louise von Franz, Zahl und Zeit. Psychologische Überlegungen zu einer Annäherung von Tiefenpsychologie und Physik. Stuttgart 1970

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Abbildung 1

Abbildung 2

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Bedeutungsfunktion

Bezeichnungsfunktion

RepräsentamenZR3

M Oi Oex

Ii Iex

Definition des Zeichens nach Peirce als triadische Relation

M = Mittelbezug = Materiell / energetischer Zeichenträger bildet wahrnehmbare in- / homogene Repertoires Oi = Objektbezug (i = intern: wie etwas bezeichnet wird) Ii = Interpretantenbezug (i = wie etwas interpretiert wird)

Oex = Objekt (extern) = Außenwelt Iex = Lebewesen / Maschine, das / die Zeichen verarbeitet

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Repräsentamen

3.2 Dicent

3.3 Argument3.1 Rhema

1.1 Qualizeichen

1.2 Sinzeichen

1.3 Legizeichen

2.1 Icon / Co-Icon

2.2 Index

2.3 Symbol

ZR3

Oi

Definition der Trichotomien nach Peirce Dreifache Unterteilungen der Zeichenkorrelate M, Oi, Ii

M

Ii

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Kompendium aus Elisabeth Walther, Allgemeine Zeichenlehre, Stuttgart 19792

Objekt- und Interpretantenbezüge

Bezeichnete Objekte

Unmittelbares Objekt = wie es durch das Zeichen präsentiert wird. 1. Als einfache Qualität (J. Locke): deskriptiv 2. Aufmerksamkeit erzwingend:

designativ oder denominativ 3. Gewohnheit: kopulativ /distributiv 2. Es ist nicht abhängig von Wahrnehmung, sondern von der Vorstellung:

Vergangenes und Künftiges

Dynamisches (externes) Objekt = „bezeichnetes Objekt“ 1. Z von etwas Möglichem (Farbe): abstraktiv 2. Z von etwas Wirklichem, faktische Objekte/Ereignisse Napoleon/Mondlandung; konkretiv 3. Z von Kollektiven (Menschen; Städte): kollektiv Unmittelbarer Interpretant = wie er im Z präsentiert wird: aktuelle Wirkung

1.hypothetisch: rot anregend 2.kategorisch: rote Ampel , zur Handlung aufgefordert 3. relativ: logische Schlussfigur, nur zusammen mit anderen Z

Dynamischer Interpretant = Bedeutung besteht darin, wie jemand auf das Z reagiert= Z-Wirkung

1. sympathetisch 2. provokativ 3. konventionell

Finaler (normierter, letzter /effektiver Interpretant = genuin

1. saturierend /Genuss erzeugend 2. praktisch/Aktion erzeugend 3. Pragmatisch/ Selbstkontrolle / Reflexion erzeugend

Relation des Z zum dynamischen I = Art des Reizes

1. suggestiv 2. imperativ 3. indikativ (Einfluss auf „Willen“ des Interpreten) Relation des Z zum finalen Interpretanten (Rhema/Dicent/Argument) 1. Instinktsicherheit 2. Erfahrungssicherheit 3. Sicherheit durch Form/Denken

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4. Zeichenklassen und Realitätsthematiken Aus  den  9  Subzeichen  (1.1  1.2  1.3  2.1.  2.2.  2.3  3.1  3.2  3.3)  ,  auch  darstellbar  in  der  Kleinen  Matrix  nach  Max  Bense  lassen  sich  theoretisch  33  Zeichenklassen  =  27  Zeichenklassen  generieren.  Es  werden  sowohl  aus  Plausibilitäsgründen  und  aus  Gründen  dees  Prinzipes  der  mathematischen  Wohlgeordnetheit  nach  Peirce  nur  10  Zeichenklassen  generieren.  Wenn  numerisch  notiert  für  jede  Zeichenklasse  gilt,  dass  sie  die  Triade  erfüllen  (1,  2  oder  3  vor  dem  Punkt  =  Hauptwert)  erfüllen  muss  und  im  Nebenwert  (1,  2,  3  nach  dem  Punkt)  das  Subzeichen  auszeichnet,  so  gilt  für  jede  Zeichenklasse  die  Form    3.a    2.b    1.c    und  für  a,  b,und  c  gilt:      a  gleich  kleiner  b  gleich  kleiner  c          1)  3.1    2.1    1.1  (Rhematisch-­‐iconisches  Qualizeichen)  =  1.  Hauptzeichenklasse        2)  3.1    2.1    1.2  (Rhematisch-­‐iconisches  Sinzeichen)      3)  3.1    2.1    1.3  (Rhematisch-­‐iconisches  Legizeichen)      4)  3.1    2.2    1.2  (Rhematisch-­‐indexikalisches  Sinzeichen)      5)  3.1    2.2    1.3  (Rhematisch-­‐indexikalisches  Legizeichen)      6)  3.1    2.3    1.3    (Rhematisch-­‐symbolisches    Legiziechen)      7)  3.2    2.2    1.2  (Dicentisch-­‐indexikalisches  Sinzeichen)  =  2.  Hauptzeichenklasse      8)  3.2    2.2    1.3    (Dicentisch-­‐indexikalsiche-­‐Sinzeichen)      9)  3.2.    2.3    1.3    (Dicentisch-­‐symbolisches  Legizeichen)  10)  3.3    2.3      1.3  (Argumentisch-­‐symbolisches  Legizeichen)  =  3.  Hauptzeichenklasse    Die  Hauptzeichenklassen  sind  im  2.  Stellenwert  der  Trichotomie  gleich.  Sie  werden  je  gleichmäßig  von  Erstheit,  Zweitheit  oder  Drittheit  dominiert.  Insgesamt  ergibt  sich  ein  halbhierarchisches  Zeichenklassensystem,  bei  dem  die  Rhemata  dominieren.  Von  Zeichenklasse  1  bis  10  nimmt  die  Semiotizität  tendenziell  zu  und  die  Ontizität    ab  bzw.  v.v.    Um  die  jeweilige  Anteilhabe  an  den  3  Grundrealitäten  und  die  Dualität  der  Zeichenklassen  zu  ihren  Realitätsthematiken  (zurückgehend  auf  den  kompositionellen  Realitätsbegriff  nach  Bense),  wie  er  aus  der  kleinen  Matrix  schon  hervorgeht,  hat  Max  Bense  die  Metaoperation  der  Dualisierung  eingeführt,  gekennzeichnet  durch  ein  „X“.  Durch  die  Dualisierung  der  Zeichenthematik  wird  diese  in  ihre  dual  zugehörige  Realitätsthematik  Rth.  überführt,  indem  Haupt  und  Nebenwerte  vertauscht  werden.  Rein  numerisch:    1)  3.1    2.1    1.1  X  1.1    1.2  1.3  =  Rth.  des  vollständigen  Mittels  (1.  Trichotomie)    2)  3.1    2.1    1.2  X  2.1    1.2    1.3    =  Rth.  des  mittelthematisierten  Objektes    3)  3.1    2.1    1.3  X  3.1    1.2    1.3    =  Rth.  des  mittelthematisierten  Interpretanten    4)  3.1    2.2    1.2  X  2.1    2.2    1.3    =  Rth.  des    objektth.  Mittels    5)  3.1    2.2    1.3  X  3.1    2.2    1.3    =  Zkl.  Wird  in  identische  Rth.  überführt,  entropisch    6)  3.1    2.3    1.3  X  3.1    3.2    1.3    =  Rth.  des  interpretantenth.  Mittels    7)  3.2    2.2    1.2  X  2.1    2.2    2.3    =  Rth.  des  vollständigen  Objekts  (2.  Trichotomie)    8)  3.2    2.2    1.3  X  3.1    2.2    2.3    =  Rth.  des  objektth.  Interpretanten    9)  3.2    2.3    1.3  X  3.1    3.2    2.3    =  Rth.    des  interpretantenth.  Objektes  10)3.3    2.3    1.3  X  3.1    3.2  3.3      =  Rth.  des  vollständ.  Interpretanten  (3.  Trichotomie)    Erläuterungen:  Es  gibt  also  zu  den  3  Hauptzeichenklassen  dual  generiert  drei  vollständige  Realitätsthematiken,  die  jeweils  der  Trichotomie  der  Subzeichen  des  

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Mittelkorrelates,  des  Objektkorrelates  und  des  Interpretantenkorrelates  entsprechen.  Das  heißt,  dass  mittels  der  Hauptzeichen  jeweils  vollständig  die  Welt  als  Mittel,  als  hypothetische  Objekte  oder  als  kontextdeterminierte  Interpretanten  thematisieren    Ferner  gibt  es  7  gemischte  Realitätsthematiken.  Davon  nimmt  die  aus  der  5.  Zeichenklasse  generierte  eine  prominente  Sonderstellung  ein  ,  da  diese  Zeichenklasse  durch  Dualisierung  in  sich  selbst  überführt  wird.    Sie  wird  deshalb  zunächst  die  entropische  genannt.  Sie  ist  auch  in  sich  vollsymmetrisch  und  benötigt  von  jeder  Kategorialzahl  zwei:  2  mal  die  erstheitliche  Kategorialzahl,  2  mal  die  zweitheitliche  Kategorialzahl  und  2  mal  die  drittheitliche  Kategorialzahl.    Wenn  wir  die  numerischen  Realitätsthematiken  in  die  verbalen  Definitionen    analog  zu  den  restlichen  gemischten  Realitätsthematiken  aufbereiten,  so  ergibt  sich,  dass  dieser  Zeichenklasse  gar  3  Realitätsthematiken  zuzuweisen  sind,  nämlich:  1.  Rth.  des  objekt-­‐  und  interpretantenthematisierten  Mittels  2.  Rth.  des  mittel-­‐  und  interpretantenthematisierten    Objekts  3.  Rth.  des  mittel-­‐  und  objektthematisierten                                    Interpretanten    Dies  überrascht  nicht,  wenn  wir  uns  vor  Augen  führen,  dass  Beispiele  für  diese  Zeichenklasse  das  Theoretische  Zeichen  selbst  ist,  die  Theoretische  Zahl,  die  aus  dem  Nachfolgeprinzip  Peanos  generiert  wird,  oder  z.B.  der  Ästhetische  Zustand.    Die  restlichen  sechs  gemischten  Realitästhematiken  vervollständigen  die  Möglichkeiten,  welche  Realitäten  überhaupt  thematisiert  werden  können:  nämlich  das  Mittel,  einmal  vom  Objekt  aus  betrachtet  (4.  Zeichenklasse),  dann  das  Mittel  von  Interpretanten  aus  aus  betrachtet  (6.  Zeichenklasse),  ferner  das  Objekt  vom  Mittel  aus  betrachtet  (2.  Zeichenklasse)  und  das  Objekt  vom  Interpretanten  aus  betrachtet  (9.  Zeichenklasse)  und  schließlich  der  Interpretant  vom  Mittel  aus  betrachtet  (3.  Zeichenklasse)  und  der  Interpretant  vom  Objekt  aus  betrachet  (  8.  Zeichenklasse).    Da  jedes  Zeichen  immer  eine  Triade  mit  Erstheit,  Zweitheit  und  Drittheit  im  Hauptwert  bildet:  3+2+1    =  6  ist  dies  der  Mindestrepräsentatonswert  nach  Karger26  für  jedes  Zeichen:  da  der  Nebenwert  in  der  1.  Hauptzeichenklasse  immer  1  ist,  bekommt  die  1.  Zkl.  den  Wert  9,  die  2.  Zkl.    den  Wert  10,  die  3.  Zkl.  den  Wert  11,  die  4.  Zkl.  ebenfalls  den  Wert  11.,  die  5.  den  Wert  12,  die  6.  Zkl.  den  Wert  13,  die  7-­‐  Zkl.  den  Wert  12,  die  8.  Zkl.  den  Wert  13,  die  9.  Zkl.  den  Wert  14,  die  10.  Zkl.  den  Wert  15.    Wir  erkennen  die  Halbhierarchie,  den  der  Repräsentationswert  steigt  nicht  kontinuierlich  von  Zeichenklasse  zu  Zeichenklasse  an,  d.h  auch  die  Semiotizität  steigt  nicht  gleichmäßig  an.  Bemerkenswert  für  eine  semiotische  Theorie  der  Dinge,  Erkenntnisgegenstände  und  Objekt  i.w.S.  ist,  dass  die  7.  Zeichenklasse,  d.h.  die  mit  der  Realitätsthematik  des  vollständigen  Objektes,  welche  insbesondere  naturwissenschaftliche  Messungen,  empirische  Aussagen  etc.  charakterisiert  denselben  Repräsentationswert  12  besitzt  wie  die  entropische  5.  Zeichenklasse  mit  drei  dual  zugeordneten  eigenbezüglichen  Realitätsthematiken  und  welche  wie  gesagt  das  Theoretische  Zeichen  als  Triadische  Relation  selbst  charakterisiert  und  zum  Erkenntnisgegenstand  aus  drei  realitätsthema-­‐tischen  Perspektiven  besitzt.  Diese  komplexe  Selbstthematisierung  mag  in  Zusammen-­‐hang  mit  den  restlichen  9  komplexen  Realitätsthematiken  die  oft  aufkommende    Verwirrung  über  die  Orientierung  des  Gegenstandscharakters  miterklären.    

                                                                                                               26 Angelika Karger, Über Repräsentationswerte, Semiosis 17/18, Baden-Baden 1980 Angelika Karger, Semiotische Orbitalbildung kategorialer Bezüge, Semiosis 32, 1983