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Professor Dr. Ekkehard Schumann Juristische Fakultät Universität Regensburg REPETITORIUM REX ZIVILPROZESSRECHT GESAMTES SKRIPTUM WS 2013/2014 © Regensburg 2014

Professor Dr. Ekkehard Schumann - uni-regensburg.de · Faustregel für den Aufbau: ZPO vor BGB, prozessuale Fragen vor den materiell-rechtlichen Problemen. Zweiter Vorbereitungsschritt:

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Professor Dr. Ekkehard Schumann Juristische Fakultät

Universität Regensburg

REPETITORIUM

REX

ZIVILPROZESSRECHT GESAMTES SKRIPTUM

WS 2013/2014

© Regensburg 2014

INHALTSÜBERSICHT

ARM IST NICHT RECHTSSCHUTZLOS 5

FALL 1: ARM ALS FREIBERUFLER 7

LÖSUNG 11

FALL 2: ARM ALS ARBEITNEHMER 33

FALL 3: ARM UND DIE BEWEISAUFNAHME 55

FALL 4: ARMS ARBEITGEBER MISCHT MIT 58

FALL 5: ARM UND DAS AMTSGERICHT NÜRNBERG 67

FALL 6: ARM UND DER BUSUNFALL 71

DIVERGENZTABELLE FÄLLE 1 – 6 83

ALOYS GAMMLER , UHRMACHER ZEIGER UND EINE ALTE ENGLISCHE

STANDUHR 87

FALL 7: GAMMLER ZAHLT UND BLITZ SOWIE DIE ALLERLEI GMBH HABEN

GEPFÄNDET 89

FALL 8: GAMMLER ZAHLT NICHT UND DIE UHR WIRD VERSTEIGERT 125

FALL 9: GAMMLER UND DER VERSTEIGERUNGSÜBERSCHUSS 139

FALL 10: GAMMLER UND SEIN GEPFÄNDETES GIROKONTO 143

DAS SYSTEM DER ZWANGSVOLLSTRECKUNG 150

TABELLE ZUM ZWANGSVOLLSTRECKUNGSRECHT 152

FRAU SCHÖN UND IHRE PROBLEME MIT DEM FALSUS PROCURATOR 155

FALL 11: FRAU SCHÖNS AMNESIE 157

FALL 12: FRAU SCHÖN UND DAS FEHLENDE EIGENTUM DES ZEIGER 167

FALL 13: FRAU SCHÖN UND DIE ERFÜLLUNG NACH KLAGEERHEBUNG 175

FALL 14: ZEIGER GEGEN DIE ZEIT 187

ZU DEN SACHURTEILSVORAUSSETZUNGEN 197

SCHWERPUNKTE DER FÄLLE 199

GLOSSAR: AUSGEWÄHLTE BEGRIFFE AUS DEM ZIVILPROZESSRECHT 201

Professor Dr. Ekkehard Schumann

Regensburg

REPETITORIUM ZIVILPROZESSRECHT

WS 2013/2014

ARM IST NICHT RECHTSSCHUTZLOS

FÄLLE 1 – 6

— 7 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

FALL 1:

ARM ALS FREIBERUFLER

Mitte März wurde Anton Arm von Siegfried Schnell beim Überqueren eines Fußgän-gerüberwegs in Regensburg angefahren. Halter des Wagens ist Richard Reich, für den bei der Insolventia AG eine Haftpflichtversicherung besteht. Bei dem Unfall wurde der Anzug des Arm (Wert € 50,–) zerfetzt und sein fabrikneues Fahrrad im Wert von € 200,–, das er neben sich geschoben hatte, irreparabel beschädigt. Arm selbst erlitt ei-nen Schlüsselbeinbruch sowie zahlreiche Prellungen und Abschürfungen. Die durch den Unfall verursachten Heilungskosten belaufen sich auf insgesamt € 800,–. Arm arbeitet freiberuflich als Redakteur bei der lokalen Tageszeitung und ist nicht gesetzlich sozial-versichert. Aufgrund des Unfalls konnte er dieser Arbeit für einige Zeit nicht nachge-hen, was einen Verdienstausfall von € 700,– verursachte.

Da eine gütliche Einigung über die Regulierung des Schadens zwischen den genannten Personen nicht zustande kommt, beauftragt Arm den Rechtsanwalt Kunibert Klug mit der Einleitung gerichtlicher Schritt gegen alle zur Schadensbegleichung Verpflichteten. Klug erhebt Klage zum Amtsgericht Regensburg mit dem Antrag, Schnell als Fahrer, Reich als Halter und die Insolventia AG als Haftpflichtversicherer zur Zahlung von € 3.000,– gesamtschuldnerisch zu verurteilen. Dieser Betrag setzt sich aus folgenden Einzelposten zusammen: € 50,– für den „ruinierten“ Anzug, € 200,– für das zerstörte Fahrrad, € 800,– Heilungskosten, € 700,– Verdienstausfall sowie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens € 1.250,–. In der Klageschrift schildert Rechtsanwalt Klug den Hergang des durch Schnell verursachten und verschuldeten Un-falls auf dem Fußgängerüberweg, insbesondere auch die überhöhte Geschwindigkeit des Schnell, und legt ferner die oben dargestellten persönlichen Verhältnisse des Arm sowie Art und Schwere seiner Verletzungen dar; zur Höhe des Schmerzensgeldanspruchs ver-weist er auf vergleichbare Urteile in einer Schmerzensgeldtabelle.

Im frühen ersten Termin vor dem Amtsgericht erscheint auf der Beklagtenseite — trotz ordnungsgemäßer Ladung aller Beteiligten und trotz Einhaltung der Einlassungsfrist —nur Schnell. Dieser räumt ein, dass der Unfall für ihn vermeidbar gewesen wäre, da er aus Unachtsamkeit die zulässige Höchstgeschwindigkeit leicht überschritten habe, so dass er nicht rechtzeitig vor dem Fußgängerüberweg zum Stehen gekommen sei. Die dem Arm durch sein Verhalten entstandenen Schäden bezweifle er nicht. Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Schadensposten wolle er keine Erklärung abgeben. Am Schluss des Termins beantragt Rechtsanwalt Klug, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 3.000,– zu verurteilen und dies gegenüber dem nicht erschienenen Reich und der nicht erschienenen Insolventia AG durch Versäumnisurteil vorzunehmen. Schnell beantragt Abweisung der Klage.

Frage: Wie wird das Amtsgericht Regensburg entscheiden?

Bearbeitervermerk: Die Frage ist in einem Gutachten zu beantworten.

— 8 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

FALL 1: ARM ALS FREIBERUFLER 7

I. Klage gegen Schnell 13 A. Zulässigkeit der Klage 13

1. Zuständigkeit des AG Regensburg 13 a) Örtlich 13 b) Sachlich 13

2. Bestimmtheit des Schmerzensgeldantrages 13 3. Zwischenergebnis 13

B. Begründetheit der Klage 14 1. € 50,– für den ruinierten Anzug 14

a) Der Anspruch dem Grunde nach 14 (1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG) 15

(a) Beweis der von RA Klug behaupteten Tatsachen 15 [A] Die Tatsache der Beschädigung des Anzugs steht fest 15 [B] Die Tatsache „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ steht fest 15 [C] Die Tatsache „Schnell war Fahrer” steht fest 16 [D] Zwischenergebnis 16

(b) Verschulden des Schnell steht fest 16 (c) Schadensersatz in Geld 16

(2) Deliktshaftung 17 (a) § 823 Abs. 1 BGB 17 (b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetzen: § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO 17

[A] § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO 17 [B] § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO 17 [C] § 26 Abs. 1 StVO 17 [D] Schutzgesetze im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB 17

b) Der Anspruch der Höhe nach 18 c) Ergebnis 18

2. € 200,– für das zerstörte Fahrrad 18 a) Der Anspruch dem Grunde nach 18 b) Der Anspruch der Höhe nach 18 c) Ergebnis 19

3. € 800,– Heilungskosten 19 a) Der Anspruch dem Grunde nach 19

(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens 19 (a) § 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG 19 (b) § 11 Satz 1 StVG 19

(2) Deliktshaftung 19 (a) § 823 Abs. 1 BGB 19 (b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO 19

b) Der Anspruch der Höhe nach 20 c) Ergebnis 20

4. € 700,– Verdienstausfall 20 a) Der Anspruch dem Grunde nach 20

(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG) 20

— 9 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

(2) Deliktshaftung 20 (a) § 823 Abs. 1 BGB 20 (b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO 20

b) Der Anspruch der Höhe nach 20 c) Ergebnis 20

5. € 1.250,– Schmerzensgeld 21 a) Der Anspruch dem Grunde nach 21

(a) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 und § 11 Satz 2 StVG) 21 (b) Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB) 21

b) Der Anspruch der Höhe nach 21 c) Ergebnis 22

C. Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) 22 D. Ergebnis 23

II. Anträge auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen Reich und die Insolventia AG 23 A. Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils 24

1. Antrag auf Versäumnisurteil 24 2. Säumnis im Termin — Die Insolventia AG, Reich und Schnell als notwendige Streitgenossen? 24

a) Schnell und Reich 24 b) Reich oder Schnell und die Insolventia AG 24

3. Ordnungsgemäße Ladung 25 4. Einhaltung der Einlassungsfrist 25

B. Zulässigkeit der Klage 25 C. Schlüssigkeit der Klage 25

1. Gegen Reich als Halter 25 a) € 50,– für den ruinierten Anzug 25

(1) Der Anspruch dem Grunde nach 25 (a) Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) 25 (b) Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB) 27

(2) Der Anspruch der Höhe nach 27 (3) Ergebnis 27

b) € 200,– für das zerstörte Fahrrad 27 c) € 800,– Heilungskosten 27 d) € 700,– Verdienstausfall 27 e) € 1.250,– Schmerzensgeld 27

(1) Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) 27 (2) Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB) 28 (3) Ergebnis 28

f) Ergebnis zur Schlüssigkeit 28 2. Gegen die Insolventia AG als Haftpflichtversicherer 28

a) Notwendigkeit doppelter Schlüssigkeit 28 b) Haftung des Schnell 29 c) Haftung des Reich 29 d) Ergebnis zur Schlüssigkeit des Direktanspruches 29

— 10 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

D. Zulässigkeit eines gemeinsamen Versäumnisurteils über alle Ansprüche 29 1. Zulässigkeit der Streitgenossenschaft (§§ 59 f. ZPO) 29 2. Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) 30

E. Versäumnisurteil gegen Reich und die Insolventia AG 30

III. Gesamtschuldnerische Haftung von Schnell, Reich und der

Insolventia AG 30

IV. Ergebnis 30

V. Exkurs: Tenor der Entscheidung 30

— 11 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

LÖSUNG

Erster Vorbereitungsschritt: Bearbeitervermerk lesen! Wenn die Klausurangabe mehrere Fragen enthält,

jetzt die erste Frage lesen. Die Frage lautet:

„Wie wird das Amtsgericht Regensburg entscheiden?“ Klausurtyp: Richterklausur,

keine Anwaltsklausur.

Faustregel für den Aufbau: ZPO vor BGB,

prozessuale Fragen vor den materiell-rechtlichen Problemen.

Zweiter Vorbereitungsschritt: Sachverhalt lesen und am besten sogleich eine Assoziationsliste anlegen!

● StVG

● Fahrer

● Halter

● StVO: Fußgängerüberweg – Geschwindigkeit

● § 823 I BGB

● § 823 II BGB mit Schutzgesetz: StGB, StVO

● VVG

● GVG Amtsgericht

● § 32 ZPO, § 20 StVG: Regensburg

● § 253 ZPO: unbestimmter Antrag (§ 253 II BGB)

● § 288 I ZPO: Höchstgeschwindigkeit leicht überschritten

● § 331 ZPO

Dritter Vorbereitungsschritt : Im Aufgabentext die drei Grundbegriffe des Prozessrechtsfalls markieren,

die sich aus § 253 Abs. 2 ZPO ergeben: 1. Gericht 2. Parteien

3. Streitgegenstand

— 12 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

Zur Terminologie und zur Klausurtaktik „Streitgenossenschaft“ = Mehrheit von Parteien (§§ 59 f. ZPO) • auf der Kläger- oder Aktivseite möglich • auf der Beklagten- oder Passivseite möglich Man spricht auch von „subjektiver“ Anspruchs- oder Klagehäufung.

Die Streitgenossenschaft führt zugleich auch zu einer Mehrheit von Prozessrechtsver-hältnissen.

„Anspruchshäufung“ = Mehrheit von Streitgegenständen (§ 260 ZPO);

häufig als „objektive“ Anspruchs- oder Klagehäufung bezeichnet.

Bei Mehrheit von Parteien oder Ansprüchen gilt der Trennungsgrundsatz: Jedes der mehreren Prozessrechtsverhältnisse und jeder der mehreren Streitgegenstände sind gesondert hinsichtlich der prozessualen Zulässigkeit und der materiellen Begrün-detheit zu untersuchen.

Vorbemerkung zum Aufbau: Bei einer Fallgestaltung wie in der vorliegenden Klausur muss der Bearbeiter als ersten Schritt die einzelnen Prozessrechtsverhältnisse („Perso-nen vor Sachen“) trennen und bei diesen als zweiten Schritt die einzelnen Streitgegen-stände (Klageanträge) strikt auseinander halten („Anträge vor Ansprüchen“). Erst im dritten Schritt prüft er innerhalb der Streitgegenstände nacheinander die An-spruchsgrundlagen („Ansprüche nach Anträgen“) 1. Dementsprechend wird im Fol-genden zunächst nach den Parteien auf der Beklagtenseite (Schnell, Reich, Insolventia AG) und erst im Rahmen des jeweiligen Prozessrechtsverhältnisses nach Streitgegen-ständen (Klageanträgen hinsichtlich der Schadensposten: Anzug, Velo usw.) unterglie-dert. Erst danach kommt die Lösung zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen (StVG, BGB). Umgekehrt etwa nach Anspruchsgrundlagen und dann erst nach Personen darf keinesfalls aufgebaut werden. Denn die Prozessrechtsverhältnisse können sich unterschiedlich entwickeln (wie hier: Schnell ist anwesend, Reich und Insolventia AG nicht). Außerdem entscheidet das Gericht über die Streitgegenstände (Klageanträge) und nicht über die Anspruchsgrundlagen.

Entsprechend dem Aufbauprinzip „Personen vor Sachen“ richtet sich die Gliederung nach den hier vorliegenden drei Prozessrechtsverhältnissen. An der Spitze steht daher

Arm gegen Schnell. Maßgebend ist immer der zuletzt gestellte Antrag. Mit ihm beginnt die Lösung. Da hier der letzte von Arm gegenüber Schnell gestellte Antrag der Klageantrag ist, be-ginnt die Prüfung mit der Zulässigkeit der von Arm erhobenen Klage.

(„ZPO vor BGB“ ).

1 Hierzu näher: Ekkehard Schumann: Die ZPO-Klausur, 3. Aufl., München 2006, Rdnr. 14 und 15.

— 13 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

I. Klage gegen Schnell

A. Zulässigkeit der Klage

1. Zuständigkeit des AG Regensburg

a) Örtlich

Die örtliche Zuständigkeit des AG Regensburg ist gegeben (§ 32 ZPO, § 20 StVG).

b) Sachlich

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Streitwert, wobei die geltend gemach-ten Streitgegenstände da wirtschaftlich nicht identisch gemäß § 5 [1. Halbsatz] ZPO zusammengerechnet werden. Sie ergeben den Betrag von € 3.000,–, der innerhalb der amtsgerichtlichen sachlichen Zuständigkeit liegt (§ 1 ZPO, § 23 Nr. 1 GVG). Ob die Ansprüche zulässigerweise in einer Klage geltend gemacht wurden, ist für die Zusam-menrechnung der Streitwerte nicht von Bedeutung.2

2. Bestimmtheit des Schmerzensgeldantrages Der Antrag, „ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1.250 Euro“ zuzusprechen, lässt eine genaue Bezifferung vermissen und könnte aus diesem Grunde am Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO scheitern. Doch muss beachtet werden, dass der Schmerzensgeldantrag auf eine „billige Entschädigung in Geld“ (§ 253 Abs. 2 BGB) zielt, also auf eine Ermessensentscheidung des Gerichts. Den vom Gericht aufgrund seines Ermessens zuzusprechenden Betrag kann der Kläger in der Regel nicht genau im Voraus berechnen. Dem Verletzten kann daher eine genaue Bezifferung seines Schmerzensgeldantrages nicht zugemutet werden. Das Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist bei einem Schmerzensgeldantrag deshalb bereits dann er-füllt, wenn der Kläger in der Klage seine Verletzungen schildert und die ungefähre Grö-ßenordnung des geforderten Schmerzensgelds angibt.3 Der Kläger hat diesen Anforde-rungen entsprochen. Die Klage ist also in diesem Punkt zulässig.

3. Zwischenergebnis Die Klage ist zulässig.

2 Hierzu unten C. (S. 22) zur Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung. 3 Einzelheiten bei Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 59 mit weiteren Nachweisen; Frank Kosziol in: Otto Tem-

pel/Christiane Graßnack/Frank Kosziol/Bernhard Seyderhelm: Materielles Recht im Zivilprozess, 5. Auflage, München 2009, § 29 Rdnr. 36.

— 14 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

B. Begründetheit der Klage

Nach der Zulässigkeitsprüfung kommt es zur Begründetheitsprüfung. Aufbau: „Anträge vor Ansprüchen“ . Die fünf Klageanträge (die fünf Streitgegen-stände) werden nacheinander geprüft.

Gliederung 1. Anzug 2. Velo 3. Arzt 4. Verdienst 5. Schmerz

1. € 50,– für den zerfetzten Anzug

Innerhalb des Streitgegenstandes „Anzug“ muss wiederum der Trennungsgrundsatz beachtet werden. Der Grund des geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruches muss von der Höhe dieses Anspruches getrennt werden.

a) Der Anspruch dem Grunde nach

Innerhalb des Grundes des Streitgegenstandes „Anzug“ kommt es für den Aufbau auf die materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen an: 1. Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens § 18 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG 2. Deliktshaftung ● § 823 Abs. 1 BGB ● § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz:

– Nicht: Strafgesetzbuch! – § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO: Geschwindigkeit allgemein

– § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO: Geschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften

– § 26 Abs. 1 StVO: Fußgängerüberweg

— 15 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG)

Den prozessualen Anspruch4 des Klägers Arm gegen Schnell kann Arm in erster Linie auf das StVG stützen. Er behauptet, Schnell habe als Fahrer eines Kraftfahrzeuges (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVG) bei dessen Betrieb (§ 7 Abs. 1 StVG) eine Sache, nämlich den An-zug, beschädigt.

(a) Beweis der von RA Klug behaupteten Tatsachen

In seiner Klageschrift stellt RA Klug drei Tatsachenbehauptungen auf:

Erstens ist der Anzug seines Mandanten „ruiniert” worden.

Zweitens geschah dies beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs.

Drittens haftet Schnell, weil er dieses Fahrzeug gelenkt hat.

Für sämtliche drei Behauptungen trägt Arm die Beweislast. Denn derjenigen Partei, die sich auf eine für sie günstige Norm beruft, ist regelmäßig die Beweislast aufgebürdet5.

[A] Die Tatsache der Beschädigung des Anzugs steht fest

Schnell „bezweifelte“ in der mündlichen Verhandlung nicht, dass die von Arm behaup-teten Schäden entstanden seien. Er hat also die Behauptung des Arm nicht bestritten, der Anzug sei „ruiniert“. Bei nicht bestrittenen Tatsachen greift die außerordentlich wichtige Vorschrift des § 138 Abs. 3 ZPO ein: Jetzt gilt die klägerische Behauptung, der Anzug sei durch den Unfall des Schnell unbrauchbar geworden, als zugestanden. Damit kommt es zur Anwendung des § 288 Abs. 1 ZPO. Zugestandene Tatsachen „be-dürfen keines Beweises“. Folglich steht nunmehr für das Gericht fest: Der Anzug des Arm ist unbrauchbar.

[B] Die Tatsache „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ steht fest

Eine Haftung nach dem StVG setzt voraus, dass die Beschädigung der Sache (die Unbrauchbarkeit des Anzugs) „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ (§ 7 Abs. 1 StVG) geschah und dieser Betrieb kausal für den Schaden war. Es muss sich also die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel verbundene Gefahr realisiert haben („bei dem Betrieb“), was der Fall ist, wenn der Betriebsvorgang in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Schadensereignis steht6. Dies behauptet Arm in seiner Klage. Da Schnell auch diese Tatsache im Termin nicht „bezweifelt“, bestreitet er sie nicht (§ 138 Abs. 3 ZPO); dementsprechend ist sie zugestanden (§ 288 Abs. 1 ZPO) und steht für das Gericht fest. Dasselbe gilt für die der (haftungsbegründenden) Kausalität

4 Mit „prozessualer Anspruch“ ist der Streitgegenstand (der Verfahrensgegenstand, das prozessuale Be-

gehren) bezeichnet, nicht der materiell-rechtliche Anspruch (näher Schumann [Fußn. 1], Rdnr. 69 ff.). Dies ist hier der Antrag auf Zahlung von € 50,–. Insgesamt macht Arm mit seiner Klage fünf Streitge-genstände im Wege der „Anspruchshäufung“ (Streitgegenstandshäufung, § 260 ZPO) anhängig (Anzug, Fahrrad, Heilungskosten, Verdienstausfall, Schmerzensgeld). Für jeden dieser Streitgegenstände kön-nen, wie die Gliederung zeigt, verschiedene materiell-rechtliche Ansprüche (Anspruchsgrundlagen) in Betracht kommen.

5 Näheres zur Beweislast unter „Fehlen der Vertretungsmacht“ im Rahmen von Fall 12. 6 Vgl. BGH NJW-RR 2008, 764.

— 16 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

zwischen dem Kfz-Betrieb und der Beschädigung des Anzugs zugrundeliegenden Tat-sachen.

[C] Die Tatsache „Schnell war Fahrer” steht fest

Schnell ist unbestritten nicht Halter des Unfallwagens gewesen. Unmittelbar aus § 7 Abs. 1 StVG kann er demnach nicht haften, weswegen RA Klug ihn ja auch „als Fah-rer“ verklagt hat. Anspruchsgrundlage ist daher die Haftung wegen (vermutete) Ver-schuldens nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG. Schnell haftet, wenn die Tatsache bewiesen ist, dass er das Unfallfahrzeug gesteuert hat. Durch sein Einräumen im Termin steht auch diese Tatsache fest (Geständnis: § 288 Abs. 1 ZPO) fest.

[D] Zwischenergebnis

Schnell hat als Fahrer eines Kraftfahrzeuges die Beschädigung des Anzugs verursacht.

(b) Verschulden7 des Schnell steht fest

In seiner Klage hat Arm als weitere Tatsache das Verschulden des Schnell behauptet. Schnell selbst hat „eingeräumt“, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht be-achtet habe, als er die zulässige Höchstgeschwindigkeit aus Unachtsamkeit überschritt. Damit hat er diese Behauptung des Arm nicht nur nicht bestritten, sondern sogar zuge-standen: § 288 Abs. 1 ZPO (Geständnis) liegt also unmittelbar vor. Das Verschulden des Schnell (Fahrlässigkeit) als Fahrer § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG steht demzufolge fest.

(c) Schadensersatz in Geld

Arm kann gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Betrag als Schadensersatz in Geld verlangen. Da der Anzug „ruiniert“ ist, kommt eine Wiederherstellung nicht in Betracht (vgl. § 251 Abs. 1 BGB).

§ 138 Abs. 3 und § 288 Abs. 1 ZPO

zeigen die Herrschaft der Parteien über den Tatsachenstoff. In diesen Vorschriften drückt sich der

Verhandlungsgrundsatz (die Verhandlungsmaxime)8

des deutschen Zivilprozesses aus. Er unterscheidet sich grundlegend vom Untersuchungsgrundsatz (von der Untersuchungsmaxime)

der anderen Prozessarten.

7 Zur in diesem Prozess überhaupt nicht problematischen Rechtswidrigkeit darf die Lösung mit keinem

Wort Stellung nehmen, weder bei der Haftung nach dem StVG noch nach dem BGB; vgl. Uwe Diede-richsen: Die BGB-Klausur, 7. Aufl., München 1988, S. 128 f. bei Fußn. 150 ff.

8 Zum Verhandlungsgrundsatz: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 289, 292, 294. Der Verhandlungsgrundsatz betrifft die Tatsachenseite des Zivilprozesses. Er ist vom Dispositionsgrundsatz (von der Dispositionsmaxime) zu trennen, der die Herrschaft der Prozessparteien über den Streitgegenstand be-trifft, vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 231, 337 sowie Einzelheiten (auch zum Antragsgrundsatz) in Rdnr. 43 – 57.

— 17 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

Nach dem Verhandlungsgrundsatz steht für das Gericht als bewiesen fest, was entweder ausdrücklich zugestanden oder was nicht bestritten ist.

(2) Deliktshaftung

(a) § 823 Abs. 1 BGB

Der Klageantrag des Klägers Arm kann ferner auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden. Wie soeben eingehend dargelegt, ist unbestritten oder sogar ausdrücklich zugestanden: Schnell hat den Arm infolge des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Fußgängerüberweg angefahren und das Eigentum (den Anzug) des Arm wider-rechtlich und schuldhaft (fahrlässig) verletzt.9 Arm kann gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 und § 251 Abs. 1 BGB Schadensersatz in Geld verlangen.

(b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetzen: § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO

Der Antrag kann schließlich auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO begründet sein:

[A] § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO darf ein Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht.

[B] § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO

Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist innerhalb geschlossener Ortschaften nur eine Höchst-geschwindigkeit von 50 km/h zulässig.

[C] § 26 Abs. 1 StVO

Ferner haben Fahrzeuge an Fußgängerüberwegen mit mäßiger Geschwindigkeit heran-zufahren, um Fußgängern das Überqueren der Straße zu ermöglichen (§ 26 Abs. 1 StVO).

[D] Schutzgesetze im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB

Die genannten Vorschriften stellen Regeln auf, die auf den Schutz anderer Verkehrsteil-nehmer abzielen. Sie bezwecken also auch den Schutz des Klägers Arm und erfüllen damit die Voraussetzungen, die an ein Schutzgesetz zu stellen sind.10 Da Schnell diese Vorschriften widerrechtlich und fahrlässig übertreten hat, ist der Tatbestand des § 823 Abs. 2 BGB verwirklicht. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 und § 251 Abs. 1 BGB kann er Schadensersatz in Geld verlangen.

9 Nachdem die Lösung bei Punkt „(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens“ eingehend dargelegt

hat, dass die tatsächlichen Behauptungen des Arm unbestritten sind, brauchen die dortigen Ausführun-gen hier nicht noch einmal wiederholt zu werden.

10 Zum Begriff des Schutzgesetzes z. B. Hartwig Sprau in: Otto Palandt: BGB, 73. Auflage, München 2014, § 823 Rdnr. 56 f.

— 18 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

Hinweise: § 229 StGB kommt als Schutzgesetz für den Schadenspos-ten „Anzug“ nicht in Betracht. Denn diese Vorschrift bezweckt nur den Schutz des Körpers, nicht aber den Schutz von Sachen. Dass Schnell durch ein und dieselbe Handlung sowohl eine Körperverlet-zung als auch Sachschäden verursacht hat, ist insoweit unerheblich. Auch § 303 StGB scheidet als Schutzgesetz mangels Vorsatzes aus (vgl. § 15 StGB).

Wenn sich ein Unfall auf einem Privatweg ereignet, steht die StVO als Schutzgesetz nicht zu Verfügung. Hingegen ist die Haftung nach dem StVG nicht auf Unfälle auf öffentlichem Verkehrsraum beschränkt, besteht also auch bei einem Unfall auf einem Privatgrundstück.

b) Der Anspruch der Höhe nach

Arm verlangt einen Schadensersatz in Höhe von € 50,00 für den zerfetzten Anzug. Da Schnell hierzu keine Erklärung abgibt, ist auch die Höhe des Schadensersatzanspruchs als zugestanden anzusehen (vgl. § 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO).

Hinweis: Nach § 12 Abs. 1 StVG bestehen für die Schadensersatzan-sprüche, soweit sie auf das StVG gestützt werden, Höchstbeträge. Näher unten Fall 6.

c) Ergebnis

Das Gericht wird deshalb Schnell zur Zahlung von € 50,– verurteilen.

2. € 200,– für das zerstörte Fahrrad

Der zweite Gliederungspunkt ist der Streitgegenstand „Velo“ (Schadensersatz für das zerstörte Fahrrad).

Soweit die Rechtslage genauso ist wie beim „Anzug“, kann der Bearbeiter

ohne Weiteres auf die bisherigen Ausführungen verweisen.

Hier kann ohne Einschränkungen auf die Ausführungen zum Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung des Anzuges verwiesen werden.

a) Der Anspruch dem Grunde nach

Der Anspruch des Klägers Arm ist begründet aus:

§ 18 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG;

§ 823 Abs. 1 BGB;

§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den drei genannten Schutzgesetzen § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO und § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO sowie § 26 Abs. 1 StVO.

b) Der Anspruch der Höhe nach

Auch hier unbestritten.

— 19 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

c) Ergebnis

Daher wird das Gericht den Beklagten Schnell auch zur Zahlung dieses Betrags verur-teilen.

3. € 800,– Heilungskosten

Hinweis: Da das Gesetz bei „Verletzungen des Körpers und der Ge-sundheit“ einen „Ersatz der Kosten der Heilung“ zuspricht (§ 11 Satz 1 StVG), sollte der Bearbeiter den umfassenden Begriff der „Hei-lungskosten“ verwenden, wenn der Geschädigte die Kosten für ärztliche und andere medizinische Behandlungen sowie Krankenhaus-aufenthalte, Krankentransporte und Medikamente usw. geltend macht.

a) Der Anspruch dem Grunde nach

(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens

(a) § 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG

Der Anspruch auf Erstattung der Heilungskosten ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 in Ver-bindung mit § 7 Abs. 1 StVG entstanden. Schnell hat als Fahrer eines Kraftfahrzeuges bei dessen Betrieb den Arm (körperlich) verletzt.

(b) § 11 Satz 1 (erster Halbsatz) StVG

Der Schadensersatzanspruch ist gemäß § 11 Satz 1 (erster Halbsatz) StVG auf Ersatz der Heilungskosten in Geld gerichtet. RA Klug hat in der Klageschrift die zur Anwen-dung dieser Vorschrift notwendigen Tatsachen behauptet: Dem Arm sind Heilungskos-ten entstanden (erste Tatsachenbehauptung), die durch die Körperverletzung verursacht sind (zweite Tatsachenbehauptung [haftungsausfüllende Kausalität]). Beide Behaup-tungen bestreitet Schnell nicht (§ 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO). Damit steht fest, dass er dem Arm die infolge Unfalls entstandenen Heilungskosten zu ersetzen hat.

Wiederholter Hinweis: Nach § 12 Abs. 1 StVG bestehen für die Schadensersatzansprüche, soweit sie auf das StVG gestützt werden, Höchstbeträge. Näher unten Fall 6.

(2) Deliktshaftung

(a) § 823 Abs. 1 BGB

Der Klageantrag kann daneben auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden. Schnell hat Arm widerrechtlich und schuldhaft (fahrlässig) verletzt, so dass Arm die Heilungskosten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersetzt verlangen kann.

(b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO

Als weitere (vierte!) Anspruchsgrundlage für den Antrag auf Ersatz der Heilungskosten ist schließlich § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB gegeben. Da die Vor-schrift des § 229 StGB den Schutz des Körpers bezweckt, ist sie als Schutzgesetz für den Schadensposten „Heilungskosten“ einschlägig. Daneben bestehen weiterhin die Schutzgesetze § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1 StVO sowie § 26 Abs. 1 StVO.

— 20 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

b) Der Anspruch der Höhe nach

Auch hier unbestritten (§ 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO).

c) Ergebnis

Daher wird das Gericht den Beklagten Schnell zur Zahlung von € 800,– verurteilen.

4. € 700,– Verdienstausfall

a) Der Anspruch dem Grunde nach

(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG)

Der Klageantrag auf Ersatz des Verdienstausfalls kann auf § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG gestützt werden. RA Klug behauptet, Schnell habe als Fahrer eines Kraftfahrzeuges (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVG) bei dessen Betrieb (§ 7 Abs. 1 StVG) den Arm am Körper verletzt. Dadurch (haftungsausfüllende Kausalität) sei dem Arm ein Vermögensnachteil entstanden, weil infolge der Verletzung seine Erwerbsfä-higkeit zeitweise aufgehoben war (§ 11 Satz 1 [zweiter Halbsatz] StVG). Schnell be-streitet nicht, dass er diesen Nachteil durch den Unfall verursacht hat (§ 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO). Der Antrag des Klägers Arm auf Zahlung des Verdienstausfalls ist erfolgreich.

(2) Deliktshaftung

(a) § 823 Abs. 1, § 842 BGB

Der Klageantrag auf Ersatz des Verdienstausfalls kann ferner auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden. Es liegt eine widerrechtliche und schuldhafte Körperverletzung vor. Gemäß § 842 BGB hat Arm auch einen Anspruch auf Geldersatz wegen des entgange-nen Gewinns (vgl. auch § 249 Abs. 1 und 2, § 252 BGB).

(b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO

Daneben kann der Antrag auch noch auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den vier folgenden Schutzgesetzen § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO ge-stützt werden. Wegen Art und Umfang des Anspruches (§ 842 BGB) gelten die bisheri-gen Ausführungen (vgl. auch § 249 Abs. 1 und 2, § 252 BGB).

b) Der Anspruch der Höhe nach

Auch hier unbestritten (§ 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO).

c) Ergebnis

Schnell ist zur Zahlung von € 700,– zu verurteilen.

— 21 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

5. € 1.250,– Schmerzensgeld

a) Der Anspruch dem Grunde nach

(a) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 und § 11 Satz 2 StVG)

Ebenfalls auf das StVG (§ 18 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG) kann der Schmerzensgeldanspruch11 gestützt werden. Gemäß § 11 Satz 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB ist seit dem Jahr 2002 ein immaterieller Schaden auch nach dem StVG zu erset-zen.

Hinweis: Eine der augenfälligsten und auch praktisch bedeutsamsten Neuerungen des Schadensersatzrechts im 21. Jahrhundert ist die deut-liche Ausweitung des Schmerzensgeldanspruches. Das Zweite12 Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 strich mit Wirkung vom 1. August 2002 den bisherigen § 847 BGB und überführte ihn fast unverändert in den neuen § 253 Abs. 2 BGB. Für den Schmerzensgeldanspruch ist nunmehr kein Verschulden nötig.13

Weitere Schmerzensgeldregelungen hat der Bundestag z. B. in folgen-de Gesetze eingefügt: § 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz14, § 36 Satz 2 Luft-verkehrsgesetz15, § 8 Satz 2 Produkthaftungsgesetz16, § 13 Satz 2 Um-welthaftungsgesetz17, § 29 Abs. 2 Atomgesetz18.

(b) Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB)

Wie bereits bei den Heilungskosten dargelegt, hat Arm wegen seiner erlittenen Körper-verletzung einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB gegen Schnell. Gemäß § 253 Abs. 2 BGB kann Arm daher auch wegen seines immateriellen Schadens eine billige Entschädigung in Geld verlangen.

b) Der Anspruch der Höhe nach

Auch wenn Schnell die dem Schmerzensgeldanspruch zugrunde liegenden Tatsachen nicht bestreitet (§ 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO), muss das Gericht über die Höhe des Schmerzensgeldes eine Ermessensentscheidung treffen. Hierbei sind dem Gericht trotz

11 Grundlegend zum Schmerzensgeld Johannes Unterreitmeier: Die Restitution von Schmach und

Schmerzen, JZ 2013, 425 ff.; Jörg Neuner: Das Schmerzensgeld, JuS 2013, S. 577 ff. 12 Das (erste) Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 18. August 1977,

BGBl. I, S. 1577 ff., änderte die Haftungshöchstgrenzen im StVG, im LuftVG und im damaligen ReichshaftpflichtG, das seither „HaftPflG“ heißt.

13 Zusammenfassend Gerhard Wagner: Das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz, NJW 2002, 2052 ff.

14 SCHÖNFELDER Nr. 33. 15 SCHÖNFELDER ERGÄNZUNGSBAND Nr. 36. 16 SCHÖNFELDER Nr. 27. 17 SCHÖNFELDER Nr. 28. 18 SARTORIUS Nr. 835.

— 22 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

der Regelung des § 308 ZPO durch die Angabe des Mindestbetrages von € 1.250,– kei-ne Grenzen nach oben gesetzt,19 es könnte also auch mehr als beantragt zuerkennen (wie es umgekehrt auch weniger zusprechen darf, wenn es das für angemessen ansieht).

Da sich Arm auf vergleichbare Entscheidungen in einer Schmerzensgeldtabelle20 bezieht und Schnell insoweit ebenfalls nicht widerspricht, wird das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von € 1.250,– zusprechen.

c) Ergebnis

Schnell ist daher zur Zahlung von € 1.250,– zu verurteilen.

Assoziationsliste wird kurz überprüft ● StVG

● Fahrer

Halter

● StVO: Fußgängerüberweg

● § 823 I BGB

● § 823 II BGB mit Schutzgesetz: StVO und StVG

VVG

● GVG Amtsgericht

● § 32 ZPO, § 20 StVG: Regensburg

● § 253 ZPO: unbestimmter Antrag (§ 253 II BGB)

● § 288 I ZPO: Höchstgeschwindigkeit leicht überschritten § 331 ZPO

C. Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) Da Arm in seiner Klage gegen Schnell mehrere Anträge stellt21, liegt eine objektive An-spruchshäufung22 vor. Sie ist nach § 260 ZPO zulässig, weil für sämtliche Ansprüche das Amtsgericht Regensburg als Prozessgericht sachlich (€ 3.000,–: § 5 ZPO, § 23 Nr. 1 GVG) und örtlich zuständig (§ 32 ZPO, § 20 StVG) sowie dieselbe Prozessart zulässig ist.

19 Dazu ausführlich BGHZ 132, 341 (350 f.). 20 Zum Beispiel: Susanne Hacks/Wolfgang Wellner/Frank Häcker: Schmerzensgeldbeträge, 31. Auflage,

Bonn 2013, und Andreas Slizyk: Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle 2014, 10. Aufl., München 2013, oder unter http://beck-online.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata/komm/IMMDAT/cont/IMMDAT.htm (Campuslizenz der Universität Regensburg).

21 Hierzu schon Fußn. 4. 22 Entsprechend der Überschrift von § 260 ZPO soll man diesen Ausdruck verwenden und nicht missver-

ständlich von „Klagehäufung“ sprechen, vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 73.

— 23 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

Hinweis: Nicht „dieselbe Prozessart“ liegt beispielsweise vor, wenn in der Klage auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935, 940 ZPO) gestellt wird oder wenn der Kläger in ein und der-selben Klage Ansprüche im Urkundenprozess (§ 593 Abs. 2 ZPO) und andere Ansprüche im normalen Verfahren geltend macht. Die Zuläs-sigkeit der Anspruchshäufung ist nicht etwa eine Sachurteilsvorausset-zung, so dass eine Klage abzuweisen wäre, falls sie eine solche unzu-lässige Häufung enthält. Vielmehr werden die unzulässigerweise ver-bundenen Ansprüche gemäß § 145 ZPO getrennt23.

D. Ergebnis

Das Amtsgericht wird der Klage stattgeben und Schnell zur Zahlung von € 3.000,- an Arm verurteilen.

II. Anträge auf Erlass eines Versäumnisurteils

gegen Reich und die Insolventia AG

Vorbemerkung zum Aufbau24 Wenn man sich an den Grundsatz des Prozessrechts hält, dass der letzte der gestellten Anträge der Ausgangspunkt der juristischen Überlegungen ist, ergeben sich keine Schwierigkeiten.

Der letzte der gestellten Anträge ist der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils. Daher muss über diesen Antrag entschieden werden.

Es ergibt sich dann folgender Aufbau:

1. Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Erlasses eines Versäumnisurteils.

2. Sind sie gegeben: Zulässigkeit der Klage.

3. Bei Zulässigkeit der Klage: Schlüssigkeit der Klage.

23 Deshalb darf die Zulässigkeit der Anspruchshäufung nicht im Rahmen der Erörterung der Sachurteils-

voraussetzungen (der Zulässigkeit der Klage) geprüft werden. Sie bildet vielmehr einen eigenen Gliede-rungspunkt, vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 150 mit Fußn. 21.

24 Zum Aufbau und zu den einschlägigen Vorschriften der ZPO bei der hier vorliegenden Säumnis des Beklagten: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 307 – 313; zur Prozesslage bei der Säumnis des Klägers: Schu-mann a. a. O., Rdnr. 298 – 306; vgl. auch Michael Huber: Grundwissen – Zivilprozessrecht: Säumnis des Beklagten, JuS 2013, 18 ff.

— 24 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

A. Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils

1. Antrag auf Versäumnisurteil Der Kläger hat im Termin den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt.

2. Säumnis im Termin — Die Insolventia AG, Reich und Schnell als notwendige Streitgenossen?

Reich und die Insolventia AG sind im Termin nicht erschienen und waren auch nicht anwaltlich vertreten. Hier stellt sich die Frage, ob die beiden als durch den anwesenden Streitgenossen Schnell vertreten anzusehen sind. Das müsste man bejahen, wenn die Beklagten notwendige Streitgenossen im Sinne des § 62 ZPO sind, d. h. wenn das strei-tige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden dürfte.25

a) Schnell und Reich

Fahrer und Halter eines Kraftfahrzeuges haften aufgrund verschiedener Normen, die an unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen anknüpfen, so dass die Entscheidung nicht einheitlich ausfallen muss. Zwischen Schnell und Reich liegt demzufolge keine notwendige Streitgenossenschaft vor.

b) Reich oder Schnell und die Insolventia AG

Anders könnte es zwischen dem Halter und Fahrer einerseits und dem Haftpflichtversi-cherer andererseits sein. § 124 Abs. 1 in Verbindung mit § 113 VVG und § 1 PflVG26 bestimmen, dass die rechtskräftige Verneinung des Ersatzanspruches gegen den Versi-cherer oder den Versicherungsnehmer jeweils zugunsten des anderen wirkt. Doch diese Rechtslage bewirkt keine Notwendigkeit der Übereinstimmung der Entscheidungen gegen Versicherungsnehmer und Versicherer, weil sich die Versicherung unter Umstän-den auch noch aus anderen Gründen entlasten kann. Deshalb sind weder Reich noch Schnell und die Insolventia AG notwendige Streitgenossen27.

Klausurtaktisch28 müssen die Bearbeiter bei der Frage der notwendi-gen Streitgenossenschaft im Rahmen der Säumnis von Reich und der Insolventia AG überlegen: Bejahen sie die notwendige Streitgenossen-schaft, sind Reich und die Insolventia AG nicht säumig und die Pro-bleme des Versäumnisverfahrens treten nicht auf. Folgen die Verfas-ser hingegen der herrschenden Meinung, kommt es zum Versäumnis-urteil und damit bieten sich klausurtechnisch die größeren Entfal-tungsmöglichkeiten. Da kaum anzunehmen ist, dass der Aufgabenstel-

25 Zur Streitgenossenschaft: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 91 – 96. 26 SCHÖNFELDER Nr. 63. 27 Herrschende Meinung, z. B. BGHZ 63, 51 (55); Reinhard Bork in: Friedrich Stein/Martin Jonas: ZPO,

22. Auflage, Tübingen 2004, § 62 Rdnr. 13; Wolfgang Grunsky: Zivilprozessrecht, 13. Auflage, Mün-chen 2008, Rdnr. 124; Rainer Hüßtege in: Heinz Thomas/Hans Putzo: ZPO, 34. Auflage, München 2013, § 62 Rdnr. 7.

28 Zur Klausurtaktik bei kontroversen Meinungen: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 39.

— 25 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

ler vom Versäumnisverfahren spricht, ohne dass es zum Versäumnis-urteil kommt, ist ferner zu vermuten, dass der Aufgabensteller eine notwendige Streitgenossenschaft verneint.

Folglich sind Reich und die Insolventia AG gemäß § 62 Abs. 1 ZPO im Termin nicht durch den anwesenden Schnell vertreten worden. Sie sind deshalb säumig.

3. Ordnungsgemäße Ladung Eine ordnungsgemäße Ladung gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (formgerecht gemäß §§ 214 ff., §§ 166 ff. ZPO und fristgerecht gemäß § 217 ZPO) liegt laut Sachverhalt vor.

4. Einhaltung der Einlassungsfrist Auch die Einlassungsfrist (§ 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO [Legaldefinition]) hat das Gericht beachtet. Sie ist bei Säumnis auf der Beklagtenseite wichtig (vgl. § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO)29.

B. Zulässigkeit der Klage Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen, wie bei der Klage gegen Schnell schon dargestellt, keine Bedenken.

C. Schlüssigkeit der Klage Es ist schließlich die Schlüssigkeit der Klage nach § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO zu untersuchen, d. h. zu prüfen, ob und inwieweit das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers, das wegen der Säumnis als zugestanden gilt, den Klageantrag rechtfertigt (vgl. § 288 Abs. 1 ZPO)30.

1. Gegen Reich als Halter

a) € 50,– für den ruinierten Anzug

(1) Der Anspruch dem Grunde nach

(a) Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG)

Als Anspruchsgrundlage kommt § 7 Abs. 1 StVG in Betracht. RA Klug hat vorge-tragen, dass Reich Halter eines Wagens ist und dass bei dessen Betrieb eine Sache (An-zug) beschädigt wurde. Somit sind die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 7

29 Näher Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 308 sub 5 und Rdnr. 309. 30 Zu typischen Fragen der Schlüssigkeit: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 315 – 322.

— 26 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

Abs. 1 StVG dargelegt.31 Die Klage ist folglich wegen des Anzuges aus § 7 Abs. 1 StVG dem Grunde nach schlüssig.

Dass der Kläger nicht auch noch vorgetragen hat, es habe kein Fall höherer Gewalt vor-gelegen (der die Ersatzpflicht des Halters nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen hätte), nimmt dem Klagevortrag nicht seine Schlüssigkeit. Vielmehr obliegt es dem Beklagten als dem Halter (und nicht dem Kläger als dem Verletzten), die Tatsache des „unabwend-baren Ereignisses“ in den Prozess einzuführen. Es trägt also im Unfallprozess des Ge-schädigten der Beklagte die Behauptungslast (subjektive Beweislast, Beweisführungs-last) für das Vorliegen eines „unabwendbaren Ereignisses. Daher hätte Reich für einen Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG behaupten müssen, dass der Unfall durch höhere Gewalt verursacht war. Wenn das — was anzunehmen ist — Arm bestritten hät-te, wäre Reich für dieses Vorbringen beweisbelastet gewesen.32

Hinweis:§ 7 Abs. 2 StVG enthält keine Legaldefinition der „höheren Gewalt“. Man kann aber auf die zu § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 3 Nr. 3 HaftpflichtG entwickelten Grundsätze zurückgreifen.33 Als höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis anzusehen, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlichen Mitteln auch durch die äusserste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist.34 Durch diese Gesetzesfassung35 ist der Entlastungsbeweis des Halters gegenüber Verletzten in den meisten Fällen faktisch ausgeschlossen.36 Damit sollen vor allem Kinder im Straßenverkehr geschützt werden.37 Al-lenfalls ist ein mitwirkendes Verschulden nach § 9 StVG, § 254 BGB des Verletzten zu berücksichtigen. Jedoch kann gemäß § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB Kindern bis zum vollendeten 10. Lebensjahr eine Ver-antwortlichkeit nicht mehr anspruchsmindernd entgegengehalten werden.38

31 Zu den Begriffen „Halter“ und „bei Betrieb des Kraftfahrzeuges“ siehe Kosziol (Fußn. 3), § 26 Rdnr. 5

– 6, 9 ff. 32 Vgl. BGH VersR 1980, 1078. Reich als Halter trägt nicht nur die subjektive Beweislast (er muss im

Prozess behaupten, es liege höhere Gewalt vor), sondern auch die objektive Beweislast, d. h. wenn er diese Behauptung nicht beweisen kann, geht das Gericht vom Nichtvorliegen der behaupteten Tatsache aus (dass also keine höhere Gewalt vorliegt).

33 Hermann Lemcke: Gefährdungshaftung im Straßenverkehr unter Berücksichtigung der Änderungen durch das 2. SchadÄndG, ZfS 2002, 318 (321); Kosziol (Fußn. 3), § 26 Rdnr. 15.

34 BGHZ 7, 338 (339); 62, 351 (354); BGH VersR 1988, 984. 35 Aufgrund des bereits erwähnten Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschrif-

ten (vgl. oben bei Fußn. 12 und 13): Das Gesetz tauschte den Begriff „unabwendbares Ereignis“ mit dem Ausdruck „höhere Gewalt“ aus.

36 Eckhard Höfle: Die Interessenskollision im Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, ZfS 2002, 413; Lemcke (Fußn. 33), 321.

37 Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Zwei-ten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/7752, S. 30.

38 Kosziol (Fußn. 3), § 26 Rdnr. 60 ff.

— 27 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

(b) Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB)

Deliktische Anspruchsgrundlagen wie § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen (§ 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO) kommen nicht in Betracht, weil Reich keine Verletzungshandlungen begangen hat.

(2) Der Anspruch der Höhe nach

Die Anspruchshöhe ist schlüssig behauptet.

(3) Ergebnis

Der Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde und der Höhe nach schlüssig dargelegt. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus.

b) € 200,– für das zerstörte Fahrrad

Hier gelten die soeben dargelegten Ausführungen entsprechend.

Ergebnis: Der Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde und der Höhe nach schlüssig dargelegt. Eine unerlaubte Handlung des Reich kommt auch hier nicht in Betracht.

c) € 800,– Heilungskosten

Hier gelten die soeben dargelegten Ausführungen entsprechend.

Ergebnis: Der Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde und der Höhe nach schlüssig dargelegt. § 823 BGB als Anspruchsgrundlage scheidet aus.

d) € 700,– Verdienstausfall

RA Klug hat die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG schlüssig dargelegt. Den Ersatz des Verdienstausfalls gewährt § 11 Satz 1 [2. Halbsatz] StVG.

Ergebnis: Der Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde und der Höhe nach schlüssig dargelegt. Nach § 823 BGB haftet Reich nicht.

e) € 1.250,– Schmerzensgeld

(1) Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG)

Als Halter (§ 7 Abs. 1 StVG) kann Reich in Anspruch genommen werden, weil die Hal-terhaftung auch den Ersatz des immateriellen Schadens umfasst (§ 11 Satz 2 StVG).

Wie schon dargelegt, hat das Zweite Gesetz zur Änderung schadenser-satzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 den bisherigen § 847 BGB gestrichen und das Verschuldenserfordernis für den Schmer-zensgeldanspruch beseitigt. Folgerichtig hat der Deutsche Bundestag den neuen § 11 Satz 2 StVG geschaffen, der dem § 253 Abs. 2 BGB entspricht.

Damit ist die Frage aufgeworfen, ob das Schmerzensgeld bei der Gefährdungshaftung (des Halters Reich) niedriger zu bemessen ist als bei der Verschuldenshaftung (des Fah-rers Schnell). Da Schnell den Unfall nur leicht fahrlässig verursacht hat, muss man diese Frage verneinen. Im Bereich der leichten Fahrlässigkeit sollte die Schmerzensgeld-

— 28 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

bemessung nicht unterschiedlich zur Gefährdungshaftung ausfallen. Die Recht-sprechung stellt bei der Schmerzensgeldbemessung die Ausgleichsfunktion in den Vor-dergrund.39 Die Genugtuungsfunktion40 wird im Bereich der leichten Fahrlässigkeit weitgehend ausgeblendet. Der Vorwurf leicht fahrlässigen Verhaltens ist so stark objek-tiviert und auf die Koordination menschlichen Verhaltens im Interesse der Schadens-vermeidung zugeschnitten, dass sich eine Abstufung der Schmerzensgeldbeträge je nachdem, ob der Schädiger noch sorgfaltsgemäß oder schon leicht fahrlässig gehandelt hat, verbietet.41 Demzufolge hat Reich ebenso wie Schnell für ein Schmerzensgeld in Höhe von € 1.250,– einzustehen.

(2) Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB)

Ein aus einer unerlaubten Handlung des Reich abgeleitetes Schmerzensgeld scheidet aus, weil Reich, wie gesagt, keine Verletzungshandlungen begangen hat

(3) Ergebnis

Der Klageantrag auf Schmerzensgeld ist daher dem Grunde und der Höhe nach schlüs-sig, aber nicht aus unerlaubter Handlung.

f) Ergebnis zur Schlüssigkeit

Die Schadensersatzklage gegen Reich ist also wegen des Antrags bezüglich des Anzugs, des Fahrrads, der Heilungskosten, des Verdienstausfalls und des Schmerzensgelds schlüssig (§ 7 Abs. 1 StVG).

2. Gegen die Insolventia AG als Haftpflichtversicherer

a) Notwendigkeit doppelter Schlüssigkeit

Bei Säumnis der Insolventia AG ist eine doppelte Schlüssigkeitsprüfung notwendig:

Erstens muss der Bearbeiter untersuchen, ob die Insolventia AG überhaupt direkt gemäß § 115 Abs. 1 VVG42 in Verbindung mit § 113 VVG und § 1 PflVG in Anspruch ge-nommen werden kann.

39 BGHZ 128, 117 (119); Armin Willingmann in: Wolfhard Kohte/Hans-W. Micklitz/Peter Rott/Klaus

Tonner/Armin Willingmann: Das neue Schuldrecht-Kompaktkommentar, Neuwied-München 2003, § 253 Rdnr. 20; Gerhard Küppersbusch/Heinz Otto Höher: Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Auflage, München 2013, Rdnr. 274.

40 Näher zur Genugtuungsfunktion unten Text zu Fußn. 63 ff. 41 Gerda Müller: Besonderheiten der Gefährdungshaftung nach dem StVG, VersR 1995, 489 (493 f.);

Wagner (Fußn. 13), 2054. Im Ergebnis auch Lemcke (Fußn. 33), 325; ebenso Christian Katzenmeier: Die Neuregelung des Anspruchs auf Schmerzensgeld, JZ 2002, 1029 (1031); Wolfgang Däubler: Die Reform des Schadensrechts, JuS 2002, 625 (626); Christian Grüneberg in: Otto Palandt: BGB, 73. Auf-lage, München 2014, § 253 Rdnr. 11; Willingmann in: Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann (Fußn. 39), § 253 Rdnr. 27; Arndt Teichmann in: Othmar Jauernig: BGB, 14. Auflage, München 2011, § 253 Rdnr. 3.

42 Der bisher in § 3 PflVG enthaltene Direktanspruch ist seit dessen Neufassung nunmehr im VVG ent-halten.

— 29 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

Zweitens muss Arm Grund und Höhe derjenigen Ansprüche gegen Schnell und Reich schlüssig dargestellt haben, für die die Insolventia AG direkt in Anspruch genommen werden kann.

b) Direkthaftung der Insolventia AG

Die Direkthaftung der Insolventia AG ist in der Klageschrift schlüssig behauptet. Inso-weit ergeben sich keine Bedenken.

c) Haftung des Schnell

Die Klageschrift legt schlüssig die Verpflichtung des Schnell zur Zahlung von € 50,– für den Anzug, € 200,– für das Fahrrad, € 800,– für die Heilungskosten, € 700,– für den Verdienstausfall sowie € 1.250,– Schmerzensgeld dar. Aus unerlaubter Handlung des Schnell und aus der Fahrerhaftung ist also ein schlüssiger Anspruch des Arm auf insge-samt € 3.000,– vorgetragen.

d) Haftung des Reich

Die Schadensersatzklage gegen Reich ist wegen des Antrages bezüglich des Anzuges, des Fahrrades, der Heilungskosten, des Verdienstausfalls und des Schmerzensgeldes aus Gefährdungshaftung schlüssig dargelegt.

e) Ergebnis zur Schlüssigkeit des Direktanspruches

Der Direktanspruch des Arm gegen die Insolventia AG in Höhe von € 3.000,– ist schlüssig behauptet.

D. Zulässigkeit eines gemeinsamen Versäumnisurteils über alle Ansprüche

Arm nimmt in ein und derselben Klage Schnell, Reich und die Insolventia AG in An-spruch und macht ferner jeweils mehrere Streitgegenstände geltend. Wenn dies zulässig ist, können alle drei Beklagten in einer gemeinsamen Entscheidung verurteilt werden.

1. Zulässigkeit der Streitgenossenschaft (§§ 59 f. ZPO) Die drei Beklagten Schnell, Reich und die Insolventia AG bilden eine Streitgenossen-schaft (auf der Passivseite). Sie ist gemäß § 59 ZPO zulässig, weil Arm geltend macht, dass die drei Beklagten aus demselben tatsächlichen Grund, nämlich aus dem Ver-kehrsunfall, verpflichtet sind. Gegen eine Verurteilung der drei Beklagten in ein und derselben Entscheidung erheben sich daher keine Bedenken.

Hinweis: Wie bei der objektiven Anspruchshäufung führt auch bei der Streitgenossenschaft43 die unzulässige Verbindung zur Trennung gemäß § 145 ZPO, nicht etwa zur Klageabweisung.44

43 Manchmal auch als „subjektive Anspruchshäufung“ bezeichnet.

— 30 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

2. Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) Auch die Verbindung der fünf Streitgegenstände zu einer Klage ist zulässig. Es gilt das oben zur Klage gegen Schnell Gesagte. Deshalb kann das Gericht in ein und derselben Entscheidung über alle fünf Streitgegenstände urteilen.

E. Versäumnisurteil gegen Reich und die Insolventia AG Das Amtsgericht wird gegen Reich und die Insolventia AG ein Versäumnisurteil erlas-sen.

III. Gesamtschuldnerische Haftung

von Schnell, Reich und der Insolventia AG

Reich, Schnell und die Insolventia AG haften als Gesamtschuldner nach § 840 BGB45. Eine vorrangige Regelung aus dem StVG greift insoweit nicht ein. Die gesamtschuldne-rische Haftung zwischen Reich und der Insolventia AG ergibt sich auch aus § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG.

IV. Ergebnis

Der Schadensersatzklage ist hinsichtlich des Anzuges, des Fahrrades, der Heilungskos-ten, des Verdienstausfalls und des Schmerzensgeldes stattzugeben (€ 50,– Anzug, € 200,– Velo, € 800,– Heilungskosten, € 700,– Verdienstausfall, € 1.250,– Schmerzens-geld = € 3.000,–), und zwar durch [kontradiktorisches] Urteil gegen Schnell und durch Versäumnisurteil gegen Reich und die Insolventia AG.

V. Exkurs: Tenor der Entscheidung

End- und Versäumnisurteil

I. Als Gesamtschuldner werden verurteilt, der Beklagte zu 1) [Schnell], der Beklagte zu 2) [Reich] durch Versäumnisurteil und

44 Die Zulässigkeit der Streitgenossenschaft darf deshalb keinesfalls im Rahmen der Zulässigkeit der

Klage geprüft werden (ebenso wenig wie die Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung, hierzu schon Fußn. 23).

45 Vgl. BGH NJW 2006, 896 (896 f.); Klaus Vieweg, in: Julius von Staudinger, BGB, Neubearbeitung Berlin 2007, § 840, Rdnr. 23 (S. 18). „Unerlaubte Handlung“ im Sinne von § 840 BGB ist weit zu ver-stehen. Erfasst ist jede gesetzliche Haftung aus wirklichem oder vermutetem Verschulden, ebenso aus Gefährdungshaftung, vgl. Renate Schaub in: Hanns Prütting/Gerhard Wegen/Gerd Weinreich: BGB, 8. Auflage, Köln 2013, § 840 Rdnr. 3; Sprau in: Palandt (Fußn. 10), § 840 Rdnr. 1. Eine Verantwortlich-keit mehrerer im Sinne des § 840 BGB liegt auch dann vor, wenn Verschuldens- und Gefährdungshaf-tung zusammentreffen, vgl. Vieweg a. a. O, § 840 Rdnr. 20.

— 31 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 1: Arm als Freiberufler

die Beklagte zu 3) [Insolventia AG] durch Versäumnisurteil an den Kläger € 3.000,– zu zahlen.

II. [Kosten des Rechtsstreits]

III. [Vorläufige Vollstreckbarkeit]

— 33 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

FALL 2:

ARM ALS ARBEITNEHMER

Wie in Fall 1 wurde Anton Arm von Siegfried Schnell beim Überqueren eines Fußgängerüberweges in Regensburg angefahren. Halter des Wagens ist Richard Reich, für den bei der Insolventia AG eine Haft-pflichtversicherung besteht. Arm erlitt einen Schlüsselbeinbruch sowie zahlreiche Prellungen und Ab-schürfungen.

Im Gegensatz zu Fall 1 ist Arm bei der Allerlei GmbH beschäftigt, gesetzlich sozialver-sichert und hat ein monatliches Bruttoeinkommen von € 2.300,–. Aufgrund der Verlet-zungen musste er sich von seinem Hausarzt behandeln lassen, den er bereits am Mo-natsanfang wegen einer starken Erkältung mehrfach aufgesucht hatte. Rechtsanwalt Klug erhebt im Namen des Arm Klage zum Amtsgericht Regensburg mit dem Antrag, Schnell, Reich und die Insolventia AG als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 4.300,– zu verurteilen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus € 1.000,– Verdienstausfall, € 800,– Heilungskosten sowie € 2.500,– Schmerzensgeld. In der Klageschrift schildert Rechtsanwalt Klug den Hergang des Unfalls und führt aus, Arm habe aufgrund seiner Verletzungen fast zwei Wochen nicht zu seiner Arbeit bei der Allerlei GmbH gehen können, weshalb der Verdienstausfall entstanden sei. In Bezug auf das Schmerzensgeld macht er geltend, dass Schnell „infolge des Genusses alkoholischer Getränke“ absolut fahruntüchtig war (2 o/oo Blutalkohol) und auch deshalb die zulässige Höchstgeschwin-digkeit von 50 km/h überschritten habe. Zur Höhe des Schmerzensgeldanspruches ver-weist Klug auf vergleichbare Urteile in einer Schmerzensgeldtabelle. Im frühen ersten Termin vor dem Amtsgericht erscheint auf der Beklagtenseite — trotz ordnungsmäßiger Ladung aller Beteiligten und trotz Einhaltung der Einlassungsfrist — nur Schnell. Wie in Fall 1 räumt er ein, dass der Unfall für ihn vermeidbar gewesen ist, da er aus Unachtsamkeit die zulässige Höchstge-schwindigkeit überschritten habe.

Die Vorwürfe zu seinem Alkoholkonsum bestreitet Schnell ebenfalls nicht. Er bezwei-felt allerdings, ob Arm berechtigt sei, den Verdienstausfall geltend zu machen. So sei dem Arm etwa durch die Arbeitsunfähigkeit kein Schaden entstanden; denn die Allerlei GmbH habe ihn auch während seiner Arbeitsunfähigkeit voll entlohnt, was Rechtsan-walt Klug bestreitet. Am Schluss des Termins beantragt Rechtsanwalt Klug, die Beklag-ten als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 4.300,– zu verurteilen und dies gegenüber dem nicht erschienenen Reich und der nicht erschienenen Insolventia AG durch Ver-säumnisurteil vorzunehmen. Schnell beantragt Abweisung der Klage.

Frage 1: Wie wird das Amtsgericht Regensburg entscheiden?

Frage 2: Welche Rechtsbehelfe haben die Parteien gegen die Entscheidung des Amts-gerichts?

— 34 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Frage 3: Ändert sich etwas an der Entscheidung des Amtsgerichts, wenn Rechtsanwalt Klug nicht bestreitet, dass Arm von der Allerlei GmbH während seiner Arbeits-unfähigkeit voll entlohnt worden sei?

Frage 4: Ändert sich etwas an der Entscheidung des Amtsgerichts, wenn Schnell in der mündlichen Verhandlung die gegen ihn geltend gemachten Klageansprüche anerkennt?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 35 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Erinnerung an das Prinzip

„Personen vor Sachen“: Bei einer Streitgenossenschaft (auf der Aktiv- oder auf der Passivseite) beginnt der Aufbau mit einer Gliederung nach den Prozessrechtsverhältnissen.

Erinnerung an ein zweites Aufbauprinzip: Innerhalb des jeweiligen Prozessrechtsver-hältnisses gilt der Satz:

„Anträge vor Ansprüchen“. Wenn eine Mehrheit von prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen, Klageanträgen)

vorliegt, werden sie nacheinander geprüft.

Erst innerhalb des Streitgegenstandes kommt es für den Aufbau auf die

materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen an.

Hier empfiehlt sich zum Beispiel der Aufbau:

1. Vertrag

2. Gefährdung

3. Delikt

Vertragliche Ansprüche im Unfallprozess Bei Ansprüchen nach § 7 StVG des Fahrgastes,

z. B. gegen den Taxiunternehmer:

Bei entgeltlicher, geschäftsmäßiger Personenbeförderung ist kein Haftungsausschluss zulässig wegen Tötung oder Körperverletzung (§ 8 a StVG), ein Haftungsausschluss bei Sachschäden nur, soweit € 1.000 überschritten werden.

(§ 23 PBefG – SARTORIUS Nr. 950).

— 36 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Lösung

Frage 1: Wie wird das Amtsgericht Regensburg entscheiden?

I. Klage gegen Schnell

A. Zulässigkeit der Klage Das AG Regensburg ist gemäß § 32 ZPO, § 20 StVG örtlich zuständig. Der geltend gemachte Betrag von € 4.300,– liegt innerhalb der amtsgerichtlichen sachlichen Zustän-digkeit (§ 1 ZPO, § 23 Nr. 1 GVG).

Das Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist bei einem Schmerzens-geldantrag dadurch erfüllt, dass der Kläger in der Klage seine Verletzungen schildert und die ungefähre Größenordnung des geforderten Schmerzensgeldes angibt.46

Ergebnis: Die Klage ist zulässig.

B. Begründetheit der Klage

1. € 1.000,– Verdienstausfall

a) Der Anspruch dem Grund nach

(1) Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 StVG)

Der Antrag auf Ersatz des Verdienstausfalls kann auf § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG in Ver-bindung mit § 7 Abs. 1 StVG gestützt werden.

Schnell hat als Fahrer eines Kraftfahrzeuges bei dessen Betrieb den Arm schuldhaft (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG) am Körper verletzt. Gemäß § 11 Satz 1 StVG hat Arm einen Ersatzanspruch wegen des Vermögensnachteils, den er dadurch erlitten hat, dass infolge der Verletzung seine Erwerbsfähigkeit zeitweise aufgehoben war.

Mit dem Einwand, Arm habe wegen der Entgeltfortzahlung der Allerlei GmbH keinen Schaden erlitten, bestreitet Schnell nicht die Entstehung des Anspruches47. Rechtlich ist der Einwand vielmehr so auszulegen, dass Schnell behauptet, Arm sei nicht mehr Inha-

46 Einzelheiten bei Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 59 mit weiteren Nachweisen und Kosziol (Fußn. 3), § 29

Rdnr. 36. 47 Vgl. Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), Vorbem. vor § 249 Rdnr. 87; Walter Weidenkaff in: Otto Pa-

landt: BGB, 73. Auflage, München 2014, § 616 Rdnr. 31.

— 37 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

ber des Anspruches, weil eine cessio legis nach § 6 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG, SCHÖNFELDER Ergänzungsband Nr. 80) eingetreten wäre, so dass nunmehr die Allerlei GmbH Inhaber der Forderung sei.

Im Unterschied zu § 116 SGB X48 (abgedruckt SCHÖNFELDER § 823 BGB Fußnote 4) tritt bei § 6 Abs. 1 EFZG die cessio legis nur ein, wenn und soweit tatsächlich Entgelt-fortzahlung geleistet wurde. Da hier bestritten ist, dass Arm von der Allerlei GmbH Lohnfortzahlung erhalten hat, ist entscheidend, wer hierfür die (objektive) Beweislast trägt. Bei dem Einwand von Schnell handelt es sich um eine anspruchsvernichtende Einrede, weil Schnell mit seiner Behauptung nicht geltend macht, der Anspruch sei überhaupt nicht entstanden, sondern vorbringt, der Anspruch stehe dem Kläger zum Zeitpunkt der Klage nicht mehr zu. Für diese anspruchsvernichtende Behauptung trägt Schnell die (objektive) Beweislast. Das Gericht hat, da kein Beweis erbracht wurde, da-von auszugehen, dass keine cessio legis eingetreten ist. Folglich ist der Antrag des Klä-gers Arm auf Zahlung des Verdienstausfalls erfolgreich.49

(2) Deliktshaftung

(a) § 823 Abs. 1 BGB

Der Klageantrag auf Ersatz des Verdienstausfalls kann ferner auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden. Es liegt eine widerrechtliche und schuldhafte Körperverletzung vor. Gemäß § 842 BGB hat Arm auch einen Anspruch auf Geldersatz wegen des entgange-nen Gewinns (vgl. auch § 249 Abs. 1, § 252 BGB). Hinsichtlich der nicht nachgewiese-nen cessio legis nach § 6 Abs. 1 EFZG gilt das oben Ausgeführte entsprechend.

(b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO

Daneben kann der Antrag auch noch auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den vier folgenden Schutzgesetzen § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO ge-stützt werden. Wegen Art und Umfang des Anspruches (§ 842 BGB; vgl. auch § 249 Abs. 1, § 252 BGB) und wegen § 6 Abs. 1 EFZG gelten die bisherigen Ausführungen.

b) Der Anspruch der Höhe nach

Die Höhe des Schadensersatzes ist unstreitig (§ 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO).50

c) Ergebnis

Schnell ist zur Zahlung von € 1.000,– zu verurteilen.

48 Vgl. sogleich beim Streitgegenstand „Heilungskosten“. 49 Zur Beweislast: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 31 mit Fußn. 3 ff. sowie Klaus Reichold in: Heinz Tho-

mas/Hans Putzo: ZPO, 34. Auflage, München 2013, Vorbem. vor § 284 Rdnr. 17 ff.; zum Beweisrecht in der Fallbearbeitung Schumann a. a. O., Rdnr. 288 – 296.

50 Anders wäre es, wenn der Rechtsanwalt des Schnell bestritten hätte, dass Arm einen Verdienstausfall in der Höhe von € 1.000,– gehabt hat. Zu der Berechnung von Verdienstausfall, vgl. BGH NJW 1999, 3711; auch Edgar Hofmann: Gelungene Synthese oder Scheinlösung? Zum erstrebten Gleichklang zwi-schen modifizierter Nettolohnmethode und Bruttolohnmethode bei der Berechnung des Erwerbsscha-dens, NZV 1993, 139 – 141.

— 38 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Exkurs: Berechnungsmethode für Verdienstausfall Brutto- oder Nettolohnklage

Wie in sämtlichen vergleichbaren Prozessen stellt sich auch für Rechtsanwalt Klug die Frage, ob er bei dem Schadensersatz wegen Verdienstausfall in Höhe von € 1.000,– den Brutto- oder den Netto-Betrag geltend machen muss.

Während des Zeitraums der Gehaltsfortzahlung nach dem EFZG ist stets der Bruttogehalt einzuklagen.51 Denn während dieses Zeitraums werden weiterhin Sozialversicherungsabgaben und Steuern fällig, die Arm ersetzt verlangen kann.52

Für den Zeitraum nach der Entgeltfortzahlung hat der BGH zwei Be-rechnungsmethoden anerkannt, die letztlich zu demselben Ergebnis kommen.53 Macht der Geschädigte den Bruttolohn geltend (Brutto-lohntheorie), muss der eingeforderte Betrag um die unfallbedingten Vorteile des Geschädigten vermindert werden (z. B. entfallen mög-licherweise Sozialversicherungsbeiträge). Macht der Geschädigte hingegen das Nettoeinkommen geltend, muss der Betrag um bestehen bleibende unfallbedingte Nachteile aufgestockt werden (z. B. Lohn-steuer für den geforderten Betrag). Nach der Rechtsprechung des BGH ist allein maßgebend, dass nach beiden Berechnungsmethoden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, soweit sie wegen des Schadensfalls nicht mehr anfallen, aus dem Schadensersatzanspruch des Geschädig-ten herausgenommen werden.54

Als „Faustregel“ gilt daher: Der Bearbeiter soll stets der Bruttolohn-theorie folgen (also immer den Bruttolohn verlangen). Nach dem En-de der Entgeltfortzahlung sind unter Umständen aber Einsparungen des Geschädigten abzuziehen.

2. € 800,– Heilungskosten

a) Cessio legis gemäß § 116 SGB X

Da Arm gesetzlich sozialversichert ist, hat er gegen den Träger der gesetzlichen Kran-kenversicherung einen Anspruch auf Heilbehandlung nach dem SGB V. Die Kosten der Heilbehandlung hat somit nicht Arm, sondern dessen Krankenkasse zu tragen. Hier greift § 116 Abs. 1 SGB X (abgedruckt SCHÖNFELDER § 823 BGB Fußnote 4) ein.55 Da-nach findet bereits im Augenblick des schadensstiftenden Ereignisses ein gesetzlicher Übergang (cessio legis) der Forderung des Klägers Arm gegen den Beklagten Schnell auf den Sozialversicherungsträger statt, d. h. Entstehung und Übergang der Forderung vollenden sich in demselben Augenblick.56

51 BGHZ 43, 378 (380 ff.). 52 Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 252 Rdnr. 7. 53 BGHZ 127, 391 (393 ff.). 54 BGHZ 127, 391 (395). 55 Zur Falltechnik: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 50 Beispiel 22; vgl. auch Grüneberg in: Palandt

(Fußn. 41), Vorbemerkungen vor § 249 Rdnr. 112 ff. 56 BGHZ 48, 181 (184 ff.) bereits zu § 1542 Reichsversicherungsordnung [RVO] vom 19. Juli 1911 in der

Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (§ 1542 RVO war die Vorgängervorschrift von § 116 SGB X) sowie BGHZ 132, 39 (44 f.) zur heutigen Regelung; dazu auch: Katharina von Koppen-

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— 39 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Da die Forderung bereits im Zeitpunkt der Entstehung auf den Sozial-versicherungsträger übergegangen ist, bedeutet dies gleichzeitig, dass Arm in derselben „logischen Sekunde“ die Inhaberschaft an dieser Forderung verloren hat. Arm besitzt folglich wegen fehlender Aktivlegitimation keinen Anspruch auf Erstattung der Hei-lungskosten.57

b) Ergebnis

Das Gericht muss also diesen Klageantrag abweisen.

Hinweis: Im Zusammenhang mit der cessio legis nach § 116 SGB X ist wichtig, dass § 86 VVG58 eine andere Regelung für die Privatver-sicherung trifft. Nach § 86 VVG geht die Schadensersatzforderung des Versicherungsnehmers gegen den Dritten erst in dem Augenblick über, in dem der Versicherer den Schaden dem Versicherungsnehmer tatsächlich ersetzt. Die Forderung geht ferner stets nur in dem Umfang über, in dem der Versicherer Ersatz leistet.

Dasselbe gilt für die im Beamtenrecht niedergelegte cessio legis bei Dienstunfähigkeit des Beamten, Art. 14 BayBG.

Exkurs Arzneimittelkosten und Krankenhauskosten, frühere

Praxisgebühr

Bei manchen Heilungskosten kann allerdings eine Aktivlegitimation des Geschädigten (Arm) bestehen. Denn bestimmte Heilungskosten muss der gesetzlich Versicherte trotz der allgemeinen Leistungspflicht seiner Krankenkasse selbst tragen. So hat gemäß § 31 Abs. 1 SGB V der Versicherte keinen Anspruch auf Versorgung für die nach § 34 Abs. 1 SGB V von der Versicherung ausgeschlossenen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Der Versicherte muss die Kosten für diese Arzneimittel somit selbst tragen.59

Ferner kommt gemäß § 31 Abs. 2 SGB V die Krankenkasse für bestimmte Arznei- oder Verbandsmittel insoweit nicht auf, als deren

fels-Spies: Die cessio legis, Tübingen 2006, S. 18 ff.; Raimund Waltermann: Sozialrecht, 10. Auflage, Heidelberg 2012, Rdnr. 596; Jürgen Nehls in: Karl Hauck/Hartmut Haines: Sozialgesetzbuch SGB X/2, Kommentar, Hamburg Stand: Januar 2007, § 116 Rdnr. 22; Kosziol (Fußn. 3), § 29 Rdnr. 44. Die RVO 1911 vereinigte in der einen Norm des § 1542 vor allem die zahlreichen inhaltsgleichen Vorschriften der Bismarckschen Sozialgesetzgebung der Jahre 1883 bis 1889 (vgl. Simone Schims: Der gesetzliche Forderungsübergang, Berlin 2006, S. 82 Fußn. 285); vgl. auch BGH NJW 2012, 3639 ff.: Zeitpunkt des Anspruchsübergangs bei Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers.

57 Da im Sachverhalt nichts anderes angegeben ist, muss der Bearbeiter davon ausgehen, dass Arm den Unfall nicht auf dem Weg zur Arbeitsstätte erlitten hat. Die Unterscheidung zwischen einem Unfall auf einem „privaten Weg“ oder einem „Arbeitsstättenweg“ ist eine wichtige sozialversicherungsrechtliche Frage. Der Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte gilt als Arbeitsunfall (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII). Dann ist für sämtliche Heilbehandlung der Unfallversicherungsträger (z. B. gewerbliche oder landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften, vgl. § 114 Abs. 1 SGB VII) und nicht die Krankenkasse zuständig (§ 26 SGB VII, § 11 IV SGB V). Dessen Leistungspflichten können erheblich weiter reichen als die der sonstigen Sozialversicherungsträger. Um eine möglichst umfassende soziale Absicherung für seinen Mandanten Arm zu erreichen, wird RA Klug ihm die Frage gestellt haben, auf welchem Weg sich der Mandant befunden hat. Ausführlich dazu Hermann Lemcke/Rainer Heß/Michael Burmann: Der Verkehrsunfall als Arbeitsunfall, NJW-Spezial 2008, 617 f.

58 SCHÖNFELDER Nr. 62. 59 Dazu Thomas Flint in: Karl Hauck/Hartmut Haines: Sozialgesetzbuch V/2, Gesetzliche Krankenversi-

cherung, Kommentar, Hamburg, Stand: November 2009, § 31 Rdnr. 55; § 34 Rdnr. 3 ff.

— 40 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Kosten die dafür vorgesehenen Festbeträge übersteigen.60 Außerdem haben volljährige Versicherte gemäß § 31 Abs. 3 SGB V für Arznei- und Verbandsmittel Zuzahlungen je nach Packungsgröße zu leisten.

Dasselbe galt hinsichtlich der (seit Beginn des Jahres 2013 abgeschafften) Praxisgebühr (§ 28 Abs. 4 SGB V a. F.).

Soweit demnach die Kosten für Arznei- und Verbandsmittel nicht vom Sozialversicherungsträger übernommen werden, erfolgt auch kein Forderungsübergang nach § 116 SGB X61. Der Geschädigte bleibt insoweit aktivlegitimiert.

Bei Krankenhauskosten belastet § 39 Abs. 4 SGB V volljährige Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen und in begrenztem Umfang ebenfalls mit Zuzahlungen. Die Krankenkasse ist Gläubigerin des Zuzahlungsanspruches62. Der Geschädigte kann deshalb auch solche Kosten vom Schädiger verlangen und besitzt daher auch hierfür die Aktivlegitimation.

3. € 2.500,– Schmerzensgeld

a) Der Anspruch dem Grunde nach

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG, § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB (in Verbindung mit § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 26 Abs. 1 StVO), § 253 Abs. 2 BGB kann Arm von Schnell Schmerzensgeld verlangen. Insoweit ergeben sich keine Unterschiede zum Fall 1.

b) Der Anspruch der Höhe nach

Schnell bestreitet nicht die für die Bemessung des Schmerzensgeldes vorgebrachten Tatsachen. Demzufolge sind die Tatsachen gemäß § 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO als zugestanden anzusehen.

Bei der Ermessensentscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldanspruches taucht die Frage auf, ob die Höhe des Schmerzensgeldes unterschiedlich ist, je nachdem, ob es sich auf einen Anspruch aus Gefährdungshaftung oder aus Verschuldenshaftung grün-det. Die Lösung des Falles 1 verneinte diese Frage, wenn nur leichte Fahrlässigkeit — wie sie bei Schnell dort vorlag — dem Schädiger vorzuwerfen ist. Nachdem hier jedoch eine Trunkenheitsfahrt vorliegt und daher nicht mehr von leichter Fahrlässigkeit gespro-chen werden kann, stellt sich das Problem, ob das Schmerzensgeld jedenfalls dann un-terschiedlich zu bemessen ist, wenn die Rechtsgutverletzung auf einem schweren Ver-schulden oder sogar auf Vorsatz beruht. Konkret ausgedrückt: Ist das Schmerzensgeld geringer, wenn es nur auf der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung des StVG oder auf leichter Fahrlässigkeit beruht, und ist es höher, falls der Schädiger grob fahr-lässig oder vorsätzlich eine unerlaubte Handlung beging?

60 Flint in: Hauck/Haines (Fußn. 59), § 35 Rdnr. 5 ff. 61 Jürgen Nehls in: Karl Hauck/Hartmut Haines: SGB V, Hamburg, Stand: November 2009, § 116

Rdnr. 10. 62 Wolfgang Noftz in: Hauck/Haines SGB V (Fußn. 61),§ 39 Rdnr. 136a.

— 41 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

(1) Genugtuungsfunktion bis zum Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften

Bis zum Inkrafttreten des schon mehrfach erwähnten Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 war anerkannt, dass beim An-spruch auf Schmerzensgeld das Verschulden nicht nur für das „Ob“, sondern auch für das „Wie viel“ bedeutsam ist. Die Höhe des Schmerzensgeldes hing daher davon ab, ob der Täter vorsätzlich, grob fahrlässig oder nur leicht fahrlässig gehandelt hatte. Grund für die Differenzierung war die Genugtuungsfunktion63 des Schmerzensgeldes, die ihm neben der im Vordergrund stehenden64 Ausgleichsfunktion65 zukam.

(2) Genugtuungsfunktion seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften

Seitdem das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften er-möglicht hat, Schmerzensgeld auch ohne ein schuldhaftes Verhalten zuzusprechen, stellt sich die Frage, ob Gesichtspunkte des Verschuldens nunmehr bei Schmerzens-geldfragen überhaupt keine Bedeutung mehr haben, so dass für die Höhe eines Schmer-zensgeldes der Grad des Verschuldens nicht mehr bedeutungsvoll ist. Aus der Entste-hungsgeschichte des Gesetzes lässt sich zu diesem Problem nichts entnehmen.66 Die Zielrichtungen des Gesetzes67 sind zudem unterschiedlich, wenn nicht zum Teil gegen-läufig. Dem Opferschutz würde ein Festhalten an der Genugtuungsfunktion entspre-chen. Hingegen diente die Preisgabe der Genugtuungsfunktion einer Entlastung der Prozesse von der Verschuldensfrage68. Immerhin überlässt der Gesetzgeber die Ent-wicklung des Schmerzensgeldrechts ausdrücklich der Rechtsprechung und verzichtete deshalb auf die von der Bundesregierung vorgeschlagene Bagatell-Schwelle69.

In der Wissenschaft lässt sich noch keine herrschende Meinung feststellen. Die Recht-sprechung hält sichtlich an der Genugtuungsfunktion fest. Einen Mittelweg ging das OLG Celle in einer neueren Entscheidung70. Zwar geht es auch bei Straßenverkehrsde-likten ausdrücklich weiterhin von einer Doppelfunktion des Schmerzensgeldes aus. In

63 Vgl. Entscheidung des Großen Senats des BGH für Zivilsachen vom 6. Juli 1955 BGHZ 18, 149 (154,

157), BGHZ 128, 117 (120 ff.): „Doppelfunktion des Schmerzensgeldes“. Das Schmerzensgeld dient nicht nur dem Ausgleich der Schäden, sondern ist auch dazu bestimmt, dem Geschädigten Genugtuung für das erlittene Unrecht zu gewähren.

64 Schon BGHZ (Fußn. 39) 128, 119; Lemcke (Fußn. 33), 325; Wagner (Fußn. 13), 2054. 65 S. auch oben Fußn. 39. 66 Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses,

BT-Drs. 14/8780. 67 Hierzu z. B. Wagner (Fußn. 13), 2054. 68 Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Zwei-

ten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/7752, Begründung sub A. III. 3 (S. 15 [li. Sp.]: „Rationalisierungseffekt für das gerichtliche Verfahren“); Grüneberg in: Pa-landt (Fußn. 41), § 253 Rdnr. 11; Willingmann in: Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann (Fußn. 39), § 253 Rdnr. 27.

69 Beschlussempfehlung usw. (Fußn. 66), Bericht sub II. 1 (S. 20 [li. Sp.]) und II. 2. „Zu Artikel 2 Nr. 2 (Änderung des § 253 BGB)“, S. 21.

70 OLG Celle, NJW 2004, 1185 f.

— 42 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Fällen der Gefährdungshaftung sei jedoch eine Abgrenzung zu einfacher Fahrlässigkeit entbehrlich, weil bei dieser die Genugtuungsfunktion weitgehend hinter die Ausgleichs-funktion in den Hintergrund trete. Das Schmerzensgeld sei deshalb bei beiden Haftungs-formen in gleicher Höhe zu bemessen. Dies entspräche dem mit der Gesetzesänderung beabsichtigten Vereinfachungszweck. Hingegen wirke ein grober Verkehrsverstoß wei-terhin schmerzensgelderhöhend. Es ist für die Klausur daher durchaus anzuraten, bei der Höhe des Schmerzensgeldes weiterhin das schwere Verschulden des Täters zu berück-sichtigen.71

(3) Die Genugtuungsfunktion führt zu einem erhöhten Schmerzensgeld wegen grober Fahrlässigkeit des Schnell

Schnell bestreitet nicht, dass er „infolge des Genusses alkoholischer Getränke“ (vgl. § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a und § 316 Abs. 1 StGB) absolut fahruntüchtig war (2 o/oo Blutal-kohol) und auch deshalb die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschrit-ten hat. Demzufolge ist die Tatsache gemäß § 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO als zuge-standen anzusehen. Damit hat er im groben Maße die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet. Daher ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes dieses schwere Ver-schulden zu berücksichtigen und Schnell zu dem beantragten Schmerzensgeld in Höhe von € 2.500,– zu verurteilen.72

c) Ergebnis

Schnell ist zur Zahlung von € 2.500,– zu verurteilen.

Exkurs:

Präventionszweck des Schadensersatzrechts besonders bei Persönlichkeitsverletzungen

Die herkömmliche Ansicht gibt, wie schon dargestellt, dem Scha-densersatzrecht die Ausgleichsfunktion und die Genugtuungsfunktion. Bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts erscheint die Genug-tuungsfunktion als „tragende zivilrechtliche Grundlage“ für die Ge-währung eines Schmerzensgeldes73. Zunehmend mehren sich die

71 So etwa auch Gesetzentwurf (Fußn. 68) a. a. O.: „Und im Verschuldensfalle kann die Genugtuung

weiterhin bei der konkreten Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden, wenn dies im Einzelfall notwendig erscheint.“ So auch Däubler (Fußn. 41), 626; Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 253 Rdnr. 11; Hans-Bernd Schäfer/Claus Ott: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl., Berlin-Heidelberg-New York 2012, S. 404; Teichmann in: Jauernig (Fußn. 41), § 253 Rdnr. 3; David von Mayenburg: Die Bemessung des Inkommensurablen, Berlin 2012, S. 35 ff.; ablehnend Willingmann in: Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann (Fußn. 39), § 253 Rdnr. 27.

72 Zur Schmerzensgeldhöhe bei absoluter Fahruntüchtigkeit und ähnlichen Verletzungsfolgen: Hacks/Ring/Böhm (Fußn. 20), Nr. 947, S. 156 (Urteil des OLG Saarbrücken). Vgl. auch Schäfer/Ott (Fußn. 71), S. 370 ff. und OLG Frankfurt a. M., Zeitschrift für Schadensrecht 2005, 597: Das Gericht verdoppelte unter Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion den erstinstanziellen Schmerzensgeldbe-trag wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalls durch einen erheblich (2,5 o/oo) alkoholisierten Geisterfahrer.

73 Gottfried Schiemann in: Julius von Staudinger: BGB, Neubearbeitung Berlin 2005, § 253 Rdnr. 53.

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Stimmen, die den Gedanken der Prävention betonen74, der neben dem bei der Persönlichkeitsverletzung im Vordergrund stehenden Gesichts-punkt der Genugtuung des Opfers stehe.75 Angesichts der europäi-schen und weltweiten Tendenzen, den Persönlichkeitsschutz zu stär-ken, ist eine Auffassung im Vordringen, die bei solchen Verletzungen die Geldentschädigung in erster Linie in den Dienst des Präventions-zweckes stellt.76 Damit übernimmt das Privatrecht nicht Aufgaben des Strafrechts. Zwar zählt die Verhütung zukünftiger Delikte durch Ab-schreckung zu den Kernaufgaben des Strafrechts; aber es erhebt inso-weit keinen Exklusivanspruch. Das Privatrecht kennt seinerseits Rege-lungen, deren Zweck darin besteht, den Adressaten zu einem be-stimmten Verhalten zu veranlassen, so z. B. das gesamte Schadenser-satzrecht77 oder die Möglichkeit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB).

74 Schiemann in: Staudinger (Fußn. 73), § 253 Rdnr. 54; Gerald Spindler in: Heinz Georg Bamber-

ger/Herbert Roth: BGB, 3. Auflage, München 2012, § 253 Rdnr. 17; Maximilian Fuchs/Werner Pauker: Delikts- und Schadensersatzrecht, 8. Auflage, Berlin-Heidelberg 2012, S. 53 f.; Tilman Hoppe: Persön-lichkeitsschutz durch Haftungsrecht, Berlin 2001, S.144 f.; Hermann Lange/Gottfried Schiemann: Handbuch des Schuldrechts, Schadensersatz, 3. Auflage, Tübingen 2003, S. 11. Ausführlich zum Prä-ventionsschadensersatz vgl. Gerhard Wagner: Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, Kommerzia-lisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Gutachten A, München 2006, S. A 78 ff. sowie ders.: Geldersatz für Persönlichkeitsverletzung, ZEuP 2000, 200 (207 f.).

75 Vgl. BGHZ 128, 1 (15): „Außerdem“ … „der Prävention dienen“; vgl. BGH NJW 1996, 985, zum Präventionsgedanke bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; Axel Beater in: Hans Theo-dor Soergel: BGB, 13. Auflage, Stuttgart 2005, § 823 Anh IV Rdnr 247.

76 Hierzu Georg Maier-Reimer: Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, Kommerzialisierung, Straf-schadensersatz, Kollektivschaden, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Band II/1, Mün-chen 2006, L 33 (44, 55 [sub These 9 b)]).

77 Die Androhung der Verpflichtung zum „normalen“ kompensatorischen Schadensersatz wirkt auch präventiv, vgl. Wagner (Fußn. 74), S. A 78.

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Exkurs: Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte

bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet Die in der Praxis äußerst wichtige Frage nach dem Bestehen der inter-nationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte (§ 32 ZPO, Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) bei Persönlichkeitsverletzungen durch im Internet abruf-bare Veröffentlichungen hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2010 bejahend beantwortet, sofern die als rechtsverletzend beanstan-deten ausländischen Internetinhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland aufweisen.78 Die bloße Abrufbarkeit im In-ternet begründet allerdings nicht bereits die deutsche internatio-nale Zuständigkeit79.

C. Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) Da Arm in seiner Klage gegen Schnell mehrere Anträge stellt80, liegt eine objektive An-spruchshäufung81 vor. Sie ist nach § 260 ZPO zulässig, weil für sämtliche Ansprüche das Amtsgericht Regensburg als Prozessgericht sachlich (€ 4.300,–: § 5 ZPO, § 23 Nr. 1 GVG) und örtlich zuständig (§ 32 ZPO, § 20 StVG) sowie dieselbe Prozessart zulässig ist.

D. Ergebnis Schnell ist zur Zahlung von € 3.500,– (€ 1.000,– Verdienstausfall und € 2.500,– Schmerzensgeld) zu verurteilen. Im Übrigen (€ 800,– Heilungskosten) ist die Klage abzuweisen.

II. Exkurs: Der neu im BGB

geregelte medizinische Behandlungsvertrag82

Ende 2012 hat der Deutsche Bundestag in das BGB Vorschriften über den medizinischen Behandlungsvertrag eingefügt (§ 630a bis § 630h n. F. BGB)83. Er erscheint als ein „neuer besonderer Dienstvertrag-

78 BGHZ 184, 313 (320 ff.). 79 BGHZ 184, 313 (320). 80 Hierzu schon Fußn. 4. 81 Entsprechend der Überschrift von § 260 ZPO soll man diesen Ausdruck verwenden und nicht missver-

ständlich von „Klagehäufung“ sprechen, vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 73. 82 Grundlegend: Angie Schneider: Der Behandlungsvertrag, JuS 2013, 104 ff. 83 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 (BGBl I, S.

277).

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

typ“84 und ist dementsprechend im Anschluss an die Vorschriften über den Dienstvertrag (§ 611 bis § 630 BGB) geregelt. Die Qualifikation des Behandlungsvertrags als eines Dienstvertrags folgt der überein-stimmenden Ansicht in Rechtsprechung und Lehre85.

Nach § 630a Abs. 1 BGB n. F. wird derjenige, der die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Legaldefinition des „Behan-delnden“) zur Leistung der versprochenen Behandlung und der Patient zur vereinbarten Vergütung verpflichtet. Dabei unterscheidet § 630a Abs. 1 BGB n. F. nicht zwischen gesetzlich oder privat krankenversi-cherten Patienten. Der Behandlungsvertrag kommt also unabhängig davon zustande, ob der Patient privat oder gesetzlich oder überhaupt nicht krankenversichert ist. Soweit jedoch ein Dritter dem Behandeln-den unmittelbar zur Zahlung verpflichtet ist, entfällt die Vergütungs-pflicht des Patienten (§ 630a Abs. 1 BGB). Dies ist der Fall, soweit der Patient sozialversicherungsrechtliche Leistungen zu beanspruchen hat. Dann überlagert das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung das BGB mit der Folge, dass sich der Behandlungsvertrag in ein ge-genüber dem Patienten einseitiges Vertragsverhältnis umwandelt, in dem der Behandelnde zwar die versprochene Behandlung, der Patient selbst aber nicht die Vergütung schuldet.86

III. Anträge auf Erlass eines Versäumnisurteils

gegen Reich und die Insolventia AG

A. Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils Der Kläger hat im Termin den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt. Reich und die Insolventia AG sind im Termin nicht erschienen und auch nicht anwaltlich ver-treten. Reich und die Insolventia AG sind, wie bereits oben dargelegt87, auch keine not-wendigen Streitgenossen des Schnell, so dass dieser sie nicht gemäß § 62 Abs. 1 ZPO vertritt (dann wären sie nicht säumig). Eine ordnungsgemäße Ladung liegt laut Sach-verhalt ebenso vor wie die Beachtung der Einlassungsfrist.88

B. Zulässigkeit der Klage Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen, wie bei der Klage gegen Schnell schon dar-gestellt, keine Bedenken.

84 Vgl. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Ge-

setzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drs. 17/10488, S. 10 (sub III 1.).

85 Vgl. z. B. BGHZ 63, 306 (309); 97, 273 (276). Soweit die Vertragsparteien allerdings einen Erfolg vereinbart haben (etwa bei zahnlabortechnischen Arbeiten), greift Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB) ein, Gesetzentwurf (Fußn. 84), BT-Drs. 17/10488, S. 17 (re. Sp.).

86 Gesetzentwurf (Fußn. 84), BT-Drs. 17/10488, S. 18 (re. Sp.[unten]), S. 19 (li. Sp.). 87 S. o. bei Fußn. 27. 88 Vgl. die Ausführungen in Fall 1.

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

C. Schlüssigkeit der Klage Zu prüfen ist schließlich die Schlüssigkeit der Klage nach § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO, d. h. zu untersuchen ist, ob und inwieweit das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers, das wegen der Säumnis als zugestanden gilt, den Klageantrag rechtfertigt (vgl. § 288 Abs. 1 ZPO)89.

1. Gegen Reich

a) € 1.000,– Verdienstausfall

RA Klug hat die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG schlüssig dargelegt. Verdienst-ausfall gewährt § 11 Satz 1 [2. Halbsatz] StVG. Eine Unschlüssigkeit wegen § 6 Abs. 1 EFZG liegt nicht vor. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger selbst vorgetragen hätte, Entgeltfortzahlung erhalten zu haben.

Ergebnis: Der Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde und der Höhe nach schlüssig dargelegt.

b) € 800,– Heilungskosten

RA Klug hat in der Klageschrift die persönlichen Verhältnisse von Arm vorgetragen. Dort ist u. a. auch ausgeführt, dass Arm gesetzlich sozialversichert ist. Aus dem Kla-gevortrag ist demnach der gesetzliche Forderungsübergang nach § 116 SGB X und die fehlende Aktivlegitimation des Klägers Arm ersichtlich.

Ergebnis: Die Klage ist daher hinsichtlich der Heilungskosten unschlüssig.

Ein Hilfsgutachten90 kann den Klagevortrag auf die sonstige Schlüssigkeit hin überprü-fen.

c) € 2.500,– Schmerzensgeld

Als Anspruchsgrundlage kommt wiederum § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB in Frage. Da Reich säumig ist, ist das mündliche Vorbringen des Klägers als zuge-standen anzunehmen. Dieses Vorbringen rechtfertigt wie im Fall 1 den Schmerzens-geldanspruch seinem Grunde nach.

Die Säumnis des Beklagten Reich führt jedoch nicht dazu, dass die Höhe des Schmer-zensgeldes als zugestanden gilt. Auch hier muss das Gericht eine Ermessensentschei-dung treffen und die Angemessenheit selbst beurteilen. Es kann dabei (wie auch sonst) über den Mindestbetrag hinausgehen oder hinter der vom Kläger geforderten Mindest-summe zurückbleiben91.

89 Zu typischen Fragen der Schlüssigkeit: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 315 – 322. 90 Ein solches ist nicht unbedingt erforderlich. Der Inhalt des Hilfsgutachtens würde den Ausführungen in

Fall 1 zum Streitgegenstand „Heilungskosten“ im Prozessrechtsverhältnis Arm gegen Reich entspre-chen.

91 Vgl. Peter Hartmann in: Adolf Baumbach/Wolfgang Lauterbach/Jan Albers/Peter Hartmann: ZPO, 73. Auflage, München 2014, § 331 Rdnr. 12 (Unterpunkt: Schmerzensgeld); Walter Baumfalk/Walter Gierl: Zivilprozess, 13. Auflage, Baden-Baden 2013, § 7 Rdnr. 285.

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

(1) Kein erhöhtes Schmerzensgeld bei der Halterhaftung

An dieser Stelle taucht erneut die Frage92 auf, ob die Höhe des Schmerzensgeldes vom Grad des Verschuldens des Schädigers beeinflusst wird. Beim Klageantrag gegen Schnell bejahte die hier vorgeschlagene Lösung dies und kam zu einem Schmerzens-geldanspruch von € 2.500,–93. Reich hingegen haftet nicht aus unerlaubter Handlung, sondern nur aus Gefährdung (als Halter). Demgemäß kann ihm gegenüber das schwere Verschulden des Fahrers nicht ins Gewicht fallen.94 Bei ihm bleibt es bei der reinen Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs, so dass Reich nur in Höhe von € 1.250,– haftet.

(2) Ergebnis zum Schmerzensgeld

Schlüssig ist die Klage gegen Reich beim Schmerzensgeld nur in Höhe von € 1.250,–. Unschlüssig hingegen ist sie hinsichtlich des überschießenden Betrages von ebenfalls € 1.250,–.

Hinweis: Das Privileg des Schmerzensgeldklägers, bei einer Zuviel-forderung insoweit nicht kostenpflichtig abgewiesen zu werden, kommt Arm nicht zugute. Seine Zuvielforderung beruht nicht auf einer unzutreffenden Beurteilung der Angemessenheit, sondern auf einer unrichtigen Rechtsansicht.

d) Ergebnis zur Schlüssigkeit

Die Schadensersatzklage gegen Reich ist also wegen des Antrages bezüglich des Ver-dienstausfalls und eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 1.250,– schlüssig, unschlüssig hingegen wegen der Geltendmachung der Heilungskosten sowie hinsichtlich des zu viel geforderten Schmerzensgeldes in Höhe von ebenfalls € 1.250,–.

2. Gegen die Insolventia AG

a) Notwendigkeit doppelter Schlüssigkeit

Bei Säumnis der Insolventia AG ist eine doppelte Schlüssigkeitsprüfung notwendig:

Erstens muss der Bearbeiter untersuchen, ob die Insolventia AG überhaupt direkt gemäß § 115 Abs. 1 VVG in Anspruch genommen werden kann. Dies ist hier nicht zweifelhaft. Insoweit ist die Direkthaftung der Insolventia AG schlüssig behauptet.

Zweitens muss Arm seine Ansprüche gegen Schnell und Reich schlüssig dargestellt ha-ben.

92 Vgl. oben bei Fußn. 39. 93 Text oben bei Fußn. 72. 94 Jürgen Jahnke: Auswirkungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes und des (geplanten) 2. Scha-

denrechtsänderungsgesetzes auf die Regulierung von Personenschadenansprüchen, ZfS 2002, 105 (108): „Da die Genugtuungsfunktion bei der verschuldensunabhängigen Haftung entfällt, muss auch das Schmerzensgeld entsprechend geringer ausfallen als bei einer Verschuldenshaftung.“

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Die Klage gegen die Insolventia AG ist daher nur dann schlüssig, wenn sie ihrerseits schlüssig Grund und Höhe der Haftung des Schnell oder des Reich darlegt.

b) Haftung des Schnell

Die Klageschrift legt schlüssig die Verpflichtung des Schnell zur Zahlung von Ver-dienstausfall (€ 1.000,–) und des (erhöhten) Schmerzensgeldes (€ 2.500,–), also auf ins-gesamt € 3.500,–, dar. Als unschlüssig muss allerdings der Vortrag bezüglich der Hei-lungskosten (€ 800,–) angesehen werden. Aus unerlaubter Handlung des Schnell und aus der Fahrerhaftung besteht also ein schlüssiger Anspruch des Arm auf insgesamt € 3.500,–.

c) Haftung des Reich

Die Verpflichtung des Reich aufgrund der Halterhaftung ist bezüglich des Verdienstaus-falls (€ 1.000,–) und eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 1.250,–, insgesamt € 2.250,–, schlüssig vorgetragen.

d) Ergebnis zur Schlüssigkeit des Direktanspruches

Der Direktanspruch des Arm gegen die Insolventia AG in Höhe von € 3.500,– ist schlüssig behauptet.

D. Zulässigkeit eines gemeinsamen Urteils über alle Ansprüche

Arm nimmt in ein und derselben Klage Schnell, Reich und die Insolventia AG in An-spruch und macht ferner jeweils mehrere Streitgegenstände geltend. Wie im Fall 1 dar-gelegt, ist das zulässig.

1. Zulässigkeit der Streitgenossenschaft (§§ 59 f. ZPO) Die drei Beklagten Schnell, Reich und die Insolventia AG bilden eine Streitgenossen-schaft (auf der Passivseite). Sie ist gemäß § 59 ZPO zulässig, weil Arm geltend macht, dass die drei Beklagten aus demselben tatsächlichen Grund, nämlich aus dem Ver-kehrsunfall, verpflichtet sind. Gegen eine Verurteilung der drei Beklagten in ein und derselben Entscheidung erheben sich daher keine Bedenken.

2. Zulässigkeit der objektiven Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) Auch die Verbindung der fünf Streitgegenstände zu einer Klage ist zulässig. Es gilt das oben zur Klage gegen Schnell Gesagte. Deshalb kann das Gericht in ein und derselben Entscheidung über alle fünf Streitgegenstände entscheiden.

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

E. Urteile gegen Reich und die Insolventia AG

1. Gegen Reich

a) Entscheidung durch Versäumnisurteil

Die Schadensersatzklage gegen Reich ist bezüglich des Verdienstausfalls und eines Schmerzensgelds in Höhe von € 1.250,– schlüssig, unschlüssig hingegen wegen der Geltendmachung der Heilungskosten (€ 800,–) sowie hinsichtlich des zu viel geforder-ten Schmerzensgelds in Höhe von ebenfalls € 1.250,–. Reich ist daher durch Ver-säumnisurteil zur Zahlung von € 2.250,– (€ 1.000,– Verdienstausfall, € 1.250,– Schmer-zensgeld) zu verurteilen.

b) Entscheidung durch kontradiktorisches (streitiges) Urteil

Im Übrigen (d. h. hinsichtlich des Verdienstausfalls in Höhe von € 800,– sowie hin-sichtlich des zu viel geforderten Schmerzensgelds in Höhe von € 1.250,–) ist die Klage gegen Reich abzuweisen. Dies geschieht keinesfalls durch ein Säumnisurteil, sondern durch ein kontradiktorisches (streitiges) Urteil95 (Endurteil). Es ergeht gegen Reich nicht aufgrund, sondern trotz seiner Säumnis. Die Säumnis des Beklagten Reich ist nicht der Grund für das Urteil.

2. Gegen die Insolventia AG

a) Entscheidung durch Versäumnisurteil

Die Schadensersatzklage gegen die Insolventia AG ist bezüglich des Verdienstausfalls und eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 2.500,– schlüssig, unschlüssig hingegen wegen der Geltendmachung der Heilungskosten (€ 800,–). Die Insolventia AG ist daher durch Versäumnisurteil zu verurteilen zur Zahlung von Verdienstausfall (€ 1.000,–) und des (erhöhten) Schmerzensgeldes (€ 2.500,–), also auf insgesamt € 3.500,–.

b) Entscheidung durch kontradiktorisches (streitiges) Urteil

Im Übrigen (d. h. in Höhe von € 800,–) ist die Klage gegen die Insolventia AG ab-zuweisen, und zwar wie bei der Klage gegen Reich durch ein kontradiktorisches (strei-tiges) Urteil (Endurteil).

95 Bisweilen wird eine solche Entscheidung als „unechtes Versäumnisurteil“ bezeichnet; eine solche Ter-

minologie ist unzutreffend. Wird gegen eine nicht-erschienene Partei trotz ihrer Säumnis kein Ver-säumnisurteil erlassen, dann handelt es sich um ein „streitiges“ oder „kontradiktorisches“ Endurteil. Solch ein Urteil muss bei Kläger- oder bei Beklagtensäumnis ergehen, wenn die Klage unzulässig ist; ferner ergeht es, falls bei Beklagtensäumnis die Klage unschlüssig ist (so liegt der Fall hier), Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fußn. 91), Übersicht vor § 330 Rdnr. 13 und § 331 Rdnr. 13 und Huber (Fußn. 24, JuS 2013, 20 sub 3).

— 50 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

3. Gesamtschuldnerische Haftung von Reich, Schnell, Insolventia AG Reich, Schnell und die Insolventia AG haften als Gesamtschuldner nach § 840 BGB96. Eine vorrangige Regelung aus dem StVG greift insoweit nicht ein. Die gesamtschuldne-rische Haftung zwischen Reich und der Insolventia AG ergibt sich auch aus § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG.

IV. Exkurs: Tenor der Entscheidung zu Frage 1

End- und Versäumnisurteil

I. Als Gesamtschuldner werden verurteilt, der Beklagte zu 1) [Schnell], der Beklagte zu 2) [Reich] durch Versäumnisurteil und die Beklagte zu 3) [Insolventia AG] durch Versäumnisurteil an den Kläger € 2.250,– zu zahlen.

II. Des Weiteren werden als Gesamtschuldner verurteilt, der Beklagte zu 1) [Schnell] sowie die Beklagte zu 3) [Insolventia AG] durch Versäumnisurteil an den Kläger € 1.250,– zu zahlen.

III. Im Übrigen [Heilungskosten, kein erhöhtes Schmerzensgeld bei Reich] wird die Klage abgewiesen.

IV. [Kosten des Rechtsstreits]

V. [Vorläufige Vollstreckbarkeit]

96 Vgl. Fußn. 45.

— 51 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Frage 2: Welche Rechtsbehelfe haben die Parteien gegen die

Entscheidung des Amtsgerichts?

I. Rechtsbehelfe von Arm

A. Klage gegen Schnell Die Klage von Arm gegen Schnell wurde hinsichtlich der Heilungskosten in Höhe von € 800,– abgewiesen. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt daher den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festgelegten Betrag von mindestens € 600,–. Eine Berufung (zum Landgericht Regensburg, vgl. § 72 GVG) ist daher statthaft.97

B. Klage gegen Reich Die Klage von Arm gegen Reich wurde ebenfalls hinsichtlich der Heilungskosten in Höhe von € 800,– sowie hinsichtlich des Schmerzensgelds in Höhe von € 1.250,– ab-gewiesen. Auch diese Entscheidung ist ein kontradiktorisches Urteil (und kein Ver-säumnisurteil). Die Berufung ist deshalb aus denselben Gründen statthaft.

C. Klage gegen die Insolventia AG Die Klage gegen die Insolventia AG wurde gleichfalls hinsichtlich der Heilungskosten in Höhe von € 800,– abgewiesen, so dass Arm auch hier Berufung einlegen kann.

II. Rechtsbehelfe des Beklagten Schnell

Schnell kann gegen das gegen ihn ergangene Urteil gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 72 GVG Berufung zum Landgericht Regensburg einlegen. Die Klageabweisung (Heilungskosten) vermag er nicht anzufechten, da er insoweit nicht beschwert ist.

III. Rechtsbehelfe der Beklagten Reich und Insolventia AG

Reich und die Insolventia AG sind durch Versäumnisurteil verurteilt worden. Dagegen steht ihnen gemäß § 338 ZPO der Rechtsbehelf des Einspruchs zu. Die Einlegung des Einspruchs erfolgt durch Einreichung einer Einspruchsschrift beim Prozessgericht (§ 340 Abs. 1 ZPO), hier also beim Amtsgericht Regensburg. Die Klageabweisung be-züglich der Heilungskosten können Reich und die Insolventia AG ebenso wenig anfech-ten wie Reich die Klageabweisung in Bezug auf das Schmerzensgeld in Höhe von € 1.250,–.

97 Zur Unterscheidung zwischen „statthaft“ und „zulässig“ siehe Fall 14 „Zeiger gegen die Zeit“.

— 52 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Frage 3: Ändert sich etwas an der Entscheidung des Amtsgerichts,

wenn Rechtsanwalt Klug nicht bestreitet, dass Arm von der Allerlei

GmbH während seiner Arbeitsunfähigkeit voll entlohnt worden sei?

I. Klage gegen Schnell

Wenn Rechtsanwalt Klug die Behauptung des Beklagten Schnell, dass Arm von der Allerlei GmbH während seiner Arbeitsunfähigkeit voll entlohnt worden sei, nicht be-streitet, gilt diese gemäß § 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO als zugestanden. Die Klage von Arm gegen Schnell auf Ersatz des Verdienstausfalls ist in dieser Variante des Falles daher abzuweisen, weil nach unbestrittenem Vortrag des Beklagten eine cessio legis gemäß § 6 Abs. 1 EFZG eingetreten und nunmehr die Allerlei GmbH Inhaber des An-spruches ist. Arm besitzt nicht mehr die Aktivlegitimation. Dem Arm wird also nur das Schmerzensgeld in Höhe von € 2.500,– zugesprochen. Abgewiesen wird die Klage hin-gegen in Bezug auf € 1.800,– (€ 1.000,– Verdienstausfall, € 800,– Heilungskosten).

II. Klage gegen Reich und die Insolventia AG

An den Versäumnisentscheidungen gegen die Insolventia AG und gegen Reich ändert sich nichts. Die Prüfung der Schlüssigkeit der Klage ist unabhängig von den Vorgängen in der mündlichen Verhandlung.

Exkurs zum Quotenvorrecht des Arbeitnehmers nach § 6 Abs. 3 EFZG

(Subrogationsklausel)

Ist, wie hier nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVG, der Schadensersatzanspruch der Höhe nach begrenzt, kann ein Forderungsübergang nach § 6 Abs. 1 EFZG gemäß der Subrogationsklausel des § 6 Abs. 3 EFZG „nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geltend gemacht werden“ („nemo subrogat contra se“ 98). Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer wegen aller sonstigen Schäden (verbleibender Verdienstausfall, immaterielle Schäden) gegen den Schädiger aus Gefährdungshaftung vorgehen kann („Quotenvorrecht“99 des Arbeitnehmers). Soweit der Höchstbetrag nicht erreicht ist, kann der Arbeitgeber, der Entgeltfort-zahlung geleistet hat, solche Beträge aufgrund des StVG geltend machen100. Reichen die Höchstbeträge des § 12 Abs. 1 StVG nicht aus, ist stets zu prüfen, ob der Schädiger aus Delikt (§§ 823 ff. BGB) haftet, weil er dann unbegrenzt zur Zahlung verpflichtet ist.

98 Niemand lässt ein Recht gegen sich übergehen. Vgl. z. B. § 268 Abs. 3 Satz 2, § 426 Abs. 2 Satz 2,

§ 774 Abs. 1 Satz 2, § 1143 Abs. 1 Satz 2 BGB. 99 Näher von Koppenfels-Spies (Fußn. 56), S. 287 f. 100 Karl Heinrich Geyer/Gerhard Knorr/Otto Ernst Krasney: Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutter-

schaftsgeld, 7. Auflage, Berlin, Stand: Februar 2003, § 6 EFZG Rdnr. 65. Zum Konkurrenzverhältnis von § 6 Absatz 1 EFZG zu § 116 Absatz 1 SGB X bei nicht ausreichendem Schadensersatz durch den Schädiger: Jochem Schmitt: Entgeltfortzahlungsgesetz, 7. Auflage, München 2012, § 6 Rdnr. 78 ff. Ein Berechnungsbeispiel findet sich bei Küppersbusch (Fußn. 39), Rdnr. 111.

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Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

Exkurs zur Höhe der Lohnfortzahlung

Der Arbeitgeber ist zur Lohnfortzahlung in voller Höhe verpflichtet. Eine frühere Regelung, nach der die Entgeltfortzahlung nur 80 Prozent des Verdienstausfalls betrug, gilt nicht mehr.101 Nach damaliger Ge-setzeslage konnte Arm hinsichtlich der restlichen 20 Prozent den An-spruch gegenüber dem Schädiger geltend machen; er war insoweit im Falle einer Klage aktivlegitimiert102. Die so bedingte Aufspaltung der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches wegen Verdienstaus-falls änderten die Beteiligten vielfach dadurch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf volle Lohnfortzahlung einigten und der Arbeit-nehmer dem Arbeitgeber zum Ausgleich dafür den verbleibenden Teil seines Schadensersatzanspruches abtrat. Entsprechende Regelungen fanden sich auch in Betriebsvereinbarungen oder in Tarifverträgen103.

Exkurs zur Dauer der Lohnfortzahlung

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat der Arbeitgeber für die Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen.

Exkurs zum Regressanspruch der Bundesagentur für Arbeit

Anders ist der Lösungsweg, wenn Arm nicht Arbeitnehmer, sondern Arbeitslosengeld-I-Empfänger ist. Hier bejaht der Bundesgerichtshof (entgegen der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum) einen Re-gressanspruch der Bundesagentur für Arbeit. Denn ist der Arbeitslo-sengeldempfänger infolge seiner Körperverletzung für den Arbeits-markt nicht mehr verfügbar, bezieht er statt des Arbeitslosengelds eine „Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit“ (§ 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Schadensersatzanspruch des Arm gegen seinen Schädi-ger geht dann auf die Bundesagentur für Arbeit über, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 10 SGB X.104

Frage 4: Ändert sich etwas an der Entscheidung des Amtsgerichts,

wenn Schnell in der mündlichen Verhandlung die gegen ihn geltend

gemachten Klageansprüche anerkennt?

I. Anerkenntnisurteil gegen Schnell gemäß § 307 Satz 1 ZPO

Wenn Schnell in der mündlichen Verhandlung die gegen ihn geltend gemachten An-sprüche anerkennt, ergeht Anerkenntnisurteil gegen Schnell gemäß § 307 Satz 1 ZPO wegen des gesamten geltend gemachten Schadensersatzanspruches, also auch wegen

101 Der Bundestag beschloss mit Wirkung vom 1. Januar 1999, dass wieder 100 Prozent Lohnfortzahlung

im Krankheitsfall gezahlt wird, Gesetz vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I, S. 3843 ff.). 102 Hierzu Schmitt (Fußn. 100), § 6 Rdnr. 34. 103 Manfred Löwisch: Das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz, NZA 1996, 1009 (1013). 104 Vgl. dazu BGHZ 176, 109 ff. = JZ 2008, S. 1112 ff.; weiterführend auch Christian Huber: Anmerkung

zum Urteil des BGH, JZ 2008, S. 1114 ff.

— 54 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 2: Arm als Arbeitnehmer

der Heilungskosten (Urteil in Höhe von € 4.300,–). Denn das Gericht prüft in diesem Fall nur, ob die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, dagegen untersucht es nicht, ob die Klage schlüssig und begründet ist.105 Allerdings darf die Rechtsfolge, die anerkannt wurde, nicht gegen gesetzliche Verbote (§§ 134, 138 BGB) oder gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public, Art. 6 EGBGB) verstoßen106, was hier aber nicht der Fall ist.

II. Versäumnisurteile gegen Reich und gegen die Insolventia AG

An den Versäumnisentscheidungen gegen die Insolventia AG und gegen Reich ändert sich nichts. Das Gericht hat trotz des Anerkenntnisses durch Schnell die Schlüssigkeit der Klage in jedem einzelnen Punkt zu prüfen.

Hinweis: Wird das Anerkenntnisurteil gegen Schnell rechtskräftig und legt Arm gegen die Abweisung seiner Klage (wegen deren Unschlüssigkeit im Prozessrechtsverhältnis gegen Reich hinsichtlich der Heilungskosten sowie des abgewiesenen Teils des Schmerzensgel-des sowie im Prozessrechtsverhältnis gegen Schnell hinsichtlich der Heilungskosten) Berufung ein, muss das Berufungsgericht die Verur-teilung des Schnell wegen der Heilungskosten beachten, wenn es die Ansprüche gegen die Insolventia AG prüft; denn die Insolventia AG hat für die Ansprüche einzustehen, die den Fahrer (Schnell) treffen.107 Anders ist es wiederum bei Reich, der nur für eigene Ansprüche ein-zustehen hat.

105 Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), § 307 Rdnr. 10. 106 Vgl. Michael Huber: Grundwissen – Zivilprozessrecht: Anerkenntnis, JuS 2008, 313 (314 sub II. 1). 107 Der Direktanspruch gegen die Versicherung ist von den Verpflichtungen des Halters (hier: Reich) und

des Schädigers (hier: Schnell) abhängig, vgl. Ulrich Knappmann in: Jürgen Prölss/Anton Martin: Ver-sicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage, München 2010, § 115 VVG Rdnr. 11. Denn die Versicherung ist auf das Fahrzeug bezogen und erfaßt nach § 1 PflVersG alle Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht werden.

— 55 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 3: Arm und die Beweisaufnahme

FALL 3:

ARM UND DIE BEWEISAUFNAHME

Wie im Fall 1 wurde Anton Arm von Siegfried Schnell beim Überqueren eines Fußgängerüberweges in Regensburg angefahren. Halter des Wagens ist Richard Reich, für den bei der Insolventia AG eine Haft-pflichtversicherung besteht. Arm erlitt einen Schlüsselbeinbruch sowie zahlreiche Prellungen und Ab-schürfungen.

Im frühen ersten Termin bestreitet Schnell — anders als bisher — jedes Verschulden, und auch jeglichen Alkoholkonsum; er sei wegen schlechter Witterungsverhältnisse besonders vorsichtig gefahren und hätte Arm nicht sehen können. Die Beweisaufnahme ergibt keinen Aufschluss darüber, ob Schnell den Unfall schuldhaft verursacht hat.

Rechtsanwalt Klug macht € 1.000,– Verdienstausfall, € 800,– Heilungskosten sowie € 2.500,– Schmerzensgeld geltend. Er beantragt — wie in Fall 2 —, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 4.300,– zu verurteilen und dies gegenüber dem nicht erschienenen Reich und der nicht vertretenen Insolventia AG durch Versäumnisur-teil vorzunehmen. Schnell beantragt Abweisung der Klage.

Frage: Ist Frage 1 des Falles 2 nunmehr anders zu beantworten?

Bearbeitervermerk: Die Frage ist in einem Gutachten zu beantworten.

— 56 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 3: Arm und die Beweisaufnahme

Lösung

I. Klage gegen Schnell

A. Haftung nach § 18 StVG (wegen vermuteten Verschuldens) Bei § 18 StVG handelt es sich um eine Verschuldenshaftung, wobei die Beweislast hin-sichtlich des Verschuldens zugunsten des Anspruchsstellers umgekehrt ist108. Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG wird das Verschulden des Fahrzeugführers (Schnell) vermutet. Folglich entfällt seine Haftung nach StVG nur, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass der Unfall nicht auf sein Verschulden zurückzuführen ist. Da der Entlastungsbeweis bei der Beweisaufnahme vor Gericht nicht geführt werden konnte, bleibt die Haftung von Schnell aus §§ 18, 11 StVG unberührt.

B. Haftung nach § 823 BGB (wegen unerlaubter Handlung) Dagegen entfällt die Haftung von Schnell aufgrund der deliktischen Anspruchsgrundla-gen (§ 823 Abs. 1 und 2 BGB), weil hier Arm (der Verletzte) den Nachweis des Ver-schuldens führen muss und ihm dies nicht gelang. Die amtsgerichtliche Entscheidung fällt also insofern anders aus, als sich die Verurteilung nur auf das StVG gründet. Am Tenor der Verurteilung des Beklagten Schnell ändert sich aber nichts, da der Schmer-zensgeldanspruch durch das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz auch aufgrund von §§ 18, 11 Satz 2 StVG durchgesetzt werden kann.

II. Anträge auf Versäumnisurteil

Fünf Säumnissituationen sind möglich 1. Klägersäumnis: Klage erweist sich als unzulässig

2. Klägersäumnis: Klage erweist sich als zulässig

3. Beklagtensäumnis: Klage erweist sich als unzulässig

4. Beklagtensäumnis: Klage erweist sich als unschlüssig

5. Beklagtensäumnis: Klage erweist sich als zulässig und schlüssig

108 Vgl. RGZ 152, 46 (52); BGH NJW 1983, 1327; Michael Kaufmann in: Robert Geigel: Der Haft-

pflichtprozess, 26. Auflage, München 2011, 25. Kapitel, Rdnr. 311.

— 57 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 3: Arm und die Beweisaufnahme

Bei Säumnis: Der Richter muss die Zulässigkeit der Klage und bei Beklagtensäumnis zusätzlich die Schlüssigkeit der Klage prüfen.

1. Situation: Bei Klägersäumnis: Klage ist unzulässig: Prozessurteil = (streitiges) Endurteil (kein Versäumnisurteil). 2. Situation: Bei Klägersäumnis: Klage ist zulässig: Versäumnisurteil (dagegen Einspruch).

3. Situation: Bei Beklagtensäumnis: Klage ist unzulässig: Prozessurteil = (streitiges) Endurteil (kein Versäumnisurteil).

4. Situation: Bei Beklagtensäumnis: Klage ist zulässig, aber unschlüssig: Sachurteil = (streitiges) Endurteil (kein Versäumnisurteil).

5. Situation: Bei Beklagtensäumnis: Klage ist zulässig und schlüssig: Versäumnisurteil (dagegen Einspruch).

Versäumnisurteile gibt es also nur: 1. Bei Klägersäumnis, wenn die Klage zulässig ist.

2. Bei Beklagtensäumnis, wenn die Klage zulässig und schlüssig ist.

In allen anderen Fällen ergeht trotz Säumnis kein Versäumnisurteil, sondern ein kont-radiktorisches (streitiges) Endurteil:

1. Bei Klägersäumnis, wenn die Klage unzulässig ist (Prozessurteil).

2. Bei Beklagtensäumnis, wenn die Klage unzulässig ist (Prozessurteil).

3. Bei Beklagtensäumnis, wenn die Klage unschlüssig ist (Sachurteil).

A. Gegen Reich An der Haftung des Halters Reich ändert sich nichts, weil sich an der Schlüssigkeit des Klagevortrages nichts ändert und nur dieser maßgeblich ist. Im Übrigen ist die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG verschuldensunabhängig und wäre nur dann ausgeschlossen, wenn der Kläger selbst vorgetragen hätte, der Unfall wäre durch höhere Gewalt verursacht worden. Der Schmerzensgeldanspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG; er besteht auch bei der Gefährdungshaftung.

B. Gegen die Insolventia AG Die Insolventia AG haftet wie im Fall 1. Da sie im Termin säumig ist, gilt der schlüssi-ge Klägervortrag, wonach der Unfall durch Schnell schuldhaft verursacht worden ist, gemäß § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO als zugestanden. Obwohl hier das Ergebnis der Be-weisaufnahme zugunsten von Schnell ausgefallen ist, darf wegen der Säumnis der Insol-ventia AG das Ergebnis nicht (zugunsten oder zulasten dieser Beklagten) verwertet werden.

— 58 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

FALL 4:

ARMS ARBEITGEBER MISCHT MIT

Wie in den Fällen 1 – 3 wurde Anton Arm von Siegfried Schnell in Regensburg angefahren, weshalb dieser fast zwei Wochen nicht arbeiten konnte. Er ist bei der Allerlei GmbH beschäftigt, gesetzlich sozi-alversichert und hat ein monatliches Bruttoeinkommen von € 2.500,–. Rechtsanwalt Klug erhebt im Na-men des Arm Klage zum Amtsgericht Regensburg mit dem Antrag, Schnell zur Zahlung von € 1.000,– für seinen erlittenen Verdienstausfall zu verurteilen. In der mündlichen Verhandlung räumt der Rechts-anwalt von Schnell ein, dieser habe aus Unachtsamkeit den Unfall verschuldet.

Im Gegensatz zu den bisherigen Fällen ist in der mündlichen Verhandlung auch die Al-lerlei GmbH, die Arbeitgeberin des Arm, vertreten. Ihr Rechtsanwalt übergibt zu Be-ginn einen Schriftsatz, in welchem er erklärt, die Allerlei GmbH „übernimmt nunmehr die Klage gegen Schnell wegen des von ihr gezahlten Verdienstausfalls des Arm und verfolgt diesen Anspruch anstelle des Arm im Prozess“. Schnell erhält eine Durchschrift dieses Schriftsatzes.

Arm erklärt sich mit der „Übernahme der Klage“ durch die Allerlei GmbH ein-verstanden. Schnell dagegen protestiert. Er meint, er brauche sich in einem anhängigen Verfahren nicht nachträglich einen neuen Kläger aufzwingen zu lassen.

Frage 1: Ist die „Übernahme der Klage“ auf Verdienstausfall gegen Schnell durch die Allerlei GmbH zulässig?

Frage 2: Welche Möglichkeiten bestehen überhaupt, dass die Allerlei GmbH im Pro-zess „mitmischt“?

Frage 3: Macht es einen Unterschied, wenn die Allerlei GmbH den Schriftsatz über-gibt, nachdem sich Schnell bereits mündlich zur Hauptsache eingelassen hatte?

Frage 4: Wie ist die prozessuale Rechtslage, wenn Arm sein Einverständnis zur „Über-nahme der Klage“ verweigert hat?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 59 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

FALL 4: ARMS ARBEITGEBER MISCHT MIT 58

Frage 1 60

I. Eine „Übernahme der Klage“ ist in der ZPO nicht vorgesehen 60

II. Eine „Übernahme der Klage“ als Parteiänderung 60

III. Die prozessualen Möglichkeiten, die Parteibezeichnungen oder die Parteien zu ändern 61

IV. Die einzelnen Gestaltungen der Parteiänderung 61

A. Gewillkürte Parteierweiterung (Parteibeitritt) 61

B. Gewillkürter Parteiwechsel 62

C. Mischformen (Beitritt und Wechsel nur aus einem der Streitgegenstände) 62

V. Die Antwort auf Frage 1 63

A. Voraussetzungen der Parteiänderung auf die Allerlei GmbH 63

B. Ergebnis 63

Frage 2 64

I. Parteibeitritt auf der Klägerseite ohne Streitgegenstandsübernahme 64 A. Denselben Streitgegenstand machen Arm und die Allerlei GmbH geltend 64

B. Die Aktivlegitimation kraft Anspruchsübergang gemäß § 6 Abs. 1 EFZG 64

C. Ungünstiger Weg für Arm 64

II. Die Allerlei GmbH tritt den übergegangenen Anspruch an Arm ab 64

III. Sonstiges prozessuales „Mitmischen“ der Allerlei GmbH 65

Frage 3 65

Frage 4 66

— 60 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

Lösung

Frage 1: Ist die „Übernahme der Klage“ auf Verdienstausfall gegen

Schnell durch die Allerlei GmbH zulässig?

I. Eine „Übernahme der Klage“ ist in der ZPO nicht vorgesehen

Im BGB gibt es in Gestalt der Schuldübernahme (§§ 414 ff.) die Möglichkeit, die Per-sonen des Schuldverhältnisses auszutauschen. Dem Wortlaut der ZPO ist jedoch eine „Übernahme“ der Klage, wie sie die Allerlei GmbH erklärt, unbekannt. Doch kann man bei diesem Ergebnis nicht stehen bleiben. Die Erklärung der Allerlei GmbH ist eine Prozesshandlung. Wie bei den Willenserklärungen des materiellen Rechts (§ 133 BGB) darf man auch bei Prozesshandlungen nicht „an dem buchstäblichen Sinne des Aus-drucks haften“ (vgl. § 300 StPO109). Sichtlich will die Allerlei GmbH den Prozess an-stelle des Arm betreiben. Sie strebt also eine Änderung der Prozessbeteiligten (eine Par-teiänderung) an.

Motive zur Parteiänderung Fehlerhafte Parteistellung:

● falscher Kläger

● falscher Beklagter

● fehlender weiterer Kläger

● fehlender weiterer Beklagter

II. Eine „Übernahme der Klage“ als Parteiänderung

Die von der Allerlei GmbH erklärte „Übernahme der Klage“ ist prozessual als Erklä-rung der Parteiänderung anzusehen, die entweder ein Parteiwechsel, d. h. ein Austausch der Parteien, ist oder eine Parteierweiterung (ein Parteibeitritt), d. h. ein Hinzutreten einer neuen Partei. Wenn eine solche Parteiänderung nicht kraft Gesetzes erfolgt, son-dern aufgrund der Parteierklärung spricht man von gewillkürter Parteiänderung110.

109 § 300 StPO: „Ein Irrtum über die Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich“. Vgl.

auch § 694 Abs. 2 Satz 1 ZPO: Der verspätete „Widerspruch“ gegen den Mahnbescheid wird als Ein-spruch gegen den Vollstreckungsbescheid behandelt.

110 Zur Parteiänderung näher: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 262 – 272.

— 61 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

III. Die prozessualen Möglichkeiten,

die Parteibezeichnungen oder die Parteien zu ändern

Das Zivilprozessrecht kennt verschiedene geschriebene und ungeschriebene Möglich-keiten, die Bezeichnung der Parteien und sogar die Stellung der Parteien zu ändern. Folgende Prüfungsreihenfolge hat sich bewährt:

Erste Frage: Parteiänderung oder Parteiberichtigung

Zweite Frage: Parteistellung Abzugrenzen von der Parteiänderung sind Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO) und Ne-benintervention (§§ 66 ff. ZPO)

Dritte Frage: Parteiwechsel oder Parteibeitritt ● Austausch einer Partei ● Hinzutreten einer Partei: Nachträgliche Streitgenossenschaft

Vierte Frage: Gesetzliche, gesetzlich geregelte oder gewillkürte Parteiänderung ● § 239 ZPO ● § 265 II 2, § 75 Satz 1, § 76 III, § 77 ZPO, § 180 II InsO

IV. Die einzelnen Gestaltungen der Parteiänderung

A. Gewillkürte Parteierweiterung (Parteibeitritt) Eine Parteierweiterung liegt vor, wenn eine neue Partei an der Seite der bisherigen Par-tei den Rechtsstreit führt. Auf der Klägerseite kann dies durch Eintritt eines neuen (wei-teren) Klägers erfolgen; auf der Beklagtenseite, wenn gegen einen neuen (zusätzlichen) Beklagten geklagt wird. In beiden Fällen muss der Beitritt vom Willen des jeweiligen Klägers getragen sein. Die gewillkürte Parteierweiterung führt zu einer Streitgenossen-schaft (zu einer Mehrheit auf der Kläger- oder auf der Beklagtenseite, auch „subjektive Anspruchshäufung“ genannt111). In erster Instanz bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit; sie ist unter den Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO uneingeschränkt zu-lässig112, da sie wie eine ursprüngliche Streitgenossenschaft zu beurteilen ist. Der alte oder der zusätzliche Beklagte müssen nicht zustimmen, da jeder mit einer Klage gegen sich rechnen muss. Insoweit ist auch eine Sachdienlichkeitserklärung (zu ihr sogleich) durch das Gericht entbehrlich.

Die Rechtsprechung behandelt auch den gewillkürten Parteibeitritt in der ersten Instanz meistens nach den Vorschriften über die Klageänderung (§§ 263 f., 267, 268 ZPO).

111 Siehe schon Fußn. 43. 112 Vgl. Ulrich Foerste in: Hans-Joachim Musielak: ZPO, 10. Auflage, München 2013, § 263 Rdnr. 23.

— 62 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

Folgt man einer solchen Meinung muss der Beklagte einwilligen oder das Gericht den Beitritt für sachdienlich erachten.113

B. Gewillkürter Parteiwechsel Ein Parteiwechsel liegt vor, wenn eine neue Partei an Stelle einer ausscheidenden Partei in den Rechtsstreit eintritt; dabei bleibt das bisherige Prozessrechtsverhältnis erhalten.

Sowohl nach Ansicht des Bundesgerichtshofes (sog. Klageänderungstheorie) als auch nach Ansicht der h. M. in der Literatur (gewohnheitsrechtliches Institut eigener Art) sind Parteiwechselerklärungen des alten und des neuen Klägers erforderlich; die Zu-stimmung des Beklagten nur, wenn der alte Kläger nach Beginn der mündlichen Ver-handlung zur Hauptsache seinen Austritt aus dem Rechtsstreit erklärt. Seine Zustim-mung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn ihre Verweigerung einen Rechtsmiss-brauch darstellen würde.114

Vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache ist nach Ansicht des Bundes-gerichtshofes immer die Sachdienlichkeit gemäß § 263 ZPO gegeben und nach Ansicht der Literatur gemäß § 269 Abs. 1 ZPO analog eine Zustimmung des Beklagten entbehr-lich.

C. Mischformen (Beitritt und Wechsel nur aus einem der Streitgegenstände)

Die von der Allerlei GmbH vorgenommene „Übernahme der Klage“ ist weder ein reiner Parteiwechsel (denn Arm bleibt im Prozess), noch eine reine Parteierweiterung (denn die Allerlei GmbH macht nicht einen weiteren prozessualen Anspruch geltend, sondern übernimmt anstelle des Arm dessen Klageantrag wegen des Verdienstausfalls). Viel-mehr liegt ein Parteibeitritt mit Elementen des Parteiwechsels vor. Der „ursprüngliche“ Kläger scheidet nicht aus dem Prozess aus, da er seine sonstigen Schäden weiterhin selbständig geltend macht. Nur übernimmt die in den Prozess eingetretene Allerlei GmbH einen seiner Streitgegenstände (Verdienstausfall).

Es liegt hier also eine Mischform vor, weil sowohl Elemente des Parteibeitritts (neue Partei neben alter Partei) als auch des Parteiwechsels (Streitgegenstand „Verdienstaus-fall“ wird von der eingewechselten Allerlei GmbH geltend gemacht) gegeben sind. Sachgerecht ist es demnach im vorliegenden Fall, den Vorgang nicht nur unter dem Ge-sichtspunkt des Parteibeitritts zu prüfen, sondern die Regeln über den Parteiwechsel zur Anwendung zu bringen.

113 Christian Möller: Die Verfahrensgrundsätze des Zivilverfahrens, JA 2010, 47 (48). 114 Zu der nicht in der ZPO erwähnten gewillkürten Parteiänderung: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 267 ff.

mit weiteren Nachweisen.

— 63 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

Gewillkürte Parteiänderung Rechtslage: keine Regelung in der ZPO — Lückenfüllung

a) Klageänderungstheorie (§§ 263 f. ZPO analog)

b) Klagerücknahmetheorie (§ 269 ZPO restriktiv)

c) Gewohnheitsrechtliche Begründung

Zustimmungsprobleme, vor allem Zustimmung des (bisherigen) Klägers

Kläger- oder Beklagtenwechsel vor Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache

In welcher Instanz?

Bisherige Prozessergebnisse

Kosten

V. Die Antwort auf Frage 1

A. Voraussetzungen der Parteiänderung auf die Allerlei GmbH Ein Parteiwechsel auf Klägerseite ist in erster Instanz unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

• Die Einwilligung des neuen Klägers (Allerlei GmbH) in Form ordnungsgemäßer Übernahme der Klage durch den neuen Kläger.

• Die Einwilligung des bisherigen Klägers (Arm).

• Die Einwilligung der Beklagten (Schnell, Reich, Insolventia AG) ist vor deren münd-licher Verhandlung zur Hauptsache im Sinne von § 137 Abs. 1 ZPO nicht erforder-lich (arg. § 269 Abs. 1 ZPO); hier hat die Verhandlung erst begonnen.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind hier gegeben. Folglich ist der Parteiwechsel auf die Allerlei GmbH zulässig.

B. Ergebnis Die „Übernahme der Klage“ auf Verdienstausfall gegen Schnell durch die Allerlei GmbH ist als eine Parteiänderung zulässig. Da diese Erklärung zu Terminbeginn abge-geben wird und sich der Beklagte Schnell zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Sache eingelassen hat, ist sein Widerspruch unbeachtlich.

— 64 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

Frage 2: Welche Möglichkeiten bestehen überhaupt, dass die Allerlei

GmbH im Prozess „mitmischt“?

I. Parteibeitritt auf der Klägerseite ohne Streitgegenstandsübernahme

A. Denselben Streitgegenstand machen Arm und die Allerlei GmbH geltend Neben der von der Allerlei GmbH erklärten „Übernahme der Klage“ kann sie versu-chen, im Wege des bloßen Parteibeitritts als Kläger neben Arm zu treten, ohne dass die-ser die Geltendmachung des Streitgegenstandes „Verdienstausfall“ an sie übergibt. Dann würde derselbe Streitgegenstand sowohl von Arm als auch von der Allerlei GmbH verfolgt. Einer dieser prozessualen Ansprüche ist jedoch auf jeden Fall unbegründet; denn entweder ist Arm oder die Allerlei GmbH aktivlegitimiert, aber niemals sind es beide.

B. Die Aktivlegitimation kraft Anspruchsübergang gemäß § 6 Abs. 1 EFZG Aktivlegitimiert ist (allein) die Allerlei GmbH. Der Anspruchsübergang auf sie als Ar-beitgeber des Arm ist gemäß § 6 Abs. 1 EFZG gegeben, wenn wie hier115 der Arbeit-nehmer einen Schadensersatzanspruch aufgrund gesetzlicher Vorschriften wegen des Verdienstausfalls hat, der sich gegen einen Dritten richtet. Der Anspruchsübergang er-fasst ausschließlich Ansprüche wegen Verdienstausfalls, der durch Arbeitsunfähigkeit entstanden ist. Sonstige materielle oder immaterielle Schäden verbleiben beim Arbeit-nehmer.116 Solche Ansprüche sind hier nicht betroffen.

C. Ungünstiger Weg für Arm Da bei einer solchen Konstellation die Klage des Arm auf Verdienstausfall als unbe-gründet abgewiesen werden muss, ist dem Arm ein solch ungünstiger Weg nicht anzura-ten.

II. Die Allerlei GmbH tritt den übergegangenen Anspruch an Arm ab

Kein direktes prozessuales „Mitmischen“, aber doch ein Mitwirken am Prozess bestün-de ferner in einer (Rück-)Abtretung der Allerlei GmbH. Wenn in dieser Weise die Al-lerlei GmbH an Arm die kraft cessio legis auf sie übergegangenen Ansprüche auf Ver-dienstausfall abgetreten hat, ist Arm aktivlegitimiert geworden. Er muss dann allerdings eine Klageänderung (§§ 263 f. ZPO) vornehmen, indem er erklärt, nicht mehr aus eige-nem Recht, sondern aufgrund der Abtretung zu klagen. Der Grund für dieses prozessua-le Vorgehen liegt nach herrschender Praxis und Lehre in den unterschiedlichen Streit-

115 Vgl. Frage 1. 116 Vgl. zum Anspruchsübergang nach § 6 Abs. 1 EFZG: Schmitt (Fußn. 100), § 6 Rdnr. 12 ff.

— 65 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

gegenständen: Die Klage aus eigenem Recht stellt einen anderen Streitgegenstand dar als die Klage aufgrund abgetretener Legitimation117.

III. Sonstiges prozessuales „Mitmischen“ der Allerlei GmbH —

Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO)

In den §§ 64 bis 77 ZPO ist die „Beteiligung Dritter am Rechtsstreit“ geregelt. Die Al-lerlei GmbH ist sicher ein „Dritter“ im Sinne dieser Vorschriften, weil sie weder Kläger noch Beklagter ist. In Betracht kommt eine Mitwirkung am Prozess im Wege der Ne-benintervention (§§ 66 ff. ZPO). Die Allerlei GmbH müsste ihr „rechtliches Interesse“ geltend machen, dass eine der Prozessparteien obsiege (§ 66 Abs. 1 ZPO). Das könnte sie insofern behaupten, als ein Sieg der Beklagtenseite (also die Abweisung der Klage des Arm auf Verdienstausfall) für die Allerlei GmbH hilfreich sein würde, wenn er auf der Ansicht des Gerichts beruhte, der Anspruch auf Verdienstausfall sei kraft cessio legis auf die Allerlei GmbH übergegangen. Wenn sie diesen Weg gehen will, muss sie ihren Beitritt als Nebenintervenienten auf der Seite von Schnell, Reich und der Insolventia AG erklären (§ 70 Abs. 1 ZPO). Da der Inhalt des Begriffes „rechtliches Interesse“ des § 66 Abs. 1 ZPO unscharf ist und ihn die Praxis sehr unterschiedlich aus-legt, sollte die Allerlei GmbH diese Art der Beteiligung nur anstreben, wenn sie die Sorge hat, das Gericht würde den Anspruch des Arm auf Ersatz des Verdienstausfalls bejahen, obwohl er nicht dem Arm zusteht, weil er auf sie übergegangen ist.

Frage 3: Macht es einen Unterschied, wenn die Allerlei GmbH den

Schriftsatz übergibt, nachdem sich Schnell bereits mündlich zur

Hauptsache eingelassen hatte?

Ja, es macht einen Unterschied, wenn die Allerlei GmbH den Schriftsatz übergibt, nachdem sich Schnell bereits mündlich zur Hauptsache eingelassen hat: Die Erklärung der Parteiänderung erfolgte, nachdem sich Schnell zur Hauptsache eingelassen hatte. Nach einer mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache ist der Klägerwech-sel aber nur mit Einwilligung des Beklagten zulässig, der von diesem Zeitpunkt an einen Anspruch auf ein Urteil hat (arg. § 269 Abs. 1 ZPO). Hatte sich Schnell also bereits mündlich zur Hauptsache eingelassen, als die Allerlei GmbH den Schriftsatz übergab, dann ist der Klägerwechsel wegen der fehlenden Einwilligung des Beklagten Schnell unzulässig. Rechtsmissbräuchlich ist die Verweigerung seiner Einwilligung nicht. Des-halb ist es zu keinem wirksamen Parteiwechsel gekommen.

117 Die herrschende Meinung sieht in der Klage aufgrund Abtretung regelmäßig einen anderen Lebens-

sachverhalt als in der Klage aus eigenem Recht. Zum Streitgegenstand schon oben Fußn. 4 und auch unten Fußn. 131.

— 66 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 4: Arms Arbeitgeber mischt mit

Frage 4: Wie ist die prozessuale Rechtslage, wenn Arm sein

Einverständnis zur „Übernahme der Klage“ verweigert hat?

Ohne Zustimmung des alten Klägers Arm ist ein Parteiwechsel ebenfalls nicht möglich, da er gegen seinen Willen nicht zum Ausscheiden aus dem Prozessrechtsverhältnis über den Verdienstausfall gezwungen werden darf.

— 67 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 5: Arm und das Amtsgericht Nürnberg

FALL 5:

ARM UND DAS AMTSGERICHT NÜRNBERG

Wie in den Fällen 1 – 4 wurde Anton Arm von Siegfried Schnell in Regensburg angefahren und dabei verletzt.

Arm, der in Nürnberg wohnt, hat den in München wohnenden Schnell wegen des Un-falls in Regensburg vor dem Amtsgericht Nürnberg verklagt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung bleiben sowohl Arm als auch sein Anwalt aus. Eine Belehrung des Be-klagten nach § 504 ZPO erfolgt nicht. Schnell beantragt den Erlass eines Versäumnisur-teils gegen Arm. Daraufhin weist das Amtsgericht Nürnberg die Klage des Arm durch Versäumnisurteil ab, weil es sich für örtlich unzuständig hält.

Frage:Welchen Rechtsbehelf hat Arm gegen diese Entscheidung?

Bearbeitervermerk: Die Frage ist in einem Gutachten zu beantworten.

— 68 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 5: Arm und das Amtsgericht Nürnberg

Lösung

I. Kontradiktorisches (streitiges) Urteil

Die Klageabweisung erfolgte wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung und nicht aufgrund der gesetzlichen Folgen der Säumnis. Es liegt somit ein kontradiktorisches (streitiges) Endurteil trotz Säumnis vor.118

II. „Versäumnisurteil“ als Verlautbarungsfehler

Bei der Bezeichnung „Versäumnisurteil“ handelt es sich um einen Verlautbarungsfehler des Gerichts. Denn tatsächlich hat das Gericht gerade kein Versäumnisurteil erlassen.

III. Meistbegünstigung bei inkorrekten Entscheidungen

Es gilt bei solchen inkorrekten Entscheidungen — das sind ihrer Form nach zweifelhafte oder falsche Entscheidungen — der Grundsatz der Meistbegünstigung119. Danach darf ein Fehler oder eine Unklarheit des Gerichts keinesfalls zu Lasten der Parteien gehen. Daraus folgt, dass die Partei gegen eine ihrer Art nach zweifelhafte Entscheidung auf zwei Wegen vorgehen darf:

A. Subjektive Theorie Entweder legt sie das Rechtsmittel ein, das gegen die tatsächlich erlassene Entscheidung statthaft ist, auch wenn es sich um eine inkorrekte oder falsche Entscheidung handelt. Hier wäre dies der Einspruch gemäß § 338 ZPO (subjektive Theorie – man folgt der subjektiven Ansicht des erkennenden Richters).

B. Objektive Theorie Oder die Partei benutzt das Rechtsmittel, das gegen die Entscheidung bei richtiger (kor-rekter) Bezeichnung statthaft wäre, behandelt also die Entscheidung so, wie sie bei ob-jektiver Beurteilung hätte ergehen müssen. Im vorliegenden Fall hätte ein kontradiktori-sches (streitiges) Urteil ergehen müssen. Der Rechtsbehelf dagegen ist die Berufung gemäß § 511 ZPO (objektive Theorie – man folgt der objektiven Rechtslage).

118 Oben Fußn. 95. 119 BGHZ 194, 245 (248 f.); BGH NJW 2012, 3635 (3636); Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49),

Vorbem. § 511 Rdnr. 6 ff. Hinweise zur Meistbegünstigungstheorie bei Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 305 mit Fußn. 18.

— 69 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 5: Arm und das Amtsgericht Nürnberg

C. Ergebnis Arm kann also entweder den Rechtsbehelf einlegen, der gegen die verlautbarte Ent-scheidung (Versäumnisurteil) statthaft ist, nämlich den Einspruch, oder den Rechtsbe-helf, der gegen die ergangene Entscheidung (kontradiktorisches Endurteil) eigentlich statthaft ist, die Berufung.

Hinweis: Es ist nur nach dem Rechtsbehelf gefragt; nicht nach dessen Begründetheit (dessen Erfolgsaussichten).

— 70 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 5: Arm und das Amtsgericht Nürnberg

— 71 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

FALL 6:

ARM UND DER BUSUNFALL

Anders als bisher angenommen, ist es zu einem sehr schweren Unfall gekommen. Schnell überfuhr nicht nur Arm, sondern stieß zugleich mit einem Bus auf der Gegen-fahrbahn zusammen. Wie im Fall 1 ist Arm freiberuflich als Redakteur bei der lokalen Tageszeitung tätig und nicht gesetzlich sozialversichert.

Arm erlitt ein Schädelhirntrauma zweiten Grades, Brüche des Unterkiefers, des Beckens sowie der Hüfte. Dazu kam eine schwere Verletzung der Brustwirbelsäule; sie hatte eine Durchtrennung des Rückenmarks und damit eine Querschnittslähmung zur Folge. Zur Behandlung der Unfallfolgen waren ein stationärer Aufenthalt von 480 Tagen und zahl-reiche Operationen notwendig. Weiterhin musste Arm 350 Tage in Therapie- und Reha-bilitationseinrichtungen verbringen. Aufgrund der schweren Verletzung ist Arm auf Lebenszeit pflegebedürftig und auf einen Rollstuhl angewiesen.

Die 43 Insassen des Busses wurden zum Teil schwer verletzt. Ihre Ansprüche auf Ersatz von Sachschäden belaufen sich auf insgesamt € 125.000,–; diejenigen für Heil- und Re-habilitationsbehandlungen auf € 5.500.000,–.

Rechtsanwalt Klug beantragt im Namen des Arm beim zuständigen Landgericht eine gesamtschuldnerische Verurteilung des Schnell, des Reich und der Insolventia AG zur Zahlung von € 750.250,–. Dieser Antrag setzt sich aus folgenden Einzelpositionen zu-sammen: der ruinierte Anzug im Wert von € 50,–; zerstörtes Velo im Wert von € 200,–; Heil- und Rehabilitationsbehandlungen in Höhe von € 500.000,–; ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von € 250.000,–, wobei sich Rechtsanwalt Klug auf entspre-chende Urteile in Schmerzensgeldtabellen bezieht.

Die mündliche Verhandlung läuft vor dem Landgericht Regensburg folgendermaßen ab: Der Anwalt von Schnell räumt ein, dass der Unfall für ihn vermeidbar gewesen wäre und er ihn aus Unachtsamkeit verursacht habe. Hinsichtlich der Höhe der geltend ge-machten Schadensposten wolle er keine Erklärung abgeben. Am Schluss des Termins beantragt Rechtsanwalt Klug, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 750.250,– zu verurteilen. Die Beklagten beantragen sämtlich Klageabweisung.

Frage 1: Weshalb hat Rechtsanwalt Klug die Klage des Arm zum Landgericht erhoben?

Frage 2: Aus welchem Grund ist Schnell vor dem Landgericht mit einem Rechtsanwalt und nicht allein erschienen?

Frage 3: Wird das Landgericht Regensburg die Beklagten entsprechend den Klagean-trägen des Arm verurteilen?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 72 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

FALL 6: ARM UND DER BUSUNFALL 71

Frage 1: Weshalb hat Rechtsanwalt Klug die Klage des Arm zum Landgericht erhoben? 74

Frage 2: Aus welchem Grund ist Schnell vor dem Landgericht mit einem Rechtsanwalt und nicht allein erschienen? 74

Frage 3: Wird das Landgericht Regensburg die Beklagten entsprechend den Klageanträgen des Arm verurteilen? 74

I. Zulässigkeit der Klage 74

II. Begründetheit der Klage 75 A. Gegen Schnell 75

1. Gefährdungshaftung (§ 18 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG) 75 a) Die einzelnen Anträge (Streitgegenstände) 75

(1) Sachschäden 75 (2) Heilungskosten 75 (3) Schmerzensgeld 75 (4) Gesamtbetrag 76

b) Haftungshöchstbeträge nach § 12 Abs. 1 StVG 76 (1) Der Höchstbetrag von € 1 Million bei Sachbeschädigung 76 (2) Der Höchstbetrag von € 5 Millionen bei Körperverletzung 76

c) Die Berechnungsmethode für die Kürzung der Ansprüche 76 d) Die bei Arm vorzunehmende Kürzung 77 e) Die objektive Anspruchshäufung des Arm 77 f) Die einzelnen Kürzungen 77

(1) Ruinierter Anzug 77 (2) Zerstörtes Velo 77 (3) Heilungskosten 77 (4) Schmerzensgeld 78

g) Ergebnis 78 2. Deliktshaftung 78

a) Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB 78 b) Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1 StVO 78

3. Ergebnis 78 B. Gegen Reich 79

1. Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) 79 a) Ruinierter Anzug 79 b) Zerstörtes Velo 79 c) Heilungskosten 79 d) Schmerzensgeld 79

2. Deliktshaftung 79 3. Ergebnis 80

C. Gegen die Insolventia AG 80

III. Zulässigkeit der Streitgenossenschaft (§§ 59 f. ZPO) 80

IV. Gesamtschuldnerische Haftung von Reich, Schnell, Insolventia AG 81

V. Ergebnis 81

— 73 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

DIVERGENZTABELLE FÄLLE 1 – 7 83

— 74 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

Lösung

Frage 1: Weshalb hat Rechtsanwalt Klug die Klage des Arm zum

Landgericht erhoben?

Wenn der Wert des Streitgegenstandes „die Summe von fünftausend Euro“ (§ 1 ZPO, § 23 Nr. 1 GVG) „übersteigt“, endet die streitwertabhängige Zuständigkeit der Amtsge-richte. Da Arm keine der in § 23 Nr. 2 GVG und in § 23 a GVG genannten streitwert-unabhängigen Ansprüche geltend macht, ist zur Entscheidung über die in diesem Fall 6 erhobenen Klage mit ihrem Streitwert in Höhe von € 750.250,– das Landgericht sach-lich berufen (vgl. § 1 ZPO, § 71 Abs. 1 GVG). Deshalb hat Rechtsanwalt Klug dorthin die Klage erhoben.120

Frage 2: Aus welchem Grund ist Schnell vor dem Landgericht mit

einem Rechtsanwalt und nicht allein erschienen?

Schnell kann wegen § 78 ZPO („Anwaltsprozess“) nicht selbst vor dem Landgericht auftreten und musste deshalb einen Rechtsanwalt beauftragen. Hätte er das nicht getan und wäre er ohne Anwalt im Termin erschienen, wäre er „säumig“ gewesen und ein Versäumnisurteil hätte gegen ihn ergehen können.121

Frage 3: Wird das Landgericht Regensburg die Beklagten

entsprechend den Klageanträgen des Arm verurteilen?

I. Zulässigkeit der Klage

Nur hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts sind hier Bemerkungen angebracht. Wie in der Antwort auf Frage 1 dargestellt, besteht hier die sachliche Zu-ständigkeit des Landgerichts (§ 1 ZPO, § 71 Abs. 1 GVG).

120 Zu den Arbeitsgängen bei der sachlichen Zuständigkeit: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 172 – 176. 121 Näher Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 159 und Grunsky (Fußn. 27), Rdnr. 156.

— 75 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

II. Begründetheit der Klage

A. Gegen Schnell

1. Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG)

Schnell hat als Fahrer eines Kraftfahrzeuges bei dessen Betrieb den Anzug und das Velo des Arm beschädigt. Ebenso erlitt Arm gravierende körperliche und gesundheitliche Verletzungen. Ein Haftungsausschluss nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG ist nicht gegeben. Arm ist nicht gesetzlich sozialversichert; eine cessio legis gemäß § 116 SGB X auf den Sozialversicherungsträger ist demnach ausgeschlossen. Arm ist somit Inhaber der Forderung auf Erstattung der Heilungskosten.

a) Die einzelnen Anträge (Streitgegenstände)

(1) Sachschäden

Unproblematisch ist der Schadensersatz für den ruinierten Anzug (€ 50,–) und das zer-störte Velo (€ 200,–) gegeben.

(2) Heilungskosten

Nach § 11 Satz 1 StVG ist der Schadensersatzanspruch auf Ersatz der Heilungskosten in Geld gerichtet. Der Verletzte hat Anspruch auf Erstattung der tatsächlich entstandenen, angemessenen Kosten aller erforderlichen Heilbehandlungsmaßnahmen. Erforderlich ist eine Heilbehandlung, die vom Standpunkt eines verständigen Menschen bei der gege-benen Sachlage zweckmäßig erscheint.122 Der stationäre Aufenthalt einschließlich der Operationen sowie die stationäre Behandlung in der Rehabilitationseinrichtung sind notwendige Heilungskosten123. Die € 500.000,– stehen daher als erstattungsfähiger Be-trag fest.

(3) Schmerzensgeld

Der Schmerzensgeldanspruch ergibt sich wiederum aus § 11 Satz 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes sind die erheblichen Verletzungen und deren Folgen zu berücksichtigen. Arm wird nie mehr ein eigenverantwortliches Leben ohne fremde Hilfe führen können. Dem Betrag von € 250.000,– kommt somit reine Aus-gleichsfunktion zu.124 Das Gericht wird daher ein in dieser Höhe liegendes Schmerzens-geld für angemessen halten.125

122 BGH VersR 1969, 1040 (1041); 1970, 129 (130). 123 Zu den erstattungsfähigen Heilbehandlungskosten: Küppersbusch (Fußn. 39), Rdnr. 226 ff. 124 Dazu die Ausführungen in Fall 1. 125 Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei derart schweren Verletzungen: Hacks/Ring/Böhm (Fußn.

20), Nr. 3018 ff., S. 547 ff.

— 76 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

(4) Gesamtbetrag

Die soeben genannten Positionen ergeben einen Gesamtbetrag in Höhe von insgesamt € 750.250,– und zwar € 250,– wegen Sachbeschädigung (Anzug, Velo) und € 750.000,– (Heilungskosten, Schmerzensgeld) wegen Körperverletzung.

b) Haftungshöchstbeträge nach § 12 Abs. 1 StVG

(1) Der Höchstbetrag von € 1 Million bei Sachbeschädigung

Durch das Unfallereignis entstand bei Arm ein Sachschaden von € 250,–, bei den ande-ren Beteiligten ein Sachschaden von € 125.000,–. Der in § 12 Abs. 1 Ziffer 2 StVG festgelegte Höchstbetrag von € 1 Million für den Fall der Sachbeschädigung ist nicht überschritten.

(2) Der Höchstbetrag von € 5 Millionen bei Körperverletzung

Ferner bestimmt das StVG in § 12 Abs. 1 Ziffer 1, 1. Halbsatz einen Haftungshöchstbe-trag „im Fall der Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Menschen durch dasselbe Ereignis“ von € 5 Millionen.126. Diese Regelung begrenzt die vom Verpflichteten ge-schuldete Leistung.127

Den anderen Beteiligten sind durch Heil- und Rehabilitationsbehandlungen Schäden in einer Gesamthöhe von € 5.500.000,– entstanden. Zusammen mit den € 750.000,– des Arm ergibt sich daher eine Summe von € 6.250.000,–. Der den anderen 43 Geschädig-ten und der dem Arm aufgrund Gefährdungshaftung zustehende Betrag für Verletzun-gen muss daher gekürzt werden.

c) Die Berechnungsmethode für die Kürzung der Ansprüche

Da die Entschädigungen, die mehreren Betroffenen aufgrund desselben Ereignisses zu leisten sind, in der genannten Höhe von € 6.250.000,– den in § 12 Abs. 1 Ziffer 1 StVG bezeichneten Höchstbetrag übersteigen, verringern sich die einzelnen geltend gemach-ten Positionen gemäß § 12 Abs. 2 StVG in dem Verhältnis, in welchem ihr Gesamtbe-trag zu dem Höchstbetrag steht.128 Um den konkreten Betrag zu errechnen, der dem ein-zelnen Geschädigten zusteht, teilt man in einem ersten Schritt den Höchstbetrag durch die Summe sämtlicher geltend gemachten Entschädigungen und erhält die Quote:

126 Nach § 12 Abs. 1 Ziffer 1, 2. Halbsatz StVG erhöht sich bei der Tötung oder Verletzung von mehr als

acht beförderten Personen dieser Betrag „im Fall einer entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeför-derung“, die hier allerdings nicht gegeben ist. Entgeltlich ist die Beförderung, wenn sie der Person, die die Beförderung übernommen hat, durch irgendeine in deren wirtschaftlichem Interesse liegende Leis-tung abgegolten wird. Geschäftsmäßig handelt, wer die entgeltliche Personenbeförderung mindestens gelegentlich wiederholen und dadurch zum wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung machen will ( Peter König in: Peter Hentschel/Peter König/Peter Dauer: Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., Mün-chen 2011, § 8a Rdnr. 3 und 5).

127 BGH NJW 1996, 3418. 128 Zur Berechnung: Frank Pardey in: Robert Geigel: Der Haftpflichtprozess, 26. Auflage, München

2011, 4. Kapitel, Rdnr. 156 ff.

— 77 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

Höchstbetrag ÷÷÷÷ Summe der Entschädigungen = Quotient

€ 5.000.000 [Höchstbetrag] ÷ € 6.250.000 [Summe der Entschädigungen] = 0,80.

Die Quote für die Ansprüche beträgt also 0,80 (= 80 %).

In einem zweiten Schritt wird die einzelne Entschädigung mit dem errechneten Quotien-ten multipliziert, um die konkrete Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs zu errechnen.

Einzelne Entschädigung x Quotient = konkrete Höhe

d) Die bei Arm vorzunehmende Kürzung

Der Anspruch des Arm errechnet sich dementsprechend:

€ 750.000 [Körperverletzungsschaden des Arm] x 0,80 = € 600.000.

Dem Arm steht daher nur eine Entschädigung in Höhe von € 600.000,– zu.

e) Die objektive Anspruchshäufung des Arm

Arm hatte jedoch nicht nur einen einzelnen Antrag gestellt. Vielmehr hat er im Wege der objektiven Anspruchshäufung mehrere Streitgegenstände geltend gemacht. Deshalb ist genau anzugeben129, in welcher Höhe die einzelnen Körperverletzungspositionen zu kürzen sind. Die einschlägigen Entschädigungen werden mit dem berechneten Quotien-ten von 0,80 als Multiplikator vervielfältigt130:

€ 500.000 [Heilungskosten] x 0,80 = € 400.000;

€ 250.000 [Schmerzensgeld] x 0,80 = € 200.000.

f) Die einzelnen Kürzungen

(1) Ruinierter Anzug

Keine Kürzung: Verurteilung zu € 50,–.

(2) Zerstörtes Velo

Keine Kürzung: Verurteilung zu € 200,–.

(3) Heilungskosten

Statt € 500.000,–: Kürzung auf € 400.000,–.

129 Da ein Gutachten über die Entscheidung des Landgerichts gefordert ist, muss bereits bei den Ansprü-

chen gegen Schnell dieses Problem behandelt werden. Praktische Bedeutung erlangt § 12 StVG aller-dings nur bei Reich, da nur er ausschließlich aus Gefährdungshaftung Ersatz zu leisten hat. Ein Gericht würde sich bei Ansprüchen gegen Schnell lediglich mit § 823 BGB befassen, da diese Vorschrift sämt-liche geltend gemachten Ansprüche in voller Höhe deckt; bei Reich muss das Gericht § 12 StVG aber dann doch prüfen.

130 Zur Berechnung: Pardey in: Geigel (Fußn. 128), 4. Kapitel, Rdnr. 156 ff.

— 78 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

(4) Schmerzensgeld

Statt € 250.000,–: Kürzung auf € 200.000,–.

g) Ergebnis

Aufgrund Gefährdungshaftung stehen dem Kläger Arm also nur zu:

€ 50,– [Anzug]

€ 200,– [Velo]

€ 400.000,– [Heilungskosten]

€ 200.000,– [Schmerzensgeld]

Summe der Ansprüche: € 600.250,–

2. Deliktshaftung

a) Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

Schnell hat den Arm widerrechtlich und schuldhaft (fahrlässig) in dessen Eigentum (Anzug und Velo) beeinträchtigt. Erhebliche Verletzungen erlitt Arm in seiner Gesund-heit und körperlichen Integrität. Der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist unzweifelhaft erfüllt. Arm kann die Erstattung der materiellen und immateriellen Schäden nach §§ 249 ff. BGB in vollem Umfang verlangen. Im Gegensatz zum StVG kennt die ver-schuldensabhängige Deliktshaftung des BGB keine Haftungshöchstbeträge. Für das StVG sind Höchstbeträge hingegen erforderlich, da nur so für Ansprüche aus Gefähr-dungshaftung erträgliche Haftpflichtversicherungsbedingungen ermöglicht werden.

Arm hat also einen Anspruch aufgrund des BGB in Höhe von € 750.250,–.

b) Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 3 Abs. 1 und 3 Nr. 1 StVO

Eine weitere Anspruchsgrundlage bildet § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB, § 3 Abs. 1 StVO und § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Der Umfang des Anspruches be-stimmt sich wieder nach §§ 249 ff., § 842 BGB, also erhält Arm auch hier den vollen Betrag in Höhe von € 750.250,–.

3. Ergebnis Die Klage von Arm gegen Schnell auf Schadensersatz und Schmerzensgeld ist aus un-erlaubter Handlung in Höhe von € 750.250,– begründet. In dieser Höhe wird das Land-gericht den Beklagten Schnell verurteilen.

Dass Arm aus Gefährdungshaftung nur € 600.250,– fordern kann, ändert an diesem Ergebnis nichts. Auch eine Abweisung der Klage in Höhe des jeweils überschießenden Betrages (€ 100.000,– bei den Heilungskosten und 50.000,– beim Schmerzensgeld) kommt nicht in Betracht. Denn den Anträgen (Streitgegenständen) „Heilungskosten“ in Höhe von € 500.000,– und „Schmerzensgeld“ in Höhe von € 250.000,– konnte das Ge-richt aus den Anspruchsgrundlagen von § 823 Abs. 1 und 2 BGB voll entsprechen. Die Begründung der prozessualen Anträge auch mit der Anspruchsgrundlage aus dem StVG

— 79 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

macht keinen eigenen Streitgegenstand geltend. Der Streitgegenstand wird in erster Li-nie vom Klageantrag (z. B. Zahlung von Heilungskosten in Höhe von € 500.000,–) be-stimmt. Mit welchen Anspruchsgrundlagen (Vertrag, Gefährdung, Delikt, Bereicherung usw.) der Kläger seinen Antrag begründet, gehört nicht zum Streitgegenstand131.

B. Gegen Reich

1. Gefährdungshaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) Als Anspruchsgrundlage kommt § 7 Abs. 1 StVG in Betracht. Rechtsanwalt Klug hat vorgetragen, dass Reich Halter des durch Schnell gesteuerten Fahrzeuges ist. Bei Be-trieb des Fahrzeuges wurden der Anzug und das Velo beschädigt. Ebenso wurde Arm in seiner Gesundheit und körperlichen Integrität schwer verletzt, so dass umfangreiche Heil- und Therapiemaßnahmen erforderlich waren. Somit ist der Tatbestand des § 7 Abs. 1 StVG erfüllt. Wie schon oben erwähnt, ist Arm Inhaber des Anspruches, da ein gesetzlicher Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger nicht stattfindet. Ein Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG ist auch hier nicht gegeben.

Der Umfang der Ersatzpflicht bestimmt sich nach §§ 11, 12 StVG. Die Ersatzpflicht des Fahrzeughalters ist daher im Fall der Körperverletzungen der Unfallopfer auf € 5.000.000,– beschränkt. Wie bereits erläutert, findet gemäß § 12 Abs. 2 StVG eine anteilsmäßige Kürzung sämtlicher Körperverletzungsansprüche statt. Auch hier ist ge-nau anzugeben, in welcher Höhe jeder der einzelnen Ansprüche gekürzt wird.

a) Ruinierter Anzug

Keine Kürzung: Verurteilung zu € 50,–.

b) Zerstörtes Velo

Keine Kürzung: Verurteilung zu € 200,–.

c) Heilungskosten

Statt € 500.000,–: Verurteilung zu € 400.000,–, abzuweisen € 100.000,–.

d) Schmerzensgeld

Statt € 250.00,–: Verurteilung zu € 200.000,–, abzuweisen € 50.000,–.

2. Deliktshaftung Ein Anspruch auf Ersatz der Sachschäden und der Heilungskosten gegen Reich aus § 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen kommt nicht in Betracht, weil Reich keine schuldhafte Verletzungshandlung begangen hat.

131 Zu den Streitgegenstandsfragen: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 69 – 83.

— 80 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

3. Ergebnis Reich wird zur Zahlung in Höhe von € 600.250,– verurteilt, in Höhe von € 150.000,– ist die Klage jedoch unbegründet und muss abgewiesen werden132.

Hinweis: Im Prozessrechtsverhältnis gegen Schnell führte die Kürzung der StVG-Anspüche wegen Körperverletzung nicht zu einer teilweisen Klageabweisung. Diese Prozessrechtslage hat ihren Grund im vollen Sieg des Arm aus Delikt. Im Prozessrechtsverhältnis gegen Reich ist dies anders: Hier vermag Arm nicht, wenigstens aus Delikt den Gesamtbetrag von € 750.250,– geltend zu machen. Daher muss (also anders als bei der Klage gegen Schnell) insoweit die Klage abgewiesen werden.

Aus diesem Grund kann hier ein Feststellungsantrag zweckmäßiger sein als ein Leistungsantrag. Aufgrund der möglichen Reduzierung des Ersatzanspruches im Hinblick auf andere Beteiligte ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, so dass das Gericht dementspre-chend die Zahlungspflicht „vorbehaltlich der Herabsetzung der An-sprüche gemäß § 12 Abs. 2 StVG“ feststellt.133 Sobald auf diese Weise feststeht, welche Schadenshöhe insgesamt bei allen Geschädigten entstanden ist, lässt sich die Reduzierung auf die Höchstbeträge vornehmen.

C. Gegen die Insolventia AG Die Haftung der Insolventia AG richtet sich auch in dieser Variante nach § 115 VVG. Die Insolventia AG hat für die Schäden des Fahrzeugfahrers einzustehen. Daher sind dem Arm € 750.250,– zu zahlen. Dass der Fahrzeughalter nur für € 600.250,– haftet, kommt der Haftpflichtversicherung nicht zugute.

Ergebnis: Die Insolventia AG wird zur Zahlung von € 750.250,– verurteilt.

III. Zulässigkeit der Streitgenossenschaft (§§ 59 f. ZPO)

Arm verklagt Schnell, Reich und die Insolventia AG in einer Klage. Die drei Beklagten bilden daher eine Streitgenossenschaft (auf der Passivseite). Sie ist gemäß § 59 ZPO zulässig, weil Arm geltend macht, dass die drei Beklagten aus demselben tatsächlichen Grunde, nämlich aus dem Verkehrsunfall, verpflichtet sind.

132 Pardey in: Geigel (Fußn. 128), 4. Kapitel, Rdnr. 175, vertritt die Ansicht, in derartigen Prozessen

beschränke der Kläger konkludent seine Ansprüche auf die Höchstbeträge. Vertritt man diese Meinung, dann erfolgt insoweit keine Abweisung des überschießenden Betrages. Auf jeden Fall wird das Gericht gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO einen Kläger darauf hinweisen, dass die Haftungsbeschränkung gemäß § 12 StVG eingreift, und ihm Gelegenheit geben, den Klageantrag entsprechend zu fassen sowie gege-benenfalls zu ändern.

133 Vgl. BGH VersR 1961, 1115; Pardey in: Geigel (Fußn. 128), 4. Kapitel, Rdnr. 159.

— 81 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 6: Arm und der Busunfall

IV. Gesamtschuldnerische Haftung von Reich, Schnell, Insolventia AG

Reich, Schnell und die Insolventia AG haften als Gesamtschuldner nach § 840 BGB134. Eine vorrangige Regelung aus dem StVG greift insoweit nicht ein. Die gesamtschuldne-rische Haftung zwischen Reich und der Insolventia AG ergibt sich auch aus § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG.

V. Ergebnis

Das Gericht wird Schnell, Reich und die Insolventia AG als Gesamtschuldner zur Zah-lung von € 600.250,– an Arm verurteilen. Darüber hinaus wird es Schnell und die Insolventia AG als Gesamtschuldner zur Zahlung von weiteren € 150.000,– an Arm verurteilen. In Höhe von € 150.000,– wird es die Klage gegen Reich abweisen.

134 Vgl. Fußn. 45.

— 83 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Divergenztabelle Fälle 1 – 6

DIVERGENZTABELLE FÄLLE 1 – 6

Arm Schnell Reich Insolven-

tia AG

Fall 1 Streitiges Endurteil Begründet (aus Ge-fährdungs- und aus Deliktshaftung):

Anzug (§ 229 StGB scheidet aber als Schutz-gesetz aus) Velo (§ 229 StGB scheidet aber als Schutzgesetz aus) Heilungskosten Verdienstausfall Schmerzensgeld

VU [=Versäumnisurteil] Schlüssig (nur aus Gefährdungs-haftung):

Anzug Velo Heilungskosten Verdienstausfall Schmerzensgeld

VU Schlüssig (aus § 115 VVG):

Anzug Velo Heilungskosten Verdienstausfall Schmerzensgeld

Fall 2 Frage 1

Streitiges Endurteil Begründet (aus Ge-fährdungs- und aus Deliktshaftung):

Verdienstausfall Schmerzensgeld

Unbegründet:

Heilungskosten

Endurteil/VU Schlüssig (nur aus Gefährdungs-haftung):

Verdienstausfall Schmerzensgeld (in Höhe von € 1.250)

Unschlüssig: Heilungskosten Schmerzensgeld (in Höhe von € 1.250)

Endurteil/VU Schlüssig (aus § 115 VVG):

Verdienstausfall Schmerzensgeld (in Höhe von € 2.500)

Unschlüssig:

Heilungskosten

Fall 2 Frage 2

Berufung: statthaft (Klage-abweisung ge-genüber Schnell, Reich und Insolventia AG ist streitiges Endurteil).

Berufung: statthaft.

Einspruch: statthaft.

Einspruch: statthaft.

— 84 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Divergenztabelle Fälle 1 – 6

Arm Schnell Reich Insolven-

tia AG

Fall 2 Frage 3

Nichtbestreiten der Behauptung des Schnell führt in diesem Pro-zessrechtsver-hältnis zur Ge-ständnisfiktion, § 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO.

Streitiges Endurteil Begründet:

Schmerzensgeld (in Höhe von € 2.500)

Unbegründet: Heilungskosten Verdienstausfall.

Endurteil/VU wie bei Fall 2 – Fra-ge 1 (Geständnisfiktion im Prozessrechts-verhältnis Arm-Schnell wirkt sich wegen § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht aus).

Endurteil/VU wie bei Fall 2 – Frage 1 (Geständnisfiktion im Prozessrechtsver-hältnis Arm-Schnell wirkt sich wegen § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht aus).

Fall 2 Frage 4

Anerkenntnisurteil hinsichtlich aller Streitgegenstände (einschließlich Hei-lungskosten!).

Endurteil/VU wie bei Fall 2 – Fra-ge 1.

Endurteil/VU wie bei Fall 2 – Frage 1.

Fall 3 Bezüglich Deliktshaftung trägt Arm Be-weislast für Ver-schulden. Non liquet geht zu seinen Lasten.

Verurteilung wie bei Fall 2 (Jedoch nur auf-grund Gefährdungs-haftung, da Schnell nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG Beweis-last trägt).

Endurteil/VU wie bei Fall 2 – Fra-ge 1 (Schlüssigkeit ist nur vom Vortrag des Arm abhängig).

Endurteil/VU wie bei Fall 2 – Frage 1 (Schlüssigkeit ist nur vom Vortrag des Arm abhängig).

Fall 4

Ohne Einwilli-gung in erster Instanz Partei-beitritt (§§ 59, 60 ZPO) auf Klägerseite möglich, nicht aber Partei-wechsel.

Vor mündlicher Ver-handlung (arg. § 269 Abs. 1 ZPO) Einwil-ligung für Kläger-wechsel nicht nötig. Parteibeitritt auf Klägerseite bedarf nicht Einwilligung.

Vor mündlicher Verhandlung (arg. § 269 Abs. 1 ZPO) Einwilligung für Klägerwechsel nicht nötig. Partei-beitritt auf Kläger-seite bedarf nicht Einwilligung.

Vor mündlicher Ver-handlung (arg. § 269 Abs. 1 ZPO) Einwil-ligung für Kläger-wechsel nicht nötig. Parteibeitritt auf Klä-gerseite bedarf nicht Einwilligung.

Fall 5 Statthaft sowohl Einspruch als auch Berufung nach Meistbe-günstigungs-grundsatz.

— 85 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Divergenztabelle Fälle 1 – 6

Arm Schnell Reich Insolven-

tia AG

Fall 6 Frage 1

Sachliche Zustän-digkeit Landgericht (§1 ZPO; § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG).

Sachliche Zustän-digkeit Landge-richt (§ 1 ZPO; § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG).

Sachliche Zustän-digkeit Landgericht (§ 1 ZPO; § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG).

Fall 6 Frage 2

Postulationsfä-higkeit § 78 ZPO

Postulationsfähigkeit § 78 ZPO

Postulationsfähig-keit § 78 ZPO

Postulationsfähigkeit § 78 ZPO

Fall 6 Frage 3

Streitiges Endurteil Begründet:

Anzug Velo Heilungskosten in Höhe von € 500.000 Schmerzensgeld in Höhe von. € 250.000

Streitiges Endur-teil Begründet:

Anzug Velo Heilungskosten in Höhe von € 400.000 Schmerzensgeld in Höhe von € 200.000

Unbegründet: in Höhe von € 150.000

Streitiges Endurteil Begründet:

Anzug Velo Heilungskosten in Höhe von € 500.000 Schmerzensgeld in Höhe von € 250.000

(Haftung richtet sich nach Haftung des Fahrzeugfahrers, § 115 VVG)

Professor Dr. Ekkehard Schumann

Regensburg

REPETITORIUM ZIVILPROZESSRECHT

WS 2013/2014

ALOYS GAMMLER , UHRMACHER ZEIGER UND

EINE ALTE ENGLISCHE STANDUHR

FÄLLE 7 – 10

— 89 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

FALL 7:

GAMMLER ZAHLT

UND BLITZ SOWIE DIE ALLERLEI GMBH HABEN GEPFÄNDET

Aloys Gammler kaufte am 27. Oktober vom Uhrmacher Zeiger eine aus dem 19. Jahr-hundert stammende englische Standuhr zum Preis von € 10.000,–. Beide vereinbarten schriftlich unter anderem Folgendes: „Der Kaufpreis beträgt € 10.000,–; angezahlt wer-den € 2.000,–. Der Rest ist in acht gleichen Monatsraten in Höhe von € 1.000,–, begin-nend zwei Monate nach Vertragsschluss, zu zahlen. Der Verkäufer behält sich das Ei-gentum bis zur völligen Zahlung des Kaufpreises vor.“ Die Vereinbarung entspricht den gesetzlichen Vorschriften über Verträge dieser Art.

Noch am 27. Oktober zahlte Gammler die vereinbarten € 2.000,– an; Zeiger übergab die Uhr an Gammler, der sie nach Hause transportierte.

Aufgrund eines rechtskräftigen Urteils gegen Gammler pfändet am 28. Mai des nächs-ten Jahres Gerichtsvollzieher Streng im Auftrag des Elektrohändlers Blitz diese Uhr, indem er an ihr ein Pfandsiegel anbringt. Die Allerlei GmbH, die ebenfalls ein rechts-kräftiges Urteil gegen Gammler besitzt, erwirkt beim zuständigen Vollstreckungsgericht einige Zeit später, am 24. Juli, einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss — Über-weisung zur Einziehung — bezüglich des Anspruches des Gammler gegen Zeiger „auf Übertragung des Eigentums an der englischen Standuhr“ (wird näher beschrieben) so-wie hinsichtlich des „Anwartschaftsrechts an vorgenannter Uhr“. Dieser Beschluss wird dem Zeiger am 25. Juli und Gammler am 31. Juli zugestellt. Inzwischen hat Gammler am 26. Juli die letzte Kaufpreisrate gezahlt. Am 13. August erfolgt zugunsten der Aller-lei GmbH die Anschlusspfändung der Uhr.

Die Allerlei GmbH ist der Ansicht, dass sie ein vorrangiges Pfändungspfandrecht besit-ze. Elektrohändler Blitz meint hingegen, sein Pfändungspfandrecht gehe dem Pfand-recht der Allerlei GmbH vor.

Frage 1: Wer hat Recht? Die Allerlei GmbH oder Blitz?

Gegenüber der am 26. Juli erfolgten Zahlung des Restkaufpreises hat die Allerlei GmbH Bedenken. Schließlich sei dem Gammler durch den von ihr erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24. Juli jede Verfügung über das Anwartschaftsrecht ver-boten. Trotzdem habe er gezahlt und damit das gepfändete Anwartschaftsrecht zum Er-löschen gebracht. Mit den durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss eingetre-tenen „Verfügungsbeschränkungen des Gammler“ sei diese Zahlung unvereinbar.

Frage 2: Was ist zu dieser Argumentation zu sagen?

— 90 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

Von der Pfändung der Uhr am 28. Mai durch den Blitz erfährt Zeiger wenige Tage spä-ter. Er ruft Blitz sofort an und weist ihn auf sein Vorbehaltseigentum hin. Nachdem Blitz sich weigert, das Vorbehaltseigentum anzuerkennen, und sogar mit der Versteige-rung der Uhr droht, will Zeiger gegen ihn gerichtlich vorgehen.

Frage 3: Hat Zeiger einen Rechtsbehelf, mit dem er sein Eigentum geltend machen kann, und hätte dieser Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg?

Frage 4: Kann Blitz seinerseits Maßnahmen ergreifen, um den Erfolg dieses Vorgehens von Zeiger zu beeinträchtigen?

Frage 5: Frage 2 ging von einer Zahlung des Kaufpreisrestes durch Gammler aus. Wä-re eine Zahlung stattdessen durch Blitz anders zu beurteilen?

Seiner Vermieterin, Frau Häuslich, hat Gammler seit einiger Zeit die Miete nicht ge-zahlt. Am 15. August erfährt Frau Häuslich von den Pfändungen. Sie möchte wissen, ob auch sie auf die Uhr zugreifen kann.

Frage 6: Was ist Frau Häuslich zu raten?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 91 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

FALL 7: GAMMLER ZAHLT UND BLITZ SOWIE DIE ALLERLEI GMBH HABEN

GEPFÄNDET 89

Frage 1 94

I. Pfändung der Sache (Uhr) gemäß § 808 ZPO am 28. Mai durch Blitz 95

A. Verstrickung 95

B. Pfändungspfandrecht 96

1. Gemischte Theorie 96

2. Rein privat-rechtliche Theorie 97

3. Öffentlich-rechtliche Theorie 97

4. Ergebnis 97

II. Pfändung des Rechts durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 24. Juli gemäß §§ 829, 835, 857 ZPO für die Allerlei GmbH 98

A. Pfändung des Übereignungsanspruches 98

B. Anwartschaftsrechtspfändung 99

1. Zustellung an den Vollstreckungsschuldner 99

2. „Ein Drittschuldner nicht vorhanden“? (§ 857 Abs. 2 ZPO) 100 3. „Anderes Vermögensrecht“ im Sinne von § 857 Abs. 1 ZPO? 100

a) Doppelpfändungstheorie 100 (1) Die herrschende Doppelpfändungstheorie 101 (2) Vorsicht beim Ausdruck „Doppelpfändung“ 101

(3) Die Pfändung vom 24. Juli 102 b) Theorie der (reinen) Rechtspfändung 102 c) Theorie der (reinen) Sachpfändung 102 d) Ergebnis 102

III. Der Einfluss der Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler am 26. Juli auf die bestehende Rechtslage 103

A. Ausgangslage vor der Zahlung des Restkaufpreises 103

B. Der Einfluss der Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler auf die Verstrickung der Uhr (§ 808 ZPO) aufgrund der Pfändung durch den Blitz 103 1. Öffentlich-rechtliche Theorie 103

2. Gemischte Theorie 103

C. Der Einfluss dieser Zahlung auf das gepfändete Anwartschaftsrecht 104

1. Dingliche Surrogation (Rechtspfändungstheorie) 105

a) Die Lösungsüberlegung 105 b) Ablehnung dieser Ansicht 105

2. Die rangwahrende Funktion des Anwartschaftsrechts (Doppelpfändungstheorie) 106

3. Ergebnis 107

IV. Die Bedeutung der Pfändung vom 13. August seitens der Allerlei GmbH 107

V. Vorrangfrage 108

VI. Ergebnis 108

— 92 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

Frage 2 108

I. Unkenntnis des Gammler vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss 108

II. Verfügung des Vollstreckungsschuldners? 109 A. Verfügungen, die den Vollstreckungsgläubiger nicht beeinträchtigen, sind erlaubt 109

B. Restkaufpreiszahlung ist keine Verfügung 110

1. Der Erwerb oder die Erweiterung eines Rechts ist nie eine Verfügung 110 2. Erfüllung ist kein Rechtsgeschäft 110

3. Zahlung betrifft unmittelbar nur den Kaufpreisrest 111

C. Ergebnis 111

Frage 3 112

I. Zulässigkeit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO 112

II. Begründetheit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO 112

III. Ergebnis 113

Frage 4 114

I. Pfändung des Anwartschaftsrechts als Kern der Doppelpfändungstheorie 114

II. Rechtliche Folgen der Pfändung des Anwartschaftsrechts 115 A. Erste Folge: Nicht § 771 ZPO 115

B. Zweite Folge: Nicht § 267 Abs. 2 BGB 115

C. Dritte Folge: § 162 Abs. 1 BGB 115

D. Vierte Folge: Rangwahrende Funktion 116

III. Die strategische Bedeutung der Doppelpfändungstheorie 116

IV. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen nach der Doppelpfändungstheorie 117

V. Ergebnis 117

Frage 5 117

I. Eigentum geht von Zeiger auf Gammler über 117

II. Bedeutung des § 267 Abs. 2 BGB 118

III. Anwartschaftsrechtspfändung schaltet § 267 Abs. 2 BGB aus 118

IV. Ergebnis 118

— 93 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

Frage 6 119

I. Vermieterpfandrecht nach § 562 Abs. 1 Satz 1, § 549 Abs. 1 BGB 119 A. Nicht an der Uhr 120

B. Am Anwartschaftsrecht 120

C. Seit 26. Juli an der Uhr 120

D. Zwischenergebnis 120

II. Pfändungspfandrecht für Blitz 120

III. Vorrang des Vermieterpfandrechts? 121

A. Öffentlich-rechtliche Theorie: Nachrang Vermieterpfandrecht 121

B. Gemischte Theorie: Gleichrang? 121

1. Reichsgericht: Gleichrang 121

2. § 804 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 50 Abs. 1 und Abs. 2 InsO: Gleichrang 121

3. Nichtanwendbarkeit von § 804 Abs. 3 ZPO 122

4. Allgemeines Prioritätsprinzip: Vorrang Vermieterpfandrecht 122

IV. Zwischenergebnis 123

V. Klage auf vorzugsweise Befriedigung 124

— 94 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

Frage 1: Wer hat Recht? Die Allerlei GmbH oder Blitz?

Die erste Frage lautet: „Wer hat Recht? Die Allerlei GmbH oder Blitz?“

Jetzt Sachverhalt zu Frage 1 lesen.

Zeittabelle:

27. 10. Vertragsschluss

28. 5. Pfändung der Uhr für Blitz (§ 808 ZPO)

24. 7. Pfändungs- und Überweisungsbeschluss §§ 829, 835, 857 ZPO für Allerlei GmbH

25. 7. Zustellung des Beschlusses an Zeiger

26. 7. Zahlung der letzten Kaufpreisrate durch Gammler

31. 7. Zustellung des Beschlusses an Gammler

13. 8. Anschlusspfändung durch Allerlei GmbH § 826 ZPO

„Feststellungsklausur“, keine „verdeckte Anspruchsklausur“.

Bei einer vollstreckungsrechtlichen Feststellungsklausur ist der historische Aufbau zulässig.

Lösung

Maßgeblich für die Beantwortung der Frage 1 ist das Prioritätsprinzip des § 804 Abs. 3 ZPO: Das frühere Pfandrecht geht dem späteren Pfandrecht vor. Entscheidend ist also der Zeitpunkt der Begründung der Pfandrechte. Ist Blitz im Besitz eines früheren Pfand-rechts, geht sein Pfandrecht dem Pfändungspfandrecht der Allerlei GmbH vor. Umge-kehrt ginge ein früheres Pfandrecht der Allerlei GmbH einem späteren Pfandrecht des Blitz vor.

— 95 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

I. Pfändung der Sache (Uhr) gemäß § 808 ZPO

am 28. Mai durch Blitz

A. Verstrickung Am 28. Mai entstand die Verstrickung135 der Uhr zugunsten des Blitz. Der Pfändungsakt des Gerichtsvollziehers Streng136 geschah durch Anlegen des Pfandsiegels an diesem Tag (§ 808 Abs. 1 und 2 ZPO). Streng beließ die Uhr in der Wohnung des Voll-streckungsschuldners, was zulässig war.

Bei seiner Pfändung stellte der Gerichtsvollzieher nur auf den Gewahrsam ab. Eigentum an der Uhr hat Gammler zwar noch nicht erworben, da der Restkaufpreis nicht entrichtet worden ist, so dass die aufschiebende Bedingung zum Eigentumserwerb nicht eintreten konnte (§§ 929, 158 Abs. 1, § 449 Abs. 1 BGB). Es schadet nicht, dass das Vorbehalts-eigentum noch bei Zeiger (Verkäufer) besteht.137

Die Verstrickung der Uhr besteht also unabhängig von der Eigentumslage. Man könnte sie höchstens leugnen, wenn man der längst überholten Ansicht folgt, dass eine Verstri-ckung nur dann besteht, wenn auch ein Pfändungspfandrecht existiert, insbesondere also, wenn es sich nicht um eine schuldnerfremde Sache handelt. Dieser aufgrund der früheren rein privatrechtlichen Theorie138 vertretenen Ansicht ist heute aber nicht mehr zu folgen. Der Staatsakt der Pfändung ist unabhängig von dem Bestehen oder Nichtbe-stehen eines Pfändungspfandrechts. Lediglich die prozessualen Voraussetzungen einer Beschlagnahme müssen vorliegen.139 Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, ist nicht zu bezweifeln. Damit ist die Verstrickung der Uhr am 28. Mai eingetreten.

Exkurs zur Durchsuchung von Wohnungen durch den Gerichtsvollzieher

§ 758 a ZPO regelt im Einzelnen die Durchsuchung von Wohnungen durch den Gerichtsvollzieher. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 GG warf bis zum Jahr 1997 die Durchsuchung von Wohnungen durch den pfän-denden Gerichtsvollzieher immer wieder Probleme auf. Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 1987140 war festgehalten,

135 Verstrickung bedeutet die staatliche Beschlagnahme der gepfändeten Sache, die dazu führt, dass sie

der Verfügungsbefugnis des Schuldners entzogen und zum Zweck der Befriedigung des Gläubigers si-chergestellt wird. Zusammenfassend zur Entstehung der Verstrickung: Otto-Gerd Lippross: Vollstre-ckungsrecht, 10. Auflage, München 2011, Rdnr. 224 – 227.

136 Zur öffentlichen-rechtlichen Stellung des Gerichtsvollziehers wichtig: BGHZ 142, 77 (78 – 84). 137 Vgl. Fritz Baur/Rolf Stürner/Alexander Bruns: Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Auflage, Heidelberg

2006, Rdnr. 27.13; Christian Seiler in: Heinz Thomas/Hans Putzo: ZPO, 34. Auflage, München 2013, § 808 Rdnr. 9 f.

138 Zu den verschiedenen Theorien über das Pfändungspfandrecht sogleich sub B 1 - 4. 139 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 803 Rdnr. 7 ff.; Rainer Kemper in: Ingo Saenger: ZPO,

5. Auflage, Baden-Baden 2013, § 803 Rdnr. 8 f. 140 BVerfGE 76, 83 ff.

— 96 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

dass die Durchsuchung von Räumen des Vollstreckungsschuldners durch den Gerichtsvollzieher zur Erledigung mehrerer Pfändungs-aufträge (§ 827 Abs. 3 ZPO) gegen Art. 13 Abs. 2 GG verstößt, wenn für einen Teil der Vollstreckungsgläubiger keine Durchsuchungsan-ordnung vorliegt, der Gerichtsvollzieher sich aber wegen der Voll-streckung für die übrigen Vollstreckungsgläubiger länger in den Räumen des Vollstreckungsschuldners aufhalten muss. Diese Recht-sprechung ergänzte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 1997141, der (für den Strafprozess) die bisher vertretene An-sicht zur Rechtsfigur der „prozessualen Überholung“ bei richterlichen Durchsuchungsanordnungen aufgab. Das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebietet vielmehr, dem Betroffenen in Fällen tiefgreifender, tatsächlich aber nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt (z. B. Durchsuchungsanordnung) nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Die Beschwerde gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung darf daher nicht allein deswegen, weil sie vollzogen ist und die Maßnahme sich deshalb erledigt hat, unter dem Gesichtspunkt „prozessualer Überholung“ als unzulässig verworfen werden.142

Verstrickung der Uhr zugunsten Blitz durch Anlegen des Pfandsiegels: Maßgeblich sind nur die prozessualen Voraussetzungen einer Beschlagnahme, ins-

besondere der Gewahrsam.

Die Eigentumslage ist unerheblich.

B. Pfändungspfandrecht Mit dem Bestehen der Verstrickung ist aber nicht zugleich gesagt, dass ein Pfändungs-pfandrecht entstanden ist. Es kommt vielmehr darauf an, an welche Voraussetzungen man die Entstehung eines Pfändungspfandrechts knüpft.143

1. Gemischte Theorie Geht man davon aus, dass das in der ZPO enthaltene Pfändungspfandrecht nach den-selben Grundsätzen entsteht und zu behandeln ist, wie das Faustpfandrecht des BGB, so setzt das Entstehen eines Pfändungspfandrechts sowohl das Bestehen einer Forderung des Vollstreckungsgläubigers als auch das Eigentum des Vollstreckungsschuldners vo-raus. Ohne Forderung und ohne Eigentum des Vollstreckungsschuldners kann demnach

141 BVerfGE 96, 27 ff. 142 Insofern überholt BVerfGE 49, 329 ff. 143 Zu den Pfändungspfandrechtstheorien: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 403.

— 97 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

ein Pfändungspfandrecht nicht entstehen. Dies ist die in Literatur und Rechtsprechung vorherrschend vertretene Ansicht, die gemeinhin als „gemischte Theorie“144 bezeichnet wird, weil sie sowohl Elemente einer privatrechtlichen als auch einer öffentlich-rechtli-chen Theorie in sich vereinigt, weswegen sie auch häufig als „privatrechtlich-öffentlichrechtliche Theorie“ bezeichnet wird. An dieser Theorie ist der sozusagen „öffentlichrechtliche Teil“ das Bejahen einer Verstrickung, unabhängig von der privat-rechtlichen Lage. Der privatrechtliche Aspekt dieser Lehre besteht andererseits darin, dass das Pfändungspfandrecht der ZPO sowohl das Bestehen einer Forderung als auch die Existenz des Eigentums beim Vollstreckungsschuldner verlangt, wie dies auch beim Faustpfandrecht des BGB der Fall ist; vgl. §§ 1204, 1205 BGB. Nach dieser Theorie ist im vorliegenden Fall kein Pfändungspfandrecht zugunsten des Blitz am 28. Mai ent-standen. Zum Zeitpunkt der Pfändung der Uhr hatte Gammler den letzten Kaufpreisrest noch nicht gezahlt. Damit konnte das Eigentum des Zeiger nicht auf Gammler überge-hen. Im Zeitpunkt der Verstrickung fehlte daher das Eigentum des Gammler und des-halb — nach der „gemischten Theorie“ — ein Merkmal für den Entstehungstatbestand des Pfändungspfandrechts.

2. Rein privatrechtliche Theorie Zum Fehlen eines Pfändungspfandrechts käme man im Übrigen auch nach der längst überholten rein privatrechtlichen Theorie145, die das Entstehen eines Pfändungspfand-rechts ausschließlich an die Voraussetzungen des BGB knüpft.

3. Öffentlichrechtliche Theorie Zu einem anderen Ergebnis gelangt man jedoch, wenn man im vorliegenden Fall nicht das Bestehen einer Forderung bei Blitz und die Existenz des Eigentums bei Gammler, sondern lediglich eine prozessual wirksame Vollstreckung fordert, um ein Pfändungs-pfandrecht entstehen zu lassen. Da zweifellos am 28. Mai eine wirksame Verstrickung begründet wurde, käme man nach dieser Ansicht zum Ergebnis, dass am 28. Mai ein Pfändungspfandrecht des Blitz entstanden ist. Dies entspricht der öffentlichrechtlichen Theorie146 über das Pfändungspfandrecht, die weder auf eine Forderung des Vollstre-ckungsgläubigers noch auf die Existenz des Eigentums beim Vollstreckungsschuldner abstellt.

4. Ergebnis Damit steht der Bearbeiter vor der Frage, welcher der möglichen Lösungen er folgt. Richtet er sich nach der „gemischten Theorie“ (oben 1.), dann ist am 28. Mai kein Pfän-dungspfandrecht entstanden. Hält er hingegen die öffentlich-rechtliche Theorie (oben

144 Hans Brox/Wolf-Dietrich Walker: Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Auflage, Köln-München 2011,

Rdnr. 382 ff. 145 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 380. 146 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 381.

— 98 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

3.) für richtig, dann wurde am 28. Mai ein Pfändungspfandrecht begründet. Klausurtak-tisch147 spricht vieles dafür, jetzt lieber ein Pfändungspfandrecht zu verneinen, um noch kein Zwischenergebnis zu bringen und die Lösung weiter entwickeln zu können. Dieser Weg ist zugleich sachgerecht, weil die „gemischte Theorie“ in der Praxis herrschend ist148 und ihre Argumente überzeugen: Das Zwangsvollstreckungsrecht will den Voll-streckungsgläubiger auf Kosten seiner Vollstreckungsschuldner, aber nicht fremder Per-sonen befriedigen. Aus dem Einhalten der formellen Vollstreckungsvoraussetzungen darf sich daher kein inhaltliches Recht zum Zugriff auf schuldnerfremdes Vermögen ergeben; vgl. § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Eingriffe in Rechte Dritter, wenn auch nicht immer vermeidbar, sind mit Blick auf Art. 14 GG so gering wie möglich zu halten.149

Folgt man also der „gemischten Theorie“, ist am 28. Mai kein Pfändungspfandrecht zugunsten des Blitz entstanden.

II. Pfändung des Rechts

durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 24. Juli

gemäß §§ 829, 835, 857 ZPO für die Allerlei GmbH

Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24. Juli spricht gemäß dem Sachver-halt zwei Pfändungen aus. Dass dieser Pfändungs- und Überweisungsbeschluss tat-sächlich zwei verschiedene Pfändungen betrifft, darf unter keinen Umständen übersehen werden, mag sich im Ergebnis auch herausstellen, dass nur einer der Aussprüche zum Erfolg führt.150

Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss enthält gemäß dem Sachverhalt zwei Aus-sagen: Er ergreift den Übereignungsanspruch des Gammler nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB und er erstreckt sich auf das Anwartschaftsrecht des Gammler selbst.

A. Pfändung des Übereignungsanspruches Die Pfändung des Anspruches auf Übereignung kann nach § 847 ZPO erfolgen. Übli-cherweise werden Ansprüche auf Übereignung (die ZPO spricht im § 846 insoweit et-was unscharf von „Leistung“) oder auf Herausgabe nach den Vorschriften der §§ 846 ff. ZPO gepfändet. Für eine Pfändung gemäß § 847 ZPO fehlt es aber vor allem an einem Übereignungsanspruch des Gammler. Sein Vertragspartner, Zeiger, hat nämlich durch die bedingte Übereignung alles getan, was er als Verkäufer tun konnte. Das Entstehen des Eigentums bei Gammler hängt ausschließlich von dessen vertragstreuem Verhalten ab. Sobald Gammler die letzte Kaufpreisrate zahlt, geht automatisch — ohne jede Mit-

147 Zur Klausurtaktik bei kontroversen Meinungen: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 39. 148 Vgl. Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 393;Olaf Muthorst: Grundzüge des Zwangsvollstreckungsrechts,

Baden-Baden 2013, § 10 Rdnr. 59. 149 BGHZ 119, 75 (82 ff.). 150 Zur Beachtung des Trennungsprinzips hinsichtlich der Personen und der zu vollstreckenden Ansprü-

che bei der Bearbeitung von Vollstreckungsfällen vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 362 ff.

— 99 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

wirkung des Zeiger — das Eigentum auf den Gammler über. Insoweit kann man davon sprechen, dass der Leistungsanspruch (Übereignungsanspruch) nicht mehr besteht und es an einem pfändbaren Übereignungsanspruch überhaupt fehlt.151 Daher geht die Pfän-dung des Übereignungsanspruches durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ins Leere, denn mit Zahlung (= Bedingungseintritt) des Restkaufpreises erwirbt Gamm-ler automatisch das Eigentum von Zeiger nach §§ 929, 158 Abs. 1, § 449 Abs. 1 BGB.

Dieses Ergebnis könnte man auch so zu begründen versuchen, dass dem Zeiger die Eigenschaft als Drittschuldner, die § 847 ZPO erfordert, fehle.152 Dagegen erheben sich aber insofern Bedenken, als auch in anderem Zusammenhang beim Anwartschaftsrecht von einer Drittschuldnerstellung des Verkäufers (mit Recht) gesprochen wird153, so dass kaum argumentiert werden kann, eine Anwendung des § 847 ZPO scheitere auch daran, weil es an einem Drittschuldner fehle.

Entscheidend ist deshalb das Fehlen eines Übereignungsanspruches. Damit hat der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24. Juli einen Anspruch ergriffen, den es gar nicht gibt. Er ist damit gegenstandslos. Für die weitere Bearbeitung der Klausur ist damit davon auszugehen, dass ein Übereignungsanspruch durch Blitz gegenüber dem Gammler nicht gepfändet wurde.

B. Anwartschaftsrechtspfändung154 Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erging am 24. Juli. Damit er wirksam wer-den kann, muss er zugestellt werden, § 829 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Hierbei erhebt sich die Frage, ob es bei einer Anwartschaftsrechtspfändung auf die Zustellung an den Vollstre-ckungsschuldner (Gammler) oder auf die Zustellung an den Drittschuldner (Zeiger) an-kommt.

1. Zustellung an den Vollstreckungsschuldner Das Anwartschaftsrecht ist keine Geldforderung, so dass § 829 ZPO nicht unmittelbar anwendbar ist. Maßgeblich ist vielmehr § 857 Abs. 1 ZPO; das Anwartschaftsrecht ist ein „anderes Vermögensrecht“, das nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen ist. Damit gelten für die Pfändung des Anwartschaftsrechts die Vorschriften der §§ 829, 835 ZPO entsprechend, vorbehaltlich der ebenfalls in § 857 ZPO enthaltenen besonderen Bestimmungen155. Somit erhebt sich die Frage, ob die Re-gelung des § 857 Abs. 2 ZPO eingreift. Wenn ihre Voraussetzungen vorliegen, ist die Pfändung eines anderen Vermögensrechts mit demjenigen Zeitpunkt als bewirkt anzu-sehen, in welchem dem Vollstreckungsschuldner der Pfändungs- und Überweisungsbe-schluss zugestellt wird. Dies wäre der 31. Juli, also derjenige Tag, an dem der Beschluss

151 Wolfgang Brehm in: Friedrich Stein/Martin Jonas: ZPO, 22. Auflage, Tübingen 2004, § 857 Rdnr. 85. 152 So argumentiert offenbar auch Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151). 153 Hierzu unten bei Fußn. 156. 154 Ausführlich zur Pfändung des Anwartschaftsrechts: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 410 ff.; Zur Vertie-

fung Wolfgang Roth: Die Pfändung des Anwartschaftsrechts des Nacherben, NJW-Spezial 2013, 487. 155 Peter Bassenge in: Otto Palandt: BGB, 73. Auflage, München 2014, § 929 Rdnr. 54.

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dem Vollstreckungsschuldner (Gammler) zugestellt wurde. Stellt man auf diesen Zeit-punkt ab, ergibt sich aber die Besonderheit, dass das Anwartschaftsrecht an diesem Tag nicht mehr bestand. Denn Gammler (Vollstreckungsschuldner) hat am 26. Juli den Restkaufpreis bezahlt. Damit trat die aufschiebende Bedingung der Übereignung ein. Am 26. Juli ging also das Anwartschaftsrecht unter und Gammler erwarb das Vollrecht. Bei Anwendung des § 857 Abs. 2 ZPO wäre also die Pfändung des Anwartschaftsrechts ins Leere gegangen. Die Allerlei GmbH hätte bei Anwendung dieser Vorschrift keine Pfändung bewirkt.

2. „Ein Drittschuldner nicht vorhanden“? (§ 857 Abs. 2 ZPO) Für die Anwendung von § 857 Abs. 2 ZPO ist Voraussetzung, dass „ein Drittschuldner nicht vorhanden“ ist. Deshalb stellt sich die Frage, ob beim Anwartschaftsrecht ein Drittschuldner im Sinne der Vorschriften der ZPO vorhanden ist. Dies wird von der ganz herrschenden Meinung156 bejaht: Drittschuldner beim Anwartschaftsrecht ist der Verkäufer = Vorbehaltseigentümer = Zeiger. Da also beim Anwartschaftsrecht ein Drittschuldner vorhanden ist, greift § 857 Abs. 2 ZPO nicht ein; es bleibt bei der Rege-lung des § 829 Abs. 3 ZPO: Maßgeblich für die Wirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ist demgemäß die Zustellung an den Drittschuldner (Zeiger). Der Beschluss würde also am 25. Juli wirksam, an demjenigen Tag, als der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dem Zeiger zugestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Anwartschaftsrecht noch. Die Pfändung ging deshalb nicht ins Leere. Alle Pfän-dungspfandrechtstheorien kommen in diesem Fall zu demselben Ergebnis. Sowohl nach der „gemischten Theorie“ als auch nach der „öffentlich-rechtlichen Theorie“ ist das Pfändungspfandrecht entstanden, an dem tatsächlich dem Gammler zustehenden An-wartschaftsrecht. Es besteht also keinerlei Anlass, hier auf die Pfändungspfandrechts-theorien einzugehen.

3. „Anderes Vermögensrecht“ im Sinne von § 857 Abs. 1 ZPO? Fraglich ist jetzt nur, ob ein Anwartschaftsrecht tatsächlich über §§ 857, 829, 835 ZPO gepfändet wird.157

a) Doppelpfändungstheorie

Es geht also um die Frage, ob das Anwartschaftsrecht richtigerweise als „anderes Ver-mögensrecht“ im Sinne von § 857 Abs. 1 ZPO angesehen wird. In diesem Sinne sprach sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1954 aus.158 Seither

156 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137 ), § 857 Rdnr. 10 a; Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151), § 857

Rdnr. 85 ff. 157 Eine lesenswerte Darstellung der Pfändung von Anwartschaftsrechten findet sich auch bei Hanns

Prütting/Barbara Stickelbrock: Zwangsvollstreckungsrecht, Stuttgart-München u. a. 2002, S. 154 – 156. 158 BGH NJW 1954, 1325 ff.

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folgt die Praxis uneingeschränkt der BGH-Entscheidung. Auch in der Wissenschaft hat sich letztlich diese Meinung als herrschend durchgesetzt.159

(1) Die herrschende Doppelpfändungstheorie

Verwendet wird für die herrschende Ansicht zur Pfändung im Fall von Anwartschafts-rechten der Begriff „Doppelpfändungstheorie“. Danach muss zur Pfändung des An-wartschaftsrechts eine Rechtspfändung gemäß § 857 ZPO erfolgen, allerdings flankiert durch die ebenfalls vorzunehmende Sachpfändung — daher der Name Doppel-pfändungstheorie160.

(2) Vorsicht beim Ausdruck „Doppelpfändung“

Vorsicht beim Ausdruck „Doppelpfändung“! „Doppelt“ heißt: Pfändung des Anwartschaftsrechts (Rechtspfändung) und

Pfändung der Sache selbst (Sachpfändung)

Mit dem Ausdruck „Doppelpfändung“ muss man vorsichtig umgehen. Im Vorgriff auf die folgenden Ausführungen in dieser Lösung sei deshalb schon jetzt bemerkt: „Dop-pelpfändung“ heißt: Pfändung sowohl des Anwartschaftsrechts als auch der Sache selbst. Die häufig anzutreffende Aussage: „Die Pfändung des Anwartschaftsrechts er-folgt im Wege der Doppelpfändung.“ ist daher ungenau. Zur Pfändung des Anwart-schaftsrechts ist es ausreichend (und erforderlich), dass im Wege der Rechtspfändung das Anwartschaftsrecht gemäß § 857 ZPO beschlagnahmt wird. Um wirtschaftlich vor-zugehen und dem Vollstreckungsgläubiger zu helfen, muss gleichzeitig aber auch die Sache gepfändet werden, auf die sich das Anwartschaftsrecht bezieht. Die Pfändung der Sache selbst dient dem Zweck, bei vollständiger Zahlung der restlichen Raten — also bei Bedingungseintritt — ohne Verstoß gegen das Publizitätsprinzip das Entstehen ei-nes Pfändungspfandrechts des Vollstreckungsgläubigers an der Sache selbst zu ermögli-chen. Denn es ist unmöglich, an einem „unsichtbaren“ Recht wie dem Anwartschafts-recht ein Pfandsiegel anzubringen, wie dies für körperliche Sachen § 808 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorsieht. Keinesfalls wird also ein Anwartschaftsrecht „doppelt“ gepfändet. Viel-mehr wird, wie schon gesagt, üblicherweise einerseits das Anwartschaftsrecht, anderer-seits die Sache gepfändet, um beim Erstarken des Anwartschaftsrechts zum Vollrecht in derselben juristischen Sekunde ein Pfändungspfandrecht an der nunmehr im Eigentum des Vollstreckungsschuldners stehenden Sache zu besitzen; denn in diesem Zeitpunkt geht das Anwartschaftsrecht mitsamt dem Pfändungspfandrecht unter. Nur wenn der Vollstreckungsgläubiger in demselben Augenblick an der jetzt dem Vollstreckungs-

159 Vgl. Othmar Jauernig/Christian Berger: Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23. Auflage,

München 2010, § 20 III Rdnr. 34; Rolf Lackmann: Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Auflage, München 2010, Rdnr. 371); Eberhard Schilken in: Hans Friedhelm Gaul/Eberhard Schilken/Ekkehard Becker-Eberhard: Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Auflage, München 2010, § 58 Rdnr. 36.

160 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 815; Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 410 – 411; Lippross (Fußn. 135), Rdnr. 172; vgl. Lackmann (Fußn. 159), Rdnr. 371.

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schuldner gehörenden Sache ein Pfändungspfandrecht erwirbt, ist es lückenlos gesi-chert, wie sich im weiteren Verlauf der Lösung zeigen wird.

(3) Die Pfändung vom 24. Juli

Im vorliegenden Fall hat die Pfändung vom 24. Juli zugunsten der Allerlei GmbH das Anwartschaftsrecht wirksam ergriffen. Eine gleichzeitige Sachpfändung zugunsten der Allerlei GmbH fand allerdings nicht statt.

b) Theorie der (reinen) Rechtspfändung

Zu demselben Ergebnis kommen ferner diejenigen Autoren, die der Doppelpfändungs-theorie nicht folgen und lediglich die Rechtspfändung161 und nicht zusätzlich die Sach-pfändung für notwendig erachten. Auch nach dieser Ansicht ist das Anwartschaftsrecht durch Rechtspfändung wirksam beschlagnahmt.

c) Theorie der (reinen) Sachpfändung

Zur Nichtanwendung des § 857 ZPO kann man deshalb nur dann kommen, wenn man das Anwartschaftsrecht nicht als „anderes Vermögensrecht“ im Sinne von § 857 ZPO ansieht, sondern es als eine Art Sache begreift, die (nur) im Wege der Sachpfändung gepfändet werden kann. Dieser Meinung sind etwa diejenigen Autoren, die der Sach-pfändungstheorie anhängen oder einer analogen Anwendung der Sachpfändung beim Anwartschaftsrecht folgen.162

In der Praxis werden die Sachpfändungstheorien einmütig abgelehnt, und in der Lehre stoßen die Theorien deshalb auf Widerstand, weil die bloße Sachpfändung unverzügli-che Gegenmaßnahmen des Eigentümers (Vorbehaltseigentümer) auslösen kann, insbe-sondere die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO. Diese Klage dem Vorbehalts-verkäufer nicht zuzugestehen — wie es anscheinend die Vertreter dieser Theorie für richtig erachten — geht nicht an, da auch das Vorbehaltseigentum ein „die Veräußerung hinderndes Recht“ ist.163 Deshalb kann den Sachpfändungstheorien nicht gefolgt wer-den.

d) Ergebnis

Es bleibt demnach dabei, dass das Anwartschaftsrecht als anderes Vermögensrecht im Sinne von § 857 ZPO gewertet wird. Gegen die Pfändung des Anwartschaftsrechts am 25. Juli zugunsten der Allerlei GmbH ergeben sich somit keine Bedenken.

161 Vgl. Jürgen F. Baur/Rolf Stürner: Sachenrecht, 18. Auflage, München 2009, § 59 Rdnr. 41. 162 Vgl. Berthold Kupisch: Durchgangserwerb oder Direkterwerb?, JZ 1976, 417 (426 f.); Ulrich Hübner:

Zur dogmatischen Einordnung der Rechtsposition des Vorbehaltsverkäufers, NJW 1980, 729 (733 f.); Ulrich Haas: Das Anwartschaftsrecht im Vorfeld des Eigentumserwerbs, JA 1998, 846 (850).

163 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 811; Lackmann (Fußn. 159), Rdnr. 593.

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III. Der Einfluss der Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler am

26. Juli auf die bestehende Rechtslage

A. Ausgangslage vor der Zahlung des Restkaufpreises Nach der „gemischten Theorie“ ist durch die Pfändung zugunsten des Blitz am 28. Mai kein Pfändungspfandrecht an der Uhr entstanden, da nur eine wirksame Verstrickung stattgefunden hat und Gammler noch nicht Eigentümer der Uhr war (vgl. oben bei Fußn. 144). Durch die Siegelanbringung wurde auch keinesfalls ein Anwartschaftsrecht zugunsten des Blitz gepfändet (vgl. oben bei Fußn. 160). Demnach bestand nach der „gemischten Theorie“ bis zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts (Zahlung des Rest-kaufpreises) allein ein wirksames Pfändungspfandrecht der Allerlei GmbH am Anwart-schaftsrecht des Gammler an der Uhr.

Fraglich ist, wie sich die Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler am 26. Juli (und der damit einhergehende Eigentumsübergang) erstens auf die bislang erfolglose Sach-pfändung des Blitz auswirkt und zweitens, ob diese Zahlung das bereits bestehende wirksame Pfändungspfandrecht der Allerlei GmbH an dem Anwartschaftsrecht des Gammler an der Uhr beeinflusst.

B. Der Einfluss der Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler auf die Verstrickung der Uhr (§ 808 ZPO) aufgrund der Pfändung durch den Blitz

1. Öffentlichrechtliche Theorie Nach der „öffentlichrechtlichen“ Theorie wäre bereits am 28. Mai zugunsten des Blitz ein Pfändungspfandrecht an der Uhr entstanden. Die Zahlung des Restkaufpreises wäre insofern unerheblich. Ebenso unerheblich wäre eine spätere Pfändung durch die Allerlei GmbH — sei es eine Pfändung des Anwartschaftsrechts oder eine solche der Sache selbst. Dieser Theorie folgt die vorliegende Lösung jedoch aus den bereits oben genann-ten Gründen nicht.

2. Gemischte Theorie

Pfändungspfandrecht entsteht durch Zahlung des Kaufpreisrestes analog § 185 BGB. Problem: Zeitpunkt?

Grundsätzlich: Heilung ex nunc. Heilung ex tunc nur, wenn ausdrücklich angeordnet.

Wie sich gezeigt hat, entsteht nach der „gemischten Theorie“ durch die Pfändung der schuldnerfremden Uhr kein Pfändungspfandrecht. Deshalb bestand bis zur Zahlung des Restkaufpreises kein Pfändungspfandrecht an der Uhr. Jetzt fragt es sich, welche Be-deutung der Erwerb der Sache durch den Vollstreckungsschuldner hat. Hier wird unbe-

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stritten die Heilungsvorschrift des § 185 BGB analog angewendet164. Damit entsteht mit Eigentumserwerb des Gammler ein Pfändungspfandrecht für Blitz.

Problematisch ist lediglich der Zeitpunkt. Auch hier wird man, wenn man schon § 185 BGB analog anwendet, auf dessen Regelung abstellen müssen. Aus dem Wortlaut „wird wirksam“ ergibt sich: Die Wirksamkeit tritt in den genannten Fällen erst später, also ex nunc, ein. Auch die Zusammenschau mit anderen Normen des BGB ergibt, dass eine Heilung ex tunc immer ausdrücklich angeordnet wird: So heißt es etwa in § 142 Abs. 1 BGB „ist es als von Anfang an nichtig anzusehen“. Der Grundsatz des Gesetzes ist also eine Heilung ex nunc.

Zwar erfolgt eine Rückwirkung — Heilung ex tunc — bei § 185 Abs. 2 Satz 1, 1. Variante BGB im Falle der Genehmigung; dies ergibt sich ausdrücklich aus § 184 Abs. 1 BGB.

Für den Erwerb (und für den Fall des Erwerbes von Todes wegen) ordnet das BGB je-doch gerade keine Rückwirkung an. Damit bleibt es bei Pfändung der schuldnerfremden Sache und Erwerb durch den Vollstreckungsschuldner (nach § 185 Abs. 2 Satz 1, 2. Variante BGB analog) bei dem Normalfall, dass eine Heilung erst in demjenigen Zeit-punkt eintritt, zu dem die Konvaleszenz165 erfolgt166.

Dies bedeutet: Ein Pfändungspfandrecht zugunsten des Blitz entsteht durch Erwerb des Eigentums durch den Vollstreckungsschuldner erst am 26. Juli.

C. Der Einfluss dieser Zahlung auf das gepfändete Anwartschaftsrecht Wie sich bisher gezeigt hat, ist durch den am 25. Juli dem Drittschuldner (Zeiger) wirk-sam zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss das Anwartschaftsrecht zu-gunsten der Allerlei GmbH gepfändet worden. Durch die Zahlung der Kaufpreisforde-rung erlischt — wie schon dargestellt — das Anwartschaftsrecht. Damit fragt sich, wel-che Bedeutung der Untergang des verstrickten Anwartschaftsrechts durch die Zahlung des Restkaufpreises am 26. Juli hat und ob sich das Pfandrecht am Anwartschaftsrecht mit der Zahlung des Restkaufpreises automatisch in ein Pfandrecht an der Uhr umwan-delt.

164 Vgl. Urs Gruber in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage, München 2012, § 804 Rdnr. 22;

Olaf Werner: Die Bedeutung der Pfändungspfandrechtstheorien, JR 1971, 278 (286); zum Pfändungs-pfandrecht vgl. auch Volker Lipp: Das Pfändungspfandrecht, JuS 1988, 119 – 122; zu den Heilungs-möglichkeiten im Vollstreckungsrecht: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 371 mit weiteren Nachweisen.

165 Konvaleszenz nennt man das in § 185 Abs. 2 Variante 2 und 3 [sowie in § 185 Abs. 2 Satz 2] BGB genannte Wirksamwerden einer Verfügung durch Erwerb der Sache, über die der Nicht-Berechtigte vorher verfügt hat (vgl. Jauernig [Fußn. 41], § 185 Rdnr. 8).

166 Vgl. Frank Bayreuther in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage, München 2012, § 185 Rdnr. 50 und 59.

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1. Dingliche Surrogation (Rechtspfändungstheorie)

a) Die Lösungsüberlegung

Zur Bejahung eines Pfändungspfandrechts an der Uhr käme man dann, wenn man davon ausgeht, dass sich das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht als Pfändungs-pfandrecht an der Uhr fortsetzt. Dies könnte man annehmen, wenn ein Fall der dingli-chen Surrogation vorläge. Tatsächlich gibt es sowohl im BGB (§ 1247 Satz 2 BGB, § 1287 Satz 1 BGB) als auch in der ZPO (§ 848 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Fälle, in denen sich ein Pfandrecht (Pfändungspfandrecht) am Surrogat fortsetzt. Von einigen Autoren in der Literatur wird diese Lösung vertreten167, von der Praxis wird sie jedoch abgelehnt. Die-jenigen Vertreter, die eine dingliche Surrogation annehmen, können als Vertreter der „Theorie der Rechtspfändung“ angesehen werden. Folgt man dieser Theorie, setzt sich das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht als Pfändungspfandrecht an der Uhr fort. Fraglich ist, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist; denn wegen § 804 Abs. 3 ZPO kommt es ja auf das frühere Entstehen eines der Pfandrechte an. In Frage kommen meh-rere Zeitpunkte:

25. Juli als Zeitpunkt der Pfändung des Anwartschaftsrechts

oder

26. Juli als Zeitpunkt des Erwerbs des Eigentums durch Gammler.

Wenn man eine dingliche Surrogation bejaht, sollte auf den Zeitpunkt der Pfändung des Anwartschaftsrechts abgehoben werden; damit ist das Pfändungspfandrecht an der Uhr am 25. Juli durch das Bestehen des Pfändungspfandrechts am Anwartschaftsrecht ent-standen.

Hinweis: Die Vertreter der Lehre von der reinen Rechtspfändung beziehen offenbar keine klare Stellung, ob bei Eintritt des Surrogationsfalls auf den Zeitpunkt der Pfändung des Rechts oder auf den Zeitpunkt der Surrogation abzustellen ist.168

b) Ablehnung dieser Ansicht

Der Annahme der Theorie der Rechtspfändung, es gäbe in diesem Fall eine dingliche Surrogation, kann man jedoch aus verschiedenen Gründen nicht folgen. Vor allem be-wirkt diese Annahme einer dinglichen Surrogation ein unsichtbares Pfandrecht an der Sache, was dem Mobiliarzwangsvollstreckungsrecht unbekannt ist. Die Klarheit des vollstreckungsrechtlichen Vollzuges und die Rechtssicherheit erfordern die klare Er-kennbarkeit einer Sachpfändung169. Sie wird erreicht durch Wegnahme durch den Ge-

167 Vgl. Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151), § 857 Rdnr. 88; Schilken in: Gaul/Schilken/Becker-Eberhard

(Fußn. 159), § 58 Rdnr. 36; weitere Nachweise bei Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 412 mit Fußn. 24. 168 Vgl. Fritz Baur/Rolf Stürner: Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Fälle und Lö-

sungen, 6. Auflage, Heidelberg1989, Fall 7. 169 Vgl. Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 809; Lippross (Fußn. 135), Rdnr. 172; Lackmann (Fußn. 159),

Rdnr. 371.

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richtsvollzieher oder durch Anlegen des Pfandsiegels. Bei Annahme einer dinglichen Surrogation wird diese notwendige Publizität gerade nicht erreicht.170

Deshalb kann eine dingliche Surrogation nicht befürwortet werden. Also setzt sich das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht nicht als Pfändungspfandrecht an der Sa-che fort.

2. Die rangwahrende Funktion des Anwartschaftsrechts (Doppelpfändungstheorie)

Nach der bereits oben bevorzugten Doppelpfändungstheorie bedarf es neben der Pfän-dung des Anwartschaftsrechts noch der Pfändung der Sache selbst im Wege der Sach-pfändung. Zugunsten der Allerlei GmbH ist eine solche Pfändung bis zum Zeitpunkt der Restkaufpreiszahlung nicht erfolgt.

Die Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler wirkt sich daher so aus, dass das An-wartschaftsrecht erlischt und damit auch das Pfändungspfandrecht der Allerlei GmbH am Anwartschaftsrecht untergeht.

Exkurs: Wie hätte die Allerlei GmbH richtig vorgehen müssen?

Die frühe Pfändung des Anwartschaftsrechts durch die Allerlei GmbH hätte sich im Hinblick auf die Verwertungsmöglichkeiten an der Sa-che im Wettlauf mit dem Blitz also nur dann positiv für die Allerlei GmbH ausgewirkt, wenn sie die Uhr noch irgendwann vor dem Be-dingungseintritt im Rahmen der Sachpfändung gepfändet hätte. In die-sem Fall (Pfändung des Anwartschaftsrechts und Pfändung der Sache vor Bedingungseintritt durch denselben Vollstreckungsgläubiger) ver-tritt nämlich der Großteil der Anhänger der Doppelpfändungstheorie die Ansicht, dass die Pfändung des Anwartschaftsrechts eine rang-wahrende Funktion habe.171

Dies ist allerdings nicht unumstritten. Wie zuvor dargestellt, ist die Annahme einer rein dinglichen Surrogation des Pfändungspfandrechts des Anwartschaftsrechts gemäß § 1287 BGB im Sinne der Rechts-pfändungstheorie abzulehnen. Man kann jedoch wenigstens von einer rangwahrenden Funktion des Anwartschaftsrechts sprechen.172 Wenn im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs durch den Vollstreckungsschuld-ner die Sache bereits beschlagnahmt war, wird der Rang des Pfand-

170 Vgl. Prütting/Stickelbrock (Fußn. 157), S. 156. 171 Vgl. BGHZ 125, 334 (340 f.); Udo Hintzen in: Udo Hintzen/Hans-Joachim Wolf: Zwangsvollstre-

ckung, Zwangsversteigerung, Zwangsverwaltung, 6. Aufl., Bielefeld 2006, S. 387 (Rdnr. 6.289); Kem-per in: Saenger (Fußn. 139), § 857 Rdnr. 9 (der Zeitpunkt der Sachpfändung bestimmt den Rang); Si-bylle Kessal-Wulf in: Winfried Schuschke/Wolf-Dietrich Walker: Vollstreckung und Vorläufiger Recht-schutz, Kommentar ZPO, 5. Auflage, Köln-München 2011, § 857 Rdnr. 16.

172 Jauernig/Berger (Fußn. 159), § 20 III Rdnr. 33, S. 79 für eine Rangwahrung des Anwartschaftsrechts ohne Annahme einer Surrogation. Auch Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 815, die die frühere Pfändung des Anwartschaftsrechts zur Rangwahrung genügen lassen: Die Sachpfändung sei für die Rangwahrung nicht erheblich; sie diene nur der Umwandlung des Pfandrechts am Anwartschaftsrechts in ein Pfand-recht an der Sache. Auch Prütting/Stickelbrock (Fußn. 157), S. 155 f., vertreten, dass das Pfandrecht an der Sache das ursprünglich an dem Anwartschaftsrecht bestehende Pfandrecht in umgewandelter Form sei, wodurch der Vollstreckungsgläubiger vor späteren Pfändungen geschützt werde.

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rechts an der Sache durch den Zeitpunkt der Pfändung des Rechts bestimmt.173 In materiell-rechtlicher Hinsicht setzt sich die frühere Pfändung des Anwartschaftsrechts allerdings nur dann gegenüber dem späteren Pfändungspfandrechts an der Uhr durch, wenn bei der Pfändung des Anwartschaftsrechts auch die formellen Voraussetzun-gen der Sachpfändung, nämlich die Wahrung der Publizitätsgrund-sätze, beispielsweise durch Siegelanbringung, eingehalten wurden. Diese Annahme ist mit der Doppelpfändungstheorie vereinbar und führt zu sachgerechten Ergebnissen.174 Für die Rangwahrung spricht zudem, dass das Anwartschaftsrecht zur Zeit der Pfändung zum Schuldnervermögen gehört und bei Bedingungseintritt kein neues Pfandrecht entsteht, sondern sich lediglich der mit dem früheren be-gründeten Pfandrecht belastete Gegenstand175 ändert.

In welcher Reihenfolge Anwartschaftsrecht und Sache gepfändet wer-den, ist nach herrschender Ansicht gleichgültig176. Die Allerlei GmbH hat aber nur das Anwartschaftsrecht gepfändet. Die Sachpfändung hat sie hingegen nicht durchgeführt; sie erfolgte erst im Rahmen der Anschlusspfändung am 13. August; demnach erst nach dem Entstehen des Pfändungspfandrechts an der Uhr zugunsten des Blitz am 26. Juli analog § 185 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB.

3. Ergebnis Als Zwischenergebnis zeigt sich deshalb: Durch den Eigentumserwerb am 26. Juli geht das Anwartschaftsrecht und damit auch das Pfändungspfandrecht am Anwart-schaftsrecht unter; es setzt sich mangels Publizitätsakt an der Uhr nicht als Pfändungs-pfandrecht an der Uhr fort. Zum Zeitpunkt der Zahlung des Restkaufpreises ist somit der Blitz alleiniger Inhaber eines Pfändungspfandrechts an der Uhr. Die Rangfrage er-übrigt sich folglich.

IV. Die Bedeutung der Pfändung vom 13. August

seitens der Allerlei GmbH

Bei der Pfändung vom 13. August seitens der Allerlei GmbH handelt es sich um eine Sachpfändung gemäß § 826 ZPO im Wege der Anschlusspfändung177. Zu diesem Zeit-punkt stand die Sache im Eigentum des Gammler, war also schuldnereigen. Ein Pfän-dungspfandrecht ist daher wirksam begründet worden. Problematisch für die Allerlei GmbH ist der Zeitpunkt. Die Anschlusspfändung wirkt nicht zurück. Dieses Sachpfän-dungspfandrecht ist also erst am 13. August zugunsten der Allerlei GmbH entstanden.

173 Wolf-Dietrich Walker in: Winfried Schuschke/Wolf-Dietrich Walker: Vollstreckung und Vorläufiger

Rechtschutz, 5. Auflage, Köln-München 2011, S. 1327. 174 Walker a. a. O. 175 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 815. 176 Vgl. Jauernig/Berger (Fußn. 159), § 20 III Rdnr. 27, S. 78. 177 Vgl. Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 826 Rdnr. 1 – 3; Kurt Stöber in: Richard Zöller: ZPO, 30.

Auflage, Köln 2014, § 826 Rdnr. 1 f.; Lippross (Fußn. 135), Rdnr. 220 – 221; ausführlich zur Sachpfän-dung: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 390 ff.

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V. Vorrangfrage

Als Ergebnis zeigt sich damit letztlich, dass die Pfändung der Sache vom 28. Mai zu-gunsten des Blitz am 26. Juli zur Vollrechtspfändung wurde; in diesem Zeitpunkt hat Blitz ein Pfändungspfandrecht an der Uhr erlangt. Die Allerlei GmbH hat, als Gammler die Sache erwarb, das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht verloren und ein Pfändungspfandrecht an der Sache erst am 13. August durch Anschlusspfändung erwor-ben. Hätte sie neben der Pfändung des Anwartschaftsrechts auch die Sachpfändung durchgeführt (Doppelpfändungstheorie), bevor zugunsten des Blitz das Pfändungs-pfandrecht an der Uhr entstand, hätte das Pfandrecht am Anwartschaftsrecht eine rang-wahrende Funktion zugunsten der Allerlei GmbH ausgeübt. So aber geht das Pfän-dungspfandrecht des Blitz dem Pfändungspfandrecht der Allerlei GmbH vor.

VI. Ergebnis

Im Ergebnis hat somit Blitz Recht. Er ist vorrangiger Pfändungspfandrechtsinhaber.

Frage 2: Was ist zu dieser Argumentation zu sagen?

Die Zahlung des Restkaufpreises bewirkt unbestritten den Untergang des Anwart-schaftsrechts. Wie sich bei der Beantwortung der Frage 1 gezeigt hat, war das Anwart-schaftsrecht am 25. Juli wirksam gepfändet. Das führte zu einer relativen Verfügungs-beschränkung, § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 135 Abs. 1, § 136 BGB. Der Vollstreckungs-schuldner (Gammler) durfte von diesem Zeitpunkt der Pfändung des Anwartschafts-rechts an nicht über das Anwartschaftsrecht verfügen. Würde die Zahlung des Rest-kaufpreises eine ihm verbotene Verfügung darstellen, wäre sie gemäß § 135 Abs. 1, § 136 BGB dem Vollstreckungsgläubiger (Allerlei GmbH) gegenüber relativ unwirk-sam.

I. Unkenntnis des Gammler

vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss

Gegen die Annahme einer relativen Verfügungsbeschränkung am 26. Juli kann spre-chen, dass zu diesem Zeitpunkt Gammler den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss noch nicht kannte. Schließlich wurde ihm dieser erst am 31. Juli zugestellt. Damit stellt sich die Frage, von welchem Zeitpunkt an die Verfügungsbeschränkungen des § 829 ZPO eintreten. Wie sich aus § 829 Abs. 3 ZPO eindeutig ergibt und wie auch von Rechtsprechung und Praxis nirgends bezweifelt wird, kommt es lediglich (aber auch entscheidend) auf die Zustellung an den Drittschuldner an.178 Zwar geht das Gesetz da-

178 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 829 Rdnr. 24 f.; Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151), § 829

Rdnr. 56 ff.; Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 395; Lackmann (Fußn. 159), Rdnr. 283.

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von aus, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch dem Vollstreckungs-schuldner zuzustellen ist, wie § 829 Abs. 2 Satz 2 ZPO deutlich macht, indem dort die sofortige Zustellung an den Vollstreckungsschuldner befohlen wird. Die Vollstre-ckungswirkungen und damit die Verfügungsbeschränkungen gelten aber (bereits oder erst) von demjenigen Zeitpunkt an, an dem der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dem Drittschuldner zugestellt wird. Liegt daher die Zustellung an den Drittschuldner vor der Zustellung an den Vollstreckungsschuldner, treten die Verfü-gungsbeschränkungen möglicherweise auch ohne Kenntnis des Vollstreckungsschuld-ners ein; doch dies nimmt die ZPO offensichtlich in Kauf — wie sie es umgekehrt für tragbar ansieht, dass die Vollstreckungswirkungen erst bei späterer Zustellung an den Drittschuldner eintreten, wenn vorher schon der Vollstreckungsschuldner hiervon erfah-ren hat. Damit kommt es auf eine etwaige „Gutgläubigkeit“ des Vollstreckungsschuld-ners nicht an. Das vorliegende Problem lässt sich also nicht damit lösen, dass man von der fehlenden Kenntnis des Gammler spricht und deshalb einen Verstoß gegen § 829 ZPO verneint.

II. Verfügung des Vollstreckungsschuldners?

Da nach § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gammler vom 25. Juli an „jede Verfügung“ über das gepfändete Anwartschaftsrecht verboten ist, stellt sich nunmehr die Frage, ob in der Zahlung des Restkaufpreises eine Verfügung zu sehen ist. Als Verfügung ist jedes Rechtsgeschäft anzusehen, das unmittelbar auf ein bestehendes Recht einwirkt, also die Belastung, Übertragung, Inhaltsänderung und Aufhebung eines Rechts.179 Gammler hat tatsächlich durch seine Zahlung am 26. Juli bewirkt, dass das Anwartschaftsrecht unter-gegangen ist. Wäre dies durch § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO verwehrt, träten die Folgen der §§ 135, 136 BGB ein, d. h. gegenüber der Allerlei GmbH müsste man davon ausgehen, dass das Anwartschaftsrecht noch bestünde. Folglich wäre das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht durch die Zahlung vom 26. Juli ihr gegenüber nicht untergegangen.

A. Verfügungen, die den Vollstreckungsgläubiger nicht beeinträchtigen, sind erlaubt

Mit Sicherheit sind solche Verfügungen dem Vollstreckungsschuldner nicht verwehrt, die den Vollstreckungsgläubiger nicht beeinträchtigen. Wie Brehm180 ausführt, sind ent-gegen dem Wortlaut des § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO dem Vollstreckungsschuldner nur solche Verfügungen verboten, die das gepfändete Recht des Vollstreckungsgläubigers beeinträchtigen würden. Erlaubt bleiben Verfügungen zur Erhaltung oder Stärkung der gepfändeten Forderung. Damit fragt sich, ob die Zahlung des Restkaufpreises mögli-cherweise für den Vollstreckungsgläubiger Allerlei GmbH vorteilhaft war. Dann be-

179 Jürgen Ellenberger in: Otto Palandt: BGB, 73. Auflage, München 2014, Überblick vor § 104

Rdnr. 16; Hans Brox/Wolf-Dietrich Walker: Besonderes Schuldrecht, 37. Auflage, München 2013, § 42 Rdnr. 17 ff.

180 Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151), § 829 Rdnr. 90.

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stünden keine Bedenken gegen die Zahlung durch den Vollstreckungsschuldner Gamm-ler. Aber hier ist die Zahlung des Gammler für den Vollstreckungsgläubiger nachteilig. Durch Zahlung der letzten Kaufpreisrate tritt die Bedingung (§ 158 BGB) ein; Gammler als Vollstreckungsschuldner wird Eigentümer, das Anwartschaftsrecht erlischt und das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht setzt sich, wie bei Frage 1 dargelegt, nicht an der Sache fort. Also kann unter diesem Gesichtspunkt nicht „geholfen“ werden. Eine teleologische Eingrenzung des Begriffes der Verfügung auf für den Vollstrec-kungsgläubiger nicht nachteilige Verfügungen führt im vorliegenden Fall nicht weiter.

B. Restkaufpreiszahlung ist keine Verfügung Letztlich muss also geprüft werden, ob hier tatsächlich eine Verfügung im Sinne von § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorliegt, wenn der Gammler den Restkaufpreis zahlt.

1. Der Erwerb oder die Erweiterung eines Rechts ist nie eine Verfügung Eine Lösung der Frage könnte in einem Gesichtspunkt liegen, den der Bundesgerichts-hof in seiner Entscheidung zur Pfändung des Anwartschaftsrechts aus dem Jahr 1954181 herausgestellt hat. Unter Hinweis auf den Begriff der Verfügung führt er dort aus, dass der Erwerb oder die Erweiterung eines Rechts nie eine Verfügung sei. Sieht man das Anwartschaftsrecht als Vorstufe des Eigentums, kann tatsächlich der Übergang des Anwartschaftsrechts zum Vollrecht nicht als eine Verfügung über das Anwartschafts-recht angesehen werden, sondern letztlich nur als eine Erweiterung der schon bestehen-den dinglichen Rechtsposition des Vollstreckungsschuldners. Insoweit würde man also bereits vom Begriff der Verfügung her zu einer Lösung des Problems kommen. Die Zahlung des Restkaufpreises und die damit verbundene Erstarkung des Anwartschafts-rechts zum Vollrecht erscheinen insofern nicht als eine Verfügung, mögen sie auch den Vollstreckungsgläubiger hier benachteiligen. Letztlich könnte man sagen, dass es dem Vollstreckungsschuldner nicht verwehrt ist, alle Rechtsgeschäfte vorzunehmen, die sei-ne Rechtsposition erweitern. Die Zahlung des Restkaufpreises ist eine Vermögens-mehrung des Vollstreckungsschuldners und deshalb nicht zu beanstanden.

2. Erfüllung ist kein Rechtsgeschäft Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt man, wenn man die Zahlung des Restkaufpreises unter dem Blickwinkel der Erfüllung betrachtet. Nach der herrschenden Lehre der rea-len Leistungsbewirkung ist die Erfüllung kein Rechtsgeschäft und deshalb kann auch die Zahlung des Restkaufpreises nicht als eine Verfügung im Sinne von § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO begriffen werden.182

181 BGH NJW 1954, 1325 ff. 182 Vgl. Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 362 Rdnr. 5 und Ellenberger in: Palandt (Fußn. 179), Über-

blick vor § 104 Rdnr. 2.

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3. Zahlung betrifft unmittelbar nur den Kaufpreisrest Schließlich könnte man daran denken, eine Verfügung „über das Anwartschaftsrecht“ zu verneinen. Verfügungen sind solche Rechtsgeschäfte, die unmittelbar auf ein Recht einwirken. Hier „verfügt“ der Vollstreckungsschuldner über die Kaufpreisrestforderung. Seine Zahlung betrifft unmittelbar nur den Kaufpreisrest. Der Untergang des Anwart-schaftsrechts ist in dieser Sicht nur mittelbare Folge, nicht Inhalt der „Verfügung“.

C. Ergebnis Welchen der drei vorgeschlagenen Wege man geht, kann dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall muss eine „Verfügung“ des Vollstreckungsschuldners Gammler verneint werden. Das entspricht auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1954, in der das Gericht wörtlich ausführt:

... „Aber das ist keine den Gläubiger beeinträchtigende Verfügung. Denn an Stelle des Anwartschaftsrechts tritt das Eigentum des Schuldners, das nunmehr dem Zugriff des Gläubigers unterliegt. Es liegt im Wesen der Verfügung, dass sie, die in der Übertragung, Belastung, Inhaltsänderung eines Rechts oder dem Verzicht auf ein solches bestehen kann, die Rechtsstellung des Rechtsinhabers irgendwie mindert oder schwächt.“ … „Obwohl die Zahlung zum Untergang der Anwartschaft führt, bewirkt sie nicht eine Vermögensminderung, sondern durch den Eigentumserwerb des Schuldners eine Vermögensvermehrung. Der Erwerb oder die Erweiterung eines Rechts ist aber nie eine Verfügung (v. Tuhr, Allg. Teil d. BGB, II 238). Der Zweck der Pfändung des Anwartschafts-rechts ist neben der Verfügungsbeschränkung des Schuldners gerade der, dem Gläubiger das Recht zu verschaffen, den Restkaufpreis selbst an den Drittschuldner zu zahlen, um damit den Eigentumsübergang auf den Schuldner herbeizuführen und in Verbindung mit einer Sachpfändung die Sache im Wege der Versteigerung zu verwerten. Wenn aber dies der Zweck der Pfändung des Anwartschaftsrechts ist, kann es dem Schuldner nicht verboten sein, den gleichen Zweck dadurch zu erreichen, dass er seinerseits den Restkaufpreis zahlt. Die Zahlung des Restkaufpreises durch den Schuldner kann keine andere Wirkung haben als die Zahlung durch den Gläubiger, nämlich den Eigentumsübergang.“183

Im Ergebnis stellt also die Zahlung des Restkaufpreises durch Gammler keine Verfü-gung dar und unterliegt deshalb nicht der Beschränkung des § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

183 BGH NJW 1954, 1325 ff.

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Die Bedeutung der relativen Verfügungsbeschränkung des Gammler seit der Pfändung des Anwartschaftsrechts,

§ 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 135 Abs. 1, § 136 BGB.

Zahlung Restkaufpreis = verbotene Verfügung?

Erlaubt sind Verfügungen, die den Vollstreckungsgläubiger nicht beeinträchtigen. Der Erwerb oder die Erweiterung eines Rechts ist nie eine Verfügung.

Die Zahlung des Restkaufpreises ist eine Vermögensmehrung des Vollstreckungs-schuldners und daher nicht zu beanstanden.

Die Erfüllung ist kein Rechtsgeschäft. Außerdem betrifft die Zahlung unmittelbar nur den K aufpreisrest,

nicht das Anwartschaftsrecht als solches.

Frage 3: Hat Zeiger einen Rechtsbehelf, mit dem er sein Eigentum

geltend machen kann, und

hätte dieser Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg?

Als Rechtsbehelf des Zeiger kommt die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO in Be-tracht. Dabei muss zwischen der Zulässigkeit und der Begründetheit einer derartigen Klage deutlich unterschieden werden, wobei es aufbaumäßig hier wegen der kurzen Zulässigkeitsstation gleichgültig ist, in welcher Reihenfolge vorgegangen wird. Genau genommen müsste hier erst die Begründetheit untersucht werden, da ja die Ausgangs-lage erst einmal zu prüfen ist, sodann die prozessuale Durchsetzungsmöglichkeit. An-dererseits geht aus dem Sachverhalt nicht hervor, dass die Fragestellung auf eine An-waltsklausur gerichtet ist. Wegen der kurzen Zulässigkeitsstation kann, wie schon ge-sagt, aber auch umgekehrt vorgegangen werden.

I. Zulässigkeit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO

Unproblematisch ist die allgemeine Zulässigkeit der Drittwiderspruchsklage. Das Er-fordernis, dass die Zwangsvollstreckung schon begonnen hat und noch nicht beendet ist, liegt vor. Örtlich ausschließlich zuständig ist das Landgericht (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG) des Bezirks, in dem die Pfändung erfolgt ist (§ 771 Abs. 1, § 802 ZPO).

II. Begründetheit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO

Zeiger ist Eigentümer der Uhr. Als sie am 28. Mai durch Blitz gepfändet wurde, bestand sein Eigentum noch. Damit hat er „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ im Sinne von § 771 Abs. 1 ZPO. Fraglich kann nur sein, ob auch das bloße Vorbehaltseigentum als ein derartiges Recht anzusehen ist oder ob man nicht vertreten müsste, hier liege

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kein volles Eigentum vor. Die ganz herrschende Meinung184 sieht aber auch das Vorbe-haltseigentum als volles Eigentum an und ist deshalb der Ansicht, dass der Vorbehalts-eigentümer gemäß § 771 ZPO im Wege der Drittwiderspruchsklage bei Pfändung seines Vorbehaltseigentums intervenieren darf.185

Problematisch ist hier jedoch, dass die Pfändung der Uhr nicht von irgendeiner belie-bigen Person erfolgte, sondern durch einen Vollstreckungsgläubiger des Vorbehaltskäu-fers, also des „Beinahe-Eigentümers“ der Sache. Die Verteidigung seines Vorbehaltsei-gentums könnte für den Vorbehaltseigentümer (Zeiger) deshalb eingeschränkt sein; denn aufgrund seiner vertraglichen Bindung mit dem Vollstreckungsschuldner (Gamm-ler) hat er sein Eigentum bereits soweit übertragen, dass er den Eigentumsverlust aus eigenen Stücken heraus nicht mehr verhindern kann. Wirtschaftlich gesehen, ist am 28. Mai (nach der 6. Ratenzahlung) Zeiger nur noch zu 2/10

186 Eigentümer der Sache und Gammler hat dementsprechend ein starkes Anwartschaftsrecht in Höhe von 8/10.

Gleichwohl kann auf diese wirtschaftliche Situation nicht abgestellt werden. Entschei-dend ist vielmehr, ob die wirtschaftlich und sachenrechtlich starke Position des Voll-streckungsschuldners auch auf den Vollstreckungsgläubiger vollstreckungsrechtlich „durchschlägt“. Auch der Vollstreckungsgläubiger muss also eine Position erreicht ha-ben, die vom Vorbehaltseigentümer zu respektieren ist.187 Um an dieser starken Position des Vollstreckungsschuldners und Inhabers des Anwartschaftsrechts teilzuhaben, muss der Vollstreckungsgläubiger auch auf dieses Anwartschaftsrecht zugreifen, es also pfänden. Nur so kann er an die Stelle des Vollstreckungsschuldners treten und in die schuldrechtliche Beziehung zwischen Vorbehaltsverkäufer und Vorbehaltskäufer einbe-zogen werden. Denn gegenüber dem Vorbehaltskäufer kann sich der Vorbehaltsverkäu-fer nicht auf sein Eigentum berufen. Die Berechtigung der Doppelpfändungstheorie, die dem Vollstreckungsgläubiger befiehlt, auch das Anwartschaftsrecht zu pfänden, zeigt sich also auch hier. Nur wenn auch das Anwartschaftsrecht gepfändet worden ist, kann eine Klage nach § 771 ZPO des Vorbehaltseigentümers abgewehrt werden. Blitz hat jedoch nur die (in diesem Zeitpunkt schuldnerfremde) Sache, nicht auch das Anwart-schaftsrecht gepfändet.

III. Ergebnis

Die Drittwiderspruchsklage des Zeiger wäre somit als richtiger Rechtsbehelf zulässig und begründet.

184 Vgl. Bassenge in: Palandt (Fußn. 155), § 929 Rdnr. 27; Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 1412;

Lackmann (Fußn. 159), Rdnr. 593. 185 Vgl. BGHZ 54, 214 (218); Wolfgang Münzberg in: Friedrich Stein/Martin Jonas: ZPO, 22. Auflage,

Tübingen 2002, § 771 Rdnr. 20 ff.; Lippross (Fußn. 135), Rdnr. 735; Kurt Herget in: Richard Zöller: ZPO, 30. Auflage, Köln 2014, § 771 Rdnr. 14.

186 Vom Kaufpreis in Höhe von 10.000 Euro sind 8.000 Euro schon bezahlt und nur noch 2.000 Euro „offen“.

187 Münzberg in: Stein/Jonas (Fußn. 185), § 771 Rdnr. 22.

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Hinweis: Diese Rechtslage ändert sich jedoch mit Zahlung der letzten Kaufpreisrate am 26. Juli. Denn zu diesem Zeitpunkt verliert Zeiger sein Eigentum und damit sein die Veräußerung hinderndes Recht.

Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO)

Zulässigkeit Begründetheit

Vorbehaltseigentum ist Recht im Sinne des § 771 ZPO Ein wirtschaftliches „Beinahe-Eigentum“

ist unerheblich.

Frage 4: Kann Blitz seinerseits Maßnahmen ergreifen, um den Erfolg

dieses Vorgehens von Zeiger zu beeinträchtigen?

Diese Frage betrifft das Problem, wie der Pfändungspfandrechtsgläubiger Blitz durch Maßnahmen den Erfolg der Drittwiderspruchsklage des Zeiger beeinträchtigen kann. Es geht vor allem um die Verhinderung einer Drittwiderspruchsklage des Vorbehaltsver-käufers (Zeiger) wegen der Pfändung der ihm (noch) gehörenden Sache.188

I. Pfändung des Anwartschaftsrechts

als Kern der Doppelpfändungstheorie189

Hier sind wir wieder beim Kern der Doppelpfändungslehre: Durch die Pfändung des Anwartschaftsrechts und dessen Überweisung an den Vollstreckungsgläubiger (Blitz), der die schuldnerfremde Sache gepfändet hat, vermag letzterer eine Reihe von Schwie-rigkeiten zu überwinden: Es gelingt ihm damit, die Drittwiderspruchsklage des Vorbe-haltseigentümers (Zeiger) zu vereiteln. Dies liegt daran, dass durch die aufgrund der Pfändung erfolgte Überweisung des Anwartschaftsrechts der Vollstreckungsgläubiger (Blitz) in die Ausübung der Rechtsposition des Vollstreckungsschuldners eintritt. Eben-so wenig wie der Vorbehaltsverkäufer (Zeiger) gegenüber Gammler gemäß § 985 BGB Herausgabe verlangen kann (denn Gammler hat ein Recht zum Besitz, vgl. § 986 BGB), kann der Vorbehaltsverkäufer nach der Pfändung und Überweisung des Anwartschafts-rechts im Wege einer Drittwiderspruchsklage gegen den Vollstreckungsgläubiger Blitz vorgehen, wenn dieser die Sache gepfändet hat. Freilich muss Gammler weiterhin ein Recht zum Besitz haben. Somit ist erforderlich, dass er schuldrechtlich noch mit dem Vorbehaltsverkäufer (und Vorbehaltseigentümer) verbunden ist, also die Kaufpreisraten regelmäßig begleicht. Besteht das schuldrechtliche Band zwischen Vorbehaltsverkäufer (Vorbehaltseigentümer) und Vorbehaltskäufer, dann kann sich der Vorbehaltsverkäufer

188 Vgl. Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151), § 857 Rdnr. 86 ff. 189 Dazu Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 410 ff.; Lackmann (Fußn. 159), Rdnr. 371 f.

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nicht auf sein Eigentum gegenüber dem Vorbehaltskäufer berufen. Da nun der Vollstre-ckungsgläubiger durch die aufgrund der Pfändung erfolgte Überweisung des Anwart-schaftsrechts in die Rechtsposition des Anwartschaftsrechtsinhabers (des Vorbehalts-käufers Gammler) eintritt, vermag er dieselben Einwendungen zu erheben, die der An-wartschaftsrechtsinhaber gegenüber dem Vorbehaltseigentümer hat.

II. Rechtliche Folgen der Pfändung des Anwartschaftsrechts

A. Erste Folge: Nicht § 771 ZPO Die Pfändung des Anwartschaftsrechts hat zur (ersten) Folge, dass der Vorbehaltseigen-tümer nach Pfändung und Überweisung des Anwartschaftsrechts nicht gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger, der die Sache selbst gepfändet hat, erfolgreich nach § 771 ZPO intervenieren kann.190

B. Zweite Folge: Nicht § 267 Abs. 2 BGB Eine zweite Folge der Pfändung des Anwartschaftsrechts tritt zutage, wenn Blitz ver-sucht, den Restkaufpreis zu zahlen. Da der Vollstreckungsgläubiger durch die Pfändung und Überweisung des Anwartschaftsrechts in die Position des Vorbehaltskäufers eintritt, vermag der Vorbehaltskäufer nicht dem Vollstreckungsgläubiger gemäß § 267 Abs. 2 BGB zu widersprechen. Im Sinne des Verfügungsverbots gemäß § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO (so genanntes Inhibitorium; das in § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltene Zahlungs-verbot an den Drittschuldner wird Arrestatorium genannt) ist ein solcher Widerspruch eine „Verfügung“, die dem Vollstreckungsschuldner verwehrt ist.191 Ohne diesen Wi-derspruch ist es für den Vollstreckungsgläubiger (Blitz) also möglich, den Restkaufpreis zu zahlen. Damit wird die Bedingung verwirklicht und der Vollstreckungsschuldner (Vorbehaltskäufer) wird Eigentümer der Uhr. Folglich tritt das für den Vollstreckungs-gläubiger gewünschte Ergebnis ein, dass aus der von ihm gepfändeten schuldner-fremden Sache eine dem Vollstreckungsschuldner gehörende Sache wird: Das Pfän-dungspfandrecht zugunsten des Vollstreckungsgläubigers entsteht.

C. Dritte Folge: § 162 Abs. 1 BGB Würde trotz der Pfändung und Überweisung des Anwartschaftsrechts der Vorbehalts-verkäufer (und Vorbehaltseigentümer) die Zahlung ablehnen, wird diese gemäß § 162 Abs. 1 BGB fingiert, und trotz Nichtzahlung würde der Eigentumsübergang eintreten192, also abermals aus der schuldnerfremden Sache eine schuldnereigene Sache werden: Das Pfändungspfandrecht würde trotz Nichtzahlung entstehen.

190 Die Pfändung und Überweisung des Anwartschaftsrechts haben weitere Folgen, die in Frage 5 ange-

sprochen werden. 191 Brehm in: Stein/Jonas (Fußn. 151), § 857 Rdnr. 87. 192 Vgl. BGH NJW 1954, 1325 (1328).

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Exkurs zur Hinterlegung

Der Vorbehaltskäufer könnte ferner den Restkaufpreis gemäß § 372 Satz 1 BGB hinterlegen, wenn sich der Vollstreckungsgläubiger im Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff. BGB befindet. Dabei handelt es sich um ein Erfüllungssurrogat. Bietet also der Vorbehaltskäufer die Restzahlung in der vereinbarten (geschuldeten) Art und Weise an und lehnt der Vorbehaltsverkäufer die Zahlung ab, kann durch die Hinterlegung des Restkaufpreises das Eigentum übergehen.

D. Vierte Folge: Rangwahrende Funktion Wie bereits oben unter Frage 1 gesehen, hat die Pfändung des Anwartschaftsrechts (im Rahmen der Doppelpfändungstheorie) eine weitere wichtige Funktion: Durch die Pfän-dung des Anwartschaftsrechts kann ein vollstreckungsrechtlicher Zugriff auf die Sache zeitlich vorverlagert werden. Durch das Pfändungspfandrecht am Anwartschaftsrecht wird der Rang vor später zugreifenden Vollstreckungsgläubigern gesichert, unabhängig davon, ob die späteren Vollstreckungsgläubiger die Sache selbst oder das Anwart-schaftsrecht pfänden lassen. Diese rangwahrende Funktion193 ist von hoher praktischer Bedeutung.

III. Die strategische Bedeutung der Doppelpfändungstheorie

Die Folgen der Doppelpfändung (der Pfändung auch des Rechts)

Nicht § 771 ZPO, nicht § 267 Abs. 2 BGB,

Fiktion des § 162 Abs. 1 BGB rangwahrende Funktion.

Die Doppelpfändungstheorie hat demnach folgende wichtige strategische Bedeutung: Sie unterbindet sowohl die Intervention des Vorbehaltseigentümers als auch eine Ableh-nung der Zahlung des Restkaufpreises durch den Vorbehaltsverkäufer194. Hierdurch be-reitet sie die Strategie der Zahlung des Restkaufpreises an den Vorbehaltseigentümer vor. Sie erreicht damit das Entstehen des Pfändungspfandrechts an der Sache selbst und sichert bei rechtzeitigem Zugriff auf die noch schuldnerfremde Sache den Vorrang vor späteren Pfändungen.

193 Nachweise zu ihr oben Fußn. 171 ff. 194 Zu den einzelnen Folgen: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 411.; Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 815 f.

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IV. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen

für ein Vorgehen nach der Doppelpfändungstheorie

Die bisherigen Ausführungen zeigten: Die Doppelpfändungstheorie ist nur dann sinn-voll, wenn die gepfändete Sache ein so „hohes“ Anwartschaftsrecht hat, dass durch Zah-lung des Restkaufpreises seitens des Vollstreckungsgläubigers immer noch ein für ihn zu realisierender Vermögenswert vorhanden ist. Ist hingegen das Anwartschaftsrecht sehr gering und bedarf es deshalb sehr hoher Restkaufpreiszahlungen, wird in aller Re-gel der Vollstreckungsgläubiger aus wirtschaftlichen Überlegungen von einer Pfändung der Sache und des Anwartschaftsrechts absehen.

V. Ergebnis

Im Ergebnis könnte also Blitz durch die Pfändung des Anwartschaftsrechts und Zahlung des Restkaufpreises eine erfolgreiche Drittwiderspruchsklage des Zeiger verhindern.

Frage 5: Frage 2 ging von einer Zahlung des Kaufpreisrestes durch

Gammler aus. Wäre eine Zahlung stattdessen durch Blitz anders zu

beurteilen?

Da sich bei der Beantwortung von Frage 2 gezeigt hat, dass eine Zahlung des Restkauf-preises durch den Vorbehaltskäufer (Gammler) nicht gegen den Pfändungs- und Über-weisungsbeschluss vom 24. Juli verstößt, ergibt sich die weitere Frage, ob eine Zahlung durch einen der Vollstreckungsgläubiger, hier durch den Pfändungspfand-rechtsgläubiger Blitz, anders zu beurteilen ist. Dies erfordert, dass zunächst die Rechts-lage unabhängig vom Zwangsvollstreckungsrecht beurteilt wird.

I. Eigentum geht von Zeiger auf Gammler über

Mit Zahlung des Restkaufpreises auch durch den Blitz geht das Eigentum an der Uhr von Zeiger auf Gammler über. Zum Bedingungseintritt gemäß § 158 Abs. 1 BGB ist nicht erforderlich, dass die Restkaufpreiszahlung durch den Vorbehaltskäufer selbst erfolgt. Auch die Zahlung einer dritten Person reicht hierzu aus. Dies ergibt sich aus § 267 Abs. 1 BGB, wonach die Leistung durch einen Dritten bewirkt werden kann, so-fern der Vollstreckungsschuldner nicht in Person zu leisten hat.195 Bei der Zahlung des Restkaufpreises liegt keine nur in der Person zu leistende Schuld vor. Auch die Einwil-ligung von Gammler ist zur Restkaufpreiszahlung nicht erforderlich (§ 267 Abs. 1 Satz 2 BGB).

195 Dazu Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 267 Rdnr. 1 – 4.; Wolfgang Fikentscher/Andreas Heine-

mann: Schuldrecht, 10. Auflage, Berlin 2006, Rdnr. 286, 288.

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II. Bedeutung des § 267 Abs. 2 BGB

Doch ist hier zu beachten, dass gemäß § 267 Abs. 2 BGB insofern die Zahlung durch den Blitz anders als die Zahlung durch den Gammler selbst zu beurteilen ist, weil der Gläubiger — Zeiger — die Zahlung des Restkaufpreises durch Blitz ablehnen kann, wenn Gammler widerspricht. Insofern ist die Zahlung des Restkaufpreises durch Blitz anders zu bewerten als die durch Gammler; denn Gammler könnte der Zahlung des Restkaufpreises widersprechen und Zeiger daraufhin die Annahme des Restkaufpreises ablehnen. Damit könnte Gammler verhindern, dass der Blitz das Entstehen „seines“ Pfändungspfandrechts durch Zahlung des Restkaufpreises an Zeiger gemäß § 267 Abs. 2 BGB bewirkt.

III. Anwartschaftsrechtspfändung schaltet § 267 Abs. 2 BGB aus

Dieses Widerspruchsrecht könnte durch zusätzliche Rechtspfändung seitens des Blitz, d. h. durch Pfändung des Anwartschaftsrechts des Gammler, ausgeräumt werden, § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Blitz müsste also, wie auch schon bei der Lösung in Frage 4 ange-sprochen, einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinsichtlich des Anwart-schaftsrechts erwirken, um in die Rechtsposition des Gammler einzutreten. Da Gammler unbestritten das Recht auf Zahlung des Restkaufpreises besitzt, wächst dieses Recht kraft des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses dem Blitz zu, so dass die Gefahr eines Widerspruchs des Gammler dadurch gebannt werden könnte. Damit zeigt sich im Übrigen auch, wie sinnvoll die Doppelpfändungstheorie ist, die die Pfändung der schuldnerfremden Sache durch Blitz mit der strategischen Überlegung verknüpft, einen möglichen Widerspruch des Gammler durch Erlass eines Pfändungs- und Überwei-sungsbeschlusses zu verhindern.196

IV. Ergebnis

Zahlt also Blitz die letzte Kaufpreisrate, so kann er bei vorausgegangener Pfändung des Anwartschaftsrechts sicher gehen, ein Pfändungspfandrecht an der Uhr zu erhalten.

Exkurs zu Ansprüchen des Blitz wegen der Zahlung des Restkaufpreises

Im Zuge einer Weiterverfolgungstechnik197 ist die Frage naheliegend, ob Blitz Ansprüche gegen Gammler auf Erstattung des an Zeiger ge-zahlten Restkaufpreises hat.

Mögliche Anspruchsgrundlagen sind (je nach dem § 267 Abs. 1 BGB zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses zwischen Vorbehaltskäufer

196 Dazu Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 410 – 411. 197 Das Weiterverfolgen der Aufgabe in die Zukunft (die „Verlängerungstechnik“) wird häufig im Pro-

zessrechtsfall übersehen, hierzu Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 35 – 37 und 167 ff. Im vorliegenden Fall sind die im Exkurs dargestellten Ausführungen nicht erforderlich.

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und Vollstreckungsgläubiger): Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag oder bei rechtsgrundloser Leistung Bereicherungsrecht.

Hier ist § 683 BGB in Verbindung mit § 670 BGB einschlägig. Mit der Zahlung des Restkaufpreises hat Blitz ein objektiv fremdes Geschäft mitbesorgt, so dass der Wille zur Fremdgeschäftsführung vermutet wird.198 Die Zahlung entspricht auch dem Interesse des Gammler sowie dessen mutmaßlichem Willen, da die Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erlischt und er das Eigentum an der Uhr erwirbt.

Sollte Gammler der Zahlung widersprechen, liegen die Voraus-setzungen des § 683 BGB zwar nicht vor (entgegenstehender wirklicher Wille des Gammler), nach § 684 BGB (Rechtsgrundverwe-isung) haftet Gammler aber auf Herausgabe nach §§ 267, 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Für diesen Bereicherungsanspruch genügt es, dass der Dritte die Leistung mindestens auch für den wahren Vollstrec-kungsschuldner erbringen wollte.199

Prozessual sehr wichtig ist allerdings, dass Blitz den gezahlten Rest-kaufpreis nicht im Rahmen der Verwertung seines Pfändungspfand-rechts an der Uhr gemäß §§ 816 ff. ZPO geltend machen kann. Der Pfandgegenstand „Uhr“ haftet nur für die im rechtskräftigen Urteil gegen Gammler titulierte Forderung (deretwegen Blitz am 28. Mai die Uhr pfänden ließ) sowie für die Zinsen bis zum Zeitpunkt der Befriedigung und für die Kosten der Zwangsvollstreckung200. Bei dem von Blitz an Zeiger gezahlten Restkaufpreis handelt es sich nicht um einen Bestandteil dieser titulierten Forderung, sondern um einen da-von unabhängigen Vorgang, der zudem erst nach Schluss der dem Urteil vorausgehenden letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ent-standen ist.

Wenn Gammler dem Blitz den Restkaufpreis nicht erstattet, muss Blitz diese andere Forderung gerichtlich geltend machen und notfalls, sobald er einen vollstreckbaren Titel hat, wiederum die Zwangsvoll-streckung gegen Gammler betreiben.

Frage 6: Was ist Frau Häuslich zu raten?

I. Vermieterpfandrecht nach § 562 Abs. 1 Satz 1, § 549 Abs. 1 BGB

Die Vermieterin Häuslich hat ein Vermieterpfandrecht nach § 562 Abs. 1 Satz 1, § 549 Abs. 1 BGB an den eingebrachten Sachen des Mieters201.

198 BGHZ 65, 354 (357); 70, 389 (396). 199 BGHZ 70, 389 (397); 72, 246 (249); Sprau in: Palandt (Fußn. 10), § 812 Rdnr. 61; Grüneberg in:

Palandt (Fußn. 41), § 267 Rdnr. 7. 200 Stöber in: Zöller (Fußn. 177), § 804 Rdnr. 8. 201 Weidenkaff in: Palandt (Fußn. 47), § 562 Rdnr. 1 ff.; Brox/Walker (Fußn. 179), § 11 Rdnr. 44 ff.

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Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

A. Nicht an der Uhr Die Uhr wurde am 27. Oktober des Vorjahres eingebracht. Zu diesem Zeitpunkt war die Sache aber nicht im Eigentum des Mieters, so dass ein Vermieterpfandrecht an der Sa-che selbst nicht entstehen konnte.202

B. Am Anwartschaftsrecht Es fragt sich aber, ob dann wenigstens an dem Anwartschaftsrecht an der Uhr, das dem Mieter zustand, ein Vermieterpfandrecht entstanden ist. Von einer Mindermeinung203 wird dies abgelehnt, weil das Anwartschaftsrecht keine Sache sei. Die herrschende Meinung204 hingegen lässt ein dem Mieter zustehendes Anwartschaftsrecht unter das Vermieterpfandrecht fallen, da es sich beim Anwartschaftsrecht um ein dingliches Recht gleich dem Eigentum handelt. Mit dieser herrschenden Meinung ist deshalb an-zunehmen, dass am 27. Oktober des Vorjahres ein Vermieterpfandrecht am Anwart-schaftsrecht an der Uhr entstanden ist.

C. Seit 26. Juli an der Uhr Dieses Vermieterpfandrecht am Anwartschaftsrecht an der Uhr ist jedoch durch die Zahlung des Restkaufpreises am 26. Juli untergegangen. Nach ebenfalls unbestrittener Ansicht205 entstand mit diesem Zeitpunkt nunmehr ein Vermieterpfandrecht an der Uhr (§ 185 Abs. 2 Satz 1, 2. Variante BGB).

D. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis zeigt sich jetzt, dass auf jeden Fall am 26. Juli ein Vermieter-pfandrecht an der Uhr zugunsten der Frau Häuslich entstanden ist.

II. Pfändungspfandrecht für Blitz

Wie sich bisher gezeigt hat, entstand zu diesem Zeitpunkt auch ein Pfändungspfandrecht zugunsten des Blitz.

202 Vgl. Paul Jendrek in: Walter Erman: BGB, 13. Auflage, Köln 2011, § 562 Rdnr. 9 (Wortlaut: „Sachen

des Mieters“). 203 Vgl. Wolfgang Kummer in: Hans Theodor Soergel: BGB, 11. Auflage, Stuttgart 1980, § 559 Rdnr. 27

(in der 13. Auflage nicht mehr vertreten). 204 BGHZ 117, 200 (200 ff.); § 562 Rdnr. 9; Brox/Walker (Fußn. 179), § 11 Rdnr. 48; Volker Emmerich

in: Julius von Staudinger: BGB, 16. Auflage, Berlin 2011, § 562 Rdnr. 15; Olaf Riecke in: Hanns Prüt-ting/Gerhard Wegen/Gerd Weinreich: BGB, 8. Auflage, Köln 2013, § 562 Rdnr. 8; Teichmann in: Jauernig (Fußn. 41), § 562 Rdnr. 3; Weidenkaff in: Palandt (Fußn. 47), § 562 Rdnr. 9.

205 Vgl. BGH NJW 1965, 1475 ff.; Emmerich in: Staudinger (Fußn. 204), § 562 Rdnr. 15; Riecke in: Prüt-ting/Wegen/Weinreich (Fußn. 204), § 562 Rdnr. 8; Weidenkaff in: Palandt (Fußn. 47), § 562 Rdnr. 9.

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Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

III. Vorrang des Vermieterpfandrechts?

Damit ergibt sich das Problem, ob möglicherweise das Vermieterpfandrecht einen Vor-rang vor dem Pfändungspfandrecht hat.

A. Öffentlich-rechtliche Theorie: Nachrang Vermieterpfandrecht Vertritt man beim Pfändungspfandrecht die öffentlich-rechtliche Theorie, dann ist be-reits am 28. Mai ein Pfändungspfandrecht an der Sache entstanden. Ist tatsächlich das Vermieterpfandrecht erst am 26. Juli entstanden, würde — nach der öffentlich-rechtlichen Theorie — der Blitz mit seinem Pfändungspfandrecht vorgehen.

B. Gemischte Theorie: Gleichrang? Nach der gemischten Theorie fragt sich hingegen, ob nicht die Tatsache, dass zugunsten der Frau Häuslich bereits seit dem 27. Oktober des Vorjahres ein Vermieterpfandrecht am Anwartschaftsrecht bestand, ihr doch den besseren Rang einräumt.

1. Reichsgericht: Gleichrang Heranziehen könnte man in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Reichsge-richts aus dem Jahre 1905206, die in einem vergleichbaren Fall einen Gleichrang an-nimmt. Wenn diese Entscheidung hier anzuwenden wäre, käme man also zu einem Gleichrang und damit zu einem Problem des Verteilungsverfahrens in derselben Weise, wie wenn zwei gleichrangige Pfändungspfandrechte an einer Sache entstehen.

Allerdings waren im Jahre 1905 Rechtsprechung und Lehre noch nicht verfestigt, dass der Vorbehaltskäufer ein Anwartschaftsrecht an der Sache besitzt, das dann seinerseits dem Vermieterpfandrecht unterliegt. Dies könnte gegen die Ansicht des Reichsgerichts sprechen. Aber unabhängig von diesen Erwägungen ist die Gleichrangthese nicht schlechthin unvertretbar.

Lehnt man dennoch die Lösung des Reichsgerichts ab und geht auf das Pfandrecht am Anwartschaftsrecht ein, so fragt sich, ob insoweit eine Lücke im Recht entsteht, die durch eine entsprechende Anwendung der vorhandenen Vorschriften zu füllen ist.

2. § 804 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 50 Abs. 1 und Abs. 2 InsO: Gleichrang Die Lösung könnte sich aus § 804 Abs. 2 ZPO ergeben: Ein Pfändungspfandrecht geht denjenigen Pfand- und Vorzugsrechten vor, die für den Fall einer Insolvenz den Faust-pfandrechten nicht gleichgestellt sind. Um diesen Vorrang des Pfändungspfandrechts zu erreichen, dürfte das Vermieterpfandrecht kein Recht im Sinne des § 50 Abs. 1 InsO darstellen, also im Falle eines Insolvenzverfahrens nicht einem Faustpfandrecht gleich-

206 RGZ 60, 70 (73).

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gestellt sein.207 Das Vermieterpfandrecht ist jedoch ein gesetzliches Pfandrecht im Sinne des § 50 Abs. 1 InsO und wird sogar in § 50 Abs. 2 InsO ausdrücklich genannt. § 50 InsO differenziert allerdings beim Vermieterpfandrecht danach, ob es sich auf die Miete für die letzten zwölf Monate bezieht (dann greift Abs. 1) oder auf die Miete für die Zeit zuvor (dann gilt Abs. 2)208. Vorliegend hat Frau Häuslich ein Pfandrecht für die ausste-hende Miete der letzten Monate. Damit ist § 50 Abs. 1 InsO einschlägig. Das Vermieterpfandrecht ist somit dem Faustpfandrecht im Fall des Insolvenzverfahrens gleichgestellt. Nach § 804 Abs. 2, 1. Halbsatz ZPO hat ein Pfändungspfandrecht damit den gleichen Rang wie ein Vermieterpfandrecht der Frau Häuslich209. Die Anwendung dieser Normen kann allerdings immer noch nicht die Frage beantworten, ob die Tatsa-che, dass Frau Häuslich bereits vorher ein Pfandrecht am Anwartschaftsrecht an der Sache hatte, eine Besserstellung rechtfertigen kann.

3. Nichtanwendbarkeit von § 804 Abs. 3 ZPO Die zeitliche Komponente wird in § 804 Abs. 3 ZPO vom Gesetz aufgegriffen. Die Vor-schrift ist im zu behandelnden Fall allerdings nicht anwendbar: Nach ihrem klaren Wortlaut regelt sie nur die Konkurrenz zwischen mehreren Pfändungspfandrechten210.

4. Allgemeines Prioritätsprinzip: Vorrang Vermieterpfa ndrecht Der Grundgedanke des § 804 Abs. 3 ZPO durchzieht jedoch die gesamte ZPO. Daraus ergibt sich nämlich ein allgemeines Prioritätsprinzip211. Danach ist derjenige günstiger gestellt, der innerhalb derselben Klasse von Rechten zuerst vollstreckt. Im Immobiliarvollstreckungsrecht zeigt sich dieses Prinzip deutlich in § 11 Abs. 2 ZVG.

Dass es sich vorliegend um Pfandrechte derselben Klasse handelt, wurde an § 804 Abs. 2 ZPO deutlich. Entscheidend ist also nunmehr allein, welcher der Vollstreckungs-gläubiger sich auf die „frühere Pfändung“ im Sinne des § 804 Abs. 3 ZPO berufen kann.

Man kann vertreten, dass ein Pfandrecht am Anwartschaftsrecht rangwahrend ist. Dann hat Frau Häuslich das bessere Recht, da sie dann sozusagen mit Rang vom 27. Oktober das Vermieterpfandrecht an der Uhr besitzt. Dieses Ergebnis wird ohne größeren Be-

207 Hier ist es hilfreich, im SCHÖNFELDER die Verweisung in die §§ 49 ff. InsO aus der Fußnote des § 804

ZPO zu erkennen. 208 Diese Unterscheidung trifft im Übrigen auch § 562d BGB, wo ebenfalls das Vermieterpfandrecht

wegen der Miete für eine frühere Zeit als das letzte Jahr einem späteren Pfändungspfandrecht gegenüber nachrangig ist. Zum Verhältnis des Vermieterpfandrechts wegen Miete für das letzte Jahr zu einem Pfändungspfandrecht sagt die Norm nichts aus.

209 Siehe zu diesem Problembereich die lesenswerte Examensklausurlösung von Michael Huber: Der praktische Fall – Vollstreckungsrecht: Vorrang des Vermieterpfandrechts?, JuS 2003, 568 – 572.

210 Dazu auch Huber a. a. O. 211 Hierzu die Ausführungen bei Hans-Joachim Spindler: Der Rang von Pfandrechten bei Verfügungen

des Nichtberechtigten, MDR 1960, 454 ff.; Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 377; Andrea Nicolai: Vermieterpfandrecht und (Raum-)Sicherungsübereignung, JZ 1996, 219 – 224; Gerfried Fischer: Vor-rang des Vermieterpfandrechts vor dem Sicherungseigentum? – BGHZ 117, 200, JuS 1993, 542 – 545; vgl. auch Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 415.

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gründungsaufwand von der Mehrzahl der Autoren vertreten212. Rein begrifflich lässt sich diese Auffassung nur schwer begründen, da das Vermieterpfandrecht an der Sache erst bei Bedingungseintritt entsteht.

Für einen Vorrang des Vermieterpfandrechts spricht allerdings, dass bei der Rangfrage von Rechten in der Regel der Zeitpunkt der Vornahme des „Verfügungaktes“ aus-schlaggebend ist und nicht deren Wirksamwerden213. Der Verfügungsakt ist hier das Einbringen der Uhr in die Wohnung des Hauses der Häuslich.

Man kann ferner an den Rechtsgedanken des § 1287 BGB anknüpfen, der eine dingliche Surrogation vornimmt, die den Entstehenszeitpunkt hier auf den 27. Oktober festlegt. Welche Probleme die dingliche Surrogation aufwirft, ist oben bereits in Bezug auf ein Pfändungspfandrecht ausgeführt. Eine dingliche Surrogation ist beim Vermieterpfandrecht eher hinnehmbar, da mit ihm bei eingebrachten Sachen des Mie-ters zu rechnen ist. Ein Pfändungspfandrecht muss man jedoch kaum erwarten, weshalb das Vollstreckungsrecht die Erkennbarkeit der Verstrickung (Pfandsiegel oder Weg-nahme) vorschreibt.

Möglich erscheint schließlich eine Argumentation mit dem Sinn und Zweck des Vermieterpfandrechts am Anwartschaftsrecht. Dieses wäre so gut wie wertlos, wenn es allein auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Sache ankäme. Denn die wichtigste Eigenheit des Anwartschaftsrechts ist es, nach einer bestimmten Zeit (bei Bedingungseintritt) un-terzugehen. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall beispielhaft, da zum Zeitpunkt des Erwerbs der Sache auch das Pfändungspfandrecht des Blitz entsteht. Dieser hat jedoch keine vor diesem Zeitpunkt liegende gesicherte Position besessen. Der Vermieter soll aber mit dem Pfandrecht am Anwartschaftsrecht dafür einen Ausgleich erhalten, dass an den für den Mieter noch fremden Sachen kein Vermieterpfandrecht entstehen kann. Dieser Schutz des Vermieters kann nur dann realisiert werden, wenn das Vermieterpfandrecht am Anwartschaftsrecht rangwahrende Funktion hat. Somit „er-starkt“ nach der gemischten Theorie das Vermieterpfandrecht am Anwartschaftsrecht zu einem solchen an der Sache. Im Fall ist dieses Vermieterpfandrecht der Frau Häuslich somit am 27. Oktober des Vorjahres entstanden und geht damit dem am 26. Juli ent-standenen Pfändungspfandrecht des Blitz vor.214

IV. Zwischenergebnis

Diese Überlegungen führen zum Ergebnis, dass Frau Häuslich mit Rang vom 27. Okto-ber ein Vermieterpfandrecht an der Uhr hat, das dem entweder am 28. Mai (öffentlich-

212 Riecke in: Prütting/Wegen/Weinreich (Fußn. 204), § 562 Rdnr. 9; Weidenkaff in: Palandt (Fußn. 47),

§ 562d Rdnr. 6; Volker Emmerich in: Volker Emmerich/Jürgen Sonnenschein: Miete, 10. Auflage, Ber-lin 2011, § 562 Rdnr. 9; vgl. Emmerich in: Staudinger (Fußn. 204), § 562 Rdnr. 36; Baur/Stürner (Fußn. 161), C II § 55 Rdnr. 41.

213 Hans-Joachim Spindler (Fußn. 211), a. a. O. 214 Der Bundesgerichtshof hat sich zur Vermeidung der „Aushöhlung“ des Vermieterpfandrechts sogar

für einen generellen Vorrang gegenüber dem Sicherungseigentum ausgesprochen, vgl. BGHZ 117, 200 (207).

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Fall 7: Gammler zahlt und Blitz sowie die Allerlei GmbH haben gepfändet

rechtliche Theorie) oder am 26. Juli („gemischte Theorie“) entstandenen Pfändungs-pfandrecht des Blitz vorgeht.

V. Klage auf vorzugsweise Befriedigung

Damit fragt sich, wie Frau Häuslich ihren vorrangigen Platz geltend machen kann. Man könnte an § 771 ZPO, Drittwiderspruchsklage, denken. Immerhin hat sie eine Rechts-stellung, die kraft des Vermieterpfandrechts dinglich abgesichert ist. Doch scheidet we-gen § 805 Abs. 1, 1. Halbsatz ZPO die Drittwiderspruchsklage aus. Wer ein Vermieterpfandrecht als besseres Pfandrecht geltend machen will, ist deshalb auf die Klage auf vorzugsweise Befriedigung gemäß § 805 ZPO verwiesen. Nach alledem ist Frau Häuslich die Klage auf vorzugsweise Befriedigung gemäß § 805 ZPO anzuraten, sofern Blitz nicht freiwillig nachgibt.215

215 Vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 450 Beispiel 142 und Rdnr. 468 mit Fußn. 12.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

FALL 8:

GAMMLER ZAHLT NICHT UND DIE UHR WIRD VERSTEIGERT

Wie in Fall 7 kaufte Aloys Gammler am 27. Oktober von Uhrmacher Zeiger eine aus dem 19. Jahrhundert stammende englische Standuhr zum Preis von € 10.000,–. Beide vereinbarten schriftlich Folgendes: „Der Kaufpreis beträgt € 10.000,–; angezahlt werden € 2.000,–. Der Rest ist in acht gleichen Monatsraten in Höhe von € 1.000,–, beginnend zwei Monate nach Vertragsschluss, zu zahlen. Der Verkäufer behält sich das Eigentum bis zur völligen Zahlung des Kaufpreises vor.“ Noch am 27. Oktober zahlte Gammler die vereinbarten € 2.000,– an; Zeiger übergab die Uhr an Gammler, der sie nach Hause transportierte. Der übliche Marktpreis einer solchen Antiquität beträgt € 9.600,–.

Anders als in Fall 7 begleicht Gammler außer der Anzahlung keine der Kaufpreisraten. Zeiger erwirkt deshalb einen Mahnbescheid und anschließend einen Vollstreckungsbe-scheid gegen Gammler auf Zahlung des Restkaufpreises. Gegen den Mahnbescheid er-hebt Gammler keinen Widerspruch; gegen den Vollstreckungsbescheid legt er keinen Einspruch ein.

Am 10. März lässt Zeiger die Uhr bei Gammler durch den Gerichtsvollzieher Streng aufgrund des rechtskräftig gewordenen Vollstreckungsbescheids pfänden.

Gammler hält die Pfändung für „unwirksam“. Erstens sei eine Pfändung durch den Ei-gentümer (Zeiger) unzulässig; zweitens benötige er die Uhr für seine Lebensführung; sie sei daher unpfändbar. Der Pfändung stünden drittens die Verbraucherschutzvor-schriften entgegen.

Frage 1: Was ist zu den Rechtsansichten des Gammler über die „Unwirksamkeit“ der Pfändung zu sagen?

Nachdem Gammler trotz mehrfacher Aufforderungen des Zeiger den Restkaufpreis nicht zahlt, lässt Zeiger durch den Gerichtsvollzieher Streng die gepfändete Uhr weg-nehmen und versteigern. Den Zuschlag erhält Herr Wurm zum Gebot von € 4.000,–. Zu diesem Zeitpunkt hat die Uhr noch einen gewöhnlichen Verkaufswert von € 7.900,–. Wurm zahlt sofort den Betrag an den Gerichtsvollzieher Streng, der ihm seinerseits die Uhr übergibt.

Frage 2: Ist Wurm Eigentümer der Uhr geworden, wenn er wusste, dass Zeiger und nicht Gammler deren Eigentümer war?

Den Erlös in Höhe von € 4.000,– liefert der Gerichtsvollzieher an Zeiger ab. Dieser for-dert nunmehr von Gammler die Zahlung von € 4.000,–, wobei er folgende „Abrech-nung“ vorlegt: „Vereinbarter Kaufpreis € 10.000,–, Anzahlung € 2.000,–, Erlös der Uhr € 4.000,–, Restschuld in Höhe von € 4.000,–.“

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

Frage 3: Ist Gammler aufgrund des am 27. Oktober geschlossenen Kaufvertrages noch zur Zahlung dieses Restkaufpreises verpflichtet?

Nachdem sich Gammler weigert, die soeben genannten € 4.000,– an Zeiger zu zahlen, schickt dieser abermals den Gerichtsvollzieher Streng in die Wohnung des Gammler, um hinsichtlich der ausstehenden Summe zu vollstrecken. Zeiger beruft sich hierbei auf die Rechtskraft des Vollstreckungsbescheides über den noch nicht gezahlten Restkauf-preis von € 8.000,– und verweist auf seine „Abrechnung“, aus der sich eine Restschuld in Höhe von € 4.000,– ergibt. Gammler möchte wissen, ob er mit Erfolg einen Rechts-behelf gegen dieses weitere Vorgehen des Zeiger hat.

Frage 4: Gibt es überhaupt einen solchen Rechtsbehelf und, wenn ja, hat er Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

FALL 8: GAMMLER ZAHLT NICHT UND DIE UHR WIRD VERSTEIGERT 125

Lösung 129

Frage 1: Was ist zu den Rechtsansichten des Gammler über die „Unwirksamkeit“ der Pfändung zu sagen? 129

I. Allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung 129 A. Prüfung von Amts wegen 129 B. Titel 129 C. Klausel 129 D. Zustellung 129 E. Ergebnis 130

II. Die Einwände des Gammler 130 A. Keine Pfändung der eigenen Sache? 130 B. Unpfändbarkeit, § 811 Abs. 1 ZPO 131

1. Unabhängig vom Eigentum des Vollstreckungsschuldners 131 2. Tatsächliche Voraussetzungen der Unpfändbarkeit 132 3. Austauschpfändung (§ 811 a ZPO) 132

C. Rückgaberecht bei Teilzahlungsgeschäften (§ 508 Abs. 2 Satz 5 BGB) 132 D. Zwischenergebnis 132

III. Ergebnis 133

Frage 2: Ist Wurm Eigentümer der Uhr geworden, wenn er wusste, dass Zeiger und nicht Gammler deren Eigentümer war? 133

I. §§ 929, 185, 932, 935 BGB bei der Versteigerung 133

II. Maßgebend ist § 817 ZPO 133 A. Eigentumserwerb kraft Hoheitsaktes 133 B. Voraussetzungen des § 817 ZPO 133

III. Ergebnis 134

Frage 3: Ist Gammler aufgrund des am 27. Oktober geschlossenen Kaufvertrages noch zur Zahlung dieses Restkaufpreises verpflichtet? 134

I. Der maßgebende Vertragstyp 134 A. Kein Gelddarlehen 134 B. Sonstige Finanzierungshilfen: Teilzahlungsgeschäft (§ 506 Abs. 3 BGB) 135

II. Rücktrittsfiktion des § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB 135

III. Ergebnis 135

Frage 4: Gibt es überhaupt einen solchen Rechtsbehelf und, wenn ja, hat er Aussicht auf Erfolg? 136

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I. Gibt es überhaupt einen solchen Rechtsbehelf? 136 A. Rechtsbehelfe gegen den Vollstreckungsbescheid? 136 B. Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO 136

1. Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarkeit 136 2. Gammler ist mit den Einwendungen nicht präkludiert 137

C. Ergebnis 137

II. Hat eine Vollstreckungsabwehrklage Aussicht auf Erfolg? 137

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

Lösung

Frage 1: Was ist zu den Rechtsansichten des Gammler über die

„Unwirksamkeit“ der Pfändung zu sagen?

I. Allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung

A. Prüfung von Amts wegen Bedenken gegen die Pfändung durch den Gerichtsvollzieher Streng würden sich bereits dann ergeben, wenn die Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung nicht vor-lägen.216 Es kommt nämlich nicht nur auf die drei von Gammler geltend gemachten Einwände an. Das Gericht muss vielmehr von Amts wegen zunächst prüfen, ob die Vo-raussetzungen der Zwangsvollstreckung vorliegen. Gemäß § 750 ZPO müssen Titel, Klausel und Zustellung gegeben sein:

B. Titel Nach § 704 ZPO findet die Zwangsvollstreckung aus Endurteilen, die rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt sind, statt. Hier wird aus einem Voll-streckungsbescheid vollstreckt, so dass § 704 ZPO nicht einschlägig ist. Maßgebend ist jedoch § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, der in Ergänzung zu § 704 ZPO weitere Voll-streckungstitel nennt. Da Gammler weder Widerspruch gegen den Mahnbescheid (§ 694 ZPO) noch Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid (§ 700 Abs. 3 ZPO) erhoben hat, ist der Vollstreckungsbescheid formell rechtskräftig geworden.

C. Klausel Von einer Vollstreckungsklausel (amtliches Zeugnis, dass der Vollstreckungstitel voll-streckbar ist) ist im vorliegenden Fall nicht die Rede. Man kann davon ausgehen, dass sie vorliegt, da der Sachverhalt nichts angibt und ein prozessordnungsgemäßes Vorge-hen anzunehmen ist.217 Jedoch bedürfen Vollstreckungsbescheide gemäß § 796 Abs. 1 ZPO in aller Regel keiner Vollstreckungsklausel, so dass hier ausnahmsweise von dieser Voraussetzung der Zwangsvollstreckung abgesehen werden kann.

D. Zustellung Während bei einem Vollstreckungsbescheid die Klausel fehlen darf, muss die Zu-stellung erfolgt sein. Hier ist entweder anzunehmen, dass diese Zustellung gemäß § 699 Abs. 4 Satz 1 ZPO von Amts wegen bereits erfolgt ist, also gemäß §§ 166 ff. ZPO. In aller Regel würde dies bedeuten, dass die Geschäftsstelle (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO) das Schriftstück der Post zur Zustellung ausgehändigt hat (§ 168 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO).

216 Vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 358 und 366 ff.; Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 750 Rdnr. 1. 217 Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 38: Prinzip des prozessordnungsgemäßen Verhaltens.

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Bei dieser Zustellung handelt es sich um eine Zustellung durch die Post. Man darf aber auch annehmen, dass die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher vor der Pfändung er-folgt ist. Dann müsste man, was zulässig ist, davon ausgehen, dass der Antragsteller die Übergabe des Vollstreckungsbescheides an sich zur Zustellung im Parteibetrieb bean-tragt hat (§ 699 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO). Dann hat der Gerichtsvollzieher gemäß §§ 192 ff. ZPO zugestellt. Dass Zustellung und Pfändung bei einem Amtsgang des Ge-richtsvollziehers erfolgen, schadet nicht, sofern nur die Zustellung vor der Pfändung durchgeführt wird.

E. Ergebnis Damit ist deutlich, dass die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung im vorliegenden Fall gegeben sind.

Hinweis: Am 1. Juli 2002 trat das Zustellungsreformgesetz in Kraft, das die Zustellungsvorschriften der ZPO änderte. Die neuen §§ 166 – 195 ZPO ersetzen die früheren §§ 166 – 213 a a. F. ZPO. Das Reform-gesetz will die Zustellungen an die gewandelten Lebensverhältnisse anpassen und zugleich das Verfahren vereinfachen. Die Neuregelung geht in den §§ 166 – 190 ZPO von der Amtszustellung als Grundmo-dell aus, die Parteizustellung wird in den §§ 191 – 195 ZPO unter Verweisung auf die Amtszustellung ergänzend geregelt. Die frühere Systematik wurde umgekehrt, die Neufassung entspricht der Domi-nanz des Amtsbetriebs in der Rechtspraxis218.

II. Die Einwände des Gammler

A. Keine Pfändung der eigenen Sache? Gammler wendet ein, die Pfändung durch den Eigentümer selbst sei unzulässig. Dem ist jedoch die Regelung des § 811 Abs. 2 ZPO entgegenzuhalten. Gemäß dieser Vorschrift können einzelne Einwände des § 811 Abs. 1 ZPO gegen den Verkäufer, der wegen einer durch Eigentumsvorbehalt gesicherten Geldforderung aus ihrem Verkauf vollstreckt, nicht geltend gemacht werden219. Daher ergeben sich keine Bedenken, wenn Zeiger die noch ihm gehörende Uhr bei Gammler pfändet.

Hinweis: Zweck des § 811 Abs. 2 ZPO ist es, einen weiteren Prozess wegen Herausgabe (§ 985 BGB) mit anderer Vollstreckung (§ 883 ZPO) zu ersparen. Die Vorschrift gilt nicht für § 812 ZPO und findet keine entsprechende Anwendung auf das Sicherungseigentum und die nicht genannten Fälle des § 811 Abs. 1 ZPO. Sie ist nur im Falle des einfachen Eigentumsvorbehalts anwendbar.220

218 Zur Zustellungsreform siehe Burkhard Heß: Neues deutsches und europäisches Zustellungsrecht, NJW

2002, 2417 – 2426. 219 Vgl. zu diesem Problemkreis Wolfgang Münzberg: Die Pfändung unter Eigentumsvorbehalt verkaufter

Sachen durch den Verkäufer nach § 811 Abs. 2 ZPO, DGVZ 1998, 81 – 86; AG Nürnberg JurBüro 1990, 550; vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 421 und 387.

220 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 811 Rdnr. 38 ff.; Lippross (Fußn. 135), Rdnr. 186; Kemper in: Saenger (Fußn. 139), § 811 Rdnr. 37 ff.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

Nach der vor dem 1. Januar 1999 geltenden Rechtslage konnte man gegen die Pfändung der eigenen Sache nur dann Bedenken haben, wenn eine Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung das Eigentum des Vollstreckungsschuldners voraussetzen würde. Dies war der Ansatz der längst überholten rein privat-rechtlichen Theorie. Seitdem jedoch der Hoheitsakt der Pfändung von den materiell-recht-lichen Voraussetzungen des Pfandrechts getrennt wurde, konnten sich gegen die Pfändung der eigenen Sache, also die Pfändung durch den Vollstreckungsgläubiger einer ihm gehörigen, beim Voll-streckungsschuldner befindlichen Sache, keine Bedenken ergeben. Ob bei der Pfändung der eigenen Sache ein Pfändungspfandrecht entstand oder nicht, hing nun wiederum von der jeweils angewendeten Pfän-dungspfandrechtstheorie ab. Wer in der Verstrickung automatisch das Entstehen des Pfändungspfandrechts erblickte (öffentlich-rechtliche Theorie), der musste konsequenterweise ein Pfändungspfandrecht des Vollstreckungsgläubigers an der ihm gehörenden Sache bejahen. Für die gemischte (privatrechtlich-öffentlichrechtliche) Theorie entstand aber auch hier kein Pfändungspfandrecht, weil es sich um eine schuld-nerfremde – nicht dem Vollstreckungsschuldner gehörende – Sache handelte.221

B. Unpfändbarkeit, § 811 Abs. 1 ZPO Wenn Gammler mit seinem zweiten Einwand ausführt, er benötige die Uhr für seine Lebensführung, so stellt er auf die Unpfändbarkeitsvorschriften des § 811 Abs. 1 ZPO, hier Nr. 1, ab. Bei dieser Frage sind ein genereller und ein spezieller Aspekt zu trennen.

1. Unabhängig vom Eigentum des Vollstreckungsschuldners Es stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob sich ein Vollstreckungsschuldner auch auf die Unpfändbarkeit einer Sache berufen darf, wenn sie ihm nicht gehört. Man könnte deshalb den Einwand des Gammler als von vornherein unbegründet ansehen, wenn sich der Vollstreckungsschuldner auf die Unpfändbarkeit der in § 811 Abs. 1 ZPO genannten Gegenstände nur berufen kann, wenn sie in seinem Eigentum stehen. Doch stellt § 811 Abs. 1 ZPO gerade nicht auf das Eigentum ab. Vielmehr kann sich jeder durch die Zwangsvollstreckung Beeinträchtigte auf die Unpfändbarkeitsvorschriften berufen, selbst wenn er nicht der Vollstreckungsschuldner ist.222 So könnten sich etwa die Kinder von Gammler mit der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO223 gegen die Pfändung der Kinderzimmereinrichtung wenden, obwohl sie nicht Vollstreckungs-schuldner sind und obwohl sie nicht Eigentümer der gepfändeten Kinderzimmereinrich-tung sind.224 Demgemäß kann sich auch der Vollstreckungsschuldner auf die Unpfändbarkeit berufen, selbst wenn er nicht Eigentümer ist. Der Einwand gilt demge-

221 Vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 417. 222 Münzberg in: Stein/Jonas (Fußn. 185), § 811 Rdnr. 13 f.; Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 811

Rdnr. 4. Vgl. auch Klaus Schreiber: Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Vollstreckungsschuldners, Jura 2011, 110 (111).

223 Vgl. Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 811 Rdnr. 43. 224 Kasim Özen und Georg Hein: Vollstreckungsverbote in der Zwangsvollstreckung, JuS 2011, 894

(894).

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

mäß ebenso gegenüber dem Eigentümer selbst, wenn er im Wege der Zwangsvollstre-ckung wegen einer Geldforderung in das „Vermögen“ des Vollstreckungsschuldners vollstreckt und hierbei Gegenstände beim Vollstreckungsschuldner pfändet, die nicht ihm, sondern dem Vollstreckungsgläubiger selbst gehören. Will der Vollstreckungsgläu-biger seine Eigentümerposition geltend machen, so muss er dies über die Heraus-gabevollstreckung (§ 883 ZPO) machen, er kann aber nicht im Wege der Geldvollstre-ckung vorgehen und sich hierbei dann auf seine ihm zustehende Eigentümerposition berufen.

Hier findet jedoch die bereits angesprochene Regelung des § 811 Abs. 2 ZPO Anwen-dung. Gammler beruft sich auf § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, auf den die Ausnahme des Abs. 2 Anwendung findet. Der Pfändungsschutz entfällt gegenüber dem Vorbehaltsver-käufer.

2. Tatsächliche Voraussetzungen der Unpfändbarkeit Eine Unpfändbarkeit225 gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO könnte man im Übrigen nur an-nehmen, wenn Gammler tatsächlich die Uhr für seine Lebensführung benötigt. Ange-sichts der heute billig zu erwerbenden oder in anderen Geräten angebrachten Uhren ist jedoch davon auszugehen, dass Gammler weitere Uhren in seiner Wohnung besitzt. Daher kann man nicht annehmen, er benötige ausgerechnet diese Uhr.

3. Austauschpfändung (§ 811 a ZPO) Im Übrigen ist zu beachten, dass es sich hier offensichtlich um einen Kunstgegenstand (Antiquität) handelt. Selbst wenn sich sonst nirgends in der Wohnung eine Uhr befände, käme eine Austauschpfändung gemäß § 811 a ZPO in Frage.

C. Rücktrittsfiktion bei Teilzahlungsgeschäften (§ 508 Abs. 2 Satz 5 BGB) Unter Umständen können tatsächlich die Verbraucherschutzvorschriften, wie Gammler meint, in einem Zwangsvollstreckungsfall eine Rolle spielen. Maßgeblich wäre etwa § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB. Doch setzt das Eingreifen dieser Vorschrift voraus, dass die gepfändete Sache versteigert wurde. Die bloße Pfändung einer Sache löst § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB nicht aus.226 Deshalb kann hier dahinstehen, ob überhaupt die Vorschriften über Teilzahlungsgeschäfte im vorliegenden Fall eingreifen.227

D. Zwischenergebnis Die Einwendungen des Gammler sind nicht begründet.

225 Zur Unpfändbarkeit: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 391 Beispiel 130 und Rdnr. 354 Beispiel 117; Ra-

phael Koch: „Der Gerichtsvollzieher ziert sich“, JA 2011, 749 (753); Lackmann (Fußn. 159), Rdnr. 130 ff.

226 Vgl. Nadine Rahak: Die Rücktrittsfiktion des § 508 II 5 BGB im Rahmen der Einzelzwangsvollstre-ckung, JA 2011, 101 (105).

227 Vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 418 ff.; Weidenkaff in: Palandt (Fußn. 47), § 508 Rdnr. 9.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

III. Ergebnis

Entgegen der Ansicht des Gammler ist die Pfändung nicht unwirksam.

Frage 2: Ist Wurm Eigentümer der Uhr geworden, wenn er wusste,

dass Zeiger und nicht Gammler deren Eigentümer war?

I. §§ 929, 185, 932, 935 BGB bei der Versteigerung

Wurm ist dann nicht Eigentümer geworden, wenn die Vorschriften des BGB eingreifen. Denn die Verfügung eines Nichteigentümers über das Eigentum ist schwebend un-wirksam (§ 185 BGB) und könnte nur durch guten Glauben des Wurm gemäß § 932 BGB geheilt werden (sofern nicht die Gegenausnahme des § 935 BGB eingreift). Wäre das Bürgerliche Gesetzbuch auf den Vorgang anwendbar, hätte Wurm nicht das Ei-gentum erworben.

II. Maßgebend ist § 817 ZPO

A. Eigentumserwerb kraft Hoheitsaktes Die Eigentumsübertragung im Wege der Zwangsversteigerung richtet sich aber nicht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Es handelt sich vielmehr um eine Übertragung kraft Hoheitsakt; die §§ 929 ff. BGB gelten nicht.228 § 817 Abs. 2 ZPO stellt vielmehr eine Eigentumszuweisung kraft Hoheitsaktes dar, und zwar durch die Ablieferung an den Meistbietenden. Wenn es sich um eine derartige Eigentumszuweisung handelt, kann es nicht auf die Gutgläubigkeit oder Bösgläubigkeit des Erwerbers ankommen.229

B. Voraussetzungen des § 817 ZPO Freilich erwirbt Wurm nur dann das Eigentum, wenn die folgenden, nach § 817 ZPO erforderlichen vier Voraussetzungen gegeben sind:

1. Ordnungsgemäße Ablieferung

2. Geleistete Barzahlung

3. Öffentliche Versteigerung

4. Verstrickung

228 Vgl. BGHZ 55, 20 (25); 100, 95 (98); 119, 75 (76); Hartmann in: Baum-

bach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fußn. 91), § 817 Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen; Stöber in: Zöl-ler (Fußn. 177), § 817 Rdnr. 8. Immer noch umstritten; anderer Ansicht ist z. B. Johannes Hager: Der Erwerb der schuldnerfremden Sache in der Zwangsversteigerung, in: Beiträge für Claus-Wilhelm Cana-ris zum 65. Geburtstag, München 2002, S. 1 ff.; vgl. auch Münzberg in: Stein/Jonas (Fußn. 185), § 817 Rdnr. 21, 24.

229 Ausführlich hierzu Münzberg in: Stein/Jonas (Fußn. 185), § 817 Rdnr. 21 ff.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

Nach herrschender Meinung230 muss ferner die Verstrickung als Grundlage der Zwangs-vollstreckung im Zeitpunkt der Ablieferung noch bestehen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Exkurs zu einem Zuschlag unter dem Mindestgebot (§ 817 a ZPO)

Zum Schutz des Vollstreckungsschuldners darf gemäß § 817 a Abs. 1 Satz 1 ZPO der Zuschlag nur auf ein Gebot erteilt werden, das min-destens die Hälfte des gewöhnlichen Verkaufswertes der Sache er-reicht (Mindestgebot). Verstöße berühren die Wirksamkeit von Zu-schlag und Ablieferung jedoch nicht.231 Sie begründen allenfalls einen Schadensersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners gegen den Staat wegen einer Amtspflichtverletzung (Art. 34 GG, § 839 BGB).232 Auch Bereicherungsansprüche gegen Ersteher oder Vollstreckungs-gläubiger scheiden aus.233

III. Ergebnis

Wurm ist somit Eigentümer der Uhr geworden, auch wenn er nicht gutgläubig war.

Frage 3: Ist Gammler aufgrund des am 27. Oktober geschlossenen

Kaufvertrages noch zur Zahlung dieses Restkaufpreises verpflichtet?

Gammler müsste den Restkaufpreis zahlen, wenn der Vertrag zwischen ihm und Zeiger noch bestehen würde. Denn von dem vereinbarten Kaufpreis von € 10.000,– sind ledig-lich (Anzahlung und Erlös) € 6.000,– gezahlt worden. Dann müsste Gammler tatsäch-lich einen Restkaufpreis von € 4.000,– bezahlen. Entscheidend ist hier jedoch die Ver-steigerung der Uhr.

I. Der maßgebende Vertragstyp

Um zu der richtigen Lösung zu kommen, muss man die Frage beantworten, um welchen Vertragstyp es sich hier handelt.

A. Kein Gelddarlehen Man könnte in der Vereinbarung der Ratenzahlungen eine Art Darlehensgewährung des Zeiger erblicken. Doch das Darlehen nach der Vorschrift des § 488 Abs. 1 Satz 1 BGB

230 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 412; Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 817 Rdnr. 9. 231 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 416; Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 817a Rdnr. 3; Walter

Möbius/Ludwig Kroiß: Zwangsvollstreckung, 6. Auflage, München 2011, Rdnr. 106. Anderer Ansicht bei Zuschlag unter bekanntgegebenem Mindestgebot ist Gruber (Fußn. 164), § 817a Rdnr. 3.

232 Einen Amtshaftungsanspruch auch des Vollstreckungsgläubigers bejaht OLG Düsseldorf MDR 1992, 1035 (1036).

233 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137) § 817a Rdnr. 3.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

ist nur das reine Gelddarlehen. Ein solches Darlehen haben Zeiger und Gammler nicht vereinbart (auch nicht in der Gestalt des Verbraucherdarlehens nach § 491 BGB).

B. Sonstige Finanzierungshilfe: Teilzahlungsgeschäft (§ 506 Abs. 3 BGB) Die Vereinbarung der Ratenzahlungen ist vielmehr als eine entgeltliche Finanzierungs-hilfe gemäß §§ 506 ff. BGB anzusehen. Da Zeiger und Gammler einen Vertrag ge-schlossen haben, der „die Lieferung einer bestimmten Sache gegen Teilzahlungen zum Gegenstand“ hat, liegt ein Teilzahlungsgeschäft im Sinn der Legaldefinition des § 506 Abs. 3 BGB vor234. Gammler, dem die Teilzahlung ausschließlich zu privaten Zwecken dient, fällt als natürliche Person unter den Verbraucherbegriff des § 13 BGB. Uhrma-cher Zeiger ist Unternehmer im Sinne von § 14 BGB, weil er die Teilzahlungen in Aus-übung seiner gewerblichen Tätigkeit einräumt. Nach § 506 Abs. 3 BGB gelten für Teil-zahlungsgeschäfte die besonderen Vorschriften der §§ 507 und 508 BGB. Aus dem Sachverhalt geht hervor, dass die zwischen Gammler und Zeiger abgeschlossene Ver-einbarung vom 27. Oktober „den gesetzlichen Vorschriften für Verträge dieser Art“ — hier also insbesondere dem § 507 Abs. 2 BGB — entspricht.

II. Die Rücktrittsfiktion des § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB

Jetzt stellt sich abermals die Frage, ob die Vorschrift des § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB ein-greift 235. Die Frage wäre zu bejahen, wenn Zeiger dem Gammler die Uhr weggenom-men hätte. Doch Zeiger selbst hat die Uhr nicht „wieder an sich genommen“. Nach ganz herrschender und unbestrittener Meinung gilt § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB auch dann, wenn der Eigentümer aufgrund eines Titels gegen den Vorbehaltskäufer in die eigene Sache vollstreckt und sie im Wege der Zwangsversteigerung versteigern lässt.236 Damit tritt die Rücktrittsfiktion dieser Vorschrift ein. Der Kaufvertrag zwischen Zeiger und Gammler bricht sozusagen zusammen; er verändert sich zu einem Rückgewährsverhält-nis (§§ 346 ff. BGB). Damit hat Zeiger keinen Anspruch mehr aus § 433 Abs. 2 BGB auf Zahlung.

III. Ergebnis

Die Antwort auf Frage 3 lautet demzufolge, dass Gammler den Betrag nicht zahlen muss.

234 Zum Teilzahlungsgeschäft Kohte in: Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann (Fußn. Fehler! Text-

marke nicht definiert.), § 499 Rdnr. 6. 235 Seit dem 11. Juni 2010 findet sich die Regelung über die Wiederansichnahme in § 508 Abs. 2 Satz 5

BGB (früher in § 503 Abs. 2 Satz 4 BGB). 236 Vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 420; Kohte in: Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann

(Fußn. Fehler! Textmarke nicht definiert.), § 503 Rdnr. 16.

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

Frage 4: Gibt es überhaupt einen solchen Rechtsbehelf und, wenn ja,

hat er Aussicht auf Erfolg?

I. Gibt es überhaupt einen solchen Rechtsbehelf?

Gammler möchte wissen, ob er „gegen das weitere Vorgehen des Zeiger“ einen Rechts-behelf hat.

A. Rechtsbehelfe gegen den Vollstreckungsbescheid? Gegen den Vollstreckungsbescheid, aus dem Zeiger gegen Gammler vollstreckt hat, steht dem Gammler kein Rechtsbehelf zur Verfügung. Den an sich statthaften Einspruch (§ 700 Abs. 3 ZPO) hat er nicht eingelegt. Damit ist der Vollstreckungsbescheid rechts-kräftig geworden; er steht einem Versäumnisurteil gleich, gegen das kein Einspruch erhoben wurde (vgl. § 700 Abs. 1 ZPO).

B. Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO

1. Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarkeit Mit dem Ergebnis, er habe keinen Rechtsbehelf gegen den Vollstreckungsbescheid, muss sich Gammler aber nicht abfinden. Schließlich ist der dem Zeiger im Vollstre-ckungsbescheid rechtskräftig zuerkannte Zahlungsanspruch über den Restkaufpreis durch die Versteigerung der Uhr erloschen (vgl. Ergebnis zu Frage 3). Der Vollstre-ckungsbescheid ist unrichtig geworden; denn nach seinem Erlass sind Umstände einge-treten, die den im Vollstreckungsbescheid zuerkannten Anspruch selbst betreffen. Da-mit zielt die Frage auf die Vollstreckungsabwehrklage237 des § 767 ZPO. Sie ermöglicht, gegen eine Gerichtsentscheidung klageweise vorzugehen, wenn Einwendungen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind (§ 767 Abs. 1 und 2 ZPO). Einer solchen Klage steht die materielle Rechtskraft nicht entgegen. Tatsächlich ergreift die materielle Rechtskraft238 nicht spätere Entwicklungen. Die Rechtskraft beschränkt sich auf den Zeitpunkt des Endes der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, so dass spätere Vorgänge vom Verurteilten geltend gemacht werden können239; der maßgebliche Rechtsbehelf ist die Vollstreckungsabwehrklage240.

237 Bisweilen noch als „Vollstreckungsgegenklage“ bezeichnet. 238 Materielle Rechtskraft des Urteils bedeutet die Maßgeblichkeit der gerichtlichen Entscheidung für die

vom Urteil betroffenen Parteien (§§ 322, 325 ZPO). Formelle Rechtskraft erlangt ein Urteil, sobald es nicht mehr angefochten werden kann Zu diesen Begriffen Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 350 – 353.

239 Mit Einwendungen, die auf Vorgängen nach der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung beruhen, ist der Vollstreckungsschuldner nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO).

240 BGHZ 83, 278 (280); 94, 29 (34); Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 441 sowie auch Rdnr. 418 ff.; Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 767 Rdnr. 1 f.; Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 1312 ff.; Lippross (Fußn. 135), Rdnr. 679 ff.; zum Verhältnis der Rechtsbehelfe aus § 767 ZPO und § 323 ZPO vgl. BGHZ 176, 35. Vgl. vertiefend zur Vollstreckungsabwehrklage: Benjamin E. Leyendecker: Grundfälle zur Vollstreckungsabwehrklage, JA 2010, 631 (631).

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Fall 8: Gammler zahlt nicht und die Uhr wird versteigert

2. Gammler ist mit den Einwendungen nicht präkludiert Ein Sonderproblem tritt hier allerdings auf, weil es sich nicht um ein Urteil handelt; von einem solchen spricht aber § 767 ZPO. Es liegt vielmehr ein Vollstreckungsbescheid vor, der, wie schon oben ausgeführt, gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO einem Endurteil gemäß § 704 ZPO gleichgestellt ist. Gemäß § 795 Satz 1 ZPO finden auf die Zwangs-vollstreckung aus Vollstreckungsbescheiden die Vorschriften der §§ 724 – 793 ZPO entsprechend Anwendung, also auch § 767 ZPO. Demgemäß gibt es auch gegen einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid die Vollstreckungsabwehrklage. Allerdings existiert hinsichtlich der Präklusionswirkung241 des § 767 Abs. 2 ZPO — beim Vollstre-ckungsbescheid gibt es keine mündliche Verhandlung — in Gestalt des § 796 Abs. 2 ZPO eine Sonderregelung. Nur solche Einwendungen können geltend gemacht werden, die nach Zustellung des Vollstreckungsbescheids und nach Ablauf der Einspruchsfrist (§§ 700, 339 Abs. 1 ZPO) entstanden sind. Da der Vollstreckungsbescheid bereits am 10. März (als die Uhr gepfändet wurde) rechtskräftig war, ergeben sich gegen eine Voll-streckungsabwehrklage aus § 796 Abs. 2 ZPO keine Bedenken.

C. Ergebnis Damit ist der erste Teil der Frage 4 dahingehend beantwortet, dass dem Gammler die Vollstreckungsabwehrklage für nach Zustellung des Vollstreckungsbecheids eingetrete-ne Umstände, hier die Versteigerung der Sache, zusteht.

II. Hat eine Vollstreckungsabwehrklage

Aussicht auf Erfolg?

Für die Beantwortung dieser Frage ist maßgeblich, dass der im Vollstreckungsbescheid titulierte Anspruch nach Zustellung des Vollstreckungsbescheids weggefallen ist. Durch die Versteigerung der Uhr ist § 508 Abs. 2 Satz 5 BGB erfüllt und damit die Rücktritts-fiktion eingetreten. In diesem Zeitpunkt ist der Anspruch aus dem Abzahlungskaufver-trag erloschen. Zeiger ist nicht mehr Inhaber des titulierten Anspruches. Gammler kann demgemäß mit Aussicht auf Erfolg Vollstreckungsabwehrklage erheben. Das Gericht wird die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid für unzulässig erklären (§ 775 Nr. 1ZPO)242.

241 Vgl. o. Fußn. 239. 242 Das auf Vollstreckungsabwehrklage ergehende Urteil tastet also die materielle Rechtskraft des Urteils

(hier: die Rechtskraft des Vollstreckungsbescheides) nicht an [die Entscheidung war ja auch richtig]. Lediglich die Vollstreckbarkeit des Titels wird beseitigt [weil er inzwischen unrichtig geworden ist].

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Fall 9: Gammler und der Versteigerungsüberschuss

FALL 9:

GAMMLER UND DER VERSTEIGERUNGSÜBERSCHUSS

Wie in den Fällen 7 und 8 kaufte Aloys Gammler bei Uhrmacher Zeiger eine Uhr unter Eigentumsvorbe-halt. Aus diesem Kaufvertrag schuldet der Gammler dem Zeiger € 8.000,–. Da Gammler trotz mehrfacher Aufforderungen den restlichen Kaufpreis nicht begleicht, lässt Zeiger in rechtmäßiger Weise durch den Gerichtsvollzieher bei Gammler die Uhr pfänden und versteigern.

Den Zuschlag erhält Herr Wurm. Die Versteigerung der Uhr erbringt — anders als in den Fällen 7 und 8 — einen Erlös von € 15.000,–. Gammler meint, dass Zeiger nur den Restkaufpreis in Höhe von € 8.000,– verlangen kann; der Rest des Erlöses in Höhe von € 7.000,– würde ihm (Gammler) gebühren. Zeiger hingegen beruft sich auf sein Eigen-tum und verlangt Zahlung der € 15.000,– an sich.

Frage: An wen muss Gerichtsvollzieher Streng den Erlös in Höhe von € 15.000,- her-ausgeben (Prozesskosten und Vollstreckungskosten bleiben unberücksichtigt)?

Bearbeitervermerk: Die Frage ist in einem Gutachten zu beantworten.

— 140 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 9: Gammler und der Versteigerungsüberschuss

Lösung

I. § 1247 Satz 1 BGB: Traditionsprinzip

Da § 804 Abs. 2 ZPO auf die Vorschriften des BGB über das Faustpfandrecht (§§ 1204 ff. BGB) verweist, ist für die Verteilung des Erlöses die Vorschrift des § 1247 BGB maßgeblich. Deren erster Satz führt im Vollzug des Traditionsprinzips aus, dass mit dem Erlös die Forderung als berichtigt gilt. Dies ist hier der Betrag von € 8.000,–, den Zeiger als der, die Pfändung und die Versteigerung betreibender, Vollstreckungs-gläubiger (nicht aber als Eigentümer) erhält.

II. § 1247 Satz 2 BGB: Surrogationsprinzip

Ist der Erlös höher als die Forderung des Vollstreckungsgläubigers, greift § 1247 Satz 2 BGB ein. Der Erlös tritt an die Stelle des Pfandes (Surrogationsprinzip). Eigentümer des überschießenden Betrags (€ 7.000,-) wird daher der Eigentümer des versteigerten Pfan-des. Da dem Zeiger die Uhr gehört, steht der Erlös in dessen Eigentum.

III. Ergebnis

Zeiger erhält € 8.000,– als Vollstreckungsgläubiger und € 7.000,– als Eigentümer der Uhr (des Pfandes).243 Demnach stehen dem Zeiger die gesamten € 15.000,– zu.

IV. § 812 Abs. 1 BGB, wenn Gammler den Übererlös erhielt

Fraglich bleibt, wie Zeiger seine Rechte durchsetzen kann, wenn der Gerichtsvollzieher den Übererlös von € 7.000,– an den Gammler abführt. Da die Zwangsvollstreckung schon beendet ist, kommen nur materiell-rechtliche Ansprüche in Betracht, die gegebe-nenfalls in einem weiteren Erkenntnisverfahren durchgesetzt werden müssen. Hier steht dem Zeiger ein Anspruch aus Eingriffskondiktion zu (§ 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. BGB). Die Abführung des Übererlöses durch den Gerichtsvollzieher an Gammler ist

243 Üblicherweise sind jedoch Vollstreckungsgläubiger und Eigentümer der gepfändeten Sache verschie-

dene Personen. Dann werden sie zunächst Miteigentümer am Gesamterlös (Bassenge in: Palandt [Fußn. 155], § 1247 Rdnr. 2; Baur/Stürner [Fußn. 161], § 55 Rdnr. 29). Sodann erhält der Vollstreckungsgläu-biger den ihm zustehenden Betrag. Den Rest des Versteigerungserlöses bekommt der Eigentümer der Sache, meist also der Vollstreckungsschuldner. Wenn jedoch — wie im vorliegenden Fall — der Voll-streckungsschuldner nicht der Eigentümer der gepfändeten Sache ist (es wurde also eine schuldnerfrem-de Sache gepfändet), gebührt der überschießende Erlös dem Eigentümer und natürlich nicht dem Voll-streckungsschuldner.

— 141 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 9: Gammler und der Versteigerungsüberschuss

nämlich keine Leistung.244 Gammler hat das Geld also nicht durch Leistung und ohne rechtlichen Grund erlangt. Zeiger hat daher einen Anspruch auf Herausgabe des Gelds.

Exkurs zur Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen und materielle Ausgleichsansprüche

Nach herrschender Meinung245 bewirkt die Zwangsvollstreckung kei-ne endgültige Wertzuweisung. Zwar wird eine Sache, die einem Drit-ten gehört, diesem durch die Zwangsvollstreckung (Versteigerung) rechtswirksam entzogen. Diese Entziehung ist jedoch grundsätzlich kondizierbar.

Ein Bereicherungsanspruch gegen den Ersteher wird wegen der rechtsbeständigen Güterverschiebung hingegen abgelehnt.246

244 BGHZ 100, 95 (99 f.). 245 Vgl. Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 452 f., 470. 246 Anderer Ansicht ist Harald Böhm: Ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung und materiell-rechtliche

Ausgleichsansprüche, Bielefeld 1971: Er meint, im Hinblick auf die der Rechtskraft entsprechende „Vollstreckungskraft” und in Übereinstimmung mit der öffentlichrechtlichen Betrachtungsweise der Vollstreckung, durch die ein gerichtlicher Leistungsbefehl durchgesetzt werde, gebe es keine materiellrechtlichen Ausgleichsansprüche. Diese Theorie ist verfehlt, da die Vollstreckung — wie ein-gangs ausgeführt — eine endgültige Verteilung nicht bewirken will und ein staatlicher Hoheitswille in-soweit nicht betätigt werden soll.

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— 143 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 10: Aloys Gammler und sein gepfändetes Girokonto

FALL 10:

GAMMLER UND SEIN GEPFÄNDETES GIROKONTO

Gammler erhält regelmäßig zum Monatsersten von seinem Arbeitgeber, der Insolventia AG, Gehaltszahlungen in Höhe von netto € 1.500,–. Dieses Arbeitseinkommen über-weist die Insolventia AG auf das bei der PARK-BANK-AG geführte Girokonto des Gammler. Am 3. November erwirkt die Allerlei GmbH beim zuständigen Vollstre-ckungsgericht aufgrund ihres rechtskräftigen Urteils einen Pfändungs- und Überwei-sungsbeschluss bezüglich des Guthabens auf diesem Konto. Der Pfändungs- und Über-weisungsbeschluss wird der Insolventia AG am 10. November zugestellt.

Frage 1: Muss die PARK-BANK-AG das Guthaben des Gammler in Höhe des rechtskräf-tigen Urteils am 11. November überweisen, wenn die Allerlei GmbH dies verlangt?

Frage 2: Was kann Gammler gegen die Pfändung des Kontos unternehmen?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 145 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 10: Aloys Gammler und sein gepfändetes Girokonto

Lösung

Frage 1: Muss die PARK -BANK -AG das Guthaben des Gammler in

Höhe des rechtskräftigen Urteils am 11. November überweisen, wenn

die Allerlei GmbH dies verlangt?

I. Pfändung des Guthabens auf dem Girokonto

Die Allerlei GmbH kann von der PARK-BANK-AG die sofortige Zahlung verlangen, wenn erstens der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wirksam ist, wenn zweitens die von ihm ergriffene Forderung des Gammler gegen die Insolventia AG besteht sowie wenn und soweit drittens die (sonstigen) Vorschriften der ZPO Zahlung gestatten.

A. Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 3. November

Gegen die Wirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 3. Novem-ber ergeben sich keinerlei Bedenken (§§ 828, 829, 835 ZPO); insbesondere wurde er der Drittschuldnerin (Insolventia AG) ordnungsgemäß am 10. November zugestellt (§ 829 Abs. 3 ZPO).

B. Bestehen der gepfändeten und überwiesenen Forderung

Bevor das Bestehen der gepfändeten und überwiesenen Forderung untersucht wird, muss geprüft werden, welche Forderung den Gegenstand der Pfändung bildet.

1. Vergütung aus dem Arbeitsvertrag (§ 611 Abs. 1 BGB)? Die Allerlei GmbH will sichtlich auf denjenigen Vermögenswert zugreifen, den Gamm-ler aufgrund seiner Tätigkeit bei der Insolventia AG erhält. Gammler hat einen An-spruch auf Vergütung aus dem Arbeitsvertrag gegen die Insolventia AG (§ 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag)247. Fraglich ist jedoch, ob dieser Anspruch noch besteht, soweit die Insolventia AG die Arbeitsvergütung auf das Girokonto des Gammler bei der PARK-BANK-AG überwiesen hat. Die Banküberweisung (§ 675f, § 675c Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 lit. b des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes248)249 ist nämlich Erfüllung im Sinne des § 362 BGB.250 Deshalb ist die Forderung Gammlers gegen die Insolventia AG mit Überwei-sung erloschen und kann nicht Gegenstand der Pfändung sein.

247 Vgl. Weidenkaff in: Palandt (Fußn. 47), § 611 Rdnr. 50. 248 Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz – ZAG) vom

25. Juni 2009, BGBl. I, S. 1506 ff. 249 Vgl. zum (neuen) Recht des Zahlungsverkehrs Stefan Grundmann, WM 2009, S. 1109 – 1117 sowie

S. 1157 – 1164. 250 Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 362 Rdnr. 9.

— 146 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 10: Aloys Gammler und sein gepfändetes Girokonto

2. Forderung aus dem Girovertrag (§ 675f BGB) Den Gegenstand des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses könnte vielmehr der Anspruch bilden, den Gammler aufgrund des Zahlungsdiensterahmenvertrags (§ 675f Abs. 2 BGB) mit der PARK-BANK-AG besitzt. Durch Ausführung der Überweisung ist die Zahlung der Arbeitsvergütung dem Guthaben des Gammler gutgeschrieben worden. Das Guthaben des Gammler auf dem Girokonto stellt eine Forderung gegen die Bank dar. Nach altem Recht war die Forderung eine solche aus unregelmäßiger Verwahrung (§ 700 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit §§ 488 ff. BGB)251, weshalb Gammler Inhaber einer Forderung auf Auszahlung des Saldos bei Rechnungsabschluss war.252 Die seit dem 31. Oktober 2009 gültigen neuen Fassungen der §§ 675f ff. BGB regeln aber nunmehr auch die Kontoführung. Daher spricht vieles für ein einheitliches Vertragsver-hältnis.253 Aufgrund des Zahlungsdiensterahmenvertrages hat Gammler somit einen An-spruch gegenüber der PARK-BANK-AG auf Auszahlung seines Guthabens. Dieser An-spruch auf Auszahlung des Guthabens, genauer des Saldos, auf dem Girokonto ist pfändbar.254

Als Zwischenergebnis zeigt sich: Der vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss er-griffene Anspruch ist die Forderung des Gammler gegen die PARK-BANK-AG aus dem Zahlungsdiensterahmenvertrag. Die Allerlei GmbH ist Vollstreckungsgläubigerin, der Gammler ist Vollstreckungsschuldner und die PARK-BANK-AG ist Drittschuldnerin.

Aufgrund der Überweisung (§ 835 ZPO) hat die Allerlei GmbH die Einziehungsbefug-nis für die Forderung des Gammler aus dem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag er-worben.255 Sie kann im eigenen Namen256 den Anspruch des Gammler gegen die PARK-BANK-AG auf sofortige Auszahlung des Guthabens geltend machen, sofern nicht sons-tige Vorschriften der ZPO entgegenstehen.

C. Leistungssperre (§ 835 Abs. 3 Satz 2 ZPO) Im vorliegenden Fall greift die Leistungssperre des § 835 Abs. 3 Satz 2 ZPO ein. Nach dieser Vorschrift darf der Drittschuldner erst vier Wochen nach Zustellung des Über-weisungsbeschlusses (hier: Zustellung am 10. November) leisten, wenn ein bei einem Geldinstitut gepfändetes Guthaben eines Vollstreckungsschuldners, der eine natürliche

251 BGHZ 131, 60 (63 f.). — Die Ansprüche aus dem Girovertrag und die Ansprüche aus dem Verwah-

rungsvertrag waren strikt auseinander zu halten, vgl. Herbert Schimansky in: Herbert Schimans-ky/Hermann-Josef Bunte/Hans-Jürgen Lwowski: Bankrechts-Handbuch, Band I, 4. Auflage, München 2011, § 47 Rdnr. 1.

252 Jörg Fritzsche: Die Pfändbarkeit offener Kreditlinien, DStR 2002, 265 (265). Ausführlich zur Pfän-dung von Ansprüchen aus dem Girovertrag und zu den Einzelproblemen (z. B. Pfändung des Tagessal-dos, zukünftiger Guthabensalden oder eines Anspruchs auf Gutschrift) Jörg Fritzsche a. a. O.; Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 527 ff.; Jauernig/Berger (Fußn. 159), § 19 IV Rdnr. 6, S. 68; Georg Bitter in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fußn. 251), § 33 Rdnr. 40 ff.

253 BGH NJW 2013, 3163; Sprau in: Palandt (Fußn. 10), § 675f Rdnr. 27. 254 Sprau in: Palandt (Fußn. 10), § 675f Rdnr. 27 mit weiteren Nachweisen sowie zur alten Rechtslage:

Fritzsche (Fußn. 252). a. a. O. 255 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 836 Rdnr. 3. 256 Brox/Walker (Fußn. 144), Rdnr. 639.

— 147 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 10: Aloys Gammler und sein gepfändetes Girokonto

Person ist, dem Vollstreckungsgläubiger überwiesen wird. Die zwingende gesetzliche Frist wird gemäß § 222 ZPO berechnet257 und ist am 11. November offenkundig noch nicht verstrichen. Daher darf die PARK-BANK-AG am 11. November keine Auszahlung vornehmen.

II. Ergebnis

Die Allerlei GmbH kann aufgrund wirksamer Pfändung und Überweisung von der PARK-BANK-AG die Auszahlung des Guthabens des Gammler verlangen. Jedoch muss der Pfändungsfreibetrag gemäß § 850 Abs. 1, § 850k Abs. 1 in Verbindung mit § 850c Abs. 1 Satz 1, § 850c Abs. 2a ZPO bei der Auszahlung berücksichtigt werden. Dement-sprechend darf das Kontoguthaben aus Arbeitseinkommen in Höhe von € 1.028,89 mo-natlich (vgl. § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO, SCHÖNFELDER: § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO Amt-liche Anmerkung in Fußn. 1) von der Pfändung nicht erfasst werden. Einer Leistung am 11. November steht die Leistungssperre des § 835 Abs. 3 Satz 2 ZPO entgegen. Erst am 9. Dezember darf die Auszahlung erfolgen.

Frage 2: Was kann Gammler

gegen die Pfändung des Kontos unternehmen?

I. Folgen der Pfändung des Girokontos

Als Folge der wirksamen Pfändung des Girokontos kann Gammler unter den Vorausset-zungen des § 850k Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 850c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2a ZPO nur noch über ein monatliches Guthaben von € 1.045,04 verfügen, wenn er sein Girokonto rechtzeitig in ein Pfändungsschutzkonto ändert (§ 850k Abs. 1 Satz 4, Abs. 7 ZPO). Wird dieser pfändungsfreie Betrag in einem Monat nicht ausgeschöpft, wird er auf den folgenden Monat übertragen, § 850k Abs. 1 Satz 3 ZPO. Durch diese Regelung soll das Existenzminimum des Vollstreckungsschuldners (Gammler) gesichert werden. Somit kann Gammler weiterhin von dem Konto aus vor allem Geschäfte des täglichen Lebens (Miete, Strom, Telefon, Versicherungen, Zahlungsraten usw.) erledigen.

II. Vollstreckungsschutz durch das Pfändungsschutzkonto (P-Konto)

nach § 850k ZPO (Rechtslage seit 1. Juli 2010)

Für Gammler besteht die Möglichkeit, Vollstreckungsschutz über ein Pfändungsschutz-konto zu erreichen.258 Für die Umwandlung in ein Pfändungsschutzkonto stehen dem

257 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 835 Rdnr. 10. 258 Das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes (7. Juli 2009 (BGBl I, S. 1707 ff.) hat zum 1. Juli

2010 die Rechtslage geändert. Wichtig ist vor allem die Einführung eines Pfändungsschutzkontos („P-Konto“). Das Erfordernis der Antragstellung beim Vollstreckungsgericht zur Erlangung des Pfändungs-schutzes ist somit entfallen; ebenso kommt es nicht mehr auf die Art der Einkünfte an. Somit können auch Selbständige diesen Schutz erhalten. Der automatische Pfändungsschutz ist nur für ein Girokonto des Vollstreckungsschuldners gewährt. Einführend: Martin Ahrens: Das neue Pfändungsschutzkonto,

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— 148 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 10: Aloys Gammler und sein gepfändetes Girokonto

Gammler verschiedene Wege zur Verfügung. Gemäß § 850k Abs. 1 Satz 4 ZPO kann Gammler binnen vier Wochen nach Zustellung des Überweisungsbeschlusses erreichen, dass sein Girokonto bei der Park-Bank-AG in ein Pfändungsschutzkonto umgewandelt wird.259 Nach § 850k Abs. 7 ZPO kann Gammler aber auch vor einer Pfändung die Umwandlung seines Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto von seiner Bank verlan-gen; wurde das Guthaben des Girokontos bereits gepfändet, so kann Gammler die Füh-rung als Pfändungsschutzkonto zum Beginn des vierten auf seine Erklärung folgenden Geschäftstages verlangen, § 850k Abs. 7 Satz 3 ZPO. Der Pfändungsschutz aus § 850c Abs. 1 Satz 1, § 850c Abs. 2a ZPO in Verbindung mit der Pfändungsfreigrenzen-Bekanntmachung vom 26. März 2013260 von derzeit monatlich € 1.045,04 tritt dann nach Pfändung und Überweisung des Kontoguthabens durch die Allerlei GmbH auto-matisch ein (§ 833a ZPO). Im Gegensatz zu § 850l ZPO a. F. ist der Schutz des Sockel-betrags bis zur Höhe der Pfändungsfreigrenze gemäß § 850c Abs. 1 Satz 1, § 850c Abs. 2a ZPO durch § 850k ZPO unabhängig von der Art der Einkünfte.261 Verbraucht Gamm-ler den Sockelbetrag in einem Monat nicht vollständig, wird der Überschussbetrag je-weils in den folgenden Monat übertragen, § 850k Abs. 1 Satz 3 ZPO (bis zu einem ma-ximalen Sockelbetrag von € 2.057,78)262.

III. Ergebnis Gammlers Arbeitseinkommen ist bis € 1.045,04 monatlich unpfändbar, soweit er sein Girokonto in ein Pfändungsschutzkonto umgewandelt hat, § 850k ZPO; dieser Pfän-dungsschutz tritt automatisch in dieser Höhe ein, § 833a ZPO.

NJW 2010, 2011 ff.; Wolfhard Kothe, Fortschritte und Umwege auf dem Weg zum effektiven Konto-pfändungsschutz, VuR 2011, 81 f. — Der frühere § 850k ZPO wurde (in angepasster Fassung) zu § 850l ZPO und gilt für Konten, die nicht als Pfändungsschutzkonten geführt werden. Nach § 835 Abs. 3 Satz 2 n. F. ZPO darf die Bank erst vier Wochen nach Zustellung des Überweisungsbeschlusses an den Vollstreckungsgläubiger leisten. — Zum 1. Januar 2012 hat der Pfändungsschutz eine erneute Änderung erfahren. Der Schutz der Freibeträge ist dann ausschließlich durch P-Konten nach § 850k ZPO möglich.

259 Vgl. auch BGH NJW 2013, 995 ff.; BGH NJW 2013, 3163 (3166): Die Bank darf keine zusätzlichen Gebühren für ein P-Konto verlangen. Dies gilt sowohl für die Umwandlung eines bereits bestehenden Kontos als auch für Kontoführungsgebühren bei einer Neueröffnung. Die Gebühren dürfen den Stan-dard nicht übersteigen. Ebenso sind von einem Standardkonto abweichende Bestimmungen (z. B. Nichtausgabe einer Bank- oder Kreditkarte) unzulässig.

260 BGBl. I, S. 710 ff. Hierzu SCHÖNFELDER § 850c ZPO Fußn. 13 und Anlage zu § 850c ZPO (nach § 1109 ZPO).

261 Vgl. Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 137), § 850k Rdnr. 10; Oliver Mörsdorf: Anm. zu BGH, Urt. v. 13.11.2011, JZ 2013, 196, 202.

262 Seiler in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 850k Rdnr. 12.

— 149 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann

Universität Regensburg Repetitorium zum Zivilprozessrecht Wintersemester 2013/2014

Klausurfragen beim Zwangsvollstreckungsfall

Klausurfragen beim Zwangsvollstreckungsfall

Die erste Frage: Liegen die Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung vor?

Die zweite Frage: Weswegen wird vollstreckt?

Die dritte Frage: In welches Recht des Vollstreckungsschuldners soll durch welche Vollstreckungs-

maßnahmen eingegriffen werden, und welches Vollstreckungsorgan ist für sie zuständig?

Die vierte Frage: Welche Rechtsbehelfe gegen welche Maßnahmen können

von welcher Person erhoben werden?

Wichtige Rechtsbehelfe des Zwangsvollstreckungsrechts

– Drittwiderspruchsklage § 771 ZPO

– Klage auf vorzugsweise Befriedigung § 805 ZPO

– Vollstreckungsabwehrklage § 767 ZPO

– Erinnerung § 766 ZPO

— 150 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Das System der Zwangsvollstreckung

DAS SYSTEM DER ZWANGSVOLLSTRECKUNG

GELDFORDERUNGSVOLLSTRECKUNG in folgende VERMÖGENSGE GENSTÄNDE

In das bewegliche Vermögen

§§ 803 – 863 ZPO

In das unbewegliche Vermögen263

§§ 864 – 871 ZPO Körperliche

Sachen Anwartschaften Forderungen und

andereVermögensrechte Zwangshypothek Zwangsversteigerung Zwangsverwaltung

Zweck: Befriedigung aus dem Erlös Zweck: Sicherung

Zweck: Befriedigung aus dem Grundstück

Zweck: Befriedigung aus den Nutzungen

INDIVIDUALVOLLSTRECKUNG WEGEN ANSPRÜCHEN auf Herausgabe einer be-

stimmten Sache §§ 883 – 886 ZPO

auf Abgabe einer Willens-erklärung

§§ 894, 895 ZPO Mit Rechtskraft des Urteils gilt die Erklärung als abgegeben,

§ 894 ZPO

auf Tun, Unterlassen oder Dulden §§ 887 – 893 ZPO

Gerichtsvollzieher (§§ 883 I, 885 I ZPO)

Der Gerichtsvollzieher wird vom Vollstreckungsgläubiger beauf-tragt.

� Vollstreckungsorgan �

Prozessgericht, 1. Instanz

263 Spielt im ersten Examen kaum eine Rolle.

— 151 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Das System der Zwangsvollstreckung

Bei Herausgabe einer bewegli-chen Sache: Wegnahme und

Übergabe (§ 883 I ZPO). Bei Nichtvorfinden: Eidesstattli-che Versicherung (§ 883 II ZPO).

Bei Herausgabe einer unbewegli-chen Sache: Entsetzung des Voll-

streckungsschuldners, Einwei-sung des Vollstreckungsgläubi-

gers (§ 885 I ZPO).

� Verfahren �

Unterlassung und Duldung

A

Vertretbare Handlung

B

Unvertretbare Handlung

C

A: Bei Zuwiderhandlung Ordnungsgeld und Ordnungshaft (§ 890 I ZPO). Dies muss angedroht sein (§ 890 II ZPO).

B: Nach Ermächtigung durch das Gericht kann der Vollstreckungsgläubiger die Hand-lung selbst vornehmen (§ 887 ZPO). Ohne mündliche Verhandlung, aber nur nach Anhörung des Vollstreckungsschuld-ners möglich (§ 891 ZPO).

C: Durchsetzung mit Zwangsgeld oder Zwangshaft (§ 888 ZPO). Nach Anhörung des Vollstreckungsschuld-ners (§ 891 ZPO).

— 152 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Tabelle zum Zwangsvollstreckungsrecht

TABELLE ZUM ZWANGSVOLLSTRECKUNGSRECHT

Die folgende Seite enthält eine Übersichtstabelle zum Zwangsvollstreckungsrecht.

Zur Wiederholung beim Blick auf die folgende Übersichtstabelle:

Die zweite Frage: Weswegen wird vollstreckt?

Die dritte Frage: In welches Recht des Vollstreckungsschuldners soll durch welche Voll-

streckungsmaßnahmen eingegriffen werden? Und welches Vollstreckungsorgan ist für sie zuständig?

— 153 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Tabelle zum Zwangsvollstreckungsrecht

— 154 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Tabelle zum Zwangsvollstreckungsrecht

Professor Dr. Ekkehard Schumann

Regensburg

REPETITORIUM ZIVILPROZESSRECHT

WS 2013/2014

FRAU SCHÖN UND IHRE PROBLEME

MIT DEM FALSUS PROCURATOR

FÄLLE 11 – 14

— 157 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

FALL 11:

FRAU SCHÖNS AMNESIE

In einer Zeitungsanzeige des Uhrmachers Zeiger entdeckt Frau Schön das Angebot ei-nes Weckers, den sie ihrer Tochter zum Geburtstag schenken möchte. Herrn Frosch bittet sie, ihr den Wecker mitzubringen. Aufgrund der großen Nachfrage ist der Wecker ausverkauft. Da Zeiger eine weitere Lieferung desselben Modells in einigen Tagen er-wartet, bestellt Frosch ein Exemplar.

Am folgenden Tag hat Frau Schön einen Verkehrsunfall; sie erleidet u. a. eine Gehirner-schütterung. An die Ereignisse der letzten Tage kann sie sich seither nicht mehr erin-nern, auch nicht an den Auftrag zum Kauf der Uhr. Als Frosch sie anruft und ihr sagt, die Uhr sei bei Zeiger eingetroffen und sie solle sie abholen, antwortet sie ihm, dies käme überhaupt nicht in Frage: Was solle sie mit einem Wecker?

Zeiger wohnt in Nürnberg, Schön in Regensburg, Frosch in München. Alle Orte haben Amts- und Landgerichte. Nach erfolglosen Mahnbriefen erhebt Uhrmacher Zeiger Kla-ge gegen Frosch auf Zahlung zum Amtsgericht München. Im frühen ersten Termin be-tont Frosch, er habe Zeiger sofort geschrieben, als Frau Schön die Annahme abgelehnt habe. In dem Brief habe er deutlich genug die Anfechtung des Kaufvertrages erklärt. Er gebe zu, Zeiger seinerzeit nicht gesagt zu haben, im Auftrag von Frau Schön zu han-deln. Dieser Irrtum sei von ihm unverzüglich angefochten worden. Zeiger bestätigt den umgehenden Eingang des Anfechtungsbriefes, bleibt aber dabei, dass Frosch verurteilt werden soll.

Frage 1: Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Frage 2: Wird das Gericht anders entscheiden, wenn Herr Frosch den Wecker aus-drücklich im Namen von Frau Schön bestellt hatte und Frau Schön im frühen ersten Termin als Zeugin vernommen wird und erklärt, dass sie sich nicht erinnern könne, Herrn Frosch diesen Auftrag erteilt zu haben?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 158 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

FALL 11: FRAU SCHÖNS AMNESIE 157

Frage 1 159

I. Zulässigkeit 159

A. Sachliche Zuständigkeit 159

B. Örtliche Zuständigkeit 159

1. Ausschließliche Zuständigkeiten 159

2. Allgemeiner Gerichtsstand 159

3. Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes 159

b) Anwendbar auch auf den Anspruch gegen den falsus procurator? 159 c) Erfüllungsort 160

C. Zwischenergebnis 160

II. Begründetheit 160

A. Anspruch auf Zahlung entstanden? 160

1. Zwei korrespondierende Willenserklärungen 160

2. Kaufvertrag zwischen wem? 160

a) Vertretung durch Frosch 161 (1) Offenheitsgrundsatz, Offenkundigkeitsprinzip 161

(a) Ausdrückliche Erklärung 161 (b) Konkludente Erklärung 161 (c) Geschäft für den, den es angeht 161

(2) Vollmacht ist irrelevant 162 b) Eigengeschäft des Frosch 162

3. Zwischenergebnis 162

B. Der Anspruch könnte durch Anfechtung erloschen sein 162 1. Anfechtungserklärung 162

2. Gegenüber dem anderen Vertragsteil 162

3. Unverzüglich 162

4. Anfechtungsgrund 163

5. Ausschluss des Anfechtungsrechts 163

6. Ergebnis 163

C. Ergebnis 163

III. Ergebnis 163

Frage 2 164

I. Gesetzlicher Zahlungsanspruch des Zeiger gegen Frosch 164 A. Fremdgeschäft 164

B. Fehlen der Vertretungsmacht 164

C. Keine Genehmigung durch Frau Schön 165

II. Haftung nur auf das negative Interesse? 165

III. Ergebnis 166

— 159 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

Lösung

Frage 1: Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

A. Sachliche Zuständigkeit Gemäß § 1 ZPO, § 23 Abs. 1 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG ist das Amtsgericht sachlich zu-ständig, da davon ausgegangen werden kann, dass der Kaufpreis des Weckers, der hier den Streitwert bildet, nicht über € 5.000,– liegt.

B. Örtliche Zuständigkeit

1. Ausschließliche Zuständigkeiten Ausschließliche Zuständigkeiten sind nicht ersichtlich, ebenso wenig liegt eine zulässige Prorogation264 vor.

2. Allgemeiner Gerichtsstand Frosch wohnt in München. Dort ist für ihn der allgemeine Gerichtsstand gemäß §§ 12, 13 ZPO, § 7 BGB gegeben.

3. Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes In Betracht kommt ferner der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes, § 29 ZPO.

a) Anwendbar auch auf den Anspruch gegen den falsus procurator?

Fraglich ist, ob § 29 ZPO auch dann zur Anwendung gelangen kann, wenn es nicht um eine Streitigkeit aus einem Vertragsverhältnis geht, sondern der Kläger den gesetzlichen Anspruch gegen einen vollmachtlosen Vertreter geltend macht. Jedoch werden be-stimmte vertragsähnliche gesetzliche Sonderbeziehungen den Verträgen gleichgestellt, insbesondere auch das Rechtsverhältnis zwischen Vertragspartei und dem in Anspruch genommenen Vertreter ohne Vertretungsmacht265. § 29 ZPO ist somit anwendbar.

264 Zur klausurmäßigen Prüfung der Prorogation: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 213 ff. 265 Ausführlich zum (besonderen) Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO): Schumann (Fußn. 1),

Rdnr. 196 – 203; Hüßtege in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 29 Rdnr. 3 ff. § 29 ZPO erfasst auch die Haf-tung aus culpa in contrahendo, vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 197. Wichtig ist im Arbeitsrecht: § 48 Abs. 1 a ArbGG [SCHÖNFELDER Nr. 83] enthält den (besonderen) Gerichtsstand des Arbeitsortes, vgl.

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— 160 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

b) Erfüllungsort

Damit fragt sich, wo der Erfüllungsort liegt. Dessen Bestimmung richtet sich nach dem materiellen Recht. Soweit keine besondere gesetzliche Bestimmung eingreift und auch keine Parteivereinbarung vorliegt, gelangt § 269 BGB zur Anwendung: Erfüllungsort ist derjenige Ort, an dem der Schuldner der Leistung zur Zeit der Entstehung des Schuld-verhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Beim gegenseitigen Vertrag ist der Erfüllungsort für die beiden Verbindlichkeiten jeweils selbständig zu bestimmen.266 Da hier das Ver-hältnis zwischen Zeiger und Frosch einem Vertragsverhältnis gleichsteht, ist Erfül-lungsort für die Kaufpreiszahlung der Wohnsitz des Schuldners Frosch, hier also Mün-chen. § 270 BGB ist hinsichtlich des Erfüllungsortes irrelevant; er regelt nur die Ver-lustgefahr267.

C. Zwischenergebnis Die Klage zum Amtsgericht München ist zulässig.

II. Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn Zeiger einen Zahlungsanspruch hat; sie ist unbegründet, falls kein Anspruch gegen Frosch besteht.

A. Anspruch auf Zahlung entstanden? Anspruchsgrundlage könnte § 433 Abs. 2 BGB bilden. Dazu müsste zwischen Zeiger und Frosch ein Kaufvertrag nach § 433 BGB zustande gekommen sein.

1. Zwei korrespondierende Willenserklärungen Durch die „Bestellung“ des Frosch bei Zeiger liegen zwei korrespondierende Willenser-klärungen vor.

2. Kaufvertrag 268 zwischen wem? Problematisch ist, ob der Kaufvertrag zwischen Zeiger und Frosch oder zwischen Zeiger und Frau Schön, vertreten durch Frosch, zustande gekommen ist.

Barbara Reinhard/Stephan Böggemann: Gesetz zur Änderung des SGG und des ArbGG – Änderungen des ArbGG, NJW 2008, 1263 (1264 ff.).

266 Wolfgang Krüger in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, München 2007, § 269 Rdnr. 10; Hüßtege in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 29 Rdnr. 5; Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 269 Rdnr. 7.

267 Vgl. Krüger in: MünchKomm BGB (Fußn. 266), § 270 Rdnr. 1; Grüneberg in: Palandt (Fußn. 41), § 270 Rdnr. 1; Brigitta Jud in: Hanns Prütting/Gerhard Wegen/Gerd Weinreich: BGB, 8. Auflage, Köln 2013, § 270 Rdnr. 8.

268 Am 13. Juni 2014 tritt das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung in Kraft. Es ändert grundlegend die Informations-pflichten des Unternehmers bei Verbraucherverträgen und die Widerrufsrechte des Verbrauchers.

— 161 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

a) Vertretung durch Frosch

Zwischen Zeiger und Frau Schön ist ein Vertrag dann geschlossen, wenn eine wirksame Vertretung der Frau Schön durch den Frosch vorliegt; §§ 164 ff. BGB. Voraussetzungen einer wirksamen Vertretung sind die Abgabe einer eigenen Willenserklärung des Ver-treters, Offenkundigkeit und Vertretungsmacht.

(1) Offenheitsgrundsatz, Offenkundigkeitsprinzip

Die Willenserklärung des Frosch zum Abschluss des Vertrages müsste erkennbar im Namen der Vertretenen abgegeben worden sein, so genannter Offenheitsgrundsatz (Offenkundigkeitsprinzip269); arg. § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB.

(a) Ausdrückliche Erklärung

Eine ausdrückliche Erklärung im Namen von Frau Schön liegt nicht vor.

(b) Konkludente Erklärung

Es genügt jedoch auch, dass der Wille, in fremdem Namen zu handeln, in anderer Weise (konkludent) erkennbar nach Außen dringt. Entscheidend ist, wie die Gegenpartei das Verhalten des Handelnden verstehen durfte.270 Hierfür gelten die allgemeinen Ausle-gungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB. Im vorliegenden Fall sind jedoch keine Hinwei-se darauf ersichtlich, dass der Zeiger das Verhalten des Frosch als Vertretung für die Frau Schön werten musste.

(c) Geschäft für den, den es angeht

Eventuell greift jedoch eine Ausnahme vom Offenheitsgrundsatz ein. Bei Bargeschäften des täglichen Lebens gilt, dass es dem Verkäufer in der Regel nicht auf die Person des Vertragspartners ankommt.271 Wer aus dem Geschäft letztendlich berechtigt oder ver-pflichtet wird, kann dem Verkäufer einerlei sein, da das Geschäft ja sofort abgewickelt wird und auch die Bezahlung der Ware sogleich erfolgt. Man nennt diese Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip „Geschäft für den, den es angeht“, wobei derjenige be-rechtigt und verpflichtet wird, der das Geschäft veranlasst hat, also derjenige, „den es angeht“. Wenn dieser Grundsatz zur Anwendung gelangt, so ist trotz mangelnder Er-kennbarkeit für den Vertragspartner wirksame Vertretung gegeben. Der hier zu ent-scheidende Fall kann aber nicht auf diesem Weg gelöst werden, da in der „Bestellung“ des Weckers kein Bargeschäft des täglichen Lebens liegt; eine sofortige Abwicklung des Vertrages fehlt.

Somit ist die Willenserklärung zum Abschluss des Kaufvertrages nicht erkennbar im Namen von Frau Schön abgegeben worden. Da auch kein Bargeschäft des täglichen Le-bens vorliegt, ist ein wirksames Vertreterhandeln des Frosch für die Frau Schön nicht

269 Schramm in: MünchKomm BGB (Fußn. 166), § 164 Rdnr. 14 f.; Ellenberger in: Palandt (Fußn. 179),

Einführung vor § 164 Rdnr. 2; Brigitte Frensch in: Hanns Prütting/Gerhard Wegen/Gerd Weinreich: BGB, 8. Auflage, Köln 2013, § 164 Rdnr. 30.

270 Vgl. Eberhard Schilken in: Julius von Staudinger: BGB, Neubearbeitung Berlin 2009, § 164 Rdnr. 1. 271 Schramm in: MünchKomm BGB (Fußn. 166), § 164 Rdnr. 42; Ellenberger in: Palandt (Fußn. 179),

§ 164 Rdnr. 8.

— 162 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

gegeben. Frosch hat vielmehr ein Eigengeschäft vorgenommen.272 Ein Vertrag zwischen Zeiger und Frau Schön ist nicht geschlossen worden.

(2) Vollmacht ist irrelevant

Nach dem soeben Festgestellten kommt es hier nicht auf das Bestehen einer Vertre-tungsmacht an. Selbst wenn Frosch Vollmacht besaß, wurde nicht Frau Schön verpflich-tet. Es fehlte an dem erkennbaren Fremdgeschäft des Frosch.

b) Eigengeschäft des Frosch

Da Frosch ein Eigengeschäft vornahm, ist er Vertragspartei geworden. Dies ergibt sich aus der zentralen Vorschrift des § 164 Abs. 2 BGB: Wer nicht ausdrücklich oder konk-ludent erkennen lässt, dass er für einen anderen handelt, wird selbst Vertragspartei. So-mit ist der Kaufvertrag unmittelbar zwischen Zeiger und Frosch zustande gekommen.

3. Zwischenergebnis Ein Anspruch des Zeiger gegen Frosch aus § 433 Abs. 2 BGB ist daher entstanden.

B. Der Anspruch könnte durch Anfechtung erloschen sein

1. Anfechtungserklärung Frosch erklärte durch sein Schreiben an Zeiger unstreitig (vgl. § 288 Abs. 1, § 138 Abs. 3 ZPO) die Anfechtung (§ 143 Abs. 1 BGB).

2. Gegenüber dem anderen Vertragsteil Frosch sprach sie gegenüber dem anderen Vertragsteil aus (§ 143 Abs. 2 BGB).

3. Unverzüglich Unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 2 BGB muss angefochten werden. Wann Frosch angefochten hat, ist aus der Angabe nicht ersichtlich. Zeiger bestritt allerdings den rechtzeitigen Zugang des Briefes nicht. Unmittelbar ist dadurch die Unverzüglichkeit aber nicht bewiesen. Die Begriffe „unverzüglich“ und „ohne schuld-haftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) sind Rechtsbegriffe, keine Tatsachen. Zuge-stehen und nicht bestreiten (§ 288 und § 138 Abs. 3 ZPO) kann man jedoch nur Tatsa-chen.273 Das Verhalten des Zeiger ist allerdings als Nichtbestreiten der den genannten Rechtsbegriffen zugrunde liegenden Tatsachen anzusehen.

272 Dazu Ellenberger in: Palandt (Fußn. 179), § 164 Rdnr. 12. 273 Vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 290; Dieter Leipold in: Friedrich Stein/Martin Jonas: ZPO, 22. Auf-

lage, Tübingen 2008, § 284 Rdnr. 9; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), Vorbemerkung vor § 284 Rdnr. 13.

— 163 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

4. Anfechtungsgrund Von den möglichen Anfechtungsgründen (§ 119 und § 123 BGB) kommt eine An-fechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 [1. Alternative] BGB in Betracht. An-fechtungsgrund könnte sein, dass Frosch nicht für sich, sondern für Frau Schön den Vertrag schließen wollte. Es liegt daher ein Irrtum über den Inhalt einer Willenser-klärung vor. Ein solcher Inhaltsirrtum stellt einen Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 1 BGB dar.

5. Ausschluss des Anfechtungsrechts Jedoch ist dieses Anfechtungsrecht ausgeschlossen, wenn ein Vertreter seinen Vertre-tungswillen nicht nach außen erkennbar macht (§ 164 Abs. 2 BGB)274. Da Frosch seinen Willen, als Vertreter für Frau Schön zu handeln, nicht mitgeteilt hat, scheidet eine An-fechtung aus.

6. Ergebnis Somit ist der Anspruch des Zeiger gegen Frosch auf Zahlung nicht erloschen.

C. Ergebnis Die Klage ist begründet.

III. Ergebnis

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg; das Gericht wird Frosch antragsgemäß zur Zahlung verurteilen.

274 BGH NJW-RR 1992, 1011; Dieter Medicus/Jens Petersen: Bürgerliches Recht, 24. Auflage, München

2013, Rdnr. 87; Hans-Joachim Musielak/Wolfgang Hau: Grundkurs BGB, 13. Auflage, München 2013, Rdnr. 1256 f.; Ellenberger in: Palandt (Fußn. 179), § 164 Rdnr. 16.

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Fall 11: Frau Schöns Amnesie

Frage 2: Wird das Gericht anders entscheiden, wenn Herr Frosch den

Wecker ausdrücklich im Namen von Frau Schön bestellt hatte und

Frau Schön im frühen ersten Termin als Zeugin vernommen wird und

erklärt, dass sie sich nicht erinnern könne, Herrn Frosch diesen

Auftrag erteilt zu haben?

Frosch hat das Handeln in fremdem Namen erkennen lassen. Anders als bei Frage 1 liegt also kein Eigengeschäft des Frosch vor. Aus einem zwischen den Prozessparteien von vornherein abgeschlossenen Kaufvertrag kann Zeiger nicht vorgehen.

I. Gesetzlicher Zahlungsanspruch des Zeiger gegen Frosch

Wer als Vertreter auftritt, kann der gesetzlichen Garantiehaftung nach § 179 BGB aus-gesetzt sein. Die Voraussetzungen einer solchen (schuldunabhängigen) Haftung275 sind gegeben:

A. Fremdgeschäft Vertragsschluss als Vertreter liegt vor, da der Frosch ausdrücklich im Namen der Frau Schön den Wecker bestellt hat.

B. Fehlen der Vertretungsmacht Problematisch ist das Fehlen der Vertretungsmacht, auf das die Garantiehaftung ab-stellt. Dabei muss auf die Situation im Prozess abgestellt werden. Der Bearbeiter darf sich deshalb nicht auf den Standpunkt eines „allwissenden“ Betrachters stellen (Sach-verhaltsproblematik).

Die Vertretungsmacht könnte sich aus einer dem Frosch von Frau Schön erteilten Voll-macht (§ 167 BGB) ergeben. Die Erteilung ist aber umstritten: Frosch behauptet sie, Zeiger leugnet sie offensichtlich (denn sonst hätte er nicht den Frosch verklagt). Die Beweisaufnahme führt zu keiner Klärung der offenen Frage. Dadurch entsteht ein „non liquet“; der Sachverhalt ist nicht aufklärbar. Fraglich ist, wer im Prozess das Risiko die-ser Unaufklärbarkeit zu tragen hat:

Muss Zeiger dieses Risiko auf sich nehmen, ist die Klage abzuweisen, weil er nicht nachweisen konnte, dass die Vollmacht nicht bestand.

275 Schramm in: MünchKomm BGB (Fußn. 166), § 179 Rdnr. 1; Ellenberger in: Palandt (Fußn. 179),

§ 179 Rdnr. 1.

— 165 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

Hat Frosch dieses Risiko, wird er verurteilt, da es ihm nicht gelang, das Bestehen der Vollmacht zu beweisen.

Wer in solchen Situationen das Risiko der Unaufklärbarkeit zu tragen hat, regeln die Sätze über die (objektive) Beweislast. Derjenigen Partei, die sich auf eine für sie günsti-ge Norm beruft, ist regelmäßig die Beweislast aufgebürdet276. Danach müsste Zeiger das Risiko tragen, weil er sich auf eine ihm dienliche Norm beruft, wenn er beantragt, den Frosch zur Zahlung — also zur Erfüllung gemäß § 179 Abs. 1 BGB — zu verurteilen. Diese Vorschrift enthält jedoch eine Beweislastumkehr: Sie verlangt, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht nachweisen muss277. Die Beweislast für das Vorliegen der Ver-tretungsmacht liegt somit beim Vertreter, hier also bei Frosch.

Zwar wurde der Beweis durch die Vernehmung der Zeugin Frau Schön angetreten. Das Vorliegen der Vertretungsmacht konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Durch die unklare Zeugenaussage der Frau Schön liegt ein Fall der Unaufklärbarkeit vor. In die-sem Fall regelt die Beweislastvorschrift des § 179 Abs. 1 BGB, wer die Folgen der Un-aufklärbarkeit des Sachverhalts trägt, nämlich der Vertreter. Das Risiko der Unnach-weisbarkeit der Vollmacht liegt deshalb bei Frosch. Weil er das „non liquet“ nicht aus-räumen konnte, greift zu seinen Ungunsten die Haftungsregelung des § 179 Abs. 1 BGB ein: Frosch schuldet dem Zeiger Erfüllung oder Schadensersatz.

C. Keine Genehmigung durch Frau Schön Die Haftung des Frosch entfiele, falls Frau Schön das Handeln des Frosch genehmigte (§ 179 Abs. 1 a. E. BGB). Der Prozess zeigt, dass Frau Schön nicht daran denkt, die Genehmigung auszusprechen.

II. Haftung nur auf das negative Interesse?

Zugunsten des Frosch könnte § 179 Abs. 2 BGB eingreifen. Nach dieser Vorschrift be-schränkt sich die Haftung des Vertreters auf den Vertrauensschaden, wenn der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hat. Würde § 179 Abs. 2 BGB anzu-wenden sein, müsste die Klage dann abgewiesen werden, wenn sie auf Erfüllung geht. Wie bei Frage 1, begehrt Zeiger auch hier Erfüllung. Das Gericht darf deshalb dem Klageantrag auf Erfüllung nur stattgeben, falls § 179 Abs. 2 BGB nicht eingreift.

Aus der Angabe ist nicht ersichtlich, ob Frosch im frühen ersten Termin auf § 179 Abs. 2 BGB eingegangen ist. Zwei Möglichkeiten bestehen hier:

276 Reinhard Greger in: Richard Zöller: ZPO, 30. Auflage, Köln 2014, Vorbemerkungen zu § 284

Rdnr. 18; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), Vorbemerkung vor § 284 Rdnr. 23; Ingo Saenger in: Ingo Saenger: ZPO, 5. Auflage, Baden-Baden 2013, § 286 Rdnr. 53, 58.

277 BGHZ 195, 174 (189); BGH NJW 2013, 464 (468); Hans Willi Laumen in: Gottfried Baumgärtel/Hans Willi Laumen/Hanns Prütting: Handbuch der Beweislast, 3. Auflage, Köln-Berlin-Bonn-München 2007, § 179 BGB Rdnr. 2; Leipold in: Stein/Jonas (Fußn. 273), § 284 Rdnr. 44; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), Vorbemerkung vor § 284 Rdnr. 22; Saenger in: Saenger (Fußn. 276), § 286 Rdnr. 60; vgl. Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 31 und 295.

— 166 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 11: Frau Schöns Amnesie

1. Die Prozessparteien haben über diese Frage verhandelt und es konnte nicht geklärt werden, ob Frosch den Mangel der Vertretungsmacht gekannt hat. In diesem Fall liegt eine Beweislastsituation vor: Frosch muss die Tatbestandsmerkmale der ihm günstigen Norm des § 179 Abs. 2 BGB beweisen. Da ihm dies nicht gelang, kann § 179 Abs. 2 BGB hier nicht zu seinen Gunsten angewendet werden.

2. Die Frage wurde im Prozess nicht behandelt. Von Amts wegen musste das Gericht wegen des Verhandlungsgrundsatzes278 nicht auf § 179 Abs. 2 BGB eingehen. Dies ist Sache derjenigen Partei, die aus der Norm einen Vorteil ziehen will. Wenn Frosch die ihm auferlegte subjektive Beweislast (Behauptungslast, Beweisführungslast) nicht auf sich nimmt, bleibt dieser Tatsachenkomplex vom Gericht unberücksichtigt. Freilich ist davon auszugehen279, dass das Gericht kraft seiner Pflicht zur Sachaufklärung (§ 139 Abs. 1 ZPO280) den Frosch darauf hinwies, dass es für ihn günstig wäre, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hätte. Auch nach dieser Möglichkeit wird die Norm des § 179 Abs. 2 BGB hier also nicht angewendet.

Frosch ist daher gemäß § 179 Abs. 1, 1. Alternative BGB verpflichtet, den Vertrag zu erfüllen, also die Zahlung zu leisten.

III. Ergebnis

Wie in Frage 1 wird das Gericht den Frosch antragsgemäß zur Zahlung verurteilen.

278 Vgl. oben Fußn. 8. 279 Zur Vermutung prozessordnungsgemäßen Verhaltens: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 38. 280 Vgl. Ekkehard Schumann: Die absolute Pflicht zum richterlichen Hinweis, in: Festschrift für Dieter

Leipold, Tübingen 2009, S. 175 ff.

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Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

FALL 12:

FRAU SCHÖN UND DAS FEHLENDE EIGENTUM DES ZEIGER

Frau Schön bittet wie in Fall 11 Herrn Frosch, ihr bei Uhrmacher Zeiger einen Wecker zu kaufen. Auf-grund der großen Nachfrage ist der Wecker ausverkauft. Da Zeiger eine weitere Lieferung desselben Modells in einigen Tagen erwartet, bestellt Frosch im Namen von Frau Schön ein Exemplar. Zeiger ruft Frau Schön wegen der Bezahlung an, die sich aufgrund einer Gehirnerschütterung nicht an den Auftrag zum Kauf des Weckers erinnern kann und deshalb die Bezahlung verweigert. Uhrmacher Zeiger klagt gegen Frosch auf Zahlung. Im frühen ersten Termin wird Frau Schön als Zeugin vernommen und erklärt, dass sie sich nicht erinnern könne, Herrn Frosch diesen Auftrag erteilt zu haben.

Über die Zeugenaussage der Frau Schön ist Frosch so erbost, dass er zum Gegenangriff gegen Uhrmacher Zeiger übergeht. Er habe soeben gehört, so führt er in einem der spä-teren Termine aus, dass Zeiger hoch verschuldet sei. Alle Uhren, die er verkaufe, gehör-ten gar nicht ihm, sondern seien unter Eigentumsvorbehalt von dem Herstellerwerk, der Glocken AG, geliefert. Bei dem Wecker sei dies genauso. Im Übrigen habe Zeiger alle seine Forderungen aus Verkäufen über die Uhren schon an den Hersteller abgetreten. Zeiger sei also nicht Inhaber der Forderung und die Klage auch deshalb unbegründet. Zeiger bestreitet diese Ausführungen mit Nichtwissen.

Frage 1: Wie wird das Gericht entscheiden?

Anstatt mit Nichtwissen zu bestreiten, entgegnet Zeiger, er sei Eigentümer der Uhr ge-worden; mit der Glocken AG sei kein Eigentumsvorbehalt vereinbart worden. Frosch geht darauf nicht weiter ein.

Frage 2: Wie ist die Prozesslage?

Einen Monat später findet der Haupttermin statt; es ergibt sich Folgendes: Frosch lebt in Gütergemeinschaft; seine Frau und er verwalten das Gesamtgut gemeinschaftlich. Als dies das Gericht erfährt, hält es die Klage für unzulässig.

Frage 3: Ist das richtig, und – wenn ja – was ist dem Uhrmacher Zeiger anzuraten?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 168 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

FALL 12: FRAU SCHÖN UND DAS FEHLENDE EIGENTUM DES ZEIGER 167

Frage 1 169

I. Zeiger muss prozessführungsbefugt sein (Zulässigkeitsvoraussetzung) 169

II. Zeiger muss aktivlegitimiert sein (Begründetheitsvoraussetzung) 170 A. Erklärung mit Nichtwissen 170

B. Unzulässigkeit der Erklärung 170

C. Weder substantiiertes Bestreiten noch Behauptung der Einziehungsermächtigung 171

III. Ergebnis 171

Frage 2 171

Frage 3 172

I. Verbot der Einzelklage 172

II. Passivprozess 172

A. Gesamthandsklage 172

B. Gesamtschuldklage 173

C. Welche Klageart? 173

1. Gesamthandsklage 173

2. Gesamtschuldklage 173

3. Unzulässigkeit der Einzelklage 173

III. Parteiänderung in der Form des Parteibeitritts 173

IV. Ergebnis 174

— 169 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

Lösung

Frage 1: Wie wird das Gericht entscheiden?

Das Gericht wird die Klage abweisen, wenn Zeiger nicht die Befugnis hat, die Forde-rung im eigenen Namen geltend zu machen. Sofern Zeiger Inhaber der Forderung ist, besteht für ihn kein Hindernis, sie vor Gericht einzuklagen; der Inhaber darf sein Recht grundsätzlich im eigenen Namen geltend machen. Anders könnte die Prozesslage hin-gegen sein, wenn Zeiger — wie von Frosch behauptet — nicht (mehr) Forderungsinha-ber ist, gleichwohl aber im eigenen Namen einen Prozess führt. Um eine fremde Forde-rung im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, müssen zwei Erfordernisse ein-gehalten sein, und zwar die Prozessführungsbefugnis als eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage und die Aktivlegitimation als eine Voraussetzung für die Be-gründetheit der Klage:

I. Zeiger muss prozessführungsbefugt sein

(Zulässigkeitsvoraussetzung)

Als Prozessführungsbefugnis wird das Recht bezeichnet, einen Prozess als richtige Par-tei im eigenen Namen zu führen.281 Sie steht grundsätzlich demjenigen zu, der aus dem Rechtsverhältnis unmittelbar berechtigt und verpflichtet ist. Die Prozessführungsbefug-nis kann sich jedoch auch daraus ergeben, dass der Rechtsinhaber einem Dritten im Wege der Ermächtigung die Befugnis erteilt, das fremde Recht im eigenen Namen gel-tend zu machen, so genannte „gewillkürte Prozessstandschaft“ 282 oder — moderner und sprachlich besser — Prozessermächtigung. Sie liegt dann vor, wenn der Rechtsinhaber die Prozessführungsbefugnis auf die Partei des Rechtsstreits übertragen hat und er — sowie der Kläger — ein rechtliches Interesse an der Geltendmachung des fremden Rechts im eigenen Namen haben.283 Gegen das Vorliegen der Prozessführungsbefugnis ergeben sich trotz der Einwände des Frosch keine Bedenken. Indem Zeiger eine eigene Forderung geltend macht, besitzt er die Prozessführungsbefugnis. Anders wäre es nur, wenn er selbst vorgetragen hätte, nicht mehr Inhaber der Forderung zu sein, ohne den Klageantrag zu ändern.

281 Im Einzelnen dazu Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 162. Vgl. auch Bork in: Stein/Jonas (Fußn. 27), § 51

Rdnr. 49 ff.; Hüßtege in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 51 Rdnr. 20 ff.; Klaus Schreiber: Die Prozessfüh-rungsbefugnis im Zivilprozess, JURA 2010, 750 (750).

282 Vgl. Leo Rosenberg/Karl Heinz Schwab/Peter Gottwald: Zivilprozessrecht, 17. Auflage, München 2010, § 46 Rdnr. 33 ff.; vgl. auch Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 165; Klaus Schreiber: Die Prozessfüh-rungsbefugnis im Zivilprozess, JURA 2010, 750 (752).

283 Näher Ekkehard Schumann: Die Prozessermächtigung (die gewillkürte Prozessstandschaft) und der Rechtsschutz des Beklagten in: Festschrift für Hans-Joachim Musielak, München 2004, S. 457 ff.

— 170 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

II. Zeiger muss aktivlegitimiert sein (Begründetheitsvoraussetzung)

Außerdem muss Zeiger (materiellrechtlich) befugt sein, die fremde Forderung im ei-genen Namen einzuziehen, da er nicht auf Zahlung an den Hersteller klagt, sondern auf Leistung an sich selbst. Es stellt sich also die Frage nach der Aktivlegitimation284 des Zeiger. Sie könnte sich aus einer auf § 185 BGB (in Verbindung mit § 362 Abs. 2 BGB) beruhenden Einziehungsermächtigung ergeben, wenn er tatsächlich nicht (mehr) Inha-ber der Forderung ist. Hierunter versteht man die materiellrechtliche Ermächtigung zur Einziehung einer Forderung in der Weise, dass der Inhaber der Ermächtigung berechtigt ist, die ihm an sich nicht zustehende Forderung im eigenen Namen geltend zu machen, also Leistung an sich selbst zu verlangen.

Angesichts des Ablaufs im Termin stellte sich die Frage, wie die Tatsachensituation zu beurteilen ist: Frosch hat die Aktivlegitimation des Zeiger substantiiert bestritten. Zeiger ist — das Vorbringen des Frosch als richtig unterstellt — bei Abschluss des Vertrages jedenfalls für eine juristische Sekunde Inhaber der Forderung geworden. Bestreitet Frosch die Forderungsinhaberschaft und damit die Aktivlegitimation des Zeiger, so macht er einen rechtsvernichtenden Einwand geltend, nämlich dass der Anspruch des Zeiger durch die Vorausabtretung untergegangen sei. Für das Vorliegen dieser Tatsache ist Frosch beweispflichtig, da derjenige, der einen Einwand erhebt, hierfür die Be-weislast trägt285.

Diese Frage nach der Beweislast stellt sich aber erst dann, wenn die andere Partei, hier also der Zeiger, das Vorbringen wirksam bestritten hat. Ist das nicht der Fall, so sind die behaupteten Tatsachen als zugestanden anzusehen, § 138 Abs. 3, § 288 Abs. 1 ZPO286. Fraglich ist daher, ob Zeiger durch seine Erklärung mit Nichtwissen die Behauptung des Frosch gemäß § 138 Abs. 3 und Abs. 4 ZPO wirksam bestritten hat.

A. Erklärung mit Nichtwissen Die Erklärung mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist nur über Tatsachen zuläs-sig, die weder eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrneh-mung gewesen sind.

B. Unzulässigkeit der Erklärung Zeiger hat jedoch Tatsachen bestritten, die Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung sind, da sie sich aus der Geschäftsbeziehung des Zeiger mit seinem Lieferanten ergeben. Das Bestreiten mit Nichtwissen ist somit unzulässig und steht dem Nichtbestreiten nach

284 Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 88 und 162 ff.; dazu Peter Gottwald in: Leo Rosenberg/Karl Heinz

Schwab/Peter Gottwald: Zivilprozessrecht, 17. Auflage, München 2010, § 46 Rdnr. 3 f.; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), Vorbemerkung vor § 253 Rdnr. 39.

285 Leipold in: Stein/Jonas (Fußn. 273), § 286 Rdnr. 62; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), Vorbe-merkung § 284 Rdnr. 23.

286 Verhandlungsgrundsatz, s. o. Text bei Fußn. 8.

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Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

§ 138 Abs. 3 ZPO gleich287. Demgemäß hat Zeiger nicht bestritten, nicht mehr Inhaber der eingeklagten Forderung zu sein. Aus diesem Grunde steht fest, dass ihm die Aktiv-legitimation fehlt.

C. Weder substantiiertes Bestreiten noch Behauptung der Einziehungsermächtigung

Dieses Ergebnis hätte Zeiger umgehen können, indem er seine Aktivlegitimation auf eine Einziehungsermächtigung gegründet oder das Vorbringen des Frosch substantiiert bestritten hätte288. Liegt nämlich eine Einziehungsermächtigung vor, ist die betreffende Person aktivlegitimiert, eine fremde Forderung im eigenen Namen einzuziehen.289 Doch eine solche Behauptung hat Zeiger nicht aufgestellt. Neben dem Vorliegen einer Einzie-hungsermächtigung hätte Zeiger im Prozess ferner behaupten müssen, auch die Pro-zessführungsbefugnis zu besitzen. Denn als Partei darf er nur dann im eigenen Namen eine fremde Forderung prozessual geltend machen, wenn ihm die Prozessführungsbe-fugnis zusteht.290 Ohne eine Prozessführungsbefugnis läuft die materiellrechtliche Ein-ziehungsermächtigung also leer.

III. Ergebnis

Die Prozesslage stellt sich folgendermaßen dar: Wegen der fehlenden Aktivlegitimation muss die Klage als unbegründet abgewiesen werden.

Frage 2: Wie ist die Prozesslage?

Indem Frosch behauptet, Zeiger sei nicht Inhaber der Forderung, macht er eine ihm gün-stige anspruchsvernichtende Einwendung geltend, für die er die Beweislast trägt.291 Be-reits nach bloßem Bestreiten dieser Behauptung durch Zeiger (§ 138 Abs. 3 ZPO) muss Frosch sie beweisen. Der Beweis wird dem Frosch kaum gelingen, weil er keinerlei Einblick in die Geschäfte des Zeiger hat und etwaige als Zeugen benannte Angestellte

287 Greger in: Zöller (Fußn. 276), § 138 Rdnr. 13; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), § 138

Rdnr. 19 ff. 288 Da Frosch seine Behauptungen über die Verschuldung des Zeiger erst in einem späteren Termin auf-

stellt, könnte man an eine Präklusionsrüge (§§ 282, 296 ZPO) des Zeiger als einer weiteren Verteidi-gungsmöglichkeit denken. Dann wäre der Frosch mit diesen Behauptungen präkludiert, weil er sie nicht rechtzeitig vorgetragen hat. Doch der Sachverhalt gibt an, Frosch habe „soeben“ vor dem Termin diese Tatsachen erfahren. Mit solchen „neuen“ Tatsachen ist er nicht präkludiert, so dass Zeiger auch keine Präklusionsrüge erhoben hat. Zur Präklusion: Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 145 sowie BGH NJW 2012, 3787 f. mit instruktiver Anm. von Jan Kaiser, a. a. O., S. 3788 f.

289 Max Vollkommer in: Richard Zöller: ZPO, 20. Auflage, Köln 2014, Vorbemerkung vor § 50 Rdnr. 51; Hüßtege in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 51 Rdnr. 39.

290 Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 164; vgl. Gottwald in: Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fußn. 284), § 46 Rdnr. 2 ff., 45; Hüßtege in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 51 Rdnr. 33.

291 Leipold in: Stein/Jonas (Fußn. 273 ), § 286 Rdnr. 62; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), Vorbe-merkung § 284 Rdnr. 23.

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Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

des Zeiger wohl das Zeugnis verweigern werden (§ 138 Abs. 3 ZPO, § 384 Nr. 3 ZPO: „Gewerbegeheimnis“)292.

Ergebnis: Der Klage des Zeiger wird stattgegeben.

Frage 3: Ist das richtig, und – wenn ja – was ist dem Uhrmacher

Zeiger anzuraten?

Die Klage ist dann unzulässig, wenn die beiden Ehegatten nur gemeinsam prozessfüh-rungsbefugt sind.

I. Verbot der Einzelklage

Nach § 1450 Abs. 1 BGB sind bei der gemeinschaftlich verwalteten Gütergemeinschaft die Ehegatten nur gemeinschaftlich berechtigt, Rechtsstreitigkeiten zu führen, die sich auf das Gesamtgut beziehen (notwendige Streitgenossenschaft, vgl. § 62 ZPO). Die Klage eines einzelnen Ehegatten wäre wegen fehlender Prozessführungsbefugnis unzu-lässig (Verbot der Einzelklage).293 Für den Aktivprozess ist dies unbestritten.

Hinweis: Die Gütergemeinschaft ist in der Form der Errungen-schaftsgemeinschaft in Europa der häufigste gesetzliche Güterstand und wird wahrscheinlich einer der europäischen Güterstände werden.294

II. Passivprozess

Fraglich ist die Rechtslage beim Passivprozess. Hierbei ist zu unterscheiden, ob eine Gesamthandsklage oder eine Gesamtschuldklage vorliegt.295

A. Gesamthandsklage Bei der Gesamthandsklage ist die Rechtslage umstritten. Teilweise wird in der Literatur die Ansicht vertreten, die Gesamthandsklage gegen nur einen Ehegatten sei unzulässig. Nach anderer Ansicht kann die Klage auch gegen einen Ehegatten allein erhoben wer-den, wenn der andere Ehegatte bereit ist, an der Leistung, zu der verurteilt werden soll,

292 Die fehlende Offenlegung der Sicherungsabtretung stellt keinen Verstoß gegen die prozessuale Wahr-

heitspflicht dar. Vielmehr ist der Zedent einer so genannten stillen Zession berechtigt, Leistung an sich selbst zu verlangen, BGH NJW 1978, 698 (699); 1999, 2110 (2111); Vollkommer in: Zöller (Fußn. 289), Vorbemerkung vor § 50 Rdnr. 52.

293 BGH NJW 1984, 2210; 1985, 385. 294 Dieter Henrich: Zur Zukunft des Güterrechts in Europa, FamRZ 2002, 1521 (1524); Rudolph Schrö-

der/Ludwig Bergschneider: Familienvermögensrecht, 2. Auflage, Bielefeld 2007, Rdnr. 4.563. 295 Im Einzelnen Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 95; näher auch Karl Heinz Schwab in: Festschrift für Fried-

rich Lent zum 75. Geburtstag, München 1956, S. 285 ff.; Klaus Tiedtke: Gesamthand- und Gesamt-schuldklage im Güterstand der Gütergemeinschaft, FamRZ 1975, 538 ff.

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Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

mitzuwirken. Im Falle der Gesamthandsklage sind die Ehegatten notwendige Streitge-nossen gemäß § 62 ZPO.296

B. Gesamtschuldklage Bei gemeinschaftlicher Verwaltung des Gesamtguts haften neben dem Gesamtgut, § 1460 BGB, die Ehegatten auch persönlich als Gesamtschuldner, § 1459 Abs. 2 Satz 1 BGB. Daher besteht auch die Möglichkeit einer Gesamtschuldklage, wobei die Ehegat-ten in diesem Fall keine notwendigen Streitgenossen nach § 62 ZPO sind, da unter-schiedliche Entscheidungen ergehen können. Im Falle der Gesamtschuldklage ist es daher zulässig, dass die Ehegatten einzeln verklagt werden.297

C. Welche Klageart? Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall eine Gesamthandsklage oder eine Gesamtschuld-klage vorliegt.

1. Gesamthandsklage Eine Gesamthandsklage liegt vor, wenn auf Leistung aus dem Gesamtgut geklagt wird oder die Leistung nur von den Ehegatten gemeinsam aus dem Gesamtgut erbracht wer-den kann.

2. Gesamtschuldklage Eine Gesamtschuldklage ist hingegen dann gegeben, wenn der Kläger nicht Leistung aus dem Gesamtgut fordert, sondern vom jeweiligen Ehegatten persönlich.

3. Unzulässigkeit der Einzelklage Hier hat Zeiger Klage nur gegen Frosch persönlich erhoben. Die Leistung, also die Be-zahlung des Kaufpreises, zu dem verurteilt werden soll, kann jedoch bei gemeinschaft-licher Verwaltung nur von den Ehegatten gemeinsam aus dem Gesamtgut erbracht wer-den. Da nicht ersichtlich ist, dass die Ehefrau des Frosch dazu bereit ist, an der Leistung aus dem Gesamtgut mitzuwirken, ist nach beiden unter oben 1. geschilderten Ansichten die Klage nur gegen den Frosch allein unzulässig.

III. Parteiänderung in der Form des Parteibeitritts

Weil sich die Klage nach zutreffender Ansicht des Gerichts als unzulässig erweist, ist dem Zeiger zu raten, im Wege der Parteiänderung Klage auch gegen die Ehefrau des

296 Vgl. Gottwald in: Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fußn. 284), § 49 Rdnr. 23 ff. 297 Gerd Brudermüller in: Otto Palandt: BGB, 73. Auflage, München 2014, § 1459 Rdnr. 3; Hüßtege in:

Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 62 Rdnr. 15.

— 174 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 12: Frau Schön und das fehlende Eigentum des Zeiger

Frosch zu erheben (Parteiänderung in der Form der Parteierweiterung [hier: Beklagtenbeitritt])298. Diese bilden dann eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO. Auch im Hinblick auf § 740 Abs. 2 ZPO, nach dem zur Zwangsvoll-streckung in das Gesamtgut die Verurteilung beider Ehegatten erforderlich ist, sollte die Klage gegen beide Ehegatten erhoben werden. Eine solche Parteierweiterung in erster Instanz ist auch ohne Zustimmung der Ehefrau Frosch sowie des bisherigen Beklagten Frosch zulässig.

IV. Ergebnis

Da die Ansicht des Gerichts zutrifft, ist dem Zeiger zu raten, die Klage auch gegen die Ehefrau des Frosch zu erheben.

298 Zur Parteiänderung: Ekkehard Schumann in: Friedrich Stein/Martin Jonas: ZPO, 21. Auflage, Tübin-

gen 2008, § 264 Rdnr. 91 ff.; speziell zur Parteierweiterung: a. a. O. Rdnr. 131 ff.; ders. (Fußn. 1), Rdnr. 262 ff.

— 175 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

FALL 13:

FRAU SCHÖN UND DIE ERFÜLLUNG NACH KLAGEERHEBUNG

Frau Schön bittet wie in den Fällen 11 und 12 Herrn Frosch, ihr bei Uhrmacher Zeiger einen Wecker zu kaufen. Aufgrund der großen Nachfrage ist der Wecker ausverkauft. Da Zeiger eine weitere Lieferung desselben Modells in einigen Tagen erwartet, bestellt Frosch im Namen von Frau Schön ein Exemplar. Zeiger ruft Frau Schön wegen der Bezahlung an, die sich aufgrund einer Gehirnerschütterung nicht an den Auftrag zum Kauf des Weckers erinnern kann und deshalb die Bezahlung verweigert. Uhrmacher Zeiger klagt gegen Frosch auf Zahlung.

Anders als in den Fällen 11 und 12 geht Frau Schön kurz nach dem frühen ersten Ter-min zu Zeiger, bezahlt den Wecker und nimmt ihn mit.

Frage 1: Welches prozessuale Verhalten ist dem Uhrmacher Zeiger anzuraten?

Frage 2: Wie soll sich Frosch daraufhin verhalten?

Bearbeitervermerk: Sämtliche Fragen sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 177 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

FRAGE 1 178

I. Grundsätzliche Möglichkeiten des Uhrmachers Zeiger 178

A. Klagerücknahme 178

B. Verzicht auf die Klage 178

C. Erklärung der Erledigung der Hauptsache 179 1. Beiderseitige (übereinstimmende) Erledigungserklärung, § 91 a ZPO 179

2. Einseitige Erledigungserklärung durch den Kläger 179

a) Einseitige Erklärung, falls keine Prozesserledigung durch übereinstimmende Parteihandlungen 179

b) Zweck der einseitigen Erledigungserklärung 180

c) Die vier Voraussetzungen der einseitigen Erledigungserklärung 180 (1) Erledigungserklärung nur durch den Kläger 180 (2) Erfolgloswerden der bisher erfolgreichen Klage 181 (3) Tatsächliche Erledigung der Klage 181 (4) Erledigung der Klage während des Rechtsstreits 182

d) Das Vorliegen der vier Voraussetzungen im vorliegenden Fall 182

II. Die günstigste Möglichkeit für Uhrmacher Zeiger 182

A. Rücknahme der Klage 182

B. Klageverzicht 182

C. Erledigungserklärung 183

1. Beiderseitige Erledigungserklärung 183

2. Einseitige Erledigungserklärung 183

a) Vorliegen einer einseitigen Erledigungserklärung bei Nichtzustimmung des Frosch 183

b) Prozessuale Durchführung der einseitigen Erklärung der Erledigung 183 (1) Klagerücknahmetheorie kraft Restriktion von § 269 ZPO 184 (2) Klageänderungstheorie mit Analogie zu § 264 ZPO 185

III. Ergebnis 185

FRAGE 2 185

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Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

Lösung

Frage 1: Welches prozessuale Verhalten ist dem Uhrmacher Zeiger

anzuraten?

I. Grundsätzliche Möglichkeiten des Uhrmachers Zeiger

Klagerücknahme, § 269 Abs. 1 ZPO Verzicht auf die Klage, § 306 ZPO

Erklärung der Erledigung der Hauptsache, und zwar entweder beiderseitige Erledigungserklärung, § 91a ZPO oder

einseitige Erledigungserklärung (im Gesetz nicht geregelt)

Durch die Zahlung der Frau Schön könnte die Forderung des Zeiger erloschen sein (§ 362 Abs. 1 BGB), so dass die Klage des Zeiger gegen den Frosch als unbegründet ab-zuweisen wäre. Erfüllung im Sinne der genannten Vorschrift ist Tilgung der Schuld durch Erbringung der geschuldeten Leistung. Gemäß § 267 Abs. 1 BGB kann die Leis-tung durch einen Dritten erbracht werden. Somit ist durch die Zahlung der Frau Schön Erfüllung eingetreten und dadurch die Kaufpreisforderung erloschen. Die Klage des Zeiger müsste daher als unbegründet abgewiesen werden.

Um dies zu verhindern, hat der Zeiger folgende prozessuale Möglichkeiten:

A. Klagerücknahme299 Da Frosch im frühen ersten Termin mündlich verhandelt hat, bedarf die Klage-rücknahme gemäß § 269 Abs. 1 ZPO seiner Einwilligung. Frosch müsste also der Zu-rücknahme der Klage zustimmen. Verweigert er hingegen die Zustimmung, bleibt die Klage anhängig; mangels Begründetheit müsste sie abgewiesen werden. Widerspricht Frosch der Zurücknahme der Klage gemäß § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, so gilt seine Einwilligung zur Rücknahme als erteilt, wenn er zuvor auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist.

B. Verzicht auf die Klage Theoretisch stünde Zeiger auch der Verzicht auf den Klageanspruch zur Verfügung (§ 306 ZPO). Hierzu bräuchte er nicht die Zustimmung des Frosch. Dies würde bedeu-ten, dass seine Klage gegen Frosch durch Sachurteil (Verzichtsurteil) als unbegründet

299 Vgl. Ekkehard Schumann: Erledigungserklärung und Klagerücknahme nach Erledigung der Hauptsa-

che in: Festgabe für Max Vollkommer, Köln 2006, S. 155 ff.

— 179 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

abgewiesen wird, sofern — was als selbstverständlich anzunehmen ist — Frosch den entsprechenden Antrag (§ 306 ZPO) stellt.

C. Erklärung der Erledigung der Hauptsache Darüber hinaus kann Zeiger die Hauptsache für erledigt erklären. Nach einer solchen Erklärung kann es zur beiderseitigen (übereinstimmenden) Erledigungserklärung kom-men, wenn Frosch zustimmt, oder aber es liegt mangels einer solchen Zustimmung nur die einseitige Erledigungserklärung des Klägers vor.

1. Beiderseitige (übereinstimmende) Erledigungserklärung, § 91a ZPO300 Bei der beiderseitigen (übereinstimmenden) Erklärung der Erledigung der Hauptsache beenden die Parteien gemeinsam den Prozess durch ihre deckungsgleichen Partei-handlungen; die Rechtshängigkeit der Klage erlischt bis auf die Kostenfrage. Unmaß-geblich ist bei dieser Gestaltung, ob eine Erledigung der Hauptsache tatsächlich einge-treten ist. Die Erledigung besteht hier nicht in einem Ereignis; sie tritt vielmehr als Aus-fluss der Dispositionsmaxime301 durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien ein. Folglich darf das Gericht (mangels weiterer Rechtshängigkeit der Hauptsache) nicht prüfen, ob eine Erledigung wirklich vorliegt; es entscheidet nur noch über die Kosten durch Beschluss, § 91a Abs. 1 ZPO.

2. Einseitige Erledigungserklärung durch den Kläger302

a) Einseitige Erklärung, falls keine Prozesserledigung durch übereinstimmende Parteihandlungen

Wenn nach einer (einseitigen) Erledigungserklärung (hier durch Zeiger) der Gegner (hier: Frosch) nicht zustimmt, liegt keine Prozesserledigung durch beiderseitige, über-einstimmende Parteihandlungen vor; der Rechtsstreit bleibt anhängig und muss vom Gericht entschieden werden. Wie auch sonst kommt es für den weiteren Verlauf des Prozesses auf den letzten gestellten Antrag an. Bei einer einseitigen Erledigungserklä-rung des Zeiger ist daher auf diese Prozesshandlung abzustellen. Jetzt ist entscheidend (anders als bei der beiderseitigen Erklärung der Erledigung), ob die Hauptsache tatsäch-lich erledigt ist.

300 Hierzu Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 337 sowie ausführlich Gottwald in: Rosenberg/Schwab/Gottwald

(Fußn. 284), § 131 Rdnr. 7 ff. und Schumann in: Festgabe Vollkommer (Fußn. 299), S. 165 ff.; Dieter Knöringer: Die Erledigung der Hauptsache im Zivilprozess, JuS 2010, 569 (576).

301 Vgl. oben Fußn. 8. 302 Ausführlich Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 341 – 348 sowie Schumann in: Festgabe Vollkommer

(Fußn. 299), S. 170 ff.; Gottwald in: Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fußn. 284), § 131 Rdnr. 21 ff.; Mi-chael Huber: Grundwissen – Zivilprozessrecht: Einseitige Erledigungserklärung, JuS 2013, 977 ff.; Dieter Knöringer: Die Erledigung der Hauptsache im Zivilprozess, JuS 2010, 569 (570).

— 180 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

b) Zweck der einseitigen Erledigungserklärung

Der Zweck der einseitigen Erledigungserklärung besteht darin, dem Kläger eine Mög-lichkeit zu eröffnen, darauf zu reagieren, dass seine ursprünglich zulässige und begrün-dete Klage durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis unzulässig oder un-begründet geworden ist. Nach einem solchen Erfolgloswerden der vorher erfolgreichen Klage darf das Gericht den Beklagten nicht (mehr) verurteilen. Es müsste vielmehr die Klage abweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits (§ 91 ZPO) auferlegen, wenn es nicht eine prozessuale Möglichkeit gäbe, einen anderen Weg zu beschreiten, falls eine erfolgreiche Klage während des Rechtsstreites erfolglos geworden ist. Dem Text der ZPO ist ein solcher Weg nicht zu entnehmen. Gleichwohl sind sich Recht-sprechung und Lehre darin einig, dass es für die hier dargestellte Situation ein prozes-suales Sonderprogramm gibt: Mittels einseitiger Erklärung der Erledigung der Hauptsa-che kann der Kläger eine Klageabweisung und eine Kostentragung dann vermeiden, wenn seine zulässige und begründete Klage unzulässig oder unbegründet geworden ist.

c) Die vier Voraussetzungen der einseitigen Erledigungserklärung

1. Erledigungserklärung nur durch Kläger

2. Ursprüngliche Klage zulässig und begründet

3. Tatsächliche Erledigung der Klage

4. Erledigung der Klage nach Rechtshängigkeit

Anders als bei der beiderseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache muss das Gericht bei der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers nachprüfen, ob die Vo-raussetzungen gegeben sind, dass sich die Hauptsache erledigt hat. Welche Vorausset-zungen dies sind, ergibt sich aus dem soeben genannten Zweck dieses Prozessinstituts. Unabhängig von der — noch zu behandelnden — Frage nach der Rechtsnatur des Pro-zessinstituts sind diese Voraussetzungen unumstritten; sie sollten übrigens in der nach-stehenden Reihenfolge geprüft werden, um überflüssige Erörterungen zu vermeiden.

(1) Erledigungserklärung nur durch den Kläger

Da nur der Kläger die Herrschaft über den Streitgegenstand besitzt, vermag nur er die einseitige Erklärung der Erledigung abgeben, nicht aber der Beklagte303. Eine entspre-chende Erklärung des Beklagten ist daher unzulässig, es sei denn, der Kläger stimmt einer solchen Erklärung seines Gegners zu; aber auch dann liegt keine einseitige, son-dern eine beiderseitige Erledigungserklärung vor. Selbstverständlich kann der Beklagte als Widerkläger seine Widerklage einseitig für erledigt erklären, während der Kläger als Widerbeklagter das nicht kann.

303 Hüßtege in: Thomas/Putzo (Fußn. 27), § 91a Rdnr. 42

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Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

(2) Erfolgloswerden der bisher erfolgreichen Klage

Nur eine erfolglos gewordene Klage kann der Kläger einseitig für erledigt erklären. Die Klage muss also zulässig304 und begründet gewesen sein, als sie sich während des Rechtsstreits (etwa durch Zahlung des Beklagten) erledigt hat. Der Grund für diese Vo-raussetzung ist offenkundig: Eine von vornherein unzulässige oder von vornherein un-begründete Klage (der Beklagte hat etwa längst vor Klageerhebung die Schuld gezahlt) verdient die kostenpflichtige Abweisung; für sie enthält die ZPO daher eine klare Ant-wort. Man könnte auch sagen, eine von Anbeginn erfolglose Klage kann sich nicht erle-digen; sie ist sozusagen „schon erledigt“. Nur bei Erfolgloswerden während des Rechts-streits kann der Kläger die bis dahin erfolgreiche Klage für erledigt erklären.305

(3) Tatsächliche Erledigung der Klage

Es muss ferner während des Prozesses ein Umstand (das erledigende Ereignis) eingetre-ten sein, der der Klage ihren Erfolg genommen hat. Auch dieses Erfordernis entspringt folgerichtig dem Zweck der einseitigen Erledigungserklärung. Denn wenn eine Klage weiterhin erfolgreich ist, bedarf sie nicht einer Sonderbehandlung über das Institut der einseitigen Erledigungserklärung; dann wird nämlich der Beklagte dem Klageantrag gemäß verurteilt. Allerdings kommt es selten vor, dass der Beklagte bestreitet, es habe ein den Klageanspruch erledigendes Ereignis gegeben.306 Falls er dies aber tut307, muss das Gericht das Vorliegen dieses Ereignisses untersuchen. Unabhängig von Tatsachen-fragen hat das Gericht ferner stets zu prüfen, ob das vom Kläger behauptete Ereignis rechtlich zum Erfolgloswerden der Klage geführt hat. Wenn z. B. ein Beklagter „zum Zweck der Abwendung der Zwangsvollstreckung“308 an den Kläger leistet, liegt kein erledigendes Ereignis vor.309 Deshalb darf das Gericht nicht eine Erledigung bejahen,

304 Das Erfordernis der Zulässigkeit der Klage wird von einer Minderheit bezweifelt (z. B. Gottwald in:

Rosenberg/Schwab/Gottwald [Fußn. 284], § 131 Rdnr. 42), nach der es genüge, dass die Klage begrün-det war. Dann könnte das unzuständige Gericht die Sache entscheiden und der Beklagte müsste sogar die Kosten des unzulässigerweise gegen ihn geführten Rechtsstreits tragen. BGHZ 106, 359 (367 [oben]) lehnt diese Ansicht zutreffend ab.

305 Schwierigkeiten in Praxis und Examen bereitet (wie bei § 767 ZPO) das zeitliche Auseinanderfallen von Gestaltungslage und Gestaltungserklärung. Wenn die Gestaltungslage vor der Rechtshängigkeit be-stand, der Beklagte das Gestaltungsrecht aber erst im Prozess ausübt, dann liegt eine Erledigung wäh-rend des Prozesses nur dann vor, wenn man auf den Zeitpunkt der Erklärung abstellt. Ist aber die Ge-staltungs- (z. B. Aufrechnungs-)lage maßgebend, kann in einem solchen Fall von einer Erledigung nach Rechtshängigkeit nicht gesprochen werden, weil die (für den Kläger ungünstige) Lage bereits vorpro-zessual existierte. Der Bundesgerichtshof hält in einer neueren Entscheidung die Aufrechnungserklä-rung für maßgeblich (BGHZ 184, 128 [133 ff.]; BGHZ 155, 392 [396 ff.]); hierzu Tom Billing: Auf-rechnung und Erledigung der Hauptsache – BGH NJW 2003, 3134, JuS 2004, 186 ff.

306 Bork in: Stein/Jonas (Fußn. 27), § 91a Rdnr. 52. 307 Beispiel: Der im Wettbewerbsprozess auf Unterlassung verklagte Unternehmer bestreitet, eine Unter-

lassungserklärung (deren Abgabe der Kläger behauptet) abgegeben zu haben. 308 BGHZ 94, 268 (274 sub IV. 2). 309 BGHZ a. a. O. Ein solches ist jedoch gegeben, wenn der Beklagte nach Klageerhebung erstmals die

Einrede der Verjährung geltend macht; und zwar auch dann, wenn der Anspruch bereits bei Klageerhe-bung verjährt war, vgl. BGH NJW 2010, 2422 (2424) mit zahlreichen weiteren Hinweisen (auch zur Gegenansicht); vgl. zu dieser Entscheidung auch Karl G. Deubner: Aktuelles Zivilprozessrecht, JuS 2010, 1064 (1064 ff.).

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Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

falls der Kläger unter Hinweis auf solch eine erzwungene Zahlung die Erledigung er-klärt.

(4) Erledigung der Klage während des Rechtsstreits

Die vierte Voraussetzung stellt auf den Zeitpunkt der Erledigung ab. Nur wenn nach Rechtshängigkeit (d. h. nach Zustellung der Klage an den Beklagten. § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO) die Erledigung eingetreten ist, kann der Kläger die Erklärung der Erledigung abgeben. Auch dieses Erfordernis ist folgerichtig, weil kein Kläger — wie schon gesagt — privilegiert werden darf, der den Beklagten mit einer schon vor Rechts-hängigkeit erfolglosen („erledigten“) Klage überzogen hat.310

d) Das Vorliegen der vier Voraussetzungen im vorliegenden Fall

Sämtliche Voraussetzungen liegen hier vor:

1. Der Kläger Zeiger kann die Klage für erledigt erklären.

2. Die Klage des Zeiger war ursprünglich, also vor Zahlung durch Frau Schön, zulässig und begründet.

3. Die Erledigung ist tatsächlich eingetreten, nämlich durch Erfüllung; § 362 BGB.

4. Schließlich ist das erledigende Ereignis erst nach Rechtshängigkeit der Klage einge-treten.

Zeiger kann somit die Hauptsache in zulässiger Weise einseitig für erledigt erklären.

II. Die günstigste Möglichkeit für Uhrmacher Zeiger

A. Rücknahme der Klage Eine Rücknahme der Klage gemäß § 269 ZPO ist dem Zeiger nicht anzuraten, da die Klage bereits rechtshängig ist und er nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hätte.311 Darüber hinaus wäre die Klagerücknahme nach § 269 Abs. 1 ZPO von der „Einwilligung“ des Frosch abhängig; zumindest nach § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO von einer fingierten Erklärung, falls Frosch trotz Belehrung über die Folge des unterlassenen Widerspruchs innerhalb der Notfrist von zwei Wochen der Zurück-nahme nicht widerspricht.

B. Klageverzicht Ein Verzicht (§ 306 ZPO) ist dem Zeiger ebenfalls nicht anzuraten, weil dann fest-stünde, dass er keinen vertraglichen Anspruch hatte; außerdem müsste er nach § 91 ZPO die Kosten des Verfahrens zahlen, obwohl seine Klage ja bis zur Erledigung erfolgreich war.

310 Vgl. Bork in: Stein/Jonas (Fußn. 27), § 91a Rdnr. 11. 311 BGH NJW 2004, 223; Reichold in: Thomas/Putzo (Fußn. 49), § 269 Rdnr. 15.

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Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

C. Erledigungserklärung Dem Zeiger ist daher zu raten, die Hauptsache für erledigt zu erklären.

1. Beiderseitige Erledigungserklärung Stimmt Frosch der Erledigungserklärung zu, liegt ein Fall der beiderseitigen (überein-stimmenden) Erklärung der Erledigung der Hauptsache vor. Dann entscheidet das Ge-richt gemäß § 91a ZPO (nur) über die Kosten. Für den Kostenbeschluss nach § 91a ZPO ist der voraussichtliche Ausgang des Rechtsstreits entscheidend. Das Gericht stellt da-rauf ab, wie die Kostenentscheidung bei Nichtvorliegen einer Erledigungserklärung ausfallen würde. Hierfür genügt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten. Das Gericht wird die Kosten Frosch auferlegen; denn Zeiger hat mit Recht den Prozess be-gonnen, den Frosch hätte vermeiden können, wenn Zeiger die Zahlung rechtzeitig erhal-ten hätte.

2. Einseitige Erledigungserklärung

a) Vorliegen einer einseitigen Erledigungserklärung bei Nichtzustimmung des Frosch

Stimmt Frosch einer Erledigungserklärung des Zeiger nicht zu, ist dies für Zeiger ohne Risiko. Denn jetzt muss das Gericht die vier Voraussetzungen einer einseitigen Erledi-gungserklärung prüfen und wird bejahen, dass sie vorliegen (vgl. oben). Daher wird das Gericht die Erledigung des Rechtsstreits feststellen und die Kosten dem Frosch auferle-gen.

b) Prozessuale Durchführung der einseitigen Erklärung der Erledigung

Während man sich über Voraussetzungen und Ergebnis der einseitigen Erledigungser-klärung weitgehend einig ist, bestehen nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, welcher prozessuale Weg hierbei zu gehen ist. Immerhin besteht ein gemein-samer Ausgangspunkt in der Erkenntnis, dass die ZPO für diese Situation eine wesentli-che Lücke deshalb enthält, weil sie nicht regelt, wie zu verfahren ist, wenn eine erfolg-reiche Klage während des Prozesses erfolglos geworden ist. Über die Art und Weise der Lückenfüllung herrscht allerdings Uneinigkeit. Das bereitet jedoch in der Praxis keine Schwierigkeiten; denn jede der vertretenen Meinungen kommt zu demselben prozessua-len Ergebnis: Der Beklagte trägt die Kosten einer erfolglos gewordenen bisher erfolg-reichen Klage, sofern die Erledigung während des Rechtsstreits eintrat.

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Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

Klagerücknahmetheorie durch teleologische Reduktion von § 269 ZPO. Dafür spricht vor allem die Regelung in § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO.

Die herrschende Praxis folgt der Klageänderungstheorie: Klageänderung auf einen Feststellungsantrag nach § 264 (Nr. 2 oder Nr. 3) ZPO (Feststellung der tatsächli-chen Erledigung). Dafür spricht vor allem das rechtliche Interesse des Klägers an

einem Sachurteil.

Kostenentscheidung bei jeder Theorie nach § 91 ZPO (nicht nach § 91a ZPO!)

(1) Klagerücknahmetheorie kraft Restriktion von § 269 ZPO

Ein von den Prozessualisten Arwed Blomeyer und Rudolf Pohle gewiesener Weg zur Füllung der Lücke geht von der Regelung der Klagerücknahme in § 269 ZPO aus. Diese Lösung wird daher als Klagerücknahmetheorie bezeichnet. Die Anhänger dieser Theo-rie legen die richtige Erkenntnis zugrunde, dass ein Kläger, dessen Klage erfolglos ge-worden ist, den Rechtsstreit nicht (mehr) betreiben will. Das Prozessinstitut, das für einen solchen Fall üblicherweise zur Verfügung steht, ist die Klagerücknahme (§ 269 ZPO). Nur passt deren Regelung nicht auf die Sondersituation der bisher erfolgreichen, jetzt aber erfolglos gewordenen Klage. Wie schon dargelegt, müsste nach § 269 ZPO der Kläger (Zeiger) die Kosten tragen und wäre ferner von der Einwilligung des Beklag-ten (Frosch) abhängig. Hier setzt die Lückenfüllung der Klagerücknahmetheorie ein. Im Wege einer Restriktion (teleologischen Reduktion) sieht sie vom Einwilligungserfor-dernis und von der Kostentragungspflicht des Klägers ab. Daher kann der Kläger, wenn sich seine bislang zulässige und begründete Klage während des Rechtsstreits erledigt hat, in Form einer „privilegierten Klagerücknahme“ einseitig und ohne Einwilligung des Beklagten die Erledigung erklären. Da es mangels Zustimmung des Beklagten nicht zu einer beiderseitigen Erledigungserklärung gekommen ist, muss das Gericht eine pro-zessbeendigende Entscheidung treffen, dass sich der Rechtsstreit erledigt hat und der Beklagte die Kosten trägt.312 Eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO ist nicht zuläs-sig.

Für die Klagerücknahmetheorie spricht vor allem auch die Sonderregelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 [1. Halbsatz] ZPO; sie betrifft die vergleichbare Situation der vor Rechts-hängigkeit erledigten und deshalb zurückgenommenen Klage. Dagegen muss man aller-dings berücksichtigen, dass die Klagerücknahmetheorie von den Gerichten abgelehnt wird und in der Wissenschaft nur noch wenige Befürworter hat.

312 Umstritten ist bei § 269 ZPO, ob das Gericht den Streit um die Wirksamkeit einer Klagerücknahme

durch Urteil oder durch Beschluss entscheidet. Ein Urteil erscheint notwendig, da dieser Streit eine mündliche Verhandlung erfordert und eine Sachentscheidung zu treffen ist (Herbert Roth in: Friedrich Stein/Martin Jonas: ZPO, 22. Auflage, Tübingen 2008, § 269 Rdnr. 33 ff. mit weiteren Nachweisen). Unter Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO kann man sich aber auch mit einer Entscheidung durch bloßen Beschluss begnügen (Gottwald in: Rosenberg/Schwab/Gottwald [Fußn. 284], § 129 Rdnr. 39).

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Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

(2) Klageänderungstheorie mit Analogie zu § 264 ZPO

Die herrschende Lehre und die Praxis erblicken jedoch in der einseitigen Erledi-gungserklärung eine Klageänderung in einen Feststellungsantrag nach § 264 ZPO, so genannte Klageänderungstheorie („Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat“)313. Fasst man diesen Feststellungsantrag als ein Weniger ge-genüber dem Leistungsantrag auf, ist § 264 Nr. 2 ZPO einschlägig. Oder aber man wen-det § 264 Nr. 3 ZPO an, weil die jetzt begehrte Feststellung ein Aliud gegenüber dem ursprünglichen Antrag darstellt.

Begründet wird die Klageänderungstheorie mit dem rechtlichen Interesse (im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO) des Klägers an einem Sachurteil, das in Rechtskraft erwächst und dem Beklagten die Kosten des durch ihn veranlassten Prozesses auferlegt. Da nach die-ser Ansicht die Entscheidung durch Sachurteil ergeht, trifft das Gericht die Kostenent-scheidung nach § 91 ZPO. Auch hier darf man § 91a ZPO nicht anwenden.

III. Ergebnis

Für Zeiger ist es am günstigsten, die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Hinweis zur Erledigung vor Rechtshängigkeit

Wie dargelegt, ist eine einseitige Erklärung der Erledigung nicht zu-lässig, wenn das erledigende Ereignis vor Rechtshängigkeit (etwa nach Einreichung der Klage, aber vor deren Zustellung an den Beklag-ten [vgl. § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO]) erfolgte. In einem solchen Fall greift die bereits in anderem Zusammenhang genannte Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 [1. Halbsatz] ZPO ein: Der Kläger kann in diesem Fall — statt die Hauptsache für erledigt zu erklären — durch Zurücknahme der Klage eine dem § 91a ZPO entsprechende Kosten-entscheidung herbeiführen. Ein solcher Weg steht sogar offen, wenn der Klageanlass nach Klageeinreichung wegfällt und deshalb der Klä-ger die Klage zurücknimmt, die daraufhin nicht zugestellt wird, so dass es zu keinem durch eine Klage begründeten Prozessrechtsverhält-nis kommt (§ 269 Abs. 3 Satz 3 [2. Halbsatz] ZPO).314

Frage 2: Wie soll sich Frosch daraufhin verhalten?

Da die Klage des Zeiger ursprünglich zulässig und begründet war, ist dem Frosch anzu-raten, der Erledigungserklärung zuzustimmen.315 Im Falle der einseitigen Erle-digungserklärung müsste das Gericht durch Endurteil entscheiden mit der Folge, dass der Frosch gemäß § 91 ZPO zur Kostentragung verurteilt wird. Zwar wird das Gericht

313 Hierzu Bork in: Stein/Jonas (Fußn. 27), § 91a Rdnr. 47. 314 Zur Klagerücknahme vor und ohne Zustellung: Schumann in: Festgabe Vollkommer (Fußn. 299),

S. 180 ff., 191 ff. 315 Anders bei einem zu Unrecht ergangenen vorläufig vollstreckbaren Urteil (dazu ausführlich: Constan-

tin Kruse/Dominik Schäfer: Aus der Praxis: Die Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, JuS 2013, 897 ff.).

— 186 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 13: Frau Schön und die Erfüllung nach Klageerhebung

auch im Falle des § 91a ZPO den Kostenbeschluss zu Lasten des Frosch erlassen; aber bei weiterer Durchführung des Verfahrens besteht die Gefahr, dass zusätzlich Kosten entstehen, die der Frosch dann zu tragen hätte. Frosch ist daher zu raten, der Erledigung der Hauptsache zuzustimmen.

Ergebnis: Frosch wird sinnvollerweise zustimmen.

— 187 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

FALL 14:

ZEIGER GEGEN DIE ZEIT

Wie in den Fällen 11 – 13 schloss Herr Frosch mit Zeiger einen Kaufvertrag über einen Wecker. Zeiger hat gegen Frosch einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB. Frosch zahlt nicht. Zeiger beauftragt Rechtsanwalt Klug mit der Durchsetzung seines Anspruchs. Rechts-anwalt Klug reicht im Januar Klage zu dem zuständigen Amtsgericht ein. Das Gericht stellt Frosch die Klageschrift zu, bestimmt aber weder einen frühen ersten Termin noch veranlasst es ein schriftliches Vorverfahren. Auf telefonische Nachfragen im Mai, Juli und Oktober erhält Rechtsanwalt Klug jeweils die Auskunft der Geschäftsstelle, der zuständige Richter sei erkrankt. Mit Schreiben von Anfang November bittet RA Klug um Auskunft, wann „das Amtsgericht das Verfahren fortzusetzen gedenkt“. Die Ge-schäftsstelle schreibt ihm Mitte Dezember zurück: Das Amtsgericht sei — wie viele deutsche Gerichte — wegen Personalmangels und vor allem wegen zahlreicher Krank-heitsfälle völlig überlastet. „Die Justiz hat deshalb weder genügend Zeit noch genügend Personal, jeden Fall in angemessener Zeit abzuarbeiten. An einen Termin kann — wenn überhaupt — frühestens im Herbst des nächsten Jahres gedacht werden. Hierfür bitten wir um Ihr Verständnis.“

Frage: Welche Schritte wird Rechtsanwalt Klug unternehmen?

Bearbeitervermerk: Die Frage sind in einem Gutachten zu beantworten.

— 188 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

FALL 14: ZEIGER GEGEN DIE ZEIT

I. Statthaftigkeit möglicher Rechtsbehelfe bei gerichtlicher Untätigkeit 188 A. Anhörungsrüge (innerhalb der Instanz) 188 B. Untätigkeitsbeschwerde (zur nächst höheren Instanz) 189 C. Verzögerungsrüge (innerhalb der Instanz) 189 D. Gegenvorstellung (innerhalb der Instanz) 191 E. Verfassungsbeschwerde 191

1. Zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof 191 2. Zum Bundesverfassungsgericht 192

F. Menschenrechtsbeschwerde zum Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg 193

G. Wichtiger Hinweis zur Terminologie „Unstatthaft“ — „Unzulässig“ 193

II. „Begründetheit“ der Verzögerungsrüge? 194 A. Keine Begründetheitsstation bei der Verzögerungsrüge 194 B. Die Verzögerungsrüge ist kein Rechtsbehelf 194

III. Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer 195 A. Zulässigkeit der Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer 195 B. Begründetheit der Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer 195

Lösung Rechtsanwalt Klug wird sich überlegen, ob es überhaupt gegen eine überlange Prozess-dauer Rechtsbehelfe gibt und, wenn ja, welchen Rechtsbehelf er einlegen wird und wie er ihn zu begründen hat.

I. Statthaftigkeit möglicher Rechtsbehelfe bei gerichtlicher Untätigkeit

A. Anhörungsrüge (innerhalb der Instanz)

Einen im Gesetz ausdrücklich geregelten Rechtsbehelf innerhalb derselben Instanz stellt die Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) dar. Mit ihr kann eine Partei vor demselben Gericht die Verletzung des Grundrechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) rügen. In weitester Interpretation könnte man in der gerichtlichen Untätigkeit eine Verletzung des Rechts auf Gehör erblicken.316 Doch setzt die Anhörungsrüge eine gerichtliche Entscheidung

316 Vgl. Helmuth Schulze-Fielitz in: Horst Dreier: GG, 2. Aufl., Tübingen 2008, Art. 103 I Rdnr. 81 ff.

sowie auch Eberhard Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig: GG, München Stand November 2006, § 103 Rdnr. 152 ff.

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Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

voraus (vgl. § 321a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Gegen die Untätigkeit (gegen das Nichtent-scheiden) ist die Anhörungsrüge nicht eingeräumt, also nicht statthaft.317

B. Untätigkeitsbeschwerde (zur nächsthöheren Instanz) Neben der Anhörungsrüge kann man sich eine Beschwerde an das übergeordnete Ge-richt vorstellen, die die richterliche Untätigkeit rügt. Die ZPO kennt die sofortige Be-schwerde (§§ 567 ff. ZPO) und die Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO). Mit ihnen kann sich eine Partei unter bestimmten Voraussetzungen an die höhere Instanz wen-den. Wie die Anhörungsrüge setzen beide Beschwerdearten jedoch voraus, dass eine Entscheidung ergangen ist (vgl. § 567 Abs. 1 ZPO: „Entscheidungen“, § 574 Abs. 1 ZPO: „Beschluss“). Gegen die Untätigkeit (Nichtentscheiden) besteht keine Be-schwerdemöglichkeit. Als ungeschriebener Rechtsbehelf (Untätigkeitsbeschwerde) steht eine Beschwerde daher nicht zur Verfügung.318 Eine Untätigkeitsbeschwerde des RA Klug wäre also ebenfalls nicht statthaft (unstatthaft).

C. Verzögerungsrüge (innerhalb der Instanz) RA Klug kann jedoch die Verzögerungsrüge einlegen. Sie ist gegen gerichtliche Untä-tigkeit und gegen eine überlange Verfahrensdauer statthaft.319 Obwohl es sich bei ihr um ein wichtigen Prozessinstitut handelt, hat sie der Gesetzgeber nur versteckt im Ge-richtsverfassungsrecht (§ 198 Abs. 3 GVG) geregelt320. Die Regelung des GVG als des gemeinsamen Gesetzes für die Zivil- und Strafjustiz gilt für sämtliche Verfahren dieser Gerichtsbarkeiten; die Prozessordnungen der anderen Rechtswege verweisen auf das GVG321.

Die Verzögerungsrüge setzt voraus, dass „Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Ver-fahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird“ (§ 198 Abs. 3 Satz 2 GVG).322 Da angesichts der Mitteilung der Geschäftsstelle diese Besorgnis besteht, wird RA Klug nach § 198 Abs. 3 GVG die Verzögerungsrüge zum Amtsgericht als „das mit der Sache befasste Gericht“ (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) erheben. Obwohl das GVG eine ausdrück-liche Bezeichnung nicht vorschreibt, wird RA Klug in seinem Schriftsatz den Begriff „Verzögerungsrüge“ ausdrücklich verwenden.323 Zum notwendigen Inhalt der Verzöge-

317 Zur Terminologie „statthaft“ usw. siehe näher sogleich der Gliederungspunkt G. 318 Vgl. BGH NJW 2013, 385 f.; OLG Düsseldorf NJW 2012, 1455 f. 319 Zur Terminologie „statthaft“ und „zulässig“ siehe näher sogleich der Gliederungspunkt G. 320 Die Verzögerungsrüge hat das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und

strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2303) eingeführt. Es trat am 3. Dezember 2011 in Kraft.

321 Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist insoweit § 173 Satz 2 VwGO wichtig. Hier ist die Ver-zögerungsrüge nahezu unkenntlich verborgen, obwohl überlange Verfahren besonders in der Verwal-tungsgerichtsbarkeit zu bedauern sind.

322 Vgl. zu den Voraussetzungen BVerwG NJW 2014, 96. 323 Um einen Schriftsatz richtig zu qualifizieren, kommt es auf seinen Inhalt, nicht auf die formale Be-

zeichnungen an. Insoweit gilt auch hier die Regel des § 300 StPO (Text von § 300 StPO oben in Fußn.109). Es würde also nicht schaden, wenn RA Klug den Ausdruck „Verzögerungsrüge“ nicht ver-wenden würde, sofern nur sein Anliegen erkennbar ist, gegen die überlange Verfahrensdauer vorzuge-

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Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

rungsrüge enthält das Gesetz in § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG eine spärliche Vorschrift. Über sie hinausgehend, wird RA Klug zur fehlenden Angemessenheit auf § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG hinweisen und im Sinne dieser Vorschrift ausführen, weshalb seine Klage keine schwierigen Rechts- oder Tatsachenfragen aufwerfe und keine über den Prozess hinausreichende Bedeutung habe, sowie vortragen, dass die gerichtliche Untätigkeit auch nicht durch ein „Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter“ (vgl. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG) veranlasst sei.

Hinweis zur Verzögerungsrüge

Die Verzögerungsrüge ist ein jetzt endlich in das deutsche Prozess-recht eingeführtes neues Prozessinstitut.324 Jahrzehntelange Diskus-sionen um die Regelung eines „Untätigkeitsrechtsmittels“ gingen der nunmehr verankerten Vorschrift voraus. Ausgelöst hatte diese Diskussionen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Zahlreiche Menschenrechtsbe-schwerden zum EGMR325 gegen Deutschland wegen überlanger Ver-fahrensdauer waren erfolgreich. Immer wieder beanstandete der EGMR die viel zu lange Prozessdauer vor deutschen Gerichten sowie das Fehlen eines Rechtsbehelfs gegen Prozessverzögerungen sowie fehlende Entschädigungsregelungen für die Opfer derartiger Verzöge-rungen.326 Das neue Prozessinstitut der Verzögerungsrüge soll dazu beitragen, überlange gerichtliche und staatsanwaltliche Verfahren zu vermeiden. Richter und Staatsanwälte sollen durch die Verzögerungs-rüge angehalten werden, Abhilfe zu schaffen.327

Hinweis zur Staatshaftung wegen überlanger Verfahrensdauer

Gleichzeitig wurde ein neues materiellrechtliches Institut des Staats-haftungsrechts in Gestalt der Entschädigung „infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens“ (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) sowie eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (§ 199 GVG) geschaf-fen.328 Dabei setzt das Bestehen von Entschädigungsansprüchen gegen den Staat kein schuldhaftes Fehlverhalten einzelner Richter voraus.

hen. Im Examen soll der Bearbeiter aber stets den Rechtsbehelf genau benennen. Auch in der Praxis ist durchaus unüblich, einen Rechtsbehelf nicht deutlich zu bezeichnen.

324 Detlef Burhoff: Verfahrensverzögerung, überlange Gerichtsverfahren und Verzögerungsrüge - die Neuregelungen im GVG, StrafRechtsReport 2012, 4 ff.

325 Zur Menschenrechtsbeschwerde näher sogleich im Skriptum. 326 Hierzu z. B. Andreas Neff in: Hanns Prütting/Markus Gehrlein, ZPO, 4. Auflage, Köln 2012, § 198

GVG Rdnr. 1. 327 Burhoff (Fußn. 324), StRR 2012, 4. 328 Vgl. BGH NJW 2013, 3109 ff.: Bei anhängigen Verfahren zum Zeitpunkt der Einführung der Verzö-

gerungsrüge kann die Entschädigung nur gewährt werden, wenn die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrecht-lichen Ermittlungsverfahren erhoben wurde.

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Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

D. Gegenvorstellung (innerhalb der Instanz)

Innerhalb der Instanz kann man an eine Gegenvorstellung denken.329. Die Gegenvorstel-lung ist ein gesetzlich nicht geregelter Rechtsbehelf, mit dessen Hilfe das Gericht in bestimmten Fällen eigene unanfechtbare Entscheidungen zu korrigieren vermag. Sie ist jedoch nicht eingeräumt, sofern für dasselbe Ziel der Prozesspartei bereits ein Rechts-behelf zur Verfügung steht. So muss die Partei die Anhörungsrüge (§ 321a ZPO, siehe oben) ergreifen, wenn sie die Verletzung des Rechts auf Gehör rügen will, und darf nicht auf die Gegenvorstellung ausweichen330. Seit es die Verzögerungsrüge gibt, ist deshalb auch die Gegenvorstellung wegen überlanger Verfahrensdauer ausgeschlossen.

E. Verfassungsbeschwerde Zu überlegen ist, ob RA Klug Verfassungsbeschwerde einlegen wird. Wenn es sich um ein Verfahren vor einem bayerischen Gericht handelt, kommen zwei Verfassungsbe-schwerden in Betracht: Die bayerische Verfassungsbeschwerde zum Bayerischen Ver-fassungsgerichtshof (BayVerfGH) in München und die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

1. Zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof Nach Art. 120 der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) kann jeder Bewohner Bay-erns, der sich durch eine Behörde in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt fühlt, den BayVerfGH mit Verfassungsbeschwerde anrufen. Gerichte sind „Behörden“ im Sinne dieses Verfassungsartikels. Während etwa die Anhörungsrüge und die Beschwer-den voraussetzen, dass eine Entscheidung vorliegt, kann sich die bayerische Verfas-sungsbeschwerde auch gegen ein Unterlassen richten.331 Die Möglichkeit, parallel auch die Bundesverfassungsbeschwerde (siehe sogleich) einzulegen, schließt die bayerische Verfassungsbeschwerde nicht aus (§ 90 Abs. 3 BVerfGG, vgl. Art. 142 GG): Doppel-spurigkeit des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes.

Vor Einlegung der bayerischen Verfassungsbeschwerde muss jedoch der Beschwerde-führer den Rechtsweg erschöpft haben (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 BayVerfGHG; sog. Subsi-diarität der Verfassungsbeschwerde). Zum Rechtsweg gehört auch die Verzögerungsrü-ge. Unabhängig von der Frage, ob das bayerische Verfassungsrecht ein verfassungsmä-ßiges Recht gegen überlange Verfahrensdauer überhaupt einräumt, steht jedenfalls der bayerischen Verfassungsbeschwerde entgegen, dass RA Klug den Rechtsweg mangels eingelegter Verzögerungsrüge nicht erschöpft hat. Eine trotzdem eingelegte bayerische Verfassungsbeschwerde wäre also unzulässig.332

329 Vgl. Ekkehard Schumann: Die Gegenvorstellung im Zivilprozessrecht, in: Festschrift für Gottfried

Baumgärtel, Köln-Berlin-Bonn-München 1990, S. 491 ff.; 330 BAG NJW 2013, 1549 f. 331 Heinrich Amadeus Wolff in: Josef Franz Lindner/Markus Möstl/Wolff: Verfassung des Freistaates

Bayern, München 2009, Art. 120 Rdnr. 26. 332 Zur Terminologie „unstatthaft“ und „unzulässig“ siehe näher sogleich der Gliederungspunkt G.

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Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

2. Zum Bundesverfassungsgericht Die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG (Bundesverfassungsbeschwerde) ist jeder-mann für die Behauptung eingeräumt, „durch die öffentliche Gewalt“ in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). „Öffentliche Gewalt“ ist im Sinne dieses Grundgesetzarti-kels auch die Dritte Gewalt (anders nach h. M. derselbe Begriff in Art. 19 Abs. 4 GG), so dass die Tätigkeit der Gerichte mit Verfassungsbeschwerde überprüft werden darf.333 Wie bei der bayerischen Verfassungsbeschwerde kann auch Unterlassen den Angriffs-gegenstand bilden.334

Die Verfahrenslage ist hier nicht anders, sie als soeben bei der bayerischen Verfas-sungsbeschwerde dargelegt wurde: § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt die Erschöp-fung des Rechtsweges. Diese prozessuale Voraussetzung ist nicht erfüllt, so dass die Bundesverfassungsbeschwerde unzulässig ist.

Immerhin kennt das Verfahren der Bundesverfassungsbeschwerde — anders als das bayerische Verfassungsprozessrecht — die Eilverfassungsbeschwerde, die trotz fehlen-der Rechtswegerschöpfung zulässig ist, falls sie von allgemeiner Bedeutung ist oder dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, wenn man ihn auf den Rechtsweg verwiese (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Doch diese sehr stren-gen Voraussetzungen kann RA Klug für seinen Mandanten sichtlich nicht in Anspruch nehmen, so dass es an der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verbleibt.335

Gegenvorstellung und Rechtswegerschöpfung bei der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassugsgericht

In einem Plenarbeschluss336 hat das Bundesverfassungsgericht ent-schieden: Das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs bei der Verfas-sungsbeschwerde (§ 90 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) bedeutet nicht vom Beschwerdeführer zu fordern, auch ungeschriebene Rechtsbehelfe erhoben zu haben. Deshalb muss ein Beschwerdeführer die Gegenvorstellung (als einen ungeschriebener Rechtsbehelf, siehe oben) nicht beschritten haben, bevor er die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhebt337. Diese verfassungs-prozessuale Situation hindert jedoch die Fachgerichte nicht, auf Ge-genvorstellungen hin tätig zu werden.338 Nur muss derjenige, der eine Gegenvorstellung erhebt, wissen, dass er gegebenfalls neben der Gegenvorstellung auch die Verfassungsbeschwerde einlegen sollte, weil er sonst die Monatsfrist (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht versäumt.

333 Vgl. Peter Michael Huber in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck, GG, 6. Auf-

lage, München 2010, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 427. 334 Vgl. § 92 und § 95 Abs. 1 BVerfGG: „Unterlassung“. 335 Vgl. aber auch BVerfG (Kammer) NJW 2014, 51. 336 Plenarbeschluss des BVerfG BVerfGE 107, 395 (417 sub 3); vgl. zur Verfahrenslage vor dem Erlass

des Plenarbeschlusses: BVerfGE 107, 396 ff. und BGHZ 150, 133 (136 sub b). 337 BVerfGE 122, 190 ff. (202 sub [2]). 338 BVerfGE 122 (Fußn. 337), 200 ff. sub a).

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Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

F. Menschenrechtsbeschwerde339 zum Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Angesichts der bei der Darstellung der Verzögerungsrüge erwähnten Judikatur des EGMR liegt es nahe, an die in Art. 34 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerte Menschenrechtsbe-schwerde zu denken. Mit ihr können die Bürger der Vertragsstaaten der EMRK den EGMR wegen der Verletzung der Konventionsrechte durch einen der Vertragsstaaten anrufen. Eine überlange Verfahrensdauer verbietet die EMRK ausdrücklich in ihren Art. 6 Abs. 1 Satz 1: „Innerhalb angemessener Frist“ müssen die Gerichte entscheiden. Anders als die BV und das GG enthält also die EMRK ein ausdrückliches (Konventi-ons-) Recht auf Rechtsschutz in angemessener Frist. Auch deshalb könnte RA Klug sich veranlasst sehen, die Menschenrechtsbeschwerde einzulegen. Doch auch hier gilt das Subsidiaritätsprinzip: Art. 35 Abs. 1 EMRK verlangt die Erschöpfung aller innerstaatli-chen (nationalen) Rechtsbehelfe (Ausdruck der völkerrechtlichen „exhaustion of local remedies rule“).340 Bereits mangels eingelegter Verzögerungsrüge fehlt — wie bei der bayerischen und bei der Bundesverfassungsbeschwerde — auch hier diese Zulässig-keitsvoraussetzung341. Eine Menschenrechtsbeschwerde ist also unzulässig.342

G. Wichtiger Hinweis zur Terminologie „Unstatthaft“ — „Unzulässig“

„Unstatthaft“ ist ein Rechtsbehelf, wenn er nach der Prozessordnung überhaupt nicht zur Verfügung steht.

Also sind im vorliegenden Fall 14 — wie dargestellt — die Gegenvorstellung, die An-hörungsrüge, die Beschwerde „unstatthaft“. Denn gegen gerichtliche Untätigkeiten oder gegen überlange Verfahrensdauer sind sie in keinem Fall eingeräumt. Es fehlt also die „Statthaftigkeit“.

„Unzulässig“ ist ein Rechtsbehelf, wenn er an sich statthaft ist, im konkre-ten Fall aber eine Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt.

339 Ein Recht auf ein Urteil „ohne unangemessene Verzögerung“ gewährleistet auch Art. 14 Abs. 3 Buch-

stabe c des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) vom 19. Dezember 1966, für Deutschland in Kraft seit 16. November 1973 (BGBl. 1973 II, 1533), allerdings nur zugunsten strafrechtlich Angeklagter.

340 Vgl. Andreas von Arnauld: Völkerrecht, 18. Auflage, Heidelberg 2012, § 9 Rdnr. 736 ff. 341 Zu der „Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe“ im Sinn des Art. 35 Abs. 1 EMRK gehört

neben dem Durchlaufen des gesamten jeweiligen Instanzenzuges auch die Durchführung des Verfahrens der Verfassungsbeschwerde. Nur ganz ausnahmsweise verzichtet der EGMR auf die Rechtswegerschöp-fung, insbesondere in Fällen, in denen ein möglicher Rechtbehelf auf nationaler Ebene als nicht effektiv erscheint. Eine solche extreme Ausnahme liegt hier nicht vor.

342 Ein Recht auf ein Verfahren „innerhalb angemessener Frist“ gewährleistet ferner Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU. Einen Rechtsbehelf zur Überprüfung nationaler gerichtlicher Entschei-dungen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg kennt das Unionsrecht nicht.

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Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

Die Verfassungsbeschwerden und die Menschenrechtsbeschwerden sind auch gegen Unterlassungen statthaft, setzen also keine gerichtlichen Entscheidungen voraus. Daher sind sie gegen gerichtliche Untätigkeiten und gegen die überlange gerichtliche Verfah-rensdauer statthaft. Doch sind sie unzulässig, wenn es an einer Zulässigkeitsvorausset-zung fehlt, etwa an der Rechtswegerschöpfung.

II. „Begründetheit“ der Verzögerungsrüge?

A. Keine Begründetheitsstation bei der Verzögerungsrüge Da die Frage an den Bearbeiter des Falles lautet, welche Schritte RA Klug unternehmen wird, ist nicht nach der Begründetheit seiner Schritte (hier der Begründetheit der Verzö-gerungsrüge) gefragt. Es wäre auch schwierig, hierauf eine genaue Antwort zu geben, weil das GVG nur die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verzögerungsrüge normiert, aber schweigt, wie das mit der Verzögerungsrüge angerufene Gericht mit ihr zu verfahren habe. Immerhin verbietet das Prozessrecht nicht, dass dieses Gericht über die Zulässigkeit der Verzögerungsrüge einen Beschluss fasst. Aus der Systematik der Vorschriften der §§ 198 ff. GVG ergibt sich zugleich aber, dass das mit dieser Rüge befasste Gericht nicht befugt ist, eine bindende (rechtskraftfähige) Entscheidung zur Begründetheit, also über die Frage zu treffen, ob ein Verfahren unangemessen lang war. Zur Entscheidung dieser Frage sieht nämlich das Gesetz ein besonderes Klageverfahren vor, für das das Oberlandesgericht oder der Bundesgerichtshof ausschließlich zuständig sind (§ 201 GVG, siehe sogleich).

B. Die Verzögerungsrüge ist ein ungewöhnlicher Rechtsbehelf Die Verzögerungsrüge ist daher nach ihrer jetzigen Ausgestaltung ein neuartiger, unge-wöhnlicher Rechtsbehelf343. So seltsam es klingt: Das GVG hat die Verzögerungsrüge nicht näher prozessual ausgestalten; vor allem verpflichtet es das betreffende Gericht nicht, auf die Verzögerungsrüge zu reagieren.344 Die Verzögerungsrüge vermag daher nicht zu verhindern, dass das Gericht weiterhin untätig bleibt. Letztlich werden jedoch die Prozessparteien auf den Entschädigungsanspruch (siehe sogleich) vertröstet. Dessen Existenz soll allerdings die Gerichte und Staatsanwaltschaften veranlassen, die Prozess-dauer zu verkürzen.345

343 Als gar keinen Rechtsbehelf sieht ihn an: Fabian Brummund: Das Gesetz über den Rechtsschutz bei

überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, JA 2012, 213 (216 sub C.). Doch was ist die Verzögerungsrüge dann?

344 Brummund (Fußn. 343), a. a. O. 345 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtli-

chen Ermittlungsverfahren, BR-Drs. 540/10, S. 20 f.; weiterführend auch Florian Huerkamp/Dinah Huerkamp: Anm. zu BVerfG, Beschluss vom 13. August 2012, JZ 2013, 145 ff.

— 195 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

III. Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer346

Wegen der fehlenden prozessualen Ausgestaltung der Verzögerungsrüge denkt RA Klug auch daran, eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer geltend zu machen, sofern sich das Verfahren trotz Verzögerungsrüge weiterhin in die Länge hin-ziehen sollte.

A. Zulässigkeit der Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer

Bei einer Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer werden dem Arm als Betroffenen im Zuge einer Entschädigungsklage die daraus entstandenen Nachteile gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ersetzt. Für die Klage gilt ein klares, jedoch äußerst enges Fristenregime: Sie ist solange unzulässig, als noch nicht sechs Monate seit Erhe-bung der Verzögerungsrüge vergangen sind (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG), und sie wird unzulässig, sobald mehr als sechs Monate nach dem Ende des Ausgangsrechtsstreits verstrichen sind (§ 198 Abs. 5 Satz 2 GVG). Sachlich zuständig ist bei der Klage gegen ein Land das Oberlandesgericht, bei der Klage gegen den Bund ist es der Bundesge-richtshof (§ 201 Abs. 1 Satz 1 und 2 GVG) — jeweils ausschließlich (§ 201 Abs. 1 Satz 3 GVG). Obwohl es sich hier um einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch han-delt, ist der Zivilrechtsweg vorgeschrieben. Dies liegt an der grundgesetzlichen Zuwei-sung sämtlicher öffentlich-rechtlicher Ersatzansprüche an die Ziviljustiz (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 4, Art. 34 Satz 3 GG; vgl. auch § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

B. Begründetheit der Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer

Wichtigste Voraussetzung für die Begründetheit der Klage ist die Erhebung der Verzö-gerungsrüge gegenüber dem mit der Sache befassten Gericht (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) — und nicht etwa beim Beschwerdegericht347. Eine Entschädigung erhält dem-nach nur derjenige, der die überlange Verfahrensdauer bereits im Ausgangsprozess ge-rügt hat.348 Wer diese Rüge im Ausgangsprozess nicht erhoben hatte, dessen Entschädi-gungsklage ist von vornherein unbegründet349. Dann kommt es zu keinerlei Erörterun-gen über eine überlange Verfahrensdauer. Da RA Klug gegenüber dem Amtsgericht die Verzögerungsrüge erheben wird, wahrt er damit diese Voraussetzung der Begründetheit einer Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer.

346 Einen ausführlichen Prüfungsaufbau bringt Brummund (Fußn. 343), 213 ff. 347 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 2012, 1455 f. 348 Vgl. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Ge-

setzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfah-ren, BT-Drs. 17/3802, S. 2 sub B., S. 16 sub 4.

349 In der Regel ist die Klage sogar unschlüssig, es sei denn, der Kläger behauptet wahrheitswidrig das Einlegen der Verzögerungsrüge, so dass Gericht zu prüfen hat, ob diese Behauptung zutrifft.

— 196 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Fall 14: Zeiger gegen die Zeit

§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ordnet an, dass eine Partei „angemessen entschädigt“ wird, wenn sie durch die Verfahrensverzögerung einen Nachteil erlitten hat. Dieser Entschä-digungsanspruch ähnelt dem Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB350 und ist nicht einem Schadensersatzanspruch nach § 249 BGB gleichzustellen.351 Die ange-messene Entschädigung wird für die materiellen Nachteile gewährt, die durch die unan-gemessene Verfahrensdauer entstanden sind (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Entgangener Gewinn ist dabei umfasst.352 Soweit nicht im Einzelfall eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist, gibt es auch eine Entschädigung für die immateriellen Nachteile (§ 198 Abs. 2 Satz 1 und 2 GVG) — grundsätzlich € 1.200 für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 und 4 GVG).

Hinweis zur neuen Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess

Seit der Einfügung eines neuen § 232 zum 1. Januar 2014 enthält die ZPO nunmehr eine Pflicht des Gerichts zur Belehrung über die gegen eine Entscheidung statthaften Rechtsbehelfe. Diese Pflicht besteht nicht, soweit die Entscheidung in einem Verfahren mit Anwaltszwang (§ 78 ZPO) ergangen ist. Stets jedoch ist über einen Einspruch oder Widerspruch zu belehren oder die Belehrung an einen Zeugen oder Sachverständigen zu richten (§ 232 Satz 2 ZPO n. F.). Neben der vom Gesetzgeber angestrebten „Bürgerfreundlichkeit“353 führt die Neuregelung zu einer Erweiterung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil das Fehlen des Verschuldens der Prozesspartei vermutet wird, wenn die Belehrung unterblieben oder fehlerhaft ist (§ 233 Satz 2 ZPO n. F.).354

350 OVG Magdeburg NVwZ 2013, 1637 (1640). 351 Näher Christine Steinbeiß-Winkelmann/Georg Ott: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren,

Köln 2013, § 198 GVG Rdnr.219 ff. 352So auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fußn. 91), § 198 GVG Rdnr. 28; Hüßtege in: Tho-

mas/Putzo (Fußn. 27), § 198 GVG Rdnr. 5; anders jedoch Neff in: Prütting/Gehrlein (Fußn. 326), § 198 GVG Rdnr. 5.

353 Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess, BT-Drs. 17/10490, S. 1.

354 Ausführlich: Thorsten Süß: Die Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess, Jura 2013, 1206 ff.

— 197 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Zu den Sachurteilsvoraussetzungen

ZU DEN SACHURTEILSVORAUSSETZUNGEN 355

Bei den Sachurteilsvoraussetzungen (Prozessvoraussetzungen) muss man von den drei Grundbegriffen des Prozessrechtsfalls ausgehen, die sich aus § 253 Abs. 2 ZPO

ergeben:

A. Gericht

B. Parteien

C. Streitgegenstand

Dementsprechend gibt es:

A. Gerichtsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen

B. Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen

C. Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen

A. Gerichtsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Drei Arten

1. Deutsche Gerichtsbarkeit § 18 – § 20 GVG in Verbindung mit Völkervertrags- und Völkergewohnheits-recht (Art. 25 GG)

2. Zulässigkeit des Zivilrechtsweges a) Abgrenzungsnormen: § 13 GVG — § 40 VwGO — Achtung: Zuweisung öffent-lich-rechtlicher Streitigkeiten in den Zivilrechtsweg: Art. 14 Abs. 3 Satz 4, Art. 34 Satz 3 GG b) Verfahren der Zivilgerichte: §§ 17 ff. GVG

3. Zuständigkeit: Vier Zuständigkeitsarten a) Sachliche Zuständigkeit: § 1 ZPO, §§ 23, 71 GVG b) Örtliche Zuständigkeit: Gerichtsstand, §§ 12 ff. ZPO c) Internationale Zuständigkeit d) Funktionelle Zuständigkeit

355 Hierzu Schumann (Fußn. 1), Rdnr. 146 – 229.

— 198 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Zu den Sachurteilsvoraussetzungen

B. Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Sechs Fragen

1. Wer ist Partei?

2. Die Existenz der Parteien

3. Parteifähigkeit: § 50 ZPO356

4. Prozessfähigkeit: §§ 51 ff. ZPO357

5. Handeln anderer Personen für die Partei – Postulationsfähigkeit

6. Prozessführungsbefugnis – Prozessstandschaft – Partei kraft Amtes

C. Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Drei Arten

1. Fehlende Rechtskraft

2. Fehlende Rechtshängigkeit

3. Durchführung des obligatorischen Güteverfahrens, soweit landesgesetz-lich vorgesehen (§ 15 a EGZPO)358

356 Hierzu Michael Huber: Grundwissen – Zivilprozessrecht: Partei- und Prozessfähigkeit, JuS 2010, 201. 357 Hierzu Huber (Fußn. 356), JuS 2010, 201. 358 Bayerisches Schlichtungsgesetz, ZIEGLER Nr. 660 sowie SCHÖNFELDER ERGÄNZUNGSBAND Nr. 104 a.

— 199 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Schwerpunkte der Fälle

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SCHWERPUNKTE DER FÄLLE

ARM IST NICHT RECHTSSCHUTZLOS

FALL 1: ARM ALS FREIBERUFLER S. 7

Fallaufbau (insbesondere Trennungsgrundsatz), Zuständigkeit, Bestimmt-heit des Schmerzensgeldanspruches, objektive Anspruchshäufung, Streit-genossenschaft, Versäumnisurteil, Schlüssigkeitsprüfung.

Gefährdungshaftung nach dem StVG, Deliktshaftung.

FALL 2: ARM ALS ARBEITNEHMER S. 33

Cessio legis, Versäumnisurteil, Schlüssigkeitsprüfung, Rechtsbehelfe, Anerkenntnisurteil.

Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes.

FALL 3: ARM UND DIE BEWEISAUFNAHME S. 55

Objektive und subjektive Beweislast, non liquet.

FALL 4: ARMS ARBEITGEBER MISCHT MIT S. 58

Beteiligung Dritter am Rechtsstreit, Parteiänderung, (gewillkürter) Partei-wechsel, Parteibeitritt.

FALL 5: ARM UND DAS AMTSGERICHT NÜRNBERG S. 67

Grundsatz der Meistbegünstigung.

FALL 6: ARM UND DER BUSUNFALL S. 71

Gefährdungshaftung nach dem StVG, Haftungshöchstbeträge, Anspruchs-kürzung.

ALOYS GAMMLER , UHRMACHER ZEIGER UND EINE ALTE ENGLISCHE

STANDUHR

FALL 7: GAMMLER ZAHLT UND BLITZ SOWIE DIE ALLERLEI GMBH HABEN GEPFÄNDET

S. 89

Vollstreckungsrechtlicher Prioritätsgrundsatz, Sachpfändung, Rechtspfän-dung, Pfändung eines Anwartschaftsrechts, Verfügungsverbot (§ 829

— 200 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Schwerpunkte der Fälle

© Regensburg 2014

Abs. 1 Satz 2 ZPO), Drittwiderspruchsklage, Klage auf vorzugsweise Be-friedigung.

FALL 8: GAMMLER ZAHLT NICHT UND DIE UHR WIRD VERSTEIGERT

S. 125

Pfändungsvoraussetzungen, Vollstreckungsabwehrklage, Vollstreckungs-bescheid.

Eigentumserwerb bei Versteigerung, Finanzierungshilfen zwischen Unter-nehmer und Verbraucher.

FALL 9: GAMMLER UND DER VERSTEIGERUNGS-ÜBERSCHUSS

S. 139

Traditionsprinzip, Surrogationsprinzip, Kondiktion.

FALL 10: GAMMLER UND SEIN GEPFÄNDETES GIROKONTO S. 143

Pfändung von Kontoguthaben, Schutz des Kontoinhabers.

FRAU SCHÖN UND IHRE PROBLEME MIT DEM FALSUS PROCURATOR

FALL 11: FRAU SCHÖNS AMNESIE S. 157

Zuständigkeit, Beweislast, Rechtsbegriffe und Tatsachen.

Vertretung, Haftung des Vertreters, Anfechtung.

FALL 12: FRAU SCHÖN UND DAS FEHLENDE EIGENTUM DES ZEIGER

S. 167

Prozessführungsbefugnis, Prozessführungsbefugnis bei Gütergemein-schaft, notwendige Streitgenossenschaft, Bestreiten von Tatsachen, Partei-änderung.

Aktivlegitimation, Einziehungsermächtigung.

FALL 13: FRAU SCHÖN UND DIE ERFÜLLUNG NACH KLAGEERHEBUNG

S. 175

Klagerücknahme, Klageverzicht, Erledigung der Hauptsache.

FALL 14: ZEIGER GEGEN DIE ZEIT S. 187

Rechtsbehelfe gegen überlange Verfahrensdauer. Verzögerungsrüge, Anhörungsrüge, Gegenvorstellung, Verfassungsbeschwerde, Menschen-rechtsbeschwerde. Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

— 201 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

GLOSSAR: AUSGEWÄHLTE BEGRIFFE AUS DEM

ZIVILPROZESSRECHT

Der Pfeil (�) verweist auf andere Begriffe in dieser Tabelle; die Seitenangaben bezie-hen sich auf das Skriptum.

Begriff Seite Erklärung oder Definition Anerkenntnis(urteil) 53 Erklärung des Beklagten an das Gericht, dass der

vom Kläger geltend gemachte Anspruch besteht, vgl. § 307 Satz 1 ZPO.

Anhörungsrüge 188 Gesetzlich geregelter Rechtsbehelf (§ 321a ZPO) innerhalb der Instanz zur Rüge einer Verletzung des Grundrechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Anspruchshäufung (auch objektive Klagehäufung, Streitgegenstandshäufung)

22, 30, 44, 48

Sie liegt vor, wenn der Kläger unterschiedliche prozessuale Ansprüche - mehrere � Streitgegen-stände - in einer Klage verbindet (§ 260 ZPO).

Antragsgrundsatz Fußn. 8

Arrestatorium 115 Vom Gericht gegenüber dem � Drittschuldner ausgesprochenes Verbot, an den Vollstreckungs-schuldner zu zahlen („Zahlungsverbot“, § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Wird immer zugleich mit dem � Inhibitorium genannt.

Beschwerde (sofortige Be-schwerde — Rechtsbe-schwerde)

189 Gerichtlicher Rechtsbehelf, mit dem eine Ent-scheidung oder Maßnahme durch die nächsthö-here Instanz nachgeprüft wird (§§ 567 ff.; §§ 574 ff. ZPO)

Bestimmtheitserfordernis 13, 36 Erfordernis der bestimmten Angabe des Gegen-standes und des Grundes des geltend gemachten Anspruchs (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Beweislast (objektive) 25, 36 Wer sich auf eine Norm beruft, trägt regelmäßig das Beweisrisiko. Das Gericht wendet grund-sätzlich keine Norm an, wenn deren tatsächliche Voraussetzungen nicht bewiesen sind (� „non liquet“).

Beweislast (subjektive) 25, 165 (Behauptungslast, Beweisführungslast) Oblie-genheit einer Partei, für sie günstige Tatsachen zu behaupten.

— 202 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition cessio legis (Legalzession) 36 ff., 64,

75 Gesetzlicher Forderungsübergang, z. B. § 116 SGB X, § 426 Abs. 2 BGB, § 86 VVG.

Devolutiveffekt � Rechtsmittel.

dingliche Surrogation 105 f., 122 f.

Eine Art des gesetzlichen Eigentumserwerbs, z. B. § 1287 BGB, § 848 Abs. 2 Satz 2 ZPO

Dispositionsgrundsatz Fußn. 8 Herrschaft der Parteien über den Streitgegen-stand.

Doppelpfändungstheorie 100 f., 105,

112 ff., 116 f.

Um durch Pfändung des Anwartschaftsrechts zu einer Verwertung der Sache zu kommen, muss der Vollstreckungsgläubiger sowohl den Weg der Rechtspfändung des Anwartschaftsrechts (gemäß § 857 ZPO) als auch den Weg der Sach-pfändung der Sache gehen.

Drittschuldner 100, 108, 146

(§ 829 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Schuldner des � Vollstreckungsschuldners.

Einlassungsfrist 25, 45 Zeitraum zwischen der Zustellung der Klage-schrift und dem Termin zur mündlichen Ver-handlung; muss mindestens zwei Wochen betra-gen (§ 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

Einspruch 51, 56 f., 68

Rechtsbehelf gegen Versäumnisurteil (§ 338 ZPO).

Endurteil 49, 56 f., 68

Urteil, das den Rechtstreit abschließend für eine Instanz erledigt (§ 300 ZPO).

Erledigung der Hauptsache (einseitige Erledigungserklä-rung)

179, 183 Hierdurch kann der Kläger eine Klageabweisung und eine Kostentragung dann vermeiden, wenn seine zulässige und begründete Klage unzulässig oder unbegründet geworden ist; die h. L. und Praxis behandeln diese Erklärung als Klageände-rung in einen Feststellungsantrag nach § 264 ZPO (� Klageänderungstheorie).

Erledigung der Hauptsache (beiderseitige [übereinstim-mende] Erledigungserklä-rung)

179, 183 Beide Parteien gemeinsam beenden den Prozess durch ihre deckungsgleichen Parteihandlungen; die Rechtshängigkeit der Klage erlischt bis auf die Kostenfrage, über die das Gericht durch Be-schluss entscheidet, § 91a Abs. 1 ZPO.

Gegenvorstellung 191 Gesetzlich nicht geregelter Rechtsbehelf inner-halb der Instanz zur Korrektur unanfechtbarer Entscheidungen (Aber: BVerfG: Gegenvorstel-lung gehört nicht zum Rechtsweg im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

— 203 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition Gesamthandsklage 173 Klage auf Leistung aus dem Gesamtgut; der

Kläger muss sämtliche Beteiligte der Gesamthandsgemeinschaft gemeinschaftlich verklagen (z. B. eheliche Gütergemeinschaft, Erbengemeinschaft).

Gesamtschuldklage 173 Klage auf Leistung aus einer Gesamtschuld; der Kläger kann (anders als bei der � Gesamthandsklage) jeden Gesamtschuldner einzeln verklagen.

Inhibitorium 115 Anordnung des Gerichts im Rahmen des Pfän-dungsbeschlusses an den � Vollstreckungs-schuldner, sich jeder Verfügung über die Forde-rung zu enthalten, insbesondere sie nicht vom � Drittschuldner einzuziehen („Verfügungsver-bot“, § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Wird immer zugleich mit dem � Arrestatorium genannt.

Klageänderungstheorie 62, 185 Die Klageänderungstheorie wird angewendet, um Lücken in der ZPO über das Institut der Kla-geänderung zu lösen. Bei der gewillkürten � Parteiänderung und bei der einseitigen Erklä-rung der � Erledigung der Hauptsache erfolgt die Lösung über die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Klageänderung (§§ 263 f. ZPO).

Klagerücknahme 178, 182, 184

Die Rücknahme der Klage ist nur in den Gren-zen des § 269 ZPO möglich. Ist die Klagerück-nahme wirksam, wird der Prozess als „nicht an-hängig geworden“ angesehen (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

— 204 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition Klagerücknahmetheorie 184 Die Klagerücknahmetheorie wird angewendet,

um Lücken in der ZPO über das Institut der � Klagerücknahme zu lösen. Bei der einseitigen Erklärung der � Erledigung der Hauptsache und bei der gewillkürten � Parteiänderung erfolgt die Lösung über die entsprechende Anwendung der Vorschriften über den § 269 ZPO. Bei einer einseitigen Erledigungserklärung ist im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschriften über die Klagerücknahme vom Einwilligungser-fordernis (§ 269 Abs. 1 ZPO) und von der Kostentragungspflicht (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO) des Klägers abzusehen. Die Lösung der Probleme des Parteiwechsels über die Klagerücknahmetheorie (Rücknahme der alten Klage und Erhebung einer neuen Klage) wird heute nicht mehr für richtig gehalten.

Klausel (Vollstreckungs-klausel)

129 Ein amtliches Zeugnis, dass der � Vollstre-ckungstitel vollstreckbar ist. (Grundsätzlich Vo-raussetzung der Zwangsvollstreckung.)

kontradiktorisches (streiti-ges) Urteil

30, 49, 68

Urteil, das aufgrund einer gerichtlichen Prüfung und nicht aufgrund der Säumnis einer Partei ergeht.

Menschenrechtsbeschwerde 193 so-wie

Fußn. 325

Nach Art. 34 Satz 1 EMRK können die Bürger der Vertragsstaaten der EMRK den EGMR we-gen der Verletzung von Konventionsrechten durch einen der Vertragsstaaten anrufen.

Nebenintervention (Streithil-fe)

61, 65 Beitritt eines Dritten (Nebenintervenient, Streit-helfer) in einen bereits anhängigen Prozess zur Unterstützung einer Partei (§ 66 ZPO).

non liquet 164 Trotz Beweiserhebung lässt sich das Vorliegen einer Tatsache nicht klären; der Beweis ist nicht erbracht (� Beweislast [objektive]).

notwendige Streitgenossen 24, 173 Wenn aus Rechtsgründen nur eine einheitliche Entscheidung gegen alle � Streitgenossen zuläs-sig ist (§ 62 ZPO).

Parteiänderung 60 f. Veränderungen der prozessualen Stellung eines Beteiligten — Oberbegriff für � Parteiwechsel und � Parteierweiterung (Parteibeitritt).

Parteiänderung (gesetzliche) 60 Aufgrund gesetzlicher Regelung stattfindender Parteiwechsel, z. B. § 239, § 265 ZPO.

— 205 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition Parteiänderung (gewillkürte) 60 f. Auf dem Willen der Parteien beruhende Partei-

änderung. Sie kann zum � Parteiwechsel oder zur � Parteierweiterung führen.

Parteierweiterung (auch Par-teibeitritt)

61, 173 Ein weiterer Kläger oder Beklagter tritt in einen Prozess bei; Folge: � Streitgenossenschaft.

Parteiwechsel 62 Liegt vor, wenn eine neue Partei an Stelle einer ausscheidenden Partei in den Rechtsstreit ein-tritt; das bisherige Prozessrechtsverhältnis bleibt dabei erhalten.

Präklusion (Ausschluss) Fußn. 288

Eine Partei kann mit ihrem tatsächlichen Vor-bringen präkludiert sein, wenn sie es nicht recht-zeitig vorgetragen hat (§§ 282, 296 ZPO).

Prioritätsprinzip (auch Prä-ventionsprinzip)

122 Das durch eine frühere Pfändung begründete Pfandrecht geht demjenigen, das durch eine spä-tere Pfändung begründet wird, vor (§ 804 Abs. 3 ZPO).

Prorogation (auch Zustän-digkeitsvereinbarung)

159 Vereinbarung zwischen den Parteien über die örtliche, sachliche oder internationale Zustän-digkeit des Gerichts (§ 38 ZPO).

Prozessführungsbefugnis 169, 171 Die prozessuale Befugnis, über das durch Klage geltend gemachte Recht in eigenem Namen als Kläger oder Beklagter einen Rechtstreit zu füh-ren. Der Begriff ist vom Begriff der Aktivlegiti-mation (� Sachlegitimation) strikt zu trennen.

Prozessstandschaft (gewill-kürte) — Prozessermächti-gung

169 Die Befugnis, ausnahmsweise ein fremdes Recht im eigenen Namen im Prozess geltend zu ma-chen. Grundlage ist eine Ermächtigung des Rechtsträgers.

Rechtsbehelf 51 f., 188 ff., 68,

112, 136

Oberbegriff für die verschiedenen Mittel zur Anfechtung von gerichtlichen Entscheidungen oder Maßnahmen (z. B. Berufung, § 511 ZPO; � Einspruch, § 338 ZPO; � Widerspruch, § 924 ZPO, � Anhörungsrüge, § 321a ZPO; � Verzö-gerungsrüge, § 198 Αbs. 3 GVG). Nicht jeder Rechtsbehelf stellt ein � Rechtsmittel dar.

Rechtskraft (materielle und formelle)

Fußn. 238

Materielle Rechtskraft des Urteils bedeutet die Maßgeblichkeit der gerichtlichen Entscheidung für die vom Urteil betroffenen Parteien. Formel-le Rechtskraft erlangt ein Urteil, sobald es nicht mehr angefochten werden kann.

— 206 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition Rechtsmittel 68 f. � Rechtsbehelf, der den Rechtsstreit in die

nächsthöhere Instanz zu bringt (Devolutiveffekt) und der die � Rechtskraft des Urteils hemmt (Suspensiveffekt). Rechtsmittel in der ZPO sind: Berufung, Revision und Beschwerde.

Sachlegitimation (Aktiv- oder Passivlegitimation)

38, 46, 64, 170 f.

Sie ist ein materiell-rechtlicher Begriff und be-trifft das Zustehen eines Rechts. Die Aktivlegiti-mation besitzt, wer Inhaber eines (z. B. im Pro-zess geltend gemachten) Rechtes ist. Die Passiv-legitimation einer Person liegt vor, wenn gegen sie ein Anspruch besteht. Die Sachlegitimation ist scharf vom prozessualen Begriff der � Pro-zessführungsbefugnis zu trennen.

Schlüssigkeit der Klage 25 ff., 46 Sie ist gegeben, wenn das tatsächliche Vorbrin-gen des Klägers den Klageantrag rechtfertigt (vgl. § 331 Abs. 2 [1. Alternative] ZPO). Die Schlüssigkeit der Klage ist von der Begründet-heit der Klage zu unterscheiden.

Statthaftigkeit 188, 197 Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs, Prozesshandlungen der Parteien sowie Gerichtsentscheidungen� Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs im Unterschied zur Unstatthaftigkeit.

Streitgegenstand 11, 14, 35, 65, 79, 180,

197, Fußn. 4

Prozessualer Anspruch. Arm macht fünf Streit-gegenstände im Wege der � Anspruchshäufung (Streitgegenstandshäufung, § 260 ZPO) geltend: Anzug, Fahrrad, Heilungskosten, Verdienstaus-fall, Schmerzensgeld, siehe Fall 1.

Streitgenossenschaft (auch subjektive Klagehäufung)

24, 172 Mehrheit von Parteien auf Kläger- oder Beklagtenseite (§§ 59 ff. ZPO).

Suspensiveffekt � Rechtsmittel

Titel (Vollstreckungstitel) 129 Öffentliche Urkunde, aus der sich ergibt, dass ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch mit Hilfe der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann (z. B. Endurteil [§ 704 ZPO], Pro-zessvergleich [§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO]).

Überlange Verfahrensdauer 189 Unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK).

— 207 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition Unzulässigkeit eines Rechts-behelfs im Unterschied zur Unstatthaftigkeit

197 „Unstatthaftigkeit“: Rechtsbehelf steht nach der Prozessordnung überhaupt nicht zur Verfügung,

„Unzulässigkeit“: Rechtsbehelf steht grundsätz-lich zur Verfügung, aber es fehlt eine Zulässig-keitsvoraussetzung.

Verfassungsbeschwerde 191 Verfassungsbeschwerde zum Bayerischen Ver-fassungsgerichtshof sowie zum Bundesverfas-sungsgericht sind parallel möglich („Doppelspurigkeit“ des verfassungsgerichtli-chen Rechtsschutzes)

Verhandlungsgrundsatz 16 und Fußn. 8

Herrschaft der Parteien über den Tatsachenstoff, vgl. § 138 Abs. 3 und § 288 Abs. 1 ZPO.

Versäumnisurteil 23 ff., 45, 51, 54, 56, 68

Sachurteil in einem Verfahren, in welchem eine Partei nicht verhandelt hat (Säumnis des Klä-gers, § 330 ZPO; Säumnis des Beklagten, § 331 ZPO). Gegensatz: � kontradiktorisches Urteil.

Verstrickung 95 ff., 103, 122,

133

Staatliche Beschlagnahme der Sache; sie ent-zieht dem Vollstreckungsschuldner die Verfü-gungsbefugnis über die Sache.

Verzicht auf Klage (auch Klageverzicht)

178, 182 Erklärung des Klägers an das Gericht, dass er den geltend gemachten Anspruch aufgibt (§ 306 ZPO). Folge: Verzichtsurteil (Sachabweisung).

Verzögerungsrüge 189 Neu eingeführter Rechtsbehelf (§§ 198 ff. GVG). Richter und Staatsanwälte sollen durch die Verzögerungsrüge angehalten werden, eine überlange Verfahrensdauer zu verhindern.

Vollstreckbarkeit des Urteils Fußn. 242

Die Vollstreckbarkeit des Urteils ist von der ma-teriellen � Rechtskraft zu unterscheiden.

Vollstreckungsabwehrklage 136 ff.

Rechtsbehelf des Vollstreckungsschuldner, mit dem er Einwendungen geltend machen kann, die nach der letzten mündlichen Verhandlung ent-standen sind (§ 767 ZPO). Die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil kann auf diese Weise für unzulässig erklärt werden (vgl. § 775 Nr. 1 ZPO), � auch Vollstreckbarkeit.

Vollstreckungsgläubiger 96, 101, 109 ff.,

131, 140

Derjenige, der die Zwangsvollstreckung betreibt.

— 208 — Prof. Dr. Ekkehard Schumann (Regensburg) Repetitorium zum Zivilprozessrecht WS 2013/2014

Ausgewählte im Skriptum verwendete Begriffe

Begriff Seite Erklärung oder Definition Vollstreckungsschuldner 95 f., 99,

103, 108, 112 ff.,

131, 133

Derjenige, gegen den vollstreckt wird.

Widerspruch 63, 115, 118

� Rechtsbehelf gegen gerichtliche Maßnahmen, z. B. gegen Mahnbescheid (§ 694 ZPO), gegen Arrestbefehl (§ 924 Abs. 1 ZPO) oder gegen einstweilige Verfügung (§§ 936, 924 Abs. 1 ZPO).