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730 WISSENSCHAFT BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang EVA M. HUBER, MICHAEL GROLL CENTER FOR INTEGRATED PROTEIN SCIENCE AT THE DEPARTMENT CHEMIE, LEHRSTUHL FÜR BIOCHEMIE, TU MÜNCHEN Proteasomes cut proteins to peptides. The fragments generated by con- stitutive proteasomes mainly serve for the de novo synthesis of proteins, whereas most peptides produced by immunoproteasomes are antigens. These pivotal functions qualify proteasomes as drug targets. Kyprolis ® , a derivative of the natural product epoxomicin, blocks all proteasome types and is approved to treat multiple myeloma. By contrast, immunoprotea- some-selective compounds represent promising drugs for autoimmune diseases. DOI: 10.1007/s12268-013-0383-0 © Springer-Verlag 2013 ó Die Hauptaufgabe des Proteasoms ist der Abbau von fehlgefalteten, beschädigten oder überflüssigen Proteinen zu Peptiden (Abb. 1). Der aus 28 Untereinheiten beste- hende Proteinkomplex ist für eine Vielzahl zellulärer Vorgänge, u.a. die Zellteilung und -differenzierung, verantwortlich und damit in Eukaryoten unabdingbar. Wirbeltiere haben im Laufe der Evolution drei Proteasomtypen entwickelt: das konstitutive, das Immuno- und das Thymusproteasom [1]. Sie unterscheiden sich in ihren proteolytisch aktiven Zentren, den Untereinheiten β1, β2 und β5, und somit in ihrer Spaltpräferenz und dem Produkt- spektrum der resultierenden Peptide. Diese Spezialisierung ermöglicht die Erfüllung ver- schiedener Funktionen. Das konstitutive Proteasom ist in nahezu allen Zelltypen vorhanden und bewältigt den Großteil des Proteinrecyclings für die Neu- synthese von Polypeptiden. Im Gegensatz dazu beschränkt sich die Expression des Immunoproteasoms im Wesentlichen auf Immunzellen. Zytokine, die während einer viralen Infektion ausgeschüttet werden, kön- nen jedoch in allen Zellen die Synthese des Immunoproteasoms und der MHC(major his- tocompatibility com- plex)-Klasse-I-Mole- küle stimulieren. Die MHC-Rezeptoren werden bevorzugt mit den Spaltpro- dukten des Immuno- proteasoms beladen und präsentieren diese als Antigene auf der Zelloberflä- che (Abb. 1). Erken- nen zytotoxische T- Zellen des Immun- systems dabei virale Peptide, so zerstören sie die befallene Zel- le. Auch der dritte Proteasomtyp, das Thymusproteasom, spielt eine essenziel- le Rolle für das Immunsystem. Das Spaltmuster des Thy- musproteasoms unterscheidet sich deutlich von dem der Medikamentenentwicklung Proteasominhibitoren – von der Grundlagenforschung in die Klinik ˚ Abb. 1: Biologische Relevanz des Proteasoms. Das Proteasom spaltet Proteine zu Peptiden. Peptidasen zerlegen die Frag- mente weiter zu einzelnen Aminosäuren, welche für die de novo-Synthese von Polypeptiden genutzt werden. Alternativ kön- nen die Spaltprodukte des Proteasoms an MHC-I-Moleküle binden. Die MHC-I:Peptidkomplexe werden auf der Zelloberfläche präsentiert und stimulieren Immunantworten.

Proteasominhibitoren — von der Grundlagenforschung in die Klinik

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730 WISSENSCHAFT

BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang

EVA M. HUBER, MICHAEL GROLL

CENTER FOR INTEGRATED PROTEIN SCIENCE AT THE DEPARTMENT CHEMIE,

LEHRSTUHL FÜR BIOCHEMIE, TU MÜNCHEN

Proteasomes cut proteins to peptides. The fragments generated by con-stitutive proteasomes mainly serve for the de novo synthesis of proteins,whereas most peptides produced by immunoproteasomes are antigens.These pivotal functions qualify proteasomes as drug targets. Kyprolis®, aderivative of the natural product epoxomicin, blocks all proteasome typesand is approved to treat multiple myeloma. By contrast, immunoprotea-some-selective compounds represent promising drugs for autoimmunediseases.

DOI: 10.1007/s12268-013-0383-0© Springer-Verlag 2013

ó Die Hauptaufgabe des Proteasoms istder Abbau von fehlgefalteten, beschädigtenoder überflüssigen Proteinen zu Peptiden

(Abb. 1). Der aus 28 Untereinheiten beste-hende Proteinkomplex ist für eine Vielzahlzellulärer Vorgänge, u. a. die Zellteilung und

-differenzierung, verantwortlich und damit inEukaryoten unabdingbar. Wirbeltiere habenim Laufe der Evolution drei Proteasomtypenentwickelt: das konstitutive, das Immuno- unddas Thymusproteasom [1]. Sie unterscheidensich in ihren proteolytisch aktiven Zentren,den Untereinheiten β1, β2 und β5, und somitin ihrer Spaltpräferenz und dem Produkt-spektrum der resultierenden Peptide. DieseSpezialisierung ermöglicht die Erfüllung ver-schiedener Funktionen.

Das konstitutive Proteasom ist in nahezuallen Zelltypen vorhanden und bewältigt denGroßteil des Proteinrecyclings für die Neu-synthese von Polypeptiden. Im Gegensatzdazu beschränkt sich die Expression desImmunoproteasoms im Wesentlichen aufImmunzellen. Zytokine, die während einerviralen Infektion ausgeschüttet werden, kön-nen jedoch in allen Zellen die Synthese desImmunoproteasoms und der MHC(major his-

tocompatibility com-plex)-Klasse-I-Mole-küle stimulieren. DieMHC-Rezeptorenwerden bevorzugtmit den Spaltpro-dukten des Immuno-proteasoms beladenund präsentieren diese als Antigeneauf der Zelloberflä-che (Abb. 1). Erken-nen zytotoxische T-Zellen des Immun-systems dabei viralePeptide, so zerstörensie die befallene Zel-le. Auch der dritteProteasomtyp, dasThymusproteasom,spielt eine essenziel-le Rolle für dasImmunsystem. DasSpaltmuster des Thy-m u s p r o t e a s o m sunterscheidet sichdeutlich von dem der

Medikamentenentwicklung

Proteasominhibitoren – von der Grundlagenforschung in die Klinik

˚ Abb. 1: Biologische Relevanz des Proteasoms. Das Proteasom spaltet Proteine zu Peptiden. Peptidasen zerlegen die Frag-mente weiter zu einzelnen Aminosäuren, welche für die de novo-Synthese von Polypeptiden genutzt werden. Alternativ kön-nen die Spaltprodukte des Proteasoms an MHC-I-Moleküle binden. Die MHC-I:Peptidkomplexe werden auf der Zelloberflächepräsentiert und stimulieren Immunantworten.

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beiden anderen Proteasomtypenund ist notwendig für die kor-rekte Entwicklung der zytotoxi-schen T-Zellen [2].

Aufgrund ihrer biologischenBedeutung stellen Proteasomeeinen attraktiven Angriffspunktfür die Medikamentenentwick-lung dar. Die in einem Aktivi-tätsscreening identifizierteDipeptidboronsäure Velcade®(Bortezomib; Abb. 2A) wurde2003 als erster Proteasominhibi-tor für die Behandlung des Mul-tiplen Myeloms, einer Blut-krebsart, zugelassen [3]. Trotzder starken Nebenwirkungen derhochreaktiven Borkopfgruppeavancierte die Verbindung miteinem jährlichen Umsatz vonzwei Milliarden US-Dollar zumBlockbuster. Die atomare Cha-rakterisierung der Proteinkom-plexe aus dem ArchaebakteriumThermoplasma acidophilum [4]und der Bäckerhefe Saccharomy-ces cerevisiae [5] sowie die Iden-tifizierung des Naturstoffs Epo-xomicin [6] leiteten die struktur-basierte Entwicklung einer neu-en Generation von Proteasomin-hibitoren ein. Zur ihr zählt derim Vergleich zu Velcade verträg-lichere Hemmstoff Kyprolis® (Carfilzomib;Abb. 2B), der seit 2012 für die klinischeAnwendung in der Onkologie zugelassen ist.Aktuell konzentriert sich die Wirkstofffor-schung auf die selektive Inhibition einzelnerProteasomsubtypen und die Erschließungneuer Anwendungsmöglichkeiten, insbe-sondere die Therapie von Autoimmuner-krankungen [7]. Mit der Veröffentlichung derKristallstruktur des Immunoproteasoms [8]sind nun die molekularen Grundlagen füreine maßgeschneiderte Entwicklung solcherVerbindungen gegeben.

Naturstoffe als LeitstrukturenDie vielversprechendste Klasse der heutebekannten Proteasominhibitoren, die α′,β′-Epoxyketone, leiten sich von dem NaturstoffEpoxomicin (Abb. 2B) ab. Dieser wurdebereits 1992 aus dem Kulturmedium einesActinomyceten isoliert und zeigte starke zyto-toxische Eigenschaften. Erst sieben Jahre spä-ter wurde erkannt, dass es sich um einen zell-gängigen Proteasominhibitor mit außerge-wöhnlich hoher Spezifität und Inhibitions-

kraft handelt [6]. Die kurz darauf bestimmteKristallstruktur des Hefeproteasoms im Kom-plex mit Epoxomicin lieferte fundamentaleEinblicke in den einzigartigen Inhibitions-und Bindemechanismus [9] und ebnete denWeg für die Weiterentwicklung dieser Leit-verbindung. Im ersten Reaktionsschritt bil-det die funktionelle α′,β′-Epoxyketon-Kopf-gruppe ein reversibles Hemiketal mit demnukleophilen Thr1Oγ des Proteasoms [8],gefolgt von einer irreversiblen Zyklisierungmit dem freien N-Terminus Thr1N der betref-fenden β-Untereinheit zu einem Morpholin-ring (Abb. 2B). Die N-ständige Aminogruppein räumlicher Nähe zum nukleophilen Zen-trum stellt ein Alleinstellungsmerkmal desProteasoms dar, weshalb α′,β′-Epoxyketonenicht mit anderen Proteasen kreuzreagieren.Der einzigartige Reaktionsmechanismus ver-hindert also unspezifische Nebenreaktionenund schafft eine ideale Voraussetzung für einemedizinische Anwendung.

Trotzdem erforderte es jahrelange Investi-tionen von Akademie und Industrie, um einDerivat für die Anwendung am Patienten zu

entwickeln. Unzählige klinische Studienuntersuchten die medizinischen Vor- undNachteile des Epoxomicin-Analogons Carfil-zomib. Im Juli 2012 schließlich wurde Carfil-zomib unter dem Handelsnamen Kyprolis®für die Behandlung von Patienten mit Multi-plem Myelom zugelassen [10]. Mit der Ver-marktung von Kyprolis® wurde nach 20 Jah-ren eine Idee der Grundlagenforschung zumErfolg geführt.

Immunoproteasom-spezifischeEpoxomicin-DerivateWie aktuelle Forschungsarbeiten zeigen, istdie Entwicklung von neuen Proteasominhi-bitoren jedoch noch lange nicht abgeschlos-sen. So identifizierte die Firma Onyx Pharmaceuticals in einem Hochdurchsatz-Screening von synthetischen Epoxomicin-Derivaten den Liganden ONX 0914 (PR-957;Abb. 2B). Während Velcade und Kyprolissowohl das konstitutive als auch das Immu-noproteasom hemmen, ist ONX 0914 spezi-fisch gegen das Immunoproteasom gerichtet[11]. Aufgrund dieser erhöhten Selektivität

˚ Abb. 2: Strukturen und Bindemechanismen der Boronsäureinhibitoren und α′,β′-Epoxyketone. A, Die reversi-bel bindende Boronsäure Velcade® wurde als erster Proteasominhibitor für die Behandlung des Multiplen Mye-loms zugelassen. B, Derivate des Naturprodukts Epoxomicin bilden eine neue Generation irreversibler Protea-somhemmstoffe: Während Kyprolis® bereits als Zyto statikum verwendet wird, befindet sich der Immunoprotea-som-spezifische Inhibitor ONX 0914 gegenwärtig in präklinischer Phase für die Behandlung von Autoimmun-und Entzündungser krankungen [7].

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besitzt ONX 0914 immunsupprimierendeEigenschaften, ist jedoch nicht anti-kanzero-gen. Die therapeutische Wirksamkeit beiAutoimmunerkrankungen, wie z. B. rheuma-toider Arthritis, konnte bereits in mehrerenpräklinischen Studien nachgewiesen werden[11, 12].

Die strukturelle Ursache für die Immuno-proteasomselektivität von ONX 0914 konntevor Kurzem auch mittels Röntgenstruktur -analyse geklärt werden [8]. Die Kristall-strukturen des konstitutiven sowie des Immu-noproteasoms der Maus zeigen in den β5-Untereinheiten eine unterschiedliche räum-liche Ausrichtung der Aminosäurereste Met-45 und Ile-35 sowie weitere strukturelleUnterschiede (Abb. 3). Dies ermöglicht einestarke Bindung der raumfordernden Pheny-lalanin-Seitenkette von ONX 0914 an die β5-Untereinheit des Immunoproteasoms, nichtjedoch an die des konstitutiven Proteasoms.Diese Erkenntnis erlaubt die gezielte Ent-wicklung von anderen Epoxomicin-Derivatenmit hoher Selektivität für einzelne Protea-somtypen sowie die Optimierung von ONX0914 für die Behandlung von Autoimmun-und chronischen Entzündungserkrankungen.

Die beispielhafte Entwicklung der α′,β′-Epoxyketone vom Naturstoff zum zugelasse-nen Medikament beruht auf einer gelunge-nen Kooperation von Akademie und pharma-zeutischer Industrie. Es bleibt mit Spannungabzuwarten, welche Erkenntnisse der Grund-lagenforschung in Zukunft von unterneh-merischer Seite aufgegriffen und zur Anwen-dung geführt werden. ó

Literatur[1] Groettrup M, Kirk CJ, Basler M (2010) Proteasomes inimmune cells: more than peptide producers?Nat Rev Immunol 10:73–78[2] Murata S, Sasaki K, Kishimoto T et al. (2007) Regulationof CD8+ T cell development by thymus-specific proteasomes.Science 316:1349–1353[3] Richardson PG, Hideshima T, Anderson KC (2003)Bortezomib (PS-341): a novel, first-in-class proteasome inhibi-tor for the treatment of multiple myeloma and other cancers.Cancer Control 10:361–369[4] Löwe J, Stock D, Jap B et al. (1995) Crystal structure of the20S proteasome from the archaeon T. acidophilum at 3.4 Åresolution. Science 268:533–539[5] Groll M, Ditzel L, Löwe J et al. (1997) Structure of 20S pro-teasome from yeast at 2.4 Å resolution. Nature 386:463–471[6] Meng L, Mohan R, Kwok BH et al. (1999) Epoxomicin, apotent and selective proteasome inhibitor, exhibits in vivoantiinflammatory activity. Proc Natl Acad Sci USA 96:10403–10408[7] Huber EM, Groll M (2012) Inhibitors for the immuno- andconstitutive proteasome: current and future trends in drugdevelopment. Angew Chem Int Ed Engl 51:8708–8720[8] Huber E, Basler M, Schwab R et al. (2012) Immuno- andconstitutive proteasome crystal structures reveal differencesin substrate and inhibitor specificity. Cell 148:727–738

[9] Groll M, Kim KB, Kairies N et al. (2000) Crystal structureof epoxomicin: 20S proteasome reveals a molecular basis forselectivity of α′,β′--epoxyketone proteasome inhibitors. J Am Chem Soc 122:1237–1238[10] Fostier K, De Becker A, Schots R (2012) Carfilzomib: anovel treatment in relapsed and refractory multiple myeloma.Onco Targets Ther 5:237–244[11] Muchamuel T, Basler M, Aujay MA et al. (2009) A selecti-ve inhibitor of the immunoproteasome subunit LMP7 blockscytokine production and attenuates progression of experimen-tal arthritis. Nat Med 15:781–787[12] Basler M, Dajee M, Moll C et al. (2010) Prevention ofexperimental colitis by a selective inhibitor of the immuno-proteasome. J Immunol 185:634–641

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Michael GrollCenter for Integrated Protein Science at theDepartment ChemieLehrstuhl für BiochemieTechnische Universität MünchenLichtenbergstraße 4D-85748 GarchingTel.: 089-289-13361Fax: [email protected]

˚ Abb. 3: Atomare Unterschiede zwischen konstitutivem und Immunoproteasom. Die β5-Unter-einheiten beider Proteasome (links) binden das Epoxomicin-Derivat ONX 0914 (Mitte). Jedoch istdie Affinität des Inhibitors für die Immunoproteasomuntereinheit (β5i) deutlich höher. Im Ver-gleich zur konstitutiven Untereinheit β5c vergrößert die besondere Ausrichtung der AminosäurenIsoleucin-35 und Methionin-45 die Spezifitätstasche des aktiven Zentrums von β5i, sodassONX 0914 bevorzugt bindet (rechts) [8].

AUTORENEva M. HuberJahrgang 1985. 2004–2009 Biochemiestudium an der TU München; dort 2009–2013Promotion (Dr. rer. nat.) am Lehrstuhl für Biochemie über die Kristallstrukturanalysedes Immunoproteasoms.

Michael GrollJahrgang 1971. Chemiestudium an der TU München. 1997 Promotion (Dr. rer. nat.) beiProf. Dr. Huber, Max-Planck-Institut Martinsried. 1998–2007 Postdoc bei Prof. Dr. Fin-ley (Harvard Medical School, Boston), Prof. Dr. Neupert (LMU München) und Prof. Dr.Kloetzel (Charité, Berlin). Seit 2007 Professor für Biochemie an der TU München.