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Oper Orthop Traumatol 2012 · 24:247–262 DOI 10.1007/s00064-012-0187-2 Online publiziert: 30. Juni 2012 © Springer-Verlag 2012 B.M. Holzapfel 1, 2  · H. Pilge 2  · A. Toepfer 2  · R.G. Jakubietz 3  · H. Gollwitzer 2  · H. Rechl 2  ·  R. von Eisenhart-Rothe 2  · M. Rudert 1 1 Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg 2 Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München 3 Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Würzburg Proximaler Tibiaersatz und  alloplastische Rekonstruktion des  Streckapparats nach Resektion  kniegelenksnaher Tumoren Vorbemerkungen Nach dem distalen Femur stellt die proxi- male Tibia die zweithäufigste Lokalisation für Osteosarkome dar [1]. Für ein günsti- ges onkologisches Outcome bei der The- rapie dieser Tumoren sind adäquate Re- sektionsränder von großer Bedeutung. Wurde früher als kurativer Ansatz häu- fig die Amputation der Extremität ange- strebt, werden heute zunehmend Extre- mitäten erhaltende Verfahren bevorzugt, da deren onkologische Ergebnisse durch die Einführung von multimodalen The- rapiekonzepten weitgehend denen der ablativen Verfahren entsprechen [2, 3, 4]. Nach onkologisch adäquater Resektion von malignen Tumoren der proximalen Tibia kommt es fast regelhaft zum Ver- lust von Teilen des Streckapparates, der proximalen gelenkbildenden Tibia und häufig auch des Tibiofibulargelenks. Dies führt unweigerlich zu einem Funktions- und Stabilitätsverlust der betroffenen Ex- tremität. Eine Wiederherstellung der Ge- lenkfunktion gelingt häufig nur durch die Verwendung von Spezialprothesen mit hohem Kopplungsgrad. Das Ausmaß der tibialen Resektion [5], das verwendete Prothesendesign [6, 7] und die Notwen- digkeit der Resektion des Tibiofibularge- lenks [8] sind Faktoren, die das Implantat- survival und das klinische Outcome we- sentlich beeinflussen. Durch die unmittel- bar subkutane Lage der Tibiavorderkante war früher jede Form der endoprotheti- schen Rekonstruktion problematisch, da schon kleinste Hautnekrosen den Thera- pieerfolg durch Protheseninfektionen ge- fährden konnten. Durch die routinemä- ßige Einführung des medialen Gastro- cnemiusschwenklappens zur Weichteil- deckung der Prothese konnten jedoch die zuvor hohen Komplikationsraten signifi- kant gesenkt werden [9]. Für die Rekonstruktion des Streckap- parats stehen je nach Defekttyp verschie- dene Techniken zur Verfügung. Ein noch intaktes Ligamentum patellae kann direkt an der Prothese befestigt werden [10]. Bei fehlendem Ligament oder resezierter Pa- tella kann der Defekt durch Muskelplas- tiken sowie durch Auto- oder Allografts rekonstruiert werden [9, 11, 12, 13, 14, 15, 16]. Diese biologischen Rekonstruktions- verfahren bedürfen einer aufwendigen Nachbehandlung und können bei Ver- wendung eines Autografts mit Beschwer- den im Bereich der Entnahmestelle („do- nor site morbidity“) verbunden sein. Eine komplette Wiederherstellung der aktiven Streckfunktion ist hierbei nur selten mög- lich [17]. Eine mögliche Alternative zu bio- logischen Verfahren ist die Überbrückung des Defekts durch alloplastisches Mate- rial. Nach initial guten Erfahrungen mit textilen Implantaten in der Kreuzband- chirurgie wurden diese zunehmend auch zur Augmentation des Streckapparats in der Revisions- und Tumorendoprothetik eingesetzt [18, 19, 20, 21, 22]. Ein entschei- dender Vorteil dieser Technik ist die ein- fach durchführbare stabile Fixation des Kunstbandes an der Prothese. In-vivo- und In-vitro-Studien konnten zeigen, dass nach 6 Monaten eine komplette Durchset- zung des Kunststoffbands mit Bindegewe- be erfolgt [23]. Bei im Verlauf abnehmen- der mechanischer Belastbarkeit des Bands kann so körpereigenes Gewebe schritt- weise dessen Funktion übernehmen. Eigene biomechanische Untersuchungen konnten zeigen, dass ein Polyethylentere- phtalatband (Kosa® Hochfest früher Tre- vira®, Fa. Telos, Marburg, Germany) min- destens bis zum Abschluss der bindegewe- bigen Adaptation geeignet ist, die Funk- tion des Streckapparats im Alltag sicher- zustellen. Bei dem von uns getesteten und in der klinischen Anwendung befindli- chen textilen Implantat waren Zugkräfte von 2558 N möglich, bevor es zum Ver- sagen kam [24]. Gute klinische Ergebnis- se stützen diese Beobachtung. So ist durch die Kombination von endoprothetischem Tibiaersatz und Kunstband in vielen Fäl- len eine vollständige aktive Extension bei einer Flexion von über 90° möglich [20, 21, 22, 25, 26]. Operationsprinzip und -ziel Ziel der Operation ist die onkologisch adäquate Resektion von Tumoren der proximalen Tibia unter Erhalt der Ex- Redaktion D.C. Wirtz, Bonn Zeichner R. Himmelhan, Heidelberg 247 Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012| Operative Techniken

Proximaler Tibiaersatz und alloplastische Rekonstruktion des Streckapparats nach Resektion kniegelenksnaher Tumoren; Proximal tibial replacement and alloplastic reconstruction of the

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Oper Orthop Traumatol 2012 · 24:247–262DOI 10.1007/s00064-012-0187-2Online publiziert: 30. Juni 2012© Springer-Verlag 2012

B.M. Holzapfel1, 2 · H. Pilge2 · A. Toepfer2 · R.G. Jakubietz3 · H. Gollwitzer2 · H. Rechl2 · R. von Eisenhart-Rothe2 · M. Rudert1

1 Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg2 Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München3 Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische- und

Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Würzburg

Proximaler Tibiaersatz und alloplastische Rekonstruktion des Streckapparats nach Resektion kniegelenksnaher Tumoren

Vorbemerkungen

Nach dem distalen Femur stellt die proxi-male Tibia die zweithäufigste Lokalisation für Osteosarkome dar [1]. Für ein günsti-ges onkologisches Outcome bei der The-rapie dieser Tumoren sind adäquate Re-sektionsränder von großer Bedeutung. Wurde früher als kurativer Ansatz häu-fig die Amputation der Extremität ange-strebt, werden heute zunehmend Extre-mitäten erhaltende Verfahren bevorzugt, da deren onkologische Ergebnisse durch die Einführung von multimodalen The-rapiekonzepten weitgehend denen der ablativen Verfahren entsprechen [2, 3, 4]. Nach onkologisch adäquater Resektion von malignen Tumoren der proximalen Tibia kommt es fast regelhaft zum Ver-lust von Teilen des Streckapparates, der proximalen gelenkbildenden Tibia und häufig auch des Tibiofibulargelenks. Dies führt unweigerlich zu einem Funktions- und Stabilitätsverlust der betroffenen Ex-tremität. Eine Wiederherstellung der Ge-lenkfunktion gelingt häufig nur durch die Verwendung von Spezialprothesen mit hohem Kopplungsgrad. Das Ausmaß der tibialen Resektion [5], das verwendete Prothesendesign [6, 7] und die Notwen-digkeit der Resektion des Tibiofibularge-lenks [8] sind Faktoren, die das Implantat-survival und das klinische Outcome we-sentlich beeinflussen. Durch die unmittel-bar subkutane Lage der Tibiavorderkante

war früher jede Form der endoprotheti-schen Rekonstruktion problematisch, da schon kleinste Hautnekrosen den Thera-pieerfolg durch Protheseninfektionen ge-fährden konnten. Durch die routinemä-ßige Einführung des medialen Gastro-cnemiusschwenklappens zur Weichteil-deckung der Prothese konnten jedoch die zuvor hohen Komplikationsraten signifi-kant gesenkt werden [9].

Für die Rekonstruktion des Streckap-parats stehen je nach Defekttyp verschie-dene Techniken zur Verfügung. Ein noch intaktes Ligamentum patellae kann direkt an der Prothese befestigt werden [10]. Bei fehlendem Ligament oder resezierter Pa-tella kann der Defekt durch Muskelplas-tiken sowie durch Auto- oder Allografts rekonstruiert werden [9, 11, 12, 13, 14, 15, 16]. Diese biologischen Rekonstruktions-verfahren bedürfen einer aufwendigen Nachbehandlung und können bei Ver-wendung eines Autografts mit Beschwer-den im Bereich der Entnahmestelle („do-nor site morbidity“) verbunden sein. Eine komplette Wiederherstellung der aktiven Streckfunktion ist hierbei nur selten mög-lich [17]. Eine mögliche Alternative zu bio-logischen Verfahren ist die Überbrückung des Defekts durch alloplastisches Mate-rial. Nach initial guten Erfahrungen mit textilen Implantaten in der Kreuzband-chirurgie wurden diese zunehmend auch zur Augmentation des Streckapparats in der Revisions- und Tumor endoprothetik

eingesetzt [18, 19, 20, 21, 22]. Ein entschei-dender Vorteil dieser Technik ist die ein-fach durchführbare stabile Fixation des Kunstbandes an der Prothese. In-vivo- und In-vitro-Studien konnten zeigen, dass nach 6 Monaten eine komplette Durchset-zung des Kunststoffbands mit Bindegewe-be erfolgt [23]. Bei im Verlauf abnehmen-der mechanischer Belastbarkeit des Bands kann so körpereigenes Gewebe schritt-weise dessen Funktion übernehmen. Eigene biomechanische Untersuchungen konnten zeigen, dass ein Polyethylentere-phtalatband (Kosa® Hochfest früher Tre-vira®, Fa. Telos, Marburg, Germany) min-destens bis zum Abschluss der bindegewe-bigen Adaptation geeignet ist, die Funk-tion des Streckapparats im Alltag sicher-zustellen. Bei dem von uns getesteten und in der klinischen Anwendung befindli-chen textilen Implantat waren Zugkräfte von 2558 N möglich, bevor es zum Ver-sagen kam [24]. Gute klinische Ergebnis-se stützen diese Beobachtung. So ist durch die Kombination von endoprothetischem Tibiaersatz und Kunstband in vielen Fäl-len eine vollständige aktive Extension bei einer Flexion von über 90° möglich [20, 21, 22, 25, 26].

Operationsprinzip und -ziel

Ziel der Operation ist die onkologisch adäquate Resektion von Tumoren der proximalen Tibia unter Erhalt der Ex-

RedaktionD.C. Wirtz, BonnZeichnerR. Himmelhan, Heidelberg

247Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Operative Techniken

tremität und deren Funktion. Durch die Implantation einer Spezialprothe-se mit Scharniergelenk und die allo-plastische Augmentation des Streck-apparats mit einem textilen Kunst-band können Funktion des Streckap-parats und Stabilität des Kniegelenks wiederhergestellt werden.

Vorteile

FDie endoprothetische Versorgung er-möglicht einen Funktions- und Stabi-litätserhalt der Extremität.

FKeine Knochentransplantation oder zusätzliche Füllmaterialien nötig

FKeine Hebedefektmorbidität wie etwa bei der Rekonstruktion des Streckap-parats durch Autografts (insbesonde-re bei initial unsicherem histopatho-logischem Resektionsstatus)

Abb. 1 8 MRT des Kniegelenks eines 18-jährigen Patienten. a sagittal T1-TSE (turbo-spin-echo). b sagittal T2-TSE. c axial T1 mit Fettsättigung und Kontrastmittel. d axial T2-TSE. e koronar T2-STIR (short-tau inversion recovery). Es zeigt sich eine Raum-forderung des dorsomedialen Tibiakopfs mit einem maximalen transaxialen Durchmesser von 31×43 mm und einer kranio-kaudalen Ausdehnung von 5 cm. Dorsal besteht eine Kortikalisdestruktion mit extraossärer Weichteilkomponente, die in den M. popliteus hineinreicht. Überwiegend T1- und T2-hypointenses Signal der Läsion. Zusätzlich kleinzystische, hyperintense Areale mit angedeuteten Flüssigkeitsspiegeln. A. und V. poplitea sind tumorfrei. Die Abbildung des gesamten Unterschenkels ergibt keinen Hinweis auf „skip lesions“ (e). Röntgenmorphologisch am ehesten vereinbar mit einem Osteosarkom. Diese Ver-dachtsdiagnose wurde im weiteren Verlauf histologisch bestätigt

Abb. 2 9 Planung der Größe der Prothesenkom-ponenten. Die präoperative Bestimmung der tibia-len Osteotomiehöhe erfolgt anhand der Tumor-ausdehnung im MRT. Von der distalen Tumorbe-grenzung sollte ein Sicherheitsabstand zur Osteo-tomiestelle von 3–5 cm eingehalten werden, um eine weite Resektion zu ermöglichen

248 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken

Zusammenfassung · Abstract

Oper Orthop Traumatol 2012 · 24:247–262 DOI 10.1007/s00064-012-0187-2© Springer-Verlag 2012

B.M. Holzapfel · H. Pilge · A. Toepfer · R.G. Jakubietz · H. Gollwitzer · H. Rechl · R. von Eisenhart-Rothe · M. Rudert

Proximaler Tibiaersatz und alloplastische Rekonstruktion des Streckapparats nach Resektion kniegelenksnaher Tumoren

ZusammenfassungOperationsziel. Ziel der Operation ist die onkologisch adäquate Resektion von Tumoren der proximalen Tibia unter Erhalt der Extremität. Durch die Implantation einer Spezialprothese mit Scharniergelenk und die al-loplastische Augmentation des Streckapparats mit einem textilen Kunstband können Funktion und Stabi-lität des Kniegelenks wiederhergestellt werden.Indikationen. Primäre Knochen- oder Weichteilsarko-me. Aggressiv wachsende benigne oder semimaligne Läsionen oder Metastasen (bei Strahlenresistenz und/oder guter Prognose).Kontraindikationen. Schlechter Allgemeinzustand mit eingeschränkter Operationsfähigkeit. Ausgedehn-te Metastasierung mit Lebenserwartung unter 6 Mona-ten. Weitflächige Tumorpenetration durch die Haut. Lo-kaler Infekt oder therapieresistente Osteomyelitis. Man-gelnde Kooperationsbereitschaft. Großer poplitealer extraossärer Tumoranteil mit Befall der neurovaskulä-ren Strukturen.Operationstechnik. Der Hautschnitt reicht vom ante-romedialen Aspekt des distalen Oberschenkels bis et-wa zum distalen Drittel des medialen Unterschenkels. Es erfolgt zunächst die Präparation eines medialen und lateralen fasziokutanen Lappens. Die poplitealen Ge-fäße werden durch einen medialen Zugang dargestellt. Es erfolgt ein Release des Pes anserinus und der Seh-ne des M. semimembranosus. Der mediale Kopf des M. gastrocnemius wird mobilisiert und der M. soleus von der Tibiahinterfläche abgelöst. Ligatur der A. und V. ti-bialis anterior. Ist das Kniegelenk nicht vom Tumor be-fallen, folgt die zirkumferentielle Eröffnung der Gelenk-kapsel. Nach Ablösung des Lig. patellae erfolgt die Os-teotomie des Tibiaschafts entsprechend der präopera-tiven Planung. Um adäquate Resektionsränder zu er-

reichen, muss in einigen Fällen eine En-bloc-Resektion des Tibiofibulargelenks erfolgen. Hierzu wird – abhän-gig von der Resektionshöhe der Fibula – der N. pero-neus dargestellt. Teile des M. tibialis anterior und M. so-leus sowie der M. popliteus verbleiben am Resektat. Vorbereiten der femoralen Oberflächenresektion. Nach Implantation der Prothese erfolgen die Kopplung des femoralen und tibialen Gelenkteils sowie die Rekon-struktion des Streckapparats mit einem Kunstband. Dieses wird transversal durch das distale Ende der Qua-drizepssehne als Schlinge um die Patellabasis geführt und durch das mediale und laterale Retinakulum sub-synovial nach distal geleitet. Beide Enden des Bands werden im Klemmblock des Tibiateils unter Vorspan-nung fixiert. Die abgelösten Sehnen und verbleiben-de Bandstrukturen können an vorgefertigten Ösen der Prothese refixiert werden. Zur Weichteildeckung der ti-bialen Prothese kommt ein medialer Gastrocnemius-muskellappen zum Einsatz.Nachbehandlung. Postoperative Bettruhe und strik-te Hochlagerung des operierten Beins für 5 Tage, dann Lappentraining. Mobilisierung in einer Kniegelenk-schiene in Streckstellung mit Entlastung der Extremi-tät für 6 Wochen. Während dieser Zeit schrittweise Zu-nahme der aktiven Flexion bis 90°, isometrisches Qua-drizepstraining. Danach Beginn mit aktiver Extension, schrittweise Freigabe des Bewegungsumfangs der Schiene um 30° jede 2. Woche. Aufbelastung um 10 kg pro Woche. Thromboseprophylaxe bis zur Vollbelas-tung. Regelmäßige Nachuntersuchungen mit Anamne-se, körperlicher Untersuchung und radiologischer Be-funderhebung. Ausschluss eines Lokalrezidivs und Me-tastasensuche.

Ergebnisse. Zwischen 1988 und 2009 erfolgte bei 17 konsekutiven Patienten (9 Frauen, 8 Männer) mit einem Durchschnittsalter von 31,1 Jahren (11–65 Jah-re) eine endoprothetische Versorgung und alloplasti-sche Rekonstruktion des Streckapparats nach Resek-tion eines Tumors der proximalen Tibia. Im postopera-tiven Verlauf kam es zu keinem Lokalrezidiv. Bis zum Nachuntersuchungszeitpunkt verstarben 5 Patien-ten aufgrund des Tumorleidens. Bei 53,9% der Patien-ten waren im Verlauf ein oder mehrere operative Re-visionseingriffe nötig. Nach Kaplan-Meier lag das Im-plantatsurvival mit dem Endpunkt Prothesenteilwech-sel bzw. distaler Oberschenkelamputation nach 5 Jah-ren bei 53,6% bzw. nach 10 Jahren bei 35,7%. In 2 Fäl-len erfolgte aufgrund einer tiefen Infektion eine dis-tale Oberschenkelamputation. Bei 3 Patienten muss-te der Tibiastiel infolge Materialbruchs bzw. asepti-scher Lockerung gewechselt werden. In 3 weiteren Fäl-len war ein Gelenkteilwechsel nötig. Weitere Kompli-kationen waren 2 oberflächliche Wundheilungsstörun-gen. In 3 Fällen kam es zu einer postoperativen Pero-neusparese, die bei einem Patienten im Verlauf rück-läufig war. Der durchschnittliche Oxford-Knee-Score von 9 der insgesamt 12 noch lebenden Patienten lag bei 30,7±7,5 Punkten (24–36 Punkte). Bei keinem Pa-tienten konnte ein klinisch relevantes Streckdefizit be-obachtet werden. Das durchschnittliche Bewegungs-ausmaß zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung lag bei 90,2±26,7° (35–130°). Alle Patienten waren mit dem postoperativen Ergebnis zufrieden.

SchlüsselwörterKniegelenk · Streckapparat · Künstliches Ligament · Tibiaersatz · Extremitätenerhalt

Proximal tibial replacement and alloplastic reconstruction of the extensor mechanism after bone tumor resection

AbstractObjective. The goal of the operation is limb- sparing resection of tumors arising from the proximal tibia with adequate surgical margins and local tumor con-trol. Implantation of a constrained tumor prosthesis with an alloplastic reconstruction of the extensor mechanism to restore painless joint function and load-ing capacity of the extremity.Indications. Primary bone and soft tissue sarcomas. Benign or semimalignant aggressive lesions. Metastat-ic disease (radiation resistance and/or good prognosis).Contraindications. Poor physical status. Extensive metastatic disease with life expectancy <6 months. Tu-mor penetration through the skin. Local infection or re-calcitrant osteomyelitis. Poor therapeutic compliance. Large popliteal extraosseous tumor masses with infil-tration of neurovascular structures.Surgical technique. A single incision is made from the anteromedial aspect of the distal femur to the distal one third of the medial lower leg. Preparation of large medial and lateral fasciocutaneous flaps. The popliteal vessels are explored through a medial approach by re-leasing the pes anserinus and semimembranosus ten-don, mobilizing the medial gastrocnemius muscle and detaching the soleus muscle from the tibial margo me-dialis. The anterior tibial artery and vein are ligated. If the knee joint is free of tumor, circumferential dissec-tion of the knee capsule is performed and the patellar ligament is dissected. An osteotomy of the tibia shaft is performed with safety margins according to preopera-

tive planning. In order to obtain adequate surgical mar-gins, in some cases an en bloc resection of the tibiofi-bular joint becomes necessary. Therefore, the peroneal nerve is exposed. Parts of the M. tibialis anterior, a por-tion of the M. soleus and the entire M. popliteus are left on the resected tibial bone. After implantation of the prosthesis and coupling of the femoral and tibial com-ponent, the extensor mechanism is reconstructed us-ing an alloplastic cord. It is passed transversely through the distal end of the quadriceps tendon looping the proximal margin of the patella. Both ends are passed distally through a subsynovial tunnel and are fixed un-der adequate pretension in a metal block of the tibial component. The detached hamstrings and remaining ligaments can be fixed on preformed eyes of the pros-thesis. A medial gastrocnemius muscle flap is used to provide soft tissue coverage of the tibial component.Postoperative management. Immobilization and el-evation of the extremity for 5 days, then flap condition-ing. Mobilization in a hinged knee brace locked in ex-tension for 6 weeks without weight bearing. During this time active flexion with a stepwise progress, iso-metric quadriceps training. Then beginning of straight leg raising exercises, stepwise unlocking of the brace with 30° every 2 weeks. Weight-bearing is increased by 10 kg/week. Thrombosis prophylaxis until full weight-bearing. At follow-up, patients are monitored for local recurrence and metastases using history, physical ex-amination and radiographic studies.

Results. Between 1988 and 2009, endoprosthetic re-placement and alloplastic reconstruction of the exten-sor mechanism after resection of tibial bone tumors was performed in 17 consecutive patients (9 females and 8 males) with a mean age of 31.1 years (range 11–65 years). There were no local recurrences. Until now, 5 patients have died of tumor disease. One or more op-erative revisions were necessary in 53.9% of the pa-tients. According to Kaplan–Meier survival analysis, the implant survival at 5 years was 53.6% and 35.7% at 10 years, respectively. In 2 cases, a distal transfem-oral amputation had to be performed due to deep in-fection. There were 3 cases of tibial stem revision due to implant failure and aseptic loosening, respectively. In 3 patients, the hinge of the prosthesis had to be re-vised. Impaired wound healing occurred in 2 cases. Pe-roneal nerve palsy was observed in 3 patients with re-covery in only one. The mean Oxford knee score for 9 of the 12 living patients was 30.7±7.5 (24–36). No patient had a clinically relevant extension lag. The mean range of motion at the last follow-up was 90.2°±26.7 (range 35–130°). All patients were well satisfied with their postoperative outcomes.

KeywordsKnee joint · Extensor mechanism · Artificial ligament · Tibia replacement · Limb salvage

249Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

FEinfach durchführbare stabile Fixa-tion des Kunstbands an der Prothese

FUnter adäquater Vorspannung des Bands ist i. d. R. mit einer vollstän-digen Wiederherstellung der Exten-sionsfähigkeit im Kniegelenk zu rech-nen.

FPostoperativ ist eine sofortige passi-ve Beübung der Flexion in der Motor-schiene möglich.

Nachteile

FHohe Komplikationsrate (Wundhei-lungsstörung, Infektion)

FTechnisch anspruchsvolle OperationFHäufig aufwendige Weichteilpräpara-

tion zur Deckung der Prothese nötigFKeine Verkleinerung der Defektsitu-

ation für zukünftige Eingriffe durch Knochenaufbau (allogen oder auto-gen)

FDer Eingriff sollte in Kliniken der Maximalversorgung mit Intensivsta-tion, Gefäßchirurgie und plastischer Chirurgie durchgeführt werden.

Indikationen

FPrimäre Knochen- und Weichteilsar-kome

FAggressiv wachsende benigne oder semimaligne Läsionen

FMetastasen (bei Strahlenresistenz und/oder guter Prognose)

Kontraindikationen

FSchlechter Allgemeinzustand mit ein-geschränkter Operationsfähigkeit

FAusgedehnte Metastasierung mit Le-benserwartung unter 6 Monaten

FWeitflächige Tumorpenetration durch die Haut

FLokaler Infekt oder therapieresistente Osteomyelitis

FMangelnde KooperationsbereitschaftFGroßer poplitealer extraossärer Tu-

moranteil mit Befall der neurovasku-lären Strukturen

FLokalrezidiv nach extremitätenerhal-tender Resektion

Patientenaufklärung

FAllgemeine Operationsrisiken (Thrombose, Embolie, Nachblutung, Gefäß- und Nervenverletzung)

FErhöhtes Risiko einer Wundheilungs-störung bzw. Infektion

FBei Tumorbefall oder Verletzung der poplitealen Gefäße kann eine Ampu-tation notwendig werden.

FHypästhesie bzw. Missempfindungen im Bereich des medialen Unterschen-kels bei zugangsbedingter Schädigung des N. saphenus, Peroneusparese bei Resektion des Tibiofibulargelenks

FBei Tumorbefall des Kniegelenks ist eine extraartikuläre Kniegelenksre-sektion notwendig.

FSchwellneigung des BeinsFInstabilitätsgefühlFLockerung der Prothese, Implantat-

bruch, Versagen des Kopplungsme-chanismus, periprothetische Fraktur

FGefahr der Lappennekrose mit präti-bialem Defekt; dann ist eine freie Lap-penplastik zur Defektdeckung erfor-derlich

FNotwendigkeit der Spalthauttrans-plantation

FEntlastung der operierten Extremität für 6 Wochen, dann schrittweiser Be-lastungsaufbau um 10 kg pro Woche

FEinschränkung der Beweglichkeit des Kniegelenks

Operationsvorbereitung

FBiopsie und histologische Untersu-chung der Läsion in einem für Kno-chen- und Weichteilsarkome speziali-sierten Zentrum („biopsy first“). Der Biopsiezugang sollte im Verlauf des späteren anteromedialen Zugangs lie-gen. Es ist dabei der kürzeste, direkte Weg zum Tumor zu wählen, der bei der definitiven Entfernung des Tu-mors mit exzidiert werden muss. Ein Sicherheitsabstand zum Kniegelenk und den Gefäßnervenbündeln muss eingehalten werden. Bei primären Tu-moren meist offene Inzisionsbiopsie, um genügend Material für konventio-nelle Histologie und Immunhistoche-mie zu gewinnen [27, 28, 29]. Da der Biopsiezugang als tumorzellkonta-miniert zu gelten hat, sollte er bei der späteren Resektion mit demselben Si-cherheitsabstand wie der Tumor rese-ziert werden können. Prinzipiell muss eine weite Resektion möglich sein. Wir favorisieren einen Abstand von 1–2 cm.

FEinbeziehung des Patienten in ein multimodales Therapiekonzept mit neoadjuvanter oder adjuvanter Che-mo- bzw. Strahlentherapie möglichst

Tab. 1 Einzelne Komponenten des MML-Systems. (Aus [32])

Proximales Femurmodul Glatt oder oberflächenstrukturiert, Länge 80 mm, Möglichkeit der Weichteilrefixation, proximaler Innenkonus 12/14 für Ko-nusadapter, distaler Innenkonus 16/18 für distale Module

Konusadapter Doppelkonus 12/14, 0°, 5°, 10° und lateralisierend

Extraossäre Module Verlängerungsmodule in den Längen 30, 40, 50, 60, 80, 120, 160 mm, jeweils 16/18 Innen- und Außenkonus

Verbindungsmodul mit 2 Außenkonen 16/18, gerade bzw. 5° geneigt (v. a. für Femurtotalersatz)

Kurvationsmodul mit Innen- und Außenkonus 16/18 und 5°-Neigung

Diaphysenmodule (für den diaphysären Ersatz) aus 2 Einzeltei-len mit Schwalbenschwanzverbindung und Schraubensiche-rung, 2 Innenkonen 16/18, unterschiedliche Längen

Tumor-/Revisionsknie Femurkondyle + Tibiagelenkteil, Querachsverbindung mit ventraler Schraubensicherung, 3 Größen, Anschlussmöglich-keit nach proximal und distal an alle MML-Komponenten über Innenkonus 16/18

Tibiakopfmodul Koppelung mit allen MML-Komponenten möglich, ventraler Klemmblock zur Refixation des Lig. patellae bzw. dessen Er-satz, Möglichkeit der Weichteilrefixation, Länge 70 mm

Adapterstiele Zur intramedullären Verankerung in Femur und Tibia, zement-frei und zementiert, gerade und gebogen, Länge 120 und 160 mm, Durchmesser 11–16 mm

250 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken

im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz. Präoperative Abklä-rung einer Organmetastasierung mit CT-Thorax/-Abdomen bzw. Abdo-mensonographie. Ausbreitungsdiag-nostik je nach Tumorentität auch mit Skelettszintigraphie oder PET

FThrombosescreening mit proximaler und distaler Duplexsonographie

FMR-tomographische Untersuchung des distalen Femur, Kniegelenks und gesamten Unterschenkels (.Abb. 1). Planung des knöchernen Resektions-ausmaßes. Hier muss insbesondere auf mögliche „skip lesions“ geachtet werden. Ein intraartikulärer Tumor-befall muss ausgeschlossen werden. Eine pathologische Fraktur oder eine unsachgemäß durchgeführte Biop-sie können zu einer Kniegelenkskon-tamination führen. Bei Hämarthrose muss ebenfalls von einer intraartiku-lären Tumorzellaussaat ausgegangen werden. In diesen Fällen muss eine extraartikuläre Kniegelenksresektion erfolgen, um eine weitere Tumorzell-aussaat zu vermeiden. Bei Befall der tibianahen Anteile der Kreuzbänder

kann aufgrund deren extrasynovia-len Lage [30] eine partiell extraarti-kuläre Kniegelenksresektion erfolgen [31]. Bestimmung des Ausmaßes des Weichteilbefalls. Der M. popliteus be-deckt die posteriore Fläche der proxi-malen Tibia und stellt somit in vielen Fällen eine letzte Grenzschicht zwi-schen Tumor und poplitealem Gefäß-nervenbündel dar.

FBei Tumorbefall der poplitealen Weichgewebsstrukturen sollte eine Angiographie erfolgen. Eine Resek-tion von Tumoren im proximalen Ti-biadrittel erfordert regelhaft die Li-gatur der A. tibialis anterior. Bei jun-gen Patienten kann auch die A. fibu-laris in den meisten Fällen ligiert wer-den, wenn dies für eine onkologisch adäquate Resektion nötig ist. Ein Tu-morbefall der A. tibialis posterior macht jedoch einen Extremitätener-halt unmöglich, da diese nach Ligatur der beiden anderen Gefäße die Blut-versorgung des Unterschenkels si-cherstellt. Bei älteren Patienten muss präoperativ eine periphere arterielle Verschlusskrankheit ausgeschlossen werden.

FRöntgenaufnahmen: Ganzbeinstand-aufnahme, Kniegelenk lateral und Pa-tella tangential. Planung der Größe der Prothesenkomponenten und Aus-richtung der Beinachse (z. B. mit di-gitalem Planungsprogramm der Fa. mediCAD®, Hectec GmbH, Landshut, Germany; .Abb. 2)

FÜbliche präoperative Vorbereitung des Patienten

FBereitstellung einer ausreichenden Menge an Erythrozyten-, Plasma- und Thrombozytenkonzentraten (mind. 10-5-5)

FRasur der betroffenen Extremität vor dem Transport in den Operationssaal

FPerioperative Antibiotikaprophylaxe als „single shot“ 10–30 min vor dem Hautschnitt (Cephalosporin der 2. oder 3. Generation, z. B. Cefuroxim 1,5 g i. v.). Die meisten in der Pro-phylaxe eingesetzten Antibiotika wei-sen eine Serumhalbwertszeit von et-wa 60 min auf, so dass aufgrund der pharmakokinetischen Eigenschaften eine erneute Gabe bei einer Opera-tionszeit >2 h sinnvoll ist.

Instrumentarium und Implantate

FInstrumentarium und Implantate des Tumor-/Revisionssystems MML für die untere Extremität (Modulares Sys-tem München-Lübeck, Fa. Orthody-namics, Lübeck, Germany; .Tab. 1). Bei Nickelallergie ist eine TiNb-Be-schichtung der Implantate möglich.

FFür den Ersatz des Tibiakopfs wird das MML-Tibiakopfmodul verwen-det. Dieses hat eine Länge von 70 mm und ist in 3 verschiedenen Größen (S-Small, Small und Medium) erhältlich. Ein ventral in die Prothese eingelasse-ner Klemmblock bietet die Möglich-keit zur Refixation des Streckapparats. Seitliche Ösen ermöglichen die Refi-xation von Sehnen und ligamentären Strukturen.

FErsatz des Ligamentum patellae durch ein textiles Kunstband aus Po-lyethylenterephtalat (Kosa® Hoch-fest früher Trevira®, Fa. Telos, Mar-burg, Germany; 1 cm breit, 1 mm dick, 30 cm lang). Nach Anschlingen der Patella können die distalen Enden des Bands mit 2 Sicherungsschrauben übereinander im Klemmblock des Ti-biateils fixiert werden (.Abb. 3).

FGefäßsieb, Gefäßclips (fakultativ, ver-kürzen die Operationsdauer signifi-kant)

FHandchirurgisches Sieb mit fei-ner Adson-Pinzette und Schere (z. B. Metzenbaum) zur Präparation des medialen Gastrocnemiusmuskellap-pens, Lupenbrille (fakultativ), Derma-tom bei ggf. nötiger Spalthautentnah-me

FOszillierende Säge

Anästhesie und Lagerung

FAllgemein- oder Spinalanästhesie. Die Epiduralanästhesie sollte durch die Anlage eines Katheters sinnvoller-weise als Schmerztherapie „post ope-rationem“ fortgeführt werden. Die Dauer der Anwendung sollte 3–4 Ta-ge wegen der erhöhten Infektions-gefahr nicht überschreiten. Alter-nativ kommen zur postoperativen Schmerztherapie ein Femoralisblock

Abb. 3 8 Beispiel für eine Kombination von pro-ximalem Tibia- und distalem Femurersatz mit-tels MML-System. Das Kosa®-Hochfest-Band ist im ventralen Klemmblock des Tibiateils fixiert

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bzw. eine patientenkontrollierte An-algesie (PCA-Pumpe) zum Einsatz.

FDer Einsatz eines „cell-savers“ ist auf-grund der Gefahr der systemischen Tumorzellaussaat kontraindiziert.

FPostoperativ ist oft eine weiterführen-de Therapie auf einer Intensiveinheit notwendig. Hier erfolgt –wenn nötig

– die weitere Respiratortherapie sowie der Blut-, Flüssigkeits- und Elektro-lytausgleich.

FRückenlage des Patienten. Sterile Oberschenkelblutsperre, die bei Be-darf geschlossen werden kann. Da die Präparation des neurovaskulären Bündels bei gebeugtem Kniegelenk (etwa 60°) erfolgen sollte, verwen-den wir zur intraoperativen Fixierung der Beinstellung eine auf dem Opera-tionstisch befindliche Rolle, die über einen seitlichen Halter fixiert wird.

FAbwaschen der Haut des betroffe-nen Beins von der Hüfte bis zu den

Zehen. Das Bein wird frei beweg-lich abgedeckt und die Haut mit jod-haltiger Folie beklebt. Ein freier Zu-gang vom Trochanter major femoris bis zum Mittelfuß sollte gewährleistet sein, um eine ggf. notwendige Spalt-hautentnahme am ipsilateralen Ober-schenkel zu ermöglichen und intra-operativ die Fußpulse tasten zu kön-nen.

Abb. 4 8 Der Hautschnitt reicht vom anteromedialen Aspekt des distalen Oberschenkels bis etwa zum distalen Drittel des medialen Unterschenkels. Er verläuft am Unterschenkel parallel und etwas dorsal zur medialen Tibiakante. Hierbei müssen Biopsienarben mit genügend weitem Abstand spin-delförmig ausgeschnitten werden, um am späteren Resektat zu verbleiben. Im Anschluss erfolgt die Präparation eines medialen und lateralen fasziokutanen Lappens. Hierbei ist auf eine ausreichende Dicke des Lappens zu achten, um Hautnekrosen zu vermeiden. Die Haut sollte nicht von der darunter-liegenden Faszie getrennt werden. Um dies zu gewährleisten, werden temporäre Transfixierungs-nähte eingesetzt

Operationstechnik

(.Abb. 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16)

252 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken

Abb. 5 9 Der mediale fasziokutane Lappen wird nun weiter nach dorsal präpariert. Dabei ver-bleiben V. saphena magna und der N. saphenus im medialen Lappen. Sie sollten geschont wer-den. Die Sehnen der Mm. sartorius, semitendi-nosus, gracilis et semimembranosus werden et-wa 2 cm proximal ihrer tibialen Insertion durch-trennt. Nun wird der Spaltraum zwischen Caput mediale des M. gastrocnemius und M. soleus identifiziert und mit dem Finger stumpf bis hin zur Achillessehne erweitert. Die Raphe der bei-den Muskelbäuche des M. gastrocnemius wird gespalten, das Caput mediale mobilisiert, in-dem es distal abgetrennt wird. Anschließend er-folgt die Ablösung des medialen Anteils des M. soleus von der Tibiahinterfläche und die Spal-tung des Arcus tendineus musculi solei. Die Seh-ne des M. plantaris wird durchtrennt. Während dieser Operationsschritte muss proximal die A. suralis medialis unbedingt geschont werden, da sie die Blutversorgung des medialen Gastrocne-mius gewährleistet

Abb. 6 8 Nun erfolgt die Darstellung der A. poplitea und die eindeutige Identifizierung ihrer Verzwei-gungen. Hierzu ist die Kenntnis möglicher Varianten essentiell. In etwa 90% der Fälle geht die A. tibia-lis anterior am Unterrand des M. popliteus aus der A. poplitea hervor (a). In ca. 4% der Fälle besteht an gleicher Stelle eine Trifurkation der A. poplitea in A. tibialis anterior, fibularis und tibialis posterior (b). Eine weitere Variante ist der hohe Abgang der A. tibialis anterior über dem M. popliteus, welche in et-wa 3% der Fälle vorkommt (c). Selten entspring die A. fibularis aus der A. tibialis anterior (sog. Truncus tibiofibularis, [33]). Nach Freipräparation aus dem perivaskulären Fettgewebe kann durch vorsichti-gen Zug an der A. poplitea nach dorsal die A. tibialis anterior eindeutig identifiziert werden, da diese an der Durchtrittsstelle durch die Membrana interossea fixiert ist. Nach erfolgter Ligatur der A. tibia-lis anterior und der begleitenden Venen fällt das gesamte neurovaskuläre Bündel locker nach dorsal. Auch eine Ligatur der A. fibularis kann notwendig werden, um eine onkologisch adäquate Resektion des Tumors zu ermöglichen. Liegt ein Tumorbefall der A. poplitea oder der A. tibialis posterior vor, wird eine transartikuläre Amputation angestrebt. Ein Gefäßersatz kann unter Umständen eine Ampu-tation verhindern

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Abb. 7 9 Nun wird die Gelenkkapsel vorsich-tig von medial eröffnet und der Gelenkraum inspiziert. Bei Tumorbefall der Kreuzbänder kann dennoch eine Erhaltung des distalen Fe-murs und der proximalen Gelenkkapsel ange-strebt werden (sog. partiell extraartikuläre Knie-gelenksresektion). Die proximalen Stümpfe der Kreuzbänder werden zur histopathologischen Begutachtung eingesendet. Besteht ein Hämar-thros, ist eine intraartikuläre Tumorzellaussaat wahrscheinlich und es muss eine extraartiku-läre Kniegelenksresektion erfolgen. Bei tumor-freiem Kniegelenk wird zunächst das Ligamen-tum patellae vom Apex abgelöst und die Kap-sel zirkumferentiell eröffnet. Dies geschieht im Bereich der posterioren Kapsel unter Sicht. Um eine Blutung zu vermeiden, müssen vorher die Poplitealgefäße nach proximal hin mobilisiert und die Aa. inferiores medialis et lateralis ge-nus sowie die A. recurrens tibialis posterior (in-konstant) ligiert werden. Die A. suralis medialis muss geschont werden, um die Blutversorgung des medialen Gastrocnemius nicht zu kompro-mittieren. Anschließend erfolgt die Osteotomie der Tibia. Hierbei ist zu beachten, dass für die Implantation des Tibiakopfmoduls eine Resek-tionshöhe von mindestens 70 mm – gemessen von der tiefsten Stelle des Tibiaplateaus – erfor-derlich ist. Ist eine Resektion des Tibiofibularge-lenks notwendig, muss nicht selten der N. pe-roneus geopfert werden, um adäquate Resek-tionsränder zu erreichen. Falls jedoch eine Erhal-tung des Nervs geplant ist, erfolgt zunächst die Präparation nach distal bis zu seiner Einmün-dung in den Fibularistunnel. Der Nerv wird da-zu unter der Sehne des Caput longum des M. bi-ceps femoris aufgesucht. Im Bereich des Fibu-laristunnels wird der Nerv durch Verstärkungs-züge der Faszie fixiert. Diese müssen in Längs-richtung des Nervs vorsichtig gespalten werden. Der M. peroneus longus wird gespalten, um den Nerv freizulegen. Danach erfolgt die Identifizie-rung des N. peroneus superficialis et profundus. Das Ligamentum collaterale laterale sowie der sehnige Ansatz des Caput longum des M. biceps femoris werden mit einem ausreichenden Si-cherheitsabstand durchtrennt. Nun kann die Os-teotomie erfolgen

Abb. 8 8 Querschnitt durch den Unterschenkel und Darstellung des Resektionsausmaßes. Die proxi-malen Anteile des M. tibialis anterior, der M. popliteus, Teile des M. soleus und der Biopsiekanal ver-bleiben am Resektat. Die übrige Muskulatur des anterioren Kompartments sollte möglichst erhal-ten bleiben. Ebenso verbleiben die proximalen Anteile der Peronealmuskeln am Fibulaköpfchen, falls eine Resektion des Tibiofibulargelenks notwendig ist. Bei der Weichteilpräparation vor Entfernung des Resektats muss auf eine spannungsfreie Präparation geachtet werden, um den N. peroneus nicht zu schädigen

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Operative Techniken

Abb. 9 9 a, b, c Nach Entfernung des Resektats wird der tibiale Markraum aufgebohrt und stufen-weise mit der Universalraspel bearbeitet, bis das optimale Implantatbett für den geplanten Tibia-stiel erreicht ist. Die zuletzt verwendete Raspel-größe entspricht bei zementfreier Rekonstruktion der Implantatgröße, bei zementierten Implanta-ten ist der Durchmesser der Raspel 2 mm größer als der Implantatdurchmesser. Die korrekte Tiefe ist erreicht, wenn der Raspelbund mit der Tibiare-sektionsebene abschließt. Nach Implantation des tibialen Stiels erfolgt die Femurpräparation. Da-zu wird zunächst der Markraum mit dem Univer-salbohrer zentral eröffnet. Anschließend wird die-ser mit gebogenen Raspeln erweitert, bis Kontakt zur diaphysären Kortikalis besteht. Die Femurre-sektionslehre (a.-p./schräg) mit montierter Valgi-tätsbuchse wird mit Hilfe des intramedullären Füh-rungsspießes angelegt. Ein zusätzlich angebrach-ter Resektionsblock ermöglicht den horizontal/dis-talen Femurschnitt. Danach erfolgt die Größenbe-stimmung. Die passende Resektionslehre wird an der Epikondylenachse ausgerichtet und mit Pins fi-xiert. Es erfolgen der anteriore, posteriore und die schrägen Femurschnitte

255Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Abb. 10 8 a, b Nun wird die Kastensägelehre mit der Valgitätsbuchse montiert und unter Verwen-dung des Femurführungsspießes entsprechend am Femur ausgerichtet. In Anlehnung an den zuvor verwendeten Femurführungsspieß ist der gleiche Durchmesser zu verwenden. Der Spieß wird ent-fernt und die Sägeschablone auf die Kastensägelehre gesetzt. Nun kann der interkondyläre Knochen-block ausgesägt werden

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Operative Techniken

Abb. 11 8 Die abschließende Femurpräparation erfolgt mit Rotations- und Translationsraspeln. Unabhängig von der präoperativ geplanten Femur-stielgröße wird immer mit der kleinsten rotierenden Raspel begonnen. Fort-gesetzt wird der Raspelvorgang mit der korrespondierenden Translations-raspel. Für diese werden spezielle Einpasslehren verwendet, die es ermög-lichen, dass die Raspeln mit der entsprechenden Valgität eingebracht wer-den. Der Raspelvorgang wird bis zur gewünschten Implantatgröße fortge-setzt. Entsprechend der festgelegten Implantatgröße und Versorgungsart (zementiert oder zementfrei) werden die Implantatkomponenten den Ver-packungen entnommen und der Femurkasten auf den Femurstiel montiert. Dies erfolgt über eine konische Verklemmung und zusätzlicher axialer Fi-xierung mit einer Sicherheitsschraube. Anschließend kann die Implantation der Femurkomponenten erfolgen

Abb. 12 8 a, b Nun erfolgt die Kopplung des Tibiakopfmoduls am intrame-dullären Implantat. Die Module verfügen über eine mechanische Rotations-sicherung und lassen sich in 10°-Schritten einstellen. Sie lassen sich konisch verklemmen und werden durch eine Zahnschraube gesichert. Je nach Resek-tionshöhe können zwischen Tibiastiel und Kopfmodul auch Verlängerungs-module unterschiedlicher Größen zum Einsatz kommen. Das Tibiagelenk-teil wird am Kopfmodul durch eine axiale Sicherungsschraube fixiert und an-schließend mit dem Femurgelenkteil gekoppelt. Zuletzt erfolgt auch femoral die axiale Schraubenfixation

257Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Abb. 13 8 a–d Mit dem Kosa®-Hochfest-Band wird nun der Streckapparat rekonstruiert. Zunächst wird das Band direkt über dem An-satz an der Patellabasis transversal durch die Quadrizepssehne gezogen. Die Verschiebeschicht zwischen den Sehnenspiegeln des M. rectus femoris et vastus intermedius kann in der Regel leicht identifiziert werden. Hierbei muss auf eine streng stumpfe Präparation geachtet werden, um die Quadrizepssehne nicht unnötig zu schwächen. Die beiden Kunstbandenden werden dann durch stumpfe Präparation mit einer Klemme in einem subsynovialen Tunnel nach distal ausgeleitet. Danach wird die Patella nach distal gezogen und die beiden Enden des Kunstbands übereinander im Klemmbock des Tibiakopfmoduls mit 2 Schrauben fixiert. Dabei ist zu beachten, dass die Fixierung in Extension des Kniegelenks durchgeführt wird, da nur so eine adäquate Vorspannung des Streckapparats erzielt werden kann. Intraoperativ muss die korrekte Vorspannung und Patellahöhe kontrolliert werden. Von einer korrekten Vorspannung ist auszugehen, wenn bei 90°-Flexion die Patellabasis eine Tangente entlang des ventralen Femur trifft [34]. Die Tangente wird dabei mit einem Kirschner-Draht nachvollzogen. Auf diese Weise lässt sich ein postoperatives Extensionsdefizit vermeiden. Das Kunstband wird mit nichtresorbierbarem Fadenmaterial am Weichgewebe des verbliebenen Streckapparats fixiert

Abb. 14 8 Im letzten Operationsschritt erfolgt ein Release der verbleibenden medialen und lateralen Kapselstrukturen, um deren Mobilisierung nach distal zu ermöglichen. Der Pes anserinus und die Sehne des M. semimembranosus werden an den vorgefertigten Ösen des Tibiakopfmoduls refixiert. Falls eine Resektion des Tibiofibulargelenks vorausgegangen ist, sollte das Lig. collaterale laterale ebenso refixiert werden. Einlage von subfaszialen Redondrainagen. Der mobilisierte mediale Gastrocnemius wird nun quer über die Prothese geschlagen und proximal mit den medialen und lateralen Kapselstrukturen bzw. distal mit dem M. soleus vernäht. Einlage von subkutanen Redondrainagen. Zuletzt wird die Haut spannungsfrei verschlossen. Gelingt dies nicht, sollte der Muskel mit Spalt-haut der Schichtdicke 0,3 mm im Verhältnis 1:1,5 gedeckt werden

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Operative Techniken

Abb. 15 8 Radiologische Kontrolle des in .Abb. 1, 2 genannten Patienten 1 Jahr post-operativ. Es liegen regelrechte Stellungsverhält-nisse der Prothese vor, ohne Hinweise für Locke-rung oder Implantatversagen

Abb. 16 9 Klinisches Ergebnis 1 Jahr nach proximalem Tibiaer-satz und Rekonstruk-tion des Streckappa-rats mittels Kosa®-Hochfest-Band. (Aus [38], mit freundlicher Genehmigung des Ver-lags)

Postoperative Behandlung

FAnlage eines sterilen Wundverbands. Im Bereich des Spalthauttransplan-tats und der Entnahmestelle Fettver-band. Lockere Wickelung des Beins mit Watte und Anlage einer Kniege-lenksschiene in Streckstellung

FGgf. intensivmedizinische Überwa-chung bis zur Stabilisierung der Vi-talparameter und Entwöhnung vom Respirator. Substitution von Blut-bestandteilen und Optimierung der Gerinnungsparameter

FNach Beendigung der Sedierung und Extubation Ausschluss eines neurolo-gischen Defizits

FPostoperative Kontrolle der Fußpulse mittels Doppler oder Oxymetrie

FZunächst Thromboseprophylaxe mit unfraktioniertem Heparin unter re-gelmäßiger Kontrolle der Gerin-

nungsparameter (Ziel-PTT zwischen 40 s und 50 s, nach Gefäßeingriff zwi-schen 60 s und 70 s). Wegen der ge-ringeren Halbwertszeit besteht hier-bei eine deutlich bessere Steuerbar-keit der antithrombotischen Therapie in der direkten postoperativen Phase mit erhöhter Gefahr von Nachblu-tungen. Nach der Stabilisierungspha-se Wechsel auf fraktioniertes Hepa-rin in gewichtsadaptierter Dosierung bis zum Erreichen der Vollbelastung. Routinemäßige Duplexsonographie des proximalen und distalen Venen-systems vor Entlassung des Patien-ten aus der stationären Therapie zum Ausschluss einer postoperativen tie-fen Beinvenenthrombose

FPostoperative Antibiotikaprophylaxe i. v. (z. B. mit Cefazolin 1 g 3-mal tgl. für 7 Tage plus Gentamycin 160 mg 1-mal tgl. für 5 Tage)

FDie einliegenden Drainagen werden i. d. R. nach 2–3 Tagen bei einer För-dermenge unter 50 ml/24 h entfernt.

FOptional 250 ml HAES über 24 h für 4 Tage zur Perfusionsverbesserung des Lappens. Hierfür besteht jedoch bisher keine gesicherte Evidenz.

FAb dem 1. postoperativen Tag Pa-tellamobilisation und isometrisches Quadrizepstraining. Strikte Elevation der operierten Extremität für 5 Tage zur Verbesserung des venösen Rück-stroms. Diese Zeit ist auch für die An-heilung des Spalthauttransplantats notwendig. Beginn des Lappentrai-nings am 5. postoperativen Tag durch Hängenlassen des Beins für 3-mal 5 min bei leichter externer Kompres-sion durch Wickelung mit Dauerbin-den. Die Zeit des Lappentrainings wird bis zum 10. postoperativen Tag täglich um das Doppelte gesteigert.

259Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Kompressionsstrumpf für 6–8 Mona-te zur Ödemprophylaxe, je nach klini-schem Befund

FAb dem 10. postoperativen Tag Mo-bilisierung in einer Kniegelenksschie-ne in Streckstellung unter Entlastung der Extremität bis zum Abschluss der 6. postoperativen Woche. Während dieser Zeit intensive Beübung der Kniegelenksflexion unter schrittwei-ser (14-tägiger) Erhöhung des Bewe-gungsausmaßes (30°, 60°, 90°)

FAb der 7. postoperativen Woche Be-ginn mit aktiver Extension, schritt-weise Freigabe des Bewegungsum-fangs der Kniegelenksschiene wäh-rend der Mobilisation um 30° jede 2. Woche. Aufbelastung um 10 kg pro Woche. Verzögerte Einleitung einer Anschlussheilbehandlung nach er-reichter Vollbelastung

FErste Röntgenkontrollen des Kniege-lenks mit Unterschenkel in 2 Ebenen auf langer Platte nach Drainagezug. Weitere Röntgenkontrollen nach ers-ter Mobilisierung und nach Erreichen der Vollbelastung

FOnkologische Nachsorge entspre-chend den Empfehlungen des Tu-morzentrums München für Knochen- und Weichteilsarkome [35]. Dem Pa-tienten sollte bei Entlassung ein Zeit-plan mit den Terminen der Nach-untersuchungszeitpunkte ausgehän-digt werden.

FEinleitung psychosozialer Rehabilita-tionsmaßnahmen (am besten bereits nach Übermittlung der Diagnose)

Fehler, Gefahren, Komplikationen

FIntra- und postoperativer Blutverlust: Der intraoperative Blutverlust muss möglichst gering gehalten werden. Dazu sollten die Muskeln insertions-nah im Bereich der tendinösen Über-gangszone vom Knochen abgetrennt werden. Die Verwendung von Kno-chenwachs fördert die Hämostase an den knöchernen Resektionsflächen.

FWundheilungsstörung an der Spalt-hautentnahmestelle: Wir verwen-den einen Fettgaze-Verband der nach 7–10 Tagen durch atraumatisches Abduschen gelöst wird. Verluste des

Spalthauttransplantats von <2 cm Durchmesser heilen in der Regel in-nerhalb weniger Wochen spontan ab. Bei größeren Defekten sollte eine er-neute Spalthauttransplantation erwo-gen werden. Wundheilungsstörun-gen im Bereich der proximalen Tibia können durch einen spannungsfreien Hautverschluss wirksam verhindert werden.

FPartielle oder komplette Lappenne-krose: Bei jungen Patienten mit guter Vaskularisation sehr selten. Wichtig ist die sorgsame Präparation des Lap-penstiels unter Schonung der A. sura-lis medialis. Bei ausgeprägter Nekro-se müssen eine Revision der Prothese und die Deckung des prätibialen De-fekts mit einem freien Lappen erfol-gen.

FEntscheidend für die Prophylaxe einer iatrogenen Durchblutungsstö-rung des Unterschenkels ist die ein-deutige Identifikation der poplitea-len Gefäße, insbesondere bei extraos-särem Tumoranteil. Die Präparation der poplitealen Gefäßnervenscheide muss von proximal nach distal er-folgen. Bei jeglichem Zweifel an der Durchgängigkeit einer der 3 Unter-schenkelarterien muss präoperativ eine Angiographie durchgeführt wer-den. Intraoperativ sollten die Fußpul-se jederzeit kontrolliert werden kön-nen.

FZugangsbedingte Schädigung des N. saphenus und konsekutive Hyp-ästhesie oder Parästhesie am media-len Unterschenkel: Die Schnittfüh-rung sollte möglichst so gewählt wer-den, dass V. und N. saphenus im Sub-kutangewebe des medialen faszioku-tanen Lappens geschützt bleiben. Bei bleibenden Neurombeschwerden mit positivem Hofmann-Tinel-Zeichen und eindeutigem Xylocain-Test ist die Verlagerung des Neuroms in den M. soleus möglich.

FPostoperative Peroneusparese bei Re-sektion des Tibiofibulargelenks. Hier sollte unmittelbar postoperativ die Versorgung mittels Peroneusorthese erfolgen, um die Entwicklung eines kontrakten Spitzfußes zu vermeiden. Falls der Erhalt des N. peroneus ge-plant ist, sollte eine sorgsame Präpa-

ration des Fibularistunnels durchge-führt werden. Jegliche Dehnung des Nervs muss vermieden werden.

FBei tiefer Infektion: Explantation der Prothese oder distale Oberschenkel-amputation. Testgerechte systemische Antibiotikatherapie

FExtensions- bzw. Flexionsdefizit: Ein Extensionsdefizit kann durch eine ad-äquate Vorspannung des Streckap-parats bei der distalen Fixierung des Kunstbands wirksam vermieden wer-den. Nach Beginn des Lappentrai-nings intensive Beübung der Flexion mittels Motorschiene. Sollte dennoch ein klinisch relevantes Extensionsde-fizit verbleiben, sollte mit dem Patien-ten die Revisionsoperation zur Raf-fung des Extensorenapparats disku-tiert werden. Das Risiko einer sekun-dären Infektion bis zum Verlust der Prothese oder Oberschenkelamputa-tion ist dabei zu berücksichtigen.

FAchsversagen des Kopplungsmecha-nismus: Stabilisierende Elemente wie ligamentäre Strukturen und Muskel-ansätze sollten refixiert werden, um Spannungspitzen am Gelenkteil der Prothese zu reduzieren.

Ergebnisse

Die Daten der vorliegenden retrospekti-ven Studie stammen aus der klinikinter-nen Datenbank für Knochen- und Weich-teilsarkome der Klinik für Orthopä-die und Sportorthopädie des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universi-tät München. Alle noch lebenden Patien-ten befinden sich in regelmäßiger Nach-sorge entweder „in domo“ oder ange-schlossen an ein tumororthopädisches Zentrum.

Zwischen Februar 1988 und Mai 2009 erfolgten bei 17 konsekutiven Patienten die Resektion eines Tumors der proxima-len Tibia, die endoprothetische Versor-gung mit proximalem Tibiaersatz sowie die Rekonstruktion des Streckapparats mit einem Polyethylenterephtalat-Band. Das mittlere Alter der 9 Frauen und 8 Män-ner betrug zum Zeitpunkt der Operation 31,1 Jahre (11–65 Jahre). Insgesamt 12 Pa-tienten waren an einem Osteosarkom er-krankt (UICC-Stadien: 4-mal IA, 2-mal IB, 6-mal IIA). Bei 1 Patienten lag ein Rie-

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Operative Techniken

1,0

0,8

0,6

0,4

0,2

0,00 20 40 60 80 100 120

Zeit nach Operation (Monate)

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Abb. 17 9 Überle-benszeitanalyse nach Kaplan-Meier. Implan-tatsurvival mit End-punkt Prothesenteil-wechsel oder Ober-schenkelamputa-tion (schwarz) sowie 95%iges Konfidenzin-tervall (pink)

senzelltumor vor, bei 2 weiteren ein Plas-mozytom. Weitere Diagnosen waren eine singuläre Metastase eines Mammakarzi-noms und ein Liposarkom (UICC-Stadi-um IIA). Alle Patienten wurden in ein in-terdisziplinäres Behandlungsprogramm aufgenommen. Von der Tumorbiopsie bis hin zur Nachsorge erfolgte die Bespre-chung eines jeden individuellen Falls im Rahmen einer wöchentlich stattfinden-den Tumorkonferenz. Bei allen 17 Patien-ten wurden Implantate des Tumor-/Revi-sionssystems MML (Fa. Orthodynamics, Lübeck, Germany, früher ESKA-implants) verwendet. Als objektives, standardisier-tes Instrument zur Erhebung der funktio-nellen Einschränkung der Patienten dien-te der Oxford-Knee-Score [36]. Bei den regelmäßigen postoperativen Nachkont-rollen erfolgte zudem die Dokumentation der Bewegungsausmaße des betroffenen Kniegelenks nach der Neutral-Null-Me-thode. Die statistische Datenauswertung erfolgte anhand des Programms SigmaS-tat 3,5® (Systat).

Bei allen 17 Patienten erfolgte eine wei-te bzw. marginale Resektion (R0-Status). Zu einem Lokalrezidiv kam es im post-operativen Verlauf nicht. Bis heute sind 5 Patienten aufgrund des Tumorleidens verstorben (2 Plasmozytome, 2 Osteo-sarkome, 1 Metastase Mammakarzinom). Von diesen Patienten verstarben 4 mit

einliegender intakter Prothese ohne vor-herige Revision, bei einem war eine dista-le Oberschenkelamputation infolge eines tiefen Infekts notwendig.

Bei insgesamt 9 von 17 Patienten (53,9%) waren im postoperativen Ver-lauf ein oder mehrere operative Revisio-nen notwendig. In 2 Fällen erfolgte auf-grund einer tiefen Infektion eine distale Oberschenkelamputation. Bei 3 Patien-ten musste der Tibiastiel infolge Material-bruchs bzw. aseptischer Lockerung ge-wechselt werden. In 3 Fällen war bei Ver-sagen des Kopplungsmechanismus ein Gelenkteilwechsel nötig. Nach der Revi-sion kam es in einem Fall zu einem präti-bialen Defekt. Hier war im weiteren Ver-lauf die Deckung mit einem Latissimus-dorsi-Lappen zielführend. Als weitere Komplikationen waren 2 oberflächliche Wundheilungsstörungen zu verzeichnen. Dabei musste in einem Fall eine erneute Spalthautdeckung vorgenommen werden. Von 3 Peroneusparesen war im Verlauf le-diglich eine rückläufig. In 2 Fällen erfolg-te die dauerhafte Versorgung mit einer Peroneusschiene. Nach Kaplan-Meier lag das Implantatsurvival mit dem End-punkt Prothesenteilwechsel bzw. distaler Oberschenkelamputation nach 5 Jahren bei 53,6% bzw. nach 10 Jahren bei 35,7% (.Abb. 17). Bei einem Patienten konnte während des Revisionseingriffs ein Riss

des Kunstbands festgestellt werden, ohne dass dabei ein klinisch relevantes Exten-sionsdefizit vorlag.

Neun der insgesamt 12 noch lebenden Patienten konnten klinisch nachunter-sucht werden. Der durchschnittliche Ox-ford-Knee-Score (0–60 Punkte, 60 Punk-te entsprechen dem besten Ergebnis) zum Zeitpunkt der letzten klinischen Unter-suchung lag bei 30,7±7,5 Punkten (24–36 Punkte). Insgesamt 5 Patienten wiesen ein gutes (30–39 Punkte) und 4 ein zufrie-denstellendes (20–29 Punkte) funktionel-les Ergebnis auf. Zum Vergleich liegt der durchschnittliche postoperative Oxford-Knee-Score 12 Monate nach konventio-neller Knieendoprothetik infolge Go-narthrose bei 34±10 Punkten (Daten der „Knee Arthroplasty Trial Group“, [37]). Das durchschnittliche Bewegungsaus-maß aller noch lebenden Patienten lag zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bei 90,2±26,7° (35–130°). Bei einer Patien-tin war nach Prothesenrevision und kon-sekutiver Lappennekrose eine Deckung mittels Latissimus-dorsi-Lappen notwen-dig. Hier kam es konsekutiv zu einer Ar-throfibrose des Kniegelenks mit einem Bewegungsausmaß von lediglich 0-0-35° (Extension/Flexion). Bei keinem Patien-ten konnte ein klinisch relevantes aktives Streckdefizit beobachtet werden. Auf den Erfolg des Eingriffs angesprochen, zeig-ten sich durchweg alle Patienten mit dem Ergebnis zufrieden. Sie würden den Ein-griff unter denselben Umständen erneut durchführen lassen.

Patienten mit malignen Tumoren der proximalen Tibia sind häufig jung und stellen durchweg hohe Anforderungen an die Funktionalität der betroffenen Ex-tremität. Die hier dargestellten Ergebnis-se zeigen, dass durch die endoprothetische Versorgung in Kombination mit einer al-loplastischen Rekonstruktion des Streck-apparats gute klinische Ergebnisse erzielt werden können. Dennoch müssen die Pa-tienten ausführlich über die immer noch hohe Komplikationsrate aufgeklärt wer-den. Für das Erreichen eines onkologisch-adäquaten Resektionsstatus sind eine ex-akte präoperative Planung und eine stren-ge Indikationsstellung entscheidend. Pri-märes Ziel sollte weiterhin die lokale und systemische Tumorkontrolle sein.

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Korrespondenzadresse

Dr. B.M. HolzapfelOrthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität WürzburgBrettreichstr. 11, 97074 Wü[email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

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262 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken