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«WENN DIE SEELE AUF DEN MAGEN SCHLÄGT»

Referentin:

Dr. med. Christiane Kranzusch

Ärztin für Psychosomatik / Psychotherapie /Allgemeinmedizin

Psychiatrie-Dienste Süd

Klinik St. Pirminsberg

7312 Pfäfers

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Psychosomatikvortrag - Ablauf

Was bedeutet «Psychosomatik»?

Beispiele:

Psyche und Herz

Psyche und Magen-/Darmtrakt

Was bedeutet «Somatisierung»?

Bei Interesse kurze Achtsamkeits- / Entspannungsübung

Psychosomatik – also alles nur «Einbildung?»

Fragen und Diskussion

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Ableitung aus den beiden griechischen Worten

Psyche - Seele

Soma - Körper

In der Medizin bezeichnet man damit das Fachgebiet, das sich mit den

Krankheiten oder Symptomen befasst, die im weiteren Sinne durch seelische,

körperliche und soziale Bedingungen ausgelöst, verschlimmert oder

aufrechterhalten werden

Definition

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Das Bild des Menschen als Maschine (René Descartes, 1596 – 1650) kann

die Entstehung und den Verlauf von körperlichen Zuständen häufig nicht

angemessen erklären. Oft ist es dann hilfreich, den Menschen in seiner

individuellen Vielfalt zu erfassen versuchen, dazu gehören neben dem

Körper der Blick auf die Seele; etwa auf Gefühle, Instinkt, Gedanken,

Wünsche, Konflikte, Widerstände etc. Diese sind geprägt durch Biographie

und soziale Faktoren wie Lebenssituation oder die soziale Einbindung –

das «Beziehungsnetz».

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• Mir liegt etwas im Magen

• Ich habe etwas auf dem Herzen

• Es ist zum aus der Haut fahren

• Man sieht nur mit dem Herzen gut

• Wut im Bauch haben

• Mir sitzt die Angst im Nacken

• Mit herzlichen Grüssen

• Ein Herz aus Stein haben

• Wünsche, die von Herzen kommen

• Das Herz schlägt bis zum Hals

• Er frisst etwas in sich herein

• Sich den Kopf zerbrechen

• Mir lastet etwas auf den Schultern

• Das Herz bleibt vor Schreck stehen

• … oder rutscht in die Hose

• Sich vor Angst in die Hose machen

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Der Begriff und die Bedeutung der Psychosomatik

• Der Begriff Psychosomatik wurde vermutlich erstmals 1818 von Johann Christian August

Heinroth (1773–1843) benutzt. Heinroth versuchte als „Psychiker“, jedes

Krankheitsgeschehen in seinen psychischen wie somatischen und lebensgeschichtlichen

Gesamtzusammenhängen zu verstehen.

• Sigmund Freud in dessen Studien über Hysterie 1895: „Psychische Erregung, die nicht

adäquat verarbeitet oder abgeführt werden kann, ‚springt‘ in einen Körperteil, wird also

umgewandelt (Konversion)“.

• Viktor von Weizsäcker: „Einführung des Subjekts in die Heilkunde“,

• Thure von Uexküll und Wolfgang Wesiak: „dynamisches bio-psycho-soziales Modell“,

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Weitere Beschreibungen

• Axel Schweickhardt definierte 2005: "Psychosomatik bedeutet, dass Körper und Seele zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte des Menschen sind, die nur aus methodischen Gründen oder zum besseren Verständnis unterschieden werden

• Thure von Uexküll: Integrierte Medizin versteht unter „bio“ die „Biologie“ als Wissenschaft lebender Systeme. Sie geht daher nicht primär von dem „Körperbegriff“ der Anatomie und Physiologie aus, sondern von dem Begriff des „lebenden Körpers“. Der lebende Körper ist Teil eines Systems, das sich autopoetisch (selbsterschaffend, selbsterhaltend) als Einheit aus Organismus und Umwelt erzeugt, und für das Gesundheit daher „Salutogenese“ und Krankheit Störung seiner Salutogenese bedeuten. Lebende Systeme sind „geschlossene Systeme“. Sie „deuten“ ihre Umgebung „selbstreferentiell“, das heißt nach ihrem eigenen Code. (Niemand kann den Schmerz, den Hunger, den Durst oder die Gefühle eines anderen fühlen).

• Salutogenesekonzept: Dieses Konzept wurde von Aaron Antonovsky 1979 begründet. Heterostase, Ungleichgewicht und Leid sind inhärente Bestandteile der menschlichen Existenz. Er setzt die wissenschaftliche Diagnostik einer Krankheit gegenüber einer Bestimmung des allgemeinen Gesundheitsstatus einer Person. Das Bemerkenswerte ist der Zugang zum Verstehen aus der Perspektive von Gesundheit und nicht des Krankheitseins. Für den Umgang mit der Krankheit ist das Kohärenzgefühl („sense of coherence“) wesentlich mit einer Verständlichkeit der Stressoren („comprehensibility“), der Bewältigung der Anforderungen („managerability“) und dem Verstehen der Bedeutsamkeit („meanigfulness“).

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Körperlicher Symptome einer Erkrankung sind nur ein Aspekt. Sie wirken sich

ebenso auf das seelische Befinden aus, welches seinerseits auf

Krankheitsentwicklung und –verlauf einen entscheidenden Einfluss haben können.

Psychophysiologische Krankheitsmodelle Intervention

Beispiele:

Erkrankung ist verhaltensbedingt Psychoedukation

Verhaltensmodifikation

Erkrankung bildet einen psychischen Stressor Fördern der Krankheits-

bewältigung; Psychothe-

rapie, Pharmakotherapie

Es besteht eine relevante psychische Psychotherapie

Komorbidität Pharmakotherapie

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Psyche und Herz –

Bsp. Risikofaktoren für koronare Herzkrankheit

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Psychosoziale Faktoren / Stress

Anhaltende negative Belastungen, z. B. finanzielle Sorgen, hohe Dauerbelastung (z. B. pflegebedürftige Angehörige)

„life events“ wie Verlust eines Kindes, Arbeitsplatzverlust Erdbeben, Krieg oder

anhaltende negative Emotionen wie: Angst, Ärger, Trauer

Entscheidend ist die individuelle Veranlagung, auf Belastungen zu reagieren

(Vulnerabilitäts-Stress-Modell)

Personen mit induzierbaren myokardialen Ischämien unter psychischem Stress

weisen eine schlechtere Prognose auf als Personen ohne Stress –

induzierte Ischämien

Sheps, Circulation 2002

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Depressivität und Angst als kardiovaskulärer Risikofaktor

Medikamentöse

Therapie

Depressivität

und Angst

Kardiovaskuläre

Krankheiten

Koronargefährdendes

Verhalten

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Verarbeitungsstörungen nach akuter koronarer Herzkrankheit:

Leichte Depression 40 – 60 %

Schwere Depression 17 – 27 %

Posttraumatische Belastungsstörungen 11 – 12 %

Diese kann oft erst Monate nach dem Akutereignis auftreten und ist

auf ein starkes Gefühl existentieller Bedrohung – unabhängig von der

objektiven Schwere des Ereignisses zurückzuführen

Psyche und Herz

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Psyche und Herz

Kann vor Schreck

das Herz stehen

bleiben?

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Plötzlicher emotionaler Stress kann auch bei herzgesunden Menschen eine schwere Kardiomyopathie auslösen

Stress-Kardiomyopathie / Tako – Tsubo – Kardiomyopathie /

Broken - Heart – Syndrom

• Diese betrifft vor allem Frauen

• Echokardiographisch oder in der Ventrikulographie typische Kontraktionsstörung an der Herzspitze

• Auffallend hohe Katecholaminspiegel im Plasma

• Prognose: Bei Entwicklung einer schweren Herzschwäche oder bei Auftreten nicht beherrschbarer Herzrhythmusstörungen gelegentlich tödlich – nach der Akutphase innerhalb von Wochen aber auch reversibel

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Psyche und Herz

Sind Ärger und Wut

schädlich für das Herz?

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Psyche und Magen - Darmtrakt

Reizdarmsyndrom (RDS)

«Wenn der Darm verrückt spielt»

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Die von Gastroenterologen am häufigsten gestellte Diagnose

Grösste Patientengruppe in allgemeinmedizinischen Praxen

Erste Beschreibung des Symptomkomplexes von Manning et al. (1978)

Epidemiologische Studien belegen eine Prävalenz für eine Reizdarmproblematik

von 5 – 15 % in Europa und Nordamerika

Ca. 25 % der Betroffenen suchen einen Arzt auf

Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer

Gehäuftes Auftreten nach Magen – Darminfektionen

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Psyche und Magen-Darmtrakt

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Leitsymptome:

• Bauchschmerzen (Qualität: dumpf, krampfartig bis brennend)

• Stuhlunregelmässigkeiten mit Durchfall oder Verstopfung

• Blähungen

• Phasischer Verlauf (Wechel von beschwerdefreien Intervallen und Phasen, in welchen massive Beschwerden auftreten)

Weitere Bezeichnungen

• Irritables Kolon, spastisches Kolon irreführend, da die Störung nicht auf das

Kolon beschränkt ist

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Abklärung bei Reizdarmsymptomatik

Anamnese u. a. Ernährung, Gebrauch von Abführmitteln, Konsum von Alkohol oder

Koffein

Körperliche Untersuchung: in der Regel unauffällig, aber unverzichtbar

Bei fehlenden Warnsymptomen (z. B. Blutarmut, Blut im Stuhl, Gewichtsverlust, Nachtschweiss, Familienanamnese mit Karzinom- oder chronische – entzündlichen Magen- Darmerkrankungen) ist die Indikation zu weiteren Abklärungen umstritten

Empfohlen, aber nur selten richtungsweisend: Blutbild, CRP

Geringer diagnostischer Gewinn von Stuhluntersuchungen

Bei etwa 4-fach erhöhter Prävalenz von Zöliakie bei einer Reizdarmsymptomatik ist ein sreening auf Zöliakie gerechtfertigt (empfohlen: Transglutaminase-IgA-Antikörper)

Bildgebung oder Endoskopie wird bei einer typischen Symptomatik nicht empfohlen

Biomarker: Calprotectin im Stuhl (einmalige Stuhlprobe, Kosten ca. 50;--

jedoch unspezifisch; jede Erhöhung sollte bei über drei Wochen bestehender Symptomatik abgeklärt werden; ein normaler Wert schliesset eine organische Erkrankung aus

21 Pscychiatriedienste -Süd; Dienstagsreferat; 25.03.2014

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Reizdarmsyndrom Pathophysiologie

Das Verständnis ist bis heute inkomplett

Ein multifaktorielles Geschehen wird postuliert

Die pathophysiologischen Konzepte beinhalten u.a.:

• Viszerale Hypersensitivität

• Abnorme gastrointestinale Motilität

• Dysfunktion des autonomen Nervensystems

• Aktivierung des mukosalen Immunsystems

• Genetische Faktoren

• Psychologische Faktoren

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Reizdarmsyndrom – Viszerale Hypersensitivität

Viszerale Hypersensitivität bedeutet, dass die Wahrnehmung von Schmerzen in

einem inneren Organ erhöht ist.

Beispiel für einen Studienansatz:

Setzen von definierten Schmerzreizen mittels aufblasbaren Ballonen in Enddarm,

Dickdarm, Speiseröhre.

Bei Betroffenen konnte eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit im Vergleich mit

Kontrollpersonen nachgewiesen werden

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Reizdarmsyndrom

Assoziation mit psychiatrischen Erkrankungen

Ein grosser Teil (40 – 80 %) derjenigen, die wegen einer

Reizdarmsymptomatik einen Arzt aufsuchen leiden auch unter

• Depressionen

• Angst / Panikstörungen

• Somatisierungsstörungen

• Posttraumatischen Belastungsstörungen; traumatische biographische Belastungen

Assoziation mit Krankheiten, bei denen psychische Einflüsse einen

hohen Stellenwert haben

Ähnlich hohe Korrelationen bei:

• Fibromyalgiesyndrom

• Migräne

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Psychische und soziale Faktoren

• Familiäre Häufung genetisch? Modellernen?

Bsp: verstärkte elterliche Aufmerksamkeit auf die Darmtätigkeit erhöht bei

Frauen das Risiko auf eine dort lokalisierte funktionelle Störung

(Whitehead et al., 1994)

• Emotionen: Gefühle können ebenfalls Magen und Darm reizen: Ärger kann

auf den Magen schlagen: Vermehrte Ängstlichkeit, Depressivität,

Krankheitsängste und Neigung, unter Stress körperliche Beschwerden zu

entwickeln (sog. Somatisierungsneigung) sind Risikofaktoren für die Entwicklung

eines RDS bei bestehender Vulnerabilität.

• Stress: Belastende Lebensereignisse (z. B. Verlust des Arbeitsplatzes,

Trennung vom Partner, Missbrauchserlebnisse) erhöhen ebenfalls das Risiko,

ein RDS zu entwickeln.

• Zusammenwirken von biologischen und psychischen Faktoren: Das

Risiko, ein RDS zu entwickeln steigt, wenn mehrere der oben genannten

Risikofaktoren zusammenkommen, z.B. ein ängstlicher Mensch einen

Darminfekt und gleichzeitig erhebliche Arbeitsplatzprobleme hat.

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Psyche und Darm; scheinbar kurioses zur

medikamententösen Therapie

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Antidepressiva als Therapie bei Reizdarmsymptomatik

Wirksam sind SSRI und trizyklische Antidepressiva,

Auch bei den Betroffenen, bei denen keine depressiven oder Angstsymptomatik

bestehen

Mögliche Erklärungen:

• Wirkung nicht nur zentral, sondern auch im peripheren Nervensystem, etwa dem

«Bauchhirn»

• Funktion der Beschwerden als «Gefühlsäquivalente»

Tendenz bei gefühlsvermeidenden oder -verleugnenden Menschen, Gefühle (z. B.

Angst, Depression, Aggression) durch körperliche Symptome zu «ersetzen».

Ursprüngliche und zugrunde liegende Gefühle können nicht mehr wahrgenommen

werden

Alexythymie (Unfähigkeit, Gefühle «lesen» zu können

Somatisierung

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„BAUCHHIRN“

WORKSHOP

EINLEITUNG

Vorstellung

Klinik SGM

EIN BEISPIEL

REIZDARM

Enterisches Nerven-

system (ENS)

• Dichtes Geflecht

• „Sonnengeflecht“

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Neueres Erklärungsmodell für eine Reizdarmsymptomatik:

• Dysregulation des zentralen und enteralen Nervensystems

• Führt zu vermehrter Schmerzempfindlichkeit und

• Motilitätsstörungen

• Ausgelöst durch psychosoziale Belastungsfaktoren

• Vor dem Hintergrund einer besonderen Empfindlichkeit gegenüber diesen

Belastungen und

• genetischen / epigenetischen (Lernerfahrungen, Biographie, durchgemachte

Infekte, Operationen, Lebensmittelunverträglichkeiten etc.) Faktoren

Reizdarmbeschwerden stellen eher Ausdruck einer abnormen Wahrnehmung

normaler Funktionen als eine normale Wahrnehmung abnormer Funktionen dar

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Somatisierung

Auslöser

«Stressoren»

Harmlose körperliche

Veränderungen

Krankheits- Symptom- Wahrnehmung

verhalten verstärkung

Fehl- / Überinterpretation

Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Modell der somatoformen Störungen (Rief u. Hiller 1998)

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Psychische Risikofaktoren für eine Chronifizierung

• Tendenz zum «Katastrophisieren»

• Angst – Vermeidungsverhalten

• Ungünstige Verarbeitungs-Strategien wie Passivität, Hilflosigkeit,

Selbstbeschuldigung, übersteigertes Leistungsideal

• Ausgeprägtes non verbales Schmerzverhalten

• Einseitig körperliches Diagnostizieren, Abklärungsuntersuchungen und

Behandlungsversuche

• Soziale Probleme und Belastungen (z. B. Beruf, Familie, Finanzen, Sorgen etc.)

Egle und Hoffmann 1993, Egle et al 1999, Hasenbring et al 2001, Huse et al. 2001, Ruoss 1999

Psychiatrie-Dienste Süd, Dienstagsreferat, 25.03.2014 Seite 31

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Depressive Somatisierung

• Zurückstellen eigener Wünsche auf dem Hintergrund mangelnder

Geborgenheitserfahrung

• Übermässiges Bemühen, sich anzupassen

• Überforderung bis zur Erschöpfung, Ausbruch von Symptomen, etwa

Schmerzen, bzw. Entwicklung von Beschwerden im Sinne des

«Vulnerabilitäts- / Stressmodells

Psychiatrie-Dienste Süd, Dienstagsreferat, 25.03.2014 Seite 32

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Was sind «Stressoren»?

Stressoren sind interindividuell unterschiedlich wirksame Belastungsfaktoren, die

starke Gefühle, etwa Angst, auslösen können

• Äussere Überforderungen

• Innere Konflikte

führen zu vermehrter psychischer und körperlicher Anspannung

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Reizdarmsymptomatik - Behandlungsmöglichkeiten

Vertrauensvolle Arzt – Patienten – Beziehung

Diagnosevermittlung, Aufklärung über Wesen und Ursachen der Beschwerden

Vermeidung wiederholter Untersuchungen

Regelmässige Kontakte, Termine, Gespräche

Förderung von Eigenverantwortung

Ermuntern zu sportlichen Aktivitäten

Achtsamkeitsschulung

Entspannungstechniken vermitteln, evtl. Biofeedback

Essgewohnheiten thematisieren, evtl. Ernährungsberatung

Klären der Lebenssituation, evtl. bestehender zwischenmenschlicher oder

intrapsychischer Konflikte

Längerfristig werden medikamentöse Behandlungen oder diätetische Massnahmen

ohne Berücksichtigung der Arzt – Patienten – Beziehung als wirkungslos erachtet

Mehrere Studien fanden eine schlechte Prognose bei psychosomatisch

unbehandelten funktionalen Magen – Darmbeschwerden, etwa eine anhaltende

Symptomatik bei fast der Hälfte der Betroffenen nach fünf Jahren

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Kognitiv – verhaltenstherapeutische Ansatzpunkte für

die Behandlung

1. Zusammenwirken von chronischer Stressreaktion und Magen –

Darmbeschwerden.

2. Klären der persönlichen Symptomerklärung

3. Aufmerksamkeitsfokussierung; verstärkte Wahrnehmung und Fehlbewertung

«normalen» Körperreaktionen

4. Inaktivität, Schonverhalten (bsp.: sozialer Rückzug, Vermeiden von auch

positiven Aktivitäten, «Schondiäten») abbauen

5. Stressverschärfende, dysfunktionale gedankliche Bewertungen erkennen und

umbewerten

6. Selbstbeobachtungsprotokolle

7. Ermunterung zum Gefühlsausdruck

Psychiatrie-Dienste Süd; Dienstagsreferat; 25.03.2014 Seite 35

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Klassische Methoden der Stressbewältigung

Wesentliche Teile des unbewussten Nervensystems sind im Magen – Darmtrakt

lokalisiert, daher reagiert bei Belastungen immer auch der Magen – Darmtrakt mit.

Führt diese «normale» Reaktion zu anhaltenden Beschwerden, können diese

ihrerseits eine Stressreaktion auslosen, so dass im ungünstigen Fall ein Teufelskreis

aus körperlichen Symptomen und Stressreaktion entstehen kann.

Methoden zur Stressbewältigung stellen daher einen wichtigen Ansatzpunkt bei der

Behandlung dar:

1. Reduktion und Veränderung stressauslösender Ereignisse

2. Förderung der Selbstwahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf chronische

Anspannung, Erregung und Vermittlung geeigneter Entspannungsmethoden

3. Erkennen von stressauslösenden Ereignissen und eigener Verhaltensweisen

4. Erkennen und Umbewertung stressfördernder Bewertungen von belastenden

Ereignissen

5. Erkennen und Umbewerten stressverschärfender Gedanken in Zusammenhang

mit dem Auftreten von Magen – Darmbeschwerden

6. Verringern des allgemeinen Anspannungsniveaus

Psychiatrie-Dienste Süd, Dienstagsreferat, 25.03.2014 Seite 36

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PSYCHOSOMATIK -

ALSO ALLES NUR «EINBILDUNG»?

Psychiatrie-Dienste Süd; Dienstagsreferat: 25.03.2014 Seite 37

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Warum Zurückweisung schmerzt

Psychiatrie-Dienste Süd; Dienstagsreferat; 25.03.2’14 Seite 38

Naomi Eisenberger et al (2003): mit Hilfe der «funktionellen

Magnetresonanz-Tomographie» konnte gezeigt werden, dass in

Situationen, in welchen Probanden sich sozial ausgegrenzt fühlen,

ähnliche Hirnregionen aktiviert werden, wie bei körperlichen

Schmerzen

CyberBall: Virtuelles Spiel;

Probanden vermuten, mit

realen Personen zu spielen,

spielten jedoch mit einem

computergesteuerten

Programm

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Psychiatrie-Dienste Süd; Dienstagsreferat, 25.03.2014 Seite 39

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Warum Zurückweisung schmerzt

Psychiatrie-Dienste Süd, Dienstagsreferat 25.03.2014 Seite 40