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Psychologie des Schamanisierens. Von Konrad Zucker, Commonwealth Research Fellow in Psychiatry. Maudsley Hospital University of London, (Einffegangen am 11. Juni 1934.) Zwcck tier vorliegenden Arbeit ist eine Untersuchung fiber die psy- chische Haltung im Schamanismus und das Aufdecken der Bedeutung, die dieser Haltung auch im Erleben innerhalb unseres Kulturkreises zukommt. Trotz der aufschlul3reichen Arbeit yon Levy-Bruhl 19 sind die Beziehungen, die die Psychiatrie zu ethnologischen Fragen hat, in letzter Zeit mehr oder weniger einseitig yon psychanalytischer Seite aus behandelt worden. Mit welch brauchbarem Nutzen das ffir die Ethnologie geschah, wird, soweit ich sehe, yon Vertretern der letzteren verschieden beurteilt (vgl. hierzu auch die Auseinandersetzungen yon C. G. Seligman 39). Oft scheinen die Dinge dabei mehr zum •utzen der Psychanalyse in ein Schema gezwgngt zu werden, Dinge, die vielleicht vorurteilsloser zungchst einer ph~nomenologischen Untersuchung fiberlassen blieben. Solange aber die psychiatrische Ph~nomenologie sich hier nich~ selbst regt, kann man den ersten Schritt auch seitens der Ethnologen nicht erwarten, die meist psychologisch, aber weniger psychiatrisch vorgebildet sind. Die Darlegungen kranken an einer entscheidenden Stelle, n~mlich, da[~ ihnen keine eigenen Beobachtungen an Schamanen zugrunde liegen, son- dern da/3 hierzu nur die verstreut in der Literatur niedergelegten Berichte herangezogen werden konnten. Sie k6nnen daher bezfiglich Einzelheiten keinen abschliel~enden Wert beanspruchen. Sonderstellung' des Schamanentums. Unter Schamanisieren versteht man bekanntlich eine zauberische Handlung eines Einzeinen, der hierffir oft sogar berufsm~LBig geeignet ist. In ihr ger~t der Betreffende unter Verfolg eines tiberall verschiedenen Rituals, durch Tanzen, Singen, Tromme]n oder andere k6rperliche Anstrengungen in einen bestimmten psychischen Zustand (meist Ekstase genannt), in welchem er ffir ein eigenes oder meist yon anderen Personen zuvor an ihn gerichtetes Anliegen eine Antwort oder L6sung zu finden trachtet. Das Wort Schaman oder ,,Saman" ist nach Nioradze. 22 man- dschurischen Ursprungs und bedeutet einen erregt, ruhelos hin und her springenden Menschen. Der Schamanismus findet sich im ganzen russischen Asien (Nioradze 32, Grube 10, Lankenau 16, Priklonskij 24, Radlo//25), zum Teil auch in Persien; ferner in der Mongolei und Man- dschurei. St6tzner 33 scheint ihn letzthin auch fiir die westchinesischen Provinzen sichergestellt zu haben; Seligman 30 beschrieb ihn bei den 46*

Psychologie des Schamanisierens

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Psychologie des Schamanisierens. Von

Konrad Zucker, Commonwealth Research Fellow in Psychiatry. Maudsley Hosp i ta l University of London,

(Einffegangen am 11. Juni 1934.)

Zwcck tier vorliegenden Arbeit ist eine Untersuchung fiber die psy- chische Haltung im Schamanismus und das Aufdecken der Bedeutung, die dieser Haltung auch im Erleben innerhalb unseres Kulturkreises zukommt. Trotz der aufschlul3reichen Arbeit yon Levy-Bruhl 19 sind die Beziehungen, die die Psychiatrie zu ethnologischen Fragen hat, in letzter Zeit mehr oder weniger einseitig yon psychanalytischer Seite aus behandelt worden. Mit welch brauchbarem Nutzen das ffir die Ethnologie geschah, wird, soweit ich sehe, yon Vertretern der letzteren verschieden beurteilt (vgl. hierzu auch die Auseinandersetzungen yon C. G. Seligman 39). Oft scheinen die Dinge dabei mehr zum •utzen der Psychanalyse in ein Schema gezwgngt zu werden, Dinge, die vielleicht vorurteilsloser zungchst einer ph~nomenologischen Untersuchung fiberlassen blieben. Solange aber die psychiatrische Ph~nomenologie sich hier nich~ selbst regt, kann man den ersten Schritt auch seitens der Ethnologen nicht erwarten, die meist psychologisch, aber weniger psychiatrisch vorgebildet sind.

Die Darlegungen kranken an einer entscheidenden Stelle, n~mlich, da[~ ihnen keine eigenen Beobachtungen an Schamanen zugrunde liegen, son- dern da/3 hierzu nur die verstreut in der Literatur niedergelegten Berichte herangezogen werden konnten. Sie k6nnen daher bezfiglich Einzelheiten keinen abschliel~enden Wert beanspruchen.

Sonderstellung' des Schamanentums. Unter Schamanisieren versteht man bekanntlich eine zauberische

Handlung eines Einzeinen, der hierffir oft sogar berufsm~LBig geeignet ist. In ihr ger~t der Betreffende unter Verfolg eines tiberall verschiedenen Rituals, durch Tanzen, Singen, Tromme]n oder andere k6rperliche Anstrengungen in einen bestimmten psychischen Zustand (meist Ekstase genannt), in welchem er ffir ein eigenes oder meist yon anderen Personen zuvor an ihn gerichtetes Anliegen eine Antwort oder L6sung zu finden trachtet. Das Wort Schaman oder ,,Saman" ist nach Nioradze. 22 man- dschurischen Ursprungs und bedeutet einen erregt, ruhelos hin und her springenden Menschen. Der Schamanismus findet sich im ganzen russischen Asien (Nioradze 32, Grube 10, Lankenau 16, Priklonskij 24, Radlo//25), zum Teil auch in Persien; ferner in der Mongolei und Man- dschurei. St6tzner 33 scheint ihn letzthin auch fiir die westchinesischen Provinzen sichergestellt zu haben; Seligman 30 beschrieb ihn bei den

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Weddas in Ceylon. Ferner findet er sich bei den Eskimos (Rasmussen 26, Jeness 14). Aueh der alte BSn-Kultus im Himalaya, ja, auch die Zauber- rituale einiger, nicht eigentlich zur lamaistisehen Kirche gehSriger tibetischer Sekten (z. B. der TschSd der Kargyudpas [David-iVeelS]) zeigen deutliche schamanistische Zfige.

Die primitiven Denkformen, wie sie von Levy-Bri~hl (1. c.) beschrieben wurden, sind natfirlich auch im Schamanisieren leicht aufzuzeigen. Sie werden hier als bekannt vorausgesetzt. Sie allein machen aber nicht die SondersteUung des Schamanismus aus unter den vielen anderen magischen Handlungen niederer Kulturen. Es ist auch im Prinzip zu beanstanden, wenn man wie das hiiufig geschieht, iiberall von schamani- sieren spricht, wo gezaubert wird. Das, was die Isolierung des Schamanis- mus berechtigt, ist zun~chst, dab er sich fast ausschlieBlich bei VSlkern finder, die schon nicht mehr primitiv im eigentlichen Sinne genannt zu werden verdienen. Sodann aber ist wichtig zu wissen, dab das Schamani- sieren g~nzlich unabh~ngig sein kann yon den fibrigen religiSsen Ge- br~uchen der betreffenden Gesellsehaft oder des Volkes. ,,Der Schamanis- mus ist bei den Jakuten nicht ein Glaube oder eine Religion, sondern ein Akt, der bei gewissen Gelegenheiten vollzogen wird" (Samolcwassow 2~). W~hrend bei den eigentlichen Primitiven dem Zauberer auch gleichzeitig eine besondere soziale SteUung etwa auch als Priester zukommt, hat das bezfiglich des Schamanen nirgends statt. Er genieBt, abgesehen v o n d e r mit seiner T~tigkeit verbundenen Beachtung, keinerlei besonderen Vorrang (die Besonderheiten des Schamanenbegr~bnisses gehSren nicht hierher). Das wird besonders dort deutlich, wo in den fraglichen Gebieten verschiedene Religionen und deren Priester auBerdem, und zwar in vSlliger Unabh~ngigkeit vom Schamanentum bestehen (Altai, Mongolei, Tuwa, Mandschurei, Transbaikalien).

Im fibrigen beschrs sich die T~tigkeit des Schamanen - - vom Inhalte abgesehen - - auf eine formal mehr oder weniger einheitliche Handlung, die innerhalb einer bestimmten Volksgruppe mit verh~ltnis- m~Big geringen ~l.nderungen ausgeiibt wird. Eben das unterscheidet ihn - - ~berg~nge kommen natfirlich auch hier vor - - vom Zauberer der eigentlichen Primitiven einerseits und yon den gelehrten Zauberdoktoren hSherer Kulturen (Mongolei, Tibet, Nepal, Westchina usw.) andererseits, welch beide fiber mannigfache Praktiken und Rituale verffigen. Diese Tat- sache hat, bewuI3t oder nicht, offenbar die meisten ethnologischen Autoren veranlaBt, im treffenden Sinne auch da yon Schamanentum zu reden, wo das Wort Schaman oder Saman selbst im Volke fremd war. Sieht man die Berichte daraufhin durch, welches die invarianten Faktoren sind, was also am Ritual iiberall und stets vorkommt, wo fiberhaupt schamani- siert wird, so bleibt yon allen AuBerlichkeiten eigentlich nichts fibrig. Weder Besonderheiten der Kleidung noch die Trommel, noch irgendein anderes Requisit findet sich konstant. Das Einzige, was vielleicht noch

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zu den )[uI3erlichkeiten gerechnet werden kSnnte, sind Vorkehrungen, die den Schamanen nach MSglichkeit vor Ablenkungen schfitzen sollen: Bfischel, Federn, Lederfransen vor den Augen ; oder es wird in der Dunkel- heir oder wie zum Tell bei den Eskimos hinter einem Vorhang schamani- siert. Im iibrigen aber ist es ein bestimmter psychischer Zustand, der fiberall durch starke, oft excessive motorische Anstrengungen erreicht wird, der das eigentliche Wesen, den Kern des Schamanisierens aus- macht, und zwar zu dem Zwecke

,,1. damit der Schamane die ihn und die Anwesenden interessierenden Fragen zu 15sen vermag,

2. damit er bei den Geistern Hflfe oder Erffillung der Wfinsche er- flehen, und

3. endlich auch, damit er sich die Geister mit Gewalt dienstbar machen kann." (:Vioradze 23.)

Bevor wir uns der eigentlichen Ph~nomenologie dieses Zustandes zuwenden, muB noch einiges gesagt werden fiber

die Pers6nlichkeit des Schamanen.

Wir gehen nicht auf die reichlich oberfl~ehlichen Anschauungen ein, die im Schamanen lediglich einen gewitzten Betrfiger sehen. DaB aueh hier ab und zu ,,Klappern zum Handwerk "gehSrt, mag unbestritten sein. Das r~umt dem Schamanisieren aber keine Sonderstellung unter anderen 5ffentlich ausgefibten Handlungen ein. Die vorurteilslosen Beobachter sind alle yon dem Glauben des Schamanen an sich selbst fiberzeugt. Nein, es sind andere Punkte, die uns mit Riicksicht darauf, dab wir im Schamanisieren eine einheitliche psychische Haltung erblicken, inter- essieren, um so mehr deshalb, weft diese Punkte ziemlich schwer vereinbar zu sein scheinen.

Viele Beobachter stimmen darin fiberein, daB die Schamanen oder die angehenden Schamanen schon als Kinder in psychischer Beziehung auff~llige Menschen seien. Man findet die versehiedensten Angaben: Neigung zu Verstimmungen, Recken der Glieder (Bogoras a), Drang, plStzlich heftige Schreie auszustoBen, Rollen der Augen, heftiges Zittern, plStzliches Aufspringen und sich im Kreise herumdrehen, Neigung zu epileptischen Anf~,llen (Radlo//~5), Reizbarkeit, zeitweilige GeistesgestSrt- heit (Ja]cowlew 12), ausgesprochene Geisteskrankheiten (Bogoras), die Veranlassung geben zu Mil~handlungen und TStung des Schamanen und Selbstmorde der Schamanen (Nioradze, 1. c.). Dem Psychiater ergibt sich beim Lesen dieser Berichte kein klares, jedenfalls kein einheitliches, Bild. Man denkt an schizoide oder Zwangs-Psychopathen, an solche mit hysteri- schen Reaktionen. Offensichtlich aber scheinen auch Sonderlinge mit sp~ter deutlicher werdenden schizophrenen Erscheinungen darunter zu sein. DaB es sich hier und da auch einmal um Epfleptiker handelt, mag zutreffen. Keineswegs aber dfirfen die nicht fachm~nnischen Berichte

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fiber epfleptische Anf/~lle w~ihrend des Schamanisierens ohne Kritik hingenommen werden, selbst wenn ,,Schaum vor dem Munde" beobachtet wurde, was bei dem manchmal sehr ausgedehnten Singen und Schreien dm'chaus normale Ursachen haben kann. Mich hat jedenfalls kein Be- richt yon einem echten epileptischen Anfall fiberzeugt.

Demgegeniiber stehen andere Beobachtungen, in denen der Schamane sich auBerhalb seiner T~tigkeit in nichts yon seinen Volksgenossen unter- scheidet 2~u. 2s und keine besonderen psychischen Auff/illigkeiten zu zeigen scheint. Im gleichen Sinne dfirfte auch die Tatsache zu bewerten sein, dab das Schamanenamt in verschiedenen Gebieten erblich i~t 2~ u. 25, oder dab es unter den Korjaken, Jakuten und Tsehuktschen die Ein- richtung eines Familienschamanismus gibt, wobei jeweils das m/~Imliche oder weibliche Familienoberhaupt dieses Amt bekleidet. Auch die sonst vorkommenden Weisen, wie. jemand zum Sehamanen wird, deuten darauf hin, dab wohl yon einer irgendwie gearteten Eignung zu dem Amte, keineswegs aber yon einer psychiatrisch zu fassenden gleichf6rmigen Abwegigkeit yore Normalzustande die Rede sein kann: W/~hrend die Einen sich selbst schon frfih zu dieser T/~tigkeit berufen ffihlen oder yon ihrer Umwelt dutch ihr auff~Uiges Verhalten dazu bestimmt werden und dann ohne weitere Vorbereitung damit beginnen, sind andere erst jahre- lang die Gehilfen des Schamanen. Dieser weiht sie allm/~hlich in die Geheimnisse ein, wobei es auch vorkommt, dab der ungeeignete Schiller vom Meister nach Hause geschickt wird.

Man sieht daraus, dab die Verh/~ltnisse etwa so liegen: Das, was den Schamanen ausmacht, muB die zeitweilige Einnahme ehles bestimmten psychischen Zustandes sein. Dieses muB allerdings mit einer bestimmten F/~higkeit oder Veranlagung verbunden sein. Diese Eignung ist nun zwar keineswegs auf geistig irgendwie abnorme Personen beschr/~nkt, doch scheinen letztere sie oft auch in hohem Make zu besitzen. Wie diese psychiatrisch zu beurteilen sind, wurde oben vermutungsweise ausge- sprochen, bedarf abet doch noch weiterer K1/~rung.

Die Eignung zum Schamanisieren. l~ber das, was das Wesen dieser Eignung ist, erfahren wir yon Laien-

diagnosen abgesehen, nicht viel direkt Verwertbares. Immerhin l/ii]t sich einiges aus den vorhegenden Beschreibungen der Literatur mit hoher Wahrscheinliekkeit ableiten, l~beraus h/~ufig, und zwar in Berichten fiber die verschiedensten geographischen Gebiete findet sich die interes- sante Angabe, daB, soweit die einzelnen Personen nicht selbst zum Scha- manisieren driingen, sie, einmal begonnen, yon dieser T/~tigkeit nicht lassen kSnnen, oder doch eine groBe Beruhigung durch sie erleben. Nioradze (1. c.) stellt die Aussagcn einiger Schamanen ]tier fiber zusammen : ,,Ich w/~re gestorben, wenn ich nicht Schamane geworden w/~re", sagt ein Giljake. ,,Als er zu schamanisieren anfing, verspfirte er sofort

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Erleichterung", heiBt es von einem Jakuten. ,,Ich leide, wenn ieh nicht schamanisiere" beriehtet Bogoras a, und f/~hrt fort ,,dab Schamanen und Schamaninnen nach langer, schwieriger T/~tigkeit . . . . . eine groge Ruhe und tiefe Befriedigung" zeigten. - - . . . . . . . bis das so geplagte Individuum die Schamanentrommel ergreift und zu sehamani- sieren beginnt. Dann erst beruhigt sich die Natur . . . . . . er kann jetzt nicht anders, er mug schamanisieren", sagt Radlo[/35 tiber die Schamanen bei den AltaivSlkern. Von einem jakutischen Schamanen beriehtet Seroschinsky al, dab man ihm seine Gew/~nder und Trommel verbrannte, ihm das Haar schnitt und ihn zu Verneigungen vor den Heiligenbildern der Kirche und zum Fasten zwang. Dennoch suchte er im Schamanisieren Zuflucht und fand darin Erleichterung und Trost. Entsprechendes betont Seligman a0 ftir die Schamanen Ceylons und geht aus Rasmussens Schilderungen seiner Eskimo-Schamanen hervor 36. Es lg6t sich mit Recht aus solchen Angaben, die noch vermehrt werden kSnnten, schlie6en, dab die fragliche Eignung in einer bestimmten Neigung einzelner Menschen besteht, die im Akte des Schamanisierens eine ad~tquate LSsung oder Befriedigung erfiihrt. Dabei mu6 betont werden, dab vielfach der werdende Schamane yon dieser MSglichkeit der Befriedigung solange nichts weig, bis er selbst, oft spontan, anfi~ngt zu schamanisieren (s. bei Nioradze, Radlo// und Rasmussen).

Man wird damit auf die Frage verwiesen: Welche Beziehungen be- stehen denn nun zwischen den Erseheinungen, die sich vorher zeigen, unter denen solche Menschen offenbar mehr oder weniger leiden und der Ausiibung des Schamanisierens, das die LSsung und Befriedigung dazu darstellt ? Soweit auch im einzelnen die Berichte in der Literatur dartiber verschieden sind, in zwei Punkten treffen sie sich, n/~mlich darin, dab die fraglichen Personen zuvor von einer qu/~lenden Unruhe und Angst be- fallen sind, die dutch das Austiben behoben wird . . . . . . . . und gerade die plStzliche Angst war es, die ihn sehend machte" erz/~hlt ein Schamane von seinem ebenfalls schamanisierenden Vater (26. S. 243). Dartiber hinaus 1/~6t sich aber noch feststellen, daft die /iuBeren Erscheinungen, die oben schon aufgez/~hlt wurden (Recken derGlieder usw.), alle imGrunde eigentlich dasselbe darstellen, was spi~ter beim Schamanisieren selbst nur in noch verst/~rktem Ausma6 vorgenommen wird. Das gilt auch da, wo einzeine Besonderheiten etwa vom Grog der obigen abweichen, wie z. B. in der sch6nen Schilderung bei Rasmussen *, in der auch das tiber die Angst Gesagte noeh zum Ausdruck kommt: ,,Der Sang . . . . . lautete folgendermaBen: Freude! Freude! usw. Diese Worte konnte ich immer und immer wiederholen, bis ich schlieglieh in Tr/inen ausbraeh, als Beute einer sonderbaren Angst. Dann konnte ich plStzlich fiber den

* Rasmussens iiberaus sorgf/iltige und ohne Kritik vermischte Aufzeichnungen stellen iiberhaupt eine Fundgrube fiir den psychiatrisch-ph/momenologisch inter- essierten Leser dar.

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ganzen KSrper zittern, w~hrend ich wiederum ausrief (folgt dasselbe Lied)." Und yon dem Tage seines Schamanwerdens sagt dann der Betreffende, ,,seit diesem Tage singe ich immer das (obige) Lied, wenn ich sie (die Geister) rule."

Zur Ph~nomenologie des Schamanisierens. I. Man kSnnte versuchen, zun~chst yon der motorischen Seite aus an

die hier interessierenden Fragen heranzutreten. Es unterliegt gar keinem Zweifel, dab ein groBer Tell des motorischen Gebarens des Schamanen symbolische Handiungen darstellt, so, wenn er einherschleicht, um den Geist zu erhaschen, oder wenn er ihn irgendwie anlockt, ihn umarmt, mit dem Messer nach ihm sticht u. ~. m. Aber damit allein wfirde sich uns das Gesamtbild, das oft eine unerhSrte Anstrengung darstellt, nicht kl~ren. Es bliebe auch hierbei noch die Frage, wie der Schamane selbst diese symbolischen Handlungen eigentlich erlebt. Die allgemein zu findende Erkl~rung, daB exzessive motorische ~ul~erungen das Auf- kommen eines ekstatischen Zustandes erleichtern oder einen solchen direkt vermitteln, ist viel zu unklar und vieldeutig, um mit ihr etwas anzufangen. SchlieBlich ist es doch ein wesentlicher Unterschied, ob jemand sich durch eine motorische Erregung bestimmter Ablaufsform in einen angestrebten Affektzustand hineinsteigert, oder ob der Schamane, der mit einer an ihn gerichteten Frage an die Prozedur herantritt, sehr hhufig scheinbar sinnlose Bewegungen ausfibt, die zuns eine bestimmte affektive Haltung iiberhaupt nieht erkennen lassen. Es ist da aber eine Besonderheit, die fiir unser Verst~ndnis wichtig ist und die sich mit Er- kl~trungen solch allgemeiner Art nicht erfassen l~Bt. Man finder n~mlich, dab bei den meisten Schamanen der Gipfelpunkt ihrer motorisehen Er- regung, bzw. der Anteil, der mit der grSBten Anstrengung erfolgt, ohne lokomotorischen Effekt ist. In diesem Zustande stehen oder liegen solche Schamanen intensiv gespannt oder zitternd da, was gerade manche Beobachter veranlaBte, von epileptischen Anf~llen zu sprechen. Melzer 3a besehreibt z.B. einen solchen Zustand eines chinesischen Schamanen in der Mandschurei. Bei Rasmussen finden wir sogar die Angaben, dab Schamanen gebunden hinter einem Vorhang sitzend oder nur stark zitternd im Raume stehend ihre T~tigkeit ausiiben. Gleichsinnige Be- obachtungen, d. h. wo der Gipfel der Erregung einen ~hnlichen Zustand erreicht, linden sich auBer bei den meisten der zuvor schon erw~hnten Autoren noch bei P/itzenmayer 23, bei Mgnchen-Hel/en 2o und in Lehmann ,,Zauberei und Aberglaube" S. 34 17. Angaben fiber epileptische Anf~lle, jedenfalls fiber Krampf- Zitter- oder Starrezusts w~hrend des Schamani- sierens, finden sich so fiberaus h~ufig, dab sehr daran zu zweifeLa ist, ob ein solcher Zustand, der l~nger oder kfirzer dauern kann, fiberhaupt je vermiBt wird. DaB er vom Beobachter, der natiirlich mehr dutch lokomotorische Leistungen wie Tanzen, Springen, Stampfen, beeindruckt

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wird, einmal fibersehen werden kann, das mag einleuchten. Damit erreichen wir schon einen Punkt, an dem uns das motorische Verhalten zun~chst wenigstens keinen weiteren Einblick in den fraglichen psyehi- schen Zustand vermitteln kann, und wir wenden uns deshalb dem letz- teren selbst zu.

Es wurde schon gesagt, dab der Schamane kein Priester im eigent- lichen Sinne ist und dab er sich iiberall dort, wo auch ein Priesterstand besteht, ganz wesentlich von diesem abhebt. Soweit kultisch-religiSse und schamanistisch-magische Tendenzen eine gemeinsame Wurzel haben, so gehen beide doch schon verh/iltnism~13ig friihzeitig auseinander, wenn auch Verbindungen zwischen ihnen praktisch bestehen. Man ver- gegenwi~rtige sich aber nur das religiSse und das magisch-abergl/iubische Erleben unserer Zeit und Umgebung ph/inomenologisch, um zu verstehen, worauf es ankommt. DaB der Einzelne oft das eine ohne das andere haben kann, beweist weniger gegenfiber der Tatsache, dab dort, wo beides Erleben stattfindet, sich das eine yore anderen qualitativ unterscheidet, und das nicht nur (mora]isch) final. W~hrend alle kultisch-religiSsen Handlungen neben besonderen Gelegenheiten den allgemeinen Zweck der Verehrung der Gottheit oder der VersShnung und der Vereinigung mit ihr haben, erfolgt das Schamanisieren stets aus einem konkreten, jeweils neu auftauchendem Anlal3, dessen Inhalt mannigfaltig sein kann. Wenn dieser Anlal3 nun auch gelegentlich im Schamanen selbst entsteht, so ist doch der eigentliche Sinn seiner T~tigkeit dadurch gegeben, daI~ eine Frage oder ein sonstiges Anliegen eines Anderen eben diesen AnlaB darstellt. Ziehen wir nun in Betracht, dab der Schamane an seine MSg- lichkeiten selbst glaubt und ferner die Tatsache, wie der Schamane oft /~hnlich dem Arzte nach der Art und dem Sitze eines etwaigen Leidens oder nach n/~heren Umstiinden bei anderen Ge[egenheiten fragt, und beachten wir schliel31ich, wie sich die Idee des jeweiligen Anlasses ein gut Tell durch sein Tun und Treiben wiihrend des Schamanisierens ver- folgen 1/~I~t *, so dr/~ngt sich der beinahe selbstverst/~ndliche SchluI3 auf, dab der Schamane sich tief innerlich auf das an ihn gerichtete An- liegen einstellt. In der klarsten Form geht das wieder aus einem Berichte Rasmussens (1. c., S. 169) hervor: ,,Es galt, alle Kra# zusammenzu/assen und alle Gedan]cen au/ das eine zu sammeln, /iir den, der nun reisen sollte, etwas gute8 zu denken."

Dal3 es sich jedenfalls nicht um die Ausfiihrung eines umfangreichen Rituales handelt, das nur so und nicht anders ausgefibt werden darf, weft da etwa bestimmte Vorschriften bestehen**, sondern dab es sich vielmehr um eine hSchst persSnliche und yon Fall zu Fall sogar ver- sehiedene Leistung handelt, das geht aus den vielerorts zu findenden Angaben hervor, dab der Schamane gar nicht immer zu einer LSsung

* In Form der symbolischen Handlungen und AuBerungen des Schamanen. ** Wie etwa beim Opfer-Rituale der Brahmanen.

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der Aufgabe kommt und dann gewShnlich ein recht unzufriedenes Ver- halten zeigt oder dab er die Prozedur einige Male wiederholt. Mit dieser tiefen Vergegenw~rtigung des Anliegens (des eigenen oder des eines An- deren) ist eines der Hauptmerkmale der schamanistischen Haltung gekennzeichnet. Es mag nicht unerw~hnt bleiben, dab in manchen Ge- bieten Frauen als Schamanen bevorzugt werden. Nioradze (1. c.) fiihrt sogar aus, ,,daI~ im Familienschamanismus die Frau an erster Stelle stand." Bei der besonderen Fiihigkeit, die den Frauen im a]lgemeinen ffir diese Einstellung zugeschrieben wird, wfirde das unsere Auffassung noch unterstreichen.

Seiner Form naeh ist dieses Erleben das, was Levy-Bruh119 die Parti- cipation nennt, ,,dab jede Zweiheit ausgelSscht ist, und dab unbekiimmert um das Prinzip des Widerspruehs das Subjekt zugleieh es selbst und das Wesen ist, an dem es partizipiert" (S. 344). In dieser erlebten Vereinigung von Subjekt und Objekt, in diesem ,,wahrhaftigen Innehaben", wo der seelisehe Fragezustand in den Beantwortungswillen eingeht, liegt die MSgliehkeit einer L6sung und Be/riedigung beider begrfindet. Das yon dieser LSsung abh~ngige Resultat, d. h. die schlieBlich gegebene Antwort, ist ebenso ,,erlebt" und nicht etwa gefolgert. Sie ist daher auch nicht rational verst~ndlieh, gesehweige denn einer Kritik zug~nglieh. Wir diirfen konsequenterweise annehmen, dab diese so erreichte Antwort nun aueh umgekehrt wieder vom Zuh5rer oder Fragesteller durch Partizipation erlebt wird, obschon wir fiber die Psychologie jenes noch weir weniger orientiert sind, als fiber die der Schamanen selber. Wir mfil3ten es bei dieser Erkls sein Bewenden haben lassen, wenn wir nicht aueh in unserer Kultursph~re Zust~nden begegnen wfirden, die dem sower geschilderten im Grunde durchaus gleieh sind, und die uns dessen Vergegenw~rtigung erleichtern kSnnen. Von ihnen wird bald die Rede sein. Es unterseheiden sieh diese Zust~nde zwar nicht als solche von dem des Sehamanisierens, wohl aber in der danach erfolgenden Erl~uterung der erlebten LSsung. Von grundlegender Bedeutung fiir das Verst~ndnis dieser Dinge ist es aber, sich fiber

alas Erleben der Geister innerhalb jener Kultursph~re Klarheit zu verschaffen.

Im rationalen Erkennungsvorgange wird der Frageinhalt objektiviert, sozusagen als etwas Fremdes betraehtet, naeh auBen projiziert. Beim Sehamanisieren, wie fiberhaupt im Erleben jener Kulturkreise erfolgt eine Projektion nach auBen in dieser Richtung nicht, dagegen in einer anderen, uns fremden Richtung. Es sind das die Geister oder D~monen, die mehr oder weniger allein bei allerlei (~berraschungen oder (meist unliebsamen) Veritnderungen in Frage kommen. Es sind dariiber ja maneherlei psyehoiogische Erkl~rungen abgegeben, aber selbst wenn z. B. Vierlcandt 34 ganz richtig sagt : ,,Extasen, wie iiberhaupt hypnotische,

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hypnoide und verwandte Zust/~nde haben bekanntlich die Eigentiimlich- keit, die Hoffnungen, Erwartungen, Wiinsche und Phantasievorstellung zu objektivieren", so ist damit lediglich eine Tatsache umschrieben, ohne dab sie unserer Einsicht n~her gebracht wird. Das, worauf es hier ankommt, liegt in dem wesentlichen Unterschied zwischen Wissen und Erleben. Wir wissen, dab es keine Geister gibt. Es ist uns das gelehrt und es ist das weder mit der wissenschaftlichen noch den religiSsen Vor- stellungen unserer Zeit vereinbar. Wir wissen es aber sozusagen ohne Erwerb; erlebt haben w i r e s nicht. Inwieweit das in der Entwicklung, die unser Denken seit der griechischen Antike nahm, begrfindet liegt *, und inwiefern doch der Aberglaube aller Zeiten Ausnahmen zulieB, darauf kann hier nicht eingegangen werden. Wichtig scheint aber, darauf hin- zuweisen, dab der ganze moderne Kampf gegen den Spiritismus mit rationalistischon aber eigentlich nie mit den ad/~quaten Waffen aus dem Erleben heraus geffihrt wird, und dab sich bezeichnenderweise die okkultistische Gegenwehr auch darauf einstellt **. Nun, im Denken der hSher entwickelten zentral- und siidasiatischen Kulturen stellt das durch Erleben erworbene Wissen, dab es keine Geister oder D/~monen gibt, mit die hSchste Stufe des Erkennens iiberhaupt dar. Diese wird daher auch nur von wenigen erreicht. Es hat sich dort, besonders in Tibet innerhalb dieser, sagen wir, Erlebniswissenschaft eine h6chst interessante und hierfiir kennzeichnende Dialektik entwickelt. Sie besagt, dab Geister und Ds zwar tats/~chlich, aber wiederum nur f/Jr den bestehen, der sie erlebt, weiter aber, dab im tiefsten Grunde Geister oder D~monen und Affekte oder Stimmungen dasselbe sind. Daher denn auch der wunsch- und affektfreie Heilige keine Geister mehr erlebt ***. Anderer- seits kann man danach einen Schamanen mit einem regen Geffihlsleben oder hoher BeeindruckungsmSglichkeit als jemanden zu bezeichnen, der sich am besten auf den Umgang mit D~monen usw. versteht.

~brigens finden wir Ankl~nge an die Objektivierung yon Stimmungen und Affekten ja auch noch in unserem Sprachgebrauche vor. So, wenn mich ,,eine Angst beschleicht", ,,eine Sorge gefangen n immt" , ,,eine Freude fiberf/~llt", ,,eine Liebe in Besitz h~lt" usw.

* Man ]ese dariiber bei Leisegang ,,Denkformen", besonders Kapitel VIII is ** Mit Ausnahme etwa theosophischer Kreise. Diese versuchen umgekehrt,

orientalisch-asiatische Reiser in naiver Kurzschliissigkeit auf unsere Kultur auf- zupfropfen, wobei der beiderseitige grundverschiedene Entwicklungsweg kurzer- hand unbeachtet gelassen wird. Hier tiegt ihr Fehler, und soweit sie sich wissen- schaftlich nennen, ihre Unwissenschaftlichkeit und ihre kulturpolitische Gefahr ffir geistig Unmiindige.

*** Bei einiger Einstellung auf diese, uns an sich ja fremd anmutenden Ge- dankeng/~nge ist es nicht schwer, diese zu verfolgen in ,,Mitaraspa" 21, besonders deutlich ira 2. Teil. Ferner in Evans-Wentz' ~ ,,The Tibetan Book of the Dead." Popul/tr, aber nicht minder gut dargestellt in dem bekannten Buche von A. David- Nell ~; oder noch besser in ,,Initiations lamaiques" derselben Verfasserin s

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Man sollte an diesem Punkte nicht achtlos vorbeigehen. Von hier aus ergeben sich wesentliehe Einsichten fiir die erlebnism/~13ige Seite zentral- und siidasiatiseher Philosophien, im besonderen des Buddhismus. Letzterer, sowohl in seinem siidlichen (Hinayana) wie in seinem nSrd- lichen (Mahayana) Zweige verneint bekanntlich das Bestehen einer persSn. lichen Seele und weiB vom Ich nur das auszusagen, dal~ es durch nicht irgendetwas positiv charakterisiert werden kann, dab vielmehr jede Aus- sage dariiber unzutreffend ist (sogar auch seine Verneinung). ]~s muter das durehaus als die letztmSgliche Konsequenz an, die ihren erlebnis- m/ii~igen Ausgang nimmt von primitivsten animistischen Ansehauungen. Die Psychologie des Sehamanismus liegt auf dem Wege dieses Entwick- lungsverlaufes, Es bleibt dabei verh/iltnism/il~ig nebens/ichlich, dall diese Haltung bei den verschiedenen buddhistischen Volksglauben in ihren sprachlichen Fassungen weniger klar zum Ausdruck kommt. Wenn es sich dort auch oftmals anders zu verhalten scheint und wenn dort auch in einem uns scheinbar verwandten Sinne vom Ich und yon einer pers6n- lichen Seele gesprochen wird, so lehren andere Tatsaehen wie der Seelen- wanderungsglaube und die Ph/inomenologie des Erlebens yon Gf t te rn oder D~imonen, dab diese Verwandtschaft mit unserem oceidentalen Er- leben eben doch nur eine seheinbare ist. Viele Schwierigkeiten besonders fiir das Verstehen solcher Volksglauben und viele Mil~verstandnisse, die sieh durch voreilige Analogieschltisse in ethnologischen und folkloristi- schen Berichten einschlichen, linden hierdurch ihre' Kl~rung. Ob das VerhMtnis sich nun in irgendeinem der dortigen Volksglauben fiir unser Verst~ndnis nur dunkel andeutet oder ob es bei den Denkern h6herer Religionsstufen seinen sprachlich klareren Niederschlag findet, gemeinsam ist dieser gesamten Entwicklung, dal~ in ihr sich der Mensch nicht als ein Ich mit zahlreichen ihm zugehSrigen MSgliehkeiten des Erlebens vor- kommt, sondern dab er vielmehr den Spielball abgibt fiir mancherlei aul~erhalb seiner entstehende Einfliisse, die ihn ,,afficieren" als Geister oder D~monen. Er kennt weniger Hal~, Liebe, Habsucht, Kummer, Freude als meine Leidensehaft oder meine Stimmung, sondern den HaB, die Liebe usw. als ein magisch wirksames Prinzip an sich, das mehr oder weniger jedermann befallen kann. Da der Mensch aber durch moralisch oder stimmungsmi~Big schlimme Einflfisse fiir sich oder seine Umgebung folgenschwerer beeindruckt wird als durch angenehme, so ergibt sich schon daraus die groBe Anzahl genauer charakterisierter iibler Damonen, gegenfiber den wenigen und meist nur allgemein angedeuteten guten Geistern. Die magische Praxis wollte ja wohl auch keine Hilfe zur Ab- wehr guter und angenehmer Einfliisse ersinnen, sondern wollte sich selbstversts die iiblen vom Leibe halten. Daher wird denn auch der Schamane ~uBerst selten zu Weihe- oder Festzeremonien hinzugezogen, sondern fast ausschlieBlich begehrt man seine Hilfe, wenn es einem iibel geht. Den klarsten Ausdruck linden diese Dinge aber im tibetischen

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Mahayana *, wo die Buddhas, Bodhisatvas, GStter, Damonen und HSllcngeister mit nach unten abnehmender Deutliehkeit geradezu die Qualitat selbst existierender Ideen (fiir unseren Spraehgebraueh) haben. Bei so gearteter Lage des Erlebcns, wobei man selbst sich als Beeindruckter abhebt yon dem Eindruck als etwas anderem, wo z. B. nit ich mich iirgere, sondern stets es mich argert, ist dann auch die PartizipationsmSglichkeit an dem, welches da s bekfimmert usw. eine leiehter zu vollziehende. Sie leiht der Vergegenwartigung sozusagen konkretere Angriffspunkte und das hat dann wie erwahnt vom Fragesteller zum Schamanen wie aueh nachher umgekehrt start. - - Und wenn es aueh uns leichter wird, nachdem wir jemandem unseren Kummer ,,mitteilten", dann haben wir darin den gleichen phanomenologisehen Tatbestand, nur dab wir von diesem Umstand Gebraueh machen, ohne AnlaB mehr zu haben, ihn dureh ein Ritual auszubauen und damit aber auch zu vertiefen und zu vervoU- kommnen.

Es ist nach dem Gesagten nieht ganz richtig, den schamanisierenden VSlkern in den !~und zu legen: die Geister seien die Ursache fiir dieses oder jenes. Das, was wir rational als die Ursache ansehen, wird auch yon jenen - - wo mSglich - - erkannt, aber nicht mit dem unbedingten Werte aufgenommen, den es fiir uns hat. Sie erleben in erster Linie das, was ihnen am nachsten ist das, was sich allemal einstellt, die Beein- druckung, die Damonen, die Gefiihlsanderung. Auf diese richtet sieh hauptsachlich die Tatigkeit des Schamanen, und wie er sie anfanglieh erlebt, so miissen sie auch endlich in seiner Antwort enthalten sein. Was einzig an seiner Tatigkeit rational verstandlieh erscheint, das sind gerade die symbolischen Handlungen, z. B. den Geist zu loeken, ihn zu fangen usw. Diese aber linden sieh gar nicht iiberall, und wit kSnnen sie als fiir das psychologische Hauptproblem nebensachlich auBer aeht lassen. Sie bestatigen nur das, was Levy-Bruhl nie bestritt , daB ratio- nalistische Gesichtspunkte im Gesamterleben der Primitiven gar nieht vSllig fehlen.

Hier mag noeh etwas zur Phanomenologie des Zauberns gesagt werden, weft es bis zum gewissen Grade hier mit hereinspielt. I m Occi- dent spielt ja das Zaubern eigentlieh keine Rolle mehr. Da wo iiberhaupt noch davon die Rede ist, liegen die Verhiiltnisse vorwiegend so, daB man vom Zauberer erwartet, dab er in irgendeiner geheimnisvollen oder un- bekannten oder sich der Nachpriifung entziehenden Weise auf Dinge oder Vorgange auflerhalb unser einwirkt. Diese Art des Zauberns, die in

* Hier, in der hochentwickelten religi6sen Philosophie werden dann auch gute und moralisch wertvolle Regungen und Eigenschaften zu ,,G6ttern", z. B. ,,die all- umfassende Barmherzigkeit" zum Bodhisatva Tshen-re-sig. Die Auffassung des Buddha als Person wird sogar als verf~nglich geleugnet, sein wahrer Charakter vielmehr als die allumfassende Weisheit hingestellt (David-Ned Initiations lamai- ques S. 176).

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704 Konrad Zucker:

der Frfihzeit unserer Kul tur gefibt wurde und die fiber die ,,Magia natu- ralis" allm/~hlich ihre Fortsetzung in der sie selbst entthronenden Natur- wissenschaft land, war yon jeher in Asien in den Kunststfickchen yon Fakiren und /ihnlichen Personen yon nur untergeordneter Bedeutung. Es ist bezeichnend, dab das Interesse yon Europ/~ern in Asien haupt- s/~chlich yon dieser Art Gauklern gefesselt wurde, w~hrend sie den dort als grol3e Zauberer gerfihmten Menschen kein rechtes Verst/indnis ent- gegenbringen konnten.

In unserem Lichte gesehen stellt sich diese andere Art des Zauberns so dar: Es wird dutch den Zauberer auf dem Wege des Partizipations- erlebens die Beeindruckung des Fragenden, des Bittstellers und fiberhaupt der Anwesenden abge/indert. So erfahren auf ganz andere Weise, d .h . durch Vorg/~nge im Seelischen selbst Wfinsche durch Beseitigung der Strebung ihren Ausgleich, Kfimmernisse und Beffirchtungen werden zum Schwinden gebracht, andererseits abet werden Spannungen, Schrecken oder andere seelische Haltungen erst neu gesetzt. - - Ffir den bier gemein- ten Asiaten stellt sich ja irgendein spontan eintretendes Ereignis z .B. die Krankheit des Sohnes, das Abhandenkommen eines Stiickes Vieh und/ihnliches gar nicht wie bei uns als die eindeutige und direkt wirksame Ursache einer Gemiitsbewegung dar. Ob das nun in jedem Einzelfalle klar zum Ausdruck kommt oder nicht, es besteht jedenfalls in ihm das Wissen um einen magischen Mittler, der in solch einem an sich ja viel- deutigen Ereignis erst das Erlebnis in diesem oder jenem Sinne eigentlich ausmacht. Hier aber, an diesem ffir ihn entscheidenden Punkte kann der Zauberer eingreifen, indem er den Geist besiegt oder beschw6rt, oder wie wir sagen wiirden, den Eindruck des Erlebnisses umstellt. (,,LAB dem Herrn Deine Sorgen.") Die Vieldeutigkeit der /iul3eren Ursache und ihre verh/~ltnism/~Bige Nebens/~chlichkeit ffir das Erleben dieser Menschen geht ja auch aus bekannten Beobachtungen hervor, wo zuerst eine Gemfitsbewegung, vielleicht ohne ,,objektive" Ursache, erlebt wird und dann erst irgendein beliebiger oder zuf~lliger Vorgang oder auch Mensch als damit in Zusammenhang gebracht wird *. Es handelt sich dann um einen Vollzug, wie wir ihn in schizophrenen oder melancholischen Zusti~nden ganz /ihnlich beobachten. Es mfil3te allerdings noch gekl/~rt werden, worin bei letzteren das spezifisch Krankhafte besteht. Der Vollzug als solcher erscheint jedenfalls nicht krankhaft.

Vom primitiven Zauberer animistischer Kreise fiber das Schamanen- turn bis zu den gelehrten Zauberasketen Tibets hat sich eine Entwicklung vollzogen, die zwar dem Abendlande vorwiegend fremd ist, die abet als

* Die weitere Entwicklung, die diesem seelischen Vollzuge zugrunde liegt, gelangte im China der Kaiserzeiten dahin, dab aus staatspolitisch-religi6sen Rfick-, sichten allemal der Kaiser -- der dadurch erst zu einem hSheren Wesen wurde -- ffir die wiehtigsten Ereignisse im Reiche (Ernte, Seuchen, Kriege, Naturereignisse usw.) in seltsamer Weise als verantwortlich gedacht wurde.

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Entwicklung nicht viel geringer veranschlagt werden mag als die, welche sich in anderer Richtung fiber die Magia naturalis zur Naturwissensehaft vollzog. Das Staunenswerte, was diese Zauberpraktiken haben kSnnen, geht an unserer ganz ,,inad~quaten" Einstellung meist eindruckslos voriiber; es findet erst seine gerechte Bewertung gemessen an dem Ver- h~ltnis yon Einstellung der Umgebung zum ,,K6nnen" solcher Zauber- meister. - - Der Begriff der Suggestion mit seiner altklugen Inhaltsleere wfirde einer Kls deshalb iiberhaupt nicht dienlich sein, well er nur umschreibt und tiefere ph~nomenologisehe Erkenntniswege zu verschfitten droht. Bei v61ker- oder rassenpsychologischen Fragestellungen wird man zu berficksichtigen haben, dab das, was hier fiber die Gegens~tzlichkeit unserer und jener Entwicklung gesagt wurde, nichts ausschlieBliches bedeutet. Sowohl dort wie hier sind die verschiedenen Erlebnisformen als M6glichkeiten schlieBlich jedem gegeben. Es kommt nur darauf an, weleher innerhalb einer bestimmten Rasse der Vorrang gegeben wird bzw. zu welcher ein Volk fiberwiegend hinneigt und darauf seine Kultur mit aufbaut. In diesem Sinne dfirfte auch hier Clauss 6 mit seinem Stil- begriff das Richtige getroffen haben.

Zur Ph~inomenologie des Schamanisierens. II. Wir kSnnen jetzt vielleicht den Zustand beim Sehamanisieren noch

besser verstehen. Wir sehen in ihm die lebhafte und gesteigerte Ver- gegenws eines seelischen Fragezustandes und dessen gleiehzeitiges Verschmelzen zu einer Einheit mit dem ebenso intensiv eingenommenen Beantwortungswunsche. Im Sinne der Partizipation verschmilzt das Spannungsgeffihl im Gem fit, welches beiden Teilen zukommt, zu einem. Das Resultat, d. h. die gefundene Antwort ist ]ormal abh~ngig von der erreichten LSsung oder Entspannung des Gesamtzustandes. Sie erstreekt sieh zufolge der Erlebnis-Einheit sowohl auf den Beantwortungs-Willen als auch auf den Fragezustand. Inhaltlich wird die Antwort verst~ndlich durch die Herausprojizierung betonter Geffihlszust~,nde oder Stimmungen als Urheber des Fragezustandes. Sie sind Geister, Ds die in der erfolgten LSsung ihre Besiegung oder ~hnliehes erfahren. In einer sehr schSnen Studie hat Zutt 36 das Einheitliche, Untrennbare von den ver- schiedenen Stimmungs- oder Affekteinstellungen und den dazugehSrigen motorischen Ausdrucksleistungen dargelegt. Man kSnnte in diesem Sinne geradezu yon Funktionskomplexen oder Gestalten sprechen. Treten wit mit diesen, beinahe an jeder Erfahrung selbstverst~ndlich werdenden Gedanken nun an die motorische Seite der schamanistisehen Haltung heran.

Dort, wo die Bewegungen des Schamanen symbolischen Charakter haben, besteht ja welter keine Frage fiber das Wie der zur Zeit vorhandenen ,,inneren Haltung". Hier entsprechen offenbar den wechselvollen Einzel- handlungen ebenso wechselvolle gedankliche Einzelinhalte. Was abet

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geht psychisch vor, wenn der Schamane nur verkrampft oder zitternd dasteht oder liegt ? (Dal3 yon epileptischen Anfiillen etwa mit BewuBt- losigkeit im Ernst keine Rede sein kann, mul3 jedem psychiatrisch Ge- schulten ldar werden, der aufmerksam den Hergang solcher Szenen liest.)

Vielleicht fragt man abet besser anders: Ist ein solcher psychischer Zustand, wie er eben beschrieben wurde, und der fiir den Schamanen jedesmal eine Leistung darstellt, ist dessen volle Erreichung fiberhaupt vorstellbar w~hrend des Ausf/ihrens allerlei komplizierter Einzelhand- lungen symbolischen Inhaltes ? Diese zeigen doch ebenso wechselvolle gedankliche Vorgiinge an. Sie k6nnen das Ziel, die stiirkste Vergegen- wiirtigung in sogar geeigneter Weise vorbereiten, zur eigentlichen Er- reichung aber miissen sie eher hinderlich sein. Sehen wir dagegen jenen krampfenden, nichts einzelnes anzeigenden motorischen Zustand auch als einen ad~quaten Ausdruck an, so gelangen wir zu der Auffassung, dab der entsprechende psychische Zustand einerseits zwar ein ~uBerst intensiv gerichteter, andererseits aber ebenfalls keinerlei Einzelheiten beherbergender sein mul3. M_it anderen Worten: Das Erleben muB ganz allein auf die tiefste und reinste Vergegenw~rtigung der Bedeutung der jeweiligen Frage und den Beantwortungswunsch gerichtet sein. In diesem Zustande wird der t t6hepunkt der gesamten schamanistischen T~tigkeit liegen. Es wird erreicht werden miissen, bevor die L6sung selbst eintreten kann. Der Vorgang der L6sung selbst wird rein vom Motorischen aus fiir uns am verst~ndlichsten; wenngleich er dadurch allein keineswegs gekennzeiohnet ist. Das Motorische ist nur ein nicht vom Ganzen zu trennender Tell eines einheitlichen seelischen Gesamten. Es tri t t , so kann man auoh sagen, an die Stelle des sprachlichen Ausdruckes, der mehr und mehr dort versagt, wo sich das Erleben nach der Seite des Affektes, des Ergriffenseins verschiebt.

Die weitere Bedeutung des schamanistischen Komplexes. 1. Die obigen Darlegungen wiirden doch einer wichtigen ph~nomeno-

logischen Stiitze entbehren, wenn es nicht m6glich ware, den schamanisti- schen Erlebniskomplex auch da aufzuzeigen, wo er unseren Fragem6g- lichkeiten zug~nglicher ist. So t r i t t er uns gar nicht so selten bei Per- sonen mit Zwangserscheinungen entgegen, und zwar entweder neben anderen Inhalten dieser Art oder auch als der haupts~chlichste. Ein besonders klarer Fall mag als Beispiel dafiir kurz skizziert werden:

Der zur Zeit 36jiihrige ~ n n , Arzt, hatte neben anderen, mehr oder weniger fliichtigen Zwangserscheinungen folgende Besonderheit, die ihn allerdings hie Patient werden lieB, die er dem Psychiater nut gesprachsweise berichtete:

Bei bestimmten G~legenheiten, wo er fiirchtete, es kSnne etwas fiir ihn oder ftir ihm nahestehende Personen schlecht auslaufen, muBte er sich den schlimmen Aus- gang ganz intensiv vorstellen, ,,his es dahin endet, dab ich dabei alle ~uskeln aufs auBerste anspanne und ganz intensiv dieses Schrectdiche, was kommen kSnnte, vorstelle". Frage: Ist das ein Vorstellen aller Einzelheiten ? ,,Nein, nicht der Einzel- heiten. Die Einzelheiten, die ich vorher, bevor ich so spanne, vielleicht ausdachte,

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die versehwimmen dann zu dem Gesamtgeffihl, was ieh wohl haben wfirde, wenn die Sache wirk[ieh so passieren wiirde. Aber ich glaube, ieh male es mir sogar noch sehw~rzer aus." ,,Oft rue ich das auch, wenn ich ein Tier oder einen Menschen, den ieh gar nicht kenne, irgendwie leiden sehe. Aber dann brauche ich es nicht so stark zu tun." (KOnnen Sie es unterdrticken ?) ,,Manchmal nur komme ich darfiber hinweg; meist qu/~lt mich aber eine Angst, bis ich es rue . . . . . und dann erst ffihle ich eine Erleichterung, als ob etwas dagegen getan ist, als ob mich das dann nicht mehr zu sorgen braucht." Er betonte, dab die It/~ufigkeit dieser Austibung ganz yon ~ul~eren Umstgnden abh/~nge. So k6nnten Tage vergehen, ohne dab er es t~te oder den Zwang dazu ffihlte. -- ,,Oft gelingt es gar nicht beim ersten Male, und dann muB ich es noeh mal oder mehrere Male wiederholen, bis ich irgendwie ffihle, dal] es erreicht ist." (Woran wissen Sic oder fiihlen Sic das ?) ,,Das kann ieh nicht recht ausdriicken." Jedenfalls dfirfe er nicht naehl~ssig dabei sein und mfisse sich den geffirchteten Ausgang, bzw. sein Geffihl dabei ganz intensiv und mit oft tiber- m~13iger Ausspannung aller seiner Muskeln ausmalen. Auf die Frage, ob er glaube oder fiihle, dab er damit den Verlauf der Dinge beeinflussen kSnne, antwortete er: Friiher habe er fiberhaupt darfiber keinen Gedanken gehabt, da sei er einfach dem Zwange gefolgt, ohne welter darfiber nachzudenken. Sp/~ter sei er zu dem Aber- glauben gekommen, dal] er zwar die Dinge nicht dadureh beeinflussen k6nne, aber wei[ die sch[imme Wendung nicht eintreten werde, deshalb habe er die Prozedur ausftihren k6nnen. Vielleicht, wenn das Unheil eintreten wtirde, wiirde er nicht zur LOsung gelangen oder iiberhaupt vergessen, die Ausiibung vorzunehmen.

Uber seine kritisehe Ste]lung zu diesem Zwangsvorgang gefl'agt, ~uBerte er, dab er allerdings fiber Zwangserscheinungen informiert sei, dab er aber trotzdem ein gewisses Gefiihl der Sieherheit dureh diese Ausiibungen habe, welches dureh rationale Uberlegungen nieht auszureden sei. Letztere tr~fen die Sachlage nieht am entscheidenden Punkte.

Es is t wohl k a u m nStig, auf die Gle ichar t igkei t der eben geschi lder ten Ersehe inung dieses Fal les und des sehamanis t i sehen Komplexes noeh einzugehen. Wi r sehen die H a u p t m e r k m a l e hier genau so, wie wir sie zuvor herausarbe i te ten . Es b le ib t eigentl ieh nur die F rage : Wie k o m m t dieser K o m p l e x so h~ufig ins Zwangsgesehehen hinein ? S o w e r iiber- h a u p t die Ans ich ten psychana ly t i sche r Schulen un te re inander und mi t ph/~nomenologischen Be t rach tungen andererse i t s zur Deckung gebrach t werden kSnnen, so muB wenigstens das eine als sicher dabei heraus- kommen, was Biirger und Mayer-Grofl '~ beziiglieh des Zwanges sagen: , ,Zwang ist eine Resu l t an te und kein Charakter , der i rgendeinem Er- lebnis, i rgendeiner Verlaufsform rein an sich anhaf ten k6nn te . " l~ber die K o m p o n e n t e n jedoch gehen die Ans ich ten welt ause inander .

W i r k6nnen uns bier n ieht in uferlose Diskuss ionen tier versehiedenen Meinungen fiber das Zwangsgeschehen verIieren und greifen nur ein unumst r i t t enes , ffir uns bier wichtiges F o r m m e r k m a l heraus, die Ab- sehluBunfi~higkeit. Es bes teh t nun wohl kein Zweifel darfiber , dab in unserem Fa l le eine regelreehte Zwangserseheinung vorl iegt . Daft i r spr ieh t aul~er den geschi lder ten ngheren Umst s dieses Er lebens die Tatsache , dal~ in diesen wie in allen anderen bisher beobach te ten F/~llen, dieser , , sehamanist ische K o m p l e x " neben anderen typ i sehen Zwangsvorg/~ngen bes tand . W e n n nun auch das le tz te W o r t darf iber wei te ren Beobaeh tungen fiberlassen bleiben muB, meine bisher igen

Z. f. d. g . N c u r . u. P s y c h . 150. 47

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Erfahrungen lehrten mieh, dab dort, wo im Zwangsgesehehen dieser Komplex auftrat, er doch als Vorgang verh/~ltnism/~$ig leicht absehlu$- f/~hig war. Der erw/~hnte Fall berichtete aueh n/~her fiber die Abhs keit eines etwaigen Wiederholen-Miissens yon der richtigen Ausiibung, d. h. der geniigend starken Konzentration in der Prozedur. Meist, oder wenigstens oft ist die Angelegenheit mit einer einmaligen Ausfibung abgetan, und yon dem bis dahin bestehenden Zwange ist nicht mehr die Rede, bis wieder eine neue Gelegenheit, dutch /~uBere Ereignisse ver- anlagt, auftaueht.

Wenn Stekel 32 sagt : ,,Unerledigte Konflikte sehaffen den Drang naeh Wiederholung", so kann man bis sower einer psyehoanalytisehen Sieht zustimmen. Es scheint so, als ob hier die AbschluSunf/~higkeit, solange sie fiberhaupt besteht, in einem Widerstand begrfindet liegt zwisehen diesem rein irrationalen (abergl/~ubischen) Komplexe und der rationalistisehen Entgegnung seiner vermeindlichen Wert- oder Zweck- losigkeit *, bis im vSlligen Aufgehen, in der ganzen Bejahung des ersteren die N[Sglichkeit zur LSsung vorbereitet wird, die im ,,richtigen Gelingen" dann auch gefunden wird.

Naeh allem kommt diesem Komplex aueh innerhalb des Zwangs- erlebens eine Sonderstellung zu, die durch bestimmte Umst~nde bei den Schamanen selber noch unterstrichen wird. Es mu6 daran erinnert werden, was oben an Besonderheiten erw/~hnt wurde, die h/~ufig die- jenigen Personen zeigen, die sp/~ter Sehamanen werden, und ferner daran, daB der gewordene Schamane yon seiner T/~tigkeit meist nieht lassen kann, in jedem Falle abet durch sie eine groSe Befriedigung erf~hrt. All das scheint den Gedanken nahe zu legen, dab es sich bei einem gut Teil dieser Mensehen um solche handelt, die, psychiatrisch gesprochen, Zwangspsychopathen nahe stehen. Mit Recht muf~ es heiBen ,nahe stehen', denn es besteht kein fiberzeugender Grund - - soweit die Berichte reiehen - - zu behaupten, dab die fraglichen Personen Zwangspsycho- pathen in unserem Sinne sind. Dagegen sprechen sogar die AuBerungen eines psychiatrisch gebildeten Ethnologen wie Seligman 2s, der auf Grund reieher eigener Erfahrungen und Beriieksichtigung der Literatur sehr wenig Anhaltspunkte ffir Zwangsneurosen bei primitiven VSlkern fiber- haupt fand. Es wiirde das ferner an sich aueh sehleeht mit unserer Auf- fassung fibereinstimmen, die annimmt, dab in diesem Falle das Zwangs- artige in einem Widerstreite abergl/~ubisch-magiseher und rationalistischer Neigungen mitbegrfindet liegt. Denn die Sehamanen wfirden auf Grund ihrer Erlebensart dem fraglichen Impulse wenig rationalistische Antriebe entgegenzusetzen haben. Dem ist andererseits entgegenzuhalten, dab

* Ich machte einige Male an betonten ,,Freidenkern", die sich der Ablegung jeder irrationalen :Denktendenz befleiBigten, die Beobachtung, dab bei psychisch sonst unauff/~lligen Personen ausgesprochene Zwangserscheinungen auch im reiferen Alter (30--45 Jahren) erstmalig auftreten k6nnen.

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sich Seligmans Erfahrungen mehr auf Primitive im eigentlichen Sinne beziehen (Melanesier, Papuas), wghrend die schamanisierenden VSlker doch nicht ganz mehr auf dieser Stufe stehen. Beringer ~ sah zwar in Transbaikalien einen Fall mit unverkcnnbaren Zwangserscheinungen, doch handelte es sich dabci um einen in einer Klosterschule erzogenen Tibeter und derzeitigen bolschewistischen Agitator, also um einen Mann, der sicherlich schon jahrelang eine ganz bestimmte Denkschulung durch- gemacht hatte.

Wir werden nach allem den Tatsachen am ngchsten kommen, wenn wir die hier in Frage stehenden Differenzen lediglich als gr~duelle be- werten. Doch muB zugegeben werden, dab auch hier fachm/~nnische weitere Untersuchung recht notwendig sind. Eines aber dfirfen wir trotz allcr gebotenen Vorsicht schlieBen, dab der schamanistische Komplex dort, wo er deutlich zum Ausdruck kommt, leicht ,,zwangsf~hig" werden kann, dab er aber in seiner Existenz iiberhaupt vom Zwangserleben nicht unbedingt abh/~ngig sein muff.

2. Nach den in der Literatur vorliegenden Schilderungen yon Scha- manen wurde eingangs die Vermutung ausgesprochen, dab sich unter den psychisch Abnormen auch wohl beginncnde oder leichte Schizo- phrenien befinden mSchten. DaB ein Mensch mit einer fortgeschrittenen Schizophrenie die Tgtigkeit eines Schamanen zur Zuh%denheit seiner Volksgenossen wird ausfiihren kSnnen, ist nicht sehr wahrscheinlich, da dazu ja doch eine soziale Einstcllung und Bereitwilligkeit, kurz ein Kon- nex mit der Umwelt gehSrt, zu dem eine voll entwickelte Schizophrcnie nicht mehr f/~hig w/~re. Were1 man liest, dab man Schamanen, die durch ihr Verhalten plStzlich auffgllig wurden, fesselte, folterte, verhungern lieB odor kurzerhand tStete 19, so liegt die Annahme nahe, da~ es sich wohl auch um florid Schizophrene handelte, deren man sich auf diese Weise entledigte.

Es kSnnte aber gefragt werden, ob und wieweit sich denn Personen mit milden schizophrenen Schfiben oder beginnende Schizophrene mit einer gewissen Bevorzugung zum Schamanen eignen. Da gerade von dem Vorkommen der schamanistischen Haltung in Zwangszust/~nden ge- sprochcn wurde, soll auf die verh/~ltnismgBige H~ufigkeit hingewiesen werden, mit der Zwangserscheinungen selbst lange Zeit vor dem Ausbruch einer klinischen Schizophrenie und auch im Beginne derselben bei solchen Patienten bestehen. Wenn Bumke 4 nun auch mit Recht den Unter- schied macht zwischen den ,,Pseudozwangsvorstellungen" der Schizo- phrenen und eigentlichen Zwangserscheinungen, so will auch er die letzteren im Beginne der Schizophrenie nicht bestreiten. Es wird sich nur spgter fragen, wie solch eigentliche Zwangserlebnisse in das schizophrene Ge- schehen eingebettet sind.

Es mSgen zungchst kurz zwei Fglle von beginnender Schizophrenie Erwghnung linden mit unter anderem schon bestehenden optischen bzw.

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akust ischen Sinnest i iuschungen, die beide schon seit J ah ren vor der E r k r a n k u n g Zwangserscheinungen ha t ten , un te r denen der schamanist ische Komplex in voller Deutl ichkeit auch zur Zeit noch vorzuf inden war.

Der eine davon, ein 18j~hriger junger Mann, berichtet zun~chst fiber seine fibrigen Zwangserlebnisse (Waschzwang, Ziihlzwang u. a.m.). ~ber den Beginn der jetzigen (sehizophrenen) Veranderung gab er an, dab er vor 1 Jahre im Autobus plStzlich ein imgstlieh-schwindeliges Gefiihl im Kopfe bekommen habe und einige Wochen danach Gedanken-Sichtbarwerden. Ferner entwiekelte er folgendes Ritual: ,,Wenn ieh nun wieder Todesfurcht bekam, dann stand ieh still und sehaute zum tfimmel. Ieh versuehte dann das Wort ,Life' am tfimmel zu sehen." ,,Ich muflte mich sehr anstrengen, um es vorzustellen. Ich hatte es erst im Kopfe und dann schaute ich zum Himmel, um es da zu sehen." ,,Ich strengte dabei meinen ganzen K6rper sehr an, am meisten die Kopf- und die Bauchmuskeln, nur ein paar Sekunden, bis ich es sah." (Sahen Sie es wirklich ?) ,,Sehr lebhaft, so dick ge- sehrieben (zeigt etwa 20 cm) in grollen Buchstaben." ,,Ich wuBte, daB das meine eigene Einbildung war, aber zu mir sagte ich, ,es ist da'." (Warum ?) ,,Die Angst war es, die es wohl nicht zuliefl, zu sagen, daft es nicht wirklich da war. Die Angst war es, die mich sagen liel3, ,es ist da'." ,,Und wenn ich es dann hatte, dann ffihlte ich mich sicher und gelassen, aber auch etwas mfide. Manchmal bekam ich es aber auch dann nicht; dann war ich sehr erschrocken und mochte mit keinem sprechen und hielt reich allein." Ferner: ,,Frfiher hatte ieh es 5fter, wenn ich da hSrte, dab jemand krank war, dann wurde ich gleich angstlieh. Dann muBte ich mir alle Er- scheinungen des Kranken ganz genau vergegen~rtigen; und wenn er vielleicht eine Wunde hatte, so muBte ich auch diese vorstellen. Das iiberkam mieh wie eine Angst; ich muBte es dann tun. Je nigher mir der Kranke stand, um so mehr mul3te ich es tun." (Zweck ?) ,,Ja, da war eine Art Zweck . . . . . Ich wo]lte damit heraus- bekommen, ob es dem Kranken besser oder schlechter gehen wiirde." (So]lte das vielleieht helfen ?) ,,DAB ich ihm direkt damit helfen kSnnte, das glaubte ich nieht." (Oder wol[ten Sie sehen . . . . . ?) Den Referenten unterbrechend, f~hrt er hastig fort: ,,Ja, ich wollte damit in die Zukunft sehen, ja so ist es." ,,Ieh muBte mich dann sozusagen fiir Andere quiilen; manchmal sagte ich mir, dab ich mieh nicht genug ffir Andere qu~lte, und wenn ich mit dem Qu~len nur ein wenig nachliissig war, dann bekam ich die Idee, es mSchte dem Kranken schlechter gehen. Aber trotzdem glaubte ich nicht, i/am damit eigentlich helfen zu k6nnen," ,,Aber nun ist das alles weniger, seitdem ieh meine eigenen Beschwerden habe." Jetzt beriihrt der Patient nur symbolisch seine sichtbar gewordenen Gedanken mit angefeuchtetem Finger, den er dann anblast und produziert ferner noch das zuerst mitgeteilte Ritual.

Der zweite Fall war eine 24j~hrige Patientin, die fiber ein iihnliches schamanisti- sches Ritual mit festem Einkrampfen aller Finger und Zehen verffigte bei Gelegen- heiten ~hnlich denen, wie sie beim Zwangspsychopathen oben geschildert wurden. Sie maehte iiberdies ausgezeichnete Angaben fiber die Bedingungen zum Auftreten ihres (schizophrenen) Fremdheitsgeffihles. Sie hatte es u. a. gegenfiber dem gr613ten Teile ihrer eigenen Gedanken. Bezeichnend aber war, dab sie es nicht hatte gegen- fiber ihren abergl~ubischen Inhalten und auch nicht gegeniiber dem schamanisti- schen Rituale.

Ohne auf die Verh~tltnisse hier n~her eingehen zu kSnnen, mag in der le tz ten Erwi ihnung ein Grund gesehen werden, weshalb zuvor bestehende Zwangserscheinungen (inklusive abergl~ubischen Inhal ten) sich beim klinischen Ausbruch der Schizophrenie noch mehr oder weniger l~ngere Zeit erhal ten mSgen. Im fibrigen k6nncn wit uns ganz den Ansichten yon C. Schneider 28 anschliel3en, die er fiber die Beziehungen von Zwangs-

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erscheinungen im allgemeinen bei Schizophrenen entwickelt (wozu dann auch das Vorkommen des sehamanistischen Komplexes im besonderen zu reehnen w/~re): ,,Es kann, da die Zwangserseheinungen meist im Beginn gefunden werden, hSehstens eine AuslSsungswirkung des schizophrenen Prozesses angenommen werden." Ein engerer Wesenszusammenhang yon Zwangsdenken und Sehizophrenie sei nieht zu erwarten. Diese Unvereinbarkeit geht aueh aus Schneiders fibrigen Untersuehungen fiber die Psyehologie der Schizophrenen hervor und ergibt sich ebenfalls aus den experimentell gewonnenen Erfahrungen, die ich zusammen mit Hubert an beginnenden Sehizophrenen sammeln konnte 35. Weiteres fiber Zwangserscheinungen bei Sehizophrenen findet sieh bei Jahrreiss 11.

Wit sehen naeh allem also, dab das, was hier die sehamanistisehe Haltung genannt wurde, ein wohlumgrenzbarer Komplex ist. Wo wir ihn aueh antreffen, immer bleibt er der gleiehe, eingebettet in ganz ver- sehiedenen psychische Gesamtzust~nde. Er selbst ist ein Partizipations- vorgang. Die Antwort oder die Erkl/~rung, die der Sehamane einerseits, der Zwangskranke oder Schizophrene andererseits gibt, gehSrt nicht mehr zum eigentlichen Komplex. Die Grfinde der Verschiedenartigkeit der Erkl~rungen wurden oben auseinandergesetzt. Sie liegen in der fiber den Komplex hinaus bestehenden Versehiedenartigkeit des Erlebens zweier Denk- oder Erlebensformen. Abet soweit wir sehen kSnnen ist weder der Sehamane, der Geister erlebt, noch der Zwangslu'anke oder Sehizophrene prims geneigt, zu glauben, daft er aktiv in den Gang der Dinge (in unserem Sinne) eingreifen kSnne. So sehr diese Tatsache auch einer weitverbrei- teten Meinung zu widersprechen seheint, so ist doeh im ph/~nomenologisch erfaftten Erlebnisinhalt nichts davon vorzufinden; und wo jemand sich doch im anderen Sinne/iuftern sollte, da w~,re es angebraeht, aufzudecken, inwieweit eine aufgepfropfte (rationalistisehe) Erkl/~rung ihn zu dieser Meinung veranlaftte. Es sei das deshalb hier hervorgehoben, weil in Ver- bindung mit /~hnlichen Zwangsvorg/~ngen mit einem eigens hierffir erfundenen Schlagwort: ,,Allmacht der Gedanken", der Weg tieferer ph~nomenologischer Forschung verstellt zu werden droht. Was diesem Komplex fiberhaupt ins Zwangserleben Einlaft versehafft, ist die MSg- lichkeit eines rationalen Widerpartes. Seine Sonderstellung innerhalb dieser Vorg/inge abet ist seine verhMtnismaftig leiehte Abschluftf/~higkeit. Sie liegt im Charakter des Erlebnisses selbst begrfindet, d.h. darin, daft es ohne restloses Aufgehen in ihm nicht eigentlieh gehabt werden kann. In ihm wird der Anlaft und der Wunseh zur Beseitigung des Anlasses in partizipierender Form vereint gelSst und damit entzieht es sich bis auf weiteres der ,,Zwangsfghigkeit" automatiseh.

Verwandte Erscheinungen im Normalen. Aueh im normalen Geschehen treffen wir Haltungen an, die erlebnis-

m/~Big der sehamanistischen verwandt sein mfissen. Nur fallen sie tells

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712 Konrad Zucker:

wegen ihrer konventionellen Berechtigung tells wegen der ihnen bislang zugekommenen geringeren Bedeutung meist weniger auf, wic etwa der Brauch des ,,Daumenhaltens" (oder Daumendrtickens). Man vergegen- ws sich, was z .B. in einem vorgeht, wenn man jemandem, der eine folgenschwere Reise antritt, zum Abschied die Hand drtickt, was man in den Hgndedruck ,,hineinlegt" und was man dagegen vermiBt, wenn etwa dieser beabsichtigte Hgndedruck durch einen dazwischen kommenden Zufall verhindert wnrde. Oder man sieht, wie jemand zu sttirzen droht und man nimmt dabei unwillkiirlich eine Haltung oder Bewegung an, die, yon den anderen selbst ausgeftihrt, den Sturz ver- hindern k5nnte. In beiden Fgllen handelt es sich um ein Partizipations- erleben, in welchcm ieh mit dem Anderen fiir einen Augenblick eins werde. Eine Erkl~rung wie etwa die, ich hgtte dem Anderen helfen oder ihn retten wollen (Allmacht der Gedanken oder ~hnliches) versteht den Vorgang vSllig falsch. Sie trggt etwas in ihn hinein, was im Augenblicke des Er- lebens nie in ibm lag. Durch solcherart Erkl/trungen wird er in seinem Wesen als Partizipation iiberhaupt nicht erkannt. Gewi[l mag man in der ganzen Haltung den Wunsch sehen, dem Betreffenden mSchte Gutes widerfahren, bzw. er mSchte nicht stiirzen; ja mehr sogar: der Wunseh erfghrt in dem Augenblicke etwas von einer vorweggenommenen Erftillung in mir selbst, eine MSglichkeit, die eben nur in einem Parti- zipationserlebnis verwirklicht werden kann. Aber v o n d e r Meinung, ich helfe ihm oder beeinflusse dadurch ihn oder die Umstgnde magisch, wird im subjektiven Erleben nichts vorgefunden. Gewi6 kann so etwas sp~ter iiberlegungsms hineingedacht werden. Das ist auch zuweilen sowohl bei uns als auch bei manchen Zauberpraktiken der Fall.

Abet auch weiter noch linden sich im taglichen Leben eine grol3e An- zahl psychischer Vorggnge, seien sie dem obigen Komplexe nahestehend oder nicht, die dem Verstehen um vieles naher gebracht werden kSnnten, wenn sie in ihrem Wesen als Partizipationsvorggnge bewuBt gemacht werden wtirden. Denn diese werden auch in unseren Kulturkreisen ihre tats~chliche Rolle immer spielen. Die Ausdruckspsychologie, die Psycho- logic etlieher hysterischer Phs und der Suggestion, ja tiberhaupt der gesamte kommunikative Faktor im Seelischen lieBe sich hierauf auf- bauen. All das wtirde an Problemhaftigkeit * verlieren, wenn dieses Geschehen sich spiegeln kSnnte in einer erlebten Anerkennung des psycho- logischen Betrachters. Das Hindernis dazu liegt in dem allzustarren Begriff vom Individuum, der meist als ungenannte Selbstverstgndlichkeit den Hintergrund unserer ~berlegungen ausmacht. Seine Berechtigung an sich soll nicht bestritten werden, vor allen Dingen nicht seine Not- wendigkeit als tats~chlich gegebener Bezugspunkt ftir Gesinnung und

�9 Beziiglich der Ausdruckspsychologic siche bei Jaspers' ,,Allgemeine Psycho- pathologie" (13), S. 163f.

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Verantwortliehkeit, nur seine AussehlieBlichkeit fiir das Erfassen seeli- scher Vorg~nge. - - In einer Zeit, wo wir von Rassenseele spreehen, und wo dieser Begriff gewiB nicht als eine abstrakte Idee oder eine Meinung, vielmehr im Sinne eines tatss und naehweislich Vorhandenen, Erlebbaren gefaBt wird, braueht es kaum mehr des Hinweises, dab sich seelisch Individuelles und t~berindividuelles nicht ausschlieBen.

Jungs Begriff vom kollektiv UnbewuBten und Kron]elds Begriff vom ,,Metakoinon" (15 S. 49 f.) haben mit dem hier gemeinten die Bliek- richtung auf das ~berindividuelle gemein. W~thrend Jung dieses aus entwicklungsgesehichtliehen Gedankeng~ngen und Kron]eld es aus not- wendig gesehenen Voraussetzungen ableitet, sollte hier auf die grund- s~ttzliche MSgliehkeit seiner phs Darstellung hingewiesen werden.

Znsammenfassung. Es sollte gezeigt werden, dab sich die Ts des Schamanen mit

ihren vielen Variationen unter den verschiedenen schamanisierenden VSlkern um einen Kern herum gruppiert, der iiberall der gleiche ist. Es ist das eine bestimmte psyehisehe Haltung, ein Partizipationserleben. In ibm wird das Erlebnis der Spannung sowohl des Fragezustandes wie des Beantwortungswunsches zu einer Einheit verschmolzen. In diesem Erleben ist die motorische Spannung als Audsruek und als verst~rkender und unlSslicher Anteil mit enthalten. Das Erlebnis gipfelt in der vSlligen Vereinigung aller Spannungen, wobei gedankliehe Einzelinhalte zugunsten der komplexen Vergegenws mehr und mehr in den Hintergrund treten. Die erfolgende LSsung erstreckt sieh dann auBer auf die Motorik auf beide psychischen Anteile, d. h. auf den Fragezustand wie auf den Beantwortungswunseh. Die Aufnahme der dureh die erfolgte LSsung vorbereiteten Antwort wird vom Fragesteller offenbar ebenfalls dureh einen anderen Partizipationsvorgang erlebt. Der Inhalt der Antwort, der an sich ph~tnomenologisch nicht mehr zur schamanistisehen Haltung gehSrt, wird verst~ndlich dureh das Erleben der Geister, ein Erleben, das yon unserem wesentlich verschieden ist. Die Hal tung als solehe aber findet sich in ihren wesentlichen Z~igen auch auBerhalb des Schama- nentums, eingebettet in Zwangsvorgs mit versehiedenem Auftreten. Auch das normale Erleben zeigt bei gewissen Gelegenheiten Ankl~nge daran. Zum SchluB wird der Wert betont, den weit dariiber hinaus Partizipationsvorg~tnge auch in unserem Erleben haben und auf die MSglichkeit und Notwendigkeit ihrer ph/tnomenologischen Erfassung hingewiesen.

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7 1 4 K o n r a d Zucker .

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