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Psychotherapeutische Versorgung in Österreich Zahlen, Fakten, Argumente Dr. in Eva Mückstein, Präsidentin des ÖBVP Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen (BSA) – Podiumsdiskussion 8. Mai 2012 1

Psychotherapeutische Versorgung in Österreich Zahlen, Fakten, Argumente Dr. in Eva Mückstein, Präsidentin des ÖBVP Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen

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Psychotherapeutische Versorgung in Österreich

Zahlen, Fakten, Argumente

Dr.in Eva Mückstein,Präsidentin des ÖBVP

Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen (BSA) – Podiumsdiskussion 8. Mai 2012

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Psychotherapie-Gesetze

• Seit 1992 mit der 50. ASVG-Novelle in den Leistungskatalog der Krankenversicherung aufgenommen - Gleichstellung mit ärztlicher Tätigkeit.

• Es sollte einen Gesamtvertrag für kassenfinanzierte Psychotherapie geben - Kassenpsychotherapie und Wahlpsychotherapie mit Kostenerstattung. - Gesetz nicht umgesetzt!

• Stattdessen: Kontingentiertes kassenfinanziertes Angebot + Zuschusstherapien (Rückerstattung EUR 21,80, seit 1992 nicht wertangepasst).

• Unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern.

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Die Folgen

• Geringer Versorgungsgrad • Versorgungsengpässe • lange Wartezeiten • Nicht-Behandlung und Chronifizierung • durchschnittlich 6 Jahre Fehlbehandlung

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass psychisch Kranke zur Psychotherapie kommen.

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Die Folgen

• Berufsvertretung als Verhandlungspartner der Kassen umgangen, an Qualitätssicherung und Vertragsgestaltung nicht beteiligt.

• Schwierigkeit, einheitliche Standards und Best-Practice-Modelle zu entwickeln

• Sozialpartnerschaftliches Prinzip von Ausgewogenheit zwischen Kassen - PsychotherapeutInnen - PatientInnen ausgesetzt

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Studie der Krankenkassen (HVB/SGKK) bestätigt:

„In den letzten Jahren außergewöhnlicher Anstieg bei psychischen Erkrankungen“ (Datenbasis 2009; Vergleichsjahr 2007)

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Anzahl der Psychotherapie-Einheiten in Versorgungsvereinen absolut, bezogen auf 10.000 EW im Jahr 2009

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Die Situation in Zahlen

• 900.000 ÖsterreicherInnen im Laufe eines Jahres wegen psychischer Probleme in Behandlung.

• 840.000 von ihnen erhalten Psychopharmaka

• 78.000 wegen psychischer Diagnosen im Krankenstand, Anstieg um 22 %

• Mehr als die Hälfte älter als 60 Jahre alt (470.000 Personen)

• 70.000 stationäre Aufenthalte; Anstieg 1,5 %7

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Die Situation in Zahlen

• 200.000 bis 250.000 in schwerem Ausmaß von psychischen

Störungen betroffen (ca. 3 % der Bevölkerung – eine über die Jahre stabile Zahl!)

• 400.000 im erwerbsfähigen Alter (20 bis 60 Jahre), 46 %

• 10.000 Minderjährige

• Starker Anstieg ab 20. Lebensjahr, drastische Steigerung ab 40. Lebensjahr.

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Die Psychotherapie-Versorgungssituation

• Davon sind nur 65.000 Personen in Psychotherapie• 35.000 davon kassenfinanziert• 30.000 erhalten Kostenzuschuss von € 21, 80 und leisten

Selbstbehalte von € 60 und mehr.• Kostenzuschuss seit 1992 weder wertangepasst noch erhöht!

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Versorgungsgrad und Bedarf in Österreich • Versorgungsgrad: 0,8% der Bevölkerung

• Mind. 170.000 Behandlungswillige (2,1%) = Bedarf mind. 3x so hoch wie Angebot

• Mind. 110.000 Versicherte sind von Behandlung ausgeschlossen > unterlassene Hilfeleistung und Benachteiligung!

• OÖGKK: 52% der ZuschusspatientInnen haben kein Einkommen oder eines unter € 500

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Quelle: Politische Kindermedizin

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Europaweiter Vergleich

• Schweiz und Deutschland: 2,5% der Bevölkerung vollfinanzierte Psychotherapie

• Nur ein Drittel der Betroffenen EU-BürgerInnen erhalten professionelle Hilfe im Gesundheitssystem, noch weniger (10%) erhalten eine angemessene Behandlung durch Psychotherapie und/oder angemessene Psychopharmaka-Behandlung

• Versäumnisse durch jahrelange Fehl- und Nichtbehandlung.

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Fazit im Europavergleich

• In der EU wird ein substanzieller nicht gedeckter Behandlungsbedarf erkannt.

• Herausforderungen sind komplex: Die häufig praktizierte Strategie des Gesundheitssystems, hauptsächlich die schweren Störungen zu behandeln, wird als nicht effizient erachtet.

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Erforderlich wären:

• Anerkennung: Psychische Störungen sind etwas Alltägliches und Normales; die DPtK spricht von jedem Dritten, der betroffen ist.

• Prävention, frühe Erkennung und Behandlung, bevor es zu schweren Störungen kommt

• Schweizer Gesundheitsobservatorium: 1/3 der psychischen

Störungen sollten stationär und institutionell behandelt werden, 2/3 im niedergelassenen Bereich.

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Ausgaben der Krankenkassen für Psychotherapie 2009

• 63 Mio. für Psychotherapie (und ärztliche Kurzgespräche), 46,8 Mio. für Psychotherapie im engen Sinn

• 34,4 Mio. für kassenfinanzierte Psychotherapie(Vereine UND Institutionen)

• 2,4 Mio. für Kostenzuschüsse

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Ausgaben der Krankenkassen für Psychotherapie 2009

• 14,9 Mio. psychotherapeutische Leistungen bei ÄrztInnen – durchschnittliche Dauer nur 3 bis 4 Behandlungen, viele 20/30 Minuten-Gespräche

• 1 Mio. kasseneigene Einrichtungen

• Anstieg Ausgaben von 2007 auf 2009 um 13,6 Prozent

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Bezuschusste Psychotherapie-Einheiten 2007 vs. 2009

Quelle: HVB, GÖG/ÖBIG

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Psychopharmaka

Ausgaben jährlich: 250 Mio.

• 840.000 Verschreibungen im Jahr 2009; 2/3 Antidepressiva,

22 % Tranquilizer, 18 % Antipsychotika

• Anstieg 17 % innerhalb von 2 Jahren!

• 8.100 Kinder unter 10 Jahren Psychopharmaka (Stimulanzien wie Ritalin und Angstlöser)

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Psychopharmaka • Hälfte älter als 60 Jahre, 2/3 Frauen

• 26.000 Jugendliche bis 19 Jahre(Anteil an Antidepressiva steigt)

• 68 % der Verschreibungen bei HausärztInnen

• jede 2. Verschreibung = 1x Verschreibung (!) - also wirkungslos.

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Volkswirtschaftliche Kosten: 3,3 Milliarden Euro(laut AK-Studie 2012)

• 78.000 Krankenstände aufgrund psychischer Diagnosen; Anstieg um 22 %

• Arbeitslose sind viermal so häufig von Krankenständen aufgrund psychischer Diagnosen betroffen wie Angestellte oder ArbeiterInnen;

• 32% aller Neuzugänge bei krankheitsbedingter Frühpension im Jahr 2010 aufgrund psychischer Störungen, im Jahr 2004 waren es noch 24%.

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Volkswirtschaftliche Kosten: 3,3 Milliarden Euro(laut AK-Studie 2012)

• Von rund 2,2 Mio. RentnerInnen, bekommen 460.000 eine Invaliditätspension.

• Häufigste Ursache für Invaliditätspensionen: mittlerweile psychische Erkrankungen. (Zahlungen für I-Pensionen im Jahr 2010: 2,9 Mia Euro).

• Zukunftserwartungen Jugendlicher sind zunehmend düster: 70% der Jugendlichen schätzen ihre Zukunftsperspektiven negativ ein.

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Perspektiven

• Internationale Studien: hohe Effizienz und Nachhaltigkeit von Psychotherapie.

• Studie der NÖGKK (2007) und der Donauuniversität stellen Psychotherapie in Österreich ein sehr gutes Zeugnis aus.

• Psychische Störungen haben immer vielfältige Ursachen – multifaktoriell und kumulativ;

• Psychische Störungen chronifizieren unbehandelt;• Bei psychischen Krankheitssymptomen sollte Abklärung durch

PsychotherapeutIn selbstverständlich werden!• ÄrztInnen, PsychologInnen etc. sollten immer die Möglichkeit

haben, zur kassenfinanzierten Psychotherapie zuzuweisen

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Forderungen

• Gesamtvertragsverhandlungen aufnehmen - gesamtvertragsähnliches Modell verhandeln, das auf bewährte Strukturelemente aufbaut und diese einbezieht

• Kostenerstattung sofort einführen (Rückerstattung 80 % vom Tarif abzügl. Selbstbehalt)

• oder Kostenzuschuss sofort auf EUR 40 erhöhen

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Forderungen

Wichtig wäre auch:

• Datenlage verbessern• Planung integriertes Versorgungsmodell:

Behandlungsstandards für psychische Störungen nach Schweregrad und Verlauf > wann Psychopharmaka-Behandlung, wann Psychotherapie-Empfehlung siehe Verschreibungsrichtlinien in DL; > wann stationär, institutionell, Rehab, im niedergelassenen Bereich etc.

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Forderungen

Wichtig wäre auch:

• Bedarfsorientierte und datengestützte Planung des Versorgungsgrades und des Behandlungsangebot (AllgemeinmedizinerInnen, Psychotherapie, Psychiatrie und andere erforderliche Therapieformen etc.)

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„Irgend einmal wird das Gewissen der Gesellschaft erwachen und sie mahnen, dass der Arme ein ebensolches Anrecht auf seelische Hilfeleistung hat wie bereits jetzt auf lebensrettende chirurgische (...) Diese Behandlungen werden unentgeltliche sein. Es mag lange dauern, bis der Staat diese Pflichten als dringende empfindet. Die gegenwärtigen Verhältnisse mögen den Termin noch länger hinausschieben, (...) aber irgend einmal wird es dazu kommen müssen.“

(Sigmund Freud: „Wege der psychoanalytischen Therapie“, 1919, S. 192/193)

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Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr.in Eva MücksteinPräsidentin ÖBVP

www.psychotherapie.at

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