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Tobias Roths Debüt Aus Waben widmet sich der Gegenwartstauglichkeit von Sprachtraditionen. Mit Leichtigkeit geht Tobias Roth vor, betrachtet und seziert Sprachbilder und -wahrnehmung. Ausgezeichnet mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis 2013. ☞ www.belletristik-berlin.de/aus-waben
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Verlagshaus J. Frank | BerlinEdition Belletristik | Quartheft 41
T ob i a
s R o Th a u sW a b
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T ob i a
s R o Th a u sW a b
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Verschieden Purpur
Vom Kirschenschneiden blieben die Finger blau,
Vom Saft der Kirschen rötlich von gestern Nacht,
Und an den Fingerkuppen sitzt noch
Bläulich nach Wasser und einer Nacht aus
Dem Fleisch der Früchte unscharfe Malerei.
Es gab den Abend blauen und roten Pur-
Pur, Färbungen, mag sein, und Kirschen.
Lass uns nach Rotweinen suchen gehen.
Nach leichten, wie sie nur im Gebirge sind,
Wo die Verblauung sich an den Felsen hält
Und abwärts tropft und beim Vernatsch auch
Musiker sitzen. Ist unsre Lippe
Dann eingedunkelt und unser Mund geschwärzt,
Wir waschen sie uns wieder im Weißwein rot.
Die Luft war nachts durch das Gewitter
Wenig gekühlt und du sagst, ich hätte
Im Schlaf gelacht, und niemand begreift, wovon.
Darüber lachen wir noch den Morgen aus,
Und über unsre blauen, roten Finger,
Purpurn gewaschen und immer wieder
6
Mauerkränze
horizontale und vertikale im schutz der
dioden an bahngleisen stehe ich unverloren
und abends weiß ich den morgen
morgens so sicher meiner wege ja meiner
Tyche wer bin ich Mensch denn dass ich
dir flehen müsste Du lächelst unterstellst
mir wohl ich dächte jetzt könnte ich den
Vertrag mit dir alleine aufsetzen
Jetzt, jetzt, und in der Zwischenzeit sei
auch nur irgend etwas mit uns geschehen,
seit die Mauerkränze begonnen hatten,
sich um deine Stirn zu ziehen.
Und nun
stecke ich meine Zeit so sicher, so eng,
dass du nur leichthin den Finger legst an
Das Kartenhaus: sein Wanken zerschlägt den Tag,
Begräbt mich unter sich, macht mein Blut so dick,
Und selbst mein Flüstern in vertraute
Ohren wird durch dich vielleicht verändert.
Der Regen kündigt sich bis zuletzt nicht an.
Von dir erfasste Häupter behalten nur
Die alte Redensart von ihrem
Willen und jede Bewegung spielst du.
Wir formen wieder Steine zu deiner Stirn,
Dein Wimpernschlag geht gleichgültig über uns
Und Bilder unter Mauerkränzen;
Bald wird der Frost die Gesichter spalten.
Unsere Wege lass sicher sein und weithin zu sehen.
7
Geschichte des Neids
Die Spielkarte ist zu beneiden,
Obwohl gemacht und unfruchtbar.
Eine Dame, ein König:
Nichts als gezeichnet,
Nichts als Bestimmtheit.
Unbewegte Beweger,
Unentwegt entschleiert.
Erleuchteter Zustand der Welt,
Was für ein großer Roman.
Während am Tisch
Sich die verzerrten Zahnformeln
Der Menschen herumdrücken,
Wie sie mit ihren kleinen Einzelheiten
Grinsen, gewinnen, verlieren.
Keine von ihnen hat
Eine Geschichte zu erzählen wie
Die Figuren, die
Generation um Generation
Fruchtbare Spieler wegwerfen
Und über sich ergehen lassen.
8
Daunen und Firn
Da wandelt auf unruhigen Feldern
Leukothea, Amme des Rausches einst, jetzt
Liguster und Jasmin, keine Hilfe mehr.
Wenn der Wind in alles Wellen kämmt
Und der Himmel
Nicht einen Moment
Der gleiche ist.
So wenig, klagt sie über uns,
Raum, um weich zu sein.
Lichtpunkte auf den
Weißen Haaren des Meeres,
Auf vergletscherten Graten,
Zittern des Zitterns.
Doch man schmiegt sich in die
Letzten Winkel und Ecken.
Die letzte klare Form
Im Dünnschliff des Turmalins,
Die als Wunde des Sündenbocks
Wie in Kirchenfenstern
Brennt und blüht;
Wir hoffen, es war der letzte
Und den Lämmern langes Leben:
Die uns verweisen,
Die wir vergleichen:
Unsere stete Nähe zu,
Unsere stete Sehnsucht nach
Daunen und Firn.
Unter ausgeblühten Bäumen,
Zwischen weißen Dolden,
Durch die schräg der Wind geht.
9
Kleiner Heide
Auf sommerlichem Jahrmarkt betrachte ich
Im Kreise ihrer Devotionalien
Die Händler, wie sie lernen, Staub und
Späne in heilige Pillen drehen.
Die Pilger kommen nicht, den Moment zu sehn,
Zu sehn das Licht von einiger Herrlichkeit
Im großen Tempel von Assisi,
Im Grünspan zu Berge
Wir ziehn, fallera,
Sondern um etwas gesehen zu haben.
Seit siebenhundert Jahren beschimpfen wir
In dieser Gegend Mönche und Nonnen und
Es liest es offenbar kein Mensch. Der
Kuchen schmeckt ihnen geweiht noch süßer,
Und leichter fischt der Schreihals die Menschen ab,
Der in das Eis noch heilige Namen mischt,
Die netten Lieder stehen bei den
Himmelnden Blicken der Schützenscheiben,
Und ihre Münder blinken so weich dabei
Und dann und wann
Ein bleicher Protestant.
Gerade aber der, der am frömmsten tut,
Hat keine Augen für die Landschaft,
Die auf den Fresken erneut sich öffnet.
Er dichtet sein Erinnern mit Plastik ab
Und in der Krypta neigt er darauf den Kopf:
Ich kann den frommen Narren glauben
Hören, dort wären die Mauern älter.
16
Augenschale
Pfeilgift verdampft über allen Flächen.
Du nähst mit deinen Schritten die Welt und dich
In meine Augen, nähst sie zum Segeltuch,
Zu weichen, steilen Flammenspitzen,
Die mich im Straßenzug weiter treiben.
Die Augenpaare leuchteten starr am Bug
Der dreirudrigen Schiffe, die Kreise auf
Dem Boden aller Schalen aller
Feste: auch dort: sind die Augen größer,
So wird das Summen eng um die Stirn. Auch wenn
Sie fort ist, geht der Wind noch von ihnen aus.
Der stößt mich immer mehr entlang der
Straßen und bindet mich schwarzfigurig
An einen Mast, den Mund voller Wachs, damit
Ich das Geschrei von Lemnos nur hören kann.
17
für Thorsten Welgen
Dekadentes
Am Gartenfenster stapelt im Sommer sich
Das schlanke und vertrocknete Blätterwerk
Der langstielig geschnittenen
Schäfte gewundener Gladiolen.
Im stillen Schatten strecken wir täglich uns
In dürren Lehnen bastener Stühle aus,
Und rauchen, trinken, schweigen, denken
An die entsetzlich ersehnten Wangen.
Das hört sich an, als ob etwas fehlt, indes
Fühlt es sich ziemlich großartig insgesamt,
Ein Schön. Schon klar. Zitat: „Es gibt kein
Richtiges Leben im falschen“, Theo-
Dor Weh. Zitat Ende.
Mag sein. Dann ist auf unserm Mund das
Lächeln im Sommer wohl Dekadenz.
18
Alexanderschlacht
Die Weltlandschaft ist überzogen von großem Schlachten,
Einem Pelz von Lanzen. Eine Phantasie
Über Landkarten zerrt am Maßstab, fluchtet im Zorn.
Ein Gedankenspiel ist Truppenbewegung, das den Horizont
Nach Belieben krümmt und weitet. Bunte Beutel,
In denen Menschen geschüttelt werden, bis sich die
Stählernen Sommerkleider lösen. Sie ziehen
Auf die Suche, ehrlich verloren, nach
Hohen Worten und die Körper versalzen den Boden,
Bleiben im Feld, dessen Brot wird weitergegessen.
Pferde verklumpen.
ALEXANDER M DARIVM ULT SVPERAT
CAESIS IN ACIE PERSAR PEDIT C M EQUIT
VERO X M INTERFECTIS MATRE QVOQVE
CONIVGE LIBERIS DARII REG CVM M HAVD
AMPLIVS EQVITIB FVGA DILAPSI CAPTIS
Albrecht Altdorfer, 1529, 158cm × 120cm
19
Weißraum
Ich sitze plötzlich am Tisch und kann mir selbst
Nicht klar machen dass Zeit vergeht
Über Minuten hinweg
Diese Frau wartet am Fenster und sieht doch nicht
Auf die Straße die Augen wie
Taub und fest
Niemand sieht an dir den Weißraum aber in ihm
Berühren sich unsre Seiten und Erzählungen
Der Weißraum wächst
24
für Budi Breitbach
Siam navi
Alle Magneten werden zu Wasser,
Während das Ufer an den Wellen
Vorbeizieht und sich einrollt.
Das Meer ist im Bug des Windes.
Das Schiff ein Meer,
Bedroht von den Winden seiner Segel,
Den Untiefen seines Steuermanns,
Der salzig um den Kiel liegt.
Der Blick ins Herz des Schiffbruchs.
Der Riss im Tuch der Gestirne.
Zwei Winde fließen zusammen
In den Häfen auf offenem Ufer.
25
Fra le follie diverse
all'onde algentilasciate in abbandono Pietro Metastasio, L’Olimpiade, II, 5
für Nicolas Detering
Arbor infelix
Ist der Fuß einmal auf Vorwärts gestellt,
Gibt es kein Vorwärts mehr.
Das ist ein Kalk, den niemand löschen kann.
Das Hirn auf die Sohle geklemmt,
Kein Idyll, kein Schneidersitz
Hält sich an diesen Rahmen.
Dann machen zweitausend Mann
Nach der Eroberung von Tyros
Keinen Unterschied mehr,
Oder sechstausend Spektakel
Auf der Via Appia von Rom bis Capua.
Auch Pyrrhus will die Welt erobern,
Um in Ruhe seinen Wein zu trinken.
26
Sparagmos Lagazuoi
Schlern und Langkofel sind die Bänke, auf denen sie sich in
Stücke reißen und speisen, über die Stacheln gebrochen
Wirbel, Kiefer, wenn Augen erblinden. Gebirgsstock der Erde.
Jeder Berg bedeutet mit ungemäßigter Stirn den
Eingeborenen Wahnsinn. Keine Landschaft für Menschen.
Ändert der Schnee seine Gangart, wenige Stunden genügen,
Werden die Dörfer unter den Pässen zu Klöstern und atmen
Flach: der Schnee liegt auf den Felsen als weiterer Stein und
Höher als alle gebrechlichen Türstöcke. Schneefall, nur Schneefall:
Jeder weiße Punkt zeigt auf den Wahnsinn der hohen
Orte; die Gipfelnächte angeseilt, eingegraben.
Nie übertönt den Lärm der Eisstadt der tauende Schnee, eh
Sie sich zerreißen und den Berg unter sich mit sich nehmen
Auf die Pässe. Die dämmernde Wolke einer Lawine
Hat die meisten mit sich genommen, bevor in der Wand des
Lagazuoi die Mine der Kaiserjäger gesprengt wird.
27
Inhalt6 Verschieden Purpur7 Mauerkränze8 Geschichte des Neids9 Daunen und Firn10 Den Gebrüdern Gozzi11 Auf ein Luftbild (Trudering, um 1900)
16 Kleiner Heide17 Augenschale18 Dekadentes19 Alexanderschlacht20 Soldat zu Fuß21 Camera dei Giganti
24 Weißraum25 Siam navi26 Arbor infelix27 Sparagmos Lagazuoi28 Tötungsfugato29 Dämmerung
32 Ausblick33 Im Süßen Zeitalter (Nel dolce tempo)34 Von vornen an35 Ein Gleiches36 Ein Gleiches37 Ein Gleiches
40 Ritratto di donna nel paesaggio42 Hunderttausend Milliarden Nymphen43 Tantalus44 Die Blickrichtungen45 Im Salzgarten46 Andre freilich wollen47 Brasilas und Bianor
50 Ritratto di gentiluomo sulla terrazza52 Ein Gleiches53 Ein Gleiches54 Ein Gleiches55 Urkunde56 Triptychon des Karl Heinrich von Nassau-Siegen
62 Ius imaginum63 Der Boden64 Warten auf Glocken65 Die die Welt bedeuten66 Hälfte der Hemisphären67 Opaion
70 Palais Waldstein71 Villa Barbaro72 Bauwerk und Schädeldecke73 Einige Tagwerke, frischer Mörtel74 Mithräen75 Das Auge Berninis
78 Lebenslauf79 An beide Florian80 Wolken unterhalb81 Evia82 Nephele83 Schwarzer Adler, silberne Taube
86 Epitaph für Johann Aßmann und uns87 Mosaikstein88 Honigraum89 Das Gespräch zwischen Ikarus und der Sonne90 Beim Betrachten von Elfenbeinschnitzerei91 Epitaph für Abraham Louis Breguet und uns