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DOI: 10.1007/s00058-013-1203-0 © dos_Springer Medizin D ie Geschichte des Qualitätsbegriffes ist so alt wie die Mensch- heit. Das Streben sich ständig zu verbessern würde man in der Natur Evolution nennen, wir nennen es den Kontinuier- lichen Verbesserungsprozess. Auch im normalen Leben haben Menschen ständig mit dem Qualitätsbegriff zu tun. Spätestens dann, wenn es ans Bezahlen geht, vergleicht ein Kunde, ob der Preis zum Produkt oder zur Dienstleistung passt. Oder die Straßenver- kehrsordnung. Sie zwingt die Menschen, sich an Vorgaben zu halten (wir nennen dies Standards, Konzepte, Richtlinien oder Leitlinien), um keinen Unfall zu fabrizieren. Und doch passieren Unfälle. Im Qualitätsmanagement gibt es die Regel, dass es 95% Organi- sationsfehler sind, die ich beherrschen und regeln kann. Bei den restlichen 5% handelt es sich um menschliche Fehler. Vielleicht hat der Eine oder Andere schon einmal Pudding gekocht. Egal, von welcher Firma der Pudding stammt, die meist auf der Rückseite aufgedruckte Kochanleitung aber ist ein Standard. Halten sich alle Köche an diese Vorgaben, wird der Pudding gemäß der Vorstellung der Hersteller oder des Kunden gelingen. Weiche ich aber davon ab, habe ich ein anderes Endergebnis. Dieser – nicht ganz ernst gemein- te – Einstieg soll zeigen, dass wir alle von Qualitätsmanagementsy- stemen umgeben sind. Seinen Siegeszug trat das strukturierte QM- System übrigens mit der Massenproduktion am Band in der Auto- industrie der USA in den 1920er Jahren an, mit dem Ziel, Ausschuss soweit es ging zu minimieren. Qualitätsmanagement sichert pflegerische Qualität Jeder, der sich mit dem Begriff „Qualitätsmanagement“ auseinan- dersetzt, wird feststellen, dass man immer eine irgendwie geartete Vorstellung davon hat, was Qualitätsmanagement sein könnte, auch wenn man dies nicht immer so professionell tut wie ein Qualitäts- manager. Seit nunmehr fast 18 Jahren gibt es bewusste und standardisierte Prüfungsformen für pflegerische Qualität. Natürlich hat man sich auch früher schon Gedanken über pflegerische Qualität gemacht. Da war sie aber mehr Teil des Beschwerdemanagements und der Expertenstandards, MDK & Co. Qualität ist machbar Manchmal kann man das Wort „Qualität“ schon nicht mehr hören. Denn gerade in der Pflege ist es verbun- den mit der Angst vor dem Medizinischen Dienst, mit lästigen Standards, dem Einhalten von Leitlinien und der kontinuierlichen Überprüfung des eigenen Wis- sens. Jens Frieß aber verleiht dem Qualitätsmanage- ment eine ganz neue Leichtigkeit – denn was hat ein Pudding mit Standards zu tun? 12 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (12) PflegeAktuell Qualitätsmanagement

Qualität ist machbar

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Die Geschichte des Qualitätsbegriffes ist so alt wie die Mensch-heit. Das Streben sich ständig zu verbessern würde man in der Natur Evolution nennen, wir nennen es den Kontinuier-

lichen Verbesserungsprozess. Auch im normalen Leben haben Menschen ständig mit dem Qualitätsbegriff zu tun. Spätestens dann, wenn es ans Bezahlen geht, vergleicht ein Kunde, ob der Preis zum Produkt oder zur Dienstleistung passt. Oder die Straßenver-kehrsordnung. Sie zwingt die Menschen, sich an Vorgaben zu halten (wir nennen dies Standards, Konzepte, Richtlinien oder Leitlinien), um keinen Unfall zu fabrizieren. Und doch passieren Unfälle.

Im Qualitätsmanagement gibt es die Regel, dass es 95% Organi-sationsfehler sind, die ich beherrschen und regeln kann. Bei den restlichen 5% handelt es sich um menschliche Fehler. Vielleicht hat der Eine oder Andere schon einmal Pudding gekocht. Egal, von welcher Firma der Pudding stammt, die meist auf der Rückseite aufgedruckte Kochanleitung aber ist ein Standard. Halten sich alle Köche an diese Vorgaben, wird der Pudding gemäß der Vorstellung der Hersteller oder des Kunden gelingen. Weiche ich aber davon ab, habe ich ein anderes Endergebnis. Dieser – nicht ganz ernst gemein-te – Einstieg soll zeigen, dass wir alle von Qualitätsmanagementsy-stemen umgeben sind. Seinen Siegeszug trat das strukturierte QM-System übrigens mit der Massenproduktion am Band in der Auto-industrie der USA in den 1920er Jahren an, mit dem Ziel, Ausschuss soweit es ging zu minimieren.

Qualitätsmanagement sichert pflegerische QualitätJeder, der sich mit dem Begriff „Qualitätsmanagement“ auseinan-dersetzt, wird feststellen, dass man immer eine irgendwie geartete Vorstellung davon hat, was Qualitätsmanagement sein könnte, auch wenn man dies nicht immer so professionell tut wie ein Qualitäts-manager.

Seit nunmehr fast 18 Jahren gibt es bewusste und standardisierte Prüfungsformen für pflegerische Qualität. Natürlich hat man sich auch früher schon Gedanken über pflegerische Qualität gemacht. Da war sie aber mehr Teil des Beschwerdemanagements und der

Expertenstandards, MDK & Co.

Qualität ist machbarManchmal kann man das Wort „Qualität“ schon nicht mehr hören. Denn gerade in der Pflege ist es verbun-den mit der Angst vor dem Medizinischen Dienst, mit lästigen Standards, dem Einhalten von Leitlinien und der kontinuierlichen Überprüfung des eigenen Wis-sens. Jens Frieß aber verleiht dem Qualitätsmanage-ment eine ganz neue Leichtigkeit – denn was hat ein Pudding mit Standards zu tun?

12 Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (12)

PflegeAktuell Qualitätsmanagement

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Veröffentlichung von Pflegefehlern. Als aber 1995 die ersten MDK-Prüfanlei-tungen in Kraft traten, sah dies schon etwas anders aus. Auch wenn viele Ein-richtungen und Dienste in Deutschland über diese Art der Qualitätsprüfungen stöhnen, denn ohne Stress und Zeit geht so etwas nie ab, bleibt doch festzustellen, dass dieser methodische Druck viele Ein-richtungen und Dienste gezwungen hat, sich bewusster und strukturiert mit der Herstellung von Qualität (Qualitätsma-nagement) zu beschäftigen. Ob dies im-mer in dieser Form, diesem Umfang, dem jährlichen Rhythmus der Prüfungen zu-züglich Heimaufsichten bei stationären Pflegeeinrichtungen, der Dokumentati-onslastigkeit oder der Benotung nötig ist, bleibt zu diskutieren. Klar ist auch, dass die MDK-Prüfanleitungen nur einen Teil eines QM-Systems darstellen – und da denke ich nicht nur an einschlägige DIN-Normen.

Bedauerlich ist, dass viele Pflegeein-richtungen auf der „Jagd“ nach guten Pflegenoten sind, dabei aber das Gesamt-paket Qualitätsmanagement und seine Chancen außer Acht lassen. Dass aber strukturierte Systeme helfen, Qualität herzustellen, zeigen Zahlen beispielswei-se im Bereich der Dekubitusprophylaxe. Der Nationale Expertenstandard „Deku-bitusprophylaxe in der Pflege“ (2002) war der erste seiner Art und schaffte es tat-sächlich, in Verbindung mit den Prüfkri-terien der MDK und PKV den Blick der Pflegeeinrichtungen für dieses pflege-rische Problem zu schärfen. Entsprechend den Angaben im Expertenstandard gehen Experten derzeit von Schätzungen zur Dekubitusprävalenz aus, die eine deutlich niedrigere Krankheitshäufigkeit in Deutschland aufweist, verglichen mit in-ternationalen Zahlen.

Inwieweit die Durchsetzung der Exper-tenstandards tatsächlich zu einer Verrin-gerung des Vorkommens von Dekubitus, zu einer Verminderung von Sturzfolgen, zu einer verbesserten Förderung der Harnkontinenz oder einem optimierten Schmerzbehandlung beigetragen haben, ist natürlich die Frage. Um dazu eine Aus-sage zu treffen, wäre es erforderlich, dass alle Krankenhäuser, alle ambulanten und stationären Einrichtungen entsprechende Daten sammeln. Das ist aber leider nicht der Fall. Aber nur diese Daten und ihr

Abgleich ermöglichen überhaupt eine Aussage dazu, ob Verbesserungen oder Verschlechterungen eingetreten sind und in welchem Ausmaß. Eine direkte Ur-sache-Wirkung-Beziehung zwischen der Anwendung der Standards und der Ver-besserung pflegerischer Qualität ist nicht ganz einfach.

Ich gebe es unumwunden zu: Ich bin, trotz aller Diskussionen, ein Freund der Expertenstandards und der Grundsatz-stellungnahmen des MDS in Essen. Ob diese nun die rechtlichen Rahmenbedin-gungen des SGB XI erfüllen oder nicht, ist mir erst einmal egal. Für mich zählt, dass diese Expertenstandards das neues-te verfügbare wissenschaftliche Wissen auf diesen Teilgebieten darstellen. Sie schaffen Vereinheitlichung und Ver-gleichbarkeit deutschlandweit. Insofern auch einmal ein Lob an die Experten und an das DNQP. Trotz aller Diskussionen hinsichtlich technisierter Standards, de-nen die Individualität fehlt, Einrichtungen und vor allem die Mitarbeiter sollten wis-sen und lernen, dass beide – Standardi-sierung und Individualität – sehr wohl harmonisieren können und umsetzbar sind.

Fortbildung zahlt sich ausZum Herstellen von Professionalität sind Fortbildungen unabdingbar. Hier wird viel am falschen Ende gespart: das be ginnt bei nachlässig durchgeführten Einarbei-tungen bis hin zu kostenlosen Fort- und Weiterbildungen, die inhaltlich oft nicht den Anspruch von Methodik und Inhalt erfüllen. Was bleibt, ist ein betriebswirt-schaftliches Minus, denn dann sitzen vielleicht 20 Mitarbeiter in einer zwei-stündigen Weiterbildung, mithin 20 Zeit-stunden, die nichts gebracht haben – ver-tane Zeit.

Leider geistern immer noch zu viele Theoretiker herum, die zwar „bunte“ Zet-tel besitzen, aber zum nächsten Schritt, dem zum Handeln, nicht fähig sind. In-sofern wäre auch die Politik langfristig und visionär (Demografie bis 2050/60) gut beraten, sich mit diesem Thema in-tensiv zu beschäftigen und nicht einfach nur abzuwarten. Dies gilt für die einheit-liche Anerkennung von Pflegeberufen in ganz Deutschland. Die tatsächliche ge-sellschaftliche Aufwertung des Pflegbe-rufes hängt auch damit zusammen, ob

Pflegekräfte in der Öffentlichkeit wahr-genommen werden als professionell ar-beitend. Pflege ist einerseits kein Ehren-amt und andererseits viel mehr als reine Behandlungspflege. Personalschlüssel und Arbeitsbedingungen müssen dem realen Aufwand entsprechen. Und: Pflegeleis tungen müssen gerecht entlohnt werden.

Qualität entsteht durch Kompetenz und die Fähigkeit, erworbenes Wissen in pro-fessionelles Handeln umzusetzen. Etwas tatsächlich zu können. Hierzu leistet das PflegeKolleg einen wichtigen Beitrag –

„Qualität ist machbar!“

Jens FrießPräsident des Verein zur Förderung pflegerischer Qualität e.V. Bismarckstr. 01 04509 Delitzsch [email protected]

DEKUBITUSPRÄVALENZ

International Deutschland

Krankenhauspati-enten: 18–24%

Krankenhauspati-enten: 5–7 %

Pflegebedürftige in geriatrischen Kliniken und Pflegeheimen: 30%

Pflegebedürftige in geriatrischen Kliniken und Pflegeheimen: 4–6%

Ambulante Versor-gung: 3–6%

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