Qualitative Stakeholder-Interviews: Entwicklung eines ... · PDF fileJeannette Winkelhage, Adele Diederich, Simone Heil, Petra Lietz, Felix Schmitz-Justen, Margrit Schreier Priorisierung

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  • Jacobs University Bremen

    Qualitative Stakeholder-Interviews: Entwicklung eines Interviewleit-fadens zur Erfassung von Prioritten in der medizinischen Versorgung Jeannette Winkelhage, Adele Diederich, Simone Heil, Petra Lietz, Felix Schmitz-Justen, Margrit Schreier

    Priorisierung in der Medizin FOR 655 Nr. 04 / 2007

    Campus Ring 1 28759 Bremen Germany www.jacobs-university.de

    FOR 655 Working Paper serves to disseminate the research results of work in progress prior to publication to encourage academic debate.

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  • Impressum:

    Campus Ring 1 28759 Bremen Germany www.jacobs-university.de ISSN 1866-0290 www.for655.de www.priorisierung-in-der-medizin.de

    Die Reihe Priorisierung in der Medizin umfasst Arbeits- und Forschungsberichte der DFG Forschergruppe FOR655 Priorisierung in der Medizin: eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Bercksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Berichte und weitere Informationen zu der Forschergruppe knnen abgerufen, werden unter: http://www.for655.de oder http://www.priorisierung-in-der-medizin.de The series Priorisierung in der Medizin consists of working papers and research reports of the DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft, i.e., German Research Foundation) Research Group FOR655 Priorisierung in der Medizin: eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Bercksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).(Prioritizing in Medicine: A Theoretical and Empirical Analysis in Consideration of the Public Health Insurance System) Reports and further information can be found at http://www.for655.de or http://www.priorisierung-in-der-medizin.de

  • FOR655 Nr. 04 / 2007

    Qualitative Stakeholder-Interviews:

    Entwicklung eines Interviewleitfadens zur Erfassung von Prioritten in der medizinischen

    Versorgung

    Jeannette Winkelhage, Adele Diederich, Simone Heil, Petra Lietz, Felix Schmitz-Justen, Margrit Schreier

    Jacobs University Bremen

    Der folgende Text beschreibt die Konstruktion des Instrumentariums fr die Datenerhebung in der qualitativen Projektphase fr das Teilprojekt A Kriterien und Prferenzen in der Priorisierung medizinischer Leistungen: Eine empirische Untersuchung, der Forschergruppe Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Bercksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), FOR 655. Die Datenerhebung erfolgt mittels teilstrukturierter Interviews, die auf der Grundlage eines Leitfadens gefhrt werden. Sie ist exemplarisch fr die empirischen Teilprojekte B2 (Hmophilie A), B3 (Organallokation) und B5 (Evidenzbasierte Medizin). Der Text gibt zunchst einen theoretischen berblick ber die Eigenschaften und Funktionen teilstrukturierter Leitfadeninterviews. In diesem Zusammenhang werden auerdem Argumente dafr geliefert, warum diese Form der Datenerhebung im Rahmen dieses Forschungsprojektes gewhlt wurde. Im Anschluss folgt eine detaillierte Beschreibung der forschungspraktischen Umsetzung dieser Datenerhebungsmethode. Stichworte: Teilstrukturiertes Interview, Leitfadeninterview, Stakeholder-Interviews, Priorisierung, Werte, Prferenzen, medizinische Versorgung, Gesetzliche Krankenversicherung, Entscheidung

    ____________________________ Jeannette Winkelhage Jacobs University Bremen gGmbH Campus Ring 1 28759 Bremen phone: 0421-200 3351 e-mail: [email protected]

  • Qualitative Stakeholder-Interviews

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    1. Einleitung

    Demographischer und epidemiologischer Wandel, aber insbesondere auch medizinisch-technischer Fortschritt, der nicht selten kostspielige Diagnose- und Therapieverfahren mit sich bringt, lassen die Entwicklung von Prioritten in der gesundheitlichen Versorgung unserer Bevlkerung als unvermeidbar erscheinen. Fragen wie Wer ist ihr jeweiliger Trger und wer ihr Benefiziar? Wie knnen Prferenzen und Werte unterschiedlicher sozialer Gruppen ffentlich dargestellt, zur Geltung gebracht und gegeneinander abgewogen werden? Wie vor allem ist eine Beteiligung von Brgern und Patienten zu erreichen? ergeben sich unweigerlich.

    Das Teilprojekt A Kriterien und Prferenzen in der Priorisierung medizinischer Leistungen: Eine empirische Untersuchung, der Forschergruppe Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Bercksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), FOR 655, soll die Prferenzordnungen und die ihnen zugrunde liegenden Kriterien (Kognitionen, Prferenz- und Werteordnungen) verschiedener Stakeholdergruppen 1 bezglich der Verteilung medizinischer Leistungen in Deutschland erfassen2. Das Arbeitsvorhaben gliedert sich in zwei Phasen. In einer ersten Phase sollen mittels qualitativer Interviews Priorisierungskriterien bei verschiedenen Stakeholder-Gruppen (PatientInnen, Gesunde, verschiedene rztegruppen, Pflegepersonal, VertreterInnen der Krankenkassen, PolitikerInnen) erhoben werden. Dabei sind Kriterien der horizontalen Priorisierung von Interesse, d.h. es geht um Aspekte der Priorisierung ber verschiedene Krankheitsbilder hinweg (bspw. im Hinblick auf verschiedene Behandlungsziele und methoden). In einer zweiten Phase wird unter Rckgriff auf die Ergebnisse der qualitativen Interviews eine reprsentative Bevlkerungsbefragung in Deutschland durchgefhrt. Die ermittelten Kriterien der ersten Phase werden auerdem verwendet, um Conjoint Analysen zur horizontalen Priorisierung durchzufhren. Der folgende Text bezieht sich ausschlielich auf den ersten Abschnitt der ersten Phase des eben beschrieben Forschungsvorhabens, nmlich auf die Konzeption der Stakeholder-Interviews.

    2. Leitfden als Basis teilstrukturierter Interviews

    Da es sich bei der Priorisierung in der Medizin um einen Gegenstandsbereich handelt, zu dem bislang kaum Forschungsergebnisse vorliegen, ist es sinnvoll, ein

    1 Stakeholder ist die englische Bezeichnung fr Anspruchsberechtigte. Damit sind Personen oder

    Gruppierungen gemeint, die ihre berechtigten Interessen wahrnehmen (Wikipedia: Stakeholder, 22.11.2007).

    2 vgl. Diederich, A./Lietz, P./Schreier, M. (2006): Kriterien und Prferenzen in der Priorisierung medizinischer Leistungen: Eine Empirische Untersuchung, in: Diederich, A./Kliemt, H./Nagel, E. et al. (2006): Antrag auf Einrichtung und Frderung der Forschergruppe FOR 655. Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Bercksichtigung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), S.26-50

  • Jeannette Winkelhage et al.

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    Erhebungsinstrumentarium einzusetzen, das es erlaubt, die fr die befragten Subjekte relevanten Kriterien explorativ zu rekonstruieren. Gleichzeitig soll untersucht werden, welcher Stellenwert solchen Aspekten, wie sie bspw. in der ffentlichkeit diskutiert oder in anderen Lndern zum Teil bereits implementiert wurden, bei den Befragten zukommt. Um diesem induktiv-deduktiven Ansatz gerecht zu werden, erfolgt die Datenerhebung mittels teilstrukturierter Interviews auf der Basis eines Leitfadens (siehe hierzu bspw. Mason 2002; Merton/Kendall 1945/463; Patton 2002; Rager 1999; Wengraf 2001; Witzel 20004). Dieser wird im Vorfeld des Interviews von den ForscherInnen konzipiert und besteht aus offen formulierten Fragen. Er dient als Strukturierungshilfe und lenkt die Aufmerksamkeit der Befragten auf die Themen, die fr das Untersuchungsziel interessant sind. Da es sich bei der Priorisierung medizinischer Leistungen einerseits um einen sehr komplexen Sachverhalt handelt, es andererseits aber noch keine Bemhungen gibt, die breite Bevlkerung in entsprechende Entscheidungen einzubeziehen, diese also noch nicht vertraut mit diesem Thema ist, ist die Verwendung eines Leitfadens unerlsslich. Denn es soll vermieden werden, dass vermehrt solche Themen angesprochen werden, die nicht dem Erkenntnisinteresse entsprechen bzw. dass sich die Befragten aufgrund der geringen oder gar fehlenden Erfahrung mit dem Thema berfordert fhlen und sich gar nicht uern. Dennoch ermglicht ein Leit-faden dem/der ForscherIn flexibel und offen an den Forschungsgegenstand heranzugehen, so dass es mglich ist, neue Dimensionen im Hinblick auf die Priorisierung medizinischer Leistungen zu erkennen und aufzuzeigen. Das teilstrukturierte Interview ermglicht also eine optimale Kombination von Fokussierung auf die Thematik auf der einen und Flexibilitt und Offenheit gegenber den TeilnehmerInnen auf der anderen Seite. Dementsprechend sind die Interviewfragen im Leitfaden zwar vorformuliert, ihre przise Formulierung sowie die Reihenfolge, in der sie gestellt werden, sind jedoch nicht festgelegt (vgl. Rager et al. 1999: 37). Der/Die InterviewerIn muss situativ entscheiden, welche Frage wann gestellt wird, ob sie vielleicht schon beantwortet wurde, oder ob es sinnvoll ist, die/den BefragteN zu detaillierteren Ausfhrungen anzuregen. Ferner knnen ad hoc noch andere Fragen mit aufgenommen werden, die sich erst whrend des Interviews ergeben (vgl. Rager et al. 1999: 37). Dennoch sollte der/die InterviewerIn darauf achten, dass smtliche fr die Forschung relevanten Themenbereiche angesprochen werden, und dass der/die Befragte nicht ganz und gar vom Thema abschweift. Aufgrund der Flexibilitt, der Offenheit sowie der thematischen Fokussierung, wird das teilstrukturierte dem stark strukturierten Interview vorgezogen. Denn bei letzterem sind der Inhalt, die przise Formulierung, die Reihenfolge und die Anzahl der Fragen im Leitfaden schon vorab festgelegt und werden von dem/der InterviewerIn kontrolliert. Dadurch wird der Interviewverlauf im Gegensatz zum teilstrukturierten Interview allein durch den/die ForscherIn reglementiert (vgl. Rager et al. 1999: 36f.).