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Quellen, Wege und Verhiitung der Tuberkulose 3 H. HABs-Heidelberg: Quellen, Wege und Verhiitung der Tuberkulose Wenn mir die Aufgabe fibertragen wurde, zu dem Thema der heutigen Tagung vom Standpunkt des Hygienikers aus Stellung zu nehmen, und wenn ieh dabei meinen Mitreferenten so wenig wie mSgIich vorwegnehmen m6chte, so scheint es mir am richtigsten zu sein, wenn ich an diese Aufgabe nieht als praktiseher I~ygieniker herangehe, sondern wenn ieh zun/~ehst yon einem mehr theoretischen Standpunkt aus frage, in welche Sicht sieh in der derzeitigen Situation das alte Problem der Quellen und Wege der Tuberkulose stellen 1/~Bt. Die theoretischen Grundlagen fiir die Seuehenbek/~mpfung bietet uns nun nicht nur die experimentelle Forsehung, sondern auch die aUgemeine und ver- gleichende Epidemiologie. Ich darf deshalb damit beginnen, yon dieser aus -- mSgliehst vereinfachend -- eine Analyse zu versuchen. Eine vergleichende Epidemiologie wird zuniichst versuchen, ein Ordnungs- schema fiir die Infektionskrankheiten aufzustellen und nach der Sonderstellung bestimmter Seuehen zu fragen. Klinische Lehrbfieher pflegen die Infektionskrankheiten nach Organsystemen und naeh Symptomengruppen zu ordnen, teilen etwa die Viruskrankheiten in neurotrope, pneumotrope, dermotrope usw. ein. In Lehrbfiehern der Hygiene linden wir racist eine Gruppierung naeh der Stellung der Erreger im naturkund- lichen System. Beides kann den Bedfirfnissen der Epidemiologie und der Seuchen- bek/~mpfung nicht gerecht werden. Denn was haben bier Tollwut und l~olio- myelitis miteinander gemein, die kliniseh beide den neurotropen Viruskrank- heiten zugehSren, oder was haben Gonorrhoe und Geniekstarre miteinander zu tun, die beide yon gramnegativen K0kken hervorgerufen werden ? In der Praxis der Seuehenbek/impfung sieht es doch aueh anders aus: wit sprechen etwa yon Geschlechtskrankheiten, Kinderkrankheiten, yon Kriegsseuchen und Wander- seuchen oder -- gewissermaf3en als Obergruppen -- yon Krankheiten der Unkultur (KISSKALT) einerseits, yon Zivilisationsseuchen (l)w Ru])])E~) andererseits. Es sind offensichtlich soziologische Gesiehtspunkte, nach denen wir ordnen. Die Soziologie kSnnen wir ffir unseren Zweck als einen auf den Menschen besehr/~nkten Teilkomplex der Okologie ansehen. -- Auch d.er Veterin//rhygieniker kennt/~hnliche Einteilungen, etwa in Stallseuchen, Weideseuchen, Kandelsseuchen. Und auch wir mfissen fiber die zwischenmenschliche Umwelt hinausgehen, da wir doch die Zoonosen und die (lurch Zwischentr/~ger verbreiteten Seuchen miterfassen miissen. Wir kSnnten die Zoonosen danach ordnen, ob sic auf Haustiere oder auf Wild- tiere zuriiekgehen; wir mfiBten bei der zweitgenannten Gruppe fragen, ob K6rper- ungeziefer, Wohnungsungeziefer, Freilandungeziefer als ~bertr//ger dienen (MA~TIm). :Die Einordnnng einer Seuehe in eine bestimmte 5kologisch-soziologische Gruppe ist aber oft nichts Fixiertes. Die Masern sind eine Kinderkrankheit nut unter den Bedingungen unserer derzeitigen Situation; die Lues ist eine Geschlechtskrankheit wohl bei uns, nieht in dem endemischen Herd in Bosnien, we sie extragenital etwa duroh ein Kind in die Familie eingesehleppt wird, dureh gemeinsamen Gebrauch yon Gegenst//nden, insbesondere Trink- gef/~i~en, anf die Gesehwister fibertragen wird, dann aueh auf die Mutter und vielleicht zuletzt erst auf den Vater. Es ist doeh ffir uns fast unvorstellbar, dab in 20% der befallenen Familien nur Kinder als infiziert befunden wurden. 1"

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Page 1: Quellen, Wege und Verhütung der Tuberkulose

Quellen, Wege und Verhiitung der Tuberkulose 3

H. HABs-Heidelberg: Quellen, Wege und Verhiitung der Tuberkulose

Wenn mir die Aufgabe fibertragen wurde, zu dem Thema der heutigen Tagung vom Standpunkt des Hygienikers aus Stellung zu nehmen, und wenn ieh dabei meinen Mitreferenten so wenig wie mSgIich vorwegnehmen m6chte, so scheint es mir am richtigsten zu sein, wenn ich an diese Aufgabe nieht als praktiseher I~ygieniker herangehe, sondern wenn ieh zun/~ehst yon einem mehr theoretischen Standpunkt aus frage, in welche Sicht sieh in der derzeitigen Situation das alte Problem der Quellen und Wege der Tuberkulose stellen 1/~Bt.

Die theoretischen Grundlagen fiir die Seuehenbek/~mpfung bietet uns nun nicht nur die experimentelle Forsehung, sondern auch die aUgemeine und ver- gleichende Epidemiologie. Ich darf deshalb damit beginnen, yon dieser aus - - mSgliehst vereinfachend - - eine Analyse zu versuchen.

Eine vergleichende Epidemiologie wird zuniichst versuchen, ein Ordnungs- schema fiir die Infektionskrankheiten aufzustellen und nach der Sonderstellung bestimmter Seuehen zu fragen.

Klinische Lehrbfieher pflegen die Infektionskrankheiten nach Organsystemen und naeh Symptomengruppen zu ordnen, teilen etwa die Viruskrankheiten in neurotrope, pneumotrope, dermotrope usw. ein. In Lehrbfiehern der Hygiene linden wir racist eine Gruppierung naeh der Stellung der Erreger im naturkund- lichen System. Beides kann den Bedfirfnissen der Epidemiologie und der Seuchen- bek/~mpfung nicht gerecht werden. Denn was haben bier Tollwut und l~olio- myelitis miteinander gemein, die kliniseh beide den neurotropen Viruskrank- heiten zugehSren, oder was haben Gonorrhoe und Geniekstarre miteinander zu tun, die beide yon gramnegativen K0kken hervorgerufen werden ? In der Praxis der Seuehenbek/impfung sieht es doch aueh anders aus: wit sprechen etwa yon Geschlechtskrankheiten, Kinderkrankheiten, yon Kriegsseuchen und Wander- seuchen oder - - gewissermaf3en als Obergruppen - - yon Krankheiten der Unkultur (KISSKALT) einerseits, yon Zivilisationsseuchen (l)w Ru])])E~) andererseits. Es sind offensichtlich soziologische Gesiehtspunkte, nach denen wir ordnen. Die Soziologie kSnnen wir ffir unseren Zweck als einen auf den Menschen besehr/~nkten Teilkomplex der Okologie ansehen. - - Auch d.er Veterin//rhygieniker kennt/~hnliche Einteilungen, etwa in Stallseuchen, Weideseuchen, Kandelsseuchen. Und auch wir mfissen fiber die zwischenmenschliche Umwelt hinausgehen, da wir doch die Zoonosen und die (lurch Zwischentr/~ger verbreiteten Seuchen miterfassen miissen. Wir kSnnten die Zoonosen danach ordnen, ob sic auf Haustiere oder auf Wild- tiere zuriiekgehen; wir mfiBten bei der zweitgenannten Gruppe fragen, ob K6rper- ungeziefer, Wohnungsungeziefer, Freilandungeziefer als ~bertr//ger dienen (MA~TIm).

:Die Einordnnng einer Seuehe in eine bestimmte 5kologisch-soziologische Gruppe ist aber oft nichts Fixiertes. Die Masern sind eine Kinderkrankheit nut unter den Bedingungen unserer derzeitigen Situation; die Lues ist eine Geschlechtskrankheit wohl bei uns, nieht in dem endemischen Herd in Bosnien, we sie extragenital etwa duroh ein Kind in die Familie eingesehleppt wird, dureh gemeinsamen Gebrauch yon Gegenst//nden, insbesondere Trink- gef/~i~en, anf die Gesehwister fibertragen wird, dann aueh auf die Mutter und vielleicht zuletzt erst auf den Vater. Es ist doeh ffir uns fast unvorstellbar, dab in 20% der befallenen Familien nur Kinder als infiziert befunden wurden.

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4 H. IIABS:

Ver/inderungen der soziologischen Struktur k6nnen eine ~uderung des Seuehenbildes bedingen. Die Ruhr war einst Kriegs-, Lager-, Anstaltsseuche; sie ist zur Zeit vorwiegend Kinderseuche. Wir werden demnaeh fortlaufend zu prfifen haben, ob der Seuehencharakter sich gleich bleibt oder ob er in Anpassung an eine ge/~nderte gesellschaftliche Struktur neue Formen annimmt. Es ist dem- nach mfiBig zu streiten, ob die Tuberkulose eine Wohnungskrankheit sei oder nieht, es ist vielmehr zu analysieren, unter welehen best immten kulturellen Be- dingungen wir die Tuberkulose als Wohnungskrankheit bezeichnen kSnnen.

Zu welohem 5kologischen Typ unter fixierten sozio]ogischen Bedingungen nun eine Seuche gehSrt, wird bes t immt durch ihre mit den Methoden der Natur- wissenschaften faBbaren Eigenschaften. Dafiir, dab etwa die Masern in Europa zur Zeit eine Kinderkrankhei t sind, ist best immend vom Virus her, dab es in der AuBenwelt schnell zugrunde geht, vom l~[enschen her, dab eine allgemeine Emp- I/ingliehkeit f/Jr die Krankhei t besteht, dab diese eine lebensl/ingliche Immuni t~ t hinterl/~Bt und dab der Menseh nur w/~hrend einer kurzen Zeit der Erkrankung, dann aber hoehgra~lig infekti6s ist. Bei diesen Eigenschaften werden die Masern zur Kinderseuche unter der Voraussetzung groBer Wohndiehte und Verkehrs- dichte; sie sind es nieht auf isolierten, d/inn besiedelten Inseln. Aueh die RSteln k6nnen wir noch zu den Kinderkrankheiten rectmen. Sie sind es schon nieht mehr bei einer relativen Auflockerung der Kontaktdichte, etwa in Australien.

Die Epidemiologie einer Seuehe hat demnaeh stets einen kulturwissensohaft- lichen und einen naturwissensehaftlichen Aspekt. Versuehen wir die naturwissen- schaftlich zu erfassenden Tatsaehen zu ordnen, so ist fiir die Erseheinungsform einer Seuche charakteristisch, wo wir die Infektionsquellen zu suchen haben und auf welchem Wege die Ubertragung erfolgt, kurz das, was wir mit Dov.Rl~ als Infektket te der Seuche bezeichnen.

Wir fragen zun/~chst, ob die Seuche nur den l~enschen bei/illt oder ob im entgegengesetzten Extremfall der Mensch nur das blinde Endglied einer Infekt- kette darstellt, die bei Tieren abl/~uft. - - Es ist meist noch /iblich, die Infekt- ketten, deren Glieder nur aus Menschen bestehen, als homogen zu bezeiehnen, alle die, bei denen Tiere eingesehaltet sind, als heterogen. Ich habe fr/iher betont, dab diese Einteilung unzureichend sei. Die Einschaltung der Laus beim Fleeldieber ist grunds/~tzlich etwas anderes als die l~olle des t tundes bei der Tollwut.

Man sollte als homogen alle Infektke t ten bezeichnen, bei denen sich gleich- wertige Infektionen bei Wirbeltieren aneinanderreihen. I s t das Infektionsspek- t rum des Erregers eng, so dab in der Ket te nur eine Art Wirt auftritt , z.B. der Mensch, so ist sie nicht nur homogen, sondern auch homonom. Is t bei brei tem Infektionsspektrum des Erregers der Infekt nicht gesetzm/~Big auf eine Species beschr~inl~t, so ist die Ket te homogen, aber heteronom. - - Als heterogen sind dann alle Infektket ten zu bezeichnen, bei denen niedere Tiere als Zwischentr//,ger eingesehaltet sein m/issen. Auch sie kSnnen homonom sein wie die mensch- liehe Malaria oder heteronom wie etwa die Pest (vg]. Schema 1).

Es ist eindeutig, dab es sich bei tier Tuberkulose um zwei zwar homogene, a b e r eindeutig voneinander unterschiedene Infektket ten-Schemata handelt, die des humanen Erregertypes mit homonomer, die des bovinen mi$ heteronomer

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Kette. Nur die Unm6glichkeit einer klinischen Differentialdiagnose hat dazu gefiihrt, dal~ sie in der epidemiologischen Statistik immer noeh als Seucheneinheit hingenommen werden mul~. Die grunds~tzliche Bedeutung der Trennung auch fiir die Seuchenverhiitung geht daraus hervor, dab der bovinen Infektion heute ein eigenes Referat gewidmet ist.

Schema 1. In/ektketten

Homogen-Homonom M -* M -* M - , M (Beispieh Masern)

Homogen-Heteronom T --> T --> T --> T --> T (Beispiel: Tollwut) $

M tieterogen-ttomonom M M M M (Beispiel: Malaria)

k t j Z N j / ~ N j Z N j

Heterogen-Heteronom T T T T T (Beispiel: Pest) "~j/ NjA Njz ~ NjS $ M

Zeiehener]dfirung: M = :Mensch; T = Tier; J = Insekt.

Bei der Infektket te haben wir weiter zu gliedern naeh dem Infektionsweg, ob dieser dutch Kontak t , TrSpfchen, Staub, Lebensmittel erfolgt. I m Schema h~tten wir gewissermal3en den Pfeil, der yon einem zum anderen Glied fiihrt, zu differenzieren (vgl. Schema 2). Es wiire bei beiden Tuberkulose-Seuehen zu

Schema 2. In/ektior~wege

Kontakt M ) M Staub M i t i �9 > M

TrSpfchen M o o o o > l~l Lebensmittel M-- (1) - j M \ M

fragen, welche Infektionswege die wirklich gangbaren sind, ob etwa bei der bovinen Infektion neben der Milchinfektion auch die Fleischinfektion seuchen- best immend sein kann, ob es ffir die Ausbreitung der humanen Infektion wesent- lich is~, zwischcn TrSpfchen- und Staubinfektion zu unterscheiden.

Das Schema, das wir bisher betraohtet haben, kSnnen wir als ,,iiul~ere" Infekt- kette bezeichnen. Ieh habe friiher betont, dal3 wir sie durch eine ,,innere" Infekt- kette erg~nzen miissen, die diejenigen Tatsachen zur Darstellung bringt, die aus dem nosologischen Geschehen, dem Ablauf der Infektion im Wirt, fiir das epi- demiologisehe Geschehen yon Bedeutung sind. Da f t ich im Rahmen des heutigen Themas zweierlei herausgreifen:

Ffir die Infektionskette ist es wesentlich, wer innerhalb der Population zur Ansteckungsquelle werden kann. Die Erregerausscheidung kann auf best immte KrankheitsstoAien beschdinkt sein, es k6nnen aber auch klinisch Gesunde zu Ansteckungsquellen werden. Es is~ andererseits wesentlich, wer innerhalb der Population ansteekungsgef~hrdet ist, etwa ]eder Gesunde oder nur der, der die Infektion noeh nicht i iberstanden hat.

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6 H. HABs:

I m Schema de r I n f e k t k e t t e h g t t e n wir d e m n a c h deren Gl ieder durch Ind ices zu kennzeichnen. W i r h a b e n n ich t nu r die K r a n k e n yon den Gesunden zu un te r - scheiden, sondern bei d iesen die Empfi~nglichen yon den Res i s t en ten u n d yon den I m m u n e n . W i r h a b e n wei ter anzugeben , ob e in Glied inf iz ier t i s t oder nicht . U n d wir benSt igen schlie~lich eine Mark ie rung , ob das Glied infekt iSs is t oder n ich t

~) M(k) = M(Ge) = M(Gr) = M(Gi) =

q- b) M(Gi) =

M(Gi) =

c) M(k) = T

M(k) =

Schema 3. Glieder der In]ektkette

kranker Mensch gesunder empfgnglicher Mensch gesunder resistenter Mensch gesunder immuner l~Iensch

gesunder immuner ~-~[ensch, infiziert

gesunder immuner Mensch, nicht infiziert

krankcr Mensch, infektiSs

kranker Mensch, nicht il~[ektiSs

Wir kSnnen nun auch den Ablauf de r In fek t ion yore epidemiologischen S tand- p u n k t aus schemat is ieren. Stel len wir z. ]3. die inhere I n f e k t k e t t e eines ffir Masern empfgngl ichen Menschen der jenigen eines ] ) iph ther ieempfgngl ichen gegeni iber :

Schema 4. Inhere In#ktkette (bei Empfiinglichen)

Masern ~r (Ge - - - - ~ K + ----> I~- ---> Gi) 4

Diphtheric M (Ge -----> K + ----> Gi + ---+ Gi-)

Der Maserninf iz ier te e r k r a n k t nach einer no rmie r t e n Inkuba t ionsze i t , wi rd wghrend der ku rzen Zei t de r P r o d r o m e zur Infekt ionsque]]e , scheidet abe r als ] ( r a n k e r schon w i d e r aus dem Seuchengeschehen aus.

Der Diph ther ie in f iz ie r te dagegen k a n n sehon in de r I n k u b a t i o n s z e i t Aus- scheider sein, b le ib t es in de r Regel wghrend der ganzen Zeib de r I~rankhe i t und in der Rekonva leszenz . Ja , das le tz te S t a d i u m des n ich t m e h r ir~fizier~en I m m u n e n b r a u e h t i i be rhaup t n ich t e r re ich t zu werden, er wird zum Daueraussche ider . - - U n d erggnzen wir das Schema durch ein solches ~iir d ie Infek t ion , die attf einen I m m u n e n t r i f f t .

Schema 5. Innere In#~kette (bei Immunen) $

Masern M (Gi) 4 +

Diphtherie M (Gi ~ Gi + > Gi-)

4

Bei dem M a s e r n . I m m u n e n geh t die In fek t ion nioh~ an ; be i dem Diph the r i e - I m m u n e n k a n n sic ha f t en - - er k a n n auch zum Aussoheider werden, ohne k r a n k zu werden.

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Que]len, Wege und Verhiitung der Tuberkulose 7

Die Epidemiologie der Masern ist wesentlich dadureh mitbedingt, dal] wir aur einen Typ yon Infektionsqnellen finden, den Kraiiken in einem umgrenzteii Stadium, die Diphtherie dagegen ist in ihrer Ausbreitung bes t immt dadureh, dab wir nicht nut mit dem kranken Ausscheider, sondern auch mit dem Inkuba . tionsausseheider, dcm Rckonvaleszenzausseheider, dem Dauerausseheider und dem immunen bzw. resistenten sog. Kontaktausscheider zu reehnen haben.

Die aus ~ul3erer und innerer Infektket te zusammengesetzte Gesamtinfektkette ist demnach bei den 1Viasern einf6rmig, bei der Diphtherie vielgestaltig. Die Bek/impfungs- bzw. VerhiitungsmSglichkeiten werden demnaeh v611ig verschiedeii sein; die Mehrzahl der Diphtheriebakterienausscheider ist kliniseh gesund und entspreehend schwer zu erfassen.

Versuchen wir diesen Gedankengang auf die humane Tuberkulose zu iiber- tragen, so dfirfen wir nns nieht mi t der Festste]lung begnfigen, dab wir nur einen Typ Infektionsquelle haben, den k]inisch Kranken, der als solcher auch behand- lungsbediirftig ist, sondern miissen betonen, daB ein nicht kleiner Teil dieser Kranken sich bereits im Stadium der Infektiosit/it befindet, ehe die Diagnose gestellt wird. Wesentlich ist, dab eine fixierte zeitliche Abh/ingigkeit zwischen dem Terrain der Infektion und dem des Beginns der Ausscheidung nicht besteht.

In der Infektket te der Tuberkulose befinden sich in der Mehrzahl blinde Glieder, die zwar infiziert werden, aber nieht manifest erkranken, oder die zwar erkranken, aber nieht infektiSs werden, also nieht zu neuen Quellen. Ob die Infektion in eine mSglieherweise offeii werdende Erkrankung fibergeht, kann yon einem Zweitgeschenen abh/ingig sein. Suchen wir ein entsprechendes Beispiel unter den akuten Infektionskrankheiten, so kSnnten wit die lob/ire Pneumonie heranziehen. Ihr infektiSser Charakter ist uns kaum bewuSt, obwohl eindeutige entsprechende Beobachtungen yon Hausinfektionen vorliegen. In der Regel diirfte es aber so sein, dab jemand, der an einer Pneumonie etwa durch den Pneumococcus yore Typ I erkrankt , diesen Typ schon vorher beherbergte, gegen ihn gewissermaBen resistent war, und daI3 eine unspezifisehe Zweitursaehe - - etwa ein Sturz ins Wasser - - den Ausbruch der Krankhei t bedingte. I m Schema 6 wiirde dies dann etw~ folgendermaBen zu schreiben sein:

Schema 6. Innere In/ektkelte

Pneumonie M (Gr ~ Gr§ Go + ---> K + - - + Gi)

Die dutch den Pfeil gekennzeiclmete Infektion hat vielleicht schon vor ]anger Zeit stattgefunden, die Erkrankung folgt der durch ein Kreuz gekennzeichneten Ursaehe der Resistenzschwankung.

Das Geschehen bei der Tuberkulose-Erkrankung ist offensichtlich noeh kom- plizierter, zun/ichst dadnreh, dab die Infekt ion nicht nur wie beim Pneumococcus zu einem Epiphytismus fiihrt, sondern zu einem, zwar vieUeicht subklinischen, aber doch immunologisch wesentlichen Geschehen, das andererseits nicilt mi t einer Ausscheidungsphase verbunden ist, nnd dann dadureh, dab die Zweit- ursache spezifischer Na tur im Sinne einer Superinfektion sein kalm. Ffir unsere Frage der Infektionsquellen steht im Vordergrund, dab im Gegensatz etwa zu

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8 H. HABS:

Masern oder aueh Typhus der Begriff , ,Inkubationszeit" ohne epidemiologisehe Bedeutung ist. Mir scheint abet, dab wir gerade bei einer Krazfl~heit, die unmerk- lich yon der latenten in die manifeste und schlie]lich in die ansteckende Phase fibergehen kann, einen Begriff benStigen fiir die Zeit vor dem Offenwerden, letztlieh fiir die Zeit, innerhalb der der Mensch vom Opfer der Krankheit zum potentiellen Verbreiter der Krankheit wird und damit aus dem ~rztliehen Bezugs- kreis auch in den des I-Iygienikers eintritt. Ich glaube, dab wir fiir diese Zeit- spanne aus der Helminthologie den Begriff ,,Pri~patentperiode" fibernehmen kSnnten. Der uns ungewohnte Begriff wir4 benfitzt, um etwa bei Darmparasiten die Zeit zu bezeiehnen, die verstreicht, bis der Befall dureh die MSgliehkeit des Eiernaehweises erkennbar, offengeleg~ wird, denn das ist doch die Wortbedeutung yon patent. - - Wenn der Kliniker also etwa der latenten Erkrankung die manifeste Erkrankung gegenfiberstellt, so ist aus dem Gesiehtswinkel des Hygienikers der Gegensatz zur latenten Infektion als patente Infektion zu bezeiehnen. Nun brauehen wir sieherlieh nieht das gute Wort ,,often" dureh ein Fremdwort zu ersetzen; aber es ist schwer, den Zeitraum vor dem Offenwerden treffender zu bezeichnen als dureh den in einer Nachbarwissenschaft eingebfirgerten Begrfff ,,Pri~patentperiode". Und wir miissen ja als I~ygieniker priignant sagen k6nnen, da~ eine chronische Infektionskrankheit vor Ablauf der Pr~patentperiode er- kannt werden mul3, damit die Infektionsquelle reehtzeitig ihrer Gef~hrlichkeit entkleidet werden kann.

Ieh darf naeh diesem Versuch einer Schematisierung und Simplifizierung auf die Ausgangsbetrachtung zurfickkommen: Die vergleichende Epidemiologie lehrt uns immer wieder, dab wit das Geschehen bei einer bestimmten Seuche nicht als etwas Starres ansehen dfirfen. Die Gesamtinfektkette ist fast stets mehrgleisig; welcher Weg vorwiegend beschritten wird, ist abhs yon 5kologisehen und soziologisehen Bedingungen.

Nun ist offensichtlich die Infektionskette der Tuberkulose so beschaffen, da~ unter den zivilisatorischen Bedingungen der Jahrhundertwende praktisch jeder Mensch infiziert wurde, und zwar frfihzeitig in seinem Leben; und die Bedin- gungen waren weiterhin derart, dab die Entwicklung der Infektion zur Krankhei t begiinstigt wurde. Die Tuberkulose war eine soziale Krankheit , eine Zivilisations- seuche, ttygienisch-gesundheitspo]izeiliche MaI3nahmen mul3ten weitgehend machtlos sein.

Aber innerhalb der letzten 50 Jahre ist die Tuberkulosesterblichkeit auf ein Zehntel des Ansgangswertes zurfickgegangen. KSnnen wir die Frage steUen, ob die soziologischen Faktoren auch heute noch derart aussehlaggebend ffir das Tuberkulosegeschehen sind, dal~ wir sie nicht mit den klassischen l~ethoden der Seuehenbekiimpfung angehen kSnnen, mit den Methoden, die die Unterbrechung der I ldektket te durch Aussehaltung der Quellen und Verstopfung der Wege zum Ziel haben ?

Ich bin mit Krit ikern der staatliehen Gesundheitsffirsorge wie RODEWALD davon fiberzeugt, dai3 der Rfickgang der Tuberkulosesterblichkeit in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts in der J~nderung der sozialen Faktoren be- griindet und noeh nicht entseheidend durch die im Auibau befindliehe Tuber- kulosetherapie, -fiirsorge und -bek~mpfung beeinflul~t war und verweise aueh auf das ausfiihrliche abw~gende Referat yon GV~D~L aus dem Jahre 1932. Dann

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Quellen, Wege und Verhiitung der Tuberkulose 9

w~ren aber, in umgekehrter Betraehtung, die Zahlen der Tuberkulosestatistik damals ein Indicator der sich bessernden soziologisehen Struktur. Diese Struktur muff sich seitdem grundlegend veri~ndert haben, wenn eine Verschlechterung yon eins$ fiir ausschlaggebend gehaltenen unspezifischen F~ktoren, wie Wohnung und Erni~hrung, in der Katastrophenzeit ohne einschnei'denden EinfluB auf die Tuber- kulosemortalit~t blieb.

Wir miissen also die genannte Frage stellen, ob die Tuberkulose heute nicht nut in den Bereich ~rztlich-therapeutischer Ti~tigkeit und sozialer MaBnahmen gehSrt, sondern auch in das Arbeitsgebiet der Seuchenbek~mpfung.

Nun ist im epidemiologisehen Gesehehen die Sterbeziffer, auf die sieh die friiheren Statistiken beschrs etwas Sekundiires. Infolge der im patho- genetischen Gesehehen nur loekeren Verkniipfung yon Infektion und Erkrankung ist aueh die Erkrankungsziffer noch nieht das Primiire. Primer ist vielmehr die Infektionsrate.

Den Wandel in der epidemiologischen Situation k6nnen wir demnaeh an den Tuberkulin-Katastern ablesen. Un4 wenn z.B. nach den Zahlen yon PERETTr 1953 nur noch etwa 20% der Kinder des ersten Schuljahres tuberkulin-positiv waren, so bedeutet dieses doch, daI3 die Infektion des Menschen im Vorsehulalter heute als im Prinzip vermeidbar angesehen werden muB.

Wie sieh das Tuberkuloseproblem ffir den Kliniker vom Letalitiitsproblem zum Invalidit~itsproblem verschoben hat, so versehiebt es sich fiir den Hygieniker vom Problem sozial-hygienischer Mal3nahmen mehr und mehr zum Problem der Expositionsprophytaxe und d.h. in erster Linie zum Problem der Infektions- quellen. Wenn wir doch wohl alle der ~berzeugung sind, daB jede Mfihe gereeht- fertigt ist, um das tuberkul5se Rind als Infektionsquelle fiir den Menschen aus- zusehalten, warum sollten wir vor dem gleichen Problem bei der humanen Tuber- kulose resignieren ? Ich bin demgem~l~ im Gegensatz zu I:tODEWALD davon fiberzeugt, dab es richtig war, die Tuberkulose in der Gesetzgebung den anderen Infektionskrankheiten gleichzustellen. Dabei handelt es sich nicht um die Frage, wieweit die Sorge fiir den Tuberkulosekranken und sein Schieksal Aufgabe einer 5ffentlichen Gesundheitsffirsorge sein so]], sondern um die Frage einer echten Seuehenprophylaxe, die natiirlich den spezifischen Gegebenheiten der Tuber- kuloseepidemiologie anzupassen ist.

Innerhalb dieses Fragenkomplexes kSnnen wir heute gewisse Aussagen fiber das quantitative Gesehehen machen. Die Tuberkulose-Best~nds-Statistik gibt uns Uuterlagen fiir eine Schi~tzung der Zahl der Infektionsquellen innerhalb der Population.

Die Meldungen besagen, dal3 im Jahre 1955 die Zahl der den FiirsorgesteUen bekannten Fs yon ansteckender Tuberkulose der Atmungsorgane 23,8 auf 10000 der BevSlkerung betrug. Diese Verhi~ltniszahl erscheint als zu niedrig, wenn man davon ausgeht, dab bei den RSntgen-Reihenuntersuchungen jeweils noeh unbekannte ansteekende Erkrankungen erfal3t werden, etwa im Jahre 1954 in Bayern 4 auf 10000. Sie ist aber zu hoch, wenn beriicksichtigt wird, daI~ in der erstgenannten Zahl sieh etwa z/5 Erkrankungen ohne Baeillennachweis be- finden und daft naeh den statistisehen Richtlinien die l~berfiihrung einer Er- krankung in die Rubrik ,,niehtansteckende Tuberkulose" erst erfolgen soil, wenn mindestens 12 Monate seit dem letzten Bacillenbefund vergangen sind. - - Die

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I0 H . HABS :

uns interessierende ZaM der als sti~ndige Ansteekungsquelle in Betraeht kom- men4en Kranken dfirfte demnach in der Gr6Benordnung yon 20--25 auf 10000 liegen.

Wenn yon diesen Infektionsque]len naeh der fiblichen Annahme etw~ ein ])rittel in Krankenanstalten isoliert ist, so befinden sich in einer Bev61kerungs- gruppe yon 10000 Einwohnern durehschnittlich vielleicht 15 Infektionsquellen.

Die Verteilung ist sioher sehr ungleichms und offensichtlieh muB es heute schon kleinere Gemeinden geben, an deren Ortseingang neben dem Sehild ,,Frei yon Rindertuberkulose" auch ein solehes ,,Frei von ansteckender Mensehentuber- kulose" stehen kSnnte. :Die theoretische Folgerung, dab derartige Orte auch ffir die Zuknnft bevorzugt freizuhalten w~ren, kann zweifellos noch nicht verwirk- licht werden, aber die ~berlegung zeigt doch, dal~ sich die Durchseuchung r/ium- lieh auflockert, da$ eine kartographisehe Darstellung der Infektionsquellen be- reits die ersten weiBen F1Kehen aufweisen wfirde. Die Tuberkulose-Seuche be- findet sieh in einem Stadium, in dem wir dazu fibergehen mfissen, Kleinraum- Epidemiologie zu treiben.

Aueh folgenden Vergleieh sollte man durehdenken: Wir haben jetz~ die ersten statistischen Unterlagen fiber die stKndigen Infektionsquellen der typhSsen Er- krankungen, n~mlieh fiber die Dauerausscheider. 1954 waren im Bundesgebiet etwa 8100 Dauerausseheider yon Typhus- und Paratyphusbakterien gemeldet, das sind 1,6 auf 10000 Einwohner. Wer sich mit der Typhusbek/~mpfung befal3t hat, weiB, dab diese Zahl wesentlieh geringer ist als der wirkliehe Bestand, denn w/~hrend der grol]en Naehkriegsepidemie konnte nur ein Bruchteil der neu ent- stehenden Ausseheider a]s solehe diagnostiziert werden. Bei der Annahme, dab etwa 4 % der Erkrankten zu Ausscheidern werden, entspr/ichen dem gemeldeten Ausscheider-Bestand etwa 200000 Erkrankungen innerhalb der jetzt lebenden Generation. Wenn aueh verwertbare statistische Unterlagen fiber die Naehkriegs- zeit fehlen, so war doeh die tats//chliehe Erkrankungsziffer wesentlich h6her; bat ten wir doeh in den Jahren 1946---1950 noch fiber 105000 Neuerkrankungen. Die Zahl der Typhus-Infektionsquellen muB mindestens das Doppelte der gemeldeten Dauerausscheider betragen.

Das bedeutet dann aber, dab die Zahl der stKndigen Anstecknngsquellen ffir Tuberkulose nur etwa ffinfmal so groB ist wie die ffir die typhSsen Erkrankungen. Wenn man nun heute schon in der 0ffent]iehkeit geneigt ist, yon einem Versagen des staatlichen Gesundheitsdienstes zu sprechen, wenn yon einem Typhus- bakterienausscheider Neuinfektionen ausgehen, so sollte man es auch als Auf- gabe dieses Gesundheitsdienstes ansehen, die Infektionsquellenforschung in den Dienst der Tuberkulosebek/impfung zu stellen.

Typhus und Tuberkulose haben bei aller Versehiedenheit ihrer Epidemiologie eines gemeinsam: :Die Infektionsquellen werden vorwiegend yon Personen ge- bfldet, die langfristige Ausscheider sind, also nicht ffir die ganze Dauer ihrer Aus- seheidung so isoliert werden kSnnen wie ein an einer akuten Infektion erkrankter Mensch. Aber wir sind bei der Tuberkulosebek/~mpfung im Vortefl, well hier der Ausseheider zugleieh behandlungsbedfirftig ist. Unter dem Gesichtspunkt, dab jede isolierte Quelle ein Gewinn ffir die Seuehenverhfitung ist, wird der Hygieniker alle Mal3nahmen begriiBen, die darauf abzielen, die Bettenzahl der Tuberkulose- anstalten der Zahl der Infektionsquellen anzupassen und die weiteren materiellen

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Voraussetzungen zu sehaffen, um die Krankenhausisolierung so lange zu ermSg. lichen, wie sic klinisch indizier~ ist.

Es wird auch bei entspreehenden Anstrengungen damit zu rechnen sein, dab in absehbarer Zeit mindestens die H/ikfte der Infek~ionsquel]en nich~ isoliert ist. Es ist selbs~versti~ndlich, dab ffir diese auch der epidemiologisch denkende Hygieniker das Wohnungsproblem in den Vordergrund stellt und sich der soziM- hygienisehen Kritik ansctflieBt, dab der derzeitige Zustand, dab ein Drittel aller tuberkulSsen Personen nicht fiber ein eigenes Zimmer verffigt, nicht tragbar ist.

Andererseits diirfen wir aus der Typhusbek/impfung die Erfahrung fiber- nehmen, dab eine Infektionsquelle schon dann einen Tell ihrer Gefi~hrlichkei~ verliert, wenn sic iiberhaupt erkann~ worden ist, auch ohne dab einschneidende MaBnahmen getroffen werden. ]3ei der Mehrzahl der Betroffenen kSnnen wir doch Gutwilligkeit und Mitarbei$, e$wa in bezug auI Hustendisziplin, erwarten; und andererseits is~ es wohl so, dab wir die Bedenklichkeit oder gar BSswillig- keit der Mitmenschen, die wir menschlich und sozial bedauern und die etwa in der Sehwierigkeit der Arbeitsvermitthmg fiir Lungenkranke zum Ausdruek kommt, vom seuchenhygienischen Standpunkt aus als positiv werten mfissen.

Wenn wit damit die Infektionsquellenerfassung als Kernstfick auch der Tuber- kulosebeki/mpfung ansehen, so mfissen wit uns dagegen ~venden, dab die R6ntgen- Reihenuntersuehungen mit dem Argument angegriffen werden, dab mit dem gleichen Recht, mit dem heute gesetzlich geregelte systematische Untersuchungen anf Tuberkulose gefordert werden, sp/~ter entsprechende MaBnahmen gegen bSs- artige Geschwiilste, Kreislaufseh/iden, Magengeschwfire usw. verlangt werden k6nnten, bis sioh die BehSrden der gesamten ~Iedizin bem/ichtigt h/itten, dab dies aber nicht mit der l~reiheit der Pers6nlichkeit zu vereinbaren w//re. Die Schirmbilduntersuchung auf Tuberkulose ist eine seuchenhygienische l~fal3nahme, die die Erfassung sowohl der bereits flieBenden Infektionsquellen wie der sich in der Pr~/patentperiode befindlichen potentiellen Quellen bezweckt, sic ist da- neben eine sozialhygienische l~aBnahme, die es dem Erkrankten ermiSglicht, rechtzeitig i~rztliche Behandlung zu linden.

Man sollte aueh nicht mit dem Argument kommen, der Erfolg sei im Ver- h/~ltnis zum Aufwand zu gering, wenn durch Tausende yon Untersuchungen nut wenige Behandlungsbed/irftige und noch weniger Infekti6se gefunden werden.

Ein ~utzeffekt kann nur berechnet werden aus dem verhfiteten Schaden, und dieser liegt nicht nur in dem Schaden f/ir den einzelnen und in der Belastung der Allgemeinheit dutch die zu sp//t erkannte und damit prognostisch ungfinstige langwierige Erka'ankung, sondern in der nieht abzusch/~zenden Zahl der mSg- lichen I~euinfektionen. W~re die HShe des Prozentsatzes der au~gedeckten Infek~ionsquellen allein entscheidend, dann w/~re der Nutzeffekt der Reihen- untersuchungen auf Typhusbak~erienausscheider wesen~lich geringer, ganz zu schweigen yon dem Nutzeffekt etwa der Trichinenschau!

Infektionsquellenforschung kann getrieben werden als generelle Reihenunter- suchung der GesamtbevSlkerung und als gezielte Reihenuntersuchung, wenn wir als geziel~ ]etzt nicht die Untersuchungen bezeichnen, die einen besonders gef/ihrde~en Personenkreis effassen, wie e~wa das Krankenpflegepersonal, sondern einen besonders gefiihrdenden, wie etwa die Lehrerschaft. Die Erfolgsaussiehten beider MSglichkeiten werden abzuw/igen sein. Je nach der epidemiologisehen

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Situation wird die Bedeutung versehieden sein kSnnen. Zur Zeit brauchen wit sicher beide, aber es wgre nfitzlich, wenn die Ergebnisse der generellen Reihen- untersuehungen dahingehend ausgewertet wfirden, ob sich BevSlkerungsgruppen besonderer Gefghrliehkeit heraussehglen lassen, wobei nieht nur an bestimmte Berufsgruppen, sondern auch an Altersklassen zu denken ist.

Infektionsquellenforsehung kann weiterhin ausgehen yon Neuerkrankungen. Das komplizierte pathogenetisehe Gesehehen der Erwaehsenentuberkulose mit seiner langen Prgpatentperiode macht eine entsprechende Suche sehwierig, oft unmSglich.

Unbedingt sollte aber die Tuberkulose der S~uglinge und Kleinkinder in jedem Einzelfall Anla~ zu dem Versuch sein, mit Hilfe yon Umgebungsuntersuchungen die Infektkette rfieklgufig zu verfolgen. Dieses Alter lebt in einem verh~ltnis- m ~ i g gesehlossenen Milieu; die Zahl der Kontaktm6gl~chkeiten ist gering; die Infektionsquelle muB sieh oft in erreichbarer und aufspfirbarer N~he befinden. Vielleicht w~re denkbar, aueh die Ergebnisse der Reihenuntersuehungen dahin- gehend auszuwerten, ob sieh unter den neuentdeckten Ansteckungsquellen solehe befinden, die bereits weitere Infektionen bei Kindern gesetzt haben, und zu fragen, ob "sie nicht bei einer intensiver betriebenen Umgebungsuntersuchung frfiher hgtten gefunden werden kSnnen. Die Sguglingstuberkulose als zungchst blindes Endglied in der Infektkette ist einer der wichtigsten Indieatoren in der Tuber- kulosestatistik, aber aueh einer der wichtigsten Angelpunkte ffir die Seuchen- bek~mpfung.

Bei quantitativer Betraehtung des Infektionsquellenproblems ist noch auf die Massierung der Ausseheider in den Tuberkulose-Krankenanstalten mit der ent- spreehenden Gefghrdung des Personals hinzuweisen; dieser speziellen Fragestel- lung sind heute gesonderte Vortr~ge yon I-[errn UNKOLTZ und Herrn J~sv , N gewidmet. Mir seheint fiberhaupt die derzeitige epidemiologische Situation sieh in der Thematik des heutigen Programms dahingehend w~derszuspiegeln, da~ das einst unentwhTbare Netz der Tuberkuloseinfektketten mit den sich fiberschnei- denden Kausalit~ten sieh aufzulSsen beginnt in ein lokalisierbares Einzelge- schehen. Ich darf reich deshalb bei meinen Betrachtungen auf eine weitere Be- merkung bescin'~nken, die sich auf die Erfolge der modernen Therapie bezieht und davon ausgeht, dab mit der Verlgngerung der Lebensdauer der Erkrankten auch eine Verl~ngerung der Ausscheidungsperiode verbunden sein kann.

Wir kSnnen zun~chst beruhigend feststellen, dab der Bestand an offener Lungentuberkulose yon 29,0 auf 10000 im Jahr 1952 auf 23,8 im Jahr 1955 zurfiek- gegangen ist. Wir dfirfen aber weiter betonen, dal] DOMAGK bei der Einffihrung der Chemotherapie d~r~uf hingewiesen hat, dab diese die hygienischen MaB- nahmen nicht fibeI=flfissig maeht und dab ervor wenigen Tagen anlgBlich der Verleihung des Paul-Ehrlich-Preises sich dahingehend ~uBerte, dab man sich nicht dazu verleiten lassen dfirfe, auf Grund des bei den INIT-resistent gewordenen Stgmmen experimentell naehgewiesenen Virulenzverlustes diese in der Seuchen- prophylaxe als harmlos anzusehen.

Auch bei der Besprechung der In/e~tionswege mSchte ieh mieh auf die humane Infektion beschr~nken, da wir yon Herrn WAGw~,~ grundss Ausffihrungen fiber die bovine Tuberkulose erwarten dfirfen. Unter Bezugnahme auf das ein-

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gangs Gesagte bedeutet dies in erster Linie Abwi~gung zwischen der Bedeutung yon TrSpfcheninfektion und Staubinfektion.

Die experimentell untermauerte Diskussion hat vor etwa 25 Jahren ihren AbschluB gefunden. B~VNO LANG]~ hatte die bis dahin vorherrschende Lehre der Sehule FL/3GGES Yon der fiberragenden Bedeutung der TrSpfeheninfektion korrigieren kSnnen, indem er Flugfi~higkeit und Eignung zum Eindringen in die A]veolen yon TrSpfchen einerseits, Stiiubchen andererseits priifte und die Be- deutung der Infektion mit kleinsten Bakterienmengen herausarbeitete. Er konnte abschlieBend feststellen, dab der Staubinfektion unter den verschiedenen l]bertragungswegen der menschlichen Tuberkulose eine fiberragende Bedeutung zugeschrieben werden muB.

Wenn wir wiederum davon ausgehen, daB bei sieh i~ndernder epidemiologischer Situation alle Konsequenzen, die sieh aus den experimenteU feststellbaren Tat- sachen ergeben, auf ihre aktuelle Bedeutung ffir die Seuehenverbreitung neu zu fiberpriifen sind, so wKre etwa daran zu denken, dab eine Almrkennung der S~aub- infektion uns heute zwingt, die Bedeutung der offenen Tuberkulose anderer Organe, etwa der Urogenitaltuberkulose, als Infektionsquelle zu wiirdigen. Bei der Lungentuberkulose mfil3ten wir aber priifen, ob denn fiberhaupt eine Gegen- iiberstellung yon TrSpfchen- und yon Staubinfektion epidemiologiseh sinnvoll ist, wenn doch vom pathogenetischen Standpunkt aus beide als aerogene Infektionen anzusehen sind.

Suchen wir ein Beispiel aus der vergleichenden Epidemiologie: Masern und Pocken sind in ihrer inneren Infektket te weitgehend identiseh. Sie sind gekenn- zeichnet durch allgemeine Empffinglichkeit, Zurfickbleiben einer lebensliinglichen Immunit~it und hSehste Kontagiosit~$ auf aerogenem Weg. Ohne Sehutzimpfung wi~ren die Poeken aueh bei uns eine Kinderkrankheit. - - Ein epidemiologiseher Untersehied besteht abet yore Erreger her dahin, dab der Pockenerreger in der AuBenwelt im angetrockneten Zustand lebensfKhig bleibt. Die Pocken kSnnen nicht nur durch TrSpfeheninfektion zur Ansteckung der n~heren Umgebung fiihren, sondern e~wa dureh Kleidungsstiieke yon Kontinent zu Kont inent ver- schleppt werden. - - Ziehen wir im Gedankenexperiment eine Konsequenz fiir die Seuchenverhfitung: Wenn die Menschheit es einmal so weir bringt, dal3 sie fiber eine Weltgesundheitsorganisation mit wirksamer Exekutive verfiigt, so wi~ren die Masern mit einem Schlage auszurotten:

Es brauchbe nur angeordnet zu werden, da[3 alle Ungemaserten fiir 3 Woehen - - jeder ffir sich - - isoliert wiirden. Diejenigen unter ihnen, die sieh im Beginn der Absonderungszeit in der Inkubationszeit bef~nden, wiirden in der Isolierung erkranken und das kurze infektiSse Stadium in der Isolierung durchmaehen. So ws schlagartig die Infektionsquellen ausgeschaltet; alle Infektket ten wi~ren f/Jr immer unterbroehen. - - Die g]eiehe MaBnahme wiirde bei den Pocken nicht zum Erfolg fiihren. In der Umgebung des Genesenen blieben Erreger in infek- tionstiichtiger Form zuriick. Noch naeh langer Zeit und auf weite Entfernung kSnnten sie neue Infektket ten starten. Die Isolierung mfil3te demgemii[3 dureh rigorose Desinfektionsmai3nahmen erg~nzt werden.

Bei der Staubinfektion ist also die ~bertragungsgefahr riiumlich und zeitlich nieht so eng an die Infektionsquelle gebunden wie bei der TrSpfcheninfektion.

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i 4 :KARL HEICKEN :

W~ire bei der Tuberkulose nur die letztere wesentlich, so bestfinde in den Kranken- h/iusern eine Infektionsgefahr nut ffir das BflegepersonM, nieht fiir das etwa der W~ischereien. - - Je mehr wir davon fiberzeugt sind, dab die Staubinfektion eine Rolle spielt, desto bedeutungsvoller werden ferner Desinfektionsmal3nahmen ffir die Verhfitung yon Neuansteekungen. Ich begriiBe es, da[3 ffir diese ~rage ein eigenes Korrefera$ dutch I-Ierrn I~IOK~N vorgesehen ist.

Auf Ihrer 4. Tagung habe ich 1936 in einem Referat fiber ,,Desinfekbion bei Tuberkulose" darauf hingewiesen, dab sich bei einer Seuohe, bei der mehrere Infektionswege gangbar sind, mit dem Wechsel des Seuchengeschehens die relative tt/s der einzelnen Wege/ tndern wird, und gesagt: WeIm wir die Tuber- kuloseverbreitung vor allem durch Erziehung zu hygienisehem Verhalten be- k/s so werden wir ehlen ersten Erfolg erzielen bei der Vermeidung der Schmier- und Sehmutzinfektion. Und wenn wir weiterhin einmal Verst/inch]is ffir Spuek- und Hustendisziplin der Gesamtbev6lkerung beigebracht haben, dann haben wir die Gefahr der TrSpfcheninfektion entsprechend eingeengt. Am schwierigsten wird - - auch dureh gesetzliche Regelung - - immer die Staub- infektion zu bek/~mpfen sein; gegen sie wird sich eine sp/~tere Generation von ~ygienikern und Tuberkulose/~rzten in erster Linie einzusetzen haben.

Ich glaube, dieser Zeitpunkb ist nun doch sehon in der Generation erreicht, der ieh angeh6re; und ich bin Ihnen dankbar, dab ieh heute meinen I r r tum be- riehtigen durfte.

KARL ttEICKEN-Berlin: Desinfekt ionsmaflnahmen im Rahmen der Tuberkulosever- hi i tung

Die Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, die im Grunde nach denselben Gesichtspunkten zu bek/impfen ist wie jede andere Infektionskrankheit, n~mlich durch m6glichste Verminderung der Ansteckungsgefahr. Die bei anderen Infek- tionskrankheiten bew/~hrten MaBnahmen k5nnen jedoch nicht sehematisch an{ Tuberkulose fibertragen werden, weft bei Tuberknlose in einigen praktisch wich. tigen Punkten grunds~tzlich andere epidemiologische Verhi~Itnisse vorliegen. Eine Eigentiimlichkeit der Tuberkulose ist ihr chronischer Verlauf, welcher der Durch- [fihrung auch noeh so begrfindeter Vorbeugungsmal]nahmen Grenzen setzt und stets zum Abw/igen ver~nlassen sollte, ob der dutch eine Mai3nahme erzielbare hygienisehe •utzen im Verhiiltnis zur St5rung des Patienten und zum gemachten Aufwand steht. Eine Besonderheit der Tuberkulose ist ferner das spezifische Ver- halten ihers Erregers gegeniiber baetericid wirkenden Stoffen, das in gewissen F/illen zur Wahl besonderer Desinfektionsmittel und Verfahren zwingt.

Das Ziel prophylaktischer MaBnahmen zur Tuberkuloseverhfitung hat ROBERT KOCH vor nunmehr 75 Jahren in seiner beriihmt gewordenen Arbeit fiber: Die -~tiologie der Tuberkulose umrissen. RO]3E~T KOC~ sehreibt: ,,Dieselben mfissen tefls darauf gerichtet sein, die Tuberkelbaeillen dureh passende Desinfektionsver- fahren direkt zu vernichten, tells mfissen sie dahin streben, den Gesunden vor der Beriihrung mit Tuberkelbacillen in allen den Verhiiltnissen zu bewahren, in denen eine zuverl/issige Vernichtung der Parasiten nicht zu ermSgliehen ist." In diesem Satz ist klar ausgesprochen, d~13 die DesinfektionsmaBnahmen bei Tuberkulose nur unvollkommen sein kSnnen nnd dab zu ihrer Verhfitung aueh noeh die Be- aehtung allgemeiner hygienischer Regeln notwendig ist.