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Vandenhoeck & Ruprecht Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.) Quellen zur Geschichte des Partherreiches Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren Band 1

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Vandenhoeck & Ruprecht

Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Quellen zur Geschichte des PartherreichesTextsammlung mitÜbersetzungen und Kommentaren

Band 1

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Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber, Quellen zur Geschichte des Partherreiches

ISBN Print: 978-3-525-53386-4© 2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments

In Verbindung mit der Stiftung „Bibel und Orient“ der Universität Fribourg/Schweiz

herausgegeben von Max Küchler (Fribourg), Peter Lampe, Gerd Theißen (Heidelberg) und Jürgen Zangenberg (Leiden)

Band 83

Vandenhoeck & Ruprecht

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Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Quellen zur Geschichte

des Partherreiches

Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren

Band 1 Prolegomena, Abkürzungen, Bibliographie,

Einleitung, Indices, Karten, Tafeln

Beiträge von Ursula Hackl, Bruno Jacobs, Dieter Weber

Vandenhoeck & Ruprecht

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AutorInnen des Gesamtwerks: Barbara Böck, Uta Golze, Ursula Hackl, Bruno Jacobs, Daniel Keller, Gudrun Schubert,

Kerstin Storm, Lukas Thommen, Giusto Traina, Dieter Weber und Markus Zehnder

Mit 77 Abbildungen und 5 Karten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-53386-4

© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A.

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entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.

Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen.

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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1 Dieser Drei-Armeen- resp. Drei-Könige-Topos Ÿndet sich auch im Schwarzmeerbereich: Sotreten Dareios bei seinem Skythen-Feldzug 513/12 v. Chr. die Heere dreier skythischer Reicheunter ihren Königen Skopasis, Taxakis und Idanthyrsos entgegen, verstärkt durch Sauromaten,Budiner und Geloner (Hdt. 4, 120).

2 DNa 25f. 28f. (R. Schmitt, The Old Persian Inscriptions of Naqsh-i Rustam and Persepolis, CIII, I, II, London 2000, 25–32); DSe (hier ist die Länderliste nur in der akkadischen Versionweitgehend erhalten; P. Stève, Inscriptions des Achéménides à Suse, StIr 2, 1974, 13. 24); XPh26f. (Schmitt a. O. 88–95). Bei einer stattlichen Anzahl von Wissenschaftlern Ÿnden sichZweifel an der IdentiŸzierung der Sak¡ tayay paradraya mit den Dah¡, so bei C. F. Lehmann-Haupt, RE II A (1923) 95 s. v. Satrap und Satrapie; G. G. Cameron, Darius, Egypt and the‘Land beyond the SeaÒ, JNES 2, 1943, 309; G. Walser, Die Völkerschaften auf den Reliefs vonPersepolis, Historische Studien über den sogenannten Tributzug an der Apadanatreppe,Teheraner Forschungen 2, Berlin 1966, 35; Altheim/Stiehl 1970, 129f.; E.F. Schmidt, PersepolisIII — The Royal Tombs and Other Monuments, University of Chicago, Oriental InstitutePublications 68, Chicago 1970, 111Ù.; R. Schmitt, Die achaimenidische Satrapie tayaiydrayahya, Historia 21, 1972, 526; W. Hinz, Darius und die Perser, Eine Kulturgeschichte derAchämeniden I, Baden-Baden 1976, 206; Th. Petit, La réforme impériale et l’expéditioneuropéenne de Darius Ier — Essai de datation, L’Antiquité Classique 53, 1984, 44; J. M. Cook,The Rise of the Achaemenids and the Establishment of their Empire, in: I. Gershevitch (ed.),The Median and Achaemenian Periods, CHI II, Cambridge 1985, 254; Vogelsang 1992, 106 undpass.; H. Klinkott, Yauna — Die Griechen aus persischer Sicht? In: H. Klinkott (ed.),Anatolien im Lichte kultureller Wechselwirkungen. Akkulturationsphänomene in Kleinasien undseinen Nachbarregionen während des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr., Tübingen 2001, 120f. u.a.;anders Nagel 1983, 169Ù., bes. 170f.; Jacobs 1994a, 257–260. Diese Kontroverse ist jedoch nicht

I. Einleitung

I.1. Geschichte und Geographie des späteren parthischen Herrschafts-raums bis zur Mitte des 3. Jhs. v. Chr.

I.1.1. Historische Geographie des Steppenraums zur Achämenidenzeit(Bruno Jacobs)

Ein mehrfach wiederkehrender Topos in den Berichten über die Nomadenvölkerim transkaspischen Raum zur Achämenidenzeit ist ihre Dreiteilung. Schon beiHerodot ist Kyros der Große während seines Feldzuges gegen die Massagetenzunächst mit einem Drittel ihrer Macht konfrontiert (Hdt. 1,211). Laut Polyaen.,Strat. 7, 11, 6 gewinnt Dareios in drei Gängen gegen jeweils ein Drittel derGesamtheit der Saken. Auch ein historisch schwer einzuordnender Bericht desPolyaen. (Strat. 7, 11, 8 [= 8, 12]), bei dem das Heer des Dareios im Steppengebietin höchste Bedrängnis gerät, spricht von einer Dreiheit der Saken, repräsentiertdurch ihre Könige Sakesphares, Homarges und Thamyris.1

Drei Sakengruppen nennen auch die Achämenideninschriften seit DNa,nämlich die Sak¡ tigraxaud¡, die Sak¡ haumavarg¡ und die Sak¡ tayay paradraya/ Dah¡.2 Zuvor ist dagegen nur pauschal von Saka/¡ die Rede.3

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2 Bruno Jacobs

von entscheidender Bedeutung, da für die Zeit des Xerxes die angesprochene Dreiteilungjedenfalls gegeben ist.

3 DB I 16f. (Saka): R. Schmitt, The Bisitun Inscriptions of Darius the Great — Old Persian Text,CII I, I, I, London 1991, 27. 50; DPe 18 (Sak¡): R. Schmitt, The Old Persian Inscriptions ofNaqsh-i Rustam and Persepolis, CII I, I, II, London 2000, 60–62.

4 DB V 22f. Wissenschaftsgeschichtliche Überblicke über die Einordnung dieses Feldzuges gebenA.Sh. Shahbazi, Darius in Scythia and Scythians in Persepolis, AMI N.F. 15, 1982, 203Ù.;Nagel 1983, 169–172.

5 Schmitt a.a.O. (1991) 47f. 766 Schmitt a.a.O. (1991) 80 Pl. 34.7 F. H. Weissbach, Die fünfte Kolumne der großen B£sut¥n-Inschrift, ZfA 46, 1949, 72; H. J.

Schnitzler, Der Sakenfeldzug Dareios’ des Großen, in: R. Stiehl / G. A. Lehmann (eds.),Antike und Universalgeschichte. Festschrift Hans Erich Stier zum 70. Geburtstag am 25. Mai1972, Fontes et Commentationes, Suppl. I, Münster 1972, 57 Anm. 16.

8 Beispielsweise in DNa 25f.; XPh 26 etc.: Schmitt a.a.O. (2000) 25–32. 88–95.

Nun berichtet Dareios in der 5. Kolumne der B£sut¥n-Inschrift von einemErfolg gegen „Saken, die die spitze Mütze tragen“ (Sak¡ tayay xawd¡m tigr¡mbaranti ).4 Sie werden nach Überquerung eines Gewässers besiegt. Bei dieserGelegenheit wird ein weiterer Sakenstamm unterworfen, ihr Anführer in Fesselngelegt, abgesetzt und durch einen anderen Mann ersetzt (DB § 74).5 Innerhalbder in der B£sut¥n-Inschrift referierten Ereignisse handelt es sich dabei um einenSonderfall, denn im Gegensatz zu allen übrigen Gegnern, die Dareios in dieHände Ÿelen, wurde dieser Mann nicht hingerichtet. Im zugehörigen Reliefbildgenießt der letzte der ans Seil gebundenen Gegner des Dareios, kenntlichgemacht durch die Beischrift „Dies (ist) Skunxa, der Sake“ (DBk), eineentsprechende Ausnahmestellung: Er trägt als einziger eine Kopfbedeckung.6

All dies erklärt sich, wie längst erkannt wurde, dadurch, dass seine rechtlicheSituation eine besondere war: Er war ein besiegter Feind, aber kein Rebell.7 Erwurde abgesetzt, aber nicht hingerichtet, und vermutlich durch ein Familien-mitglied auf dem Thron ersetzt, was, wenn diese Vermutung zutriÙt, hieße, dasshier Autonomieregelungen griÙen, wie sie in den Sakengebieten während dergesamten Achämenidenzeit Geltung hatten.

Vom Anführer der Rebellen, gegen die sich der Feldzug eigentlich gerichtethatte, erfahren wir nichts; er Ÿel Dareios oÙenbar nicht in die Hände. Die„Saken, die die spitze Mütze tragen“, sind gewiss diejenigen, die in späterenInschriften als „spitzmützige Saken“, als Sak¡ tigraxaud¡, begegnen.8 Sie müsstenbereits von den Vorgängern des Dareios I. auf dem persischen Thron, von Kyrosd. Gr. oder seinem Sohn Kambyses, unterworfen worden sein. Eine Möglichkeit,ihre Gebiete zu lokalisieren, bieten die altpersischen Quellen allein nicht, wohlaber im Zusammenspiel mit der klassischen Überlieferung.

Zwei der drei bei Polyaen., Strat. 7,11,8 [= 8,12] genannten Herrscher, Sakesphares,Homarges und Thamyris, lassen sich mit Sakenstämmen in Verbindung bringen.

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3I.1.1. Historische Geographie des Steppenraums

9 Vgl. Vogelsang 1992, 130f.10 W. Brandenstein / M. Mayrhofer, Handbuch des Altpersischen, Wiesbaden 1964, 125; R.

Schmitt, Medisches und persisches Sprachgut bei Herodot, ZDMG 117, 1967, 123 Anm. 39.11 Nagel 1983, 171.12 Ähnlich Olbrycht 1998a, 38–40, dessen Rekonstruktion der geopolitischen Situation allerdings

im Kartenbild ihre Schwächen verrät (Olbrycht a.a.O. 339f. Karte 1–2), denn bei ihm sitzendie Massageten in Hyrkanien und, wo sich das Chorasmier-Gebiet erstreckt haben soll, istletztlich nicht auszumachen.

Der Name Homarges ist gewiss mit den Amyrgiern zu verbinden. Der NameThamyris dagegen erinnert an den der Massagetenkönigin Tomyris bei Herodot(Hdt. 1,205Ù.), gegen die Kyros d. Gr. gegen Ende seines Lebens zu Felde zog,dürfte also mit den Massageten zu verbinden sein.9

Darüber hinaus ist die Gleichung Sak¡ haumavarg¡ = Amyrgier etymologischüberzeugend,10 und ohne Schwierigkeit gelingt auch eine zweite IdentiŸzierung:Die Dah¡ der Inschrift XPh sind mit den D£ai identisch, die beispielsweiseStrab. 11,8,2 (C 511) erwähnt. So verbleibt für die spitzmützigen Saken nur dieGleichsetzung mit den Massageten.

Es ergeben sich also folgende Korrelationen:11

Altpersische Inschriften Griechische Quellen Polyaen. Strat. 7,11,8 (=7,12) Sak¡ tigraxaud¡ Massageten (Tomyris) ThamyrisSak¡ haumavarg¡ Amyrgier HomargesSak¡ paradraya / Dah¡ Daher Sakesphares

Die genauere Lokalisierung dieser Sakengruppen in Südkazachstan undWestturkestan ist komplizierter. Die Quellenangaben zur Lage der Weidegründeder großen Stämme der Steppennomaden sind nämlich alles andere als eindeutig.Wenn beispielsweise Herodot (1,204) angibt, dass die Massageten einen Großteiljener unermesslichen Ebene bewohnten, die sich östlich des Kaspischen Meeresausdehne, und Arrian (Anab. 3,28,2. 10) für die Zeit Alexanders des Großennotiert, dass die Daher diesseits des Tanais säßen, den er bevorzugt mit dem S£rDarj¡ gleichsetzt, dann könnte man geneigt sein, bis ins 4. Jh. v. Chr. eineLokalisierung der Massageten am Ostufer des Kaspischen Meeres, die der Daherim Bereich der Kyzylkum-Wüste zwischen m¥ und S£r Darj¡ anzunehmen.12 Zudieser Lokalisierung scheint auf den ersten Blick auch die Nachricht des Ktesias(bei Photius F 9 § 7f. [Lenfant]), dass Kyros der Große bei seinem Massageten-Feldzug auf Derbiker-Gebiet gefallen sei, gut zu passen. Die Derbiker waren lautStrabon (11,8,8 [C 514]) Nachbarn der Hyrkanier. Der Kampf hätte demnach alsowohl nördlich des Uzboj stattgefunden, in einer Region, in die schon dieHerodot-Stelle den Lebensraum der Massageten zu verweisen schien.

Andererseits erhalten wir bei Arrian (Anab. 4,17,4) die Nachricht, dass esSpitamenes, dem letzten bedeutenden Gegner Alexanders d. Gr. im Nordosten

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4 Bruno Jacobs

13 Vgl. Hdt. 1,206–208.14 Vgl. hierzu II.1.1. Anm. 8.15 Hdt. 1,205f.16 Zur Bedeutung des Oxos noch im Mittelalter siehe Vogelsang 1992, 63f.17 Hdt. 1,202.18 Olbrycht 1998a, 39; vgl. Wolski 1974, 192 mit Anm. 119.

des untergehenden Achämenidenreichs, gelang, an der sogdischen Grenze 3000Massageten für Kriegsdienste gegen Alexander anzuwerben. Auf eine Loka-lisierung der Massageten deutlich weiter im Osten weist auch der alexander-zeitliche Bericht des Eratosthenes, den Strabon in allerdings nicht leichtverständlicher Form wiedergibt (Strab. 11,8,8 [C 513]). Demnach lagen dieGebiete Arachosiens, das hier sicher irrtümlich genannt ist, und der Massagetenim Westen Baktriens am Oxos. Aus den zitierten Stellen ergibt sich, dass dasMassagetengebiet eine gemeinsame Grenze mit Sogdien hatte und zwischen Oxos/ m¥ Darj¡ und Jaxartes / S£r Darj¡ zu lokalisieren ist. Nun ist Herodots Berichtüber die unermessliche Ebene östlich des Kaspischen Meeres, die zu einemgroßen Teil von Massageten bewohnt werde, zum einen nicht zwingend so zuverstehen, dass die Massageten Anrainer dieses Meeres gewesen seien. Zumzweiten wären im Falle, dass die Massageten am Kaspischen Meer zu lokalisierenwären, die Verhandlungen zwischen Kyros und Tomyris,13 ob die Schlachtdiesseits oder jenseits des Araxes geschlagen werden solle, darum gegangen, ob dasTreÙen nördlich oder südlich des Uzboj stattŸnden sollte, was auf Grund derschon für damalige Zeit zu vermutenden geringen Stärke dieses Flusses strategischunerheblich erscheint.14 Und zum Übersetzen über diesen Fluss hätte man wohlkaum SchiÙsbrücken und Türme15 benötigt. Eine schwer überwindbare Barrierewar dagegen der Oxos / m¥ Darj¡,16 was gleichfalls dafür spräche, die Massa-geten in Transoxanien zu lokalisieren. In der Tat kann Herodot mit seiner Be-schreibung des Araxes, dessen 40 Arme mit Ausnahme eines einzigen, der insKaspische Meer ieße, in ein Sumpfgebiet mündeten,17 nur den m¥ Darj¡meinen.

Das insgesamt geringe Maß an Klarheit in den Quellen verrät sich u. a. darin,dass bei Arrian (Anab. 4,17,1. 7) die Massageten, bei Curtius Rufus (8,3,1. 16) dieDaher als diejenigen Verbündeten des Spitamenes genannt sind, die als letzte ihrBündnis mit ihm aufkündigten. Man muss also damit rechnen, dass die antikenAutoren nicht nur geographischen Irrtümern aufgesessen sind, sondern u. U.auch die verschiedenen Nomadenvölker miteinander verwechselten. Eine Ent-scheidung, wo die einzelnen Nomadengruppen einst saßen, kann aber vielleichtvon allgemeineren Überlegungen ausgehen.

Die Lokalisierung der Daher im Bereich der Kyzylkum-Wüste, wie siebeispielsweise Olbrycht vornimmt,18 basiert auf Angaben, bei denen dieTendenz vorherrscht, die transkaspische und die nordpontische Region

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5I.1.1. Historische Geographie des Steppenraums

19 Zu den dahinterstehenden Tendenzen vgl. Strab. 11,7,4 (C 509).20 So Olbrycht 1998, 43–47.21 Jacobs 1994a, Karten VI und VII.

zusammenzuziehen, etwa wenn Arrian (Anab. 3,28,8. 10) die Daher mit demTanais (eigentl. der Don) in Verbindung bringt und Strabon (11,9,3 [C 515]) sieam Maiotissee (eigentl. das Asowsche Meer) lokalisiert.19 Dies macht jeneAngaben zu Zeugnissen zweiten Ranges.

Wären aber die Massageten tatsächlich bis ins 4. Jh. v. Chr. hinein un-mittelbar östlich des Kaspischen Meeres ansässig gewesen und die Daherzwischen m¥- und S£r Darj¡, wäre für die Folgezeit eine Westwanderung derDaher zu fordern,20 denn die Ausgangsgebiete der dahischen Parner lagen im 3.Jh. v. Chr. am Ostufer des Kaspischen Meeres (Strab. 11,7,1 [C 508]). Eine der-artige Wanderungsbewegung aber hätte zwangsläuŸg eine Völkerverschiebungausgelöst, die die klassische Überlieferung kaum mit Schweigen übergangenhätte, hätten sich doch große Gruppen von Massageten auf dem Rückzug vor deneinwandernden Dahern nach Süden bewegen und in Hyrkanien, Parthien oderChorasmien auftauchen müssen.

Da über derartige Völkerverschiebungen keine Nachricht auf uns gekommenist und innerhalb der widersprüchlichen Überlieferung auch ein gewissesÜbergewicht für eine Lokalisierung der Massageten im Bereich der Kyzylkum-Wüste spricht, liegt es nahe, die Daher von vornherein da zu suchen, wo man siein hellenistischer Zeit schließlich Ÿndet, nämlich am Ostufer des KaspischenMeeres. Mit den problematischen Angaben bei Arrian und Strabon (Arr. Anab.3,28,8. 10; Strab. 11,9,3 [C 515]) ist diese Lokalisierung im übrigen kaum wenigergut zu vereinbaren als die von Olbrycht vorgeschlagene. Und auch die Notizenbei Curtius Rufus (8,1,8) und Orosius (3,18,11), aus denen recht deutlichhervorgeht, dass die Chorasmier Nachbarn der Daher und Massageten waren,passen in dieses Bild.21

Die von Strab. 11,8,2 (C 511) gegebene Beschreibung, dass die Daher amOstufer des Kaspischen Meeres säßen, weiter östlich die Massageten und Saken,ist vermutlich eine Beschreibung der Situation im 3. Jh. v. Chr. Gegenüber dervon Olbrycht vorgetragenen Rekonstruktion hätte sich nunmehr geradezu einPlatztausch zwischen Dahern und Massageten vollzogen. Auch unter diesemAspekt ist die plausibelste Lösung die, dass die geopolitische Situation des 3. Jh.gegenüber der der Achämenidenzeit im wesentlichen unverändert war. Demnachsaßen die Daher nördlich des Uzboj zwischen Kaspischem Meer und Aralsee, dieMassageten im transoxanischen Gebiet zwischen Aralsee und sogdischer Grenze.

Das Siedlungsgebiet der dritten Sakengruppe, der Amyrgier, muss jenesgewesen sein, das Alexander der Große von der auf sogdischem Gebiet liegendenStadt Alexandria Eschate aus bedrohte und dessen Bewohner er durch

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6 Bruno Jacobs

22 So schon Nagel 1982, 63; Nagel 1983, 171.23 DH: P. Lecoq, Les inscriptions de la Perse achéménide, traduit du vieux perse, de l’élamite, du

babylonien et de l’araméen, Paris 1997, 218f.; DPh: Schmitt a.a.O. (2000) 63f.24 Ktesias bei Phot. F 9 § 7f. (Lenfant 112f.); Berossus bei Eusebius, Armen. Chronik F 11 (J.

Karst, Die Chronik aus dem Armenischen übersetzt mit textkritischem Commentar, EusebiusWerke V, Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte XX, Leipzig1911, 15; G. P. Verbrugghe / J. M. Wickersham, Berossos and Manetho. Native Traditions inAncient Mesopotamia and Egypt, Ann Arbor 1996, 61 F 11).

25 Vgl. Jacobs 2000, 95.26 Nagel a.a.O. (1982) 63–67.27 Auch Hdt. 1, 125 nennt Derbiker (Dropiko…) und Daher in einem Zug.

Präventivschläge auf Distanz zu halten versuchte (Curt. 7,9,1Ù.). Es lag alsoöstlich des Jaxartes (S£r Darj¡), wobei die Landschaft Fargh¡na das Zentrumgebildet haben dürfte.22 Seine Bewohner begegnen in den Inschriften DH undDPh als „Saken jenseits von Sogdien“.23 In jenem Gebiet lokalisiert Eratosthenesdie „Sakai“ (Strab. 11,8,8 [C 514]; vgl. Curt. 6,3,9). Das Gebiet dürfte von Kyrosauf einem seiner frühen Feldzüge nach Osten gewonnen worden sein.

Wie aber lassen sich die vorgenommenen Lokalisierungen mit der obenerwähnten Nachricht des Ktesias, dass Kyros im Derbiker-Gebiet den Tod fand,und mit der Behauptung des Berossos, dass er in Daas Ÿel, vereinbaren?24

Die historischen Abläufe dürften die folgenden gewesen sein: Als Kyros gegendie Massageten zog, verfolgten die Gegner vermutlich bereits jene Rückzugs-taktik, die in späteren Auseinandersetzungen immer wieder zu beobachten ist,25

und zogen sich um den Aral-See herum nach Daas, auf Derbiker-Territorium,zurück. Ihr Heimatgebiet mag dem persischen König mehr oder wenigerwiderstandslos in die Hände gefallen sein, so dass es fortan als Teil des persischenReiches betrachtet wurde. Als Kyros den Massageten jedoch folgte, fand er ineiner Schlacht westlich des Aral-Sees den Tod. So hat schon W. Nagel denhistorischen Ablauf rekonstruiert.26 Auch seine Erklärung dafür, dass, Ktesiaszufolge, an jener Schlacht Inder mit Elefanten teilnahmen, dürfte zutreÙen:Ktesias verwechselt hier die in Daas lebenden Derbiker (Strab. 11,8,8 [C 514]; Ptol.Geog. 6,10,2–3; Steph. Byz. s.v. Delb…kkai)27 mit den sogdischen Dyrbäern(Ptol., Geog. 6, 12, 4: Drub£ktai; Steph. Byz. s. v. Durba‹oi).

Dareios’ spätere Aktivitäten in jener Region waren dadurch bedingt, dass dieMassageten den Herrschaftswechsel von Gaum¡ta auf Dareios dazu genutzthatten, sich selbständig zu machen. Dareios’ Feldzug im Jahr 519 ging deshalbvermutlich gleichfalls zwischen Oxos und Iaxartes in die erste Phase. Wiederumzogen sich nach Dareios’ eigener Schilderung die Gegner um ein Gewässer —wohl abermals den Aralsee — herum zurück. Hierauf war der König jedochvorbereitet und überquerte es auf Einbäumen (DBi § 74). Zwischen Aralsee undKaspischem Meer stellte er den Gegner, und diesmal trugen die Perser den Siegdavon. Von nun an gehörten die Daher gleichfalls zum Reich; ihr Name taucht

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7I.1.2. Die hellenistische Zeit

28 XPh 26: Schmitt a.a.O. (2000) 88–95.29 Vgl. oben Anm. 2.30 Diese „Erste griechische Kolonisation“ spiegelt sich neben den archäologischen Zeugnissen

auch in den hethitischen Quellen, wo „Millawanda“ für Milet und „Ahhijawa“ für ein nichtnäher deŸnierbares „Achäerreich“ zu stehen scheint, siehe zuletzt F. Starke, Troia imMachtgefüge des 2. Jahrtausends v. Chr. Die Geschichte des Landes Wilusa. In: Begleitbandzur Ausstellung „Troia, Traum und Wirklichkeit“, Stuttgart 2001, 34–45; zur Frühzeit desHellenismus siehe auch U. Hackl, Alexander der Große und der Beginn des HellenistischenZeitalters, in: W. Will (ed.), Festschrift für G. Wirth, II, Amsterdam 1988, 697–705.

unter Xerxes auch in einer Länderliste auf,28 während die Listen unter Dareios sieals „Saken jenseits des Meeres“ bezeichnen.29 Gemeint ist mit draya- dasKaspische Meer, jenseits dessen sie, von der Persis aus gesehen, nomadisierten.

I.1.2. Die hellenistische Zeit (Ursula Hackl)

Der Aufstieg Makedoniens zur Großmacht unter König Philipp II. (359–336 v.Chr.) und seinem Sohn Alexander d. Gr. (336–323 v. Chr.) leitete einen neuenAbschnitt nicht nur der griechischen, sondern auch der Weltgeschichte ein.Einerseits ging die politische Freiheit der Griechen durch ihre Niederlage gegenPhilipp bei Chaironeia 338 v. Chr. verloren. Andererseits begann nur ein Jahr-zehnt später als Folge der Eroberung des Perserreiches durch Alexander dieAusbreitung der griechischen Kultur im gesamten Vorderen Orient, durch diedas Hellenistische Zeitalter eingeleitet wurde.

Hellenismus heißt, dass sich Ost und West, Orient und Abendland, kulturellgegenseitig befruchtet haben, und zwar schon Jahrhunderte vor Alexander, wobeidie alten orientalischen Hochkulturen dem Westen zunächst überlegen waren.Bereits während der mykenischen Zeit entstanden lebhafte Handels- undKulturbeziehungen, die z.B. durch die archäologischen Zeugnisse der syrischenHafenstädte Ugarit und Byblos belegt sind. Griechische Siedlungen außerhalbdes griechischen Mutterlandes auf der Balkanhalbinsel gab es im 2. Jahrtausendv. Chr. im Ostmittelmeerraum allerdings nur auf den Inseln und möglicherweisein Milet.30

Erst nach den umfangreichen territorialen Umbrüchen an der Wende vom 2.zum 1. Jahrtausend besiedelten die Griechen im Verlauf der großen griechischenKolonisation (750–550 v. Chr.) auch das westliche Kleinasien und die Schwarz-meerküste, was zu einer Intensivierung der Ost-West-Beziehungen führte. Indieser Zeit entwickelten die Griechen eigene geistige Traditionen, die sie von denNachbarn im Osten abhoben. Sie begründeten nicht nur die abendländischePhilosophie, sondern schufen auch die Idee der Polis — eines Zusammenschlussesfreier Bürger zu einem souveränen Stadtstaat, von denen jeder Einzelne mit per-sönlichen Rechten und P ichten ausgestattet war. Einen solchen auf dem Bürgerals Individuum beruhenden StaatsbegriÙ gab es in den kollektiv verfassten

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orientalischen Gemeinwesen nicht — allenfalls in den phönikischen Städten sindeinige Ansätze hierfür erkennbar.

Infolgedessen entstand bei den Griechen bis zur Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. allmählich ein Überlegenheitsgefühl über die „Barbaren, die Asien be-wohnen“, von denen sie in den Jahrhunderten zuvor insbesondere auf demtechnisch-naturwissenschaftlichen Gebiet so viel gelernt hatten. Dieses Gefühlschloss nicht nur den Stolz auf die griechische Nationalsprache ein, in der dieneuen politischen und geisteswissenschaftlichen Ansprüche formuliert wordenwaren, sondern führte auch erstmals zu der heute noch gültigen geographischenund ideologischen Abgrenzung „Europas“ von Asien.

Diese Entwicklung wurde gefördert durch die Gründung des persischenGroßreiches durch Kyros d. Gr. 539 v. Chr. (siehe I.1.1.). Das neue Imperiumreichte vom Indus im Osten bis zum Mittelmeer im Westen und schloss damitdie freien griechischen Städte in Kleinasien, die nach dem Polisprinzip verfasstwaren, mit ein. Es kam zu Kon ikten dieser Städte mit der persischen Reichs-führung, schließlich zu Kon ikten eines großen Teiles von ganz Griechenlandmit Persien, die in den Perserkriegen (500–479 v. Chr.) eskalierten. Diespektakulären Siege der Griechen bei Marathon und Salamis befreiten diekleinasiatischen Griechenstädte von der persischen Okkupation und hielten diePerser dauerhaft von Europa fern. Schließlich kam im 4. Jh. v. Chr. schon derGedanke einer griechischen Invasion nach Persien auf — sie wurde nur durch dietiefe Zerstrittenheit der griechischen Einzelstaaten verhindert.

Um diese Zerstrittenheit zu überwinden, wurde eine politische Einigung allerGriechen (Panhellenismus) und ein allgemeiner Landfriede (koin¾ e„r»nh)propagiert. Diese beiden Schlagworte machte sich Philipp II. von Makedonienzunutze, als er die Griechen unterwarf und 337 v. Chr. einen griechischenStaatenbund unter makedonischer Hegemonie gründete, der nach dem Tagungs-ort der Bundesversammlung „Korinthischer Bund“ genannt wurde. Gleichzeitigwurde der Perserkrieg proklamiert, der unter Führung des Makedonenkönigs altegriechische und neue makedonische politische und geostrategische Ziele ver-wirklichen sollte. Philipp bereitete die Invasion in das Perserreich vor, indem er336 v. Chr. eine starke Vorhut über die Dardanellen sandte und bei Abydos einenBrückenkopf bilden ließ. Kurz darauf wurde er bei der Hochzeit seiner TochterKleopatra ermordet.

Sein Sohn Alexander III., nachmals der Große, bestieg den Thron undgewann schnell die alleinige Führung sowohl innerhalb Makedoniens als auch imKorinthischen Bund. Im Frühjahr 334 v. Chr. setzte er nach Abydos über, schlugdie persischen Satrapen am Fluss Granikos und gelangte nach der Eroberunggroßer Teile Kleinasiens nach Syrien. In den eroberten Territorien beließ er daspersische Satrapiensystem, wie es war. Es wurden jedoch statt der amtierendenIraner makedonische Satrapen eingesetzt.

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9I.1.2. Die hellenistische Zeit

31 Plut. Alex. 43,3: „… e„j toÝj ˜ta…rouj ¢nšlaben.“ Zu den Hetairen siehe unten.32 Zur Satrapienvergabe siehe grundlegend Jacobs 1994a, 52–88.33 W.W. Tarn, Alexander the Great and the Unity of Mankind, Proc. Brit. Acad. 19, 1933, 123Ù.;

In Issos an der nordsyrischen Küste traf Alexander 333 v. Chr. auf denpersischen Großkönig Dareios III., der, aus einer Seitenlinie des Achämeniden-hauses stammend, etwa zur gleichen Zeit wie Alexander den Thron bestiegenhatte. Dareios gab — zu früh — das Zeichen zur Flucht seines Riesenaufgebotesund verlor dadurch die Schlacht. Nach der Eroberung Ägyptens folgte Alexanderihm nach Mesopotamien, schlug ihn 331 v. Chr. nochmals bei Gaugamela/Arbelaöstlich des Tigris und verfolgte ihn über Ekbatana bis hinter die Kaspischen Tore.Dort fand er ihn ermordet vor — ermordet von seinem Vetter Bessos, der sichdanach selbst zum neuen Großkönig ausrufen ließ. Alexander „sandte denLeichnam des Dareios, königlich geschmückt, seiner Mutter zu, und seinenBruder Exathres nahm er unter seine Freunde auf“.31 Ähnlich rücksichtsvoll hatteer sich bereits nach der Schlacht bei Issos gegenüber der Familie des Dareiosverhalten, die im persischen Feldlager in seine Hand gefallen war. Sie behielt ihreköniglichen Privilegien. Der Königinmutter erwies er deutliche Verehrung, demKronprinzen ließ er eine königliche Erziehung zuteil werden, die älteste Tochterdes Dareios hat er später geheiratet. Den persischen Aristokraten Artabazos, derebenfalls mit dem Achämenidenhaus verwandt war und bis zuletzt treu zuDareios gehalten hatte, nahm er mit hohen Ehren in sein Gefolge auf (Arr. anab.3,23,7). Den Bessos hingegen ließ er als Königsmörder und Usurpator grausamhinrichten.

Alle diese Handlungen deuten darauf hin, dass Alexander sich nicht als Feinddes Dareios, sondern als dessen siegreichen Konkurrenten und Rechtsnachfolgerin der Beherrschung des Perserreiches verstand. Er war oÙensichtlich gewillt, sichin die persischen Verhältnisse zu integrieren, und damit wuchs ihm bei derMehrzahl seiner neuen Untertanen die Legitimation zu, die er anfangs aufgrundseiner militärischen Macht nur usurpiert hatte. Bereits nach der Schlacht vonGaugamela proklamierte er sich zum „König von Asien“ und beließ den Satrapenvon Babylonien Mazaios in seinem Amt. In den folgenden Jahren wurden imOsten noch viele weitere Satrapien an Iraner vergeben.32 Eigene iranische Militär-formationen wurden aufgestellt. Heiraten von makedonischen Soldaten undVeteranen mit orientalischen Frauen wurden gefördert, die Kinder aus diesenEhen von Alexander unterhalten. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt 324v. Chr. in der Massenhochzeit von Susa, wo Alexander selbst, nachdem er bereitszuvor Roxane, die Tochter des sogdischen Fürsten Oxyartes, geheiratet hatte, sichzusätzlich noch mit zwei Prinzessinnen aus dem Achämenidenhaus vermählte.

Die Forschung ist gespalten in der Deutung dieser Reichspolitik Alexanders.Auf der einen Seite des Spektrums steht die von W.W. Tarn begründete These,wonach Alexander eine „unity of mankind“ angestrebt habe,33 auf der anderen

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Alexander the Great II (Sources and Studies), 2.Aufl. 1950, 399–449.34 A.B. Bosworth, Alexander and the Iranians, JHS 100, 1980, 1Ù.; siehe v.a. 20: „nothing

remains of the policy of fusion“; ders., Conquest and Empire. The reign of Alexander theGreat, Cambridge 1988, 249Ù.; ders. Alexander and the East. The tragedy of triumph, Oxford1996, 4.

35 Übersicht über die Forschung bei E. Fredericksmeyer, Alexander the Great and the Kingshipof Asia. In: A.B. Bosworth / E.J. Baynham (eds.), Alexander the Great in Fact and Fiction,Oxford 2000, 137, Anm. 1.

36 Siehe dazu U. Hackl, Die sogenannten Weltreichspläne Alexanders des Großen, WJA 12, 1986,105–124.

37 Siehe dazu U. Hackl, Alexander der Große und der Beginn des Hellenistischen Zeitalters,a.a.O., 709–712.

Seite die vor allem von A.B. Bosworth vertretene Meinung, Alexander habelediglich aus pragmatischen Gründen zusätzliche Mitarbeiter und Nachwuchs fürdie Reichsverwaltung und die Armee gewinnen wollen.34 In der Tat war diekleine makedonische Armee in den Jahren des Eroberungszuges stark zusammen-geschmolzen. Es kam wenig Ersatz aus der Heimat, dagegen schieden vieleVeteranen aus und mussten nach Hause entlassen oder vor Ort angesiedeltwerden. Auch die aristokratische obere Heeresführung, aufgebrochen aus einemtraditionellen europäischen Stammeskönigtum, angekommen in einem orienta-lischen, riesigen Vielvölkerstaat, der beherrscht werden sollte, bedurfte dringendeiner Regenerierung und Ergänzung.

Jedoch greift diese Erklärung, wenn sie auch sicher bei Alexanders Über-legungen eine wichtige Rolle gespielt hat, letztlich zu kurz. Daher neigt dieMehrheit der Forschung inzwischen mit Recht zu der von Helmut Bervebegründeten Meinung, dass Alexander vor allem eine Verschmelzung und gleich-berechtigte Teilhabe an Verwaltung und Armee seines Reiches der beidenführenden Völker, Makedonen und Perser, geplant hat.35 Dafür sprechen nebenden konkreten Belegen für eine deutliche Bevorzugung von Iranern auchfolgende Indizien:

1. Alexander scheint sich, soweit seine Ideen noch rekonstruierbar sind, vorallem als „König von Asien“ innerhalb der zu erobernden Territorien desPerserreiches gefühlt zu haben.36 Darüber hinausgehende Welteroberungs-pläne, wie sie von Diodor (18,4) behauptet werden, halten einer quellen-kritischen Überprüfung nicht stand und werden daher von der Forschung fasteinhellig verworfen.

2. Obwohl die makedonische Sprache ein griechischer Dialekt war, diegriechische Kultur am makedonischen Königshof längst gep egt wurde undAlexander durch den damals noch jungen und unbekannten PhilosophenAristoteles eine sorgfältige griechische Bildung erhalten hatte, wurzelte erkeineswegs im Griechentum.37 Nichts spricht infolgedessen dafür, dass er denVölkern des Ostens die griechische Kultur habe bringen wollen. Somit ist die

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11I.1.2. Die hellenistische Zeit

38 Siehe dazu D. Kienast, Philipp II. von Makedonien und das Reich der Achämeniden. München1973; speziell zu den suggene‹j vgl. auch Jacobs 1996, 275–277; II.4.1.

Hellenisierung weiter Gebiete bis zum Indus eher eine Folge als eine Absichtseines Wirkens. Die griechischen Kontingente, die den Eroberungszugmitgemacht hatten, schickte er bereits 330 v. Chr. nach der Einnahme vonPersepolis nach Hause, abgesehen von einigen Hundertschaften, die in seinAnsiedlungsprogramm (siehe unten) einbezogen wurden. In seiner Um-gebung blieben danach nur griechische Spezialisten vor allem für Forschungs-projekte und ihm persönlich nahestehende griechische Mitarbeiter undFreunde.

Zwar gründete Alexander zahlreiche Städte, die ein griechisches Stadtbild undgriechische Institutionen erhielten. Jedoch: Diese Städte waren keine auto-nomen Stadtstaaten nach dem alten Polisprinzip, sondern von regierungs-amtlichen Weisungen abhängige Landstädte mit einer sehr gemischtenBevölkerung, die vor allem aus makedonischen Veteranen und dereneinheimischen Frauen bestand. Für die vielen griechischen Flüchtlinge, dieden Parteikämpfen im griechischen Mutterland zum Opfer gefallen warenund eine neue Heimat suchten, lagen diese Städte zu weit entfernt. Siewurden nämlich von Alexander mit der einzigen Ausnahme von Alexandreiain Ägypten und Alexandreia in Syrien (Alexandrette) alle jenseits von Euphratund Tigris errichtet. Übrigens erhielten auch die alten griechischen Städte inKleinasien und Syrien ihren ursprünglichen Status als autonome Poleis niewieder zurück, obwohl Alexander propagierte, sie von der Perserherrschaftbefreit zu haben, und ihnen beträchtliche Privilegien verlieh. Infolgedessenhaben die Griechen im Alexanderreich nur eine marginale Rolle gespielt.Noch weniger Ein uss hatten nur die Erben der alten Hochkulturen, etwaElamiter, Babylonier, Kleinasiaten oder Syrer.

3. Makedonien war bis zu den Perserkriegen persischer Vasallenstaat gewesen.Auch danach hatten die Makedonenkönige, wenn es ihnen opportunerschien, gelegentlich mit Persien paktiert. OÙenbar haben diese alten Be-ziehungen dazu geführt, dass die Makedonenkönige nach und nach wesent-liche Einrichtungen des persischen Königshofes übernommen haben, so z.B.die 3 000 Hypaspisten, eine Garde zu Fuß, die den 10 000 „Unsterblichen“ derAchämeniden entsprachen, ferner eine Leibgarde, die bei den Persern„Melophoroi“, bei den Makedonen Agema hieß und die von Alexander dannzu einer einzigen Formation verschmolzen wurde.

Außerdem gab es unter den Hetairoi, der makedonischen Adelsreiterei,Hetairoi im engeren Sinn, die die unmittelbare Umgebung und den Berater-kreis des Königs bildeten. Sie haben ihr Gegenbild in den „f…loi kaˆ sug-

gene‹j/Freunden und Verwandten“ der Perserkönige.38 Bereits Philipp hatte

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39 Siehe dazu grundlegend H. Berve, Das Alexanderreich auf prosopographischer Grundlage,München 1927, I 17; Ritter 1965, 41–62.

auch Nichtmakedonen in diesen engsten Kreis aufgenommen, so z.B. denGriechen Eumenes, der sein und Alexanders Kanzleichef war und der in derZeit nach Alexanders Tod bei den Auseinandersetzungen um die Nachfolgenoch eine bedeutende Rolle gespielt hat. Auch die Kanzlei und das durch denamtlichen Schriftverkehr entstehende Archiv war eine orientalisch-persischeEinrichtung. Weitere Parallelen zwischen den Königshöfen sind einPagencorps und ein Harem. Insbesondere Alexanders Vater Philipp hatte,ganz nach orientalischem Muster, zahlreiche — meistens aus politischenGründen geehelichte — Frauen und Nebenfrauen.

4. Alexander war auf diese Weise seit frühester Kindheit an eine Hofhaltung mitpersisch-orientalischen Elementen gewöhnt. So Ÿel es ihm nicht schwer,später auch das persische Hofzeremoniell und Teile der achämenidischenKönigstracht zu übernehmen und diese mit makedonischen Bekleidungs-stücken zu kombinieren.39 Als er dabei die Proskynese, den Fußfall undHandkuss der Untertanen vor dem König, auch von den Makedonen undGriechen verlangte, gab es Widerstand vor allem von seinem Hofhistorio-graphen Kallisthenes, einem NeÙen des Aristoteles. Kallisthenes hat oÙenbargeglaubt, dass diese Zeremonie nicht nur eines freien Griechen unwürdig sei,sondern auch einer unerwünschten Gottähnlichkeit Alexanders Vorschubleisten würde (Arr. anab. 4,10,5–12,5). In Wirklichkeit war aber die Göttlich-keit des Herrschers kein iranisches Prinzip. Alexander hat daher in seinenletzten Jahren zwar verlangt, als Gott angesehen zu werden, aber eben geradenicht in den östlichen Reichsteilen, sondern vor allem im Westen. In Ägyptenwar er als Nachfolger der Pharaonen sowieso göttlich, und bei den Griechen,die viele Übergänge vom menschlichen zum göttlichen Bereich kannten, wares daher bis zur Vergöttlichung eines lebenden Menschen nur noch einkleiner Schritt. Versuche zur Vergöttlichung des Herrschers in denNachfolgestaaten des Alexanderreiches begannen daher konkret erst nachAlexanders Tod und dem Ende der Diadochenzeit (siehe unten).

Alexanders Verschmelzungspolitik betraf somit in der Tat fast ausschließlichMakedonen und Iraner. Die deutliche AfŸnität Alexanders zu den Persern undzu iranischen Sitten und Gebräuchen stieß nicht nur bei dem GriechenKallisthenes auf Kritik. Vermehrter Widerstand kam von Alexanders makedo-nischen Mitarbeitern. Diese hatten mit ihm zusammen das Perserreich erobert,waren dadurch zu Macht und Ruhm gekommen und wollten diese Errungen-schaften natürlich nicht mit den Besiegten teilen.

Daher wurden Alexanders diesbezügliche Maßnahmen von seinen Nach-folgern nach seinem Tod sofort rückgängig gemacht. Die aristokratischen

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13I.1.2. Die hellenistische Zeit

Makedonen verstießen ihre iranischen Frauen mit einer Ausnahme: Seleukosbehielt seine Frau Apame, die Tochter des Spitamenes, des baktrischen Satrapender Satrapie Sogdiana. So wurde eine ostiranische Fürstentochter zur Stammutterder Seleukidendynastie. Die Iraner wurden — mit einigen Ausnahmen in denöstlichen Reichsteilen — aus der Armee und Verwaltung entfernt, wobei sich dieMakedonen darauf berufen konnten, dass viele der iranischen Satrapen sichwährend Alexanders langer Abwesenheit auf dem Indienfeldzug als untreu undselbstsüchtig erwiesen hatten. Allerdings hatte das Problem einer allzu großenMacht einzelner Satrapen, die auch zu Abfällen führte, bereits die achämenidischeReichsführung belastet und setzte sich in die seleukidische Zeit hinein fort.

Alexander hatte zum Zeitpunkt seines Todes 323 v. Chr. keinen regierungs-fähigen Nachfolger. So übernahmen seine Mitarbeiter und Heerführer, die„Diadochen“, die Herrschaft über das Reich. Es kam zu zahllosen Kon iktenzwischen ihnen, die erst 281 v. Chr. endgültig abgeschlossen waren. Dabeistanden sich zwei Parteien gegenüber, einmal diejenigen, die die Reichseinheitbewahren wollten, zum anderen diejenigen, die eine Aufteilung anstrebten. Dieletzteren siegten 301 v. Chr. bei Ipsos in Kleinasien über Antigonos Monophthal-mos, den letzten Vertreter der von Alexander geschaÙenen Ordnung.

Auf dem Territorium des Alexanderreiches konsolidierten sich nunmehr diedrei großen hellenistischen Staaten:

1. Makedonien mit Griechenland unter den Antigoniden, den Nachkommendes Antigonos Monophthalmos,

2. Ä ypten unter den Ptolemäern. Ptolemaios, ein Jugendfreund Alexanders, warder entschiedenste Vertreter der Reichsteilung und hatte sich schon sehr frühin Ägypten festgesetzt,

3. das Seleukidenreich in den östlichen Reichsteilen bis zum Indus einschließ-lich Syrien und Kleinasien.

Seleukos hatte somit den Löwenanteil aus der Erbmasse des Alexanderreicheserhalten. Er war unter Alexander zuletzt Kommandeur der Hypaspisten, derGarde zu Fuß, gewesen und hatte sich in langen Jahren zäh gegen diemächtigeren und höherrangigen Diadochen durchgesetzt. Im Diadochenfriedenvon 311 v. Chr. wurden ihm die Satrapie Babylonien sowie die Satrapien östlichdes Tigris zugewiesen. Er machte wie Alexander Babylon zu seiner erstenHauptstadt und konnte anfangs alle östlichen Reichsteile behalten bis auf dieindischen. Diese trat er zusammen mit Teilen Gedrosiens und Arachosiens anden indischen König Sandrokottos/Candragupta (321–297 v. Chr.) ab, dessenKönigreich von Maghada sich während der Diadochenkämpfe gebildet hatte.

Nach der Schlacht bei Ipsos erhielt Seleukos von den Gebieten des AntigonosMonophthalmos das östliche Kleinasien und Nordsyrien. Seitdem befand sich die

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Zentrale des Seleukidenreiches in Nordsyrien, Antiocheia am Orontes wurde zurneuen Hauptstadt. Erst 281 v. Chr. — kurz vor seinem Tod — schlug Seleukosseinen letzten Rivalen Lysimachos bei Kurupedion in Kleinasien und erbte dessenwestkleinasiatischen Besitz. Schon zu dieser Zeit war aber sein Imperium imNordwesten stark verkleinert worden. Die Gebiete im Südosten des SchwarzenMeeres waren nämlich von Alexander und den Diadochen trotz des darauferhobenen Anspruchs nicht vollständig erobert worden. Aufgrund dieser oÙenenFlanke entstanden dort und in den südöstlich anschließenden Regionen ausehemaligen persischen Satrapien die Königreiche Bithynien, Paphlagonien,Pontos, Kappadokien, Armenien und Media Atropatene. Ferner Ÿel Pergamon282 v. Chr. von den Seleukiden ab, wurde 240 v. Chr. unter Attalos I. Königreichund brachte nach und nach ganz Westkleinasien an sich. Alle diese kleinerenStaaten gehörten wie die drei großen zur hellenistischen Völkerfamilie und warenwie diese mehr oder weniger durch die griechische Kultur geprägt. Armenien hatspäter eine Schlüsselrolle bei den Auseinandersetzungen Roms mit den Partherngespielt (siehe II.3.). 276 entstand zusätzlich das keltische Königreich Galatien inZentralanatolien. Seleukos’ Nachfolger Antiochos I. hatte die in Kleinasieneingefallenen Kelten/Galater dorthin zurückgedrängt und angesiedelt.

So bestand das Seleukidenreich in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. nochaus Phrygien, Kilikien, Syrien mit der Hauptstadt Antiocheia, Mesopotamienund nahezu dem gesamten Osten des ehemaligen Alexanderreiches. Daraus ergabsich die Beherrschung der Handelswege nach Indien und China. Alle Land- undSeewege dorthin liefen in Seleukeia am Tigris zusammen. Die wichtigstenVerbindungen waren die Seidenstraße nach Zentralasien und China und derkombinierte Land- und Seeweg südlich des Persischen Golfes nach Indien. AlleHandelswege waren in zahlreiche Einzelstrecken unterteilt, die von Handels-gesellschaften oder einheimischen Stämmen beherrscht wurden. Obwohl diesealle Gewinn machten, waren die Hauptnutznießer des Handels die Seleukiden.Sie bauten ihr zentrales Gebiet in Nordsyrien zu einem bedeutenden Wirt-schaftsimperium aus, wo sowohl die Waren aus dem Osten als auch die ausEuropa und dem Mittelmeerraum in alle Richtungen umgeschlagen werdenkonnten. Die Straße von Seleukeia am Tigris nach Antiocheia und weiter nachEphesus in Kleinasien wurde so zur wichtigsten Verbindung zwischen Meso-potamien und dem Mittelmeer. Folgende Waren wurden darauf transportiert:Aus China kamen Eisen und (möglicherweise erst seit dem 1. Jh. v. Chr.) Seide,aus Sibirien Gold, aus Indien Musselin, Elfenbein, Gewürze, Edelsteine undPerlen. Aus Griechenland und Syrien selbst kamen Wein, Öl und Geschirr, ausMakedonien Pech, aus Ägypten Leinen und aus Phönizien Purpur und Glas. Dersagenhafte Reichtum Syriens, der mit den Seleukiden begann, hat somit in derBeherrschung der riesigen, einst achämenidischen Terrritorien vom nordöstlichenMittelmeer bis zum Indus einen seiner Ursprünge.

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Was als einheitlicher Handels- und Wirtschaftsraum erschien, war jedoch inWirklichkeit ein sehr heterogenes, von ethnischen, geographischen und ideo-logischen Bruchlinien durchzogenes Reich, das zudem starker Konkurrenz desägyptischen Ptolemäerreiches und der arabischen Welt, an deren Spitze desNabatäerreiches, ausgesetzt war. Ein orientalischer Vielvölkerstaat, in den Dia-dochenkriegen eher zufällig durch die jeweiligen Machtkonstellationen zu-sammengeraÙt, mit einer kleinen makedonischen Führungsschicht, war schwerzu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Den Seleukiden fehlte, nochmehr als den anderen Dynastien, anfangs jegliche Legitimität zur Regierung. Allein der hellenistischen Zeit regierenden Makedonen waren nur auf Grund ihrermilitärischen Macht zu ihren Würden gelangt, ihre Gebiete waren „dor…kthtoj/speererworben“. Immerhin konnten sich die Antigoniden in Makedonien auf dieKontinuität mit der jahrhundertealten Argeadendynastie Philipps II. undAlexanders d. Gr. berufen, während die Ptolemäer sehr geschickt an die uraltenpharaonischen Übrlieferungen anknüpften.

Für Seleukos hätte es dementsprechend nahegelegen, die von Alexanderangestrebte Verschmelzungspolitik insbesondere mit den iranischen Be-völkerungsteilen weiterzuführen. Gerade diese Politik wurde aber von allenDiadochen abgelehnt und nach Alexanders Tod sofort beendet, abgesehen vonder weiteren Duldung iranischer Satrapen in den Ostregionen des Alexander-reiches (siehe oben), was nicht zu umgehende praktische Gründe hatte. Das giltauch für Seleukos, obwohl er durch die Heirat mit einer ostiranischenFürstentochter sicherlich mehr Verständnis für den iranischen Bevölkerungsteilseines Reiches hatte. Seine Nachkommen heirateten aber weder Syrerinnen nochBabylonierinnen noch Iranerinnen, sondern Frauen entweder aus den anderenmakedonischen Dynastien oder aus den Herrscherhäusern der kleineren helle-nistischen Staaten in Kleinasien. Die spektakuläre Heirat von Demetrios II.Nikator mit der Tochter des Partherkönigs Mithridates I. (siehe auch II.4.1.5.)wäre unter normalen Bedingungen sicherlich nicht zustandegekommen. EineNachricht bei Malalas 8, 25 über die Verbindung seines NeÙen Antiochos IV.Kyzikenos mit der Tochter Phraates II. ist wenig glaubhaft.

Trotzdem waren insbesondere die ersten Seleukiden sehr erfolgreich in demBemühen, ihr Riesenreich zusammenzuhalten. Zu diesem Zweck ergriÙen siefolgende, z.T. recht wirksame Maßnahmen:

1. Wie die anderen hellenistischen Monarchen legten sich die Seleukiden nichtnur charismatische Beinamen wie Soter/Retter oder Kallinikos/schöne Siegedavontragend zu, sondern richteten auch einen Herrscherkult ein, derzunächst nur die posthume Vergöttlichung des Dynastiegründers, später aberauch die der lebenden Herrscher proklamierte. Eine besondere Beziehung zudem griechischen Gott Apollon wurde hergestellt, Seleukos als „Sohn des

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Apollon“ bezeichnet, so wie Alexander d. Gr. „Sohn des Zeus Ammon“gewesen war. Die Königsgemahlinnen wurden als „Schwestern des Königs“in diese Kulte einbezogen, obwohl sie nicht — wie zeitweise in Ägypten — dieleiblichen Schwestern der Könige waren. Diese Ideologie stärkte dasdynastische und absolutistische Prinzip und untermauerte den usurpiertenAnspruch auf das eroberte Land — es galt theoretisch als „oikos “, d.h. alspersönliches Eigentum des Königs. Um Legitimität und Charisma bei denorientalischen Untertanen zu verbessern, wurden auch Verbindungen zueinheimischen Göttern gep egt. So demonstrierte schon Seleukos durch dasErgreifen der Hände der Marduk-Statue in Babylon seine Verbundenheit mitdiesem babylonischen Hauptgott — auch hierin an das Vorbild Alexanders d.Gr. anknüpfend. Wie dieser suchten auch die Seleukiden durch zahlreicheSchenkungen an Tempel und Priesterschaften, sich die heimischen Göttergeneigt zu machen. Überhaupt strebten alle hellenistischen Herrscher danach,eine Überhöhung ihrer eigenen Stellung zu erreichen, indem sie sich alsjeweils echte Nachfolger Alexanders präsentierten. Sie trugen auch wieAlexander das Diadem, das von den persischen Großkönigen um die Tiaragewunden worden war, ein weißes Band mit fransengeschmückten, in denNacken hängenden Enden. Das Diadem fand in der hellenistischen Zeit alsZeichen der souveränen Herrscherwürde weite Verbreitung bis nach Thrakienauf der einen und Indien auf der anderen Seite (siehe Ritter 1965).

2. Um das große und heterogene Seleukidenreich wirksam zu regieren, wurdedie Verwaltung modernisiert. An der Spitze änderte sich allerdings nicht viel.Der König war oberster Befehlsgeber und Gerichtsherr. Aus den Hetairoi, dieden engsten Beraterkreis der makedonischen Könige gebildet hatten, wurdendie „Freunde des Königs“ — in Anlehnung an die „Freunde und Verwandten“der Perserkönige (siehe oben). Sie rekrutierten sich fast ausschließlich ausMakedonen und Griechen. Für den Nachwuchs sorgte wie bei denAchämeniden und auch schon bei Philipp II. von Makedonien ein Pagen-corps (siehe oben). Aus ihrem Kreis besetzte der König die höchsten Stellenin Militär und Verwaltung des Reiches, es gab aber keinerlei feste Laufbahnenund Rangfolgen.

Ob es bereits das Amt eines ständigen Stellvertreters des Königs, also eines„Wesirs“ nach orientalischem Muster gab, ist in der Forschung umstritten.Wenn es dieses Amt gegeben hätte, wäre das Vorbild dafür die vonHephaistion bekleidete Chiliarchie bei Alexander d. Gr. gewesen, die sichdann wiederum aus dem Amt des persischen Chiliarchen (haz¡ra-pati-), desKommandeurs des Leibregimentes, der den persönlichen Zugang zumGroßkönig zu überwachen hatte, entwickelt haben könnte. HephaistionsBefugnisse, die nach seinem Tod wenigstens teilweise auf Perdikkas über-gingen, überstiegen die des persischen Chiliarchen jedoch erheblich, da er

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17I.1.2. Die hellenistische Zeit

40 Siehe dazu Hackl/Jenni/Schneider 2003, 102f.41 Siehe dazu Schur 1949, Sp. 1987Ù.42 Zu den Einzelheiten siehe Sherwin-White/Kuhrt 1993.

faktisch als Stellvertreter Alexanders fungierte. In der hellenistischen Zeit istdas Amt eines ständigen Stellvertreters des Königs nur für die nabatäische unddie jüdische Monarchie nachweisbar, und auch dort wahrscheinlich nur fürbestimmte Zeiten und Persönlichkeiten.40 Die Frage spielt auch für dasPartherreich eine Rolle,41 aber letztlich durchgesetzt hat sich die Institutiondes orientalischen Wesirs frühestens seit den Sasaniden.

Da es unmöglich war, mit einem solchen im Grunde unprofessionellenGremium das Land von einer Stelle aus zu regieren, wurden neben Antiocheiain Syrien zwei weitere Regierungszentren geschaÙen, nämlich Sardes inKleinasien und Seleukeia am Tigris für die „Oberen Satrapien“. Sie wurdenmeistens mit Mitgliedern des königlichen Hauses besetzt — so hat bereits zurZeit Seleukos I. der Kronprinz, der spätere Antiochos I. (281–261 v. Chr.),jahrelang in Seleukeia residiert. Während es in Sardes durch Abfallbe-wegungen dort eingesetzter Generalgouverneure zahlreiche Probleme gab unddadurch Kleinasien schon bis zur Mitte des 3. Jhs. v. Chr. fast vollständig andie dort entstehenden kleinen Königreiche verlorenging (siehe oben), hat sichdie Regelung, den Osten von Seleukeia aus zu beherrschen, bis zum Aufstanddes Molon (siehe unten) im allgemeinen bewährt. Das gilt nicht nur fürBabylonien, sondern auch für die iranischen Territorien, wo seitens desHerrscherhauses und der Verwaltung großer Wert auf die Achtung derkulturellen Traditionen der Untertanen und ein gutes Einvernehmen mit denlokalen Eliten gelegt wurde (siehe dazu Wiesehöfer 1996b).

Leider wissen wir infolge der unzureichenden Quellenlage nicht sehr viel überdie seleukidische Satrapienverwaltung.42 Die Satrapen waren fast alle Make-donen mit umfassenden Vollmachten. Wenn ausnahmsweise Einheimischeals Satrapen Verwendung fanden, wurden ihnen makedonische Militär-befehlshaber zur Seite gestellt. Das Militär spielte wie in allen anderenhellenistischen Staten eine wichtige Rolle. Eine seleukidische Besonderheitwaren die Kriegselefanten, die von den indischen befreundeten Königenerworben wurden. Da Makedonen und Griechen für das Heer, das ausSöldnern bestand, nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen,wurden auch Einheimische angeworben. Die Soldaten und Reservisten lebten,wenn sie nicht in den Residenzen oder Garnisonen Dienst taten, inFriedenszeiten meistens in Kolonien, d.h. Wehrdörfern, wo sie mit Landausgestattet wurden. Ihre Motivation war die persönliche Bindung an denKönig. Da das Heer sehr teuer war, mussten die Seleukiden danach trachten,möglichst viel Steuern aus den Satrapien herauszuziehen.

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43 Andere BegriÙe für diesen Personenkreis sind „Ethnarch“ oder „Phylarch“, speziell bei denarabischen Bevölkerungsteilen gab es auch „Arabarchen“. Die DeŸnitionen sind jeweils sehrunscharf gebraucht. Wie wichtig die „lokalen Eliten“ für die seleukidische Reichsverwaltungwaren, hat neuerdings auch P.F. Mittag, Die seleukidische Herrschaft in Mesopotamien,Vortrag beim Deutschen Historikertag in Konstanz 2006, dargelegt.

Um das zu erleichtern und die Satrapien überhaupt übersichtlicher undverwaltungsfreundlicher zu gestalten, wurden sie in Hyparchien undToparchien unterteilt — im Ansatz hatte dies schon Alexander d. Gr. versucht.So konnte man auch leichter auf regionale Besonderheiten eingehen, da esinnerhalb der Satrapien zahlreiche historisch gewachsene Herrschaftsbereichegab, die nur bedingt an die Weisungen der Satrapen gebunden waren. Außerden oben erwähnten Tempelterritorien und den Soldatenkolonien gab esnoch die sehr wichtige Kategorie der weitgehend unabhängigen Dynasten.43

Das waren alteingesessene einheimische Fürsten, die über ein erblichesFürstentum oder ein Stammesgebiet geboten und der seleukidischen Ober-hoheit nur lose unterstanden. Sie mussten lediglich Steuern bezahlen undHeeresfolge leisten. Dieses System hatte es bereits im Perserreich gegeben.Um Kon ikte zu vermeiden, hatten die Achämeniden solche Dynasten ofteinfach zu Satrapen bestellt — das bekannteste Beispiel ist die Dynastie vonHalikarnassos in Karien mit deren prominentestem Vertreter KönigMausolos. Auch die meisten der hellenistischen Königreiche südlich desSchwarzen Meeres und des Kaukasus, die in der Diadochenzeit entstandenwaren (siehe oben), gehen auf solche von einheimischen Dynasten verwalteteSatrapien zurück. Infolge dieser gewachsenen Tradition blieb auch imPartherreich die Stellung der Dynasten weiterhin stark (siehe II.4.2.3. und 4.).

3. Alle diese administrativen und organisatorischen Maßnahmen zur Festigungder seleukidischen Herrschaft wurden jedoch von dem übertroÙen, was dieSeleukiden als besonders wichtige Klammer ihres Reiches ansahen: derFörderung des Griechentums. Die Seleukiden erbten nicht nur die altenPoleis in Kleinasien und die kolonisatorischen Neugründungen Alexandersd. Gr. jenseits von Euphrat und Tigris, sie gründeten ihrerseits auchzahlreiche, z.T. bedeutende griechische Städte in Syrien und Mesopotamien,aber auch weiter östlich vor allem in Medien. Die Neugründungen locktenviele griechische Flüchtlinge (siehe oben), sowie Kaufleute und Gewerbe-treibende an und erlebten noch weit in die Partherzeit hinein eine hohe Blüte.Neben den syrischen Städten mit Antiocheia am Orontes an der Spitze sindhier vor allem Seleukeia am Tigris (siehe oben), Dura Europos am Euphratund Edessa zu nennen. Durch die Ausstrahlungskraft dieser Städte und dievon ihnen ausgehenden Aktivitäten wurde die griechische Kultur nunendgültig weit nach Osten in die ehemals achämenidischen Gebiete getragenund wirkte bis nach Indien. Die griechischen Städte waren zwar, wie imPerser- und Alexanderreich, keine autonomen Poleis alten Stils, sie mussten

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19I.1.2. Die hellenistische Zeit

44 Der genaue Zeitpunkt ist wegen der widersprüchlichen Quellenlage umstritten. M. Grant,From Alexander to Cleopatra. The Hellenistic World, London 1982, 84, geht bis 256/55 v. Chr.herauf. Den spätesten Ansatz Ÿndet man bei Schmitt 1964, 67Ù., und J. Wolski, Le problèmede la fondation de l’Etat gréco-bactrien, IrAnt 17, 1982, 131Ù.; beide favorisieren, gestützt aufJustin 41, 4, 3–7 und Strabon 11, 9, 2, das Jahr 239/38 v. Chr., was inzwischen die Mehrheit derForschung akzeptiert hat. Die graeco-baktrische Staatsgründung hängt in Bezug auf dieÜberlieferung eng mit der parthischen zusammen und weist daher auch dieselbe quellen-kritische Problematik auf, insbesondere hinsichtlich der Verknüpfung mit den seleukidischen

Steuern zahlen und waren letztlich auch nur Untertanen des Königs. Indiesem Rahmen genossen sie aber viele Privilegien, insbesondere, wie schonbei Alexander d. Gr., eigene Verwaltung und Rechtsprechung. Sie bildetenauch eine Ausnahme von der Regel, dass alles Land o‚koj/Besitz des Königswar (siehe oben), auch wenn dieser es vielfach verlieh und verpachtete: Nurdie Bürger griechischer Städte durften persönliches Eigentum erwerben undohne Einschränkung darüber verfügen.

Die Folge dieser starken Stellung des Griechentums war, dass die SeleukidenGriechisch als Verwaltungssprache und die attische Drachme als Leitwährungeinführten. Daneben blieben aber die alten Währungen, vor allem diesemitischen in Babylonien, bestehen. Aramäisch blieb zweite Leitsprache vorallem in Palästina, Syrien und Nordmesopotamien, und selbstverständlich warauch die Kontinuit der iranischen Dialekte ungebrochen. Auch gab es, wiein den Jahrhunderten zuvor, überall große Unterschiede zwischen städtischerund ländlicher Bevölkerung. Während die griechischen Städte die Kultur-träger nicht nur der makedonisch-griechischen Oberschicht waren, sonderndie griechische Kultur auch den einheimischen Eliten vermittelten, lebte dieLandbevölkerung ihr abhängiges und entbehrungsreiches Leben weiter, wiees immer gewesen war, sprach ihre angestammten Dialekte und huldigte ihrerangestammten Religion, der seitens der Seleukiden keinerlei Beschränkungauferlegt wurde. Diese waren bezüglich der Religion ihrer Untertanen ebensotolerant wie Alexander d. Gr. und vor ihm die Achämeniden.

Außerdem waren in der Antike orientalische und griechisch-römische Göttermit Ausnahme des jüdischen Jahwe in vielen Regionen kompatibel, siewurden einander auch direkt gleichgesetzt wie Zeus mit dem ägyptischenAmmon, Aphrodite mit der syrischen Astarte/Atargatis, Herakles mit demphönizischen Melkart oder Athene mit der arabischen Allat. Griechen undRömer verehrten ihrerseits lokale oder nationale orientalische Gottheiten.

Diese kulturelle Vielfalt unter griechischer Dominanz im Seleukidenreich, die alsKlammer der Herrschaft dienen sollte, hat in der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. imNordosten einen Staat hervorgebracht, über den wir allerdings nur wenig wissenund der sich nach dem üblichen Muster der Erhebung des Satrapen von Baktrien,Diodotos, entwickelt zu haben scheint: das Graeco-Baktrische Reich.44 Diodotos

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Thronwirren und den bedrohlichen Bewegungen der Reiternomaden südöstlich des Aralsees,siehe II.1.; II.2.2.

45 Zur Anabasis und zur Frage des Titels siehe Schmitt 1964, 87Ù.

begründete eine neue Dynastie, die vor allem durch griechische Münzendokumentiert ist. Sie stützte sich auf die von Alexander d. Gr. angelegten,zahlreichen Militärkolonien in Baktrien, war sehr erfolgreich und dehnte ihrTerritorium erheblich aus. Sie brachte die griechische Kultur nach Indien undhielt sich etwa zwei Jahrhunderte. Danach wurde ihr Reich durch die Nachbarnaufgesogen.

Durch diese Vorgänge ist das Seleukidenreich im Osten an seiner indischenGrenze stark geschwächt worden. Nicht zuletzt diese Instabilität hat es denParthern ermöglicht, etwa gleichzeitig mit den graeco-baktrischen Königen ihreeigene Reichsbildung zu beginnen. Auch im Westen der „Oberen Satrapien“ gabes noch im 3. Jh. v. Chr. einen weiteren Einbruch: deren Generalgouverneur inSeleukeia, Molon, erhob sich 222 v. Chr. Sein Aufstand wurde erst 220 v. Chr.durch Antiochos III. niedergeschlagen. Antiochos III. war es auch, der nocheinmal versucht hat, die Entwicklung im gesamten Osten zurückzudrehen.Nachdem er den Westen seines Reiches im Kampf gegen äußere und innereGegner stabilisiert hatte, unternahm er 212–205 v. Chr. nach dem MusterAlexanders d. Gr. eine „Anabasis“ bis nach Indien, die ihm den Titel „der Große“eingebracht hat. Er erreichte noch einmal die wenigstens formelle Unterstellungdes Partherkönigs Arsakes II. (Just. 41,5,7; siehe II.1.) sowie der Könige vonGandhara, Graeco-Bactrien, Media Atropatene und Armenien (Polyb. 10,49;11,34). Um seine Oberhoheit über diese Gebiete zu dokumentieren, nahm er nachachämenidischem Muster den Titel megas basileus /Großkönig an.45

Diese letzte glanzvolle Entwicklung des Seleukidenreiches hatte nur 1 1/2Jahrzehnte Bestand. 190 v. Chr. unterlag Antiochos d. Gr. den Römern beiMagnesia am Sipylos in Kleinasien und musste in dem von Rom diktiertenFrieden von Apameia 188 v. Chr. nicht nur die letzten seleukidischen Besitzungenin Kleinasien abtreten, sondern auch eine erhebliche militärische Abrüstunghinnehmen. Diese Einbußen schwächten auch die seleukidische Ostpolitik aufDauer so durchgreifend, dass der Expansion des Partherreiches seitdem nur nochwenig entgegengesetzt werden konnte.

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21I.2. Schriftquellen

I.2. Schriftquellen zur Geschichte des Partherreiches (Ursula Hackl)

Die schriftlichen Quellen zur Geschichte des Partherreiches sind oft aufgelistetworden, zuletzt sehr ausführlich und mit hohem wissenschaftlichen Anspruch inWiesehöfer 1998a. Ferner sind auch in III. die nach Sprachen geordnetenEinzelquellen — meistens in den Einleitungen — mit Charakterisierungen undHinweisen zur wissenschaftlichen Beurteilung versehen worden. Worauf es unsin dem vorliegenden Buch ankommt, ist aber keine erneute Aneinanderreihung.Es verfolgt vielmehr das Ziel, aus der Analyse und Zusammenführung dergesamten schriftlichen Überlieferung über das Partherreich ein besseres undvollständigeres Bild dieses bedeutenden antiken Staatswesens zu gewinnen, als esbisher möglich war. Obwohl diese Überlieferung sehr umfangreich und vielfältigist, bleibt sie lückenhaft, weil nie das Ganze, sondern immer nur Teilbereichebeschrieben werden, beispielsweise einzelne Zeitabschnitte, Regionen, Völkerund politische Einheiten oder spezielle kulturelle und gesellschaftliche Aspekte.Dennoch hoÙen wir, dass es uns durch die hier erstmals geleistete Verknüpfung,Vergleichung und Vernetzung der vielen heterogenen Quellen gelungen ist,einige wissenschaftliche Fortschritte zu erzielen.

Das Hauptproblem besteht darin, dass von der herrschenden Schicht selbst,eben den Parthern, kaum unmittelbare Nachrichten in ihrer eigenen Sprache aufuns gekommen sind. Das liegt daran, dass sie als vermutlich schriftlose Reiter-nomaden von der Peripherie her in ihr späteres Reich gelangt sind (I.1.1.; II.1.)und oÙenbar nie daran gedacht haben, ihren iranischen Dialekt reichseinheitlichals verbindlich durchzusetzen. Vermutlich wäre dies auch gar nicht möglichgewesen, da das Partherreich wie bereits die Vorgängerreiche der Achämeniden(I.1.1.) und Seleukiden (I.1.2.) durch eine Fülle von historisch gewachsenenSprachen gekennzeichnet war, die regional unterschiedliche Schwerpunkte hattenund sich vor allem in den semitischen und griechischen Quellen spiegeln.Außerdem scheint viel von der originär parthischen Überlieferung verlorengegangen zu sein, vor allem dann, wenn sie auf Pergament geschrieben war, wasoÙensichtlich vielfach der Fall gewesen ist (siehe II.4.6.2.). Immerhin ist esDieter Weber gelungen, mit Hilfe der Namensforschung auch in den nicht-parthischen Quellen viele parthische Elemente aufzuzeigen, die Rückschlüsse aufdie parthische Geschichte und Kultur zulassen (II.4.2.6.; II.4.7.2.; II.4.8.).

Die auf uns gekommenen parthischen Texte beschränken sich imWesentlichen auf wenige, wenn auch wichtige Inschriften und Papyri (III.2.3.–9.), auf die zahlreichen in Nisa gefundenen Ostraka, die vor allemWirtschaftsdaten enthalten (III.2.2.1.), und auf die Münzen (III.3.3.). Dieältesten dieser Texte reichen — von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — nurbis in das 1. Jh. v. Chr. zurück, so dass wir über die frühe Geschichte der Parthervon ihnen selbst nichts erfahren.

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Die antiken Quellen zur Geschichte des Partherreiches sind vielschich-tig und nur durch eine differenzierte interdisziplinäre Bearbeitung zu erschließen. Die einschlägigen Zeugnisse auf Akkadisch, Arabisch, Aramäisch, Armenisch, Chinesisch, Griechisch, Lateinisch und Parthisch wurden hier erstmals zusammengestellt, ins Deutsche übersetzt und kommentiert. Durch die so gebotene ausgewogene Zusammenführung der unterschiedlichen Zeugnisse werden die Geschichte des Partherrei-ches, seine bisher noch weitgehend ungeklärte innere Struktur sowie die wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtlichen Gegebenheiten genauer beschreibbar als bislang möglich.

Band 1 enthält: Prolegomena, Abkürzungen, Bibliografi e, Einleitung, Indices, Karten, Tafeln.

Die HerausgeberDr. phil. Ursula Hackl ist em. Professorin für Alte Geschichte an der Universität Basel.Dr. phil. Bruno Jacobs ist Professor für Vorderasiatische Altertumswissen-schaft an der Universität Basel.Dr. phil. Dieter Weber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Iranistik der FU Berlin.

www.v-r.de

ISBN 978-3-525-53386-4

Novum Testamentum et Orbis Antiquus Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Band 83

9 78352 5 533864