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Schriften des Simon-Dubnow-Instituts Robert Zwarg Die Kritische Theorie in Amerika Das Nachleben einer Tradition

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Schriften des Simon-Dubnow-Instituts

Robert Zwarg

Die Kritische Theorie in AmerikaDas Nachleben einer Tradition

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Schriften des Simon-Dubnow-Instituts Herausgegeben von Raphael Gross

Band 27

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Robert Zwarg

Die Kritische Theorie in Amerika

Das Nachleben einer Tradition

Vandenhoeck & Ruprecht

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Lektorat: Marcel Müller, Leipzig

Mit 16 Abbildungen

Umschlagabbildung: Collage (Ausschnitt) aus einem Fotoalbum, das Maidon Horkheimer Ende der 1930er/Anfang der 1940er Jahre

zusammengestellt und Max Horkheimer zum Geburtstag geschenkt hat. © Archivzentrum der Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg,

Nachlass Max Horkheimer, Foto: Ursula Seitz, Frankfurt am Main.

Das Werk wurde für die Veröffentlichung überarbeitet. This dissertation has been revised for publication.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISSN 2197-098XISBN 978-3-647-37048-4

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Gedruckt mit Unterstützung des Freistaates Sachsen.

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen

bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1. Ende und Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Keine Nachkommen? (14) | Amerikanisches Nachleben (20) | Konstel-lation und Theoriegeschichte (30)

2. Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Herbert Marcuse und die New Left (42) | Anfänge einer Krisenbewäl-tigung  (49) | Ein Telos jenseits der Universität (58) | Die Eule der Mi-nerva in Waterloo (66) | Die Schüler des jungen Lukács (80)

3. Kritik und Ideengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Die Bibliothek wächst  (94) | Dialektische Phantasie  (98) | Geschichte schreiben oder Geschichte machen (107) | Dialektik des Scheiterns (116)

4. Tradition und Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129Das Exil erster Ordnung (130) | Aufwachsen in der eindimensionalen Gesellschaft (135) | Madison als Gedächtnisort (142) | Zwischen Scham und Bewunderung: Gerth und Marcuse als Lehrer  (154) | George  L. Mosse und die Faszination der Bildung  (160) | Über-Setzen: Europa als Abenteuer  (167) | Übersetzen: Der metaphysische Überschuss der deutschen Sprache (180) | Die DDR und Weimar bei New German Cri-tique (187)

5. Kultur und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203Die Kritische Theorie macht Karriere (204) | Konsolidierung und Risse (207) | Historisierung: Geschichte und Dynamik der verwalteten Welt (219) | Aktualisierung: Künstliche Negativität als amerikanischer Topos (232) | Die Theorie der »Neuen Klasse« (240) | Kulturkritik in der Neuen Welt (246) | Amerikanisierung und kultureller Überschuss (261)

6. Moderne und Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273Der Aufstieg der French Theory (274) | Doing (Critical) Theory  (280) | Fredric Jameson und die Kritische Theorie (293) | Die Postmodernis-mus-Debatte (303)

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6 Inhalt

7. Politik und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319Die Rückkehr des Politischen  (320) | Jüdische Fragen, amerikanische Antworten (328) | Die Debatte um Ästhetik und Kommunikation (339) | Quo vadis, deutsche Friedensbewegung?  (348) | Von Adorno zu Schmitt (358)

8. Anfang und Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381Marxismus und Geschichtsphilosophie in Amerika  (382) | Von Frank-furt nach Elizabethtown  (394) | Weimarer Lehre  (406) | To be Con-tinued … (414)

Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419Ungedruckte Quellen  (419) | Gedruckte Quellen und Forschungslite-ratur (420)

Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

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»Der Hegelsche Satz, die Eule der Minerva beginne am Abend ihren Flug, bewährt in der Geschichte des Geistes sich daran, daß der Gedanke sich auf Begriffe zu konzentrieren pflegt, wenn sie, wie man so sagt, problematisch geworden sind; wenn ihnen nicht mehr angemessen ist, was sie bezeichnen, und wenn sie zum Verschwinden verurteilt scheinen. Die Besinnung, die ihrer dann sich bemächtigt, sucht sie mit halbem Herzen und doppeltem Eifer zu erretten.«

Theodor W. Adorno, Dissonanzen (1963)

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Vorwort

Bei diesem Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im November 2014 an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig eingereicht und von der Studienstiftung des deutschen Volkes e. V. gefördert wurde.

An erster Stelle möchte ich mich bei meinen Betreuern Professor Dan Diner und Professor Ulrich Johannes Schneider bedanken. Dan Diner ver-danke ich, dass ich am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig historisch denken lernen durfte. Sein sensi-bles Gespür für den Gegenstand und den Verfasser hat die Arbeit überhaupt erst Gestalt annehmen lassen und ohne die institutionelle, materielle und ideelle Unterstützung durch das Institut sowie das Akademieprojekt »Euro-päische Traditionen – Enzyklopädie jüdischer Kulturen« wäre das Verfassen der Dissertation kaum möglich gewesen. Ulrich Johannes Schneider hat mir gezeigt, was Philosophie alles sein kann und mir mit seiner offenen, warm-herzigen Art so manchen Zweifel genommen. Mit ihm ließ sich erfahren, woraus die Philosophie ihre eigentliche Energie bezieht: dem Gespräch, dem Streit und der gemeinsamen Arbeit am Begriff. Der Dank, den ich meinen Betreuern schulde, geht weit über das in diesem Buch Sichtbare hinaus.

Mein herzlicher Dank gilt auch allen Kolleginnen und Kollegen des Simon- Dubnow-Instituts: für die produktive Zusammenarbeit und die vie-len anregenden Diskussionen der vergangenen zehn Jahre. Seinem Direk-tor Professor Raphael Gross danke ich für die Möglichkeit, im Juni 2015 im Rahmen der Jahreskonferenz zentrale Gedanken der Dissertation wei-terverfolgen zu können und für die Aufnahme des Buches in die Schriften-reihe. Kaum zu überschätzen ist die Arbeit der wissenschaftlichen Redak-tion des Instituts. Der Text und sein Autor haben in jeder Hinsicht von der Zusammenarbeit profitiert und ich danke herzlich dem gesamten Team, na-mentlich Petra Klara Gamke-Breitschopf sowie Philip Bockelmann, Ludwig Decke, Margarita Lerman und Juliane Pfeiffer. Das sensible wie gründliche Lektorat erfolgte durch Marcel Müller, für dessen Beharrlichkeit, seine kri-tischen Nachfragen und nicht zuletzt seine Duldsamkeit ich mich sehr be-danken möchte.

Die in diesem Buch erzählte Geschichte hat zahlreiche Protagonisten, von denen ich viele, wenn auch nicht alle, kennenlernen durfte. Mein be-sonderer Dank geht an Paul Breines, Dick Howard, Martin Jay, Richard Wolin sowie an Mary Piccone und die Telos-Redaktion, die mir Einblick in

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10 Vorwort

ihre privaten Materialien gewährt haben. David Bathrick, Andreas Huyssen und Anson Rabinbach haben mir die glückliche Möglichkeit eröffnet, im März 2015 Ergebnisse der Dissertation auf einer von New German Critique organisierten Konferenz vortragen zu können. Dank gebührt außerdem Andrew Arato (auf dessen Einladung hin ich einen Forschungsaufent-halt an der New School for Social Research in New York City wahrnehmen konnte), Seyla Benhabib, Robert D’Amico, Russell Berman, Paul Buhle, Jean Cohen, Jürgen Habermas, Jeffrey Herf, Robert Hullot-Kentor, Russell Jacoby, Douglas Kellner, Donald Kuspit, Timothy W. Luke, Shierry Weber Nicholsen, Moishe Postone, Jeremy J. Shapiro, John Tortorice (dem ich ver-danke, über Madison nicht nur geschrieben, sondern es auch besucht zu haben), Gary Ulmen und Jack Zipes. Sie alle waren unersetzlich für diese Arbeit und haben durch ihre Hilfsbereitschaft der Forschungserfahrung eine persönliche Ebene verliehen, von der die Dissertation selbst handelt. Für hilfreiche Gespräche, Einblicke in ihre Forschungen, Weitergabe von Materialien und Empfehlungen möchte ich mich zudem bei Dirk Braun-stein, Detlev Claussen, Philipp Felsch, Stefan Gandler, Peter-Erwin Jansen, Magnus Klaue, Doris Maja Krüger, Tim B. Müller, Alfons Söllner und Thomas Wheatland bedanken. Neben der Wisconsin Historical Society, dem Archivzentrum der University of Wisconsin-Madison sowie dem Universitätsarchiv der State University of New York at Buffalo danke ich da rüber hinaus Stephen Roeper aus dem Archivzentrum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Michael Schwarz aus dem Theodor W. Adorno Archiv. Für die Erlaubnis, die in Frankfurt aufbewahrten Dokumente aus den Nachlässen Herbert Marcuses und Leo Löwenthals verwenden zu können, bedanke ich mich bei den Rechte inha-bern Peter Marcuse, Susanne Löwenthal und Peter-Erwin Jansen (Rechte-bevollmächtigter der Familie Marcuse).

In den vergangenen sieben Jahren haben viele Menschen an den Höhen und Tiefen dieses Unterfangens teilgehabt. Sie hörten mir geduldig zu, hal-fen mir und sorgten dafür, dass es auch ein Leben jenseits der Dissertation gab. Hierfür, vor allem aber für ihre Freundschaft, danke ich Heiko Beyer, Pina Bock, Martin Eichler, Eric Fraunholz, David Jünger, David Kowalski, Felix Pankonin, Anna Pollmann, Alexandra Schauer, Spencer Sunshine, Blair Taylor, Sebastian Tränkle, Sarah Uhlman, Susan Wille und Roman Yos.

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle Jan Gerber. Weil sein Schreib-tisch in unmittelbarer Sicht- und Hörweite stand, war er wohl am meisten in die Arbeit an der Dissertation eingebunden und es gibt wenige Gedan-ken in ihr, die nicht mehrmals zwischen beiden Arbeitsplätzen hin und her wanderten. Für seine Freundschaft, Unterstützung, zahllose Lektüren und die zuweilen nötige Ablenkung danke ich ihm von Herzen.

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11Vorwort

Mein größter Dank – für einfach alles! – gilt Sabrina Walter sowie mei-ner Schwester Johanna und meinen Eltern Angelika und Matthias Zwarg. Ohne sie wäre nichts so gekommen, wie es gekommen ist; ihnen ist das Buch gewidmet.

Robert Zwarg Leipzig, im Herbst 2016

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1. Ende und Anfang

Rip van Winkle und Timofey Pnin sind Zeugen einer amerikanischen Er-fahrung. Dem einen widerfährt sie in einem tiefen Schlaf. Der titelgebende Protagonist von Washington Irvings Erzählung Rip van Winkle (1819) trinkt von einem geheimnisvollen Gebräu und erwacht in einer auf den Kopf ge-stellten Welt. Sein Haus ist verfallen, niemand erkennt ihn in seinem Dorf, selbst sein Hund hat ihn vergessen. Aus der Schenke, in der er gerne zu Gast war, ist inzwischen ein Hotel geworden. Wo einst ein Baum Schatten zu spenden pflegte, weht nun »eine Flagge, auf welcher eine sonderbare Zu-sammenstellung von Sternen und Streifen zu sehen war«.1 Rip van Winkle ist in einer holländischen Kolonie unter der Herrschaft des englischen Kö-nigs eingeschlafen und in Amerika erwacht, als »freier Bürger der Vereinig-ten Staaten«.2

Timofey Pnin erreicht Amerika nicht im Schlaf, sondern auf einem Schiff. New York und schließlich ein unscheinbares College an der Ost-küste sind die letzten Stationen seiner Flucht vor der Roten Armee im Jahr 1919. Tragikomisch inszeniert, folgt Vladimir Nabokovs 1957 erschienener Roman Pnin den Mühen seines Antihelden, den amerikanischen Alltag zu meistern. Widerwillig erlernt er die englische Sprache, die er verabscheut. Melancholisch klammert er sich an seine Herkunft und hält Vorlesungen und Seminare an der Fakultät für russische Sprache und Literatur, wo er als Karikatur eines Gelehrten europäischer Prägung wahrgenommen wird. Eine rechte Ankunft gelingt ihm nicht. Seine Frau Lisa, eine Exilrussin, die er bereits in Paris kennengelernt hat, verlässt ihn mit dem gemeinsamen Sohn. Der einzige Unterstützer an der Universität, der dafür sorgt, dass er seinen schlecht bezahlten Posten behalten darf, nimmt schließlich eine neue Stelle an und besiegelt damit Pnins berufliches Schicksal; Autor wie Erzäh-ler des Romans haben für »Happy Ends nichts übrig.  […] Unglück ist das Normale.«3 Mit unbekanntem Ziel verlässt Pnin die Stadt.

Irvings Erzählung und Nabokovs Roman sind divergierende Reflexio-nen eines Topos, der Amerika in seinem Selbstverständnis tief geprägt hat und zu einem utopischen Ideal und Mythos zugleich werden ließ: die Idee der Stiftung eines Gemeinwesens auf der Grundlage eines radikalen

1 Irving, Gottfried Crayon’s Skizzenbuch, 77.2 Ebd., 87.3 Nabokov, Pnin, 30. 

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Ende und Anfang 14

Neuanfangs, der alles Vorherige verblassen lässt. Washington Irving gestal-tet diese Geschichte als zwar verwirrende, aber schlussendlich befreiende, phantastische Verwandlung; Rip van Winkle ist eines der zentralen Doku-mente des amerikanischen Selbstbildes. Nabokov, der selbst in die Vereinig-ten Staaten emigrierte, lässt den Protagonisten seines letzten realistischen Romans diese Transformation in aller Härte spüren. Dem Neuanfang wohnt bei Nabokov etwas Tragisches inne, weil Herkunft und Vergangenheit nicht von einer Nacht auf die andere verschwinden. In den Erzählungen von Pnin und Rip van Winkle wird der Verlust von Geschichte beim Übergang vom kontinentalen Festland in die Vereinigten Staaten zum Text. Was aber, wenn Texte selbst diese Reise antreten? Warum und mit welchem Ausgang die Schriften der Kritischen Theorie den Ozean überquerten und ob es ihnen in Amerika erging wie Rip van Winkle oder Timofey Pnin – diesen Fragen widmet sich diese Studie.

Keine Nachkommen?

Als Max Horkheimer 1972 gefragt wurde, was ihn und die Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung bewogen habe, die »Frankfurter ›Schule zu stif-ten‹«,4 war seine Antwort diplomatisch. Solche Absichten hätten »so wenig bestanden […] wie bei vielen anderen ernsthaften Denkern«.5 Zu jener Zeit mussten diese Worte eigentümlich geklungen haben, bescheiden und sogar unaufrichtig. War es ein Zufall, dass in den Sechzigerjahren tausende Stu-dierende auf die Straße gingen und Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse zu ihren Vorbildern zählten? Sprachen die Hauptver-treter nicht selbst zuweilen im Namen einer Frankfurter Schule und taten einiges für ihre Institutionalisierung und Verbreitung?6 Musste nicht eine Verbindung bestehen zwischen dem gedruckten und gesprochenen Worte und den schließlich auch gewalttätigen Protesten, die Adorno das Verdikt des CDU-Politikers Alfred Dregger einbrachten, ein »geistiger Urheber des Terrorismus« gewesen zu sein?7

Ohne Zweifel war die sogenannte Frankfurter Schule ein zentraler  – wenngleich umkämpfter  – Bestandteil der intellektuellen und politischen Landschaft der postnazistischen Bundesrepublik. Ebenso unbestritten ist,

4 Horkheimer, Briefwechsel 1949–1973, Brief Max Horkheimers an Ghislaine Fischer, 21. Januar 1972, 793.

5 Ebd.6 Vgl. dazu ausführlich Demirović, Der nonkonformistische Intellektuelle; Açikgöz, Die

Permanenz der Kritischen Theorie; Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 727 f.7 Pohrt, Der Staatsfeind auf dem Lehrstuhl, 137.

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Keine Nachkommen? 15

dass die aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Denker aktiv daran gearbeitet haben, ihren Teil  zu einer umfassenden Demokratisierung im Land der Täter beizutragen und den Gehalt dessen, was sie als Kritische Theorie der Gesellschaft verstanden, durchaus programmatisch weiterzuge-ben. Horkheimers zögerliche Antwort mag jedoch nicht nur dem Unwillen geschuldet gewesen sein, sich dogmatisch festlegen zu lassen. Vielmehr scheint die Zurückweisung eines konkreten Stiftungsgedankens auf der Überzeugung zu beruhen, dass ein nicht rückgängig zu machender Bruch in der Geschichte solcherlei Absichten verhinderte und alles nach ihm unter das Zeichen des Zufalls stellte. »Ich soll an mir noch Befriedigung, Frieden finden«, fragt Horkheimer in einer späten Notiz, »da mein Leben doch den sinnlosen, unverdienten Zufall, das Unrecht, die Blindheit des Lebens über-haupt bezeugt, da ich mich schämen muß, noch dazusein?«8 Auch Adorno, wie Horkheimer ein »Entronnener«, kannte dieses Gefühl der Überlebens-schuld und hat ihm in der Minima Moralia Ausdruck verliehen: »[D]as Weiterleben selbst hat etwas Widersinniges wie die Träume, in denen man den Weltuntergang mitmacht und nach dessen Ende aus einem Kellerloch herauskriecht.«9

Schon bevor den Kritischen Theoretikern die von den Nationalsozialis-ten betriebene Judenvernichtung als eine historische Zäsur bewusst wurde, regte sich die Ahnung, dass nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das Fortleben ihrer Ideen auf dem Spiel stand. Am 27. November 1937 schrieb Adorno aus London einen Brief an seinen Freund Walter Benjamin, der sich drei Jahre später an der französisch-spanischen Grenze das Leben nehmen sollte. Darin fällt der Satz: »Die Tatsache, daß wir keine ›Nachkommen‹ ha-ben, fügt sich der Katastrophensituation stimmig ein.«10 Wenige Tage spä-ter folgte Adorno dem frühzeitig emigrierten Horkheimer nach New York, um dort die Arbeit am sogenannten Radio Project aufzunehmen. Adorno rechnete durchaus damit, nie wieder auf den europäischen Kontinent zu-rückzukehren.11 Horkheimer wiederum hatte im selben Jahr einen Auf-satz verfasst, der der Tradition, die später unter dem Etikett »Frankfurter Schule« subsumiert wurde, zum ersten Mal einen Namen gab: Traditionelle und kritische Theorie.12 Es handelt sich dabei um einen, wenn nicht den, pro-grammatischen Text der Kritischen Theorie seit ihren Anfängen am 1923

8 Horkheimer, Notizen 1949–1969, 405.9 Adorno, Minima Moralia, 41. Vgl. ausführlich Claussen, Überleben?

10 Adorno/Benjamin, Briefwechsel 1928–1940, Brief Theodor W. Adornos an Walter Benjamin, 27. November 1937, 300. Vgl. dazu Claussen, Ein letztes Genie, 23. 

11 Adorno/Benjamin, Briefwechsel 1928–1940, Brief Theodor W. Adornos an Walter Benjamin, 27. November 1937, 297.

12 Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie.

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Ende und Anfang 16

gegründeten Institut für Sozialforschung. Wie niemals zuvor oder danach ist der Aufsatz mit Reflexionen über die Zukunft jenes materialistischen, dialektischen Denkens durchsetzt, dessen Elaboration sich der Frankfurter Kreis gewidmet hatte. Optimistisch war Horkheimer freilich nicht. Denn die »Konstruktion der Gesellschaft unter dem Bilde einer radikalen Um-wandlung, das die Probe seiner realen Möglichkeit noch gar nicht bestanden hat, ermangelt […] des Vorzugs, vielen Subjekten gemeinsam zu sein«.13 An-gesichts der historischen Umstände, in denen diese Zeilen verfasst wurden, ist Horkheimers Skepsis nur allzu verständlich. »Heute, da die ganze Macht des Bestehenden zur Preisgabe aller Kultur und zur finstersten Barbarei hin-drängt, ist der Kreis wirklicher Solidarität ohnehin eng genug bemessen.«14 Und doch kam in dem Aufsatz auch der Wunsch zum Ausdruck, die nun-mehr an Kontur gewinnende, gewissermaßen verbindlich werdende Kriti-sche Theorie möge sich über den historischen Moment hinaus fortsetzen. Zwar benannte der Text kein revolutionäres Subjekt, richtete sich an keinen offensichtlichen Adressaten – ein Umstand, für den später die Metapher der Flaschenpost kanonisch werden sollte.15 Dennoch sprach Horkheimer von der noch jungen Kritischen Theorie bereits als Tradition, deren »Träger« ein-zig durch die »verbindende Erkenntnis« und das »Streben nach einem Zu-stand ohne Ausbeutung und Unterdrückung«16 zusammengehalten wer-den sollten. Die Bedingungen des Fortlebens dieses Denkens beschrieb Horkheimer wie folgt:

»Die möglichst strenge Weitergabe der kritischen Theorie ist freilich eine Bedingung ihres geschichtlichen Erfolgs; aber sie vollzieht sich nicht auf dem festen Grund einer eingeschliffenen Praxis und fixierter Verhaltensweisen, sondern vermittels des In-teresses an der Umwandlung, das sich zwar mit der herrschenden Ungerechtigkeit notwendig reproduziert, aber durch die Theorie selbst geformt und gelenkt werden soll und gleichzeitig wieder auf sie zurückwirkt.«17

In nuce enthält dieses Zitat nicht nur das Modell einer materialistischen Ideen geschichte, sondern es formuliert auch die Bedingungen eines auf Dauer angelegten Denk- beziehungsweise Schulzusammenhangs. Um als solcher überhaupt wahrgenommen zu werden, braucht es zunächst ein Minimum an inhaltlicher Kohärenz, ein synthetisches Prinzip, das den verschiedenen Elementen des begrifflichen Ensembles Form und Gestalt verleiht. Der zweite Teil des Satzes wiederum scheint auf die Ahnung zu re-

13 Ebd., 214. 14 Ebd., 215.15 Vgl. jüngst Dahmer, Translationen einer Flaschenpost.16 Horkheimer, Traditionelle und Kritische Theorie, 214 f.17 Ebd.

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agieren, dass in dieser Conditio sine qua non die Möglichkeit des Dogmatis-mus und der Erstarrung bereits enthalten ist. Deswegen betont Horkheimer so emphatisch die historische Veränderbarkeit der Kritischen Theorie. Die Zeiträume, die der Aufsatz dabei evoziert, erfordern dies geradezu. Bis ans »Ende der Epoche«, so Horkheimer mit Verve, währt »der Kampf um ihre richtige Fassung und Anwendung«.18 Um sich nicht zu entkoppeln, müssten Praxis und gelebte Erfahrung mit der Theorie in einem Wechselverhältnis stehen. Entgegen dem überindividuellen und transhistorischen Wahrheits-verständnis der traditionellen Theorie ist die Reflexion auf Geschichte kon-stitutiv für Kritik. »Niemand«, so Horkheimer, »kann sich zu einem anderen Subjekt machen als zu dem des geschichtlichen Augenblicks«.19

Freilich gilt das auch für den, der diese Zeilen schrieb. Und so mag es sein, dass Horkheimers Hoffnung auf eine Zukunft der Kritischen Theorie beträchtlich von den Möglichkeiten zehrte, die er sich von einer dauerhaf-ten Ansiedlung des Instituts in Amerika versprach. Als er den Aufsatz 1937 zur Veröffentlichung in der Zeitschrift für Sozialforschung verfasste, waren die neuen Räumlichkeiten an der Columbia University in New York bereits bezogen. Dass die Studien der Frankfurter sowie die »deutsche[n] geistes-wissenschaftliche[n] Traditionen« im Ausland fortgesetzt werden konnten, galt ihm als »besonderer Glücksfall«.20 Begeistert schrieb er seinen Eltern, die »Anteilnahme […] für wissenschaftliche Arbeiten« in Amerika sei »noch viel bedeutender als die in Europa«.21 Entsprechend bemühte sich Horkhei-mer, die Forschungen des Instituts stärker auf die amerikanische Realität hin auszurichten. Ab 1940 erschien die Zeitschrift unter einem neuen Titel, 1941 war die Mehrzahl der Beiträge in englischer Sprache verfasst und wid-mete sich zunehmend amerikanischen Themen. Am Weihnachtsabend des-selben Jahres äußerte Horkheimer gegenüber Marcuse die Hoffnung, das Institut könne sich in eine – und hier wechselt der Text unvermittelt ins Eng-lische – »self-supporting institution«22 verwandeln.

Der Gedanke, die Kritische Theorie sei möglicherweise in Amerika zu einem ihrer kämpferischsten Momente animiert worden, ist von einiger Tragweite. »Ohne die Vereinigten Staaten«, so Detlev Claussen, »würde es gar keine Kritische Theorie geben.«23 Damit ist nicht nur gemeint, dass nur durch die Flucht aus Amerika Horkheimer und die anderen überleben

18 Ebd., 215.19 Ebd., 213. 20 Horkheimer, Vorwort zum sechsten Jahrgang, 1.21 Horkheimer, Briefwechsel 1913–1936, Brief Max Horkheimers an Moritz und Babette

Horkheimer, 26. Juni 1934, 132.22 Horkheimer, Briefwechsel 1941–1948, Brief Max Horkheimers an Herbert Marcuse,

24. Dezember 1941, 236. 23 Claussen, Die amerikanische Erfahrung der Kritischen Theoretiker, 27. 

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konnten, sondern auch, dass die »amerikanische Erfahrung« von der Kriti-schen Theorie nicht zu trennen ist, weder auf der theoretischen noch auf der biografischen Ebene. Hier, in den Vereinigten Staaten, nimmt die kritische Gesellschaftstheorie des Frankfurter Kreises überhaupt erst Formen an; hier spitzt sich die Ahnung der integrativen Kräfte der bürgerlich-kapitalis-tischen Gesellschaft zur Erkenntnis ihrer sich in letzter Instanz selbst auf-hebenden Entwicklungsdynamik zu; hier erfolgt die Erweiterung des Be-griffs der bürgerlichen Gesellschaft hin zu einer umfassenden Dialektik der Aufklärung (das gleichnamige Buch erschien erstmals 1944 in einer mimeo-grafierten Ausgabe im New York Institute of Social Research); und hier be-ginnen die Kritischen Theoretiker mit einer dialektischen Aneignung der empirischen Sozialwissenschaften. So ist die Äußerung Adornos in einem in Frankfurt am Main abgeschickten Brief an Horkheimer, dass »für die Analyse der Gesellschaft drüben der bessere Standort ist als hier in der Kolonie«,24 ernst zu nehmen. Sie beruht auf der Überzeugung, vom Ort des Neuen falle gleichzeitig ein Licht auf das Alte. Ein Text wie Adornos Reflexionen zur Klassentheorie, geschrieben 1942, wird erst vor dem Hinter-grund des Exils in den Vereinigten Staaten ganz verständlich. Die Rede von der Klassenherrschaft, die sich anschickt, »die anonyme, objektive Form der Klasse zu überleben«,25 zehrt von der Erfahrung in einem Land, in dem Menschen »sich selber nicht als Klasse erfahren können«.26 So wird auch der Begriff der Entfremdung, an dem die marxistische Revolutionstheorie glaubte ansetzen zu können, fragwürdig. »Der Mann am laufenden Band bei Ford, der immer denselben Handgriff machen muß«, so Adorno, »weiß doch mit dem fertigen Wagen sehr wohl Bescheid, der kein Geheimnis enthält, das nicht nach dem Muster jenes Handgriffs vorzustellen wäre.«27 Anders gesagt: Die amerikanische Gegenwart erhellt die europäische Vergangen-heit. In den Worten Detlev Claussens, der am nachdrücklichsten auf diesen Umstand hingewiesen hat: Es war für die Kritischen Theoretiker »die ge-sellschaftsgeschichtliche Differenz zwischen Europa und Amerika, die zur Quelle des Erinnerungsvermögens wurde«.28

Dennoch sind Adorno und Horkheimer nach Deutschland zurückgekehrt. Zu den Gründen dieser Remigration zählt auch, dass die besonders von Horkheimer gehegten Hoffnungen, in Amerika Fuß zu fassen, schlichtweg unerfüllt blieben. Kaum etwas illustriert dies deutlicher als die inzwischen weitgehend vergessene Schrift Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, die

24 Horkheimer, Briefwechsel 1949–1973, Brief Theodor W. Adornos an Max Horkheimer, 27. Dezember 1949, 79.

25 Adorno, Reflexionen zur Klassentheorie, 377.26 Ebd.27 Ebd., 389. 28 Claussen, Die amerikanische Erfahrung der Kritischen Theoretiker, 35.

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im englischen Original den Titel Eclipse of Reason trug.29 Horkheimer hatte das bei Oxford Press verlegte Buch explizit für den amerikanischen Markt geschrieben und wollte damit das Denken der Kritischen Theorie dem eng-lischsprachigen Publikum näherbringen. Doch es war ein kolossaler Miss-erfolg. Eclipse of Reason wurde kaum rezensiert und schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung konnte man die Schrift billig auf den Wühltischen gro-ßer Buchhandlungen finden.30 Es gibt allerdings ein historisches Detail aus dem Umfeld von Horkheimers Studie, das ein Licht auf die subkutane Wir-kungsgeschichte der Kritischen Theorie wirft, der Rede vom Widersinn des Weiterlebens eine theoriegeschichtliche Dimension verleiht und in den re-zeptionsgeschichtlich Erkenntnis leitenden Begriff des Nachlebens über-führt. Denn einer der wenigen Leser von Eclipse of Reason, sogar noch vor Erscheinen des Buches, war kein anderer als C. Wright Mills, Autor des so-ziologischen Klassikers White Collar. The American Middle Class (1951) und einer der wichtigsten Vordenker der amerikanischen New Left.31 Mills hatte eng mit dem Soziologen Paul Lazarsfeld, der mit den Frankfurtern verbun-den war, zusammengearbeitet und kannte die Forschungen der Kritischen Theoretiker gut; möglicherweise wurde ihm deswegen das Manuskript von Horkheimers Eclipse of Reason zur Begutachtung vorgelegt. Der Soziologe war alles andere als überzeugt. Vor allem das letzte Kapitel, das sich mit dem amerikanischen Pragmatismus auseinandersetzte, so sein Urteil, müsse stark überarbeitet werden.32

Wie Horkheimer die Anmerkungen aufnahm, ist nicht überliefert. Fest steht jedoch, dass Mills’ Urteil in gewisser Weise vorwegnahm, was der Kri-tischen Theorie in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Amerika widerfuhr. Zwar war sie personell weiter in der Neuen Welt vertreten – Herbert Marcuse und Leo Löwenthal blieben in den Vereinigten Staaten, auch wenn vor allem

29 Vgl. dazu ausführlich Schmidt, »The Eclipse of Reason« and the End of the Frankfurt School in America.

30 Ebd., 76. Die Studie verzichtet bei sinngemäßen Paraphrasen auf ein vorangestelltes »vgl.«. Dieses wird lediglich bei Querverweisen im strengen Sinne benutzt. Auch im Fließtext erwähnte Texte werden in der Fußnote ohne »vgl.« angegeben.

31 Zur New Left vgl. Flacks, Die philosophischen und politischen Ursprünge der amerika-nischen New Left; Berman, Zappa meets Havel; Mattson, Intellectuals in Action; Buhle/McMillian (Hg.), The New Left Revisited; Buhle, Marxismus in den USA; Laslett/Lipset (Hg.), Failure of a Dream?; Katsiaficas, The Imagination of the New Left.

32 Schmidt, »The Eclipse of Reason« and the End of the Frankfurt School in America, 64. Später zeigte Mills große Wertschätzung für die Arbeit des Instituts für Sozialforschung und kontaktierte Horkheimer mehrfach. 1954 äußerte er sein Bedauern über die Rück-kehr Horkheimers und Adornos nach Westdeutschland und warb erfolglos für eine Wie-derauflage der Zeitschrift für Sozialforschung. Douglas Kellner vertritt die These, dass Mills’ Werk selbst stark von der Kritischen Theorie geprägt ist. Vgl. Keller, Kulturindus-trie und Massenkommunikation, 492.

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Marcuse zeitweise auf eine Rückkehr nach Europa hoffte.33 Als Denktradi-tion, wie zuletzt ausführlich in Thomas Wheatlands monumentaler Studie The Frankfurt School in Exile gezeigt wurde, spielte die Kritische Theorie trotz der vielfältigen Aktivitäten ihrer Protagonisten vorerst eine allen-falls untergründige Rolle. Vorerst. Denn paradoxerweise begannen Teile der durch C. Wright Mills inspirierten New Left just in dem Moment die Schrif-ten Horkheimers, Adornos und anderer zu entdecken und mit ihnen die gesamte Tradition des sogenannten Westlichen Marxismus, als sich in West-deutschland die Studentenbewegung mit den Mitgliedern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung überwarf. Der Rezeption der Kritischen Theo-rie in den Vereinigten Staaten seit den späten Sechzigerjahren, ihrem Nach-leben und ihren Transformationen gilt dieses Buch.34

Amerikanisches Nachleben

Im Begriff des Nachlebens liegt ein Moment der Irritation. Etwas lebt wei-ter, obwohl es eigentlich bereits vergangen oder  – wie sich unvermeid-lich aufdrängt – gestorben sein müsste. In weiteren Assoziationsketten ist dem Nachleben die Aura des Gespenster- und Phantomhaften eigen, die in den zitierten Äußerungen Adornos und Horkheimers zum verwandten Begriff des Überlebens geradezu existenzielle Bedeutung gewinnt. Es war Aby Warburg, der das Nachleben zur Erkenntnis leitenden Idee seiner For-schungen über die Renaissance erhob. Als »struktureller Begriff«, so jüngst Georges Didi-Huberman in dem außergewöhnlichen Buch Das Nachleben der Bilder, verbindet sich mit dem Nachleben ein Einspruch gegen zykli-sche und lineare Geschichtsvorstellungen. Jede Zeit, ja die Geschichte über-haupt, erweist sich vielmehr als »unrein« und »anachronistisch«,35 inso-fern als beide durchwirkt werden von vermeintlich Verblasstem und »jede

33 Vgl. Jansen, Etablierung im Exil.34 Die amerikanische Rezeption der Kritischen Theorie seit den Sechzigerjahren wurde bis-

her nicht ausführlich untersucht. Am weitesten in den hier zur Debatte stehenden Un-tersuchungszeitraum reicht die Studie von Thomas Wheatland The Frankfurt School in Exile. Wertvolle Hinweise lassen sich darüber hinaus folgenden Texten entnehmen: Abromeit, Max Horkheimer and the Foundations of the Frankfurt School; Rayman, Adorno’s American Reception; Hohendahl, Reappraisals of Critical Theory; Arato, Die Kritische Theorie in den USA; Grossman, The Reception of Walter Benjamin. Das der vorliegenden Arbeit verwandte Dissertationsprojekt von Jatin Wagle, der den Begriff der Übersetzung als Erkenntnis leitende Metapher nutzt, lag zum Zeitpunkt der Veröffent-lichung noch nicht vor. Vgl. Wagle, Of Unequal Immigrations; ders., The Untranslatable Translated. Die jüngst erschienene Habermas-Biografie behandelt dessen amerikanische Wirkung nur am Rande. Vgl. Müller-Doohm, Jürgen Habermas.

35 Didi-Huberman, Das Nachleben der Bilder, 88 f.

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Periode […] ihr eigener Knoten aus Altertümern, Anachronismen, Gegen-wärtigem und Ansätzen zu Künftigem«36 ist. Warum sollte die »theoreti-sche Lektion«37 im Begriff des Nachlebens nicht auch für die Geschichte der Ideen und Theorien fruchtbar gemacht werden können, zumal jenen, die als »Denkschulen« eminent mit der Herausforderung der Tradierung und Wei-tergabe konfrontiert sind?

Als die Kritischen Theoretiker aus Deutschland vertrieben wurden, ging zunächst verloren, was doch zu einer Grundbedingung der Schulbildung gehört: die Bindung an einen Ort. Für eine der ersten Denkschulen in der Geschichte des Wissens, die des jungen Platon, existiert ein Wort, das sich heute zwar entterritorialisiert hat, dessen Etymologie diese Ortsgebunden-heit aber noch enthält.38 Akadēmía ist ursprünglich der Name für einen Oli-venhain unweit von Athen, benannt nach seinem Besitzer, dem mythischen Heros Akademos. Das griechische scholē wiederum hat eine Bedeutung, die auf die Bedingung der Möglichkeit des unabhängigen Denkens zielt: Es heißt »Muße«, »freie Zeit«, »Ruhe«, »Freiheit von Staatsgeschäften« usw.39 In der Zuschreibung »Frankfurter Schule«, die ein Produkt der Nachkriegs-geschichte ist,40 schwingt noch mit, dass es ihren Vertretern bei aller Skep-sis doch ein Anliegen war, am ursprünglichen Orte die Arbeit wieder auf-zunehmen, nicht zuletzt weil damit ermöglicht wurde, was sich im Exil als schwierig erwies: die »Erlangung von Sekurität«.41

Dem Begriff der Schule ist zudem eine Ambivalenz eigen, die der Philo-so phiegeschichte traditionell Schwierigkeiten bereitet und von der Unter-scheidung zwischen orts- und problembedingten Schulen eher verdrängt als erklärt wird.42 Die Spannung zwischen Autor und Text, zwischen Ge-halt der Idee und dem Subjekt, das sie formuliert, ist tief in das Konzept der Denkschule eingelassen. Darauf weisen die verschiedenen, dem Sinn nach verwandten Redeformen hin; man spricht von »Programmatik«, »Rich-tung«, »Doktrin«, zuweilen gar von »Sekten«.43 Auch in Thomas S. Kuhns The Structure of Scientific Revolutions (1962) und seinem Begriff des Para-

36 Ebd., 95.37 Ebd., 79.38 Vgl. zum Folgenden Negt, Über Sinn und Unsinn philosophischer Schulbildungen, 6 f.

Zum Begriff der Schule aus (wissens-)soziologischer Sicht vgl. Szacki, »Schulen« in der Soziologie; Tiryakian, Die Bedeutung von Schulen für die Entwicklung der Soziologie.

39 Negt, Über Sinn und Unsinn philosophischer Schulbildungen, 6. 40 Zur Geschichte der Bezeichnung »Frankfurter Schule« vgl. Açikgöz, Die Permanenz der

Kritischen Theorie, 36 f.41 Horkheimer, Briefwechsel 1949–1973, Brief Theodor W. Adornos an Max Horkheimer,

27. Dezember 1949, 79.42 Vgl. ausführlich Açikgöz, Die Permanenz der Kritischen Theorie, 38.43 Szacki, »Schulen« in der Soziologie, 16.

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digmas gibt es Verbindungen zur Denkschule, zeichnet sich ein Paradigma doch dadurch aus, dass es als identitätsstiftend für eine wissenschaftliche Gemeinschaft ausgewiesen wird.44 Dennoch liegt der Fokus hier wie dort auf dem sachlich Kodifizierten. Wovon diese und andere Formeln mit einer im Grunde idealistischen Geste absehen, ist die materiale Dimension einer Denkschule, gleichsam die affektive Aufladung des Programmatischen, also die Tatsache, dass eine Schule aus lebendigen Subjekten besteht, deren Zu-sammenhalt sich durch weit komplexere Praktiken konstituieren, als es sich in der Programmatik reflektiert. Zur inhaltlichen Konzentration gehört nicht nur die Verdichtung an einem Ort, sondern auch die persönliche Bin-dung. Freilich unterliegt auch diese Sicht der Versuchung, dem Schillern der zwischenmenschlichen Verhältnisse oder dem »Charisma«45 zu erliegen; wann immer die Person den Vorrang erhält – wie in der Rede vom »George-Kreis« oder auch dem »Horkheimer-Kreis« – droht die Gefahr, in einen zum Familienroman sublimierten Subjektivismus zu verfallen.46

Diese Spannung hat die Begriffe »Kritische Theorie« und »Frankfurter Schule« in Westdeutschland nachhaltig affiziert und sie  – vor allem nach dem Tod der Gründungsväter – theoriepolitisch aufgeladen. Seitdem verbin-den sich mit der jeweiligen Terminologie Fragen der begrifflichen Kontinui-tät, Selbstbehauptungs- und Abgrenzungsgesten im akademischen Betrieb sowie Streitigkeiten um das korrekte oder verfälschende »Erbe«. Inzwi-schen hat es sich eingebürgert, von »Generationen« zu sprechen, worin be-reits per definitionem ein Fokus auf den personellen Verbindungen liegt, zwischen denen geistige Gehalte lediglich die Besitzer wechseln.47 Vor al-lem die sogenannte zweite Generation, verbunden mit dem Namen Jürgen Habermas, und jüngst die »dritte Generation«, als deren prominentester Vertreter Axel Honneth gilt, nehmen in diesen Historisierungsversuchen eine herausgehobene Stellung ein.48 Was die jeweiligen Generationen jen-seits ihres verbrieften Geburtsdatums an historischer Erfahrung zusam-

44 Açikgöz, Die Permanenz der Kritischen Theorie, 39.45 Max Webers Begriff des Charismas taucht oft in der Beschäftigung mit Denkschulen auf.

Siehe dazu Tiryakian, Die Bedeutung von Schulen für die Entwicklung der Soziologie, 41 f. Bezüglich der Frankfurter Schule fällt das Wort bei Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 10. 

46 Vgl. kritisch von Wussow, »Eine Karikatur der Theorie«.47 Im Wissen um die Gründe für eine geschlechtersensible Sprache, aber gleichwohl skeptisch

bezüglich deren Umsetzung, verwendet diese Arbeit in den meisten Fällen das generi-sche Maskulinum. Wo das Geschlechterverhältnis eine Rolle spielt, wird explizit im Text darauf hingewiesen.

48 Vgl. Açikgöz, Die Permanenz der Kritischen Theorie, 53–119 und bes. 125 f. Vgl. auch Anderson, The »Third Generation« of the Frankfurt School. Zur Kritik dieses Schemas Claussen, Kann die Kritische Theorie vererbt werden?

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menhält, ist allerdings keineswegs ausgemacht.49 Vielmehr ist mit Georg Kamphausen zu vermuten, dass das Denken in Generationszusammenhän-gen einem Substanzverlust der bürgerlichen Gesellschaft und der ihr zu-grundeliegenden Gruppenbegriffe entspricht. Intellektuelle werden nicht mehr als Stand oder Klasse verstanden, sondern als Schicksals- und Erleb-nisgemeinschaft. Zumeist erfolgt die systematische Rekonstruktion solcher Kohorten auch weniger entlang historischer Zusammenhänge als auf einer sachlichen Ebene unter Zuhilfenahme etablierter Argumentationsfiguren – paradigmatisch in Aufsatztiteln wie Von Adorno zu Habermas. Zum Gestalt-wandel kritischer Gesellschaftstheorie.50 Nicht nur im Falle der Kritischen Theorie wird dabei nach dem Modell einer idealtypischen Biografie verfah-ren, die von der optimistischen Jugend zum resignativen Alter verläuft, fein säuberlich die »frühe« von der »späten« Gestalt trennt und damit sowohl die Kontinuitäten als auch die Brüche der Tradition simplifiziert. Nicht nur aus Gründen der historischen Genauigkeit wird in dieser Arbeit die Bezeich-nung »Kritische Theorie« anstelle von »Frankfurter Schule« bevorzugt. Die-ser Präferenz entspricht eingestandenermaßen auch eine Affirmation der einst anvisierten Programmatik, einschließlich der Dialektik der Aufklä-rung und Adornos Programm einer negativen Dialektik, gegenüber der spä-ter durch Habermas dominierten und von anderen zur Gründungskraft der Bundesrepublik erklärten Neuschöpfung »Frankfurter Schule«.51

Wenn aber Programmatik und persönliche Verbundenheit zwei Para-meter einer Denkschule sind, was geschah dann, als die Kritische Theorie der Neuen Welt wieder den Rücken kehrte? Zunächst ließen Adorno und Horkheimer in den Vereinigten Staaten ein verstreutes Ensemble von Spu ren und Wegmarken zurück, das »Strandgut einer europäischen Erbschaft«,52 das gleich einem Gespenst die Nachkriegsgeschichte durchwandert und un-ter anderem in der Exilforschung sowie in Studien zum intellectual transfer ausführlich untersucht wurde.53 Zurück blieben eine Handvoll Veröffent-lichungen größerer und kleinerer Art, Erinnerungen an den reichhalti-gen wissenschaftlichen Austausch, aber vor allem Freunde, Mitstreiter, Be-kannte. Damit sind in erster Linie natürlich jene Mitglieder des Frankfurter

49 Vgl. Kamphausen, Die Erfindung Amerikas in der Kulturkritik der Generation von 1890, 43.

50 Honneth, Von Adorno zu Habermas.51 Diese Position wird vertreten in Albrecht u. a. (Hgg.), Die intellektuelle Gründung der

Bundesrepublik.52 Claussen, Die amerikanische Erfahrung der Kritischen Theoretiker, 35.53 Wheatland, The Frankfurt School in Exile; Claussen/Negt/Werz (Hgg.), Keine Kritische

Theorie ohne Amerika; Ziege, Antisemitismus und Gesellschaftstheorie; Claussen, Intel-lectual Transfer; Kettler (Hg.), Essays from the »No Happy End« Workshop; Jay, Perma-nent Exiles.

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Kreises gemeint, die nicht nach Deutschland zurückkehrten: Zuvorderst Marcuse und Löwenthal, aber auch Emigranten aus einem erweiterten Um-feld, wie der Soziologe Hans Gerth und der Ökonom Gerhard Meyer, und nicht zuletzt Personen, die die Kritischen Theoretiker zwar nicht persönlich kannten, mit ihnen und der deutschen Geistestradition aber vertraut wa-ren, wie der Historiker George L. Mosse. In gewisser Weise waren diese Ver-bindungen aber unsichtbar und die europäische Erfahrung blieb versiegelt. Wer sich vor dem Krieg im Umfeld der kommunistischen Bewegung enga-giert hatte, ging damit in Zeiten des Red Scare kaum hausieren. Die Einglie-derung ins amerikanische Gemeinwesen bedeutete, die Vergangenheit hin-ter sich zu lassen, und vor allem gegenüber Deutschen herrschte noch immer eine beträchtliche Skepsis. Dies änderte sich massiv in den Sechzigerjahren. Wie die Häuser eines Stadtteils, an denen man unzählige Male vorbeigelau-fen ist, ohne einmal hineinzugehen und deren Türen man eines Tages doch öffnet, wurde plötzlich eine historische Welt sichtbar, die für das Milieu der Studenten nichts weniger als eine Unknown Dimension – so der Titel eines Sammelbandes aus dem Kontext der New Left – darstellte.54

Wenn Konzentration  – die räumliche wie die intellektuelle  – eine der Voraussetzungen für die Konstitution einer Schule ist, dann wäre das an-gemessene Wort für die amerikanische Hinterlassenschaft der Kritischen Theorie nach dem Exil das der Zerstreuung. Von einer wie auch immer ge-arteten Schule der Kritischen Theorie in der zweiten Hälfte des 20.  Jahr-hunderts zu sprechen, ist insofern problematisch. Neuere Untersuchungen bemühen deshalb ebenfalls die Rede von einer »second« oder »third genera-tion«55 oder verwenden re-territorialisierende Begriffe wie »North American Critical Theory«.56 In jedem Falle steht mit dieser Zerstreuung auch infrage, was Horkheimer als eine Bedingung des »geschichtlichen Erfolgs« der Kri-tischen Theorie bezeichnet hatte, nämlich die »möglichst strenge Weiter-gabe«. Weit auseinander lagen die Orte, an denen man von den Frankfurter Theoretikern erfahren konnte. So fragmentiert waren die Überlieferungs-wege, ganz zu schweigen von der Zugänglichkeit der Texte, dass der innere Zusammenhang dessen, was Kritische Theorie genannt wurde, sowie die Tradition, aus der sie entstand, nicht der Ausgangspunkt für die Rezeption sein konnte, sondern höchstens ihr Resultat.

Und dennoch ist der Aneignung von Adornos, Horkheimers und Marcuses Schriften in Amerika eine Tendenz zur Verdichtung eigen, von der schwer zu sagen ist, ob sie Bedingung oder Ergebnis für das Nachleben der Kriti-schen Theorie war. So lassen sich in der Topografie Orte der personellen, in-

54 Howard/Klare (Hgg.), The Unknown Dimension. 55 McCarthy, Art. Critical Theory, 598. 56 Nickel, North American Critical Theory.

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tellektuellen und institutionellen Konzentration ausmachen wie New York, St. Louis im Bundesstaat Washington, das kalifornische Berkeley oder gera-dezu überdeterminierte Zusammenhänge wie in Madison, Wisconsin. Bei näherer Betrachtung sind all die verschiedenen Orte auf dem nordamerika-nischen Kontinent allerdings keineswegs isoliert und zufällig. Vielmehr ver-bindet sie ein spezifischer Blick auf Europa und sie gruppieren sich zu einer eigentümlichem Gestalt – wie die Sterne in einer astronomischen Konstel-lation. Sie alle interagieren in einem virtuellen Raum, der in seiner spezi-fischen Form recht eigentlich erst in den Sechzigerjahren entsteht: der Theo-riezeitschrift. Die zwei wichtigsten Medien dieser Art, Telos (gegründet 1968 in Buffalo) und New German Critique (gegründet 1973 in Madison), die seit-her eine außerordentliche Produktivität entfaltet haben, dienen der Unter-suchung als Gegenstand und Kompass zugleich.57 Sie weisen den Weg zu den personellen wie inhaltlichen Zusammenhängen, herausgehobenen Pro-tagonisten und prominenten Debatten, die die Frage beantworten können, warum die Kritische Theorie Ende der Sechzigerjahre so plötzlich von Inte-resse wurde und wie sie sich im Laufe ihrer Rezeption veränderte. Vor allem einer dieser Zeitschriften, die, wie sich zeigen wird, eine ganz eigene Dyna-mik entfaltete, ist auch das Ende des Untersuchungszeitraums abgelesen. Telos vollzieht in den Achtzigerjahren eine deutliche Distanzierung von der Kritischen Theorie und dem Westlichen Marxismus. Diese Entwicklung wird bereits damals als »konservative Wende« paraphrasiert,58 deren Hö-hepunkt in der zweiten Hälfte der Dekade ein Bruch innerhalb der Redak-tion bildet. Der Gegenstand der Kontroverse, die das Bild der Zeitschrift bis heute geprägt hat,59 ist die Auseinandersetzung mit einem der bekanntesten Anhänger des Nationalsozialismus, dem Staatsrechtler Carl Schmitt, des-sen Schriften – wie jüngst auch einige Werke von Ernst Jünger – durch den hauseigenen Verlag veröffentlicht und popularisiert wurden. Der einiger-maßen konturierte Denkraum Kritischer Theorie, der in den Sechzigerjah-ren entstanden war, hat sich seit 1989 jedenfalls ins Unüberschaubare ausdif-ferenziert und international einen nicht zu überblickenden Literaturkorpus hervorgebracht.60

57 Die herausgehobene Stellung der beiden Zeitschriften ist einigermaßen etabliert. Vgl. die Erwähnung in einer jüngeren Einführung: Bronner, Critical Theory, 89.

58 Vgl. stellvertretend Breines, Recalling Telos, 44. 59 Vgl. die Seitenbemerkung bei Niethammer, Kollektive Identität, 171 f.60 Für ausführliche Berichte zur Literatur bis 2009 vgl. Telos 146 (2009) mit dem Schwer-

punkt »Critical Theory. New Discussions« sowie die anhängige Literaturliste. Als rezep-tionsgeschichtliche Studien sind zu nennen: Faber/Ziege (Hgg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften nach 1945; Gómez, Die Kritische Theorie in Spanien; Traine, Die Frankfurter Schule und Lateinamerika; Gandler, Peripherer Marxismus; Amelung/Dippner (Hgg.), Die Rezeption der Frankfurter Schule in China.

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