60
1 OFFEN FüR NEUES Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016 OFFEN FüR NEUES

Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

1Offen für neues

Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTCAusgabe 10/2016

Offen für neues

Page 2: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

Was ist Neugier? Das Lexikon der Psychologie definiert

Neugier als einen Zustand, „der einhergeht mit einer erhöhten Bereitschaft eines Organismus,

sich neuen, ungewohnten und komplexen Situationen und Objekten auszusetzen bzw. diese aktiv aufzusuchen“. Es kann zwischen epistemischer und perzeptiver Neugier unterschieden werden. Bei Ersterer geht es um den reinen

Erkenntnisweg (griech.: epistéme, dt.: Wissen, Erkenntnis). Diese Art der Neugier wird ausgelöst, wenn sich

eine Person gedanklich mit Dingen beschäftigt und diese verstehen will.

Perzeptive Neugier (lat.: percipere, dt.: wahrnehmen) hingegen entsteht in einer Situation, in der man über

eine Wahrnehmung sofort dazu angeregt ist, mehr über eine Sache zu erfahren. Etwa wenn ein Kind vor einer Baustelle steht

und sich diese in der Situation genau ansehen

möchte.

Wo ist das Zentrum der Neugier

im menschlichen Gehirn? Wissenschafter haben herausgefunden,

dass das Zentrum der Neugier und damit der Ausgangspunkt von Innovation im Gehirn nicht

einer bestimmten Hirnregion zuzuordnen ist. Vielmehr geht es um die Verbindungsstärke

bestimmter Hirnregionen. Neugierige Menschen zeichnen sich vor allem durch eine besonders

gut funktionierende Verbindung von Striatum (Sitz des Belohnungssystems) und

Hippocampus (für bestimmte Gedächtnisfunktionen

zuständig) aus.1 Was ist der Unterschied zwischen

Invention und Innovation? Eine Invention ist eine Erfindung.

Hierbei kann es sich um eine bloße Idee, um eine auf wissenschaftlicher Methode

erforschte Erkenntnis oder um eine konkrete Konzeptentwicklung bis hin zum Prototypen

handeln. Die Invention ist jedoch in der vormarktlichen Phase verankert.

Erst wenn die Invention produziert und erfolgreich im Markt platziert ist,

spricht man von Innovation.

Mitarbeiter dieser Ausgabe Dipl.-Bw. Maren Baaz, Ancuta Barbu, Catherine Gottwald, Margit Hurich, Mag. (fH) Christian Huter, Mag. Claudia Kesche, Mag. Astrid Kuffner, MMag. ursula Messner, Dr. Daniela Müller, Dr. ruth reitmeier, DI Anna Vardai, silvia Wasserbacher-schwarzer, BA, MA, Armin Winter

Fotos Karin feitzinger; umschlag: Karin feitzingerGrafik Design, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation, Barbara Wais, MAKorrektorat Mag. Christina Preiner, vice-verbaDruck Hartpress

Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.Ausgabe 10/2016, erschienen im Oktober 2016

Download www.querspur.at

Impressum und Offenlegung

Medieninhaber und Herausgeber Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC), schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0www.oeamtc.atZVr-Zahl: 730335108, uID-nr.: ATu 36821301

Vereinszweck ist insbesondere die förderung der Mobilität unter Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.

Rechtsgeschäftliche VertretungDI Oliver schmerold, Verbandsdirektor Mag. Christoph Mondl, stellvertretender Verbandsdirektor

Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbhChefredaktion Dr. florian Moosbeckhofer (ÖAMTC), Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)Chefin vom Dienst silvia Wasserbacher-schwarzer, BA, MA

Offen für neuesQ

uelle

n: 1

. n

atur

e n

euro

scie

nce

Page 3: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

3Offen für neues

HeuteMit anderen Augen gegen den StromAus der eigenen Welt ausbrechen, um Neues zu schaffen.Von Ruth Reitmeier

Sesam öffne dichOrganisationen müssen sich schon heute für Innovationsaktivitäten öffnen, um auf der Überholspur zu bleiben. Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer

Meine IdeeExterne Ideengeber der ÖAMTC Future Challenge im Portrait.Von Astrid Kuffner

FuturnautenDie Jury-Mitglieder der ÖAMTC Future Challenge im Interview.Von Catherine Gottwald

Der Schlüssel zum ErfolgOb sich eine Innovation auf dem Markt durchsetzt, hängt von vielen Faktoren ab. Mitunter auch vom Zeitalter, in dem sie geschaffen wird. Von Astrid Bonk

Zeichen der ZeitBald wird Europa zum Eldorado für Start-ups.Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer

6

10

28

35

32

59

28

6

35

59

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

foto

: © s

hutte

rsto

ckfo

to: ©

Gün

ther

Huc

kIll

ustra

tion:

© B

arba

ra W

ais

Page 4: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

4

Was ist STARTS? STARTS

(SCIENCE + TECHNOLOGY + ARTS) ist ein von der Ars Electronica in Linz und im

Auftrag der Europäischen Kommission ausgeschriebener Preis, der Projekte an der

Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst auszeichnet. Der Hintergrund:

Jene Kunstprojekte sollen prämiert werden, die als Katalysator angesehen werden, um

wissenschaftliches und technologisches Know-how in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen

und innovative Prozesse anzustoßen. Dotiert ist der STARTS-Preis mit

zwei Mal 20.000 EUR. www.starts-prize.aec.at

Wie wichtig ist den Österreichern Wissenschaft?

Eine Studie im Auftrag des Wissenschaftsministeriums (BMWFW) ergab,

dass 92 % der Befragten (2.000 Erwachsene) Wissenschaft in Bezug auf Arbeitsplätze in Österreich

und den Wirtschaftsstandort insgesamt als sehr wichtig oder eher wichtig beurteilen. Der Einfluss von

Wissenschaft auf das internationale Ansehen, den Wohlstand und das tägliche Leben in Österreich

wird ähnlich hoch bewertet. Können sich die Menschen vorstellen, auch privat Geld für Wissenschaft und Forschung zu spenden?

Dieser Frage stimmten acht Prozent voll zu, 28 Prozent

stimmten eher zu.1

Was ist Citizen Science?

Als Citizen Science wird eine Arbeitsmethode bezeichnet, bei der

wissenschaftliche Projekte partizipativ mit interessierten Amateuren durchgeführt werden.2

Längere Tradition hat dies in der Vogelkunde oder Astronomie, wo es um die Erfassung und Verarbeitung sehr großer Datenmengen geht. In jüngerer Zeit wurde Citizen Science auch auf andere Bereiche übertragen. Etwa wird die Crowd nach spezifischen Lösungen für

sehr konkrete Fragestellungen, z. B. für neue Algorithmen, gefragt. Aber auch in der Wissenschaft können

Laienforscher unter dem Stichwort „partizipative Forschung“ einen großen Beitrag

leisten und schon in sehr frühen Phasen eingebunden werden. Zum Beispiel in der

Themensetzung und Formulierung von Forschungsfragen.

Seit wann gibt es Citizen Science?

In seiner heutigen, digital unterstützten Form erst seit wenigen Jahren. Die Idee dazu

ist aber nicht neu. Als eines der ersten Citizen Science-Projekte kann der Christmas Bird Count (dt.: Wintervogelzählung) angesehen werden, der im Jahr 1900 das erste Mal durchgeführt wurde. Anstatt der Tradition nachzugehen und Vögel zu jagen, schlug der US-amerikanische Ornithologe

Frank M. Chapman vor, die Vögel zu zählen. Heute nehmen an den jährlich stattfindenden

Vogelzählungen mehrere zehntausend Hobbyornithologen in den

USA und Kanada teil.

Offen für neuesQ

uelle

n: 1

. W

isse

nsch

afts

mon

itor 2

015;

2.

citi

zen-

scie

nce.

at

Page 5: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

5Offen für neues

54

56

46

42

50

19

14

24

38

MorgenMengenlehreCrowdsourcing wird in Zukunft immer öfter eine Rolle spielen. Die Methode ist aber kein Allheilmittel. Von Ruth Reitmeier

Kein Stau mehr auf der letzten MeileDas letzte Wegstück in der Lieferkette von Onlinebestellungen muss neu gedacht werden. Von Daniela Müller

Kunst zeigt neue Wege aufÜber Kunst, die Innovation anstößt. Christopher Lindinger von der Ars Electronica im Interview.Von Catherine Gottwald

Wissenschaft zum Mitmachen Open Innovation in der Wissenschaft. Drei Pioniere der Citizen Science im Interview. Von Astrid Kuffner

Ab in den UrlaubWie könnte eine Reise mit der Familie in Zukunft aussehen, wenn Ideen aus der ÖAMTC Future Challenge umgesetzt sind?Von Johanna Stieblehner

Zeit ist GeldDas fahrerlose Auto wird das Verkehrssystem verändern. Insassen wie Umwelt müssen sich auf die neue Art des Transports einstellen. Das wird dauern. Von Daniela Müller

Gesund werden in einer zweiten WeltDie Rehabilitation der Zukunft wird vermehrt auf virtuelle Realitäten und Maschinen setzen, die dem Menschen individuelles Feedback geben. Von Ruth Reitmeier

Start-upsSpannende Ideen zum Thema „Offen für Neues“. Von Ancuta Barbu

Die Kleidung denkt mitSmart-Clothes – Kleidung, die durch verwebte Hightech immer klüger wird und mitunter vor falschen Bewegungen warnt. Von Armin Winter

24

19

54

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

foto

: © w

aver

lyla

bs.c

omfo

to: ©

flo

rian

Vogg

ened

er

Page 6: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

6

Mit anderen Augen gegen den Strom

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

Page 7: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

7Offen für neues

In einer Wiener Bankfiliale hängt ein Bildschirm. Dort läuft das Security- Programm, das die Aktivität des Ein-gangsbereichs filmt und zeitgleich abspielt. Ein vielleicht fünfjähriges Mädchen beäugt zunächst fasziniert ihre Reflexion und beginnt dann wie vor einer interaktiven Spielkonsole zu tanzen. Da die Musik fehlt, singt sie selbst. Sie legt eine ziemlich gute Show hin, die endet, sobald ihr Vater seine Bankgeschäfte erledigt hat. Was dieses Beispiel zeigt: Das Kind hat es verstanden, einer Sicherheits-einrichtung einen ganz anderen Zweck zu verleihen, nämlich dem der Unterhaltung zur Überbrückung langweiliger Wartezeit.

Unkonventionelle Ideen sind heute in fast allen Berufen und Branchen gefragt, doch das ist gerade in fest-gefahrenen Strukturen ein Wider-spruch in sich. Tatsächlich führen Organisationen mit ihren tradierten Handlungsweisen nicht selten zu einer Fixiertheit der Belegschaft. Genau zu wissen, wie der Hase läuft und verinnerlichte Regeln stehen der Innovation im Weg. Das so oft ge-forderte „thinking outside the box“ ist schwierig, wenn man im „Kastl“ drinnen ist. In hochspezialisierten Fachabteilungen lässt es sich, wie es im Volksmund heißt, ungestört „im eigenen Saft schmoren“. Experten neigen dazu, auf ihr Tun so fixiert zu sein, dass sie keine Veranlassung sehen, Informationen mit anderen, die noch dazu weit weniger als sie selbst vom Fach verstehen, zu teilen. So soll es schon vorgekommen sein, dass in Großkonzernen zwei Abteilungen parallel an der Entwicklung des- selben Produkts gearbeitet haben

und es Monate dauerte, bis dies ans Tageslicht kam.

In der Managementliteratur nennt sich dieses Phänomen „Silodenken“ – ein etwas sperriger Begriff für das gän-gigere Wort „Inseldenken“. Die bri-tische Finanzjournalistin Gillian Tett analysiert die Auswirkungen dieses Denkens in ihrem aktuellen Buch „The Silo Effect“. Ihr Ausgangspunkt war die Finanzkrise 2008, für die Tett zu einem guten Teil Inseldenken ver-antwortlich macht. Nicht nur, dass, wie sich herausstellte, Abteilungen großer Finanzinstitutionen nicht mit-einander kommunizierten, operierte die Bankenwelt insgesamt in sich ab-geschottet.

Tett betont zwar, dass Silos durchaus ihre Berechtigung haben, dass es Kompetenzzentren braucht – denn wer will sich schon vom Orthopäden am offenen Herzen operieren lassen –, sie zeigt zugleich viele Fälle auf, wo es sinnvoll war, Fachbereiche zu öffnen und das Inseldenken zu überwinden.

Denn Fachfremde sehen Probleme und ihre Lösungen mitunter glasklar, die Experten mit Tunnelblick nicht wahrnehmen. Zuviel Wissen kann der Innovation durchaus im Wege stehen, nicht zuletzt deshalb, weil Dogmen verinnerlicht und mit dem Wissen verknüpfte Denkweisen als unverän-derlich angesehen werden. Es gibt zahlreiche Beispiele in der Wissen-

schaftsgeschichte, wo echte Durch-brüche von Fachfremden geleistet wurden. Inzwischen haben führende Forschungs institutionen wie z. B. die US-Raumfahrtbehörde NASA auch dieses Problem erkannt und laden Tüft-ler aus ganz anderen Fachgebieten und aller Welt dazu ein, ihre Probleme zu lö-sen (siehe Artikel „Mengenlehre“, S. 14).

Eine unkonventionelle Lösung ist gesucht. Was tun? Die Aufgaben-stellung erfordert einen Geistesblitz, doch der bleibt aus. Eine Idee muss her, eine ganz andere. Da stellt sich zunächst einmal die Frage, ob man dann eigentlich der/die Richtige für den Job ist. Denn wenn eine völlig andere Lösung gefragt ist, braucht es ja vielleicht jemand anderen dafür, den man sich kurzfristig dazu holen könnte. Oder zumindest einen ande-ren Zugang. Wenn der Druck steigt und trotzdem nichts kommt, hilft es vielleicht, sich bewusst zu machen, dass es keine Faustregel für Krea-tivität gibt.

Es gibt nicht nur einen Weg, doch ein ganz guter ist Blaumachen. Man soll ja schließlich entspannt an die Sache herangehen. Macht man sich jedoch mit dem fixen Plan nachmittags ins Freibad auf, dass einem dort beim Slalomschwimmen durch aufgekratzte Kinder der zündende Gedanke kom-men wird, ist das gemogelt und wird vermutlich nicht funktionieren. Denn die wirklich guten Einfälle passieren, wenn man eben nicht mit ihnen rech-net. Spontan. So bleiben vom ge-schwänzten Nachmittag im Freibad vermutlich ein leichter Sonnenbrand und die hohen Preise am Kiosk in Erinnerung, der Geistesblitz aber aus.

Neues VOllBRINGt, Wer BereIT DAZu IsT, AusZuBreCHen, MIT Den AuGen AnDerer Zu seHen unD BeI BeDArf In DIe TrICKKIsTe Der PsyCHOLOGIe Zu GreIfen. Von Ruth Reitmeier

sILODenKen VerHInDerT neue IDeen unD sCHAffT sO MAnCHes PrOBLeM

nICHT Zu unTersCHäTZen: DIe LÖsunGsIDeen VOn fACHfreMDen

KreATIVITäT enTsTeHT nICHT Auf KnOPfDruCK

TrADITIOn IsT MAnCHMAL AuCH eIn HInDernIs

Page 8: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

8

Man sollte sich wohl wilder, instinkti-ver ins Abenteuer des Neuen stürzen und in der Art von Werbeguru Don Draper, dem Helden der TV-Serie Mad Men, an die Dinge herangehen. Der setzt sich dann eben ins Auto und fährt drauflos, begegnet neuen Men-schen, sammelt Erfahrungen, um am Ende mit einer brillianten Idee für eine Werbekampagne in die New Yorker Agenturwelt zurückzukehren. Don Draper hat es natürlich leicht, denn er ist ein fiktiver Charakter, der sich die ausgedehnten Spritztouren erlauben kann. Denn einen Nachmittag einfach die Arbeit zu schwänzen ist das eine, sich jedoch wie Don über Wochen aus dem Staub zu machen, um sein eigenes Roadmovie zu leben, eine ganz andere Liga der Verantwortungslosigkeit, die nicht jedem möglich ist.

Wie kann man dennoch den Trott ausbremsen und zu neuen Ufern aufbrechen? Inzwischen ist ganz gut erforscht, wie man dem kreativen Denken auf die Sprünge helfen kann – etwa durch Perspektivenwechsel. Wer stets in den gleichen gedankli-chen Bahnen nach einer neuen Idee sucht, wird sie vermutlich nicht finden. Es empfiehlt sich, ab und an die Welt mit anderen Augen zu sehen. Aus der Psychologie wissen wir: Es ist vor allem das Ich, das uns dabei im Wege steht. Doch um anders zu denken, müssen wir zwischenzeitlich zum Ich auf Distanz gehen und uns vor-stellen, wir seien jemand anders. Durch solche Ausflüge der Fantasie läuft der Mensch aber nicht gleich Gefahr, beim Psychiater zu landen. Rollenwechsel ist schließlich des Schauspielers täglich Brot.

Distanz wirkt. Um Ideen auf die Sprünge zu helfen, kann es schon reichen, sich vorzumachen, dass der

Aufgabensteller oder Auftraggeber ein ganz anderer ist, am besten aus einem weit entfernten Land. Das Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ berichtet von einem Experiment, das der Psychologe Lile Jia an der Indiana University (USA) durchführte. Er beauf-tragte zwei Gruppen von Studenten, sich möglichst viele Transportmittel vorzustellen. Einer Gruppe gab er noch mit, dass die Aufgabenstellung von Griechen erdacht wurde. „Grie-chenland“ reichte, um die Fantasie der Studenten auf Reisen zu schicken. Das Team erdachte neben dem Standardprogramm einige unkonven-tionelle Transportmittel wie die Medi-tation oder Fortbewegung durch Rad-schlag.

Lässt der rettende Geistesblitz aber auf sich warten, ist es wichtiger denn je, gut zu schlafen. Der Beweis ist zwar noch nicht eindeutig erbracht, jedoch geht die Forschung davon aus, dass in traumreichen Tiefschlafphasen bestimmte, für die Impulskontrolle wichtige Gehirnregionen quasi dicht machen. Beim angeregt Träumenden sind also Kontrollsysteme herunter-gefahren und das entfesselte Gehirn verknüpft Informationen miteinander, die im Wachzustand wohl nicht zu-stande kämen. Fazit: Tief zu schlafen tut der Kreativität richtig gut. Und wenn trotz allem gar nichts kommt, empfehlen Experten, dazwischen an etwas anderem zu arbeiten. Das Neue lässt sich eben nicht erzwingen.

Multi(fa)kulti ist ein bewährtes Am-biente für Innovation. Der Unterneh-mensberater Frans Johansson zeigt in seinem Buch „The Medici Effect“, dass Kollisionen oder auch Kombina-tionen unterschiedlicher Fachgebiete Innovation hervorbringen. Die Men-schen hinter den großen Ideen be geben sich mitunter durchaus bewusst an interdisziplinäre Über-

schneidungspunkte, um dort ihre kreative Kraft zu entzünden. Wie etwa Architekt Mick Pearce, der durch die Verknüpfung von mensch-lichem Planen und jenem der Natur bahnbrechende Bauten geschaffen hat, wie den Büro- und Shopping-komplex Eastgate Centre in Harare (Simbabwe), der ohne Klimaanlage auskommt und trotzdem eine Innen-temperatur von 22 bis maximal 25 Grad hält. Pearce dienten dabei die Prinzipien des Termitenbaus als Vor-bild.

Johansson teilt ein paar Tricks mit seinen Lesern, wie man aus der Spur denkt oder etwa das genaue Gegenteil von gesicherten Fakten anzunehmen. Das funktioniert so: Wir wissen, dass im Restaurant Essen serviert wird. Die entgegengesetzte Behauptung lautet also: Im Restau-rant wird kein Essen serviert. Und dies kann der Grundstein eines Ge-schäftsmodells sein, wo Gäste ihr eigenes Essen mitbringen und dafür bezahlen, dass sie in einer schönen Location mit Freunden zusammen-kommen.

Doch machen wir uns nichts vor, gegen den Strom zu schwimmen ist schwer, Gruppendruck und Anders-sein stresst. Routine hingegen garan-tiert einen reibungslosen Alltag in der Komfortzone ohne allzu hohe Wellen und tiefe Konflikte. Mit völlig neuen Konzepten tun sich viele Menschen schwer und oft auch mit den Men-schen, die sie parat haben. Der Wis-senschaftsjournalist Jürgen Schaefer bringt es auf den Punkt, wenn er meint, Querdenker seien oft erst dann populär, wenn sie lange genug tot sind, im eigenen Team schätze man sie eher nicht. Zugleich braucht die Menschheit aber die unbequemen Spinner. Denn ohne Querdenker

In AnDeren fACHGeBIeTen nACH IDeen sTÖBern

DAs GenAue GeGenTeIL DenKen, uM Auf neues Zu KOMMen

DAs neue In DIe WeLT Zu BrInGen, IsT nICHT LeICHT

DIsTAnZ ZuM eIGenen ICH AufBAuen unD MIT AnDeren AuGen seHen

TräuMen ALs IDeen-TurBO

GrIeCHenLAnD ALs sTICHWOrT Der IMAGInATIOn

Page 9: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

9Offen für neues

säßen wir vermutlich noch in der Höhle. Alles, was wir heute wissen, war einmal gedankliches Neuland. Kreativität ist laut dem deutschen Physiker und Nobelpreisträger Gerd Binnig im Wesentlichen die Fähigkeit zur Evolution.

In der Geschichte der Wissenschaft wimmelt es von Fällen großer Denker, die zu ihren Lebzeiten für verrückt er-klärt wurden, darunter Galileo Galilei, der das Weltbild neu erfand, oder der Entdecker des Kindbettfiebers, Ignaz Semmelweis. Gerd Binnig beschreibt in seinem Buch „Aus dem Nichts“, dass ihm und den beiden anderen Er-findern des Rastertunnelmikroskops, für das die Wissenschafter 1986 den Nobelpreis entgegennahmen, zwar nicht gerade mit Scheiterhaufen oder Irrenanstalt gedroht wurde, doch auch ihnen schlug offene Aggres-sion aus Teilen der Scientific Commu-nity entgegen. „Es sind Leute zu uns ins Labor gekommen und haben uns

angeschrien, wir seien Lügner“, er-innert sich Binnig noch Jahre später. Der Physiker beschreibt die psycho-logischen Barrieren im wissenschaft-lich-kreativen Prozess anhand der ei-genen Erfahrung: Das Konzept des Rastertunnelmikroskops war entwickelt, dann wurde es gebaut. Die Realisier-ung hatte bereits fast ein Jahr an Zeit, Werkstattkosten und Arbeitseinsatz verschlungen, als sich das Erfinder-team eingestehen musste, dass es den falschen Weg eingeschlagen hatte. Das Ding funktionierte nicht.

Dies sei laut Binnig der wichtigste und zugleich schwerste Entschluss in der gesamten Entwicklung gewesen. Denn nicht nur die Mechaniker, son-dern die Wissenschafter selbst waren von sich enttäuscht. Sie brachen also die Arbeit am Prototyp ab, ohne Garantie, dass sie es beim nächsten Anlauf besser machen würden. Binnig betont, dass es, wenn auch sinnlos, viel leichter gewesen wäre,

noch eine Zeit lang daran herumzu-doktern. Sein Fazit: Die Angst vor Verachtung führt dazu, dass wir oft Dinge tun, von denen wir wissen, dass sie unsinnig sind. Im konkreten Fall nahm die Geschichte ein gutes Ende, der Neustart führte letztlich dazu, dass das Rastertunnelmikro-skop den Nobelpreis für Physik ab-räumte.

Ob man nun offen für das Neue ist, ist vor allem eine Lebenseinstellung. Das Geheimnis von Menschen, die mit dieser Grundhaltung durch ihr Leben gehen und sich nicht vor dem Neuen drücken, liegt nicht zuletzt darin, ihm wertfrei zu begegnen. Steht eine größere Entscheidung an, die vieles verändern wird, vertrauen sie zudem darauf, dass man, sollte sich diese zuletzt gefällte Entschei-dung als Fehler herausstellen, ja auch wieder eine neue treffen kann. •

Nicht selten nimmt man aufgrund des eigenen silodenkens nur einen kleinen Ausschnitt der Realität wahr. Durch die Brille eines anderen zu schauen, eröffnet oft einen ganz neuen Horizont.

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

DIe AnGsT VOr Der reAKTIOn AnDerer HeMMT InnOVATIOn

nACH eIner fALsCHen enTsCHeIDunG eInfACH eIne neue Treffen

GrOsse WIssensCHAfTer MITunTer VerKAnnT

Page 10: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

10

sesam öffne dich

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

Page 11: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

11Offen für neues

Der Chauffeur-Dienstleister Uber be-sitzt keine Fahrzeugflotte, der Online- Videodienst und Filmproduzent Net-flix keine Kinosäle, der Telefondienst Skype keine Telefon-Infrastruktur. Nur drei Beispiele für Unternehmen, die mit innovativen Geschäftsmodellen Erfolg haben. „Wenn Organisationen glauben, dass sie sich der Digitalisie-rung und den damit einhergehenden sehr schnellen sozialen und gesell-schaftlichen Veränderungen entzie-hen können, sind sie am Holzweg“, bringt es Werner Wutscher, Founder, Unternehmer und Start-up-Experte auf den Punkt. „Märkte und Gesell-schaft entwickeln sich in einem sehr hohen Tempo. Dem können Unterneh-men nur schwer nachkommen. Schon gar nicht, wenn sie sich nur auf in-terne Innovationsprozesse verlassen.“

Öffnung für Innovationszwecke ist nicht immer leicht. Kleineren Unternehmen fehlt es oftmals an Ressourcen. Große Unternehmen sind vor allem kulturell und mit ihren Compliance-Richtlinien oft meilenweit davon entfernt, auf schnellen Input von außen zu reagieren – sei es über Crowdsourcing-Prozesse, über den Input von Lead Usern, bzw. Experten (Anm.: besonders fortschrittliche Anwender, die für sehr spezifische Innovationsfragen gesucht und konsultiert werden können), oder über die Zusammenarbeit mit Start-ups. Und dennoch: Einige Organisa-

neTZWerK- GeseLLsCHAfT VerLAnGT ÖffnunG

Offene InnOVATIOn IsT nICHT Den GrOssKOnZernen VOrBeHALTen

„CuLTure eATs sTrATeGy fOr BreAKfAsT“ – unTerneHMensKuLTur KAnn InnOVATIOns- HeMMenD WIrKen

tionen haben den Schritt bereits ge-wagt, weil sie erkannt haben, dass neue Probleme nicht mit alten Lö-sungen bedient werden können. Die Fraunhofer-Gesellschaft befragte etwa gemeinsam mit der University of California in Berkeley 125 Führungs-kräfte aus Unternehmen in Europa und den USA, wie sie Open Inno va-tion (Anm.: offene Innovationspro-zesse) praktizieren. 78 Prozent der Befragten gaben an, seit mehreren Jahren einem offenen Innovationsan-satz zu folgen. Keines dieser Unter-nehmen ist bisher zum rein geschlos-senen Ansatz zurückgekehrt.

In die Reihe bekannter Großkonzerne und Multis, die offene Innovationspro-zesse fest in ihr System integriert ha-ben – etwa Siemens, Coca Cola oder Nestlé, reihen sich auch immer mehr kleinere Unternehmen, NGOs und Vereine ein. Etwa der ÖAMTC. Als größter Verein Österreichs mit über zwei Millionen Mitgliedern und einer 120-jährigen Geschichte hat der Mo-bilitätsclub im Herbst 2015 mit der Planung eines Crowdsourcing-Pro-zesses begonnen. Unter dem Titel „ÖAMTC Future Challenge“ wollte er sich als Mitgliederorganisation an eben diese und die breite Öffentlich-keit wenden. „Wir leben in einer Zeit, in der auch Mobilität einem starken Veränderungsprozess unterworfen ist. Es war klar, dass wir in die Frage, was wir tun können, um bei unseren Mitgliedern relevant zu sein und auch

zu bleiben, die Mitglieder selbst mit-einschließen müssen“, erklärt Florian Moosbeckhofer, Leiter der Abteilung Innovation und Mobilität im ÖAMTC. Über eine eigens eingerichtete Crowdsourcing-Plattform konnten alle Interessierten im Zeitraum April/Mai 2016 ihre Ideen zur Frage „Wie kann der ÖAMTC Menschen in ihrer Mobilität künftig noch besser unter-stützen?“ einreichen. „Wir haben nicht nur 450 Ideen und Konzepte erhalten, die inhaltlich sehr interes-sant waren. Es wurde uns auch ver-mittelt, wie der ÖAMTC wahrgenom-men wird.“ Viele Ideen beziehen sich auf Services, die nur dann funktionie-ren, wenn Kunden dem Anbieter stark vertrauen. Etwa der Vorschlag, dass der ÖAMTC einen Schlüssel-Notfall-dienst anbieten solle: Man hinterlegt einen Zweitschlüssel beim ÖAMTC. Schließt man sich aus der eigenen Wohnung aus, so könnte man einen Gelben Engel rufen, der zur Adresse kommt und nach Identitätsüberprü-fung den Schlüssel aushändigt. Hin-tergrund der Idee sei einerseits die ständige Erreichbarkeit des ÖAMTC, die bei Freunden und Nachbarn nicht gegeben ist. Zusätzlich würden teure Sicherheitsschlösser durch ein nöti-ges Aufbrechen durch einen Schlüs-seldienst nicht beschädigt werden.

In Österreich sind es noch nicht sehr viele Organisation, die sich für Innova tionszwecke öffnen, „obwohl wir durch die Digitalisierung und Globalisierung in einer Netzwerk-

In eIner DIGITALIsIerTen WeLT MIT HOCHDynAMIsCHen MArKTsTruKTuren sInD Alte lösuNGeN FüR Neue PROBleMe KeINe OPtION MeHR. Wenn sICH OrGAnIsATIOnen Zu InnOVATIOnsZWeCKen nICHT Öffnen, sInD sIe Auf Der VerLIerersTrAsse. neues VOn Aussen HereInZuHOLen, IsT ABer AuCH KeIn sPAZIerGAnG. Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer

Page 12: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

12

InTerne erWArTunGen sInD HeMMnIsse In InnOVATIOnsPrOjeKTenGesCHLOssene Türen

Aus AnGsT VOr DeM MACHTVerLusT

gesellschaft leben und die Voraus-setzung für Austausch und Koopera-tionen gegeben wären“, wie Ursula Maier-Rabler es beschreibt. Die stellvertretende Leiterin der Abteilung Center for Information and Communi-cation Technologies & Society im Fachbereich Kommunikationswissen-schaft der Universität Salzburg be-schäftigt sich schon lange mit diesem Thema. Umgelegt auf Organisationen bedeute dies, dass ein isoliertes Ar-beiten künftig nicht mehr funktioniere.

„In Österreich stehen wir aber vor der kulturell bedingten Herausforderung, dass man dem Teilen von Wissen und Information eher skeptisch gegen-

übersteht. Man hat Angst vor einem ökonomischen Machtverlust.“ Fort-schrittlichere Informationskulturen, wie Maier-Rabler sie nennt, fände man in skandinavischen Ländern wie Schweden, aber auch in England, Irland und den USA. Begründet sei das mitunter in einer protestantischen Wirtschaftsauffassung, bei der der Erfolg des Einzelnen als positiv emp-funden werde.

Ob eine offene Innovationsoffensive gelingt, hängt mitunter auch ganz stark von internen Prozessen und der Innovationskultur einer Organisation ab, etwa von den Erwartungen ver-schiedener Abteilungen die Ergeb-

nisse betreffend. Eine Studie der Fachhochschule Wels in Oberöster-reich ergab, dass interne Interessens-konflikte zwischen beteiligten Abtei-lungen für enttäuschte Erwartungen sorgen können: Versteht das Marketing ein Crowdsourcing-Projekt vor allem als Online-Kommunikation mit hohem Aufmerksamkeitsfaktor, erwartet die Produktentwicklung umsetzbare Inno-vationsideen. Um das zu über brücken, braucht es gezieltes Training für die Mitarbeiter. Die Lappeenranta Uni-versity of Technology in Finnland entwickelte beispielsweise ein Open Innovation Competence Model mit 26 Kernkompetenzen, die es sich als Mitarbeiter anzueignen gilt: Unter anderem sind darin Collaboration Skills (z. B. Networking, Aufbau von Vertrauen), Explorative Skills (z. B. Flexi bilität, Fehlertoleranz) und

Innovation durch öffnung: Der fahrtreppenhersteller schindler AG mit niederlassungen auf der ganzen Welt und vielen jahrzehnten an Tradition holt sich Innovations-Know-How auch aus analogen Märkten – Bereiche fern der eigenen Branche mit ähnlichen Problemstellungen, die bereits über interessante Lösungen verfügen.

foto

: © s

chin

dler

AG

Page 13: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

13Offen für neues

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

sogenannten exploitative Skills (Management von Schutzrechten, Verhandlungsgeschick) enthalten.

„Mutig sein, Risiko eingehen, Fehler zulassen“, sind aus Wutschers Erfah-rung die größten Herausforderungen für Organisationen, die sich zum ers-ten oder mitunter zweiten Mal zu In-novationszwecken nach außen hin öffnen. Einer, der dies bereits hinter sich hat, ist Thomas Novacek. Der Leiter der Forschungs- und Entwick-lungsabteilung des Fahrtreppenher-stellers Schindler AG mit Niederlas-sungen auf der ganzen Welt sieht in der Öffnung vor allem eines: Den ent-scheidenden Wettbewerbsvorteil. „Wir haben schon einige Open Inno-vation-Projekte durchgeführt. Innova-tion, abgeschottet von der Außenwelt, würde für uns nicht funktionieren.“

Der globale Wettbewerb sei enorm – ob im High-End-Bereich, in dem es vor allem um qualitativ sehr hochwertige Produkte gehe, oder im Low-End-Bereich, in dem vor allem der Preis das Geschäft bestimme.

„Wenn wir da mithalten wollen, vor allem mit der Konkurrenz aus China, müssen wir schauen, was um uns herum passiert.“ Ein Blick in soge-nannte analoge Märkte sei oft sehr gewinnbringend. Dabei handelt es sich um Bereiche fern der eigenen Branche mit ähnlichen Problemstel-lungen, die jedoch bereits über inte-ressante Lösungen verfügen. Daraus kann man lernen. Novacek, der wäh-rend seines Studiums an der US-Elite-Universität MIT in Boston erst-mals mit Open Innnovation-Methoden in Kontakt gekommen ist, schätzt den Vorsprung auf die Konkurrenz durch die Anwendung von Open Innovation-Methoden und -Prinzipien in der täg-lichen Entwicklungsarbeit auf meh-rere Jahre.

Zu traditionellen Organisationen zählen auch Universitäten. Diesen gelinge es schwer, aus ihrem Silo-denken herauszukommen. „Es gab immer wieder Versuche, interdiszipli-näre Institute zu etablieren“, so Maier-Rabler. Es hake aber an der Praxis, dass Förderungen vor allem an jene ausgegeben werden, die eng an ihrer Kerndisziplin forschen. „Die einge-reichten Projekte werden von Einzel-wissenschaftern begutachtet, die da-nach trachten, dass ihr Fachgebiet möglichst stark vertreten ist.“ Auch der Publikationsdruck in Fachzeit-

schriften fördere keine Kultur der Offenheit. Schließlich komme auch eine persönliche Komponente hinzu. „Wenn ich transdisziplinär arbeiten will, muss auch ich mich ändern. Ich muss den Fachbereich, aus dem ich komme, hinter mir lassen und mich auf andere und anderes einlassen. Sonst kann nichts Neues entstehen.“

Zurück zum ÖAMTC: Wie viele Ideen aus dem Crowdsourcing-Projekt tat-sächlich umgesetzt werden, kann Florian Moosbeckhofer heute noch nicht sagen. Man wolle jedenfalls rasch in eine Umsetzung kommen. Ein wichtiger Faktor sei es, mit den Ideen gebern und Ideengeberinnen weiter in Kontakt zu bleiben, um die Konzepte weiterentwickeln zu können. Auch Fokusgruppen seien vorstellbar. „Wir haben so viel wertvollen Input von außen bekommen, diesen Kanal möchten wir unbedingt offenhalten“, freut sich Moosbeckhofer. „Wir planen zwar derzeit kein neues Open Inno-vation-Projekt, möchten aber unbe-dingt für Ideen aus der Community offen sein. Über die E-Mailadresse [email protected] sind wir auch weiterhin erreichbar.“ Moosbeckhofer könne jedem nur empfehlen, einen offenen Innovationsprozess zu wagen, obwohl dahinter viel Arbeit stecke. „Und jetzt geht es ans Abarbeiten der vielen Ideen aus der ÖAMTC Future Challenge.“ •

sCHInDLer fAHrTrePPen ArBeITeT seIT jAHren MIT Offenen InnOVATIOnsMeTHODen

TrAnsDIsZIPLInäres ArBeITen AuCH für unIVersITäTen sCHWIerIG

ÖAMTC für IDeen Aus Der CrOWD WeITerHIn erreICHBAr

GesCHLOssene InnOVATIOn AufGrunD GLOBALen WeTTBeWerBs nICHT MeHr MÖGLICH

Organisationen können sich vor globalen Vernetzungen nicht mehr abschotten. Wer den Anschluss nicht verpassen will, muss offen sein und auch außerhalb seiner Organisation nach neuem suchen.

Page 14: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

14

Mengenlehre

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

Page 15: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

15Offen für neues

Polizeiliche Fahndungsfotos oder Wanted-Poster im Wilden Westen, die sich an Unbekannte richten, in der Hoffnung, dass sie über wertvolle Information verfügen, sind Crowd-sourcing in seiner Urform. „Die Ver-breitung des Internets markiert einen Paradigmenwechsel“, sagt der Ex-perte für webbasierte Innovation Thomas Gegenhuber von der Johannes Kepler Universität Linz. Mittlerweile richten sich Aufrufe zu allen möglichen Themen und Pro-blemstellungen an unterschiedliche Zielgruppen. Prinzipiell kann jeder Mensch eine Crowd erreichen und mobilisieren. Tatsächlich bedienen sich aber vor allem größere Unter-nehmen, Organisationen und Insti-tutionen dieser Kommunikationsform, und nicht überall, wo Crowdsourcing draufsteht, ist es auch drin. „Es ist teilweise ein Hype“, sagt Gertraud Leimüller, Expertin für Innovations-management, „die Bandbreite der Projekte reicht von der einfachen Su-che nach einem neuen Markenclaim bis hin zu differenzierten Aufgaben wie etwa technische Lösungen für sehr spezifische Industrieprobleme.“ In der Welt der Unternehmen wird ak-tuell intensiv experimentiert. Welche Standards sich dabei etablieren, wird die Zukunft zeigen. Als sicher gilt je- doch, dass es sich beim Crowdsourc-ing um mehr als eine Mode erscheinung handelt. Als Innovationsmethode ist es für Unternehmen wie Organisationen unverzichtbar geworden.

Die Crowd wird zumeist dann befragt, wenn sich Unternehmen auf der Su-che nach Innovation öffnen wollen

oder müssen, wenn es darum geht, Riesenprojekte zu verwirklichen oder, um neuartige Zugänge und Lösungen für ein Problem zu finden, an dem sich andere vergeblich die Zähne ausgebissen haben. Dabei geht es selten um die Lösung allein, sondern auch um das Einbeziehen der Men-schen, sei es, um eine direkte Ver-bindung zum Markt herzustellen und/oder um Projekt-Botschafter zu ge-winnen. Wer heute eine Crowd hat, also eine Gruppe an Menschen, die sich für die von einer Organisation zur Lösung gestellten Probleme in-teressiert und auch über das jeweils relevante Wissen verfügt, kann sich glücklich schätzen und ist gut be-raten, sie zu pflegen. Transparenz und Feedback sind das Um und Auf. Denn die Crowd ist das Kostbarste überhaupt. So kann Missbrauch des Instruments zu Marketingzwecken einem Unternehmen mehr schaden denn nutzen. „Menschen durch-schauen das und reagieren sehr empfindlich, sobald sie sich ausge-nutzt fühlen“, betont Leimüller.

Läuft es jedoch gut, vermag eine hochmotivierte Crowd innovative Lösungen zu finden, die anders kaum zu erbringen wären: Die US-Raum-fahrtbehörde NASA war mit ihrem Latein am Ende. Unzufrieden mit den eigenen Versuchen, ein Verfahren zur Vorhersage von Sonnenaktivität zu entwickeln – mehrere Jahre Arbeit und Ausgaben in zweistelliger Millio-nenhöhe hatten lediglich eine 55-pro-zentige Prognosesicherheit gebracht –, wandte sie sich 2010 an Innocentive, eine hochspezialisierte Crowdsour-

cingplattform, die über ein Netzwerk von mehr als 350.000 poten ziellen Problemlösern verfügt. Innocentive stellte den Aufruf samt Preisgeld von 30.000 US-Dollar für die beste Idee online. Innerhalb von drei Monaten interessierten sich 500 Personen aus 53 Ländern für das Problem, elf reichten Lösungsvorschläge ein.

Wettbewerbssieger wurde ein pensio-nierter Telekommunikationstechniker, dessen Lösung eine 81-prozentige Prognosesicherheit für Sonnenaktivi-tät liefert. Seine Methode stützt sich auf Daten, die von der Erde aus erho-ben werden können. Die NASA hatte zuvor – was sonst – ausschließlich Satellitendaten benutzt. „Ohne Crowdsourcing hätte man diesen Mann wohl nie gefunden“, sagt Ge-genhuber. Das Preisgeld ist übrigens meist nur ein erster Motivationsfaktor, sich eine Lösung für das Problem zu überlegen. Es gibt sogar Projekte, bei denen es gar keinen materiellen Preis gibt. Oftmals beteiligen sich die Menschen allein deshalb, weil ihnen die Lösung des Problems wirklich am Herzen liegt.Überhaupt scheint die NASA die Crowd als Talentepool entdeckt zu haben, bediente sie sich doch auf der Suche nach einem Algorithmus des Big-Data-Portals Kaggle. Dort trei-ben sich vorwiegend Datenexperten herum, die sich mit smarten Lösungen um attraktive Preisgelder matchen. Die Aufgabenstellung der NASA: Mit Hilfe von 100.000 Bildern von Galaxien sollten die Tüftler einen Al-gorithmus entwickeln, der Hinweise auf dunkle Materie aufspürt und so

BeIM CrOWDsOurCInG GeHT es nICHT IMMer nur uM neue IDeen

DIe nAsA nuTZT CrOWDsOurCInG seIT jAHren

DIe sOnnenAKTIVITäT VOn Der erDe Aus BesTIMMen

CROwDsOuRCING Ist eIN NOCH juNGes INNOVAtIONsINstRuMeNt MIt VIel POteNzIAl. WAs VOr WenIGen jAHren AufGrunD Der feHLenDen TeCHnOLOGIe nOCH nICHT MÖGLICH WAr, IsT HeuTe eIne VIeLGeLOBTe InnOVATIOnsMeTHODe. nICHT nur In Der WIrTsCHAfT, AuCH In Der WIssensCHAfT unD sOGAr In Der POLITIK GIBT es erfOLGreICHe PrOjeKTe. ABer nICHT jeDe frAGe KAnn DIe CrOWD, ALsO freIWILLIGe, DIe An eIneM CrOWDsOurCInG-PrOjeKT MITMACHen, BeAnTWOrTen.Von ruth reitmeier

Page 16: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

16

hilft, das Universum zu vermessen. In weniger als einer Woche stieß unerwarteterweise ein Cambridge-Student der Geologie, spezialisiert auf Gletscherkunde, auf eine Lösung, die mit den Ergebnissen der besten NASA-Experten durchaus mithalten konnte.

Crowdsourcing ist aber nicht die Lö-sung für jede Frage. Etwa, wenn eine Organisation schon weiß, was sie als Lösung für ein Problem ausschließen will. Oder wenn gewiss ist, dass sich die potenzielle Zahl derer, die eine Frage beantworten oder Ideen einrei-chen könnten, auf wenige Menschen weltweit beschränkt. Das ist bei ganz spezifischen Problemen der Fall. Hier sind andere Open Innovation-Metho-den zielführender, etwa die Suche nach Lead Usern.

Oft geht es in der Wissenschaft nicht nur darum, geniale Lösungen aus den Daten zu heben. Zunächst müssen diese erst gesammelt werden. Millionenfach. Die Forschung hat die Kapazitäten der Crowd längst für sich entdeckt, um Megaprojekte zu realisieren, die anders kaum finan-zierbar wären oder viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Damit Laien an solchen wissenschaftlichen Projekten mitarbeiten können, müs-sen sich Wissenschafter erst einmal vom Fachchinesisch verabschieden und die konkrete Aufgabenstellung verständlich formulieren. Gelingt das, so vermag die mobilisierte Masse wissenschaftliche Herkulesaufgaben zu übernehmen und effizient zu er-ledigen: Die von britischen und US-amerikanischen Forschern gegrün-

dete Plattform Galaxy Zoo lud bereits 2007 die breite Öffentlichkeit erst-mals ein, an der Klassifizierung von 900.000 Galaxien mitzuwirken. Sie nutzt dabei Fotos von Galaxien und kann von astronomischen Laien durchgeführt werden, die mit kurzen Fragen zum Bild informiert werden, worauf bei der Klassifizierung zu achten ist. Bereits am Tag nach dem Start der Plattform nahmen Interes-sierte bis zu 70.000 Klassifizierungen pro Stunde vor. Innerhalb von sieben Monaten wurden von 150.000 Per-sonen 50 Millionen Klassifizierungen geleistet – diese wurden mehrfach durchgeführt, um ein sicheres Ergeb-nis zu erhalten –, was einem Arbeits-einsatz von zirka 83 Mannjahren ent-spricht.

Mittlerweile wird die Crowd von der Scientific Community auch in andere durchaus fordernde Aufgaben einge-bunden. Ein aktuelles Beispiel ist das historische Projekt „Decoding the Civil War“, wo es um die Entschlüs-selung der Telegramme der US-Army aus dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) geht – Nachrichten von Präsident Abraham Lincoln inklusive. Die gegnerische Konföderations-armee hatte zwar immer wieder Nachrichten abgefangen, sie aber niemals entschlüsselt. Was damals nicht gelang, soll nun die Crowd schaffen. 15.971 Telegramme aus dem Archiv der Huntington Library in Kalifornien wurden jüngst auf der Wissenschaftsplattform Zooniverse online gestellt, in denen es auf den ersten Blick sinnlos um Zebra, Emma, Bologna und Tierkreiszeichen geht. Im Herbst 2016 wird mit dem De-codieren begonnen. Es soll gemein-schaftlich gearbeitet werden, zumal nur sechs der insgesamt zehn Deco-dierungsbücher die eineinhalb Jahr-

hunderte seit Ende des Sezessions-kriegs überstanden haben. Es wird also eine perfekte Kombination aus Software und Hirnschmalz nötig sein, um den Code zu knacken.

Selbst die Medizin öffnet sich für das wertvolle Wissen Betroffener, wenn etwa Forschungsfragen identifiziert werden sollen, die aus Sicht der Pa-tienten und/oder Angehörigen hoch relevant sind. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft startete 2014 ein euro-paweit einzigartiges Projekt und be-fragte Betroffene, was im Bereich psychischer Erkrankungen uner-forscht sei. Knapp 400 hochqualita-tive Beiträge wurden eingereicht. Auf Basis der Ergebnisse wurden neue Forschungsfragen formuliert, die schließlich in Ludwig Boltzmann Instituten bearbeitet werden (siehe Interview zum Open-Science-Pro-jekt der Ludwig Boltzmann Gesell-schaft, S. 40).

Das berühmte Zitat des österreichi-schen Schriftstellers Karl Kraus (1874–1936) „Ungerechtigkeit muss sein, sonst kommt man zu keinem Ende“ hat sich überholt. Gerade im Bereich der partizipatorischen Demokratie – sollen etwa Gesetze novelliert werden – kann die Crowd wertvollen Input geben. Auf diesem Gebiet ist Finnland ein Vorreiter, hat das nordische Land doch bereits mehrfach Vorschläge für Gesetze von seinen Bürgern eingeholt. „Getragen werden partizipatorische Projekte von einem Thinktank, der sich „Zukunfts-komitee der Regierung“ nennt, er-klärt die finnische Soziologin Tanja Aitamurto, die wissenschaftliche Beraterin des Komitees ist und an

AuCH In Der MeDIZIn sInD DIe AnTWOrTen Der CrOWD GefrAGT

InTeressIerTe enTsCHLüsseLn TeLeGrAMMe Aus DeM BürGerKrIeG

nICHT jeDe frAGe IsT GeeIGneT für DIe MenGe

IM BereICH Der WIssensCHAfT IsT üBerseTZunGs-LeIsTunG GefrAGT In fInnLAnD BrInGen

DIe BürGer IHre IDeen für neue GeseTZe eIn

Page 17: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

17Offen für neues

foto

: © s

hutte

rsto

ck

DIe BeArBeITunG Der DATenMenGe ALs GrOsse HerAusfOrDerunG

der US-Universität Stanford forscht. Der Thinktank steht hinter Policy- Making-Projekten wie diesem: In Finnland regelt ein eigenes Gesetz den Verkehr abseits der regulären Straßen. Das betrifft vor allem den Snowmobil-Verkehr in ländlichen Re-gionen. Vor drei Jahren entschied das Umweltministerium, dieses Gesetz zu überarbeiten und die Bürger einzube-ziehen. Dabei wurde die Crowd zu-nächst nach konkreten Problemen be-fragt. Im nächsten Schritt wurde sie aufgefordert, Lösungsvorschläge ein-zubringen. Die Plattform hatte zirka 10.000 Besucher, davon 1.000 regis-trierte, die insgesamt 4.000 Kommen-tare abgaben und 500 konkrete Ideen einsandten. Es zeigte sich, so Aitamurto, dass die Bürger das Mitgestalten als Empowerment empfunden haben. „Die Crowd muss gut gepflegt wer-den. Menschen, die sich engagieren, verbringen oft viele Stunden auf einer

Plattform. Deshalb ist es sehr wichtig, sie über Fortschritt und Ergebnis des Projekts zu informieren, ansonsten riskiert man, dass sie beim nächsten Mal nicht mehr mitmachen“, betont die Forscherin.

Der wissenschaftliche Beweis, dass durch Crowdsourcing bessere Ge-setze entstehen, steht noch aus. Die bisherigen internationalen Erfahrun-gen zeigen aber, dass die Komplexität von Problemen, die es gesetzlich zu regeln gilt, durch Crowdsourcing rea-litätsnaher erfasst wird. Noch nicht gelöst ist die Schwierigkeit, die Da-tenmengen zu bewältigen. Tausende Kommentare zu sichten und Vor-schläge zu evaluieren, ist vor allem

eines: viel Arbeit. In Stanford wird deshalb gerade das selbstlernende, automatisierte System Civic Crowd Analytics entwickelt, das mittels Spracherkennung die Beiträge der Crowd erfasst und ordnet. Wie über-all, wo es Komplexität zu bewältigen gilt, wird man künftig an Big-Data- Lösungen nicht vorbeikommen. Mobilitätsfragen sind hochkomplex und folglich eine perfekte Aufgabe für die Crowd. Der ÖAMTC stellte sich deshalb jüngst der „Future Challenge“ und lud die Öffentlichkeit ein, Ideen zur Frage einzureichen, wie sie künftig vom Club in ihrer Mobilität unterstützt werden wolle (siehe S. 18).Crowdsourcing ist eine sehr wirk-same Methode, um Problemlösungen oder neue Sichtweisen auf eine bestimmte Frage zu erhalten. Man darf den Aufwand, der hinter der Vorbereitung eines solchen Projektes steht, aber nicht unterschätzen, sagen

Auch im Bereich der Geschichtswissenschaften wird die Crowd um unterstützung gebeten. Das Archiv der Huntington Library in Kalifornien stellte kürzlich Telegramme aus dem us-amerikanischen Bürgerkrieg online, um sie von interessierten nutzern dechiffrieren zu lassen.

Page 18: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

18

Experten. Eine Schwierigkeit liege vor allem darin, die Frage, die man der Crowd stellt, so zu formulieren, dass sie von allen richtig verstanden wird. Die Frage bestimme das Er-gebnis.

Manchmal darf die Crowd auch ein-fach nur Spaß haben. Brendon Ferris, ein in der Dominikanischen Republik lebender Programmierer, gibt Laien auf crowdsound.net die Möglichkeit, eine Melodie zu komponieren. Das System funktioniert so: Die Crowd stimmt über die jeweils nächste Note ab. Was bisher vorliegt, ist eine ge-fällige Melodie mit ein paar interes-santen Stellen. Nach Vollendung der Komposition soll ein Liedtext in ähnli-cher Manier entstehen.

In der Welt der Unternehmen findet Crowdsourcing bislang vor allem im Big Business statt. Das ist wohl nicht zuletzt eine Kostenfrage. Hat jedoch ein junges Unternehmen Social-Me-dia-Kompetenz und eine Facebook-Community, lassen sich kleinere Pro-jekte auch dort abwickeln. Eine lokale Bäckerei könnte ihre Kunden danach fragen, wie sie sich das Brot der Zu-kunft vorstellen und auf diese Weise Feedback über Kundenwünsche und Ideen für neue Rezepte bekommen. Obwohl sich Unternehmen zusehends öffnen und die breite Masse in Inno-vationsaktivitäten einbeziehen, ver-gessen sie oftmals auf die eigenen Mitarbeiter. Gerade diese sind eine sehr wichtige Crowd, zumal sie viele gute Ideen haben. Das bestätigt auch

Gegenhuber: „Es hat sich gezeigt, dass sich auf Plattformen wie Local-motors, wo Designlösungen für die Autoindustrie gesucht sind, viele Mitarbeiter von Autokonzernen enga-gieren.“ Augenscheinlich bieten die Arbeitgeber diesen Freizeitdesignern im Job nicht genug Raum, sich kreativ auszutoben.

Die Zukunft des Crowdsourcing geht laut Experten in Richtung hybrider Systeme, wo sich Unternehmen in bestimmten Phasen für Ideen der Crowd öffnen, sich in anderen zurückziehen und intern an einer Lösung arbeiten. Leimüller: „Es ist ratsam, sich ganz am Anfang zu öffnen, um Fehlstarts und Flops zu vermeiden.“ •

Offene unD GesCHLOssene InnOVATIOn PArALLeL AnWenDen

CrOWDsOurCInG KAnn AuCH MIT WenIG ressOurCen eIn erfOLG WerDen

WenIGer ernsTe PrOjeKTe MACHen Den MensCHen AuCH sPAss

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

Die ÖAMTC FuTure CHAllenge: Ein Aufruf zur Suche nach den besten und innovativsten Ideen für Mobilitätsservices der Zukunft – ob für den Weg zur Arbeit, zum Sport oder in den Urlaub, ob mit Auto, Bus, Bahn, Flugzeug oder Fahrrad.Frage: „Wie kann der ÖAMTC Menschen in ihrer Mobilität künftig noch besser unterstützen?“ Zeitraum für ideeneinreichung: 5. 4.– 23. 5. 2016 ergebnisse:

454 eingereichte Ideen 801 Kommentare zu den Ideen 1358 registrierte User führten 823 Bewertungen der Ideen durch 3 Jury-Gewinner 3 Community-Gewinner 1 interner Gewinner 1 Sonderpreis

Page 19: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

19Offen für neues

DAs KrITIsCHe eLeMenT jeDer ONlINe-BestelluNG IsT DAs LeTZTe WeG-sTüCK. DIe LeTZTe MeILe VerursACHT MITunTer DIe HäLfTe Der GesAMTen TrAnsPOrTKOsTen, enOrM VIeL VerKeHr unD uMWeLTVersCHMuTZunG. DAs IsT GrunD GenuG, lOGIstIK KOMPlett Neu zu DeNKeN – ZuM BeIsPIeL sO Offen unD VerneTZT WIe DAs InTerneT. Von Daniela Müller

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

KeIn sTAu MeHr Auf Der LeTZTen MeILe

Page 20: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

20

Es gibt ein neues Wort, das die Liefer landschaft Europas verändert: Sofortness. Konsumenten, die ihre online bestellten Waren sofort haben wollen und Anbieter, die das ermög-lichen. Der Versandhändler Amazon entwickelte daraus ein neues Ge-schäftsmodell und nimmt die ge-samte Dienstleistungskette gleich selbst in die Hand. In Berlin betreibt das Unternehmen eine Lagerhalle mit 20.000 Artikel des täglichen Bedarfs – verpackte frische und tiefgekühlte Nahrung, Drogerieartikel, Getränke, Elektronik und Spielwaren – die per Algorithmen stets neu sortiert, aktualisiert und aussortiert werden, um nah an den Bedürfnissen und Wünschen der Sofortness-Kunden zu sein. Über eine App und eine Mitgliedschaft in Höhe von 49 Euro pro Jahr kann der Kunde nun online Waren bestellen, die innerhalb Ber-lins per E-Bike und damit ökologisch schonend zugestellt werden: Wer es besonders eilig hat, bekommt sie für eine zusätzliche Gebühr in Höhe von 6,99 Euro innerhalb von 60 Minuten. Wer mehr Geduld hat, kann sich ein Zeitfenster aussuchen, in dem die Ware gratis zugestellt wird, auf jeden Fall noch am selben Tag.

Konsumieren in neuen Dimensionen: Sofort, bequem und vielschichtig. Dem werden vor allem Online-Ein-käufe gerecht: Der Mausklick vom Sofa ist bequem und die Lieferung erfolgt immer schneller. Same-Day-Delivery, also die Lieferung noch am Tag der Bestellung, wird zur Norma-lität. Denn auch im Online-Handel steigt die Konkurrenz und der Kon-sument legt Wert auf rasche Liefe-rungen.

Dass Paketlieferungen für Unterneh-men teuer sind und auf Kosten der Umwelt gehen, weil abgestimmte Lo-gistikkonzepte mehr Theorie als Pra-xis sind, bleibt den Produktempfän-gern allerdings meist verborgen.

Die klassische Liefermethode ist nämlich komplex und ineffizient: Im sogenannten Vorlauf werden Waren von den verschiedenen Versendern, also den Händlern, bei denen die Kunden bestellt ha-ben, an einen zentralen Punkt, einen Hub, geschickt. Im anschließenden Hauptlauf wird die gesammelte Ware mit großen LKWs oder der Bahn vom Hub zum nächsten zentralen Punkt gefahren, von dem aus die Pakete zu den Empfängern gebracht werden. Das ist der sogenannte Nachlauf. Und genau hier liegt das Problem: Die sogenannte letzte Meile vom Ver-teilerzentrum zum Kunden ist der teu-erste Teil der Lieferung. Auf ihn entfal-len bis zu 50 Prozent der Kosten des klassischen Paketversandes, er-klärt Efrem Lengauer vom Forschungs-institut Logistikum der FH Steyr. Auch seine überproportional hohen CO2-Emissionen sind ein Thema.

Kostenwahrheit gibt es hier noch nicht: Um wettbewerbsfähig zu blei-ben, verzichten viele Onlinehändler auf die Einhebung von Versandkosten bei den Konsumenten. Deshalb müs-sen sie an anderer Stelle einsparen – mitunter auf Kosten der Mitarbeiter. Auch deshalb müssen die letzten Ki-lometer neu gedacht werden.

Jürgen Schrampf von der Logistik-beratung Econsult macht genau das und sucht unter dem Stichwort Smart Urban Logistics neue Logistik-konzepte für den Güterverkehr in Ballungsräumen: Je mehr online bestellt wird, desto mehr LKWs sind auf den Straßen unterwegs. Um Innenstädte vom Transportver-kehr und generell die Umwelt zu entlasten, muss die letzte Meile eines Paketes effizienter gestaltet werden. Für Schrampf geht es vor allem um eine Vernetzung bisher individuell agierender Akteure. Eine ökonomische Bewältigung der letzten Meile sei nur mit unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Systemen und einem Miteinander von Kurier-diensten, Logistik- und Handelsun-ternehmen sowie Start-ups möglich. Credo: Zusammenarbeit statt Kon-kurrenz. Ein wichtiger Treiber ist da-bei die Digitalisierung, durch die sich Logistik neu denken lässt: Kann der Warentransport künftig nicht ge-nauso wie jener von Information im Internet passieren – vernetzt, offen, ressourcenschonend? Die Idee wird unter Logistik-Experten als Physical Internet bezeichnet: Durch eine voll-ständige Öffnung aller Lager- und Transportkapazitäten unterschiedli-cher Anbieter sollen Transportkilo-meter so gering wie möglich gehalten und Leerfahrten vermieden werden. Konkret bedeutet das, dass die Wa-ren ihre optimale Route selbstständig bei den jeweils effizientesten „Ver-kehrsträgern“ finden, egal welcher Logistik-Dienstleister mit dem Trans-port beauftragt wurde. Dadurch wäre radikal weniger Transportaufwand nötig. Voraussetzung ist freilich, dass sämtliche Umschlag- und Lager-standorte aller beteiligten Logistik-

VOrLAuf, HAuPTLAuf, nACHLAuf: KOMPLexe LOGIsTIK VerursACHT HOHe KOsTen

eIn LÖsunGsAnsATZ HeIssT VerneTZunG

KunDen WünsCHen DIe LIeferunG AM seLBen TAG Der BesTeLLunG

KeIne KOsTenWAHrHeIT In Der LIeferKeTTe

Page 21: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

21Offen für neues

nicht nur in Berlin, auch in Wien könnte die Lieferung einer Onlinebestellung über Amazon bald nur mehr eine stunde dauern. um ein solches service auch abseits von Ballungsräumen möglich zu machen, werden von Amazon in Zusammenarbeit mit der Tu Graz Lieferdrohnen entwickelt. In einem bestimmten radius um ein Versandzentrum könne man so express-Lieferungen ermöglichen.

Page 22: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

22

unternehmen mit ihren Kapazitäten und Transportmitteln dem Netzwerk zur Verfügung stehen. Ja, mehr noch: Auch private PKWs können das Sys-tem ergänzen, indem Lenker Pakete mitnehmen, wenn sie ohnehin unter-wegs sind.

Allerdings: Bis heute ist die beste-chende Idee des Physical Internet nicht umgesetzt. IT-Systeme und die Abrechnung zwischen den beteiligten Unternehmen müssten vereinheitlicht, bestehende Logistik-Hubs und -Terminals weiterentwickelt werden: Von reinen Be- und Entladestellen sollten sie hochfrequente, effizienz-fördernde Netzwerkknoten der Ver-

kehrsträger werden. So würden sie mithelfen, Transportkilometer zu spa-ren, meint Schrampf. Sie sollten auch innovative Services anbieten, denen eine direkte Anbindung an ein Liefer-netz zugute kommt wie etwa Sharing- Points für Elektrofahrzeuge oder 3D-Druck-Center für die On-Demand-Produktion von Waren. Apropos Hub: Schon heute zeigt der Zustelldienst UPS in Hamburg eine Mini-Version davon. An den Stadt-rändern stehen Fahrzeuge oder Con-tainer, befüllt mit Paketen, die von Kurier diensten mit Elektrofahrzeugen abgeholt und in der Hamburger Innen-stadt ausliefert werden. Damit wird auch dem Umweltaspekt der letzten Meile Rechnung getragen. Über Nacht erfolgt dann die Neubefüllung. Auch wenn das Physical Internet noch Utopie ist, wird mit Teillösun-gen für die effizientere Gestaltung der letzten Meile intensiv experimentiert.

Um ein Paket schon bei der ersten Tour abladen zu können, auch wenn der Adressat nicht zuhause ist, wird der PKW-Kofferraum der Paketkun-den zum Depot umfunktio niert. Ferngesteuert, beziehungsweise per Code kann der Paketzusteller das Fahrzeug öffnen und das Paket hin-terlegen. Als Depot funktionieren auch die 2.700 Packstationen, die DHL Deutschland installiert hat. Pakete werden in den Packstationen vom Lieferanten hinterlassen, der Kunde erhält eine Nachricht auf sein Handy und kann das Paket 24 h pro Tag abholen. In Zukunft sollen sol-che Paketräume als fixe Einrichtungen in neuen Wohnanlagen bereitstehen, um auch den Weg des Kunden zu einer Station so gering wie möglich

Die schweizer Post testet ab september 2016 in den städten Bern, Köniz und Biberist selbstfahrende roboter, die im schritttempo auf Gehsteigen unterwegs sind und Pakete bis zu zehn Kilogramm transportieren können. Mit einem sMs „Ihre sendung ist da“ wird der empfänger über die Ankunft des roboters vor der Haustüre verständigt. Anfangs sind die roboter noch mit menschlichen Begleitern unterwegs.

PrOfessIOneLLe LOGIsTIKer unD PrIVATe PKWs ALs LOGIsTIKKOnZePT Der ZuKunfT

DerZeIT HILfT MAn sICH nOCH MIT TeILLÖsunGen

Page 23: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

23Offen für neues

zu halten und sie für alle Transpor-teure gegen Gebühr anzubieten.

Private PKWs in eine effiziente Paket-zustellung miteinzubeziehen, ist beim sogenannten Crowdsourced Delivery ein Schlüsselaspekt. Laut Fachhoch-schule Steyr legen die Österreicher pro Jahr in Summe 4,5 Mrd. Kilometer nur zum Zwecke des Einkaufens zu-rück. Diese Wege könnten genutzt werden, um Bestellungen für andere mitzunehmen. Beim öster-reichischen Unternehmen Checkro-bin sind bereits 21.000 Privatperso-nen registriert, die gegen eine zuvor vereinbarte Summe Pakete an den Zielort bringen.

In Österreich können Private der-zeit allerdings nur in einem streng begrenzten gesetzlichen Rahmen als Boten tätig sein, sprich, der pri-vate Bote darf für seine Dienste nicht mehr als das gesetzliche Kilometer-geld berechnen. Die Checkrobin-Be-treiber Hannes Jagerhofer, Niki Lauda und Attila Dogudan ärgert dies: Es sei eine soziale und umweltfreund-liche Sache, mit der Synergien im Sinne aller genutzt werden könnten, betont Jagerhofer. Im Herbst will man auf den deutschen Markt, wo die Jus-tiz über Crowd-Transporte nicht so streng urteilt. Jagerhofer jedenfalls sieht für Sharingangebote im städti-schen Bereich eine große Zukunft. Vielleicht mit Zusatzleistungen, wie kürzlich eine Checkrobin-Zustellung zeigte: Ein Fahrer hat den transpor-tierten Fernseher gleich beim Em-pfänger installiert.

Als Win-Win-Situation sieht auch Paul Brandstätter vom Wiener Boten-dienst Veloce seine App „Veloce liefert“, in der mittlerweile 10.000 Einkaufsmöglichkeiten in Wien ge-speichert sind. Der Kunde bestellt über die App, Veloce liefert. Brand-stätter wollte damit nicht nur den regionalen Handel stärken, sondern dank effizienter Logistik mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Nicht mehr der Einzelne geht ein kaufen, sondern ein Unternehmen beliefert Kunden nach einem klugen und effi zienten IT-System. Es hilft Kon-sumenten auch dabei, Leerfahrten zu vermeiden, wenn bestimmte Produkte gerade nicht verfügbar sind. Die Nach-frage nach solchen Diensten werde steigen, ist sich Brandstätter sicher.

Eine ganz andere Idee, die letzte Meile billiger und effizienter zu ma-chen, entwickeln die beiden Skype-Mitbegründer Janus Friis und Ahti Heinla. Sie setzen mit ihrem Unter-nehmen Starship Technologies auf Zustellroboter. Ihr Fahrzeug mit sechs Rädern und zehn Kilo Gewicht läuft derzeit im Testbetrieb in den USA und Großbritannien und ist in der Lage, eine noch überschaubare Wa-renmenge im Umkreis von fünf Kilo-metern auszuliefern. Es fährt mit rund sechs km/h auf dem Gehsteig, ist mit Sensoren und Kameras ausgestattet und kann Hindernissen ausweichen. Stationiert ist der Roboter in lokalen Lieferzentren, wo der Kunde über App seine Ware bestellt und zugleich bestimmt, wann sie bei ihm sein soll. Weil diese Zustellroboter rund um die Uhr im Einsatz sein können, sollen

auch die Kosten pro Zustellung viel geringer ausfallen, als bei herkömm-lichen Lieferdiensten, betont man bei Starship Technologies. Zudem surren bei den großen internationalen Unter-nehmen schon länger Drohnen zum Zwecke der Zustellung in der Luft. Großteils wird dies noch von recht-lichen Auflagen erschwert bis un-möglich gemacht, vielfach ist diese Liefermethode erst in der Testphase.

Das Unternehmen DHL hat bereits bekanntgegeben, dass es in abseh-barer Zeit sogenannte Paketkopter einsetzen möchte, um Lieferungen in geografisch schwer zugängliche Ge-biete durchzuführen. Ab Juli ist dies in Ruanda Realität: Per Drohnen wer-den Kliniken mit Medikamenten belie-fert. Im urbanen Gebiet sieht Efrem Lengauer vom Logistikum Steyr diese Zustellmöglichkeit als unwirtschaft-lich: Eine Drohne, wie sie in Öster-reich aktuell eingesetzt werden dürfe, könne ein, maximal zwei Pakete anlie-fern. In abgelegenen Regionen, wo-hin die Post aufgrund der Universal-dienstleistung transportiert werden muss, seien Drohnen allerdings sehr wohl eine Alternative, betont der Logistikexper te. Weite Strecken wegen einzelner Pakete mit dem Lie-ferwagen zu fahren, würde hinfällig.

Die Zeit für neue Logistikkonzepte drängt, betont Jürgen Schrampf. Denn nach dem Weißbuch der EU soll bis 2030 die innerstädtische Güterlogistik in den größeren Städten CO2-frei erfolgen. Es heißt also, in die Pedale treten. Die E-Bike-Lieferung von Amazon ist nur ein Anfang. •

ersTreITen unD ersITZen für LAnGfrIsTIGe nuTZunGCrOWDsOurCeD

DeLIVery – PrIVATPersOnen sInD AuCH LIeferAnTen

seLBsT eInKAufen Zu GeHen, WIrD In ZuKunfT WOMÖGLICH OBsOLeT

sKyPe-GrünDer enTWICKeLn ZusTeLLrOBOTer

AuCH DrOHnen KÖnnen PAKeTe LIefern

DIe eu GIBT VOr: BIs 2030 sOLLTe LOGIsTIK CO2-freI erfOLGen

Page 24: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

24

„Kunst zeigt ganz neue Wege auf“

foto

: © M

irjan

a r

ukav

ina

Christopher lindinger studierte Informatik an der Johannes Kepler Universität Linz und Kulturmanagement in Salzburg. Er beschäf-tigte sich mit hochkomplexen Visualisierungs-aufgaben und arbeitete als Wissenschafter im Bereich der Supercomputer-Visualisierung in Chicago für die NCSA (National Center for Supercomputing Applications) und die Welt-raumorganisation NASA, aber auch freiberuf-lich für die Computerspiele-Industrie.

Aufgrund seiner Aktivitäten im Bereich neuer Technologien, digitaler Kultur und Kunst ist er seit 1997 mit der Ars Electronica verbunden. Als Co-Direktor des Ars Electronica Future-lab verantwortet er den Bereich Forschung und Innovation. Seine Arbeit ist geprägt von Kooperationen mit internationalen Partnern, mit denen er gemeinsam unternehmens- oder organisationsinterne Innovationsstrategien ent- wickelt oder Konzeptionen und Entwicklungen

radikaler Innovationen für gesellschaftliche Zukunftsszenarien vorantreibt. In den vergan-genen Jahren arbeitete Lindinger in diesem Feld unter anderem mit Toshiba, Mercedes-Benz, Vodafone, Honda Robotics und Nokia zusam-men. Darüber hinaus berät er Kommunen und Regierungseinrichtungen im Aufbau kreativ-wirtschaftlicher Sektoren und ist als Lehrbe-auftragter an mehreren europäischen Univer-sitäten tätig.

Page 25: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

25Offen für neues

querspur: Herr Lindinger, Sie leiten den Bereich Forschung und Innovation im Ars Electronica Futurelab in Linz. Ist die Kunst eine Zukunftsmacherin? Christopher Lindinger: Grundsätz-lich ist immer die Frage: Wie versteht man Kunst? Und in welchem Kontext versteht man Kunst in der Innova-tion? Für mich gibt es zwei mögliche Zugänge: Einerseits hat Kunst eine gewisse Mission: Nämlich etwas aus einer bestehenden Struktur heraus zu nehmen, es zu verändern, es wieder in eine Struktur einzuführen und hierbei eine Irritation zu erzeugen. Was die Kunst eigentlich kann, ist eine Perspektivenverschiebung her-beizuführen. Diese Perspektivenver-schiebung kann entweder ästhetisch, intellektuell oder emotional sein. Das ist ein Potenzial von unschätzbarem Wert und somit auch eine gute Aus-gangslage aus Innovationssicht: Kunst zeigt neue gedankliche Zu-gänge und Herangehensweisen auf und/oder trägt wesentlich dazu bei, diese neuen Wege überhaupt zu ent-decken. Darüber hinaus ist Kunst eine forschende Wissenschaft.

querspur: Kunst hat verschiedene Funktionen in der Gesellschaft, mit-unter komplexe oder abstrakte wissen-schaftliche Inhalte sichtbar zu machen und für Laien zu übersetzen. Was sind für Sie die Dimensionen der Kunst? Lindinger: Natürlich schafft es Kunst, komplexe wissenschaftliche Zusam-menhänge einfacher darzustellen.

Und natürlich gelingt es der Kunst, beispielsweise schwer lesbare medizi-nische Daten so aufzubereiten, dass sie für Laien verständlich interpretiert werden können. Das „aesthetic usabil ity principle“ besagt ja, dass Dinge, die ästhetisch aufbereitet sind, eher verwendet werden. Das ist aller-dings eine kommunikative Aufgabe. Ich sehe die Kunst als forschende Wissenschaft an. Kunst forscht; sie bedient sich eben nur anderer Me-thoden als „die Wissenschaft“. Das Übersetzen von wissenschaftlichen Zusammenhängen steht für mich daher nicht so sehr im Zentrum. Der Maler und Objektkünstler Marcel Duchamps (Anm.: 1887–1968) hat gesagt: „I don’t believe in art. I be-lieve in artists.“ („Ich glaube nicht an die Kunst. Ich glaube an Künst-ler.“) Eine Philosophie, nach der auch wir im Ars Electronica Futurelab le-ben. Konkret bedeutet das, dass wir Kunstproduktionen so gestalten, dass sie relativ frei von Vorgaben ablaufen, Experimente zulassen und Transfor-mationen anregen.

querspur: Wie setzen Sie das um?Lindinger: Was uns im Innovations-kontext primär interessiert, ist den Künstler mit innovativen Suchfeldern, das heißt Aufgaben- und Themenbe-reichen, zu konfrontieren. Diese kön-nen beispielsweise im Unternehme-rischen liegen. In diesem Prozess soll nicht nur nachgedacht und erarbeitet werden, was Lösungen sein können,

sondern auch vorab, wo die verdeck-ten Fragestellungen und Probleme liegen. Es geht ja nicht nur immer da-rum, dass man in der Innovation eine Lösung findet, sondern darum, zuerst einmal die Frage zu identifizieren.

querspur: Sind Kunstschaffende prinzipiell innovationsfreudig? Lindinger: Für uns ist interessant, dass Künstler von ihrem Wesen her mehr oder weniger „professionelle risk takers“, also Hasardeure, sind. Sie sind es gewohnt, Risiken einzu-gehen, sich auf Experimente ein-zulassen und etwas zu produzieren, was einer Öffentlichkeit standhalten muss. Diese Herausforderungen an-zunehmen oder dieses Kapital mitzu-bringen, ist für Innovationsprozesse wahnsinnig befruchtend. Risikofreu-digkeit und/oder Out-of-the-Box-Denken sind hierbei Voraussetzung. Künstlerische Arbeiten folgen nicht immer einer logischen Konsequenz. Nicht die rasche, pragmatische Pro-blemlösung steht im Zentrum, son-dern das Experiment. Erst das kon-krete Experiment, der Moment, in dem du anfängst zu bauen, beantwor-tet dir Fragen, die du dir in der Theo-rie nie gestellt hättest. Und das ist ge-nau das Spannende, eine physische

KünsTLer sInD Per se rIsIKOfreuDIG. DAs IsT eIn InnOVATIOnsVOrTeIL

KünsTLer sInD VOn nATur Aus exPerIMenTIerfreuDIG. AuCH weIl Neues zu eRFORsCHeN uND RIsIKeN eINzuGeHeN, Als KeRN KüNstleRIsCHeR ARBeIt GIlt. Der BeITrAG, Den KunsT Zu InnOVATIOnen MIT HOHeM GeseLLsCHAfTLICHeM nuTZen LeIsTen KAnn, IsT MITunTer GrOss. Das Gespräch führte Catherine Gottwald

Page 26: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

26

fOrsCHunG In Der KunsT IsT nICHT sO sTArK DurCH MeTHODen reGLeMenTIerT

KuLTurreVOLuTIOn: seLBsTfAHrenDes AuTO

Komponente, nicht nur etwas, das nur auf dem Papier stattfindet. Das Expe-riment, die Konfrontation mit der Öf-fentlichkeit, die Rückschlüsse daraus und der Erkenntnisgewinn sind Cha-rakteristika des künstlerischen Zu-gangs.

querspur: In welchem Ausmaß sind künstlerische Arbeiten Anstoß für tatsächlich umgesetzte Innovation, etwa im Bereich der Technik? Lindinger: Dazu fallen mir zwei Beispiele zum Thema Roboter ein: Das eine sind die „Oribots“ des australischen Künstlers und lang-jährigen Futurelab-Mitarbeiters Matthew Gardiner, der sich intensiv mit Origami und Faltungen und deren künstlerischen Wirkung auseinan-dersetzt. Seine Roboterblumen sind einzelne Kunstwerke. „Ori“ kommt vom japanischen Wort für falten und „bots“ von Roboter – sozusagen „ge-faltete Roboter“. Sie sehen wie Blu-men aus und funktionieren so, dass die Blumenblätter, die aus diesen Fal-tungen bestehen, durch ihre Refle-xionsbeschaffenheit auf- und zu ge-hen und von kleinen LEDs von innen beleuchtet werden, wenn man näher kommt. Die LEDs sitzen dort, wo bei normalen Blumen der Blütenstem-pel ist. Das ist ein schönes kleines Projekt. Was als ästhetisches Expe-riment ohne konkrete Aufgabenstel-lung für die Industrie begonnen hat, findet jetzt Verwendung in der Me-dizintechnik: Eine japanische Firma arbeitet an einem Patent für Herz-schrittmacher nach dem Prinzip der

„Oribots“ (Anm. d. Red.: Mehr kann über das Projekt an dieser Stelle nicht berichtet werden, da sich das Patent zu Redaktionsschluss noch in Anmel-destatus befindet). In diesem Fall ha-ben wir die künstlerische Arbeit von Matthew Gardiner mit Wirtschafts-treibenden durchdiskutiert und sind zu diesem Ergebnis gekommen.

Ein weiteres Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit Daimler und Mercedes-Benz zur Erforschung von Mensch-Maschine-Interaktions-

szena rien. Das selbstfahrende Auto stellt eine der größten kulturellen Re-volutionen dar, die vor uns stehen. Wie ändert sich also unsere Kultur und was wären Lösungen im spekulativen Sinne, wie könnte man an diese Fragestel-lungen herangehen?

Wir haben uns mit der Außenkom-munikation von Roboter-Autos be-schäftigt und der Frage, wie das au-tonome Auto mit seiner Umwelt, also mit Fußgängern, Radfahrern oder an-deren Fahrzeugen interagiert, wenn, anders, als bei konventionellen Fahr-zeugen, Blickkontakt oder Gesten fehlen. Was es braucht, ist eine Art „informiertes Vertrauen“ in den Ro-boter, wir nennen es „informed trust“, damit alle Verkehrsteilnehmer sich im Straßenverkehr sicher fühlen. Ge-meinsam mit Künstlern und Künst-lerinnen aus dem Ars Electronica Futurelab haben wir in einem Inno-vationsprozess angefangen, eine Art funktionale Sprache zu entwickeln, einen Grundwortschatz. Alles, was ein Auto an einen Fußgänger kom-munizieren müsste.

Wir haben das dann mit unterschied-lichen Experimentierfeldern erprobt, was funktionieren könnte, und im Zuge dieser Forschung ist auch der F015 entstanden – ein Prototyp eines selbstfahrenden Autos von Daimler, der vor eineinhalb Jahren vorgestellt worden ist.

querspur: Was ist der Weg, der in der Kunst eingeschlagen wird, um Neues zu entdecken?Lindinger: Auch in künstlerischen Forschungsprojekten gibt es Metho-den, diese sind aber bis zu einem be-

stimmten Grad offener. Wenn man sich im Vergleich dazu traditionelle Forschung anschaut, dann gibt es in jeder Disziplin eine gewisse Methode. Diese Methode ist natürlich immer mit gewissen Schwierigkeiten ver-bunden, weil die Methoden eigent-lich dazu erfunden worden sind, dass man wissenschaftliche Ergebnisse zu-einander vergleicht. Mittlerweile ha-ben sich Methoden in manchen Be-reichen so stark etabliert, dass sie fast zwangsweise den Weg darstellen, den man gehen muss.

querspur: Werden Künstler wegen der oft spielerisch oder dekorativ anmuten-den Auseinandersetzung mit einer The-matik von wissenschaftlicher Seite als Partner ernst genommen?Lindinger: Hier muss man zwischen industriellen Innovationprozessen und dem Bereich Kunst und Wis-senschaft unterscheiden. Das sind wirklich zwei unterschiedliche Paar Schuhe. In der Industrie oder in industrielleren Projekten geht es wirklich um die Suche. Hier wird Kunst, sobald man zusammenarbei-tet, automatisch als eine Möglichkeit, Neues oder neue Ansätze zu finden, respektiert. Im wissenschaftlichen Kontext ist es schwieriger: Wissenschaft erzeugt Erkenntnisgewinn. Publikationen gelten als höchstes Gut für den wis-senschaftlichen Output. Wenn Künstlern in diese bereits existie-renden starken wissenschaftlichen Strukturen- und Systeme kein Zutritt gewährt wird und eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Kunst und Wis-senschaft nicht stattfindet, entsteht ein Missverhältnis. Dem muss man eben entgegenwirken.

querspur: Wie und unter welchen Um-ständen gelingt eine derartige Zusam-menarbeit?Lindinger: Wir versuchen Künstler-innen und Künstler an die vorderste Front der wissenschaftlichen Erkennt- nis zu schicken und zu schauen, wie das funktioniert. Hierbei bringen wir Künstler an Orte, zu denen sie

Page 27: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

27Offen für neues

normalerweise keinen Zugang ha-ben. Beispielsweise zur Europäischen Weltraumorganisation ESA oder zur Europäischen Südsternwarte in Chile (ESO) oder ins CERN (Europäische Organisation für Kernforschung). Unterstützt und begleitet werden die Künstler bei diesen Forschungsauf-enthalten von Mitarbeitern des Ars Electronica Futurelabs, die mit solchen Prozessen eine gewisse Er-fahrung haben und als Schnittstelle zwischen den Wissenschaftern und den Künstlern fungieren. Zwar sind oft Kunstwerke das Ergebnis dieser Auseinandersetzung, aber der zen-trale Wert für uns sind die Irrita-tionen, die die Künstler durch ihre Arbeiten in diesen Institutionen er-zeugen. Leute fangen an, anders über Dinge nachzudenken. Und dieser Er-kenntnisgewinn geht für uns über den Wert des Absetzens künstleri-scher Ergebnisse hinaus.

querspur: Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft ist keine

Neuerfindung. Am Übergang zum 20. Jahrhundert, im sogenannten Fin de Siècle, standen Künstler und Wissenschafter in engem Austausch. Könnte gerade jetzt wieder ein besonde-rer Zeitpunkt dafür sein, gar eine Notwendigkeit dafür bestehen?

Lindinger: Grundsätzlich würde ich sagen, dass Kunst immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt hat und sie könnte natürlich immer eine noch entscheidendere Rolle spielen. Denn sie hat die Möglichkeit durch das Experimentieren, Dinge zu er-proben, die nicht unmittelbar Sinn ergeben. Manchmal erschließt sich dieser erst in einem zweiten Schritt. Aus unternehmerischer Perspektive ist es sehr wichtig, Künstler in die Innovationsmethodik oder -prozesse

zu inte grieren. Bei vielen der multi–natio nalen Konzerne, mit denen wir zusammenarbeiten, von Toshiba, Mercedes, über SAP bis Intel, um nur einige zu nennen, ist künstleri-sche Innovationsforschung bereits etabliert.

Ein anderer Aspekt ist die Suche nach neuen Wissenschaftskulturen. Hier ist die Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft bis zu einem gewissen Grad eine Wiederentdeckung. Es geht in der Wissenschaft nicht mehr nur um Erkenntnisgewinn, dem Publizie-ren von Papers und dem Vorantrei-ben von großen Karrieren. In einem größeren Diskus geht es darum, die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Hier schwingt auch der Gedanke mit, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, an-ders über Probleme nachzudenken und auch den Prozess des Erkennt-nisgewinns anders zu gestalten. •

KünsTLerIsCHe InnOVATIOnsfOrsCHunG BeI GrOssen KOnZernen BereITs eTABLIerT

foto

: © M

atth

ew G

ardi

ner

foto

s: ©

Mer

cede

s-B

enz

Kulturelle revolution des autonomen Fahrens: Das Concept Car f015 von Mercedes-Benz zeigt, wie der erholungsraum im selbstfahrenden Auto künftig aussehen könnte.

Von der Kunst zur Medizin: Das Prinzip der faltblumen „Oribots“ des australischen Künstlers Matthew Gardiner wird in Zukunft bei Herzschrittmachern zum einsatz kommen.

Page 28: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

28

Als Elektrotechniker, Analytiker, Programmierer und Abtei-lungsleiter hat Günther Huck viele Jahre in der IT-Infrastruktur gearbeitet. Dabei hat der Grazer übersehen, dass er selbst immer unter Strom stand und schließlich das eigene Sys-tem überlastete. Nach einem Burnout war er mehrere Mo-nate auf Rehabilitation und hat seine Prioritäten neu geord-net. Dabei dachte der 56-Jährige über sich und die Welt von heute nach: „Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung, un-beschränktes Wachstum und Ressourcenvergeudung be-stimmen unseren Umgang mit dem Planeten. Gleichzei-tig sind wir in Österreich durch unseren Lebensstil und das Wirtschaftssystem auf Mobilität angewiesen. Nicht nur ich sehe daher Elektromobilität als Alternative zur Erdölmobili-tät.“ Weil es auf jeden Einzelnen ankomme, fing Huck bei sich selbst an. Er wohnt in einem Plusenergiehaus mit einer Pho-tovoltaikanlage auf dem Dach, seine Frau und er legen seit ei-nem Jahr den Großteil der Alltagswege mit Elektroautos (Fiat 500e Karabag) zurück, wobei er davor bereits ein Elektro-fahrrad und ein Elektromoped hatte. Günstig: Sein Wohnort Kirchbach in der Oststeiermark ist ein Vorreiter der E-Mobi-lität mit drei öffentlichen E-Ladestationen. „Die Problematik ist nicht das Elektrofahrzeug an sich. Ende der 1980er-Jahre wurde das erste Serien-Elektroauto, Fiat Panda Elettra, entwickelt und ab 1990 in den Puch-Werken bei Graz serienmäßig gebaut. Wir haben auch den nötigen Strom. Was aber immer noch fehlt, ist die Ladeinfrastruk-tur“, analysiert er. Und hier kommt die Idee eines Communi-ty-basierten Ladenetzes ins Spiel: Aktuell sind in Österreich

4,5 Millionen private PKW angemeldet. Wenn nur die Hälfte künftig mit Strom fahren würde, wovon Huck ausgeht, müsse sofort damit begonnen werden, zumindest 2,5 Millionen Lade plätze zu schaffen: „Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Ladeinfrastruktur politisch so wichtig genommen wird, wie die Infrastruktur für Trinkwasser, Abwasser oder Internet, obwohl unser Wirtschaftssystem auf Mobilität aufbaut.“ Er weiß aus eigener Erfahrung: Elektrofahrzeuge sind ent-weder unterwegs oder sie hängen an der Steckdose. Statt bloß auf Schnell-Ladestationen zu setzen, würde er die pri-vaten Ladeplätze von ÖAMTC-Mitgliedern unter denselben teilen. Diese sind im Regelfall frei, weil die Besitzer mit dem E-Auto in die Arbeit fahren. Der ÖAMTC könnte sich um Ver-waltung und Abrechnung kümmern. Seiner Idee nach könn-te jeder Strom-Guthaben in den virtuellen ÖAMTC-Pool einspeisen: Aus der eigenen PV-Anlage oder über die Betei-ligung an Anlagen für Alternativenergie (Windpark, Biogas, PV-Anlage) und erwirbt so das Recht, ebenso viel wieder zu beziehen. Dieser Gedanke im Sinne der Shared Economy und der Gemeinnützigkeit kam Huck spontan, als er via Newsletter von der Future Challenge erfuhr. Insgesamt hat er acht Ideen eingereicht, u. a. etwa jene an ÖBB-Züge E-Autotransport-Waggons anzuhängen, um die Reichweite zu verbessern. Und Huck hat nicht nur den einzelnen E-Auto-fahrer im Blick: „Die technische Umsetzung eines solchen Ladenetzes sehe ich als Chance. So kann der Wirtschafts-standort Österreich vielleicht ein Vorreiter in Europa in die-ser Technologie werden.“ •

Private lademöglichkeiten

teilen

Meine idee

Günther Huck hat insgesamt acht Ideen zur Elektromobilität bei der Future Challenge eingebracht. Der Vorschlag, die privaten Lademöglichkeiten der ÖAMTC-Mitglieder untereinander zu teilen, wurde besonders ausgezeichnet.

DIe öAMtC FutuRe CHAlleNGe HAt üBeR

450 useR MOtIVIeRt, IDeeN eINzuReICHeN.

DREI DAVON MIT IHREN IDEEN IM PORTRAIT.

Von Astrid Kuffner

US

ERS

TOR

Y

foto

: © G

ünth

er H

uck

Page 29: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

29Offen für neues

Wer viel reist, erlebt auch viel. Nicht nur am Ziel, auch auf dem Weg dorthin oder retour. Daniela Starcevic war in den 1990er-Jahren im internationalen Tourismus tätig: „Ich habe in einem gewissen Zeitraum vermutlich öfter die Kontinente gewechselt als andere die Bettwäsche“, sagt sie über das Ausmaß ihrer Reisetätigkeit. Oft flog sie über das Drehkreuz London und besuchte bei dieser Gelegenheit ihre Tante, die am Rand der Themse-Metropole außerhalb des U-Bahn Net-zes wohnt. Dabei lernte sie die Streikfreudigkeit in den euro-päischen Nachbarländern kennen und entdeckte eine Lücke: Wenn eine nationale Fluglinie oder der Hauptstadt-Flughafen streikt, steht das in jeder Zeitung. Reisende können sich auf diese Weise vorbereiten. „Wenn du aber um fünf Uhr mor-gens auf dem Bahnsteig der Lokalbahn stehst, um zum Flug-hafen zu kommen und die streiken, hast du keine Möglich-keit, das vorab zu erfahren“, erklärt sie. Damals, als es für Starcevic nötig gewesen wäre, gab noch keine Smartpho-nes, um alternative Routen zu suchen. Wobei das angesichts von Hektik und hoher Roaminggebühren vielleicht auch heu-te nicht zielführend wäre. Verpasste (Übersee-) Flüge, ver-weigerte Storni und geplatzte Termine sind jedenfalls unan-genehm. Als eine Kollegin ein zwischen internationalen Partnern müh-sam abgestimmtes Treffen für ein EU-Projekt beinahe ver-passt hätte, weil eine regionale Bahnstrecke in Frankreich bestreikt wurde, knüpfte Daniela Starcevic an ihre eigenen Erfahrungen wieder an und reichte ihre Idee für ein EU-Früh-warnsystem bei der ÖAMTC Future Challenge ein: Darin

schägt sie ein Reiseportal vor, bei dem Informationen über regionale Streiks innerhalb der EU zur Verfügung gestellt werden. Dort könnte man sich vor Reiseantritt erkundigen. In einer ausgefeilteren Version könnte man vorab die geplante Route eingeben und per SMS gewarnt werden, wenn bei ei-nem der Verkehrsmittel Unregelmäßigkeiten auftreten sollten. Vernetzte Mobilitätsclubs in verschiedenen Ländern könnten damit gemeinsam eine Art EU-Frühwarnsystem für Reisen-de aufbauen und auch gleich alternative Anreisemöglichkei-ten vorschlagen. Die Mitglieder könnten dann von unterwegs kurzfristig abfragen, ob und wo Streikwarnungen vorliegen.Heute möchte Daniela Starcevic kein Jetsetter-Leben mehr führen: „Es ist noch stressiger geworden. Bei Fernreisen gibt es inzwischen unzählige Möglichkeiten, wo etwas nicht klap-pen könnte: Von der Baustelle bis zu verschärften Sicher-heitskontrollen“. Die 44-jährige Grazerin ist immer noch ein Mensch, der sich viel bewegt. Beim Sport, mit dem Rad auf dem Weg zur Arbeit, mit dem Hybrid-Auto ins Grüne zum Wandern, mit der Straßenbahn oder zu Fuß. Es fällt ihr al-so leicht, die Perspektive unterschiedlicher Verkehrsteilneh-mer einzunehmen. Sie beteilige sich oft an Umfragen, die sie via ÖAMTC-Newsletter erreichen und brachte insgesamt gleich drei Vorschläge bei der Future Challenge ein: „Mir ge-fällt, dass ein Mobilitätsclub die Rolle als Bürgeranwalt ein-nimmt und auch die Anliegen Einzelner bei den politisch Ver-antwortlichen einbringt.“ •

Streikwarnung

statt reisestress

Streik, strike, grève, sciopero! Daniela Starcevic ist früher viel gereist und lernte dabei die Streikfreude in anderen Ländern Europas kennen. Als ihre Kollegen neulich ein wichtiges Geschäftstreffen beinahe verpassten, weil der Zug nicht fuhr, stand für sie fest: Ein EU-Frühwarnsystem muss her.

foto

: © D

anie

la s

tarc

evic

US

ERS

TOR

Y

Page 30: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

30

Peter Spannring weiß mit Werkzeug umzugehen. Er ist sicher-heitsbewusst und handwerklich geschickt. Und er hält viel von regelmäßiger Wartung. Dennoch hatte er in den ver-gangenen Jahren immer wieder einmal eine Panne. Mit dem Fahrrad. „Auf einen Kettenriss kannst du dich nicht vorberei-ten“, sagt der Vielradler. Vom frühen Frühjahr bis in den spä-ten Herbst hinein bewältigt der 51-Jährige die 22 Kilometer (von Leoben nach Kapfenberg) zur Arbeit mit dem Rad. Auf dem Heimweg nimmt er nicht selten noch eine kleine Berg-wertung mit. Am Wochenende ist er rund um Leoben unter-wegs und auch bei der Salzkammergut Trophy war er heuer erstmalig am Start. Mit Mountainbike oder Rennrad bewäl-tigt er rund 7.000 Kilometer und 100.000 Höhenmeter im Jahr. Das verrät ihm sein GPS-Tracker. Und dann eben: Pan-ne, schieben, ärgern. Nicht immer ist ein Geschäft mit Er-satzteilen geöffnet, nicht immer erreicht er jemanden aus der Familie, der ihn abholen kann und nicht überall kann er ein Ta-xi rufen. Hier kommt die ÖAMTC-Zweirad Pannenhilfe gera-de recht. Aber auch darüber hinaus könnte der ÖAMTC zur Drehscheibe für Fahrradmobilität werden. Als Peter Span-ning in der Mitgliederzeitschrift von der Future Challenge las, war das seine Gelegenheit, diese Idee einzubringen. Wobei er auch beruflich ein starker Ideengeber ist: Bei seinem Ar-beitgeber Böhler Edelstahl in Kapfenberg werden Vorschlä-ge der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur kontinuierlichen Verbesserung sehr ernst genommen. Und Peter Spannring koordiniert das Vorschlagswesen im Bereich Schmiedeli-nie. Zudem ist er Sicherheitsfachkraft. Deswegen wird man

ihn auch nie ohne Helm fahren sehen. Er freut sich darüber, dass immer mehr Menschen das Rad für die alltägliche Fort-bewegung nützen. Durch E-Bikes wird das auch für weni-ger sportliche und ältere Menschen möglich. Der ÖAMTC könnte neben der Zweirad-Pannenhilfe auch Servicestellen für Zweiräder an den Stützpunkten inklusive Schlauchauto-mat anbieten, meint er. Man könnte auch Fahrräder und Hel-me am Stützpunkt verleihen, vor allem das Auto beispielswei-se seinen Geist aufgegeben hat und es daher am Stützpunkt stehen bleiben müsse.Zum Radfahren ist Peter Spannring aus gesundheitlichen Gründen gekommen: In seiner Jugend hat er viel Krafttrai-ning gemacht, was nach einem Unfall aber nicht mehr mög-lich war. Radfahren ist für den Genussmenschen eine ideale, weil in den Alltag integrierbare Möglichkeit zur Gewichtsre-duktion. Umso mehr freut sich über den schönen Preis: Die Reisegutscheine. Vermutlich wird es ihn und sein Lebensge-fährtin wieder nach Italien ziehen. Die Gegend rund um den Gardasee liebt er besonders. Und natürlich hat er im Koffer-raum auch immer sein Rad mit dabei. In Italien gibt es neben gutem Essen viele Radsport-Begeisterte wie ihn. Auch be-merkt er dort viel Rücksicht und auch Leichtigkeit im Umgang miteinander. Peter Spannring würde auch gerne Forstwege fürs Radfahren öffnen, „wobei es hier natürlich Spielregeln für das Miteinander braucht“. Er überlegt wohl schon, wo er seine Ideen zu diesem Thema sinnvoll einbringen könnte. •

rundum-Service

für Zweiräder

Peter Spannring ist beruflich und privat viel mit dem Rad unterwegs. Dabei kam ihm die Idee, die ÖAMTC-Stützpunkte zu Drehscheiben der Fahrradmobilität aus-zubauen. Neben der eigenen Fahrrad-Pannenhilfe soll es auch Leihräder und -helme geben.

foto

: © P

eter

spa

nnrin

g

US

ERS

TOR

Y

Page 31: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

31Offen für neues

Warum haben Sie sich an der

ÖAMTC Future Challenge beteiligt?

US

ERS

TOR

YLorenz Inou, 19Absolvent HTL Rennweg/Mechatronik aus Wien„Ich habe gerade die HTL-Matura gemacht. Mein Lehrer für Prozessrechentechnik beschäftigt sich seit Mitte der 1980er-Jahre mit dem Thema Elektromobilität. Er ist auch Erfinder und ein „Auskenner“, wenn es um technische Lösungen für die Ein-sparung von CO2 geht. In den vergangenen zwei Jahren habe ich von ihm viel darü-ber gelernt. Ich wollte mit meiner Idee bei der Future Challenge signalisieren, dass sich ein Mobilitätsclub mit dem Thema Ladenetz bereits heute auseinandersetzen sollte. E-Mobilität ist für Österreich umwelttechnisch und finanziell ein Muss. Ich ha-be mich aktiv mit Kommentaren eingebracht, weil ich klassische und bereits veralte-te Kritikpunkte gegenüber E-Mobilität ausräumen will. Ich halte den Emotionen rund ums Autofahren gerne sachliche Information entgegen.“

Katharina Aichberger, 49 Jahre, technische Angestellte aus Steyr„Erneuerbare Energieformen mögen sich weltweit durchsetzen, das wünsche ich mir! Neben anderen Vorteilen verursachen mit erneuerbarer Energie betankte Elektro-autos weniger Lärm. Dadurch könnte eine gut gelegene Wohnung am viel befahrenen Wiener Gürtel eine hübsche Wertsteigerung erfahren. Freilich: Das Fehlen von Motorgeräuschen, die viele Leute unterbewusst als Warnsignale empfinden, ver-langt eine Umstellung. Ich könnte mir schon jetzt spielerische Praxissimulationen bei Events vorstellen wie etwa Videos, Computerspiele oder Übungskreuzungen, mit denen die Verkehrsteilnehmer frühzeitig mit der veränderten Verkehrssituation ver-traut gemacht werden. Sie lernen, mit weniger Lärm umzugehen und freuen sich auf eine hoffentlich bald abgasreduzierte Zukunft.“

Tomas Teverný, 40, Koch und kaufmännischer Angestellter im Tourismus aus Schwechat„Ich habe mich bei der Future Challenge beteiligt, weil ich mir beim Thema Mobilität der Zukunft Bewe-gung und Offenheit wünsche. Ich bin eine Art personifizierte Street View Map, habe halb Europa bereist und viele gute und schlechte Lösungen gesehen. Es geht mir darum, dass alle Menschen mitgestalten können. Ich sehe darin den Zeitgeist der neuen, sich entwickelnden Gesellschaft. Der Einfluss der Po-litik bremst wichtige Entwicklungen zunehmend. Man muss kein Fachexperte sein, um zu erkennen, wo es neuer Lösungen beim Alltagsthema Mobilität bedarf. Von den Ideen können wiederum Fachleute und Verkehrsplaner profitieren, wenn sie sich dafür öffnen. Es reichen oft die Alltagserfahrung, das Interes-se, der Hausverstand und die Begeisterung gewöhnlicher Menschen. Der ÖAMTC sollte dieses Portal als Sammelstelle für Ideen zur Mitgestaltung weiter betreiben.“

Maria Jakob, 66, Pensionistin aus Enns„Ich war in den Jahren 1969 bis 1982 beruflich viel mit dem Auto unterwegs– in Öster-reich, der BRD, Frankreich, Italien und ein halbes Jahr auch in England – und habe wohl 1.300.000 Straßenkilometer abgespult. Heute fahre ich mit meinem Mann und Tempo-mat nur noch privat durch Österreich und habe Zeit, bei einem Ideenwettbewerb mitzu-machen. Ich schlage ein Überholverbot für LKW und Autobusse auf zweispurigen Auto-bahnen vor. Bei den kilometerlangen Überholmanövern – ich nenne sie ‚Elefantenduelle‘ – kommt es zu abrupten Bremsmanövern und unnötigen Staus.“

rundum-Service

für Zweiräder

Page 32: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

32

querspur: Der ÖAMTC feiert 2016 sein 120-jähriges Bestehen und ist mit circa zwei Millionen Mitgliedern Österreichs größter Verein. Was bedeutet es, wenn ein so traditioneller Club einen Crowd-sourcing-Prozess wie die ÖAMTC Future Challenge startet und dabei interessierte Bürger und Bürgerinnen, Mitglieder so-wie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dazu befragt, wie er sie in ihrer Mobilität besser unterstützen kann? Hat ein der-artiger, offener Ideenwettbewerb Signal-wirkung? Dr. Irene Fialka: Ich finde, die ÖAMTC Future Challenge hat ab-solut hohe Signalwirkung. Damit setzt der ÖAMTC in vielerlei Hin-sicht Zeichen: Während Open Inno-vation, wie sie der ÖAMTC hier mit der Future Challenge vorlebt, in der Wissenschaft seit 30 Jahren prakti-ziert wird, ist sie in der unternehme-rischen Realität noch immer nicht richtig angekommen. Hier über-nimmt der ÖAMTC auch im Ver-gleich mit anderen europäischen Mobilitätsclubs eine Vorreiterrolle. Andererseits definiert der ÖAMTC damit auch seine Clubsprache neu.

Clubmitglieder, Mitarbeiter und in-teressierte Bürger dürfen und sollen mitreden und mitgestalten. Die ein-gereichten Ideen und Konzepte be-treffen nicht aktuelle Services, beste-hende Bedürfnisse und/oder Defizite, sondern zeigen deutlich auf, was in Zukunft möglich und nötig sein wird. Die Stimme des einzelnen Mitglieds/Bürgers/Mitarbeiters wird gehört und hat Gewicht. Die richtige Kommuni-kation mit der Crowd ist ein sehr re-levanter Faktor in Crowdsourcing-Prozessen.

querspur: Würden Sie sagen, die Kom-munikation ist in diesem Fall geglückt?Fialka: Ja, das sieht man schon an-hand der zahlreichen Einreichungen. Aber natürlich ist nicht nur die Zahl der Einreichungen, sondern vor al-lem die Qualität der Einreichungen relevant.

querspur: Als Geschäftsführerin des Universitären Gründerservice INiTS be-schäftigen Sie sich seit Jahren mit fri-schen Ideen und zukunftsfähigen Kon-zepten. War bei den eingereichten Ideen

der ÖAMTC Future Challenge eine da-bei, die Sie als Jury-Mitglied so nicht er-wartet hätten?Fialka: Nein. Aber ich habe festge-stellt, dass einige Ideen absolut im Trend liegen und deren Umsetzung die richtigen Schritte in Richtung Zukunft darstellen. Ein Beispiel da-für ist die prämierte Idee der Einfüh-rung einer ÖAMTC-Sicherheitspla-kette für Drohnen, das 57a-„Pickerl 2.0“. Das Definieren von allgemeinen, verbindlichen, rechtlichen Rahmen-bedingungen für Drohnenpiloten so-wie die technische Überprüfung und Zertifizierung von Drohnen ist ab-solut notwendig. Außerdem besteht Aufklärungsbedarf beim Gebrauch von Drohnen. Das wäre eine tolle neue Aufgabe für den ÖAMTC.

querspur: Könnte man zusammenfas-send sagen, dass die Themen, Ideen und Vorschläge, die bei der ÖAMTC Future Challenge ein- und vorgebracht wurden, das Thema Mobilität auf eine höhere Stufe gestellt haben?Fialka: Ja. Für den ÖAMTC und seine Clubmitglieder ganz bestimmt. •

Futurnauten

Dr. irene Fialka ist studierte Molekularbiologin und seit 2004 Geschäftsführerin von INiTS Universitäres Gründerservice Wien GmbH, einem preisgekrönten akademischen Business-Inkubator, der Start-ups in jeder Entwicklungsphase, also von der Formulierung ihrer Geschäftsidee bis zur Finanzierung ihres Unter-nehmens, unterstützt. In der Fachjury war ihre Kern-expertise als Start-up-Consultant gefragt.

foto

: © Ir

ene

fial

ka

eIne FACHjuRy Aus DReI exPeRteN unTersCHIeDLICHer BereICHe wäHlte DIe GewINNeR DeR öAMtC FutuRe CHAlleNGe Aus. QuersPur BAT juryMITGLIeDer ZuM InTerVIeW. Die Gespräche führte Catherine Gottwald

Page 33: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

33Offen für neues

querspur: Warum haben Sie die Ein-ladung, als Fachjuror bei der ÖAMTC Future Challenge mitzuwirken, ange-nommen?DI Stefan Pierer: Für einen Veteranen aus der Mobilitäts- und Fahrzeugin-dustrie wie mich sind Themen, die Mobilität betreffen, immer sehr span-nend und informativ. Egal, ob diese Ideen und Konzepte nun direkt von den ÖAMTC-Mitarbeitern (An-merkung: 7,5 % der Einreichungen bei der ÖAMTC Future Challenge stammten von ÖAMTC-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen), Clubmitglie-dern oder interessierten Bürgern ein-gebracht wurden. Der ÖAMTC ist eine österreichische Institution, die die gesamte Bandbreite der Mobilität, also Vierrad- und Zweiradmobilität abdeckt, und dabei auch das Thema Sicherheit hoch ansetzt. Darum finde ich es ganz wichtig, dass man einer-seits von den Mitgliedern und auch von den eigenen Mitarbeitern Vor-schläge zur Verbesserung einholt.

querspur: Was haben Sie aus dieser Erfahrung für sich mitgenommen? Pierer: Ich konnte mir einen ausge-zeichneten Gesamtüberblick über den Megatrend Mobilität verschaffen. Das Thema urbane Mobilität ist eines der Hauptthemen, und die urbane Mobilität wird in Zukunft sicher sehr stark auf Elektromobilität basieren.

Auch wir bei KTM haben viele inter-essante Zukunftskonzepte im Bereich Zweirad-Elektromobilität, die bereits auf Rädern stehen und auf eine sehr reelle Überleitung warten.

querspur: War auch eine Idee dabei, die Sie überrascht hat? Pierer: Nicht überrascht, sondern eher bestätigt! Im Bereich Elektro-mobilität hat sich klar gezeigt, dass man nicht beim Auto beginnt und dann bei der Zweiradmobilität endet, sondern dass die Entwicklung umge-kehrt von unten nach oben verläuft: Das Elektro-Bike beispielweise ist in der breiten Bevölkerung längst ange-kommen und verkauft sich bestens.

querspur: Bei KTM wird Innovation groß geschrieben. Zahlreiche aktuelle Motorsportrekorde im Bereich Konstruk-tion zeugen vom Erfindungsgeist der KTM-Entwicklerinnen und -Entwickler. Wäre ein Ideenwettbewerb/Crowdsour-cing-Prozess wie die ÖAMTC Future Challenge auch bei KTM möglich? Pierer: Bei uns ist Innovation ein ge-lebter Prozess, den wir nicht formal ausschreiben. Feedback von Kunden- und Händlerseite fließt permanent ein. Dennoch ist der Rennsport die treibende Kraft. Er verbindet die bei-den Elemente aus der Innovations-theorie: Die freiwillige Innovation und die erzwungene. Die freiwillige

Innovation ist die schwierigere, weil man da permanent Selbstantrieb haben muss. Umgekehrt bedeutet erzwungene Innovation, dass man an der Situation dringend etwas ändern muss, um seine Spitzenposition zu halten. Unsere 400–500 Mitarbeiter in der Entwicklung sind hoch moti-viert und haben meistens auch eine Motorradvergangenheit. Sie suchen sogar am Wochenende in ihrer Frei-zeit nach Lösungen, wie man unsere Produkte verbessern kann.

querspur: Auch sehr kleine Ideen können eine große Resonanz haben. Hätten Sie auch eine Idee bei der ÖAMTC Future Challenge eingereicht, wenn Sie nicht Mitglied der Fachjury gewesen wären? Wäre es für Sie auch interessant gewesen?Pierer: Ja, vor allem das Thema Er-höhung der Sicherheit. Im Bereich Zweiräder, das geht vom Fahrrad bis zum Motorrad und Mofa. Denn dieser Verkehrsteilnehmer ist ein sehr verwundbarer, der hat keine Knautschzone und keine Crashzone, ist aber ein aktiver Teilnehmer im öffentlichen Verkehr und damit sehr gefährdet. Alle Ideen, die dazu bei-tragen, hier die Sicherheit zu erhöhen, sind natürlich von unserer Seite nicht nur hoch willkommen, sondern auch angestrebt. •

KTM-Chef DI Stefan Pierer studierte Betriebs- und Energiewirtschaft an der Montanuniversität Leoben. Seit 1992 ist er Aktionär und Vorstand des Sport-motorradherstellers KTM AG. Seine unternehmerische Vision hat aus KTM eine Weltmarke gemacht. Das KTM Zero-Emission Motorcycle „Freeride-E“ erhielt 2011 den österreichischen Staatspreis der Kategorie „Innovativ E-Mobil“. In der Fachjury der ÖAMTC Fu-ture Challenge war vor allem seine Erfahrung und sein Knowhow im Bereich motorisierte Zweiradmobilität gefragt. Und sein Spürsinn für gelebte Innovation.

foto

: © K

TM

Page 34: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

34

querspur: In Ihrem 2014 erschienenen Buch „Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“ zitieren Sie den amerikani-schen Visionär R. Buckminister Fuller „The best way to predict the future is to design it“ (dt.: „Die beste Art, die Zukunft vorherzusagen, ist sie zu gestalten“) und prägen den Begriff „Futurnauten“. Haben Sie beim Crowd sourcing-Prozess der ÖAMTC Future Challenge einige Futurnauten angetroffen, die die Zukunft gestalten? Prof. Dr. Stephan Rammler: Ja. Futurnauten sind für mich einerseits Experten, Wissenschafter und Futurologen, Spezialisten in Sachen Zukunft. Andererseits sind für mich Futurnauten auch ganz normale Menschen, Bürger, Konsumenten, Mobilitätsteilnehmer usw., die versu-chen, aus ihrer eigenen Lebenspraxis heraus einen Horizont in die Zukunft zu öffnen. Menschen, die sich Ideen oder Konzepte ausdenken, ob es nun Produkte oder Dienstleistungen sind, um ihre, aber auch die Lebenswirk-lichkeit anderer Mitgenossen auf die-sem Planten zu verbessern. Insofern sind für mich die eingereichten Ideen Ausdruck solcher Expertise, über Zu-kunft und Nachhaltigkeit anders nachzudenken.

querspur: Sind also bei einem Crowd-sourcing-Prozess wie der ÖAMTC

Future Challenge die Beiträge von Experten, Mitgliedern, Mitarbeitern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern in gleichem Maße wertvoll? Rammler: Unterschiedlich wertvoll. Experten, Wissenschafter oder Spe-zialisten haben den Vorteil, dass sie sich mit einem Thema womöglich über Jahre hinweg beschäftigen und in diesen Gebieten genau Bescheid wissen. Andererseits sind Konsumen-ten und Bürger die besten Experten in eigener Sache. Weil sie die Betrof-fenen sind. Sie leben in der Lebens-wirklichkeit, in der Probleme auftau-chen. Sie sind die besten Experten im Sinne Alltagspraxis und Umsetzung von neuen Konzepten und Ideen. In-sofern brauchen wir beide Perspek-tiven.

querspur: Wie wichtig ist es für Österreichs größten Mobilitäts-Club mit einer 120-jährigen Geschichte einen Crowdsourcing-Prozess in Gang zu setzen?Rammler: Gerade für einen Club, der mit einer breiten Masse von Konsumenten zu tun hat, ist es immer wichtig, ein Gefühl für die Basis zu haben. Der ÖAMTC ist ein Publikumsverein. Ein Verein, der breit in die Gesellschaft hinein-wächst. Insofern ist es gerade für ei-nen solchen Verein immer unglaub-

lich wichtig, auch zu wissen, was an der Basis mit den Mitgliedern los ist. Das ist die eine Perspektive. Die an-dere ist, dass ein solcher Verein wie der ÖAMTC – gerade weil er so breit in die Gesellschaft ausstrahlt – ein unglaublich gutes Sprachrohr sein kann. Als vertrauenswürdige, alther-gebrachte, traditionelle Institution hat der ÖAMTC diesen Bonus, diesen Vertrauensvorschuss. Er kann vielleicht ein Stück weit noch besser als andere Institutionen, viel-leicht auch besser als politische Ins-titutionen, diesen Blick auf die Zu-kunft richten und diesen Prozess auch gestalten. Wir erleben gerade eine totale, tiefgreifende, strukturelle Transmutation der Mobilitätswirt-schaft. Es ist nötig, dass gerade tradi-tionelle Institutionen beginnen sich zu bewegen und neue Zukunftsmo-delle und -konzepte, Leitbilder, Visionen zu entwickeln. Insofern ist es wichtig, dass ein Club wie der ÖAMTC, genau wie die Autobauer und andere große Akteure der Mo-bilitätswirtschaft, sich um die große Frage der Nachhaltigkeit kümmert. Und das tut er, indem er Crowdsour-cing-Prozesse anschiebt, abfragt und durch diesen Prozess in das Meer sei-ner Mitglieder zurückwirkt. •

Dr. Stephan rammler ist Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und Gründer des Instituts für Transportation Design. Seine Arbeits-schwerpunkte sind die Mobilitäts- und Zukunftsfor-schung, Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik, Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik. 2016 erhielt er den ZEIT WISSEN-Preis Mut zur Nachhaltigkeit, der seit 2013 von der Initiative Mut zur Nachhaltigkeit, dem Magazin ZEIT WISSEN sowie dem Unternehmer August Oetker ausgelobt wird.

foto

: © n

icol

as u

phau

s

Page 35: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

35Offen für neues

DIe GLüHBIrne, DAs AuTO ODer DAs InTerneT – InnOVATIOnen, DIe WIrTsCHAfT unD GeseLLsCHAfT nACHHALTIG VeränDerT HABen. AuCH WeIL sIe ZuM rICHTIGen ZeITPunKT AM rICHTIGen OrT WAren. DOCH LänGsT NICHt Alle eRFINDuNGeN setzeN sICH eRFOlGReICH AuF DeM MARKt DuRCH. WAs IsT DAs GeHeIMnIs, DAMIT neue sysTeMe unD TeCHnOLOGIen Zu erfOLGreICHen InnOVATIOnen WerDen?Von Astrid Bonk

Der SchlüSSel zum erfolg

foto

: © s

hutte

rsto

ck

Page 36: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

36

nICHT nur Der ZeITPunKT, AuCH Der sOZIALe KOnTexT IsT WesenTLICH

WeLTWeIT ersTe HAnDy-BAnK In KenIA

Eine Spaghettigabel, die die Nudeln mit eingebautem Motor selbst auf die Zinken dreht, eine Schaukelbade-wanne oder eine Heizvorrichtung für Fahrradsättel – Ideen, die bis auf den Erfinder vermutlich niemals jemand brauchen wird. Im Jahr 2015 wurden laut Österrei-chischem Patentamt fast 2.500 neue Patente angemeldet. Auch die Schau-kelbadewanne ist patentiert. Und ob-wohl die Zahl der Patente oftmals als Maß für die Höhe an Innovationsak-tivitäten eines Landes gilt, so wird schnell klar: Ganz aussagekräftig ist dieser Indikator nicht. Zumal es sich bei einem Patent per Definition noch gar nicht um eine Innovation handelt, sondern streng genommen um eine Invention, also eine Erfindung. Als In-novation gilt erst ein über den Pro-totypen hinaus entwickeltes Produkt, das auf dem Markt erfolgreich ist.

Der Markterfolg ist kein Ziel, das im standardisierten Verfahren erreicht werden kann. Vielmehr braucht es ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Etwa den hohen Nutzen für eine große Anzahl an Usern als Grundvoraussetzung für den Erfolg einer Innovation. Gerade Inventionen, die gezielt entwickelt werden, um an-dere Lösungen zu substituieren und deren wirklicher Anwendernutzen nicht hoch genug ist, verschwinden recht schnell vom Markt. Ein Beispiel: Die DVD konnte die Videokassette durch die höhere Qualität der Auf-zeichnung innerhalb weniger Jahre vollkommen ersetzen. Der Nachfol-ger der DVD, die Blu-Ray-Disc, die eine noch höhere Bildqualität ermög-licht, konnte sich indes nie behaup-ten. Grund dafür: Der Unterschied zur DVD wird als nicht groß genug emp-funden. Für den Erfolg einer Innovation ist mit dem großen Nutzen für den User die Bereitschaft des Marktes untrennbar verbunden. Das bedeutet, dass nicht nur das Produkt seinerseits ausgeklü-

gelt sein soll, sondern auch die Be-dürfnisse der Gesellschaft der jewei-ligen Zeit und im jeweiligen Kontext berücksichtigen müssen. Der Markt muss quasi nach einer Innovation lechzen, damit diese Erfolg hat.

Leonardo da Vinci (1452–1519) gilt als ein Erfinder, der seiner Zeit weit voraus war, was ihm aber nicht immer zum Vorteil gereichte. Etwa entwickelte er im Wunsch, fliegen zu können, um 1485 den ersten Fallschirm. 350 Jahre vor dem Bau des ersten Flugzeugs konnten die Menschen mit einer derar-tigen Erfindung jedoch nichts anfangen. Der Fallschirm war damit zwar etwas radikal Neues, die Bedürfnisse der Ge-sellschaft befriedigte er jedoch nicht. Erfolgreicher verhielt es sich mit einem Beispiel aus jüngster Zeit: Das Inter-net und die Digitalisierung haben die Art, wie wir Medien konsumieren, radikal verändert. Video-on-Demand-Angebote wurden für die Nutzer im-mer attraktiver. Fernsehen ist nicht mehr an den eigenen Apparat im Wohnzimmer gekoppelt, sondern findet statt wo und wann man will. Nach einer Unterbrechung schaut man einfach am nächst verfügbaren Gerät weiter. On-Demand-Video-Plattformen, wie wir sie von den Homepages der herkömmlichen TV-Sender kennen, sind da nur eine Basisvariante. Inzwischen haben sich eigene Internet-Pattformen wie Netflix etabliert, die dem User in einer Zeit der Individualisierung und des Kon sumierens „On the Go“ das gewünschte Service bieten und selbst die Blu-Ray-Disc als Nachfol-gerin der DVD alt aussehen lassen.

Die Bereitschaft einer Gesellschaft für ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Service ist das eine, hinzu kommt mitunter der

soziale Kontext, innerhalb dessen sich Innovation abspielt. Anders als in Europa hat die Mehrheit der Men-schen am afrikanischen Kontinent – vor allem jene im ländlichen Raum – kein Bankkonto. Viele Millionen Men-schen hatten daher lange Zeit keinen Zugang zur Geldwirtschaft. Im Zuge der Verbreitung des Mobil-telefons zu Beginn des 21. Jahrhun-derts änderte sich das. In vielen Re-gionen Afrikas hatten die Menschen erstmals nicht nur Zugang zu Informa-tion und Kommunikation, sondern auch die Übertragung von Ge-sprächsguthaben als „mobiles“ Zah-lungsmittel etablierte sich rasch. Stadtbewohner transferierten Ge-sprächsminuten an ihre Familienan-gehörigen auf dem Land, die statt mit Bargeld mit dem Guthaben zum Beispiel ihre Einkäufe bezahlten. Der gesamte Zahlungsverkehr wurde so wesentlich vereinfacht.

Diesem Erfolg geschuldet, wurde 2007 mit M-Pesa die weltweit erste mobile Bank in Kenia gegründet. Jeder, der ein Mobiltelefon besitzt, kann bei M-Pesa ein mobiles Konto eröffnen. Danach kann per Handy jederzeit einfach und schnell bargeld-los bezahlt werden, sogar Stromrech-nungen, Schulgebühren und Löhne werden inzwischen auf diese Weise überwiesen. Ein- und Auszahlungen von Bargeld werden landesweit bei sogenannten Agents (z. B. Inhaber von Tankstellen oder Supermärkte) abgewickelt. Mittlerweile gibt es al-lein in Ostafrika rund zwei Dutzend ähnlicher Anbieter, allein in Kenia nut-zen über 19 Millionen Menschen die Services von M-Pesa. Das Handy war deshalb nicht nur eine bedeutende technische Erfindung, sondern auch eine der wichtigsten sozialen Innova-tionen des letzten Jahrhunderts. Zurück nach Europa: Wieviel soziale Innovation ist nötig, wenn die tech-nischen Möglichkeiten schon vor-handen sind? Florian Moosbeck-hofer, Leiter der Abteilung Innovation und Mobilität im ÖAMTC, berichtet

MArKTerfOLG eIner InnOVATIOn VOn VIeLen fAKTOren ABHänGIG

üBerfLIeGer LeOnArDO DA VInCI MIT MIsserfOLGen

Page 37: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

37Offen für neues

von vielen Einreichungen zum Thema Mitfahrgelegenheit bei der kürzlich durchgeführten Future Challenge. „Die vielen Einmeldungen zum Thema Mitfahrgelegenheiten haben uns ge-zeigt, dass das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist. Wäh-rend bereits technisch ausgereifte Lösungen verfügbar sind, scheitern diese in der Praxis bislang häufig an der praktischen Nutzbarkeit und der sozialen Akzeptanz.“

Eingereicht wurden Beiträge wie etwa Mitfahrservices speziell für Events, eine ÖAMTC-eigene Mit-fahrplattform bzw. -App oder eine Identity Card & App, die das Auto-stoppen einfach und sicher macht. Hintergrund waren für die Ideenge-ber die Themen Sicherheit und Ver-trauen. Soll ich wirklich zu einem Un-bekannten ins Auto steigen? Soll ich jemanden mitnehmen, den ich gar nicht kenne? Was passiert bei einem Unfall, wer übernimmt hier die Haf-tung? So hält etwa Andrea Viertha-ler im Rahmen ihrer Idee „Mitfahr-zentrale ÖAMTC“ fest, dass man auf

Suchmaschinen zwar eine große An-zahl an mehr oder minder vertrauens-würdigen Angeboten für Mitfahrge-legenheiten finde. Viele Menschen hätten aber eine Hemmschwelle, sol-che Angebote zu nutzen. Das sei bei jüngeren genauso wie bei älteren Menschen der Fall. Auch sozioöko-nomische Veränderungen sind mitun-ter ein Grund, ob und vor allem wann sich eine Innovation durchsetzt. Die Mikrowelle etwa wurde schon 1947 per Zufall erfunden. Zur Massenware wurde sie erst in den 1970er Jahren, als sozioökonomische Veränderun-gen in der Gesellschaft eintraten. Je mehr Frauen berufstätig waren, desto mehr Nachfrage gab es nach der Möglichkeit, vorgekochtes Essen schnell aufzuwärmen.

Ob sich technologische Innovationen wirklich auf dem Markt durchsetzen oder nicht, kann niemand mit Sicher-heit voraussagen. Was sich aller-dings mit Gewissheit sagen lässt, ist, dass technologische Innovatio - nen – sofern die Zeit reif dafür ist – bei Markteinführung nach einem

bestimmten Muster von den Usern aufgenommen werden, wie Experten festgestellt haben: Mithilfe des Gart-ner Hype-Zyklus lässt sich ungefähr vorhersagen, welche Aufmerksamkeit eine Innovation in den ersten Phasen auf dem Markt durchläuft. Die Darstel-lung erfolgt mithilfe eines Diagramms (siehe Abbildung). Die Kurve steigt zu Beginn sehr stark an und fällt nach dem Peak ebenso stark ab, um sich dann auf einem Mittelniveau einzupen-deln. Ein Beispiel, das die Kurve ver-anschaulicht, sind Apps oder Smart-phones: Zu Beginn gehypt, folgt meist eine Phase der Ernüchterung, bis sich die jeweilige Anwendung bei einem Niveau einpendelt.

Was als nächstes unser Leben revo-lutionieren wird, lässt sich noch nicht sagen. Eine Google-Abfrage ver-spricht jedoch viel: Bei Eingabe der Worte „Innovation der Zukunft“ erhält man über 17 Millionen Treffer. Im ersten Eintrag steht übrigens: „Die Zukunft der Innovation: Alle entwickeln mit.“ •

GArTner HyPe-ZyKLus LässT MArKTerfOLG VOrHersAGen

17 MILLIOnen InnOVATIOnen In nAHer ZuKunfT

VerTrAuen BeI MITfAHrBÖrsen ALs THeMA nuMMer eIns

Gartner Hype-zyklus: Auf der y-Achse ist die Aufmerksamkeit (erwartungen) für die neue Technologie dargestellt, auf der x-Achse die Zeit seit ihrer entwicklung. Am Anfang gibt es stets überzogene erwartungen, bis sich letztlich herausstellt, wozu die Technologie wirklich taugt.

Au

fmer

ksa

mke

it

zeit

technologischer Auslöser

tal der enttäuschungen

Plateau derProduktivität

Pfad der erleuchtung

Gipfel der überzogenen erwartungen

Illus

tratio

n: ©

Bar

bara

Wai

s

Page 38: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

38

foto

: © s

hutte

rsto

ck

Citizen Scientists Bürgerinnen und Bürger,

die sich an einem wissenschaftlichen Projekt

als Laienforscher beteiligen.

Wissenschaft zum Mitmachen

Page 39: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

39Offen für neues

neues WIssen Zu sCHAffen IsT eIne KernKOMPeTenZ Der fOrsCHunG. ABer WIe funKTIOnIerT DAs, Wenn sICH WIssensCHAfT GeGenüBer neuen WIssensQueLLen Öffnen sOLL? DReI PIONIeRe, DIe wIsseN VON AusseN IN IHRe FORsCHuNG eINBezOGeN HABeN („CItIzeN sCIeNCe“), BeRICHteN üBeR IHRe eRFAHRuNGeN. Von Astrid Kuffner

Partizipatives Design stelltMensch in den Mittelpunkt

Peter Purgathofer, Professor in der Human Compu-ter Inter action-Group am Institut für Gestaltungs- und Wir-kungsforschung (TU Wien) hat 2008 das Design Research-Projekt „Sparkling Hands“ zusammen mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt. 2016 arbeitet er wieder mit Jugend-lichen. Im aktuellen Projekt werden Lernspiele entwickelt, welche die Interaktion von Technologie und Gesellschaft erfahrbar machen sollen.

www.piglab.org/sparklinggames https://peter.purgathofer.net

Wie es zu dem Projekt kam: In unserem Projekt „Sparkling Hands“ haben wir mit blinden und sehbehinderten Kindern eine haptische Lernunterlage für das Planlesen erarbeitet, ein Kernfach in der Ausbildung, um ein räumliches Vorstellungsvermögen zu entwickeln. Am Bundesblindeninstitut hat sich uns Designern die bisher unbekannte Welt des „Sehens durch Berührung“ eröffnet.Die Rolle der Citizen Scientists: Unsere Projekte regen Kinder und Jugendliche zum wissenschaftlichen Arbeiten an. Wir arbeiten mit dem partizipativen Design-Ansatz. Damit nähern wir uns schrittweise der bestgeeigneten techni-schen Lösung. Bei „Sparkling Hands“ haben wir gemeinsam mit den sehbehin-derten und blinden Schülerinnen und Schülern Anforderungen und Materia-lien definiert, wie Landkarten einfach hergestellt, erfahrbar gemacht und sinn-voll mit Audio-Informationen verknüpft werden könnten. Wie verändert sich der Forschungspro-zess: Generell gehen junge Menschen heute ganz selbstverständlich mit IKT (Anm.: Informations- und Kommunika-

tionstechnik) um. Sie haben eigene und andere Visio nen vom zukünftigen Leben als dies heute schon Erwachsene haben oder hatten. Bei „Sparkling Fingers“ war es nur mit den Kindern möglich, die beste Interaktionsform von Mensch und Maschine zu finden. Ganz konkret: Am Touchscreen unterscheiden zu können, ob es sich um die Funktion „Mehrfinger-Planlesen-Berührung“ oder „Ich will etwas dazu hören“- Berührung handelt. Das wollen wir verbessern: Ganz grund-sätzlich hoffen wir, dass in unseren Projekten Jugendliche erfahren können, was sie selbst antreibt, anstatt Prüfungs-anforderungen zu erfüllen. Für partizipative Gestaltung brauchen wir spezialisierte Fachleute, die sich der Sprache und den Ideen anderer Diszipli-nen öffnen wollen. Unsere gesamte For-schungsfinanzierung steht leider konträr zur Interdisziplinarität und zur ergebnis-offenen Praxis. Sie passt am besten zum klassisch naturwissenschaftlichen An-satz.Da will ich noch mehr wissen: Das Motivieren und Halten einer Crowd ist

der heilige Gral der Citizen Science. Bisher sind jedenfalls die Grundpfeiler intrinsischer Motivation bekannt: Mastery („ich werde oder bin meisterhaft in diesem Feld“), Autonomy („ich kann es allein bewältigen) und Purpose („ich sehe einen Sinn darin). Transparenz trägt sicher zu allen drei Kategorien bei. Deshalb ist die verständ-liche Kommunikation von Forschungs- Ergebnissen wichtig. Citizen Science ist eine Methode, die der Gestaltungs- und Wirkungsfor-schung nicht fremd ist. Wir haben uns am Institut der „humanistic human computer interaction“ verschrieben. Bei Neuentwicklungen stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt statt ab-strakt psychologisch-technische Kenn-zahlen und technische Möglichkeiten. Das ist mir wichtig: Ich wünsche mir mehr Verständnis für die Ergebnisof-fenheit von Forschungsprozessen mit Crowdsourcing. Ich würde mich freuen, wenn sich jemand an der TU Wien hauptberuflich des Themas Citizen Science annimmt. •

foto

: © W

ilfrie

d re

inth

aler

Page 40: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

40

Wie es zu dem Projekt kam: Unsere Ins-piration war ein Fallbeispiel von der Harvard Medical School, bei dem Laien danach gefragt wurden, was im Bereich von Diabetes Mellitus noch nicht er-forscht ist. Der entscheidende Input für neue Fragestellungen kam darin von den Betroffenen selbst. Strategisch war ein solches Projekt für die Ludwig Boltz-mann Gesellschaft eine logische Konse-quenz. Grundsätzlich arbeiten wir nahe am Menschen, aber wir wollten noch einen Schritt näher an das Individuum und seine Interessen herankommen. Bei der Themenwahl hatten wir folgende Kriterien: Es muss Forschungslücken ab-decken, eine große Gruppe ansprechen, im direkten Kontakt mit Betroffenen – und nicht über Institutionen – verbessert werden und ein neues Forschungsfeld für die Ludwig Boltzmann Gesellschaft er-schließen.Die Rolle der Citizen Scientists: Betroffene, Angehörige und Fachleute wurden über offene Forschungsfragen im Bereich psychische Gesundheit befragt und konnten ihre Beiträge auf einer Onlineplattform posten. Der Crowd-sourcing-Prozess musste gut vorbereitet und begleitet werden. Aufgrund der Tabuisierung des Themas musste die technische Plattform entsprechend auf-gebaut sein: Zusicherung von Anonymi-tät, keine Kommentare oder Reaktionen von anderen, keine Möglichkeit, dass In-teressensgruppen versuchen, ihr Thema zu pushen. Das haben wir gelernt: Die Crowd zu erreichen ist harte Arbeit! Wir haben In-termediäre besucht und in persönlichen

Gesprächen überzeugt, um Betroffene zu erreichen. Es ist schwierig, eine gute Idee in der analogen Welt für die breite Betei-ligung und einfache Auswertung in die digitale Welt zu überführen. Wie verändert sich der Forschungspro-zess? Wir wollten wissen, welche For-schung wirklich gebraucht wird. Sich mit den Anregungen gezielt auseinander-zusetzen, erweitert und beeinflusst den Forschungsprozess. Wir haben 400 hoch-wertige Beiträge bekommen und daraus 700 Textstellen analysiert. Die Auswer-tung ergab mehr als zehn relevante The-mencluster. Nach einem Onlinevoting haben wir die erste Reihung an eine in-terdisziplinäre Expertenjury zurückge-spielt, in der auch Vertreter von Patien-ten vertreten waren. Es braucht sehr gut durchdachte Evaluierungsprozesse, um gute und neuartige Ergebnisse zu erzie-len. Diese müssen zum Teil deutlich von den üblichen Prozessen in der Wissen-schaft abweichen, weil das Wissen der Crowd und die Neuigkeit nicht „hinaus-evaluiert“ werden dürfen. Das wollen wir verbessern: Wir wollen die vielfältigen Ergebnisse für viele Spe-zialisten anschlussfähig gestalten und veröffentlichen, damit andere Organisa-tionen sie aufgreifen können.Da will ich noch mehr wissen: In der Forschung ist es angesichts begrenzter Mittel nicht leicht, Crowdsourcing-Pro-jekte durchzuführen. Wir wussten ja im Vorfeld überhaupt nicht, welche For-schungsfragen herauskommen würden. Dynamik kann nur entstehen, wenn man Diskussion und Ideen zulässt. Befris-tungen befördern Dynamik, können sie

aber auch abstoppen. Wir müssen neu-artige Wege einschlagen, um Forschung mit Open Innovation-Prinzipien durch-zuführen und radikale Innovationen zu ermöglichen.Citizen Science ist eine Methode, mit der man zu neuen Forschungsfragen kommen kann. Der Input der Crowd ist für Open Innovation in Science wert-voll, aber ohne Experten geht es nicht. Inter disziplinarität ist leider noch immer schwierig. Wir sind heute gefordert zu kommunizieren woran wir forschen und was das bringt. Das ist ein Beitrag zur Bewusstseinsbildung in Bezug auf For-schung. Hier kann man nicht aktiv ge-nug werden.Das ist mir wichtig: Bei Open Innova-tion in Science ist das Um und Auf eine Kultur der Transparenz, des Dialogs und der Augenhöhe. Man muss offen kom-munizieren und Vereinbarungen ein-halten, sonst bleibt die Crowd nicht da-bei. Unser Wissen zum Thema verbreiten wir als Ludwig Boltzmann Gesellschaft im seit 2016 laufenden Ausbildungs-curriculum „Lab for Open Innovation in Science“ (LOIS). Hier lernen Wissen-schafter konkret, wie sie Open Innova-tion-Methoden und -Prinzipien in der Forschung anwenden können. •

input aus der Bevölkerung für neue Forschungsfragen

Claudia lingner ist Geschäftsführerin der Ludwig Boltzmann Forschungsgesellschaft. „Reden Sie mit!“ (2015) war europaweit das erste Projekt, in dem Open Innovation- Methoden zur Formulierung neuer Forschungsfragen in der Wissenschaft eingesetzt wurden. Mittels Crowdsourcing wurden Forschungsfragen zum Thema psychische Gesund-heit aus dem Blickwinkel von Betroffenen, Fachleuten und Angehörigen gesammelt. Aktuell wird der Aufbau einer neuen Forschungsinitiative vorbereitet, um die identifizierten Fragen im letztlich ausgewählten Themenfeld „Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ zu bearbeiten.

www.openinnovationinscience.at

foto

: © f

ranz

Pflu

egl

Page 41: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

41Offen für neues

Wildtier-Statistik per App verbessern

Florian Heigl, Dissertant am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur, betreibt seit 2013 das Projekt „Roadkill“ mit einer App zur Erfassung überfahrener Wirbeltiere. Vorbild sind die USA, wo Freiwillige seit 2009 tote Tiere auf der Straße für die Statistik erfassen. Er will Lücken in der Statistik schließen und mehr Bewusstsein für den menschlichen Einfluss auf Wildtiere schaffen. Heigl ist außerdem Gründer und Koordinator der Plattform citizen-science.at und Mitveranstalter der jährlichen österreichischen Citizen Science Konferenz.

http://roadkill.at und www.citizen-science.at

Wie kam es zum Projekt: Angefangen hat alles 2013 mit praktischen Übungen für Studierende, die Daten sammeln und auswerten lernen sollten. Die Idee, in der Übung, Daten zu überfahrenen Tieren mittels App zu erheben, war gut, doch die vorhandene Technik stieß bald an ihre Grenzen. Wir bekamen viel Feed-back zu unserer Methode und konnten die Datenerfassung seither verbessern. Wir haben jetzt eine Website und dazu-gehörige Apps (für Android und iOS) und arbeiten seit 2014 mit der Bevölke-rung zusammen. Unser Technik partner N!NC entwickelt gemeinsam mit uns eine Referenz-App für solche Projekte.Die Rolle der Citizen Scientists: Es wird erhoben, welche Tiere auf Straßen zu Tode kommen und welche Gründe es da-für geben könnte. Die Crowd, also inter-essierte Bürger und Bürgerinnen, erfas-sen Daten zu überfahrenen Tieren. Sie können Fotos und Beschreibungen nach Registrierung auf der Projekt-Website oder über eine eigens entwickelte App melden und wir machen die statistische Auswertung.Das haben wir gelernt: In der Wissen-schaft kommt es fast nur auf gute Daten an. Bei Citizen Science steht aber auch die Kommunikation und eine leichte Be-dienbarkeit des Meldesystems für die Be-völkerung weit oben auf der Prioritäten-liste. Da wir mit Apps arbeiten, die über ein Smartphone bedient werden, stehen wir bei Design und Usability in Konkur-renz zu kommerziellen (Spiele-)Anbie-tern: Die App muss super ausschauen und komplett intuitiv sein, sonst wird sie nicht genutzt.

Wie verändert sich der Forschungspro-zess, wenn man die Bevölkerung integ-riert? Wir könnten im Rahmen eines klassischen Forschungsprojekts an der BOKU diese Daten nie in der Breite und mit dem engen zeitlichen Bezug erheben. Etwa die Krötenwanderung. Sie beginnt regional und zeitlich gestaffelt. Wenn ein Kälteeinbruch kommt, hört sie auf und fängt dann wieder an. Das könnte man von Wien aus nie durchführen. Der Road-kill, also auf der Straße getötete Tiere, bleibt zudem oft nur maximal zwei Tage liegen. Selbst mit einem engmaschigen Monitoring würde man viele tote Tiere nicht finden. Wir bekommen zu den ein-zelnen Datenpunkten viele Zusatzinfos, die Teilnehmer lernen voneinander, und auch wir Wissenschafter haben schon ei-niges von den Teilnehmern gelernt. Das wollen wir verbessern: Wir tasten uns heran von zu Beginn „einfach mal machen“ zu „gut machen“. Noch haben wir bei den Teilnehmenden von Ost nach West ein Gefälle. Es braucht Zeit, die Community in Österreich aufzubauen. Das Projekt ist nach wie vor nicht finan-ziert, sondern von allen Beteiligten Frei-willigenarbeit. Ich arbeite im Rahmen meiner Dissertation ohne Anstellung an der BOKU daran. Bisher entwickelt N!NC die App im Rah men der eigenen Produktentwickung pro bono weiter. Wir versuchen, Sponsoren aufzutreiben, denn eine App zu entwickeln und zu erhalten ist teuer. In der gängigen Forschungs-finanzierung wird so etwas nicht abge-deckt. Inhaltlich wollen wir uns von Zu-fallsfunden zur Streckenüberwachung vortasten. Dabei melden uns Menschen,

die regelmäßig eine bestimmte Strecke fahren, ob sie etwas gefunden haben und auch, wenn sie nichts gefunden haben. Da will ich noch mehr wissen: Es wäre interessant zu erfahren, was Men schen motiviert, über einen längeren Zeitraum mitzumachen. Der Austausch mit Kolle-gen und Kolleginnen aus verschiedenen Fachbereichen kann uns hier weiterbrin-gen. Parallel setzen wir uns interdiszipli-när damit auseinander, was Wissenschaft eigentlich ist, wo ihre Grenzen liegen und welche Disziplin was genau darunter versteht. Das alles macht deutlich, dass wir Lernen de sind, nicht Allwissende.Citizen Science ist eine Methode, die nicht Selbstzweck sein soll und sich nicht für jede Fragestellung eignet. Man muss wissen, dass Kommunikation ein großer Teil der Arbeit ist, und die ist auch teuer. Citizen Science ist sicher keine billige Datenerhebung. Man braucht Zeit und muss die Ansprache designen, durchden-ken, technisch aufsetzen und die Teil-nehmenden mit Respekt betreuen. Er-gebnisse aus Citizen Science-Projekten sind mittlerweile in der Wissenschafts-welt anerkannt. Damit die Crowd lang-fristig motiviert bleibt, müssen die Er-gebnisse jedoch übersetzt und an sie zurückgespielt werden.Das ist mir wichtig: Die Auseinander-setzung auf Augenhöhe mit der Crowd und die interdisziplinäre Interaktion zwischen verschiedenen Wissenschafts-disziplinen. Ich arbeite parallel daran, dass der Begriff nicht verwaschen wird und nicht jede Umfrage Citizen Science genannt werden kann. •

foto

: © D

anie

l Dör

ler

input aus der Bevölkerung für neue Forschungsfragen

Page 42: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

42

AB In Den urLAuB

foto

: © K

arin

fei

tzin

ger

Page 43: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

43Offen für neues

Frau Mayer freut sich schon seit Wochen auf den gemeinsamen Urlaub mit ihrer Familie. Dieses Jahr besuchen sie die Eltern von Frau Mayer in Zell am Moos in Oberöster-reich. Seitdem sie den neuen Job in Graz hat, sehen sie einander leider viel zu selten. Gleich nach dem letz-ten Meeting am Nachmittag kann sich Frau Mayer auf den Weg machen. Moritz Mayer, ihr Mann, ist mit den Kindern bereits am Vormittag mit dem E-Car losgefahren. Sie hatten Glück, dass das Auto noch frei war. Denn seit einigen Jahren teilt sich Familie Mayer das Auto mit zwei anderen Familien. Im Alltag funktioniert das gut. Nur in der Ferienzeit müssen sich alle genau absprechen, denn es scheint so, als würden alle gleich-zeitig auf Urlaub fahren wollen.

In diesem Jahr haben Moritz Mayer und die Kinder angeboten, die Urlaubsplanung zu übernehmen. Herr Mayer hat dazu eine neue App entdeckt: Tourility. Diese App wird vom ÖAMTC betrieben und bietet den Nutzern auf verschiedenen Devices (z. B. Smartphone, im Cockpit des Autos, etc.) touristische Informationen in Kombination mit Mobilitätsinformationen (z. B. Routen-planung, Baustelleninformation, Tankstellenübersicht). Herr Mayer schwärmt regelrecht von dieser App,

AuTOfAHrer MACHen eInAnDer Auf sCHäDen AufMerKsAM

eIne APP, DIe InfOrMA-TIOnen Zu TOurIsMus unD MOBILITäT VereInT

ZWIsCHensTOPPs Auf Der reIserOuTe VOn Der COMMunITy BeWerTeT

eIne ArT MOBILITäTs-KreDITKArTe

scheint sie doch ein Alleskönner in Bezug auf die Urlaubsplanung zu sein.

Vollbepackt sind die drei heute mit dem Auto losgefahren. Erster Stopp ist am Toplitzsee in der Nähe von Bad Aussee. Tourility hat diesen kleinen Umweg empfohlen. ÖAMTC-Mitglie-der, die gleichzeitig Tourility-Nutzer sind, haben diese Empfehlung hin-terlegt. Herr Mayer konnte nachlesen, dass die Wanderroute und der See von ÖAMTC-Mitgliedern gut bewertet und für einen Familienausflug geeig-net sind. Und die Kinder wollten sich am ersten Tag sowieso „aus powern“, wie die kleine Katharina sagte. Sie ist gerade sechs Jahre alt geworden, aber schon eine richtige Sports-kanone – ganz wie ihr großer Bru-der Lukas.

„Für den Fall, dass die Strecke doch zu weit wird, habe ich gesehen, dass sich ein Fahrradverleih auf der Strecke befindet“, hat Herr Mayer seiner Frau versichert. Die Gebühren dazu sind auch über die Austrian Mobility Card gedeckt. Die Austrian Mobility Card wird Familie Mayer im Urlaub häufig nutzen, immerhin sind nach einer jährlichen Pauschalgebühr alle Ver-

kehrsmittel der Kooperationspart-ner (Schlüsselakteure der österreichi-schen Mobilität) inkludiert. Aber auch Radverleihe und Bootsverleihe zählen zu den Partnern. Mit der Austrian Mo-bility Card muss sich Familie Mayer nicht aufwändig um Fahrkarten küm-mern und sich in der Menge der An-gebote, Ermäßigungen und Sonder-ermäßigungen zurechtfinden, sondern kann z. B. den Fahrrad-Verleih oder die Bahn einfach nutzen. Wenn die Beine der Kinder zu schwer werden, können die fleißigen Wanderer also problemlos aufs Rad wechseln. Und sollte es ganz schlimm werden, könn-ten sie auch auf ein Boot umsteigen und den See damit überqueren. Die Gebühr für das Boot ist ja ebenfalls über die Austrian Mobility Card ge-deckt.

Gerade hat Frau Mayer eine Nach-richt von ihrem Mann und den Kindern bekommen. Der Car-Communicator unterhält die drei mit seinen Signalen. Diesmal wurden sie informiert, dass das linke Rücklicht nicht funktioniert. Die Kinder finden es sehr lustig, wenn es im Auto klingelt und sie von einem anderen Autofahrer auf einen Scha-den am Auto aufmerksam gemacht werden. Sie machen ein Spiel dar-aus und raten, welches von den vor-beifahrenden Autos es war. Oder sie gehen den umgekehrten Weg und

wIe KöNNte DIe zuKuNFt AusseHeN, weNN DIe IDeeN Aus DeR öAMtC FutuRe CHAlleNGe uMGesetzt sIND? DIe fOLGenDe GesCHICHTe üBer DIe fIKTIVe fAMILIe MAyer Auf DeM WeG In Den urLAuB IsT eIn VOn Der AuTOrIn enTWOrfenes ZuKunfTsBILD, DAs AnHAnD AusGeWäHLTer TeILneHMerIDeen Aus DeM CrOWDsOurCInG-WeTTBeWerB enTWICKeLT WurDe. Von johanna stieblehner

Page 44: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

44

DIe MOBILe LADesTATIOn TAnKT DAs eLeKTrO-AuTO WIeDer Auf

WAnDerrOuTe unD AnreIse Auf KnOPfDruCK

suchen nach einem Auto mit Defekt, den sie dem Fahrer melden können. Das geht recht einfach, Familie Mayer musste sich vorab nur die notwendige App im Auto installieren. Wird ein be-schädigtes Auto erkannt, so genügt es, das Nummernschild des betroffe-nen Autos einzutippen. Der betroffene Fahrer erhält sogleich auf seinem Bordcomputer den Hinweis.

Die Zugfahrt nach Zell am Moos wird Frau Mayer nutzen, um über Tourility eine Wanderroute zu suchen, die die Familie inklusive ihrer Eltern und den Kindern mühelos absolvieren können. Besonders praktisch findet sie, dass die App automatisch anzeigt, wie man den Ausgangspunkt der Wanderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln er-reicht. Zu sechst im Auto ist einer

zu viel und ihre Eltern fahren ja nicht mehr mit dem Auto. Für ihren Vater hat Frau Mayer einen Spazierschweber reserviert, damit er Spaziergänge mitmachen kann, denn vor allem längere Strecken oder Bergaufgehen sind für ihn ein-fach schon sehr beschwerlich. Der Spazierschwe ber ist ein elektrisch unterstützter Kick-Roller. So kann der Großvater mitgehen und hat da-bei noch mehr Ausdauer als die Klei-nen. Die Kinder finden es auch immer spannend, wenn er das Gerät benutzt.

Scheinbar hat Herr Mayer heute kein Glück mit dem Auto. Er hat seine Frau soeben informiert, dass der Akku des Elektroautos plötzlich leer war. Es sei ohne vorherige Warnung völlig überraschend passiert. Der

Wagen hat aber sofort den ÖAMTC verständigt, und so konnte die „Erste Hilfe“-Kette rasch in Gang gesetzt. Das Prozedere ist heute ja sehr ein-fach: Die Autodaten werden der Pannenhilfe online übermittelt. Damit kann ein ÖAMTC-Techniker per Ferndiagnose feststellen, was fehlerhaft ist. Leicht zu behebende Defekte kann der Pannenhelfer quasi per Fernsteuerung direkt von seinem PC aus erledigen. Sollten größere Schäden vorliegen, werden die GPS-Daten an einen ÖAMTC- Pannenhelfer in der Nähe geschickt, der dann vor Ort kommt. Diesmal hatte der Gelbe Engel die mobile Ladestation dabei. Im Prinzip funktio-niert diese wie ein Reserve kanister für flüssigen Treibstoff. Die Batterie wird auf 20 % gefüllt, sodass der Fahrer zumindest bis zur nächsten Tankstelle kommt. Dort kann die Batterie dann vollständig geladen bzw. weitere Schäden behoben werden.

Die öAMtC Future Challenge: Auf die frage, welche services der ÖAMTC seinen Mitgliedern in Zukunft anbieten soll, wurden eine Vielzahl an Ideen eingereicht. Der thematische Bogen ist weit gespannt. Hier eine kleine Auswahl der 454 Vorschläge.

KFZ-Communicator von

Christoph SeewaldDatenbrille für Servicetechniker

von Jürgen Pucher

Elektrisch gehenvon

Johann Günther

Tourility Touristik und Mobilität

von Karl Pramendorfer

Ferndiagnosesteckervon

Jürgen Hube

Mobile Ladestationvon

Rene Decker

Mobilitätscard Austria

von Jose Luis Aabd Garcia

Page 45: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

45Offen für neues

eIne DATenBrILLe HILfT DeM TeCHnI-Ker DAs GeBreCHen sCHneLL Zu fInDen

WäHrenD Der rePArATur KÖnnen e-BIKes AusGeBOrGT WerDen

Frau Mayer hat gerade ihren Sohn Lukas am Telefon. Er erzählt ihr, was an der Tankstelle passiert. Lukas ist so aufgeregt, dass sie ihn kaum versteht: „Nachdem Papa dem Service techniker den Vorfall geschildert hatte, sagte der Techniker zu Katharina und mir, dass er jetzt seine Zauberbrille holen würde. Ich bin gespannt, was das für eine Brille ist!“ Es handelt sich natürlich um eine Datenbrille, die den Techniker da-bei unterstützt, das Auto zu untersu-chen, ohne es gleich in alle Einzelteile zerlegen zu müssen.

Damit steht aber auch sofort fest, dass Herr Mayer und die Kinder eine längere Pause an der Tankstelle ein-legen müssen. Und wieder kommt die

Tourility-App zum Einsatz. Sie zeigt ein Freibad in der Nähe der Tankstelle an. Es hat geöffnet und es gibt eine Drei-Stunden-Karte. Bei diesem Wet-ter das optimale Alternativprogramm! Herr Mayer und die Kinder haben sich die an der Tankstelle zum Verleih be-reitgestellten E-Bikes ausgeborgt und fahren jetzt mit Sack und Pack ins Bad. Drei Stunden sollten für die Reparatur des Autos auch ausreichen.

Vor ihrem Meeting muss Frau Mayer noch schauen, dass sie alle Sachen bereit hat, damit sie danach gleich los kann. Sie darf nicht auf die Austrian Mobility Card vergessen; sie muss ja mehrmals umsteigen, und mit der Card kann sie alle Verkehrsmittel nut-zen, die sie für ihre Anreise braucht. Zusätzlich hat sie sämtliche Platzre-servierungen auf der Card gespei-chert. Zuerst nimmt sie das E-City-

bike vom Büro zu Bahnhof. Sie hat sicherheitshalber rechtzeitig eines reserviert, damit um 17:00 Uhr auch eines bereit steht. Die Strecke zum Bahnhof schafft sie locker in 15 Minuten. Einen Sitzplatz im Zug hat sie auch schon im Voraus gebucht.

In Salzburg steigt sie in das Fahrzeug einer Fahrgemeinschaft um. Zufällig fährt jemand direkt von Salzburg nach Zell am Moos, da hatte sie Glück. Gut, dass sich der Fahrer im Austrian Mobility Card-Netz registriert hat. Sonst hätte sie ihn nicht gefunden.Das Meeting hat pünktlich geendet und Frau Mayer sitzt bereits im Zug nach Salzburg. Herr Mayer hat ihr ein Video geschickt mit der frohen Bot-schaft, dass sie auch bereits bei ihren Eltern angekommen sind. Das Wetter ist heute gut und sie waren alle schon im See schwimmen. Jetzt kann der Urlaub auch für Frau Mayer beginnen. •

LeICHT GeMACHT: MeHrMALIGes uMsTeIGen MIT AusTrIAn MOBILITy CArD

AuCH eIne MITfAHrBÖrse IsT IM neTZWerK

Illus

tratio

n: ©

shu

tters

tock

Page 46: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

46

Bild

: © s

hutte

rsto

ck

Zeit ist Geld

Page 47: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

47Offen für neues

On the Road im Jahr 2035. In der Stadt fährt auf einem für selbstfah-rende Autos definierten Fahrstreifen ein Taxi ohne Lenker, auf dem Geh-steig bewegt sich neben einer älteren Dame ein kleiner Roboter, der ihren Einkauf trägt. Auf dem Universitäts-campus fährt ein Roboterauto die Stu-dierenden und Mitarbeiter von Institut zu Institut. Viele Tourismusorte haben zur Verkehrsberuhigung beschlossen, den motorisierten Individualverkehr durch selbstfahrende Großraumlimou-sinen, in denen die Gäste transportiert werden, zu ersetzen.

Das selbstfahrende Auto ist zwar nicht so uneingeschränkt unterwegs, wie man das 2016 noch geglaubt hatte, es hat das Straßenbild aber doch verändert. Damals, als man in Bezug auf das autonome Fahren noch von Testphasen sprach, galt das Concept Car F015 von Daimler als Vorzeigemodell, was in Sachen auto-nomes Fahren möglich sein könnte. Das großräumige Testauto sollte sich selbst lenken, der Fahrer machte es sich hingegen im geräumigen Fond des Fahrzeuges bequem. 50 Minu-ten mehr pro Tag, stellte eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey 2016 fest, würden autonome Fahr-zeuge den Insassen an Zeit schenken. Diese könnten sie nutzen, um sich zu entspannen, zu schlafen, zu arbeiten oder Sitzungen abzuhalten. Damals waren sich die Verkehrsexperten einig: Es werde noch viel, sehr viel Zeit vergehen, bis selbstfahrende Fahrzeuge wie der F015 das Stra-ßenbild prägen würden. Etwa erwies sich der Tesla-Unfall im Jahr 2016 als große Ernüchterung. Das dama-lige Vorzeige-Elektroauto hatte we-

KOMMunIKATIOn ZWIsCHen MensCH unD MAsCHIne ALs GrOsse AufGABe Der fOrsCHunG

reCHTLICHe frAGen sOLLTen BIs 2035 GeKLärT seIn

VOM AuTO PrOjIZIerTer ZeBrAsTreIfen ALs sIGnAL ZuM Queren Der sTrAsse

50 MInuTen MeHr ZeIT PrO TAG WeIL DAs AuTO seLBsT fäHrT

gen des starken Sonnenlichts einen im Gegenverkehr linksabbiegenden Lkw-Zug nicht gesehen und war un-gebremst in diesen gefahren. Dabei starb der Lenker, der die Herrschaft über das Fahrzeug an den Computer abgegeben hatte. Neben der Techno-logie müssten auch andere wesentli-che Dinge geklärt werden: Wer ist schuld, wenn das computerge-steuerte Auto einen Unfall verursacht? Wie sollen die Städte der Zukunft aussehen, um die geeignete Infra-struktur für das Roboterauto zu bie-ten? Wie kommunizieren Mensch und Maschine miteinander, etwa in unkla-ren Vorrangsituationen? Und über-haupt: Will man in einem Auto sitzen, das man nicht selbst lenkt? Im Jahr 2016 hatte man sich viel vorgenommen. Internetriesen wie Google oder Apple tüftelten an Konzepten, wie für die Insassen der Aufenthalt in den Fahrzeugen interessant, unterhaltsam und be-reichernd gestaltet werden könnte. Denn 50 Minuten mehr Zeit pro Tag könnten mit Onlineshopping oder mit der Nutzung kostenpflichtiger Apps verbracht werden. Zeit wäre damit einmal mehr Geld.

Heute, 2035, sind rechtliche Aspekte des autonomen Fahrens kein Thema mehr, hat doch jedes Fahrzeug eine Blackbox, die das Unfallgeschehen genau nachvollziehbar macht. Fahrer-flucht ist damit unmöglich geworden und die Aufgaben der Polizei haben sich um eine Komplexitätsstufe verrin-gert: Per Knopfdruck kann der Unfall-hergang auf dem Screen des Polizei-computers wiedergegeben werden. Das Suchen und das Befragen von Unfallzeugen ist damit hinfällig, die Schuldfrage recht schnell geklärt.

Unterschätzt hatte man hingegen die komplexe Aufgabe, Mensch und Ma-schine miteinander in Kommunikation zu bringen. Es brauchte jahrelange in-tensive Forschung, bis fahrerlose Autos alle Arten von Fußgängern 100-prozentig erkannten und jedem Einzelnen signalisierten, dass er oder sie die Straße bitteschön que-ren möge. Denn nicht nur das Auto musste ein klares Signal geben, auch der Mensch musste dieses eindeutig erkennen können. Man hatte damals viel ausprobiert. Etwa gab es ein Ko-operationsprojekt des Linzer Ars Electronica Future Labs mit Daimler und dessen F015 Concept Car.

Die Frage, wie das selbstfahrende Auto mit einem Fußgänger kommuni-zieren soll, wurde 2016 so getestet: Will ein Fußgänger vor dem Auto über die Straße gehen und ist das nach Überprüfung der gesamten Verkehrs-situation durch das F015 gefahrlos möglich, so bleibt das F015 stehen. Mittels projiziertem Zebrastreifen und animierten LED-Pfeilen an der Fahr-zeugfront zeigt das Auto dem Pas-santen an, dass er die Straße queren kann. Auf der Heckscheibe des Autos erscheint ein großes Stoppschild, um den hinterherkommenden Fahrzeu-gen zu kommunizieren, dass sie sich einbremsen müssen. Martina Mara, die 2016 als Roboter-Psychologin im Ars Electronica Future-Lab maßgeb-lich an den Tests beteiligt war, stellte

DAs selBstFAHReNDe AutO Ist IM BeGRIFF, DIe stRAsseN zu eROBeRN. BIs es sICH fLäCHenDeCKenD AusBreITeT, KÖnnTen jeDOCH jAHrZeHnTe VerGeHen. DAs LässT ZeIT für VIsIOnen: BAsIerenD Auf exPerTenInTerVIeWs BesCHreIBT DIe jOurnALIsTIn DAnIeLA MüLLer DAs LeBen MIT rOBOTerAuTOs IM jAHr 2035. Von Daniela Müller

Page 48: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

48

resTAurAnTs Auf räDern ALs GesCHäfTsMODeLL Der ZuKunfT

WAsCHsTrAsse, serVICe, TAnKen – erLeDIGT DAs AuTO seLBsTsCHLAfen, eInKAufen

ODer sPrACHen Lernen AnsTATT DAs fAHrZeuG Zu LenKen

auch in Aussicht, dass das Auto dem Fußgänger verbal die Querung der Straße anzeigen könnte. Dies erwies sich jedoch schon in Testverfahren wenig praktikabel, da mit der steigen-den Anzahl der autonomen Autos auf den Straßen zusammen mit dem Um-gebungslärm einzelne Sprachsignale untergehen würden.

Die Annahme, dass autonomes Fah-ren weniger Spaß machen würde als selbst am Steuer zu sitzen, gilt 2035 als widerlegt. Die Zeit im Auto wird nur eben anders genutzt als um zu kuppeln, zu bremsen oder Gas zu ge-ben. 2016 erhob eine Studie der Ma-nagementberatung Horváth & Part-ners gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Or-ganisation, was Menschen in der po-tenziell zur Verfügung stehenden Zeit gerne machen würden. Das Ergebnis erwies sich als zukunftsweisend: Sie würden gerne arbeiten, online Ein-käufe erledigen, Fitnessübungen machen, Fernsehen, Sprachkurse absolvieren oder einfach essen und schlafen, hieß es. Besonders interes-sant: Drei Viertel der Befragten wa-ren schon damals breit, Geld für den

Zeitvertreib an Bord zu bezahlen. Je nach Altersgruppe und „Unterhaltungs-kategorie“, von Produktivität (Arbeiten, Weiterbildung, etc.) über Information bis hin zu Wohlfühl- und Fitnesspro-grammen, waren das 20 bis 40 Euro im Monat. 20 Jahre nach Erscheinen der Studie hat sich die Vorhersage in ein Milliar-dengeschäft für die Industrie gewan-delt: Auf Wunsch der Kunden werden Schreibtische ins Auto eingebaut, mitunter kleine Küchenzeilen, aus-klappbare Betten oder aber auch Bildschirme und Head-up-Displays. Das sind Anzeigesysteme, bei denen der Nutzer seine Kopfhaltung bzw. Blickrichtung beibehalten kann, weil die Informationen in sein Sichtfeld projiziert werden. Längst haben sich Hotels etabliert, die ihr Geschäftsmo-dell erweitert haben und dem Gast nicht nur Bett und Verköstigung an-bieten, sondern auch Transport.

Restaurants auf Rädern sind vor allem über die Mittagszeit ausgebucht. Das Geschäft boome, doch noch mehr Zulassungen würde das Straßennetz nicht vertragen, sagt der Verkehrsmi-nister. Schließlich müsse auch noch

Platz für den Individualverkehr sein. Und das, obwohl die Anzahl an zuge-lassenen Privat-Pkws gesunken ist; vor allem zwischen 2025 und 2035, obwohl Verkehrsforscher dies schon 2016 prophezeiten.

Heute sind zwar weniger Privat-Pkws zugelassen, sie sind aber länger auf der Straße unterwegs als dies früher der Fall gewesen ist. Carsharing, also das Teilen eines Autos mit anderen Nutzern, ist für viele zur Einnahmen-quelle geworden. Ausgetüftelte Apps sorgen für den Überblick, wer das Auto wann und wo benutzt. Weil das Fahrzeug autonom unterwegs ist, fährt es alleine in die Waschstraße, zum Service und zur Ladestation. Rückblickend betrachtet, ist es unver-ständlich, warum es so lange gedau-ert hat, bis sich Carsharing durchge-setzt hat: Im Berlin des Jahres 2016 wurde ein Fahrzeug nur 36 Minuten pro Tag verwendet, 95 Prozent seiner Zeit stand es auf wertvollem (Park-) Raum, der nun anderweitig genutzt werden kann. Und die CO2-Emissionen waren in keinem anderen Bereich – nicht einmal in der Industrie – so hoch wie im Straßenverkehr.

Alexander Mankowsky, Zukunftsforscher bei Daimler:

„2035 werden weiträumige autonome Fahrfunktionen möglich sein, von selbstfahrenden Lkws, Lastenrobotern, Drohnen bis hin zu computergesteuerten Autos. Es wird neue Systeme geben, etwa hochliegende Straßenbahnen oder Drohnen, die Lasten oder auch Menschen transpor-tieren. Wer das Rennen als beliebtestes Transportmittel gewinnt, wird bis dahin nicht klar sein. Selbstfahrende Autos werden sich zunächst dort durchsetzen, wo sie als Arbeitsmittel gebraucht werden, im öffentlichen Nahverkehr oder bei Menschen, die sich die Autos leisten können. Und es wird eine neue Industrie entstehen: zwischen der Automobiltechnologie und dem, was die großen Internetkonzerne in den Bereich autonomes Fahren einbringen.“

Markus Maurer, Tu Braunschweig:

„Ich schätze, dass automatisches Überholen auf der Landstraße frühestens in 20 Jahren möglich sein wird. Schon in wenigen Jahren realisierbar könnte autonomes Fahren in Stausitua tionen oder von selbstfahrenden Transportfahrzeugen in definierten Zonen sein, etwa auf Campusarealen oder in autofreien Tourismusorten. Robotaxis könnten in etwa 15 Jahren das Stadtbild prägen. Ich glaube, die Technologie wird nicht so das Problem sein, sondern vielmehr, das gesellschaftliche Konzept für autonomes Fahren auszuverhandeln.“

foto

: © D

aim

ler

foto

: © D

aim

ler B

enz s

tiftu

ng

Page 49: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

49Offen für neues

seLBsTBesTIMMunG IM ALTer DurCH AuTOnOMes fAHren unTersTüTZT

PenDeLn WIrD ALs AKTIVe ArBeITsZeIT GenuTZT

uMWeLTGeDAnKe BeI Der WAHL Des VerKeHrsMITTeLs MITunTer AussCHLAGGeBenD

Dass nun neue Verkehrskonzepte mit mehr Flächen für Fußgänger und Radfahrer zur Verfügung stehen, hat auch mit einer anderen Entwicklung, nämlich im Gesundheitsbereich zu tun: Versicherungsnehmer, die ihre Bewegungsdaten über Smart Clothes – also Kleidung, die durch verwebte Elektronik Daten erfassen kann – auf-zeichnen und der Versicherung über-mitteln, zahlen weniger Prämien. Seit-her verzichten immer mehr Menschen auf ihr eigenes Auto. Dieser Trend ist gerade in Städten spürbar, wo suk-zessive die Fahrspuren enger, dafür Radfahr- und Gehwege breiter wur-den. Dazu ein nostalgischer Rück-blick, der zeigt, wie 2016 die „Macht“ im Straßenverkehr aufgeteilt war: In New York nahmen zehn Prozent der Verkehrsteilnehmer – nämlich die nicht-autonomen Autos – 90 Prozent des Verkehrsraums in Anspruch.

Das Roboterauto hat nicht nur das Fahren selbst und das damit verbun-dene System des Straßenverkehrs verändert, es hat auch neue Ge-schäftsmodelle hervorgebracht und in letzter Zeit auch vermehrt Einfluss auf das soziale Leben genommen:

In einer Gesellschaft mit hohem An-teil an älteren Menschen ist individu-elle Mobilität keine Frage des Alters mehr, Selbstbestimmung hingegen gelebte Realität. Hatten ältere Men-schen 2016 das eigene Auto zu ei-nem bestimmten Zeitpunkt abgege-ben, so bietet ihnen das autonome Fahrzeug 2035 noch Unterstützung. Gewohnheiten müssen daher nicht umgestellt werden, die Lebensquali-tät bleibt erhalten. Oder sie sind Teil einer Carsharing-Gemeinschaft. Vor allem für jene älteren Menschen eine gute Option, die ähnlich wie jüngere Menschen oder wie auch Pendler nur wenige, aber immer dieselben Weg-strecken zu bewältigen haben. Sie mieten sich ein Auto, das von selbst kommt, sie abholt, sicher an ihr Ziel und wieder nach Hause bringt.

2035 ist das Überholen auf der Land-straße für das selbstfahrende Fahr-zeug endlich möglich. Ein Vorteil für alle, die es eilig haben. Denn z. B. die tägliche Fahrzeit zum Arbeitsplatz, so nicht durch interaktives Arbeiten im Homeoffice obsolet geworden, ist gestiegen, weil in den letzten Jahr-zehnten immer mehr Menschen ihre Wohnsitze auf das Land verlegt haben.

In vielen Städten ist das Leben zu teuer geworden. Und während man am Arbeitsplatz ist, schickt man künf-tig möglicherweise sein selbstfahren-des Auto zum Geldverdienen auf die Reise. Entweder zum nächsten priva-ten Nutzer oder der Wagen gliedert sich von selbst in ein Zustellsystem ein, das Waren abholt und selbst-ständig ausliefert. Am Abend holt das Auto den Besitzer wieder ab und fährt ihn in sein Haus auf dem Land.

Doch nicht für jeden Weg ist das autonome Fahrzeug Mittel der Wahl. Eine Umfrage aus dem Jahr 2030 zeigt, dass die Verantwortung der Bürger für ihr Mobilitätsverhalten gestiegen ist. Sie lassen sich von Algorithmen berechnen, wie viel CO2-Ausstoß sie für ihre Fahrt in Kauf nehmen wollen und machen die Wahl des Transportmittels davon abhängig. Ausgenommen sind Tage, an denen man aus der Hektik des All-tags entfliehen will. Rückzugsräume und Erholungspausen brauchen die Menschen 2035 genauso wie 2016. Sie finden diese nun auch im selbst-fahrenden Auto. •

Thomas Sauter-Servaes, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften:

„Die ersten Fahrzeuge werden aufgrund der technologi-schen Komplexität teuer sein, doch ich rechne damit, dass durch eine Vielzahl an Fahrzeug- und Service an-bietern die Kosten bald sinken werden. Es könnte sogar, sofern nicht regulierend eingegriffen wird, zu Effekten wie in der Luftfahrtbranche kommen, dass Lowcost- Anbieter andere vom Markt drängen. Für den Nutzer könnten Mobilitätsangebote ähnlich konsumierbar sein wie Musikdienste: Mit dem Bezahlen einer monatlichen Flatrate kann der Nutzer so viele Angebote in Anspruch nehmen wie er möchte.“

Barbara lenz, institut für Verkehrs- forschung Dlr in Berlin:

„Ich glaube nicht, dass teil- oder vollautomatisches Fahren die Mobilität völlig umkrempeln wird. Bis flächen deckend Roboter autos unterwegs sein werden, vergeht noch sehr viel Zeit. Die Möglichkeit des autonomen Fahrens bietet zunächst Bequemlichkeit und Komfort und wird vor allem dem öffentlichen Verkehr Konkurrenz machen. Der öffentliche Verkehr muss hier besondere Maßnahmen bieten, um attraktiv zu bleiben, vor allem bei den Schnittstellen, sprich Bequemlichkeit bei Anschluss- und Umsteigemöglich-keiten. Mit computergesteuerten Fahrzeugen könnte vor allem der Transport auf dem Land kostengünstiger abgewickelt werden.“

foto

: © M

alla

un P

hoto

grap

hy

foto

: © In

stitu

t für

Ver

kehr

sfor

schu

ng D

Lr

Page 50: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

50 foto

: © s

hutte

rsto

ck

gesund werden in einer zweiten Welt

Page 51: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

51Offen für neues

Beschreiben Experten die künftig denkbaren Möglichkeiten der virtu-ellen Rehabilitation, so erinnert dies ein wenig an James Camerons Fan-tasy-Film AVATAR, wo der von der Hüfte abwärts gelähmte US-Marine Jake Sully in einem künstlichen Kör-per, einem Avatar, den Planeten Pan-dora erkundet. Während Sullys echter Körper regungslos in einem Medizin-technik-Gerät liegt, turnt er im Avatar fit und kerngesund durch den Urwald. So oder ähnlich könnten in Zukunft nach einem Unfall traumatisierte In-tensivpatienten verloren gegangene Bewegungsabläufe wieder erlernen.

Denn der Einsatz virtueller Realität, also in Echtzeit computergenerierte und interaktive virtuelle Umgebungen und Bilder, die Patienten über Bild-schirme oder Datenbrillen erleben, kann die Therapie von psychologi-schen, neurologischen, physiologi-schen oder kognitiven Erkrankungen wesentlich unterstützen. Sie versetzt den Patienten in einen Dschungel, ein Raumschiff oder in einen Konzertsaal, um einige Beispiele zu nennen. Das erhöht nicht nur die Motivation und den Spaßfaktor, sondern ermöglicht, gezielt eingesetzt, auch sehr spezielle Lerneffekte sowohl in der Klinik und Praxis oder auch zu Hause, weit ent-fernt vom Therapeuten.

Zu VIeL eHrGeIZ BeIM THerAPIe-TrAInInG KAnn KOnTrA- PrODuKTIV seIn

PATIenTen Müssen für DIe PHysIOTHerAPIe nICHT MeHr In DIe PrAxIs Des THerAPeuTen KOMMen

eInsATZ VIrTueLLer MÖGLICHKeITen eIn GrOsses ZuKunfTsTHeMA Der reHABILITATIOn

InDIVIDueLLes feeDBACK VIA COMPuTer, fALLs eTWAs nICHT runD LäufT

„Der Einsatz von Virtualität in der Re-habilitation ist ein noch junges und vorerst kleines Gebiet in der Physio-therapie, doch eines mit großem Potenzial“, sagt Birgit Happenhofer. Die Physiotherapeutin hat beim Gra-zer Unternehmen Tyromotion, das auf Computer- und Robotik-gestützte Re-habilitation spezialisiert ist, unter an-derem in der Entwicklung virtueller Rehabilitationslösungen mitgearbeitet. Damit die Geräte von Therapeuten und Patienten angenommen werden, ist es wichtig, dass diese als User von Anfang an in die Entwicklung ein-gebunden werden.

Ganz wichtig ist, zusätzlich zur virtuel-len Realität, dass Computer mittler-weile so intelligent sind, dass sie in-dividuelles Feedback geben können: Patienten werden nicht nur in eine andere Welt entführt. Die Übungen des Patienten werden auch laufend verfolgt, analysiert und via Computer-programm, wie durch einen echten Therapeuten, sofort korrigiert, falls etwas nicht stimmt.

Um zu Hause effektive Reha-Übun-gen durchführen zu können, genügt für den Patienten mitunter schon ein kleines Endgerät wie ein Tablet. Der Patient wird wie in ein Spiel involviert und erhält zu bestimmten Übungen, zum Beispiel zur Handrehabilitation, laufend individuelle Rückmeldungen.

In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass der Computer erst dann zum Üben eingesetzt werden sollte, wenn beim Patien ten der ideale motorische Ablauf sitzt, also der Bewegungsablauf automatisiert und verinnerlicht wurde. „Wie sich gezeigt hat, können Probleme ent-stehen, wenn die Patienten so hochmotiviert sind, dass sie beim ambitionierten Training auf gut auto-matisierte Bewegungsmuster zurück-greifen und die Übenden so in ihre pathologischen Bewegungen zurück-fallen können“, betont Gödl-Purrer vom Institut für Physiotherapie an der Fachhochschule Joanneum in Graz. Je eifriger geübt wird, etwa das Wer-fen eines Balls, desto stärker kann die Kompensationsbewegung ausfal-len – und der Computer erkennt natürlich längst nicht alle falschen Bewegungen. Doch es ist ein großer Vorteil, dass das virtuelle Erlebnis und der Trai-ningsplan an die individuellen Be-dürfnisse des Patienten angepasst

VIRtuelle ReAlItäteN uND MAsCHINeN, DIe sO INtellIGeNt sIND, DAss sIe DeN MeNsCHeN INDIVIDuelles FeeDBACK GeBeN – DIese KOMBInATIOn WIrD DIe ArT unD WeIse VeränDern, WIe reHABILITATIOn sTATTfInDeT. BIs HIn Zu MenTALeM BeWeGunGsTrAInInG, DAs BereITs In Der InTensIVsTATIOn BeGInnT. Von ruth reitmeier

Page 52: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

52

werden können. Beides kann zudem variiert werden. Virtuelle, computer-unterstützte Rehabilitation kann so-mit abwechslungsreicher sein als das ewige Hin- und Herschieben eines Balls auf dem Tisch und beugt da-mit Therapiemüdigkeit vor. Steigerun-gen und Abwechslung sind das Um und Auf, um Patienten bei der Stange zu halten. Denn nach dem 30. Durch-gang einer Trainingseinheit, die das Blumenpflücken simuliert, wird dies selbst kleinen Kindern zu langweilig.

Doch bereits ohne virtuelle Realität hat der Einsatz von reaktiven Com-puterprogrammen einen großen Mehrwert: Sie können selbst kleine Fortschritte der verbesserten Beweg-lichkeit erkennen und entsprechend loben und dadurch die Patienten motivieren, weiterzumachen.

Happenhofer: „Es können auch nur drei Grad mehr Beweglichkeit dargestellt werden. Und das bedeutet vor allem eines: Motivation.“ Hinzu kommt: Patient und Therapeut sind künftig vernetzt, und dadurch kann der Physio- therapeut auch das Heimtraining im Auge behalten, ohne ständig dabei sein zu müssen – ein Fortschritt in der Rehabilitation im häuslichen Bereich. „Bisher haben die Patienten Übungs-tagebücher geführt. Das ist jedoch aufgrund sehr subjektiver Einschätzun-

Physikalische therapie in einer virtuellen welt: Der Computer gibt ständig individuelles feedback an den Patienten.

foto

: © s

hutte

rsto

ck

COMPuTerPrOGrAMMe erMÖGLICHen es, KLeInsTe erfOLGe DArZusTeLLen

Page 53: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

53Offen für neues

fOKus IM DeuTsCH-sPrACHIGen rAuM nOCH Auf DIreKTeM KOnTAKT ZWIsCHen PA-TIenT unD THerAPeuT

gen oft wenig aussagekräftig“, betont Barbara Gödl-Purrer.

Sie hat ihr Master-Studium an der Queen Margaret University in Edin-burgh absolviert. In Schottland stünde man der Integration von vir-tueller Realität, neuen Geräten und Technologien in der Therapie deutlich positiver gegenüber als im deutsch-sprachigen Raum. In Österreich steht in der Ausbildung der taktile Kontakt zwischen Therapeuten und Patien-ten im Vordergrund. „Es ist noch eine Wegstrecke zurückzulegen, bis die Technik angenommen und in die The-rapie integriert wird“, betont die Ex-pertin.

Auch in Österreich stellt freilich das Studium der Physiotherapie den An-spruch, am jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft zu sein, technolo-gieunterstützte Therapie ist folglich Teil des Curriculums, wenn auch kein Schwerpunkt. „Es kommt gerade ei-niges in Bewegung, zumal die neue Studentengeneration aus Digital Nati-ves besteht und neuen Technologien ohne Vorbehalte gegenübersteht. Das ist für sie eine Selbstverständlichkeit“, sagt Gödl-Purrer.

Der eine will am Meer trainieren, die andere im Wald. Individualisierung ist auch in der Rehabilitation angekom-men. Über Sensoren ist der Patient mit einem Bildschirm verbunden, auf dem Bewegungsübungen in einer at-

traktiven Umgebung simuliert werden. Etwa das Bergsteigen, weil es Patien-ten optimal motiviert. „Ziel der Physiotherapie ist es, den Patienten in die maximale Selbstän-digkeit zu führen“, sagt Gödl-Pur-rer. Die Physiotherapie stellt den Anspruch, Langzeiteffekte zu erzie-len. Über den Einsatz von Virtualität kommt sie diesem Ziel messbar nä-her. Das bedeutet einen echten Qua-litätssprung, zumal Verhaltensverän-derungen in der Motorik besonders schwierig und langwierig sind. Basis-bewegungen sind automatisiert, erfol-gen spontan und lassen sich deshalb am schwersten verändern. Nur durch viel Übung und konkrete Umsetzung im Alltag kann dies gelingen. Am Bei-spiel eines Pianisten lässt sich dies veranschaulichen: Der Musiker hat beim Klavierspielen die Angewohn-heit, die rechte Schulter hochzuzie-hen. Diese Eigenheit hat sich zu ei-nem schmerzhaften Problem des Bewegungsapparats kumuliert. Mit-hilfe einer Datenbrille könnte er etwa das Spielen mit lockeren Schultern in der virtuellen Realität des Konzert-saals üben. Über die Verbindung mit dem Computerprogramm bekommt er solange ständiges Feedback über seine Bewegungsabläufe, bis er – motorisch quasi neu programmiert – in den echten Konzertsaal zurückkehrt.

Ein weiterer Vorteil des Einsatzes vir-tueller Realität in der Rehabilitation liegt zweifellos darin, dass bereits zu einem frühen Zeitpunkt, etwa nach ei-nem Unfall, mit der Mobilisierung be-gonnen werden kann. Allein das Zei-gen von Bildern weckt im Gehirn jene Assoziationen, die an Bewegung erin-nern. Motorische Abläufe hinterlassen tiefe Spuren im Gehirn und können durch Bilder reanimiert werden. Se-hen Menschen, die auf der Intensiv-

station nach einem Unfall traumatisiert liegen, vertraute Bewegungsabläufe z. B. über eine Datenbrille. So kann das Gehirn entsprechend stimuliert werden, um die Chancen der Patien ten zu erhö-hen, schneller wieder auf die Beine zu kommen und bessere Therapieerfolge erzielen zu können. Dazu liefert auch die neurowissenschaftliche Forschung Ergebnisse: Das Gehirn von Hochleis-tungssportlern ist bei einer sportlichen Bewegung genauso aktiv wie der Kör-per. Sich den Bewegungsablauf ganz bewusst vorzustellen, ist entscheidend für den Erfolg. So wird das Training im Spitzensport künftig verstärkt mental erfolgen. Diese Erkenntnis ist umso wichtiger für verletzte Sportler, die ja oft über Wochen und Monate ausfallen. Wie erste Versuche zeigen, kann durch gezieltes mentales Training während der körperlichen Zwangspause vieles an Zeitverlust wettgemacht werden. Dies ist laut Neurowissenschaftern auf die Rehabilitation der Zukunft allgemein anwendbar. So gewöhnen sich etwa Menschen, denen eine Gliedmaße amputiert wurde, sehr viel schneller an eine Prothese, wenn sie sich den fremden Körperteil zunächst bewusst vorstellen.

Es ist laut Experten denkbar, dass man in Zukunft Intensivpatienten zwecks Rehabilitation gar in virtuelle Welten schickt – ähnlich wie Jake Sully in AVATAR. Beschleunigt sich dadurch die Genesung, könnte neben dem medizinischen nicht zuletzt der wirtschaftliche Vorteil diese neuen Therapieformen vorantreiben. In der alternden Gesellschaft steigt der Be-darf an Rehabilitation. Um diesen zu finanzieren, wird eine Effizienzsteige-rung des Therapiebetriebs notwendig werden. Virtuelle Welten und maschi-nelle Intelligenz könnten dazu jeden-falls beitragen. •

DIGITAL nATIVes für neue TeCHnOLOGIen Offen

MAxIMALe seLBsTsTänDIGKeIT ALs ZIeL Der PHysIOTHerAPIe

VIrTueLLe reHABILITATIOn erMÖGLICHT seHr früHen THerAPIeBeGInn

AuCH Der KOsTenfAKTOr für DAs GesunDHeITssysTeM sPIeLT eIne rOLLe

Page 54: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

54

////// ProgrAmmieren & robotik kinDerleicht ///Wie können Kinder bestmöglich unterstützt werden, spielerisch Programmieren, Ro-botik und kreatives Denken zu erlernen – Fähigkeiten, die im 21. Jahrhundert von großer Bedeutung sind? Eine Antwort entwickelte das Start-up Robo Wunderkind: Bauklötze mit Sensoren und Kameras, die durch ein smartes Verbindungssystem zu einem modularen Roboter zusammengebaut werden können. Dieser kann umher-fahren, einer Lichtquelle folgen oder selbst aufgenommene Geräusche wiederge-ben. Die Programmierung und Bedienung des Roboters erfolgt visuell und ohne Pro-grammcodes über die Robo App am Smartphone oder Tablet. Robo Wunderkind ist für Kinder ab fünf Jahren konzipiert. Das Start-up wurde über eine Kickstarterkampa-gne von Begeisterten aus 58 Ländern mit 246.000 US-Dollar unterstützt.

www.startrobo.com

////// exPertiSe-DAtenbAnk ////////////////////////////Laut UNHCR leben Flüchtlinge im Durchschnitt 17 Jahre im Exil. Zu viel Zeit, in der wertvolle Potenziale ungenutzt bleiben. Die Österreicherin Julia Bachler wollte das ändern und gründete das Start-up Use Potential: Bei der Registrierung von Flücht-lingen in großen Camps sollen in einer Datenbank besondere Fähigkeiten (z. B. im Handwerk, in Sprachen oder in Medizin) erfasst werden. Im Bedarfsfall kann die je-weilige Person mit ihrer jeweiligen Fähigkeit die Arbeit im Camp unterstützen oder anderen Flüchtlingen helfen. Der zugrundeliegende Gedanke ist, dass die Flüchtlin-ge aus ihrer passiven Hilfsempfängerrolle geholt und unterstützt werden, eine aktive, ihre Umwelt mitgestaltende Rolle übernehmen zu können.

http://socialimpactaward.at/project/use-potential

////// SmArte DeSigner-cArPortS ///////////////////Eine modulare Autoüberdachung, die nach den eigenen Designvorstellungen selbst aufgebaut werden kann und die über Solarpanele das Elektroauto oder -fahrrad „be-tankt“: Iconic creative carport ist eine Unterstell-Konstruktion aus sehr leichtem Ma-terial für Autos. Die Photovoltaik-Dachmembran ermöglicht, Strom zu erzeugen und liefert so einen Beitrag zu einem energieautarken Leben. Das iconic creative carport besteht aus modularen Teilen und wird vom Kunden online konfiguriert. Die Idee ent-stand aus dem Bedürfnis, ein Carport zu schaffen, das modernes Design mit hohem Nutzen für den User verbindet.

www.iconic-product.at

////// lAnDSchAftSPläne mittelS Drohnen-SoftWAre //////////////////////////////Detaillierte Pläne aus der Vogelperspektive mittels Foto-Drohnen und Spezialsoft-ware zu erstellen, das hat sich das Start-up Skycatch zur Aufgabe gemacht. Mittels Drohnen werden 2D- und 3D-Aufnahmen geschossen, die über die spezielle Soft-ware zu einem Plan zusammengesetzt werden und dem Kunden detailliert Auskunft über große geographische Areale geben. Die Idee dazu entstand, als der Gründer Christian Sanz während einer Vorführung seiner Drohnen von einem Bauingenieur angesprochen wurde, die „Flugshow“ zum Fotografieren seiner Baustelle zu nutzen. So konnte er den Baufortschritt aus der Luft beurteilen und potenziell kostspielige Fehler frühzeitig erkennen und vermeiden.

www.skycatch.com

STArT-uPSIN

NO

VATI

VES

ON

LIN

E &

OFF

LIN

E

sPAnnenDe IDeen ZuM THeMA OFFeN FüR NeuesVon Ancuta Barbu

Page 55: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

55Offen für neues

////// DAS kornfelD im hAuS ///////////////////////////Landwirtschaft in Innenräumen zu ermöglichen ist die Idee von INFARM. Das Berli-ner Start-up möchte Stadtbewohner mit frischen lokalen Bioprodukten versorgen – egal zu welcher Jahreszeit. Um das Konzept bekannt zu machen, wurde nun die erste

„in-store“ Landwirtschaft in Europa eröffnet: Ein kleiner Kräutergarten in einem Ber-liner Supermarkt. Er sieht aus wie ein Mini-Gewächshaus, in dem die Kunden Kräu-ter und Salat selbst ernten können. INFARM bietet auch Kurse und Workshops an, wie mittels Indoor-Landwirtschaft günstige und umweltfreundlich erzeugte Lebensmittel für alle Menschen bereitge-stellt werden könnten. Die Idee dahinter ist es, ein Netzwerk aus Stadtbauern zu schaffen, die ihre eigenen Lebensmittel anbauen und diese je nach Bedarf mit den anderen Netzwerkmitgliedern tauschen.

www.infarm.de

////// unterSuchung DAheim StAtt beim Arzt ////Telemedizin wird in Zukunft eine größere Rolle spielen. Neue Technologien machen es möglich, dass Patienten ihre medizinischen Werte selbst erfassen und an ihren Arzt schicken. So bleiben ihnen zumindest für die Erstuntersuchung der Weg in die Arztpraxis und oftmals lange Wartezeiten erspart. Das US-amerikanische Unterneh-men MedWand™ hat nun ein Gerät in der Größe einer elektrischen Zahnbürste ent-wickelt, das eine Reihe an Untersuchungen von zu Hause aus ermöglicht: Neben einem Pulsoximeter (zum Messen von Puls, Sauerstoffsättigung, etc.) integriert Med-Wand™ ein Ohrthermometer, ein digitales Stethoskop sowie eine kleine Kamera, mit der Ohren, Augen, Hals und Rachen inspiziert werden können. Über Bluetooth kön-nen weitere Geräte angeschlossen werden, etwa ein Blutzuckermessgerät oder ein Blutdruck-Monitor. Die medizinischen Daten können in eine elektronische Patienten-akte überspielt werden, die der Arzt abrufen kann.

www.medwand.com

////// überSetzer im ohr ////////////////////////////////Eine Welt ohne Sprachbarrieren? In Zukunft können sich zwei Menschen mitein-ander unterhalten, ohne die Sprache des jeweils andern zu sprechen. Die Idee des US-Amerikaners Andrew Ochoa ist ein kleines Hörgerät, das neueste Technolo-gien aus den Bereichen Spracherkennung und maschinengesteuerte Übersetzung vereint. Wenn eine Person spricht, hört die andere Person die Konversation in ihrer Muttersprache. Der Einfall dazu kam dem Gründer, als er eine französische Frau ken-nenlernte, die nicht Englisch sprach. Ab Mai 2017 sollen die Ohrstöpsel inklusive Übersetzungs-App für die Sprachen Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch erhältlich sein.

www.waverlylabs.com

////// freunDin für Den urlAub /////////////////////// Individualreisen sind beliebt. Auch bei Frauen, die immer öfter alleine unterwegs sind. Um diese dabei zu unterstützen, unabhängig, frei und sicher zu reisen, grün-dete die Österreicherin Marisa Mühlböck das Start-up „Sue met Lin“. Dabei han-delt es sich um eine Social Travel Plattform, die eine einfache Vernetzung zwischen weiblichen Reisenden ermöglicht. Auch weibliche Locals können die Plattform nut-zen. Nachdem man sich eingeloggt hat, zeigt die App an, welche Userin sich noch in der Nähe befindet. Die Idee zum Netzwerk hatte Marisa Mühlböck, als sie selbst auf Urlaub war. Sie wollte sich mit einer „Freundin auf Zeit“ sicherer fühlen, wenn sie abends ausging, die Kosten für einen Mietwagen teilen oder sich einfach mit ei-ner Gleichgesinnten über Erlebnisse austauschen. Die Plattform soll im Herbst 2016 online gehen.

www.suemetlin.com

Page 56: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

56

Die Kleidung denkt mit

foto

: © s

hutte

rsto

ck; I

llust

ratio

n: B

arba

ra W

ais

GPS

Körpertemperaturmessung

Herzrhythmuscheck

Stossdämpferfunktion

Venenkontrolle

Anspannungssensor

UV-Einwirkungswarnsystem

Massagefunktion

Luftzirkulatoren

Verdauungskontrolle

Schweißfußwarnsystem

Schrittzähler

Hautfettmesser

Hautchecksensoren

Herzinfarkt-Warnsystem

Gewichtskontrolle

Emotionskontrolle

Page 57: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

57Offen für neues

KleIDuNG wIRD DANK HIGHteCH IMMeR KlüGeR: sensOren In T-sHIrTs, HOsen ODer sOCKen LIefern Der PersOn, DIe sIe TräGT, DATen unD KÖnnen sIe WArnen. AuCH VOr eIner GeWICHTsZunAHMe. Von Armin Winter

Erst kürzlich stellte Samsung einen Gürtel vor, der nicht nur Schritte zählt, sondern den Träger frühzeitig informiert, wenn er an Gewicht zu- oder abnimmt. Der Gürtel-Prototyp „Welt“ ist smart und kann eine kurz-fristige Zunahme des Taillenumfangs während des Essens von einer dau-erhaften Zunahme unterscheiden. Die Technologie ist in der Schnalle einge-baut. Die Messdaten werden per App auf das Smartphone geliefert.

Smart Clothes – intelligente, mit Sensoren versehene, internetfähige Textilien – sind auf dem Vormarsch. Durch die technologische Entwick-lung werden die elektronischen Messteilchen, die in die Kleiderfasern eingearbeitet sind, immer kleiner. Damit können künftig bisher relativ große tragbare Computersysteme wie Schrittzähler, Pulsmesser und Smartwatches direkt in intelligente Stoffe integriert werden.

„Tatsächlich sind im Moment Freizeit und Fitness die größten Märkte für Smart Clothes“, sagt Antonio Krüger, Professor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. Konsumenten legen hier schon lange besonderen Wert

auf die Erfassung und Überprüfung von körperlichen Messdaten. Sportli-che Erfolge werden damit auf Knopf-druck sichtbar, was nicht nur zu zu-sätzlicher Motivation führt, sondern wodurch auch der Trainingsplan opti-miert werden kann. Schon morgen könnten Smart Clo-thes auch im Leistungssport eine große Rolle spielen. Ein Schweizer Unternehmen zeigte kürzlich auf der CeBIT, der größten Messe für Infor-mationstechnik in Hannover, ein intel-ligentes „Leiberl“ für Fußballer, das Teil eines Monitoring-Systems ist. Sensoren in dem Shirt messen unter anderem Bewegungsintensität oder Atemfrequenz des Spielers. Die Daten geben Aufschluss über die körperliche Verfassung des Fuß-ballers, wie viel er gelaufen ist, wie viele Pässe er angenommen hat und wie fit er im Match noch ist. Auf Ba-sis dessen kann der Trainer während des Spiels entscheiden, ob und wie er den Spieler weiter einsetzt. Aber auch nach dem Spiel sind die Daten interessant: Eine eigene Software er-fasst und analysiert die Messwerte für das gesamte Betreuerteam inklu-sive Arzt und Therapeuten. So kön-nen umfassende Trainings- und The-rapiekonzepte anhand von realen Situationen erstellt werden.

Smart Clothes sind auch in der mo-dernen Arbeitswelt ein Thema, ob-wohl man derzeit nicht davon aus-gehen dürfe, dass diese schon ein

Breitenphänomen seien, wie Profes-sor Krüger betont. An seinem For-schungszentrum wird auch ein Blau-mann entwickelt, ein Arbeitsanzug, der den Träger oder die Trägerin bei unergonomischen Bewegungen über Vibration alarmiert und so hilft, kör-perliche Schäden durch falsche Be-wegungsmuster zu vermeiden. Die in den Anzug eingearbeiteten Sen-soren zeichnen die Bewegungen auf und alarmieren nicht nur im Akutfall, sondern lassen vor allem eine umfas-sende Analyse durch einen Arzt oder Therapeuten zu. Dieser kann auf Ba-sis der ausgelesenen Daten ein er-gonomisches Bewegungskonzept zusammen mit dem Betroffenen er-stellen.

Wo der Forscher Smart Clothes in Zukunft sieht? „Noch eine Vision ist der umfassende Gesundheitsassis-tent, der die Arterienqualität beur-teilen und vor Herzinfarkten warnen kann.“ Erste Schritte in diese Rich-tung machte das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg. Es entwickelte eine Socke für Diabe-tiker. Der Messstrumpf warnt die Pa-tienten vor zu hoher Druckbelastung auf den Fuß. Der Hintergrund: Dia-beteskranke verlieren oft das Emp-finden in ihren Füßen und erkennen nicht, wann es durch Überbelastung zu Druckstellen und Wunden kommt. Unbehandelt kann dies zu Geschwü-ren und schlimmstenfalls zur Ampu-tation von Fuß oder Zehen führen. In

WArnunG VOr HerZInfArKT nOCH ZuKunfTsMusIK

VOn Der fITnessInDusTrIe In DIe MeDIZIn unD ArBeITsWeLT

ArBeITsAnZuG sIGnALIsIerT fALsCHe BeWeGunGsABLäufe

TrAGBAre sysTeMe BALD MIT KLeIDunG VerWOBen

Page 58: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

58

querspur: Besteht aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass wir uns zu sehr auf die technologische Unterstützung, die wir vielleicht bald an uns tragen, verlassen? Könnte das auf Kosten der Fähigkeit zur Gefahreneinschätzung, der Aufmerksamkeit oder der Erinne-rung gehen?Antonio Krüger: Selbstverständ-lich führt die technologische Ent-wicklung zu einem gewissen Grad an Abhängigkeit. Schon Navigations-systeme haben nachweislich dazu ge-führt, dass sich die Leute schlechter in fremden Umgebungen zurecht- finden. Ähnliche Effekte kann man auch von tragbarer Technologie im Allgemeinen erwarten. Allerdings bin ich zuversichtlich, dass der Mensch als Kulturwesen sich den neuen Technologien kreativ annehmen

wird, so wie das Internet natürlich Einfluss auf Aufmerksamkeitsspanne oder motorische Fähigkeiten (Hand-schreiben) genommen hat, aber auf der anderen Seite neue Wissens-kulturen entstanden sind. Um etwa Wikipedia und Youtube zu nennen.

querspur: Gibt es schon Smart Clothes, die speziell für den Bereich Mobilität und Verkehr entwickelt wurden?Krüger: Es gibt eine Reihe von Lösungen, um die Sichtbarkeit von Verkehrsteilnehmern zu erhöhen, wie zum Beispiel intelligente Westen, die Blinken sobald ein Radfahrer bremst oder abbiegen möchte.

querspur: Was kann man Kritikern entgegen, die sich angesichts der

Datenmengen Sorgen wegen des Daten schutzes machen? Wie groß ist die Begehrlichkeit von Arbeitgebern, Krankenkassen, Unfallversicherungen, an noch mehr Datenmaterial heran-zukommen?Krüger: Diese Sorgen sollte man ernst nehmen. Hier sehe ich Hand-lungsbedarf in der Politik. Das Recht an den eigenen Daten darf nicht nur theoretisch existieren, sondern muss vom Einzelnen auch gegenüber inter-nationalen Konzernen durchgesetzt werden können. Auf der anderen Seite wird die Analyse großer Daten-mengen dem Einzelnen riesige Vor-teile bringen. Der Einzelne, der von einem Analyseprogramm vor dem Herztod gerettet wurde, sorgt sich nicht in erster Linie um den Daten-schutz. •

den Strumpf sind Sensoren integriert, die den Druck und die Belastung an Sohle, Ferse, Rist und Knöchel mes-sen. Überschreiten die Werte eine be-stimmte Grenze, werden Trägerinnen oder Träger aufmerksam gemacht, die Fußposition und Belastung zu ändern. Die Signale werden dreidimensional

aufgezeichnet. Die Messdaten kom-men per Funk auf das Smartphone oder das Tablet. Smart Clothes könnten in Zukunft aber auch über die reine Datenver-messung hinaus gehen. Zum Beispiel, wenn sich die Farbe von Kleidung oder Accessoirs auf Knopfdruck

ändern lässt. Was für den Privat- gebrauch eher ein Gag ist, spielt für die Anwendung beim Militär eine ernstere Rolle: Die Anpassung an die Farbe der Umwelt vollautomatisch oder auf Befehl kann im Einsatz ein wesentlicher Vorteil sein. •

foto

: © D

fKI

smart Clothes können den Menschen im Alltag, in der Mobilität und im Freizeitsport unterstützen, schützen und warnen. Antonio Krüger, Professor am Deutschen forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DfKI), im Kurzinterview.

Page 59: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

59Offen für neues

europäische Smart Cities:

smart Cities sind attraktiv für start-ups, weil gerade in solchen

städten neue Ideen, Konzepte und Technologien gebraucht werden. In der eu steht die entwicklung und

förderung von smart Cities seit vielen jahren auf der Agenda. In den usA

wurde das Konzept von Präsident Obama erst 2015 durch den Zuspruch eines

eigenen Budgets ($ 160 Mio) offiziell unterstützt.

ZeiCHen Der ZeiT

DAT

EN &

FA

KTE

N

Que

llen:

1

GeO

Mag

azin

, ran

king

der

100

wic

htig

sten

erfi

ndun

gen

der M

ensc

hhei

t

Fortschrittseuphorie gab es nicht in jedem zeitalter. In der Antike hatte Cicero seinen Gegnern „Te innovasti!“ zugerufen und damit gemeint, dass sie sich dem neuen hingegeben hätten und vom guten Alten abgekehrt wären. erst in der renaissance (ab dem 15. jhdt.) wurde die menschliche neugier als Motor des neuen, der Innovation, wieder als Tugend anerkannt und verlor den stempel des Lasters. Viele wichtige erfindungen sind seither entstanden. Von silvia Wasserbacher-schwarzer

Ob jeder Innovation, die heute nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist, ein systematisch angelegter erkenntnisweg vorausgegangen ist, ist ungewiss. Auf jeden fall sind einige ideen schon sehr alt .1

In unserem digitalen Zeitalter, in dem Wissen weit verteilt ist, kann Innovation nicht mehr im abgekapselten raum entstehen. um besser und schneller innovieren zu können, müssen sich Organisationen öffnen. Drei große Marken, die Crowdsourcing nutzen.

1590 18633650 v. Chr. 183418101655

Bessere lebensqualität & bessere

soziale Absicherung: sieben der zehn städte mit der

besten Lebensqualität (Mercer ranking) sind eu-städte. erst auf Platz 28 findet sich eine

us-amerikanische stadt: san francisco. Auch die soziale Absicherung ist in der eu besser. Beruflich zu scheitern hat

z. B. nicht den Verlust der Kranken versicherung

zur folge.

Mehr spezifische infrastruktur

für entrepreneure: um Privatpersonen zu ermöglichen, ihre innovativen Ideen umzusetzen,

wurden in den usA sog. fab Labs (fabrication Laboratory) eingeführt. Dort steht die nötige

Infrastruktur bereit: Von der fräsmaschine bis zum 3D-Drucker, alles, was zum erzeugen eines

Pototypen gebraucht wird. In den usA gibt es 115 fab Labs, in der eu 300.

Auch Coworking spaces sind in der eu in der überzahl. Barcelona etwa hat 300. In der us-stadt Philadelphia, die eine ähnliche

einwohnerzahl wie Barcelona aufweist, sind es nur ca. 12.

Das Wissen der Masse nutzt auch der

google Translator – ein Online-sprachübersetzungstool.

findet der nutzer, dass die übersetzung nicht gut ist, kann er

Verbesserungs vorschläge in einer eigens dafür vorge-

sehenen Box vermerken. Die Qualität von Google Translator

wird so kontinuierlich verbessert.

Das IT- und Beratungsunternehmen

iBM betreibt seine eigene Crowdsourcing-Seite,

auf der regelmäßig Challenges abgehalten

werden: collaborationjam.com

Der Getränke-riese Coca Cola wollte seine

Kunden besser verstehen und befragte die

Crowd in Singapur, was sie unter dem

Claim „it’s possible“ (dt. „es ist möglich“)

verstehen.

innovations-Hub eu Mehr Bürokratie, keine Kultur des scheiterns, weniger Zugang zu risikokapital – europäische städte galten lange Zeit nicht als eldorado für Gründer. Boyd Cohen, Professor für entrepreneurship, nachhaltigkeit und smart Cities an der universität del Desarrollo in santiago, Chile, führt einige klare gründe an, warum eu-Städte bald us-amerikanische städte als Hubs für innovation überholen könnten.

Page 60: Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 10/2016querspur.at/pdf/QUERSPUR-16-10-web.pdf · Offen für neues 5 54 56 46 42 50 19 14 24 38 Morgen Mengenlehre Crowdsourcing wird

60

Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC

Tierische SchwärmeTiere bilden Schwärme, um sich einen

Vorteil bei der Futtersuche zu verschaffen oder um sich besser vor den jeweiligen Feinden

schützen zu können. 1986 fand der Computerexperte Craig Reynolds heraus, dass drei simple Regeln das Bilden und

Funktionieren eines Schwarmes ausmachen: 1. Bewege dich in Richtung des Mittelpunkts derer,

die du in deinem Umfeld siehst.2. Bewege dich weg, sobald dir

jemand zu nahe kommt.3. Bewege dich in etwa in

dieselbe Richtung wie deine Nachbarn.