6

· PDF fileJean Racine (1639 1699; Andromaque , Bérénice, Phèdre) =h= Ballettkomödien= Wichtigster Autor: Molière (1622 1673) == Wichtigster Autor:

  • Upload
    buicong

  • View
    223

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

4 REZEPTIONS-GESCHICHTE

5 MATERIALIEN 6 PRÜFUNGS-AUFGABEN

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

‚Absolutisme‘, ‚bourgeoisie‘ und ‚classicisme‘ – mit diesen Vor-stellungen lässt sich beschreiben, wie das Weltbild der Menschenwar.

Der ‚absolutisme‘ bewirkt: Die Menschen haben ein klares poli- Das Weltbild zurZeit Molièrestisches Weltbild: Der König ist der Herr des Staates; seine Herr-

schaft, seine Entscheidungen und seine Ansichten sind nichtanzweifelbar.Die große Rolle der ‚bourgeoisie‘ bewirkt: DerMensch fühlt sichals Einzelwesen, er wird nicht mehr durch seine Herkunft, etwadurch sein adelige Vorfahren, definiert.Der ‚classicisme‘, die reiche literarische Produktion, bewirkt:Der Mensch hat den Wunsch, sich zu bilden und sich alsBestandteil einer großen, in die Antike zurückreichendenLebenskultur zu sehen.

Der ‚classicisme‘, diese literarische Blüte, stand mit dem Absolu-tismus in Verbindung: König Ludwig XIV. war interessiert an Kunstund Schauspiel und Tanz. Zugleich war der ‚classicisme‘ mit demBürgertum verknüpft, denn die allermeisten Schriftsteller gehörtendem Bürgertum an, nicht dem Adel.

Wir stellen den ‚classicisme‘ mit seinen Höhepunkten und mitseiner zweifachen Ausrichtung in einem Schema dar (siehe die fol-gende Seite).

Das TheaterWir nennen in unserem Schema die Tragödien, Komödien und an-deres.Gehenwir hierauf und auf das Theaterlebengenauer ein!DasTheater spielte eine große Rolle im kulturellen Leben Frankreichsund insbesondere in der Stadt Paris. Seit der Renaissance galt dasTheater als ‚eine Schule der Sitten‘ (‚une école des mœurs‘), dieden menschlichen Geist verfeinert.

LE MALADE IMAGINAIRE 19

1 SCHNELLÜBERSICHT 2 MOLIÈRE:LEBEN UND WERK

3 TEXTANALYSE UND-INTERPRETATION

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

DIE KLASSIK – LE CLASSICISME (CA. 1650–1675)

Schon 1634 gründet Kardinal Richelieu die ‚Académie française’. 1637 richtete er in seinem Palast, dem Palais-Royal, einen Theatersaal ein. Ludwig XIV. gab selbst Aufträge an die Schrift-steller und bestellte Aufführungen für seine Schlösser. Zum Beispiel war Molières Monsieur de Pourceaugnac eine Auftragsarbeit des Königs zu den Feiern seiner Herbstjagd.Ludwig XIV. subventionierte die sog. ‚Troupe royale’ und ab 1665 die Truppe Molières, dienun ‚Troupe du Roi’ hieß.Autoren von Theaterstücken setzten an den Anfang der Stücke ehrende Worte für den König.

Die meisten Schriftsteller waren Bürger. Die Theaterstücke hatten einen psycholo-gischen Gehalt. Die Personen der Stücke wurden, auch wenn es Adelige waren, als Individuen dargestellt, nicht als von ihrer Abstammung geprägt. Das bürgerliche Selbstbewusstsein moti-vierte die Schriftsteller.

Tragödien

Autoren: Pierre Corneille (1606–1684; Cinna, Polyeucte, die Tragikomödie Le Cid) Jean Racine (1639–1699; Andromaque, Bérénice, Phèdre)

Komödien, Ballettkomödien

Wichtigster Autor: Molière (1622–1673)

Gedichte

Wichtigster Autor: Jean de la Fontaine (1621–1695; Les Fables)

Literaturtheoretische Schriften

Wichtigster Autor: Nicolas Boileau (1636–1711; L’Art poétique)

Philosophen

Starker Einfluss auf den ‚classicisme’: René Descartes (1596–1650; sein Discours de la Méthode von 1637 enthält den Satz:

„Je pense, donc je suis.“ Descartes ist Rationalist, d. h. er betont die Verstandeskraft des Individuums.

Pierre Gassendi (1592–1655) ist Sensualist und Empiriker, d. h. er betont die Abhän- gigkeit des Menschen von den Sinnen und den Erfahrungen.

Beziehung zum Absolutismus Beziehung zur Bourgeoisie

20 MOLIÈRE

4 REZEPTIONS-GESCHICHTE

5 MATERIALIEN 6 PRÜFUNGS-AUFGABEN

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Diese Schauspiele wurden gespielt:Tragédie: Sie hatte das höchste Ansehen unter den Schau-spielen. Für sie galten strenge Normen: Die Tragödie bestandaus fünf Akten. Sie behandelte einen historischen Vorfall odereine antike Legende und entwickelte daran seelische Konflikte.Außerdem beachteten die Tragödien die ‚Regel der drei Ein-heiten‘:‚Unité de temps‘: Die Handlung spielt binnen höchstens 24 ‚Unité de temps‘

Stunden. Unité de lieu‘: Die Handlung spielt an demselben‚Unité de lieu‘Ort, das Bühnenbild wechselt nicht. Dieser Ort ist zumeist ein

Vorzimmer in einem Palast.‚Unité d’action‘: Es gibt nur einen Handlungsfaden, keine ‚Unité d’action‘

Nebenhandlungen und Abschweifungen.Mit dieser Regel von den drei Einheiten griff man auf dieLehren des griechischen Philosophen Aristoteles zurück.(Genauer sagt: Man benutzte die Aristoteles-Kommentare desitalienischen Schriftstellers Lodovico Castelvetro, 1505–1571,der diese Regeln aus Aristoteles’ Werk herausgelesen hatte.)Man wollte den Zuschauern das Gefühl vermitteln, er erlebeetwas Wirkliches mit. Die drei Einheiten sollten dem Spiel aufder Bühne Wahrscheinlichkeit verleihen. ‚Wahrscheinlichkeit‘(‚la vraisemblance‘) war eine Hauptforderung an die Tragödie. ‚la vraisemblance‘

(In späterer Zeit, vor allem in der Romantik ab 1800, hat mandiese klassischen Tragödien gerade nicht als wahrscheinlich,sondern samt ihren ‚Einheiten‘ als gekünstelt empfunden.)Tragédie-comédie: Ähnlich der tragédie, aber mit wenigerstrengen Vorschriften.

LE MALADE IMAGINAIRE 21

1 SCHNELLÜBERSICHT 2 MOLIÈRE:LEBEN UND WERK

3 TEXTANALYSE UND-INTERPRETATION

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Die komischen Genres:Farce: Stück mit nur einem Akt, mit groben Späßen; im PariserStraßentheater sehr verbreitet. Molières ersteWerke waren Far-cen.Comédie: In 5 oder 3 Akten. Molières Komödien waren dieerfolgreichsten.Comédie-ballet: Comédie mit Tanz- und Musikeinlagen. Mo-Comédie-ballet:

Le Malade imagi-naire

lière hat zusammen mit dem Komponisten Jean-Baptiste Lullydieses Genre erfunden. Molières erste comédie-ballet ist LesFâcheux (1661), seine letzte Le Malade imaginaire.

Wer führte die Schauspiele auf? Zwölf Truppen, zeitweise nochmehr, zogen durch Frankreich als ‚troupes ambulantes‘. In Parisgab es diese Schauspielgruppen:

die ‚Troupe royale‘, sie spielte im Hôtel de Bourgogne,die ‚Troupe du Marais‘, die ihren Saal imMarais von Paris hatte,die ‚Comédie des Italiens‘, die aus Italienern bestand und in ita-lienischer Sprache spielten; ihr Saal war der Petit-Bourbon, einTheatersaal direkt neben dem Louvre,ab 1658 die ‚Troupe de Molière‘, die zuvor als ‚troupe ambu-lante‘ in Mittel- und Südfrankreich gespielt hatte. Molière warihr Leiter und wichtigster Schauspieler. Ihr Saal war ab 1661im Palais-Royal; er fasste 1450 Zuschauer.

Die Truppen, auch die Molières, spielten alle Genres. Jede Truppehatte 10 bis 16 Mitglieder und gab drei Mal in der Woche eineVorstellung.

Die ‚bienséance‘Das Wort heißt ‚Schicklichkeit‘. Ein verwandter Ausdruck ist ‚leRichtschnur im

Zusammenleben goût de la juste mesure‘. Die bienséance galt als Richtschnur inder Gesellschaft, genauer: im Zusammenleben der höheren Kreise.

22 MOLIÈRE

4 REZEPTIONS-GESCHICHTE

5 MATERIALIEN 6 PRÜFUNGS-AUFGABEN

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Sie besagte, der Umgang der Menschen untereinander sollte vonHöflichkeit,Gesprächsbereitschaftund innererRuhebestimmtsein.‚Raison‘ und ‚nature‘ galten als Grundlagen der Orientierung; dieMenschen sollten sich vernünftig und natürlich verhalten. Unter‚Vernunft‘ verstand man vor allem Ordnung, und ‚natürlich‘ warungefähr das, was man heute ‚authentisch‘ nennt: Man solle sichso verhalten, dass man das Gefühl hat, im Einklang mit sich selbstzu leben.2 Der Mensch, der diese ‚bienséance‘ einhielt, war ein‚honnête homme‘.

Der ‚honnête homme‘ (Plural: ‚honnêtes gens‘) war also das Vor- ‚honnête homme‘

bild im täglichen Umgang. ‚L’honnête homme‘ war gebildet, ohneSpezialist zu sein, und er fügte sich in die Gesellschaft ein. Er warspontan, aber kein Einzelgänger. Er diskutierte „détaché de toutepassion“, wie es Molières Figur Béralde fordert (III, 3, S. 71). Derhonnête hommehatte persönlicheKontakte nurmit seinesgleichen;er, der Vornehme, gab sich nicht mit den Armen ab.

Wir aus unserer heutigen Position könnenmanches an der ‚bien-séance‘, dieser alten Vorstellung von Schicklichkeit, gutheißen. Inwichtigen Punkten ist sie noch maßgebend; tatsächlich ist ja unse-re gegenwärtige Gesellschaft das Erbe dieser frühen bürgerlichenWelt. Wir verwundern uns heute freilich über die damalige stren-ge Trennung zwischen den Wohlhabenden und den Armen. Dochdiese Trennung wurde schon im nachfolgenden Jahrhundert, im18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, infrage gestellt. DiePhilosophen des 18. Jahrhunderts pflegten zwar insgesamt die Tra-dition der bürgerlichen ‚bienséance‘, aber sie wandten sich denUnterprivilegierten und den Fragen der Menschenrechte zu, wo-

2 Schon vor über 50 Jahren schrieb der große französische Literaturwissenschaftler Antoine Adamüber die Moral in Molières Werken: „Elle est une morale de l‘authenticité.“ (Adam, S. 408)

LE MALADE IMAGINAIRE 23