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650 Vereinigung Deu~scher TuberkuIose~rzte. Charitas nieht mehr die :Mittel hat, da zu helfen, wo die BehSrden und die Versicherungen nich~ helfen kSnnen. Es geh$ jetz~ Ifieht mehr an, immer wieder der Entseheidung auszuweichen. Es muff vemucht werden, die Frage zu beant- worten: wie weir dfirfen wir, wie weir mfissen wir spartanisch sein, wie welt soil die Nachsten]iebe, wie weir das Staatsinteresse unser ttandeln bestimmen, wenn beide in Widerstreit stehen, oder um es mit der unbewuBt gmusamen Sprache der Verwaltungen auszudriicken: ,,wann ist eine Kur wh'tsch~ftlieh ?" Ich betone das Work ,,versuehen", denn eine alien F~llen gereeht werdende :Formel wird sieh nicht linden lassen. Aneh ein zu schaffendes Reichstuberkulosegesetz win'de uns vor verant- wortungsvolle Aufgaben stel]en: welche ]~rgebnisse der Tuberknloseforsehung sind so gesiehert, dab man sie zur Grundlage eines Gesetzes machen kann ~. Bei welchen Maflnahmen stehen die Opfer der Ailgemeinheit und der einzelnen in einem richtigen VerhMtnis zum ErfoIg ? Wir sind uns a lIer dieser Schwierigkeiten voI1 bewul~t und doch nehmen wir gern die neuen Aufgaben yon der neuen Zeit entgegen in der ~berzeugung, dab ihre LSsung fiir das Wohl unseres Vaterlandes yon grol3er :Bedeutung ist. Ehe wir nun an unsere Arbeit gehen, wolIen wit tier MitgIieder unserer beiden Gesellsehaften gedenken, die seit miserere letzten Zusammensein gestorben sind: Dr. Bruno Birke, Chefarz~ yon Dr..Ro'mplers Iteiianstalten in GSrbersdorf. Dr. Hermann Junnasch, Oberarzt am st's Krankenhaus in Liibeck. Sanit~tsrat Dr. Theodor Kostelezky, Leitender Arzt des Waldsanatoriums ffir Lungenkranke in Planegg bei Miinchen. Dr..Ludwig Lagr~ze, Chefarzt der Heilstgtte Oberkaufungen. Dr..Karl Sieg]ried, Regierungsmedizinalrat in Potsdam. Sie nile haben unserer gemeinsamen Aufgabe treu und erfo]greich gedient und werden an tier Statte ihrer Arbeit and in unserer Gesellschaft unvergessen bleiben. Ich erSffne nunmehr die erste Tagung der Vereinigung Deutscher Tuber- kulose~rzte mit dem Wunsche, dat~ much sie zur Erfiillung der gro~en Aufgabe, die uns Xrzten im neuen Reich gestellt ist, beitragen m6ge. Franz Ickert, Stettin: Rassehygiene und Tuberkulosebekiimpfung. In diesem Vor~rag, der der praktisehen Tuberkulosebek~mpfung dienen soil, ka.nn es sich nicht um eine theoretische Anseinandersetzung fiber die Tuberkulose bei den einzelnen Mensehenrassen und ihre Bekiimpfung handeln, sondern viel- mehr durum, ob und in welcher Weise wit in die bisher gei~bte Tuberkulosebekdmp- /unff die Lehre der Rassehygieno oder Eugenik einbauen lc6nnen. Die Reiehs- regierung erwartet bekam~tlich, daJ~ jeder deutsche Arzt sein gesamtes i~rztliehes Denken und Hande]n auf die Grunds~ttze der Eugenik umstellt. ]~ugenische Ma~nahmen sind bev6lkerungspolltischer Natm*, und bev6ike- rungspolitische Ma~nahmen sind auch eugenisch, solange sie den Forderungen der Rassehygiene auf Reinhaltung bzw. Verbesserung unserer Volksmasse nieht entgegenIaufen, also nicht dysgeniseh sind. Insofern ist unsere bisherige Tuber-

Rassehygiene und Tuberkulosebekämpfung

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650 Vereinigung Deu~scher TuberkuIose~rzte.

Charitas nieht mehr die :Mittel hat, da zu helfen, wo die BehSrden und die Versicherungen nich~ helfen kSnnen. Es geh$ jetz~ Ifieht mehr an, immer wieder der Entseheidung auszuweichen. Es muff vemucht werden, die Frage zu beant- worten: wie weir dfirfen wir, wie weir mfissen wir spartanisch sein, wie welt soil die Nachsten]iebe, wie weir das Staatsinteresse unser t tandeln bestimmen, wenn beide in Widerstreit stehen, oder um es mit der unbewuBt gmusamen Sprache der Verwaltungen auszudriicken: ,,wann ist eine Kur wh'tsch~ftlieh ?" Ich betone das Work ,,versuehen", denn eine alien F~llen gereeht werdende :Formel wird sieh nicht linden lassen.

Aneh ein zu schaffendes Reichstuberkulosegesetz win'de uns vor verant- wortungsvolle Aufgaben stel]en: welche ]~rgebnisse der Tuberknloseforsehung sind so gesiehert, dab man sie zur Grundlage eines Gesetzes machen kann ~. Bei welchen Maflnahmen stehen die Opfer der Ailgemeinheit und der einzelnen in einem richtigen VerhMtnis zum ErfoIg ?

Wir sind uns a lIer dieser Schwierigkeiten voI1 bewul~t und doch nehmen wir gern die neuen Aufgaben yon der neuen Zeit entgegen in der ~berzeugung, dab ihre LSsung fiir das Wohl unseres Vaterlandes yon grol3er :Bedeutung ist.

Ehe wir nun an unsere Arbeit gehen, wolIen wit tier MitgIieder unserer beiden Gesellsehaften gedenken, die seit miserere letzten Zusammensein gestorben sind:

Dr. Bruno Birke, Chefarz~ yon Dr..Ro'mplers Iteiianstalten in GSrbersdorf. Dr. Hermann Junnasch, Oberarzt am st's Krankenhaus in Liibeck. Sanit~tsrat Dr. Theodor Kostelezky, Leitender Arzt des Waldsanatoriums ffir

Lungenkranke in Planegg bei Miinchen. Dr. .Ludwig Lagr~ze, Chefarzt der Heilstgtte Oberkaufungen. Dr..Karl Sieg]ried, Regierungsmedizinalrat in Potsdam. Sie nile haben unserer gemeinsamen Aufgabe treu und erfo]greich gedient

und werden an tier Stat te ihrer Arbeit and in unserer Gesellschaft unvergessen bleiben.

Ich erSffne nunmehr die erste Tagung der Vereinigung Deutscher Tuber- kulose~rzte mit dem Wunsche, dat~ much sie zur Erfiillung der gro~en Aufgabe, die uns Xrzten im neuen Reich gestellt ist, beitragen m6ge.

Franz Ickert, Stettin: Rassehygiene und Tuberkulosebekiimpfung.

In diesem Vor~rag, der der praktisehen Tuberkulosebek~mpfung dienen soil, ka.nn es sich nicht um eine theoretische Anseinandersetzung fiber die Tuberkulose bei den einzelnen Mensehenrassen und ihre Bekiimpfung handeln, sondern viel- mehr durum, ob und in welcher Weise wit in die bisher gei~bte Tuberkulosebekdmp- /unff die Lehre der Rassehygieno oder Eugenik einbauen lc6nnen. Die Reiehs- regierung erwartet bekam~tlich, daJ~ jeder deutsche Arzt sein gesamtes i~rztliehes Denken und Hande]n auf die Grunds~ttze der Eugenik umstellt.

]~ugenische Ma~nahmen sind bev6lkerungspolltischer Natm*, und bev6ike- rungspolitische Ma~nahmen sind auch eugenisch, solange sie d e n Forderungen der Rassehygiene auf Reinhaltung bzw. Verbesserung unserer Volksmasse nieht entgegenIaufen, also nicht dysgeniseh sind. Insofern ist unsere bisherige Tuber-

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kulosebek/~mpfung, we]che in der Form der Seuehenbek~mpfung BevSlkarungs- politik grSl~ten Ausmal~es darstellt, immer sehon eugenisch gewesen. Indessen zielt die Eugenik im besonderen auf die Reinhaltung und. Verbesserung der Erb- r~z~sse bin; wit haben infolgedessen zu untersuehen, ob und wie wir mit HiIfe der Tuberkn]oBebeks die Erbmasse des deutschen Vo]keB verbessern kSnnen.

Voraussetzung einer solchen Untersuchung dih.fte sein, dab die Tuberkulose eine vererbbare Krankhei t sei. Als wir vor etwa 10--12 Jahren den groBen A~ff- kl~rungsfeldzug gegen die Tuberkulose begannen, suehten wit dem Volke ein- zuh~mmern, dab die ff'.uberkulose mit Vererbung nichts zu tun babe - - mit diesem Satze w/ire eigentlieh dab vorliegende Thema erledigt. Indessen sind seit jener Zeit so viel neue Tatsachen bekannt geworden, dab wit heute yon neuem zu dem Problem der Vererbbarkei~ der TuberkuIosc Stellung nehmen mfissen. Selbst Bedeker gesteht zu, dab in dem vielgestal~igen Ursachenkomplex der Tuberkulose individuelle kSrperlicho Gegebenheiten mitwirken, die zu analysieren jeder von uns bestrebt ist. DaIS Eigentiimlichkeiten der relativen konstanten Verfassung des KSrpers hinsieh~l/ch seiner Widerstandskraft gegen den Tuberkelbacillus meist den Aussehlag ffir den Verl~uf der Tuberkulose geben, ]eugnet heute kaum noeh einer der extremsten Infektionisten. Nach Mart{us und Januschke geh6rb deshalb die TuberkuIose weder einfach zu den Iiffektionskrankheiten noeh zu den konstitutionellen Kr~nkheifen; vielmehr sind beide Faktoren gleichm~ISig miteinander verflochten. Nun, unsere ganze Tuberkulosetherapie hat immer danach gestrebt, dutch bestimmte HeilmaISnahmen die konstitutionelle Wider- standskraft des KSrpers zu stfitzen, und die Klinik war immer bemfiht, die einzel- nell kons~i~u~ionellen Eaktoren, welehe den Verlauf der Tuberkulose im gfinstigen oder ungfinstigen Sinne zu beeinflussen imstande sind, aufzukl~ren. Das hat ~ber immer nur mittelbar etwas mit der Frage zu tun, ob die Tuberkulose eine ver- erbbare Kra.nkheit iBt; deml die jeweilige konstitutionelle Widersta.ndskraft eines Mensehen gegen die Tuberkulose kann etwas Ererbtes oder Gewordenes oder endlieh auch beides sein.

Trotz der :Ergebnisse der bakteriologisehen Forschung hat es zu allen Zeiten wold Leute gegeben, welche die Vererbbarkeit der Tuberkulose als wahrscheintieh zu er]d~ren versueht haben. Turban z. B. hat ]900 darauf aufmerks~m gemacht, dal~ in tuberkul6sen Familien vor allem dem TuberkulSsen ~ih~giche Individuen an Tuberkulose erkrail_ken, wShrend ihm nieh~ ~hnliche Pers onen dem ~uber- kuI~sea Infekt zu widerstehen vermSgen. Coerper und Peiser sind zu gleich- artigen Feststellungen gelangt, v~/ihrend Braeuning und ~Veu~ann auf Grund ihrer UnterBuchungen erkl~iren, dab ein ungiinstiger Einflu/B solcher J~hnlichkeit zahlenm~ISig nicht nachweisbar sei. ~ Of~mals finder man in Familien mit mehr- faeher Erkrankung an Tuberku]ose eine ~bereinst immung des Ausgangsherdes der Tuberkulose im Sinne eines .Locus minoris resistentiae. Naeh Diehl und yon Versct~uer sind fiber 700 Familien bib je tz t daraufhin untersucht worden; die Obereinstimmungszahlen schwanken zwischen 72 und 80%. Abet DiehI und yon Verschuer erkls dab alle diese Arbeiten beweiskr'Mt.ige Daten ffir die Vererbung eines Locus minoris resistentiae nicht gebraeht haben. - - Andere Forscher haben FMle mit ~ihnliehem Verlau/der Tuberkulose bei einzelnen Mit-

652 Vereinigung Deutseher Tuberkulose~rz~e.

gliedern derselben Familie ver6ffentlicht. An einem gr61]eren Material, auf welches ich spii ter zu sprechen komme, babe ich mit meinem Mitarbeiter Benze aueh diese Frage geprtif~; wit fanden, dab in einer !deinen Anzahl yon Fii]len wohl Part i~lkonsti tutionen wie die Disposition zu h/imatogenen Streuungen im grol~en und ldeinen Kreis]auf und manehe andere wohl vererbbar zu sein scheinen, aber im Verh/fltnis zu tier grol]en Zahl der 'andersar t ig gelagerten Tuberkulose- fi~lle k6nnen solche Feststellungen nich~ die Frage beantworten, ob die Tuberkulose erbIich ist.

Andere bringen die Vererbbarkeit der Tuberkulose mit dem leptosomen K6rpertyp in Zusammenhang. Grotjahn und neuerdings Muckermann fordern die Kinderlosigkeit und schlieB]ich die Ausro~tung der As~heniker, ~vefl diese vorz~gs- weiss die kNeigung zur Erkrankung an TuberkuIose beherberg~en. Tats/~chlich erkranl~en und sterben mehr Leptosome an Tuberkulose a]s die anderen K6rper- t ypen und als ihrem BevSlkernngsantefl entsprieht. Unter Verweisung atff die Untersuchungen yon mir selbst und anderen bei Lebenden m6ehte ich nur die neueste Tabelle yon Ste/ko fiber Befunde an Tuberkuloseleichen zitieren (120 Sek- tionen) :

Asthenischer Typ . . . . . . . . . . . . . 47,2] Thorakaler Typ . . . . . . . . . . . . . . 32,1/10,2 / 89,5 ~ Asthenoider Typ . . . . . . . . . . . . . Juvenilcr Typ . . . . . . . . . . . . . . 2,0] ~ypop]astiseher Typ . . . . . . . . . . . 1,5 Muskularer Typ . . . . . . . . . . . . . . 3,2 Abdominaler (= pyknischer) Typ . . . . . . 0,8

Dieso Zahlen stehen mi t denen anderer Pathologen und auch mit den an Lebenden gewoimenen im EinkIang. Die Forderung Grot]ahns und 2iuclcermanns erscheint daher zuniichst durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Da der lepto- some KSrpcr typ vererbbar ist, kSnnte es sich bei der Tuberkulose um sine ver- erbbare unspezi]ische Disposition handeln, welche an den ]eptosomen KSrper typ gekoppe]t w/ire. Indessen belehren uns racine Untersuchungen mi t .Benze eines anderen. Wir haben in unserem Material die Kinder der ZeTiosomsngruppe (das sind Leptosome und ihre Mischtypen mit den Muskul/iren und den Pyk- nikern) und der Gruppe der ~uskul~ren und Pykniker (und ihrer Mischung) nach der Belastung einander gegenfibergestellt und dabei folgendes Ergebnis erhalten:

Tabolle 1.

KiDder Jeden Al~ers der L-Gruppe der ~[-P-Gruppe

1. 42 Ehepaare, beide Partner ge- 174 Kinder, davon sund 74 tbo. ~ 42,5 %

2. a) 48 Ehepaare, i Partner the. 206 Kinder, davon ] l l l tbo . = 54,0%| zu-

?s0~]ff) .In~n b) lgEhepaare, beide Partn.tbo. 34 Kinder, davon| 55 5%

22 tbc. = 65,0% ] '

(Aus lckert und Benze, Stammb~ume mit TuberkulSsen). L-Gruppe-~ Leptosome + Mischungen der Leptosomen. M-P-Gruppe = l~uskularo -? Pykaiker -b I~iisehnng beider.

61 Kinder, davon 2 tbe. ~ 3,3%

46 Kinder, davon | 14tbc. = 30,4% [ zu-

s ~ m l n e i 1 6 ]Kinder, davon ] 30,8% 2 tbc. = 33,3 %

F. Ickert: Rassehygiene und Tuberkulosebekampfung. 653

Auch hier sind unter allen Umstfinden die Kinder der Leptosomcngruppe mehr yon Tuberkulose befallen als die der M-P-Gruppe. Anders die Gruppe der Pykniker und Muskul~ren: wiihrend bei elterlicher Belastung die Erkrankungs.. ziffer bei der L-Gruppe yon 42,5 auf 55,5% binaufgeht, schnellt sie bei der M-P- Gruppe yon 3,3 auf fast das Zehnfache , auf 30,8, hinauf. Man ka.nn nich~ sagen, daI~ nur die vermehrte Infektionsgelegenheit das verursachen k(inne; denn bei der nichtelterliohen Belastung war meist geniigend Iafektionsgelegenheit ffir die M-P-Kinder yon seiten der erkrankten L-Geschwister vorhanden. Jedenfalls zeigt diese Zusammenstellung unzweifelhaft, dab Tuberkulose und leptosomer K6rper typ nicht zwangI/iufig miteinander gekoppelt 'zu sein brauchen. Die einzeI- nen K6rper typen reagieren, wie wir wissen, in verscItiedener ~Veise auf exegene Faktoren, z. B. auf Nahrungsmittel und auf Gifte, so auch auf das Gift des Tuber- ke]bacillus. Ste]ko h~t jiingst ers~ wieder die klinische Re,~ktionsweise der einzel- hen K6rper~ypen rechts priignant zusammengefaI~t. So ist der K6rper typ wobl geeignet, den Verlau[ einer Tuberkulose in besonderen :Fiillen zu beeinflussen; fiir die Hdu]igkeit der Erkrankung an Tuberkulose I~l]t sich ein solcher EinfluB abet nicht als gese~zmM3ig feststellen.

Auch die anlagebedingte Fiihigkeib der endo]~rinen Driisen (Ste]ko u.a . ) , die Organminderwertigkeit im allgemeinen (Ste]ko) und im besonderen der Lunge (Miinler) und andere endogene :Faktoren dfiHten wie die oben besprochenen :Fuk- toren wie K5rpertyp, Lotus minoris reslsten~iae :~sw. im EinzeIfalle den VerJau] der Tuberknlose bestimmen, wie wir das yon den Umweltsfaktoren wissen. Sie mSgen in einzelnen Sippschaften erblich sein, abe:" nie zusammen, sondern nur immer einzelne :yon ihnen, wiibrend man bei andern Sippsehaften vergebens nuch ihnen sueht. Wir haben daher alle diese Faktoren, und zwar sowohl die endogenen aIs aueh die exogenen unter der Bezeiehnung Hil[s[aktoren zusammengefallt in Anlehnnng an die Bezeichnung ,,Modi/ikations/aktoren" yon Diehl und yon Ver- sehuer ffir die gleiehen Faktoren.

Einen anderen Weg zur L6sung d e s :Erbliehkeitsproblemes haben .Diehl und you Verschuer besehritten: den Weg der Zwilllngs/orschung. Naeh ihrer letzten Ver6ffentlichung in dem Buche: ,,Zwillingstuberkulose" fanden sie yon 106 Zwil- lingspa~ren mit tuberkul6sen Vers gegeniiber der Tuberkulose

Gleiches Verhaltea Versch. Verhalten

bei 37 eineiigen Zwillingen . . . . . . . . . . . 26m~1=70% l lmal=30% ,, 69 zweieiigen . . . . . . . . . . . . . 17 ,, ~25% 25 ,, ~75%

Auf Grund dieser Zahlen, der sonstigen Beohachtungen und der sta~istisehen Berechnungen gelangen die Forscher zu der These, dai~ die Disposition zur tuber- ]culSsen Er]crankung eine spezi]ische Disposition darstelle und vererbbar sei. Die oben besprochenen Hilfsfaktoren seien nu t geeignet, die Disposition zu steigern ode:" zu mindern - - daher die ]~ezelchnung Modifikationsfaktoren. Das Schau. bild ~nf S. 461 ihres Buches vergleieht die Tuberkulose miV anderen Krankheiten (s. Abb. 1). :Die Zahlen sind fiir die Tuberkulose bei eineiigen Zwillingen auf gleicher tI6he wie bei Schizophrenie und Kriminalitiit, bei denen fiber die Ver- erbba.rkei~ wohl kein Zweifel mehr herrseht. An den Ergebnissen und Ansehau- ungen yon Diehl und yon Verschcter ist viel Kri t ik gefibt worden; aber keiner der widersprechenden Krit iker hat die zahlenm~ii]igen Ergebnisse widerIegen

65~ Vcroinigung Deutscher Tuberkulosearzte.

k6nnen oder hat selbst Zwillingsforschungen angestellt. Die Zwi]llngsforschung is~ Jm iibrigen in der Vererbungslehre ~ls Forsehungsmethode anerkannt; als s in dieser Beziehung haben wir bis jetzt keine Bereehtigung, an ihren Erfolgen zu zweifeln. Naeh don Ergebnissen der Zwillingsforsehtmg miissen wit demnach annehmen, dal] die Disposition z~r Tuberkulose spezi/isch und ver- erbbar ist.

Bneh~e Zw////nge Zwe/gi~ Zw////n]e

Pn~t!zom~ 7.6:76 N~sera ~ r ~ ~ H t r s e r n ~ ; m

/t'auchhuo'/~ 9~ :. ~ ~ . " "~'~Kel,'chhus/en 87,13

I ~ Gleichb~ ~ UagtetchhW

Abb. 1. :Naeh D~aht u, v, Ver~chuer. Der verschiedene G~ad yon Glefchhe]~ und Ungleichhei~ ze[g~ den EinfIul~ yon lqzbanlage uud Umwelg ilir die betreffenden Js usw.

Naeh Johannes Lange bedaff die ZwiUingsforsehung zur weiteren Aus- wertung noch der Familien- oder Stammbaurn/orschung. WAhrend Iriihere Forscher bei solchen Untersuchtalgen nur die Tuberkulosetodesffflle berficksichtigt haben, habe ieh mit meinem Mitarbeiter Benze solche Stammb~ume auf Tuberkulose- erkrankungen aufgebaut; die TuberkulosetodesfA]le rangieren d~bei in der Haupt- sache nur als ,,tSd/iche" Tuberkulosen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in dem ]3iichlein ,,Stammbaume mit TuberkulSsen" zusammengestellt. Es sind in 89 Stammb/iumen fiber 5200 Personen erfal]t; wegen der gedrAngten Kiirze dieses Referates mul~ ieh auf die Zusammenstellung verweisen (Demonstration einiger Stammb/iume). Es lASt sich an diesen Stammb~umen oft miihelos der Infektionsgang innerhalb einer Sippe konstruieren. AuffAllig bleibt immer, dal~ nur einige der Exponierten und nieht alle von ihnen erkranken. Manchmat a, ber sprechen die Tatsachen gegen einen scheinbar einfachen Infektionsgang innerhalb der Sippe, indem die betreffenden gar nieht einander exponiert waren; manchmal waren die aJs Bacillenstreuer Vermuteten schon 30--40 Jahre tot, als einer der Probanden an Tuberku]ose erkrankte. Auf die EinzeIheiten kann ich hier ~ch t eingehen; jeden~ulls sprach in bestimmten F~Llen alIes daf/ir, da2 wohl irgendein erbliehes Moment auger dem Tuber'kelbaoillus be/ der oder jener Erkrankung in Frage kam. Mit ttilfe einer Bereehnung, deren Kenntnis ieh Herrn yon Ver. schuer verdanke, gelangten wit zu folgendem Ergebnis. F. Bernstein in GSttingen hat mit einer yon ihm gefundenen Formel die Wahrscheinlichkeitszahlen ]i2r den recessiven Erbgang ftir Ehen mit 1--10 Kindern berechnet, und zwar sowohl ffir den Erbtyp DR • DR (beide Eltern gesund, aber Merkmalstr/iger) als auch flit den Erb~yp DR X RR (1 Elter krank). F~- die entspreehenden Ehen unserer Stammbaume haben wir die erkrankten Kinder zusammengezghlt und mit den ErwartungszahIen nach Bernstein verglichen. :Nach don Tabellen unseres Buches fanden wir krank :

F. Ickert: Rassehygiene und Tuberkulosebek~mpfung, 655

I . y o n den K i n d e r n u n t e r 20 J a h r e n

in der Gruppe ,,0 Eiter krank": 39; zu erw~rten waren . �9 . 40,3 . . . . . . . . . 1 . . . . ": 63; . . . . ,, . . . 67,6

I I . yon den K i n d e r n fiber 20 J a h r e n

in der Gruppe ,,0 Elter krank": 148; zu erwarten xwren . . . 169,4 ,, ,, ,, ,,] ,, ,, ": 104; ,, ,, , . . . . 131,9

Die Zah len l iegen bei den e rs ten 3 R u b r i k e n innerha lb der dre i fachen mi t t l e r en Feh le rgrenze , bei de r l e t z t en Gruppe er re ichen sis fas t d ie Grenze; die Ubere in- s t i m m u n g der Zah len in den e inzclnen G r u p p e n di i r f te dahe r m e h r als ZufaU sein.

Noch in a n d e r e r W e i s s i s t an unse rem Mageria l de r recess ive E r b g a n g gepr i i f t worden . Nach d e m recess iven E r b g a n g s ind fiir d ie E h e n D R • D R {0 ]~lter k rank) 1/4 ---- 25% , ,Kranke ' . ' zu e rwar ten , ffir die E h e n R R • D R (1 EI te r k rank) abe r 2/4 = 50%. Beze ichnet m a n d ie 5{ani fes ta t ionswahrschein] ichkei t ftir die e r s t e ren E h e n m i t P l , fiir die l e t z te ren E h e n mi t p~, so ve rha l t en sich P~:P2

25 : 50 = 1 : 2. Die M a t h e m a t i k e r i n FrI . Dr. Weber h a t uns nach der Bernstein. schen ]?ormel

1 - (1 - p)~'

worin p die U n b e k a n n t e ist, aus unseren Zah len Pl und Pz be reehne t ; es verh ie l t sieh

ffir d ie K i n d e r un te r 20 J a h r e n Pl:P~ ~--1:2,23, also Shnlich 1:2;

ffir d ie K i n d e r fiber 20 J g h r e n iol: P2 ~ 1 : 2,26, also s 1 : 2.

Die ~ b e r e i n s t i m m u n g zwischen empi r i schen u n d theore t i s ehen Ziffern scbe in t uns m i t yon Verschuer so g u t zu sein, d a b wir einen recessiven Erbgang der Dis- position zur Ers an Tuberkulose ]iir wahrscheinlich halten. I n unseren Sippscha]ten ist zahlenmgifiig unge/dhr ]eder an Tuberkulose erkrankt, bei dem es nach dem recessiven Erbgang zu erwarten war. I ch m6ch te ausdr i ick l ieh be tonen, da~ fiber den Verlau[ des Einzelfal les dabe i n ich t s gesagt ist.

Als eine gewisse Bes t~ t igung der A n n a h m e einer e rb l ichen Dispos i t ion zur E r k r a n k u n g a n Tuberku lose ha l t s ich fo lgende unserer Un te r suchungen . I e h h a t t e vo r J a h r e n in e inem ostpreul~isehen Dorfe d ie 45 Schu lk inder eines often- t u b e r k u l 6 s e n Lehre rs un t e r such t und 42 yon ihnen als t u b e r k u l i n p o s i t i v u n d 12 yon ihnen als tube rku lSs (ak t iv und inakbiv) befunden . ]:)as ganze Dorf wurde 3 J a h r e s p a r e r in unsere S t a m m b a u m f o r s c h u n g e inbezogen u n d d a b e i fes tges te l l t , d a b , , e r k r a n k t " n u r solche K i n d e r waren, welehe h.gendwie durch ihre S ippscha f t belastet waren ; , ,unbe las te te" K i n d e r ze igten ke ine f iber den 9e rka ]k ten Primi~r- he rd h inausgehenden Ersche inungen .

Nach unsere r Ans i ch t werden - - wenigs tens in den d ich tbes iede l t en Gegen. den - - f a s t al le Menschen m i t dem Tuberke lbac i l Ius inf iz ie r t ; aber be i den meis ten Menschen k o m m t es n u t zu einer pos i t iven T u b e r k u l i n r e a k t i o n oder zu einem obsole ten v e r k a l k t e n Pr imi~rkomplex; kl in isch e r k r a n k e n n u t d ie jenigen an Tuber - kulose, weIche nach d e m recess iven E rbgang dazu spezif iseh d i spon ie r t sind. Nach dieser Anschauung t r i t t d ie Tuberkulose an d ie Sei te ande re r K r a n k h e i t e n , bei welchen wir ahnl iches Verha l t en kennen. I m Sommer 1932 e rk rank ten bei de r groBen Kinder l i~hmungsep idemie such n i ch t al le Personen, welche m i t d e m In- fek t ionss tof f in ~Beriihrung kamen , an K inde r i~hmung , sondern zeigten h6chs tens

656 Vereinigung Deutscher Tuberkulosearzte.

ganz banMe Symptome wie Husten, Schnupfen, Darmst6rung usw. ; an Kinder- lghmung erkrankte nur ein kleiner Tell, nii mlich diejenigen, welche spezifisch ffir die Kinderliihmung disponiert waren. Bei tier epidemischen Geniekstarre, epi- demischer und postvaccinaler Gehirnentziindung und einigen anderen Krank- heiten ist das ebenso. Otto Lentz nennt diese Krankhei ten Auslesekrankheiten, weil zur Erkrankung nut die spezifisch Disponierten ausgelesen werden. Uns scheint die Tuberkulose ebenfalls eine solche Auslesekrankheit zu sein. Der Untersehied zu den obengenannten Krankhei ten ist nu t der, dab die Disposition ffir diese ICr~nkheiten nur selten, ffir die Tuberkulose aber h~ufig verbreitet zu sein scheint. Durch diese Einreihung der Tuberkulose unter die Auslesekrank- heiten auf Grund unserer Erkenntnisse fiber die spezifiseh vererbbare Disposition h(irt aber die Tuberkulose nicht auf, eino In/ektionskrankheit zu sein. Ich m6chto dies bier mi t gr6]~tem Nachdruck betonen. Ebenso wie wir die epidemischs .Kinderlghmung, Genickstarre usw. als In/ektionskrankheiten beP~imp/en, mi~ssen wit tier Tuberlculose nach wie vor mit den Mitteln der Seuchenbelc(imT/ung entqegen- treten. Ich wiirde es als ein grofles Unfli~ck /iir unser Volk halten, wenn ffesetz- geberlsch oder mit den ~Vitteb~ der Propagandc~ an dlesen C~'unds(~tzen geriiitelt wiirde. I m Gegentefl: unsere Mal]nahmen gegen rticksiehtslose :Baeillenstreuer mfissen sieh endlieh einmal auf ein Reichstuberkulosegesetz stfitzen k6nnen.

Was is~ nun mi t der Erkenntnis, dab der Tuberkuloso eine vererbbare Dis- position zugrunde liegL gewonnen ~. Ieh gl~ube nicht, dal~ viele, die sich mi t tier Vererbungslehre beschfiftigt haben, sich fiber die Auswirkung des recessiven Erbganges fiir irgendeine best immte Eigenschaft schon ldar geworden shld. Sind beido El tern gesund, abor Merkmalstr~ger, also yon der Forme] DI~ • DR, so ergib~ die Mendelsehe :Formel DD + 2 D R + Rl%, also 1 krankes (1%~) und 3 gesunde (DD + 2 DR) Kinder ; demnach betr~igt die Wahrscheinlichkeit fiir jedes Kind der l%milie z .B . an Tuberkulose zu erkranken 25%. :Bei 1 El ter k rank + 1 El ter gesund, aber 5Ierkmalstr~ger (RR • DR) ist die Wahrsohein- lichkei~ 2 Rl% + 2 DR, also 50 %. Das auf die Bev6]kerung umgereehnet, mfissen wir den binomisehen Lehrsatz zu Hilfe nehmen. Ich habe die Zahlen nu t ffir Familien mi t d Kindern ausgerechnet. Fiir die Erbformel I~1~ • Dl% ~--2 1~1~

2 D R (2 h .anke und 2 gesundo Kinder) gosehieht das naeh der Formel (2 k + 2 g)r fiir die Erbformet Dl% • D R ~- R R + 2 Dl% + DD (I krankes und 3 gesunde Kinder) nach der Formel ( lk + 3g) ~. Die Zahlen |auten ffir

die Eltern RR • DI~ die Eltem DI~ • :DR Zahl dcr ~amilie

16 64 96 64 16

256

Kinder krank

512

]Kinder gerund

512

Zahl tier Familie K indc_r krank J_~i_nder g . . . . d

kranke :gesunde Kinder ~ 1 : 1

t 4 12 3 54 2

108 1 Sl 0 ! 4

256 256 I 768 kranke: gesunde Kinder ~-- 1: 3

L 0 i 1 2 3

Wenn also 1 :Elter krank ist, so kommen auf 256 Familien 16 mit nur ge- sunden 4 Kindern; sind beide :Eltern gesund, so kommen auf 256 l%mi~ien nur 1,

F. Iokert : Rassehygiene und Tuberkulosebek&mpfung. 657

in welcher alIe 4 K i n d e r k r a n k sin& D e n k t man an diese Zahlenverh~l tn i sso bei der ]3e t raeh tung der S t a m m b ~ u m e , d a n n f inder m a n erkl~rl ich, w a r u m k r a n k e P r o b a n d e n in manchen S t a m m b s so h~ufig, in anderen so se l ten s ind usw. ( D e m o n s t r a t i o n eines solchen S t a m m b a u m e s ) .

tVLit de r A n e r k e n m m g des recess iven Erbganges ftir d ie Dispos i t ion zur Tuber - kulose is t Ifir den Tuberku lose f i i r so rgea rz t und ffir den E h e b e r a t e r zun~chst noch n ieh t viel gewonnen; denn diese Zah len s ind zwar Ifir d ie Anschauung und ffir d ie Theor ie ungemein wich t ig , Ifir d ie l~raxis besagen sie nur wenig. Auch wenn der Arz t yon d e m zu B e t r e u e n d e n e inen rege l reeh ten S t a m m b a u m aufgestel[ t ha t , w i rd er i m aUgemeinen noch niche wissen, wie er seinen K l i e n t e n eugenisch b e r a t e n sol[. Dazu k o m m t , d a b eino eugenische Be ra tung , d ie Tuberku lose be- t re f fend, auBerdem hie das Ansteclcungsmoment aul~er a c h t lassen kann . W i t h a b e n uns aus d iesem Grunde bem~iht, aus unse rem S t a m m b a u m m a t e r i a l E r - [ahrungszahten herauszuziehen . Ff i r j eden e inzelnen P robanden , ffir den es ging, h a b e n wi r nach der d i r ek ten Methode d ie .Belastung dutch die Sippscha]t b e s t i m m t , das war f i ir 3479 Personen mSglieh. Die E f f ah rungszah len s ind in Tab. 9 unseres Buches zusammenges te l l t , welehe ieh h ier demons t r i e r e (Demons t ra t ion) . W i t ersehen aus de r Tabe l le z. B., d a b die n i e h t e r k e n n b a r e ]3e las tung einen Effo lg yon 5,3 % T u b e r k u l o s e e r k r a n k u n g e n in unserem Mate r i a l h a t t e ; diese Zah l l iegt a n unse rem Aus lesemate r i a l , eben a n unseren S t a m m b ~ u m e n m i t Tuberkul6sen . F a s t ebenso geringe Zfffern w u r d e n fiir d ie jen igen gefunden, d ie aus~chliefltich d u r e h Grol~eltern oder Groi~geschwister u n d dutch niemand anders be las te t wa ren 6,5 % bzw. 6,0 %. Die Be l~s tung durch aussehlieBlieh 1 E l t e r u n d n i e m a n d anders is t

T a b e l l e 2. ])as Risiko ffir die Kinder elnes Ehepaares, an Tuberkulose zu erkranken, bzw. die Mani-

festationswahrscheinlichkeit der Tuberkulosedispesition bei den Kindern is~ in re]gender Weise zn sch~tzen:

Tbo.-]~Ian[- I : festations- IPunk te

l~nb~ik wahrschein- 1 chkeit ( % )

I II

I l I IV u

VI

VII VI I I

I X

X

Beide Ehepar~ner gesund und unbelastet . . . . . . . . . . Beide :Eltern gesund; deren Geschwister oder Grol~geschwister

(von 1 Ehepartner) tbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beide ]~ltern gesund; 1 Elter eines ~hepartners tbc . . . . . .

, . . . . . ; schon 1 oder mehrere Kinder t b c . . . : ,, ,, ,, ; ,, 1 . . . . . , tbc. ; dazu Geschwister der ]~ltenl oder die E]tern des :Ehepaares . . .

1 Eltcr tbc. olme weitere Belastung; der andere Elter ebeiffalls unbelaste$ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 Elter tbc.; sonst wle bei VI; dazu schon mehrere Kinder tbc. 1 Elter tbc.; sonst wie bei VI; dazu die Geschwister oder Grofl-

gesehwister des tbc. Elters gleichfatls tbc . . . . . . . . . 1 Elter tbc.; sonst wie bei VI; dazu 1 oder beide Eltern yon

ihm tbc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beide Eltern the.; dazu Belastung noch yon irgendeiner Seite

I00% = fund 20 Punkte

(Aus Ickert und Benze, Stammb~ume mit TuberkulSsen.)

5,3

6,0 6,5

14,1

20,5

19,5 40,1

27,1

39,tl 58,7

1,0

1,1 1,2 2,7

3,9

3,7 7,6

5,1

7,4 11,1

658 Vereinigung Deutscher Tuberkulose~rzte.

an und fiir sich nicht sehr hoch (19,5%), auch nicht aussetflie~lich durch Geschwi- ster (14,1%). Belas~ung durch 1 El ter + Gesehwister l~Bt aber den Erkrankungs- effolg schon auf 40,1% heraufschnellen, bei der Belastung dureh 2 Eltern auf 57,5 bis 62,4 %. Die Zahlen sprechen im fibrigen ffir sich selbs$. Hinzugeffigt sei, da~ man bei Schizophrenen, wenn nur 1 Ehepar tner sehizophren ist, mi t 9- -10 %, wenn beide Ehe- par tner schizophren sind, mib 53 % schizophrenen Kindern rechnet. Die Zahlen sind kleiner als bei der Tuberkulose; hier fehl$ eben das in/ekti6se Moment. Dieses komm~ bei der Tuberkulose noeh hinzu; der erbliche und tier i~/ektiS~e Fak to r las- sen sich eben in der Praxis nicht trennen. Diese Effolgszahlen sind gewom~en wor- den ohne Riicksicht darauf, ob die Tuberkulosedisposition vererbbar ist oder nicht; sie gelten daher auch ffir denjenigen, welcher die Vererbbarkeit dieser Disposition noch nicht anerkennen will. Fiir die Praxis haben wir abet diese demonstrierten Erfahrungszahlen zu einer Risiko~afei umgearbeitet (s. Tab. 11 bei Ic~rt und Benze).

Wenn man diese Tafel in der Eheberatung oder Tuberkulosefiirsorgestelle verwenden will, mul~ man darauf achten, ffir wen man das Risiko, an Tuber- kulose zu erkranken, best immen will, fiir ihn selbst oder fiir die (evtl. noch un- geborenen) Kinder; man daft also fiir diese F~ le Eltern und GrofleItern, Ge- sehwister und Tanten usw. nlcht verwechseln. In meinem Buche mi t Benze babe ieh eine Reihe praktischer Beispiele angeffihrt, in weleher Weise man im Einzelfalle das Risiko best immt.

Es kommt noch hinzu, dab solche Prognosen nieht fiir alle Zeit zu steUen sind. I s t aussch]iel3Iieh 1 Elter krank, so betr~gt das Risiko ffir die Kinder, an Tuberkulose zu erkranken, 19,5% ; erkrankt aber nun im Laufe der Zeit eins der Kinder an Tuberkulose, so schnellt fiir die Geschwister dieses Kindes das Risiko auf 40,1% hinauf. :Bei der Seh~itzung des Risikos ist aber noch mehr zu beaehten, n~mlich die sog. HiI/s]al~toren.

1. Naeh unserem Material kommt es auf die Schwere der elterlichen Tuber- kulose an. Kinder, we]che in den letzten 5 Jahren vor dem Tode des Often- tuberkulSsen geboren worden sind, haben eine Erkrankungsh~ufigkeit yon 50%, stellen also ein schleehtes Risiko dar. Braeuning und Neissen haben in ihrem jfingst ersehienenen Buche die Merkmale zusammengestellt , waml man mit fiber. wiegender Wahrscheinlichkeit e ~ a r ~ e n kann, dal~ ein TuberkulSser innerhalb der n~chsten 4 Jahre stirbt. Das kann als Anhal tspunkt fiir die schwere fort- schreitende Tuberkulose dienen. Mit Diehl und yon Verschuer stehen wir auf dem S~andpunkt, dal~ die 8chwere Tuberkulose bevSlkerungspolitisch sehr be- denklieh ist; Vererbung und Bacillenstreuung summieren sieh bier in bedenk]ieher Weise.

Es isr hier wieder zu demonstrieren, wie sich im Einzeffalle die Prognose im VerIaufe der Krankhei t iindern kann: bei einem nicht schwer, aber isoliert erkrankten Elter betriigt das Risiko naeh Rubr ik VI der Tabelle 19,5%; geht aber dessen Tuberkulose in eine schwere im Sinne des vorliegenden Absatzes tiber, so s~ ig t das Risiko ffir die Kinder auf 50 % ~ wei~ere Kinder sind nunmehr unerwfinseht.

2. Der KOrpertyp. Bekanntlich wollen Grotjahn und MucIcermann die Leplo- somen zur Kinderlosigkeit verurteilen. Ich habe schon angeffihrt, dal~ diese

F. Ickert: Rasschygiene und Tuberkulosebekgmpfung. 659

Forderung in unserem l~Iaterial keine Stfitze finder. Natfirlieh ist ein gewisser EinfluB vorhanden; wir haben deshalb den leptosomen K6rpertyp uater die Hilfsf~ktoren eingereiht. In einer Tabelle unseres Buehes (Tab. 7) haben wir den Einflul~ des leptosomen K6rpertypes der ]~ltern auf die Tuberkulose der Kinder za, hlenmi~lBig festgelegt (Demonstr~t, ion). Die Z~hten dieser Tubelle haben wit fiir die Erg/~nzung der t~isikotufel (s. Tab. 2) in folgender Weise na0h Punkten umgerechnet.

T~belle3. Erfolge der BeIasLung der Kinder yon Leptosomcn.

]3eide Eltern gesund Belastung nach l~unk~;en Ehen ohne Leptosome . . . . . . . . 1

,, mit 1 L e p ~ o s o m c n . . . . . . . 2 ~, ,~ 1 bel~s~eten Leptosomen. . 2,7

1 Ehepartner tuberkulOs Ehcn ohne Leptosome . . . . . . . . 1

mit tuberkulSsem Leptosomen . 1,2 Beide Ehepartner tuberku~6s

Ehen ohne Lcptosome . . . . . . . . 1 mit Lcptosomen . . . . . . . 1,3

1 Elter bereits vor der Elm tuberkul6s ]ilhen ohne Leptosome . . . . . . . . 1

,, mit tuberkulSsem Leptosomen . 1,4

(Aus Ic~erf, und Benze, Stammb~ume mit Tuberkulfsen.)

l~raktisch wiire d~nn so zu verf~hren, dal] im Einzelfalle die 1 Punkt iiber- steigendc Gef~hrdung den :Punktziffern der ~Risikotafel zuzuzghlen ist.

3. 1)rognostisch wichtig isb ferner die Gebarung des kranken Probanden, sein Charakter. Asoziale und antisoziale riicksichtslose Bacillenbuster gef~ihrden das Leben der Kinder durch Superircfektion in erheblichem Mal3e. Nach Gabe und Schmidt.Grandhomme solI der Eheschliel3ung Tnberkul~iser nut unter ]3eriick- siehtigung der sittliehen und geistigen Rei fe zugestimmt werden. Wir gehen einen Sehribt weiter und ertdEren, dab der Kindersegen asozialer und antisozialer OffentuberkulSser eugeniseh unerwi~nscht ist.

4. Unter Umst~inden hiitte man noch familieneigene PartialkonsLitutionen, wie Neigung zu hgmatogenen Streuungen, zu berticksiehtigen.

5. Bei der Eheberatung isb folgendes wiehtig. Zweite Ehepartner erkrankten hi unserem Material etwa in 8% der F~lle, werm der andere Ehepartner erst wdhxend der Ehe erkr~nkte. War ~ber tier erste Ehepartner schon vor der Ehe- schliel~ung krank, so erkrankte der zweite 3,7 real so hgufig als im ersteren Falle. Hier sind 2,7 Punkte den Punk~zahlen der Risikotafel zuzuz~hlen. Im iibrigen stehen wir mit Diehl und yon Versehuer auf dam Standpunkte, dab man 2 Tuber. kul6sen die Ehe nicht verbieten sell bzw. ihnen nieht d~von abraten sol/, und zwar unter der Bedingung, dab Kindersegen ausgeschlossen wird. Ein Eheverbot diirfte im fibrigen kaum gerechCfertigt sein, es sei denn, daI] der Tuberku/6se naeh w 1304 BGB. in seiner Gesch~iftsfiihigkeit beschri~nkt w~tre.

In den letzten Men, ten sind eugenische MaJ3n~hmen durch die Eheslands. beihil/e pl6Lzlich sehr akut geworden. Nach den ver6ffentliehten RichLlinien wird dus Darlehn nicht gegeben, wenn schon bei einem der Antragsbeller eine

Beitrage zur Klinik der Tuberkulose, :Bd. 83. 44

660 Vereinigung Deutseher Tuberkulose~rzte.

ansteekende oder eine Erbkrankbeit festgestellt wird. Hier k~nn die Tuberkulose sowohl bei den Erbkrankheiten als aueh bei den ansteckenden rangieren. Leider sind in den ver6ffentIiehten Zeugnisformularen nur die Erbkrankheiten, aber nieht die ansteekenden K_rankheiten verzeichnet, so dab Unktarheit in die ganze Angelegenheit gekommen ist. AuSerdem is~ dem subjektiven Urtefl des Arztes dabei ein ungeheuer ga-oBer Spiehlauru gelassen. Ffir die Eheberahmg und Tuber- kulosefiirsorge haben uns reifliche Erw~gungen zu dem SchluB geffihrt, daft eine Belastung dutch Tuberl~alose in der Sippschaft als eugeniseh und bevSlkerungs- politiseh bedenklich erseheint, wenn bei mehr als einem Drittel der Kinder Tuber- kulose zu erwarten ist, wenn also das betreffende Risiko fiber 331/a% oder 6 Punkte betr/igt. Wird in einer Ehe diese Punktzahl erreieht, so sell man den Eltern sagen, dal] weitere Kinder unerwiinseh~ sind. Wit sCh]iel~en uns hier dem Vorschlag yon Dieht und yon Verschuer an:

In jedem Fall, we die Nachkommenverhfitung tmbedingt und dauernd g e b o t e n ist und we die Durchffihrung der Naehkommenverhfitung nicht mSglich ist, sollte auf Wunsch des Kranken die Sterilisation erlaubt sein. ])as Gesetz zur Verhi2tung des erbkranken Nachwuchaes (Sterili~ationsgesetz) d. h. die/reiwiUige Sterilisation m6chten wit daher ausgedehnt wissen: 1. au/ Personen mit vorgeschrit- tenet und weiter /ortsc]sreitender Tuberkulose, 2. au] asozlale und antisoziale O//en- tuberkul6se, 3. au/ beide Partner der]enigen Ehen, in denen beide Partner klinisch tuberkul6s slnd.

Zusammen]asaung.

Die neueren Beobach~ungen an tuberkulSsen Zwillingen und an Stamm- b~umen mit TuberkulSsen lassen erkexmen, dab mit sehr grol3er Wahrscheinlich- keit die Disposition zur Er]~rankung an Tuberkulose spezifisch und nach dem recessiven Erbgang vererbbar ist. Der Verlau] der einzeblen Erkrankung an Tuberkulose h~ngt dagegen weitgehend yon ~aktoren ab, welche entweder anlage- m~.13ig endogen bedingt sind oder als Umweltsfaktoren (soziale Umwelt, fliel3ende Infektionsquelle u. dgI.) exogen auf das Einzelwesen einwirken (Hilfsfaktoren). Unter Berfieksichtigung des Erbfaktors ist die Tuberkulose als sog. Auslese- krankheit wie die epidemische Kinderliihmung u. dgl. zu betrachten: viele Personen werden infiziert, aber nur spezifisch Disponierte erkranken. Ffir die praktische Rassehygiene oder Eugenik l~Bt sich der Erbfaktor nich~ vom infek- tiSsen Fak to r trennen. Ffir tiber 3400 Personen wurde dcshalb ffir praktisehe Zwecke der Erfolg tuberkul6ser Belastung durch die Sippe ermit~el~. U .a . haCte tuberkulSse Belastung ausschliet~lich durch 1 Elter 19,5%, dutch 1 Elter + Ge- sehwister des Prob~nden 40,1%, dureh 2 Elter 57,5--62,I% Tuberkuloscfi~lle zur Folge (bei Schizophrenie betr~gt die betreffende Zahl ~fir den ersten Fall 9- -10%, fiir den Ietzten 53%). Auf Grund dieser Ermittelungen wurde ftir die Praxis eine Risikotabelle f/it alIe Arten tuberkulSser Belastung ~ufgestellt. Diese errechneten Risiken erh6hen sich in gewisser Weise bei leptosomen Probanden, bei vorgeschriStener und fortschreitender Tuberkulose, bei asozialen und anti- sozialen Offentuberkul5sen. Fiir die letzten 2 Kategorien wird Einbeziehung in das Sterilisationsgese~z vorgeschIagen. Neben diesen skizzierten eugenischen MaBnahmen is~ aber die Tuberkulose in erster Linie weiterhin als Infektions-

Aussprache. 661

k rankhe i t zu beks ein Reichstuberkulosegesetz mSge endlich die Grund- lagen fiir eine energische Bek/ impfung der Infekt ionsquel len schaffen.

Literaturverzeiehnis. Bei Diehl u. v. Perachuer, Zwillingstuberkulose. Jena: Gustav FischEr 1933 und bei

Ickert u. Benze, S~ammbi~ume mit Tuberkul6sen. Leipzig: J. A. Barth 1933; Tbk.-Bibl. Nr 55,

Bruno Zange-Berlin: In den letzten Jahren bricht sigh raehr und mehr die Erkenntnis Bahn, dab die in-

dividuelle natiirlioho Widerstandsf/~higkeit ~iir Entstehung und Ver]auf der Tuberkulose entscheidende Bedeu~ung hat. Fiir die ]~rbggsundheitspflege ist nun die ~ra.ge aussehlag- gebend, inwieweit diEsc natiirlichc Widerstandsf/~higkEit erbbedingt, inwieweit sie urawe]t- bedingt ist. Ieh muB gestehen, daft ich diese Frage bisher weder hinsichtlich tier TubEr- kulose als Massenerkrankung noch auch hinsightlich des Einzelfalles befriedigend babe 16sen k6nnen. Uberhaupt crgeben sich bei der Beh~ndlung dgr Sache rechb grebe Schwierig- keiten. Anf diese hinzuweisen, ist der Zweck meiner Ausffihrungen.

Welche AnhMtspunk~e haben wir denn fiberhaupt dem Grad der ererbten Wider- standsf~higkeit des Menschen gegen Tuberkulose abzuschi~tzen ? K6nnen wir einEm ge- sunden nichtinfizierten Mensehen ansehen, wie er auf den Infckt noeh einmal reagicren wird, selbst wenn er yon tuberkul6sen Eltern abstammt ? Ist da eine Erbprognose m6glich ? Darauf kommt es doch bier allein an. DaB die Kinder tUbErkulfser Eltern starker expordert sind, sieh h~ufiger infizieren, als die gesnnder Eltern und schon aus diesem Grunde eine h6here Erkrankungsziffer an Tuberkulose aufweisen mtissen ais die/~nder gesunder Eltern, ist ja bekannt, und die Tabellcn mit den Stammb/iumen, die uns Herr Ickert gezeigt hat, haben digs wieder deutlich erkennen lassen, dagegen haben sie uns eL~e Vorste]lung iiber die Vererbung der Tuberkulosedisposi~ion nieht vermittelt. Mir scheint nach dem heutigen S~and unserer Erfahrungen bei tier Tuberkulase eine Vorauasage hinsichtlich der Qualit~t des Erbg~ltes unggmein schwer zu sein, selbst dort, we es sich augenscheinlich um erblieh BeIastete handelt.

Ein UrtEil iibcr die Bcschaffenheib der Erbanlage cines Melmchen hinsichtlioh der Tuberknlose k6nnen wir erst abgeben, wenn sich der Kampf mit dem Tuberkelbagillus vet unseren Augen vollzieht and selbst dana noch is~ die gr6Bte Vorsieht geboten. Ganz all- gemein dtirfen wir behaupten, dab yon akuten generalisierten Tuberkulosen ganz vorzugs- weise Menschen yon hohcr angeborener Hiniiilligkeit der Tuberknlose gegeniiber dahin- gerafft werden. Sie gehen racist zugrunde, bevor sic ihre krankhaften Anlagen auf Iqaeh- kommen haben for~pflanzen k6nncm Hierdurch kommt, und zwar um so mehr, je l~tnger der ProzeB dauert, eine Auslese der Resistenten zustande, also eine ErhShung dcr durch- sehnittlichen Tuberkulosewiderstandsfs tines Volkes.

Wie liegen die Dinge aber bei der chronischen isotierten Lunggntuberkulose, also bei derjenigen Gruppe yon Erkrarzkungen, die ~fieh~ nur epldemio|og[seh wei~ wichbiger is~ als die akuten generalisierten Formen der Tuberkulose, sondern die uns augh veto eugenlschen S~andpunk$ aus am meis~en interessiert, weil tin schr betrachtIfieher Tell dieser Kranken Eine Familie gr~indet mid Nachkommen hat .9

3~. H., ieh kann da nur ein kurzes Urtcil abgeben, mull auf scine Begrtmdung an dieser Stelle verzichten. Alle Erfahrungen schehmn mh" durehaus dagegen zu spreghEn, da$ der Lungenschwindsiightige sehlechtweg als ein Menseh yon ererbter Hinfalligkeit tier Tuberkulose gegentiber oder gar yon alIgemeincr k6rperlicher Minderwertigkeit anzuschen is~. Wertvolles Erbgut wird oft genug unter der vErhangnisvolten Wirkung sehwerer Umwelt- sch~idigungen (kSrpcrlicher, scelischer ~beranstrengung, Nahrungsmangel usw.) yon Tuber- kulose ergriffen and dahingerMft. Auf der anderen Seite bleibt gewiB mancher trotz sehlech- ten Erbgutes yon Tuberkuloseerkrankung verschont, weiI ein g~itiges Geschiek ihn vor derartigen Seh/idigungen bewahrt.

Werm Grot]ahn in seinen beach~enswer~en Lcits/i~zen zur sozialen und generativen Hygiene erklKrt: ,,Ers~ were1 wir den Lungenkranken die l~6gliekkeit absehneiden, ihre

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