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Raumschiff der Meuterer

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 218

Raumschiff der Meuterer

Mit der ZENTARRAIN nach Varlakor - ein Abenteuer an den Grenzen des

Großen Imperiums

von Clark Darlton

Im Großen Imperium der Arkoniden steht es nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Kor­ruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ih­ren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Ge­gen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thron­erbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschwore­nen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen.

Auch jetzt, nach seiner abenteuerlichen, strapaziösen und gefahrvollen Rückkehr aus dem Mikrokosmos, ist der Kristallprinz natürlich sofort bereit, den Kampf gegen Orbanaschol, den Usurpator und Brudermörder, persönlich weiterzuführen. Doch die Möglichkeit dazu ist Atlan und seinen Gefährten noch nicht gegeben.

Sie, die dem Untergang von Yarden entronnen sind, fliegen an Bord der ZENTAR­RAIN, eines arkonidischen Schlachtschiffs, das sie aufgrund ihrer Notrufe auf der Welt des Donnergotts ausmachte, als Gefangene einem ungewissen Schicksal ent­gegen.

Atlan und seine Gefährten wissen es noch nicht: DIE ZENTARRAIN wird zum RAUMSCHIFF DER MEUTERER …

3 Raumschiff der Meuterer

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz wird erkannt.Fartuloon, Corpkor, Eiskralle, Ischtar, Crysalglra und Chapat - Atlans Gefährten.Wagor de Lerathim - Kommandant des Raumschiffs der Meuterer.Mentares und Arthamor - Zwei Meuterer der ZENTARRAIN.Oaftokan Jalvor - Kommandant eines Außenpostens.

1.

Selbst durch die Konturpolster der Betten in der Krankenstation hindurch konnte ich das leichte Vibrieren des Antriebs spüren. Ich blieb ganz ruhig liegen und hielt die Au­gen geschlossen, denn solange ich zu schla­fen schien, würden keine Fragen gestellt werden.

Ich vernahm Atemgeräusche und wußte, daß Fartuloon, Corpkor und Eiskralle eben­falls im Zimmer waren und wahrscheinlich noch schliefen. Die Anstrengungen der letz­ten Stunden hatten sie und mich bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit erschöpft, doch nun befanden wir uns in relativer Si­cherheit.

Allerdings wirklich nur in relativer. Ich öffnete vorsichtig die Augen, als ich

leise Schritte hörte. Fartuloon war aufge­standen und näherte sich meinem Bett. Mein väterlicher Freund und ehemaliger Leibarzt meines ermordeten Vaters Gonozal atmete erleichtert auf, als er sah, daß ich wach war.

»Du schläfst wie ein Burrella, das seit sie­ben Wochen keine Wohnhöhle gefunden hat«, sagte er und setzte sich auf den Rand meines Lagers. »Jedenfalls können wir den verrückten Planeten mit dem Donnergott nun vergessen. Wir sind in einem Schiff des Großen Imperiums und unterwegs in Rich­tung Arkon. Was willst du mehr, mein Sohn?«

Ich bemerkte das kurze Zwinkern und verstand. Fartuloon rechnete wie ich mit ei­ner Abhöranlage. Das Gespräch mußte äu­ßerst behutsam geführt werden.

»Du hast recht, wir sind wieder bei unse­rem Volk und können nun erneut unserem erhabenen Imperator dienen. Ein Glück, daß

wir die Station entdeckten und den Hilferuf aussenden konnten. Ich hoffe, der Komman­dant dieses Schiffes wird für seine Aufmerk­samkeit vom Herrscher belohnt.«

»Ich kann es kaum erwarten, ihn wieder­zusehen«, meinte Fartuloon. Ich wußte im Augenblick selbst nicht, wen er meinte: Or­banaschol oder den Kommandanten des 800-Meter-Kugelraumers, der uns aufge­nommen hatte. »Wie geht es dir? Hast du Beschwerden?«

»Keineswegs, mir geht es gut. Ich war nur müde. Was ist mit den anderen?«

»Schlafen noch. Die beiden Frauen und das Baby sind nebenan. Die Tür ist unver­schlossen.«

Ich behielt meine Erleichterung für mich und zeigte sie nicht. Ischtar und mein kleiner Sohn Chapat waren also wohlauf, ebenso Crysalgira, die arkonidische Prinzessin. Kaum ließ die Nervenanspannung nach, da verspürte ich auch schon Appetit. Wir hatten seit Stunden nichts mehr gegessen.

»Ob man uns verhungern lassen will?« fragte ich.

Fartuloon strich sich über seinen beachtli­chen Bauch.

»Meine Reserven reichen noch eine Wei­le, aber ich werde mich trotzdem darum kümmern.« Wieder zwinkerte er mir zu. »Und keine Sorge, Parendon, ich habe die ganze Geschichte nicht vergessen.«

Damit konnte kein nicht eingeweihter Zu­hörer etwas anfangen. Als wir den Notruf abgesetzt hatten, mußten wir damit rechnen, daß uns ein Schiff der arkonidischen Flotte aufnahm. Ein Schiff also, das unter dem Oberbefehl des Imperators stand, der der Mörder meines Vaters war. Wenn ich er­kannt wurde, schwebte ich in Lebensgefahr, denn ich war der rechtmäßige Thronfolger.

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Während wir auf das Eintreffen eines Schiffes warteten, blieb uns genügend Zeit, uns eine glaubhafte Geschichte auszuden­ken, denn ohne Zweifel würden wir einem strengen Verhör unterzogen werden. Nie­mand durfte erfahren, wer wir in Wirklich­keit waren.

»Ich auch nicht, Turoon, keiner von uns. Soll ich mich um die Frauen und das Baby kümmern, oder machst du das?«

»Ich sehe nach ihnen«, versprach er und erhob sich. »Du kannst noch ruhen.«

Mit »ruhen« meinte er natürlich nachden­ken. Und dazu bestand genügend Anlaß.

Die Abenteuer im Mikrokosmos konnte ich vergessen, denn mit der Rückkehr in den Makrokosmos befanden wir uns auch wieder in der normalen Zeitebene – und diese nor­male Zeitebene bedeutete Kampf. Ich mußte den Tod meines Vaters rächen und dafür sorgen, daß der grausame Diktator Orbana­schol von der Bildfläche verschwand.

Und jetzt waren wir in einem seiner Schiffe am Rande des Imperiums. Solange man nicht wußte, wer wir waren, drohte uns keine Gefahr, aber wenn unsere wahre Iden­tität herauskam, waren wir erledigt.

Im Nebenraum befand sich die Varganin Ischtar, die ich liebte und die mir meinen Sohn Chapat geboren hatte, dessen begrenz­ten telepathischen Fähigkeiten es ihm er­laubten, mit seiner Mutter und mir Kontakt aufzunehmen.

Jetzt schlief er. Ich »sah« seine unruhigen Träume und wäre froh gewesen, hätte Ischt­ar ihn geweckt. Trotz seines Babyalters war er ungemein intelligent und einer vernünfti­gen Diskussion fähig.

Sobald er wach wurde, konnte ich also auch mit Ischtar in eine lautlose Verbindung treten.

Der Kommandant des Schiffes mußte ge­täuscht werden. Wir hatten uns eine prächti­ge Geschichte ausgedacht, und ich würde sie ihm erzählen, genauso wie die anderen. Es durfte keine Widersprüche geben.

Schon als das Beiboot im Hangar des Schlachtschiffs landete und wir ausstiegen,

Clark Darlton

hatte mich ein merkwürdiges Gefühl be­schlichen. Zwei Offiziere waren in dem Hangar gewesen und hatten die Mannschaft überwacht, die sich unserer annahm. Sie hat­ten barsch ihre Befehle herausgebrüllt. Sie waren bewaffnet gewesen, die Mannschaf­ten nicht.

Ihr Ton den Soldaten gegenüber hatte mir nicht zugesagt, und ganz sicherlich paßte er auch den Soldaten nicht. Ihre verbissenen Gesichter sprachen Bände.

Mir blieb keine Zeit, weiter darüber nach­zugrübeln, denn die Tür hatte sich geöffnet. Zwei Arkoniden mit den Abzeichen der Ärz­te betraten den Raum. Sie blieben bei der Tür stehen und betrachteten uns, obwohl sie uns vorher schon gesehen hatten. Ich kannte sie wieder. Sie waren es gewesen, die uns bei der Einlieferung oberflächlich untersucht hatten.

»Es scheint Ihnen ganz gut zu gehen«, sagte der eine von ihnen, den ich im Geiste »den Dicken« nannte. Er schien der Vorge­setzte des »Dünnen« zu sein. »Eine Spezial­untersuchung erscheint mir überflüssig. Ich denke, der Kommandant wird Sie auch so verhören können.«

»Verhören?« Ich richtete mich auf und stützte mich auf die Ellenbogen. »Wieso ein Verhör? Was haben wir verbrochen?«

Der Dicke lächelte breit. »Habe ich.Verhör' gesagt? Es soll natür­

lich kein Verhör sein, aber schließlich will man wissen, wie Sie auf diesen vergessenen Planeten gekommen sind. Sagen wir also: Sie sind fit für eine angeregte Unterhaltung. Einverstanden?«

Ich nickte. »Warum nicht? Wie geht es den Frauen

nebenan?« »Um die kümmern wir uns später. Legen

Sie sich hin.« Er entnahm einer mitgebrach­ten Tasche ein längliches Instrument, das ich von früher her kannte. Mit seiner Hilfe lie­ßen sich sämtliche Lebensfunktionen ohne jeden Eingriff überprüfen. Er strich damit über meinen Körper und sah auf die ange­brachte Skala. »Alles in Ordnung, mein

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Freund. Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen. Sie waren lediglich er­schöpft, das war alles.«

Er ging zu Fartuloon, der die Decke zu­rückschlug und keinen Ton von sich gab. Die Untersuchung bei ihm verlief genauso positiv wie bei mir und dann bei Eiskralle.

Bei Corpkor allerdings stutzte der Dicke. »Was hat er nur für seltsame Narben?«

fragte er seinen Assistenten, der nun die Ta­sche schleppte. »Hast du jemals solche Nar­ben gesehen?«

Das war eine der Fragen, die ich befürch­tet hatte. Corpkor hatte sich die Narben im Mikrokosmos geholt, und wir nannten sie »Eisnarben«. Aber das mußte geheim blei­ben. Und auch dafür hatten wir uns eine Ausrede einfallen lassen.

»Noch nie!« sagte der Dünne überzeugt. Der Dicke fragte Corpkor: »Wo haben Sie das her? Sehen nicht wie

Streifschüsse einer Energiewaffe aus. Habe so etwas noch nie behandeln müssen …«

»Keine Sorge, Doktor«, sagte Corpkor fast kameradschaftlich. »Sie müssen sie auch nicht behandeln, weil sie sich über­haupt nicht behandeln lassen. Sie sehen wie Narben aus, das gebe ich zu, aber in Wirk­lichkeit sind sie nur die Folgen einer unbe­kannten Krankheit, die uns auf dem ver­dammten Planeten erwischte – wenigstens erwischte sie mich«, fügte er schnell hinzu, als er seinen Fehler bemerkte. »Die anderen zum Glück nicht.«

»Eine Krankheit …?« dehnte der Dicke und ließ sein Instrument kreisen. »Merkwürdig, keine entsprechenden Impul­se oder Reaktionen.«

»Ist ja auch unbekannt, nehme ich an«, meinte Corpkor.

Der Dicke nickte langsam. »Natürlich, das ist eine Erklärung. An­

steckend?« »Bestimmt nicht!« warf ich ein. »Bis jetzt

wenigstens hat sie keiner von uns bekom­men.«

Der Dicke gab dem Dünnen einen Wink. »Gehen wir nach nebenan. Der Komman­

dant hat nicht soviel Zeit.« Darum also ging es, begriff ich. Der

Kommandant des Schlachtschiffs wollte sich vor dem Verhör vergewissern, daß er sich keine ansteckende Krankheit holte, deren es auf unbekannten Planeten mehr als genug gab.

Als sie die Tür hinter sich schlossen, meinte Eiskralle:

»Ich freue mich, dem Kommandanten die Hand geben zu können …«

Erschrocken gab ich ihm einen Wink. Wenn Eiskralle, der Chretkor, dem Kom­mandanten die Hand drückte, war der so gut wie tot. Sie würde zu Eis erstarren, und der ganze Kommandant mit ihr.

»Auch ich möchte ihm für unsere Rettung danken«, sagte ich scheinheilig. »Ich kenne seine Befehle nicht, aber sicherlich wird es ihm nicht möglich sein, uns direkt nach Ar­kon zu bringen, wo wir dem Imperator über den Erfolg unserer geheimen Mission Be­richt erstatten können.« Ich zwinkerte blitz­schnell mit den Augen. »Aber vielleicht kann er uns einem anderen Schiff überge­ben, das nach Arkon fliegt. Leider können wir ihm nicht die Wahrheit erzählen.«

Genau das stimmte! Corpkor sagte nach einer kurzen Pause: »Ich fühle mich richtig einsam ohne mei­

ne Quirrels.« Das konnte ich verstehen. Corpkor besaß

die seltene Gabe, mit nicht intelligenten Le­bewesen, zum Beispiel mit Tieren, umzuge­hen. Sie folgten seinen Anordnungen und standen mit ihm in einer quasi telepathi­schen Verbindung. Wenn er wollte, griffen sie jeden an, der von ihm als Gegner be­zeichnet wurde. Die Quirrels hatten zu sei­ner merkwürdigen Tiergarde gezählt.

»Vergiß sie!« riet ich ihm, ohne näher darauf einzugehen.

Die beiden Ärzte kamen aus dem Neben­raum.

»Den beiden Frauen geht es gut«, berich­teten sie freimütig. »Und dem Kind auch. Wer ist der Vater?«

»Das wissen wir nicht«, log ich. »Wir

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nahmen die Frauen von einem Handelspla­neten mit, sie schlossen sich uns an. Was blieb ihnen anderes übrig? Jemand muß sie dort abgesetzt haben.«

Der Dicke grinste hämisch. »Wahrscheinlich der Vater«, vermutete

er, und am liebsten wäre ich aus dem Bett gesprungen und hätte ihn niedergeschlagen. Doch ich nickte nur gleichmütig und meinte:

»Vielleicht, wir wissen es nicht. Sie hat es uns nie verraten.«

Sie gingen zur Tür. Dort drehte sich der Dicke noch einmal um.

»Man wird Sie bald holen«, sagte er und verschwand.

»Puh!« machte Fartuloon. »Also sind wir wenigstens gesund.«

Das bevorstehende »Gespräch« mit dem Kommandanten bereitete mir wesentlich mehr Sorgen. Aber dann sagte ich mir, daß es früher oder später ohnehin erfolgen muß­te. Besser möglichst bald, ehe wir unsere ausgedachte Geschichte vergaßen.

Ich stand auf und ging in den Nebenraum. Die Tür war nicht verschlossen. Ischtar lag im Bett und sah mir entgegen. Neben ihr entdeckte ich Chapat, halb unter den Decken vergraben. Er schlief noch.

»Es geht mir gut«, sagte sie, ehe ich den Mund aufmachen konnte. »Auch meinem Kind. Konntest du schon mit dem Komman­danten sprechen?«

»Noch nicht, aber mach dir keine Sorgen. Er wird sich bald berichten lassen. Crysal schläft auch noch?«

»Sie war müde, sonst geht es ihr gut.« Ich hielt es für besser, nicht allzuviel Be­

sorgnis zu zeigen und kehrte in das andere Krankenzimmer zurück. Gerade rechtzeitig, um schnell unter die Decken zu schlüpfen, ehe sich die Tür öffnete und ein Offizier ein­trat. Hinter ihm standen zwei einfache Dienstgrade auf dem Korridor.

»Einer von euch begleitet mich zum Kommandanten«, sagte der Offizier, der als einziger bewaffnet war. »He, Sie da …!«

Er deutete auf mich. Ich stand langsam auf und zog die Kom-

Clark Darlton

bination an, kämmte mir mit den Fingern die Haare und erwiderte dann:

»Gut, gehen wir.« Er führte mich durch verschiedene Gänge

bis zu einem Lift, der uns in die obere Regi­on des Kugelraumers brachte. Vor einer Tür machte er halt und drückte auf einen leuch­tenden Knopf in der Wand. Die Linsen einer ausgefahrenen Kamera tasteten uns ab, dann öffnete sich die Tür. Der Offizier schob mich in den dahinter liegenden Raum und meldete:

»Einer der Gefangenen, Kommandant.« Die Tür schloß sich hinter mir. Der Raum war spärlich und zweckmäßig

eingerichtet. Hinter einem wuchtigen Tisch saß ein ungewöhnlich großer und schwer ge­bauter Arkonide mit finsterem Gesichtsaus­druck.

»Setzen!« befahl er und deutete auf einen Stuhl vor dem Tisch.

Ich setzte mich und fragte höflich: »Ihr Offizier bezeichnete mich als Gefan­

genen. Stimmt das?« Etwas wie Erstaunen huschte über sein

Gesicht, dann machte er eine verneinende Geste.

»Natürlich nicht – vorerst wenigstens noch nicht. Sie werden sicherlich so freund­lich sein, mir einige Fragen zu beantworten – in Ihrem eigenen Interesse, übrigens. Wer sind Sie?«

»Parendon, Kommandant.« »Mein Name ist Wagor de Lerathim. Und

wer ist Parendon?« »Ich führte einen Handelsfrachter und er­

litt Schiffbruch. Der größte Teil meiner Mannschaft kam dabei ums Leben. Die bei­den Frauen und das Kind waren Passagiere. Wir sind froh, daß Sie uns gerettet haben.«

Er sah mich durchdringend an, dann schüttelte er den Kopf.

»Und was ist mit dem geheimen Auf­trag?«

Also waren unsere Gespräche in der Krankenstation doch abgehört worden, wie wir es vermutet hatten. Ich sah ihn verblüfft an.

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»Was wissen Sie davon, Kommandant?« »Das ist doch egal, oder? Also: was ist

damit?« Mein Gesicht wurde abweisend. »Wenn es wirklich so sein sollte, daß wir

einen geheimen Auftrag erhielten, so wissen Sie als Kommandant eines Schlachtschiffs am besten, daß ich nicht darüber sprechen darf. Oder würden Sie bereit sein, mir etwas über Ihren Auftrag zu erzählen?«

Er nickte. »Natürlich, warum nicht? Unser Verband

besteht aus insgesamt 27 Schiffen, die nach Stützpunkten und Sammelstellen der Maahks suchen. Die Mannschaft wurde zu meiner Einheit strafversetzt, weil sie zum größten Teil aus Kriminellen und politisch Unzuverlässigen besteht. Hier, am Rande des Imperiums, können sich die Kerle be­währen.« Er sah mich forschend an. »Genügt Ihnen das?«

»Danke, Kommandant, ich bin im Bilde. Aber das ist für mich kein Grund, über mei­nen Auftrag zu reden. Sorgen Sie dafür, daß meine Leute und ich so schnell wie möglich nach Arkon gebracht werden. Man wird Sie dafür belobigen, das kann ich garantieren.«

»Wir bleiben in dem befohlenen Sektor. Sollten wir Einheiten begegnen, die ins Zen­trum zurückverlegt werden, übergebe ich Sie dem entsprechenden Kommandierenden.« Er drückte auf einen Knopf am Tisch. »Man wird Sie in Ihre Kabinen bringen, damit die Krankenstation wieder frei wird.«

Es war natürlich raffiniert von ihm, mich von den anderen zu trennen und uns einzeln zu verhören. Der Offizier, der mich in Emp­fang nahm, gab auf meine Fragen keine Ant­wort. Wortlos stieß er mich in einen Raum und verschloß die Tür. Ich sah mich um und stellte fest, daß ich in einer Gemeinschafts­kabine stand. Die Betten waren ringsum an den Wänden und konnten durch Vorhänge abgetrennt werden. Eine zweite Tür führte zu einem Toilettenraum mit Waschgelegen­heit.

Ich setzte mich an den Tisch und versuch­te, Kontakt mit Chapat aufzunehmen, was

mir auch sofort gelang. Über ihn konnte ich mich nun mit Ischtar verständigen, ohne daß eine Abhörgefahr bestand. Ich erfuhr, daß Fartuloon gerade abgeholt worden war. Der Kommandant würde ihn verhören und ver­suchen, Widersprüche zu entdecken.

Um eine solche Gefahr zu verringern, hat­ten wir ausgemacht, daß wir – Fartuloon, Corpkor, Eiskralle und ich – nichts über un­sere »Passagiere« wußten, und diese so gut wie nichts über uns. Wir hatten sie ein Stück mitnehmen wollen und waren auf dem Pla­neten notgelandet – mehr wußten sie nicht. Das Schiff war dabei zu Bruch gegangen und wir hatten nach einigen Wochen unfrei­willigen Aufenthalts die seltsame Station entdeckt, den Sender in Betrieb genommen und den Notruf gesendet.

Ich unterbrach den Kontakt zu Chapat, als Fartuloon eintraf. Er warf mir einen zwei­felnden Blick zu und zuckte die massigen Schultern. So ganz sicher schien er sich sei­ner Sache nicht zu sein, aber ich wagte es nicht, Fragen zu stellen. Mit Sicherheit gab es auch hier in der für uns vorbereiteten Ka­bine eine Abhöranlage.

Als nächste trafen Corpkor und Eiskralle ein. Nun wartete ich gespannt auf das Er­scheinen von Ischtar und dem Baby, aber nichts geschah. Dafür kam der uns bekannte Offizier und forderte mich barsch auf, ihn zum Kommandanten zu begleiten. Mir schwante Unheil, und ich konnte Fartuloon nur noch den vereinbarten Wink geben, der das Zeichen für eine zweite ausgedachte Ge­schichte war, durch die wir die erste im Not­fall ersetzen wollten. Außerdem klang sie wahrscheinlicher.

Der Kommandant fuhr mich wütend an: »Nun aber raus mit der Wahrheit, Paren­

don, oder wie Sie auch heißen mögen! Eins unserer Schiffe ist zu dem Planeten zurück­geflogen und hat Nachforschungen ange­stellt. Wir haben keine Spur von einem not­gelandeten Handelsfrachter finden können. Wie also kamen Sie auf diese verdammte Welt?«

»Piraten!« erwiderte ich, ohne zu zögern.

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»Sie entführten uns von der Arkon-Kolonie Yawwith und setzten uns aus. Das ist alles.«

Über sein düsteres Gesicht huschte ein Lächeln.

»Ach ja! Geheimagenten des Imperators lassen sich von gemeinen Piraten entführen …? Ich glaube Ihnen kein Wort! Mal hören, was die beiden Frauen dazu sagen. Wir ha­ben Zeit, und einmal werde ich schon die ganze Wahrheit erfahren. Außerdem sind Frauen gesprächiger als Männer – wenig­stens in den meisten Fällen.«

Der Offizier brachte mich zurück in die Gemeinschaftskabine.

Ich winkte ab, als Fartuloon etwas sagen wollte und nahm Kontakt zu Chapat auf. Lautlos teilte ich über ihn Ischtar mit:

Vorsicht, Ischtar! Die Piratengeschichte ist an der Reihe! Laßt euch nicht beeinflus­sen! Ihr wart unsere Passagiere, und wir al­le wurden in der Kolonie Yawwith gefangen­genommen und auf dem namenlosen Plane­ten abgesetzt. Sonst bleibt die Geschichte wie abgemacht.

Chapat konnte nur noch bestätigen und mir mitteilen, daß seine Mutter geholt wur­de.

Die nächste Stunde verging in quälender Langsamkeit. Ich atmete erleichtert auf, als Ischtar endlich mit Chapat erschien, den man ihr übergeben hatte. Sie nickte mir be­ruhigend zu. Es schien also geklappt zu ha­ben.

Nun kam es nur noch auf Crysalgira an, unsere arkonidische Prinzessin.

Fartuloon hatte in einem Wandschrank haltbare Lebensmittel entdeckt, von denen wir annahmen, daß sie für uns gedacht wa­ren. Wir stillten unseren Hunger und warte­ten auf Crysalgira.

Zwei Stunden vergingen, dann wurde die Tür aufgestoßen. Die Prinzessin bekam einen Stoß in den Rücken und taumelte in die Kabine. Wenn Corpkor sie nicht aufge­fangen hätte, wäre sie zu Boden gestürzt. Ich sprang auf und eilte zu ihr, kaum daß sie auf dem Bett lag.

»Was ist geschehen, Crysal?«

Clark Darlton

Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. In ih­ren Augen standen Tränen der Verzweif­lung.

»Man hat mich erkannt, es ist alles sinn­los! Niemand glaubt uns jetzt noch. Es ist meine Schuld …«

»Wer hat dich erkannt?« fragte ich, und nun war es mir egal, ob unsere Gespräche belauscht wurden oder nicht.

»Einer der Offiziere, ich bin ihm früher einmal begegnet.«

»Er weiß, daß du die Prinzessin bist?« »Ja, ich konnte nicht mehr leugnen. Der

Kommandant war sehr wütend, weil er nun glaubt, wir hätten ihn belogen. Er wird uns eine Botschaft überbringen lassen, denn ganz sicher ist er seiner Sache noch nicht. Jedenfalls glaube ich, daß er uns wie Gefan­gene behandeln wird.«

»Das hat er bereits getan«, warf Fartuloon ein. »Viel wird sich kaum ändern.«

Ich legte mich aufs Bett und dachte nach. Noch war nicht viel verloren, denn niemand kannte meinen oder Fartuloons Namen. Bei den anderen spielte das keine so große Rol­le. Ich beschloß, bei der Piratengeschichte und dem geheimnisvollen Auftrag zu blei­ben.

Noch ehe ich den anderen meinen Ent­schluß mitteilen konnte, öffnete sich aber­mals die Tür. Diesmal erschien Wagor de Lerathim höchstpersönlich, von zwei Offi­zieren begleitet. Ohne jede Einleitung sagte er:

»Sie haben sich ab sofort als Gefangene zu betrachten. Die Kabine wird abgeschlos­sen. Auf dem Korridor stehen zwei Wacht­posten. Sie haben den Befehl, Sie bei Fluchtverdacht zu erschießen. Wir befinden uns schließlich im Kriegszustand.«

Ohne eine Reaktion abzuwarten, ver­schwand er wieder.

Wir sahen uns mit gemischten Gefühlen an.

Auf dem fremden Planeten waren wir we­nigstens frei gewesen, jetzt aber waren wir die Gefangenen einer Strafeinheit, für die es nur den Tod oder die Bewährung gab. Wenn

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jemand auch nur ahnte, wer ich in Wirklich­keit war, gab es für uns alle keine Rettung mehr.

Wer Orbanaschol meinen Kopf brachte, hatte für den Rest seines Lebens ausgesorgt.

*

Wagor de Lerathim hatte zum Glück ganz andere Sorgen. In gewissem Sinne beunru­higten ihn die merkwürdigen Gefangenen, aus denen er nicht schlau wurde, aber dann sagte er sich, daß sie ihm kaum Schwierig­keiten bereiten würden. Sobald sein Flotten­verband in die Nähe eines arkonidischen Stützpunkts kam, würde er sie dort abliefern.

Es war ihm nicht entgangen, daß die Un­zufriedenheit seiner Mannschaft in den letz­ten Tagen und Wochen gestiegen war. Die strafversetzten Männer versahen ihren Dienst nur noch mürrisch und wagten sogar Widerreden, wenn die Offiziere ihnen Be­fehle gaben.

An sich war das kein Grund zur besonde­ren Besorgnis, denn wer versah schon gern Dienst in einer Bewährungseinheit? Viel­leicht waren die Leute auch nur deshalb un­zufrieden, weil es noch immer keine Feind­berührung gegeben hatte. Bewähren konnten sich ja schließlich nur jene, die Gelegenheit zum Kampf erhielten.

Na schön, den Gefallen konnte er ihnen tun.

Die Orterzentrale hatte einen kleinen Ver­band der Maahks ausgemacht. Es handelte sich um fünf Schiffe, die mit Unterlicht flo­gen. Allein das bewies, daß sie sich in der Nähe eines maahkschen Stützpunkts befan­den und sich verhältnismäßig sicher fühlten. Wagor de Lerathim zögerte noch mit dem Angriffsbefehl, obwohl er sich mit seinem Verband dem Gegner überlegen fühlte, aber ihm schien es wichtiger zu sein, den Stütz­punkt auszumachen.

Während er noch überlegte, reifte an an­derer Stelle eine folgenschwere Entschei­dung heran.

*

Kurrentos, der Funktechniker, betrat die Kabine des Arztes Arthamor und schloß die Tür hinter sich. Er wußte, daß es in diesem Raum keine Abhöranlage gab.

Arthamor nickte ihm vertraulich zu und deutete auf einen Sessel.

»Setz dich, Kurrentos. Gibt es Neuigkei­ten?«

»Eine ganze Menge, Arthamor. Das mit den Gefangenen weißt du ja von deinen Kol­legen. Aber das ist weniger wichtig. Die Or­terzentrale hat fünf Schiffe der Maahks auf­gespürt. Es ist anzunehmen, daß Lerathim sie angreift. Das wäre ein günstiger Zeit­punkt, unsere Pläne zu verwirklichen. Den entsprechenden Bescheid habe ich ver­schlüsselt an unsere Freunde weitergeleitet. Sie erwarten nun unser Zeichen.«

Arthamor starrte in eine Ecke des Raumes und schien angestrengt nachzudenken. Dann sah er auf. »Was ist mit Mentares? Bist du sicher, daß er auf unserer Seite ist?«

»Davon bin ich überzeugt. Er ist der ein­zige Offizier an Bord der ZENTARRAIN, der sich stets gerecht und anständig benom­men hat. Als er die Verschwörung durch einen Zufall entdeckte, hat er keine Meldung gemacht. Er hat sich sofort auf unsere Seite geschlagen, und zwar aus Überzeugung. Ich glaube sogar, daß es persönliche Gründe für ihn gibt, Orbanaschol zu hassen.«

»Die Leute wissen Bescheid?« »Ich habe sie informiert. Sie können es

kaum noch abwarten, den Kommandanten aus dem Schiff zu stoßen. Einige seiner Of­fiziere werden ihn dabei begleiten.«

»Ich werde nichts dagegen unternehmen«, sagte Arthamor ruhig. »Für mich ist es wich­tig, daß ich nach der geglückten Meuterei die Medizinische Abteilung übernehmen kann. Ich bin es leid, immer der Prügelknabe dieser Nichtskönner zu sein, die sich über­heblich als.Bauchaufschneider' bezeichnen. Ich bin davon überzeugt, daß sie nicht ein­mal wissen, wie ein Arkonide von innen

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aussieht.« »Du kannst dir ja einige Offiziere vorneh­

men und sie deinen ehrenwerten Kollegen übergeben, damit sie das Versäumte nachho­len können.«

Arthamor lachte, bis ihm die Tränen ka­men.

»Eine ausgezeichnete Idee, Kurrentos. Übrigens: bist du sicher, daß wir keine Ver­räter unter uns haben? Wenn der Komman­dant und seine Offiziere gewarnt werden …«

»Keine Sorge, es gibt keinen einzigen Verräter unter uns. Wenn die Rebellion ge­lingt, und davon bin ich überzeugt, haben wir ganze 27 Schiffe, und das Universum ist groß. Wie sollte man uns jemals finden? Wir werden uns auf einem geeigneten Planeten niederlassen und den Rest unseres Lebens in Ruhe und Frieden verbringen.« Kurrentos lächelte verschlagen. »Und was Frauen an­geht, so werden wir uns schon welche besor­gen. Zwei haben wir ja schon.«

»Du meinst die Gefangenen? Was soll üb­rigens mit ihnen geschehen?«

»Die Männer … nun, wir werden sehen. Lerathim hat sie festgesetzt, das bedeutet, daß sie damit automatisch auf unserer Seite stehen. Und was die beiden Frauen angeht – nun, da kennst du ja meine Auffassung jetzt.«

Arthamor nickte einige Male vor sich hin, ehe er erwiderte:

»Ich bin deiner Meinung, Kurrentos. Doch jetzt ist es wichtig, daß wir im rechten Augenblick losschlagen. Du mußt den Ter­min bestimmen, denn du bist der einzige von uns, der jederzeit Kontakt zu den anderen Schiffen aufnehmen kann. Die Revolte muß überall zugleich beginnen.«

»Keine Sorge, die Verbindung klappt. Auch hier an Bord der ZEN-TARRAIN. Ein einziges Kodewort genügt, und die Offiziere werden festgenommen. Jeder Mann von uns hat seine genauen Anweisungen. Es kann nur wenige Augenblicke dauern, und das Schiff ist in unserer Hand.«

»Und wann ist es soweit?«

Clark Darlton

»Sobald Lerathim den Befehl zum An­griff auf die Maahks gibt.«

»Besteht nicht die Gefahr, daß die Maahks dadurch die Chance erhalten, uns zu vernichten, weil wir mit anderen Dingen be­schäftigt sind?«

»Die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, aber auch da wurde vorgesorgt. Die Männer in der Feuerleitzentrale werden sich nur auf ihre Aufgabe konzentrieren und sich nicht um die Rebellion kümmern. Ihre Offiziere werden festgenommen, das ist al­les.«

»Das beruhigt mich«, gab Arthamor er­leichtert zu. »Ich kümmere mich um die Me­diziner und sperre sie ein. Sie können sich dann noch immer überlegen, auf welche Sei­te sie sich schlagen wollen.«

Kurrentos stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um.

»Halte dich bereit, Arthamor. Es kann je­derzeit geschehen. Und denke daran: wer sich der Festnahme widersetzt, wird sofort erschossen!«

*

Von all diesen Dingen hatte ich natürlich jetzt noch keine Ahnung, aber ich erfuhr sie später, und das nicht gerade in sehr angeneh­mer Weise. Ich versuche hier nur, die Ereig­nisse in chronologischer Reihenfolge zu re­konstruieren, auch die Gespräche vor dem Ausbruch der Meuterei.

Wir waren die Gefangenen des Komman­danten, der Verdacht geschöpft hatte, daß mit uns nicht alles ganz in Ordnung war. Si­cherlich hegte er noch einige Zweifel, denn meine Andeutungen über eine Geheimmissi­on bereitete ihm Kopfschmerzen. Wenn er Agenten des Imperators festnahm, manö­vrierte er sich selbst in eine schlimme Lage, auf der anderen Seite tat er nur seine Pflicht.

Immerhin: welche Seite war die richtige? Ich beneidete ihn nicht, obwohl ich keine

Ahnung von den wirklichen Vorgängen hat­te, wenigstens jetzt noch nicht. Ich war froh, daß Ischtar und Chapat wieder bei mir wa­

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ren. Und auch die anderen waren bei mir. Wir waren zusammen, wenn auch ohne Waffen.

Die fehlenden Waffen störten mich im Moment weniger als die Möglichkeit, auf ein anderes Schiff gebracht zu werden, das direkt nach Arkon flog. In Arkon erwartete mich der sichere Tod.

Fartuloon erriet meine Gedanken. Er kam zu mir und setzte sich.

»Was sollen wir tun? Der Kommandant hat Verdacht geschöpft.«

Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wir können überhaupt

nichts tun, außer abwarten. Vielleicht ändert Wagor de Lerathim seine Meinung. Er kann nicht von uns erwarten, daß wir den Befehl des Imperators mißachten und von unserem Auftrag berichten.« Ich blinzelte ihm vor­sichtshalber zu. »Wenn Orbanaschol von un­serer Zwangslage erfährt, wird er die geeig­neten Schritte unternehmen, nur fürchte ich, daß Lerathim dann seine Rangabzeichen los­wird. Schade um ihn, er machte einen so in­telligenten Eindruck …«

Fartuloon unterdrückte nur mit Mühe ein Grinsen.

»Ja, er tut mir auch leid. Ein Fehler, der ihm nicht hätte unterlaufen dürfen. Aber es ist eben nicht jeder Offizier der Flotte un­fehlbar.«

Das war ein Hieb, von dem ich hoffte, daß er saß. Wir wurden belauscht, daran konnte kein Zweifel bestehen, vielleicht sogar über verborgene Kameras beobachtet. Kein Wort, das wir sprachen, entging dem Sicherheits­dienst des Schiffes. Lediglich mit Ischtar konnte ich mich über Chapat verständigen, ohne daß jemand davon erfuhr – aber das nützte den anderen auch nicht viel, wenig­stens nicht in der jetzigen Situation. Nie­mand von uns konnte ahnen, daß der Kom­mandant im Augenblick ganz andere Sorgen hatte und sich nicht um uns kümmerte.

Wir saßen in der Kabine fest, und vor der Tür hielten zwei Arkoniden ständig Wache.

*

Die fünf Schiffe des Gegners verhielten sich so, als hätten sie die Arkoniden nicht bemerkt. Das war zumindest merkwürdig. Sie blieben im Normalraum, ohne ihre Ge­schwindigkeit zu erhöhen. Fast hätte man glauben können, sie wollten den feindlichen Verband in eine Falle locken.

Das war auch genau das, was Wagor de Lerathim annahm.

Darum änderte er seinen ursprünglichen Plan.

Über Normalfunk nahm er Kontakt mit den Kommandanten der übrigen 26 Schiffe auf und befahl Kodeschaltung. Die Maahks, das war sicher, kannten diesen Kode nicht, so daß sich die Arkoniden unterhalten konn­ten, ohne abgehört werden zu können.

»Eine Ringschaltung!« befahl Lerathim und wartete, bis die Techniker das Freizei­chen gaben. »Wir greifen den Verband der Maahks gezielt an, und zwar von allen Sei­ten gleichzeitig. Das Feuer wird erst auf meinen Befehl hin eröffnet, auch wenn der Gegner den Versuch unternehmen sollte, uns zuvorzukommen. Es ist meine Absicht, ei­nes der Schiffe unversehrt zu kapern, um die Absichten der Maahks kennenzulernen. Auf keinen Fall darf das Schiff mit dem roten Kreis am Bug unter Beschuß genommen werden. Bitte, Bestätigung!«

Alle anderen 26 Kommandanten bestätig­ten einer nach dem anderen den Befehl. Dann erhöhten die Schiffe ihre Geschwin­digkeit, ohne sich jedoch der Transitions­grenze zu nähern. Die Feuerleitstellen waren einsatzbereit und warteten nur noch auf das Kommando. Ihre automatischen Zielmeßge­räte arbeiteten bereits und gaben laufend die Entfernung bekannt.

Lerathim lauerte vor dem großen Bild­schirm. Je länger er die scheinbare Gleich­mut der Maahks registrierte, desto mehr fe­stigte sich bei ihm die Gewißheit, daß sie einen ganz bestimmten Zweck verfolgten. Der Gegner war zweifellos dem Verband der Arkoniden unterlegen, und trotzdem machte er keine Anstalten zur Flucht. Das war nicht nur ungewöhnlich, sondern höchst verdäch­

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tig. Diese Taktik änderte sich auch nicht, als

die Arkoniden auf Schußweite herangekom­men waren. Der Kommandant der ZEN­TARRAIN konnte sich vorstellen, daß die Offiziere auf den anderen Schiffen unruhig wurden, weil er so lange mit dem Angriffs­befehl wartete. Er spürte, daß er selbst all­mählich nervös wurde.

Die Ringschaltung bestand noch. Er akti­vierte den Sender.

»Achtung, an alle Kommandanten! Feuer­bereitschaft! Beschuß beginnt in exakt …«

Weiter kam er nicht. Die Tür zur Kommandozentrale wurde

aufgestoßen. Mehrere einfache Dienstgrade, angeführt von Offizier Mentares, stürmten in den Raum. Alle waren bewaffnet und richte­ten die Energiestrahler nun auf den Kom­mandanten und die anderen Offiziere, die sich in der Zentrale aufhielten. Jemand schaltete den Telekom ab.

»Verhalten Sie sich ruhig, dann geschieht Ihnen nichts, Lerathim!« befahl Mentares und verlieh seinen Worten dadurch Nach­druck, indem er die Mündung seiner Waffe gegen den Rücken des Kommandanten drückte. »Sie sind durch Beschluß der Mannschaft ab sofort Ihres Postens entho­ben. Das Kommando übernehme ich. Stehen Sie auf. Zwei der Männer werden Sie abfüh­ren.«

Lerathim blieb sitzen. »Sie sind verrückt, Mentares! Das ist

Meuterei!« »Letzteres stimmt«, erwiderte Mentares

eisig. »Wir hielten den Augenblick für ge­eignet. Nun machen Sie schon Platz, damit ich den Angriff leiten kann.«

Lerathim stand langsam und vorsichtig auf. Er wußte, daß er keine Chance hatte. Seine Offiziere standen mit dem Rücken zur Wand der Zentrale und wurden nach Waffen durchsucht.

»Die Kommandanten der anderen Einhei­ten werden Sie zusammenschießen«, erklär­te er.

Mentares setzte sich hinter die Kontrollen.

Clark Darlton

»Wenn sie das täten, würde Ihnen das kaum weiterhelfen, Lerathim, denn Sie wür­den mit uns sterben. Aber seien Sie unbe­sorgt, niemand wird uns unter Beschuß neh­men, höchstens die Maahks. Was jetzt an Bord der ZENTARRAIN geschieht, ge­schieht gleichzeitig auf allen anderen Schif­fen. Die Rebellion ist von langer Hand vor­bereitet. Gehen Sie schon! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Lerathim ließ die entwürdigende Prozedur einer Durchsuchung über sich ergehen und wurde dann von den Männern in den Korri­dor gestoßen. Aus den Seitengängen kamen andere Offiziere, von den Strafversetzten be­wacht und verhöhnt. Der Haß langer Jahre begann sich zu entladen. Aber die Meuterer waren diszipliniert genug, sich nicht an ih­ren Gefangenen zu vergreifen.

Die Straf zellen waren jetzt leer, die bis­herigen Gefangenen befreit. Mit Hohnge­lächter trieb man den Kommandanten und seine Offiziere in die kahlen Räume und knallte die Türen hinter ihnen zu.

Die so plötzlich ihrer Autorität und Frei­heit beraubten Offiziere der Imperiumsflotte waren sich darüber im klaren, welches Schicksal ihnen bevorstand. Keiner von ih­nen würde dem sicheren Tod entgehen.

Inzwischen hatte Mentares Kontakt zu den anderen Schiffen aufgenommen. Zu sei­ner Überraschung meldeten sich aber nicht die neuen Kommandanten, sondern die bis­herigen. Noch ehe er sich identifizieren konnte, meldeten alle übereinstimmend, daß der Versuch einer Meuterei niedergeschla­gen worden sei. Man wartete auf den An­griffsbefehl, der angekündigt, aber noch nicht endgültig erfolgt war.

Mentares schaltete blitzschnell. »Angriff sofort!« befahl er. Die Bildüber­

tragung ließ er ausgeschaltet. »Konzentrischer Beschuß auf alle fünf Feindschiffe!«

»Was ist mit der Ausnahme?« kam die Gegenfrage.

Für einige Augenblicke schwieg Menta­res, denn er kannte den ursprünglichen Be­

13 Raumschiff der Meuterer

fehl Lerathims nicht, aber er war genügend mit der Taktik seiner Flotte vertraut, um sich denken zu können, was gemeint war. Da er jedoch nicht wußte, welches Schiff der Maahks geschont werden sollte und er keine Zeit verlieren durfte, erwiderte er:

»Befehl aufgehoben! Alle fünf Schiffe der Maahks angreifen und möglichst vernichten! Feuer frei …!«

Er sah auf den Bildschirm und schloß halb geblendet die Augen, als die grellen Energiebündel gegen die Schutzschirme der Maahks prallten und absorbiert wurden. Nie­mand schien bemerkt zu haben, daß er Lera­thims Rolle übernommen hatte.

Warum war die Rebellion in allen anderen Schiffen niedergeschlagen worden? fragte er sich. Warum war sie nur in der ZENTAR­RAIN erfolgreich gewesen? Natürlich fand er die Antwort auf seine Frage nicht, aber er begriff, daß er seine Rolle den anderen Kommandanten gegenüber nicht mehr lange spielen konnte.

Zwei arkonidische Schiffe erhielten ver­heerende Volltreffer durch Punktbeschuß und explodierten in einer atomaren Sonne. Die glühenden Trümmer trieben in verschie­dene Richtungen davon und verschwanden vom Bildschirm.

Das war der Moment, auf den Mentares gewartet hatte.

Kurrentos, der Navigation und Orterzen­trale übernommen hatte, stand in Rufweite, so daß Mentares den Interkom nicht ein­schalten mußte.

»Mentares, wie sieht es aus?« »Gut, Kommandant! Die Maahks versu­

chen zu fliehen.« »Das ist überhaupt nicht gut! Wir müssen

fliehen. Wenn die anderen Kommandanten erst einmal merken, was auf der ZENTAR­RAIN passiert ist, machen sie Jagd auf uns. Wir müssen verschwinden, ehe sie Verdacht schöpfen. Programmiere eine Transition, egal wohin.«

»Einfach so …?« »Richtig! Wir können uns später noch den

Kopf darüber zerbrechen, wohin wir uns

wenden. Erst einmal müssen wir die Offizie­re loswerden, möglichst für immer. Fang schon an!«

Arthamor kam in die Zentrale. Sein Ge­sicht strahlte vor Zufriedenheit. Er setzte sich in einen freien Sessel vor den Kontrol­len.

»Ich habe die Medizinische Station über­nommen und die Nichtskönner einsperren lassen«, gab er bekannt. »In der Strafzelle können sie darüber nachdenken, wieviel Leute sie umgebracht haben.«

»Verschwinde jetzt, Arthamor, wir haben Arbeit hier. Und davon verstehst wiederum du nichts!«

Der neue Chefarzt der ZENTARRAIN war durchaus nicht beleidigt. Folgsam erhob er sich.

»Schon gut, Mentares. Schließlich mußt du den Oberbefehl über sämtliche Schiffe übernehmen und …«

»Leider nicht, Arthamor. Die Meuterei ist nur uns gelungen. Wir müssen fliehen, und das sobald wie möglich. Kümmere dich um die Verwundeten. Sind es viele?«

»Ein paar der Offiziere wehrten sich und mußten getötet werden. Von uns starben nur zwei, aber es gab Verletzte. Sieh zu, daß wir bald von hier verschwinden!«

»Was ist mit diesen Fremden, die wir auf dem Planeten fanden?«

»Um die kümmere ich mich später.« Mentares atmete erleichtert auf, als der

Arzt ging. Er hatte genug damit zu tun, das Schiff in Sicherheit zu bringen.

»Bereit zur Transition!« gab Kurrentos bekannt. »Die Programmierung ist ungenau, aber die Entfernung genügt, uns aus dem Or­terbereich zu bringen. Wann?«

Mentares sah wieder auf den Bildschirm. Der Telekom war eingeschaltet. Er empfing die Meldungen der anderen Kommandanten, die von der erfolgreichen Meuterei auf der ZENTARRAIN keine Ahnung hatten. Der Angriffsbefehl war erfolgt, nun handelte je­der von ihnen nach eigenem Ermessen.

Aber die Maahks flohen. Mit höchster Be­schleunigung rasten die fünf Schiffe in ver­

14

schiedene Richtungen davon, um eine Ver­folgung zu erschweren. Zwei gingen sehr schnell in Transition und entmaterialisierten. Damit verschwanden sie auch von den Or­terschirmen der Arkoniden.

Die Schiffe der Imperiumsflotte glitten seitwärts vom Bildschirm, als Mentares den Kurs änderte und aus dem Verband scherte. Gleichzeitig erhöhte er die Geschwindigkeit, um möglichst schnell die von Kurrentos pro­grammierte Transition vornehmen zu kön­nen, die sie um Lichtjahre versetzen würde.

Über Funk folgten ihnen verwirrte Anfra­gen, die Mentares ignorierte. Er wußte, daß die anderen Kommandanten sehr schnell die richtige Antwort finden würden, warum also Zeit verlieren. Hastig kontrollierte er die In­strumentenanzeigen und nickte Kurrentos zu.

»Fertig?« »Schon lange!« Der Techniker konnte sei­

ne Ungeduld kaum noch länger verbergen. »Nun leite endlich die Transition ein, Men­tares! Der Verband folgt uns.«

Der Heckbildschirm bestätigte seine Be­hauptung.

Ohne noch länger zu zögern, aktivierte Mentares den Transitionsspeicher und lehnte sich zurück, um sich auf den unvermeidli­chen Entzerrungsschock bei der Entmateria­lisation vorzubereiten. Als er eintrat, sah er nur noch, wie die Verfolger verschwanden.

In Wirklichkeit war es jedoch die ZEN­TARRAIN, die aus dem normalen Kontinu­um verschwand und im Hyperraum mehrere Lichtjahre zurücklegte, ohne eine Spur zu hinterlassen …

2.

Als wir den Schmerz spürten, wußten wir sofort, daß unser Schiff eine Transition vor­genommen hatte, ohne auch nur zu ahnen, warum das geschah. Ich besaß genügend Er­fahrung, um an der Stärke und Dauer des Schmerzes abschätzen zu können, daß wir höchstens zwanzig Lichtjahre zurücklegten, ehe wir wieder rematerialisierten.

Clark Darlton

Das sah nicht nach einer wohlüberlegten Transition aus.

»Es wurden Energieschüsse abgegeben«, stellte Fartuloon fest. »Wahrscheinlich gab es eine Begegnung mit den Maahks, und man setzt sich nun ab.«

»Ein Wagor de Lerathim flieht nicht vor den Maahks«, wies ich ihn zurecht, obwohl ich vom Gegenteil überzeugt war. »Es muß andere Gründe geben. Vielleicht erfahren wir sie bald.«

In der Tat brauchten wir auch nicht lange zu warten. Die Tür wurde geöffnet, und ein mir unbekannter Offizier betrat unsere Kabi­ne. Zwar trug er einen Impulsstrahler im Gürtel, aber er war allein. Die üblichen Wachtposten fehlten.

Er ließ die Tür geöffnet und setzte sich auf eines der Betten.

»Ich weiß, daß Sie Lerathim ein Märchen erzählt haben, als Sie durchblicken ließen, in geheimer Mission für das Imperium unter­wegs zu sein. Sie wollten damit eine Freilas­sung erreichen, um nicht nach Arkon ge­bracht zu werden. Sie sind Feinde des Impe­riums, habe ich recht?«

So schnell, glaube ich, hatte ich in mei­nem ganzen Leben noch nicht überlegen und kombinieren müssen. Schon die Tatsache, daß er einfach »Lerathim« sagte, und nicht etwa »Kommandant Wagor de Lerathim« brachte mich sofort auf die richtige Spur. Unter normalen Umständen war damit zu rechnen, daß der Kommandant das Verhör, wenn es eins sein sollte, über Interkom ver­folgte. Eine solche Disziplinlosigkeit würde er auf keinen Fall durchgehen lassen.

Also hörte Lerathim nicht zu – er konnte nicht zuhören.

»Und wenn es so wäre?« fragte ich vor­sichtig.

Er betrachtete mich lange, dann meinte er, ohne auf meine Frage zu antworten:

»Sie scheinen der Anführer Ihrer Gruppe zu sein, und ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich will also offen mit Ihnen reden, danach können Sie sich entscheiden. Lerathim wur­de festgenommen und sitzt mit seinen Offi­

15 Raumschiff der Meuterer

zieren im Bordgefängnis. Wir haben das Schiff in unseren Besitz gebracht. Es wird uns an einen Ort bringen, an dem wir vor Verfolgung sicher sind. Sie wissen wahr­scheinlich, welche Strafe einen Meuterer er­wartet?«

Und ob ich das wußte! Aber das interes­sierte mich im Augenblick nicht so sehr wie die erstaunliche Tatsache, daß die Meuterer meine natürlichen Verbündeten waren, wenn ich ihr Vorgehen auch nicht gutheißen durf­te.

»Wer ist der neue Kommandant?« fragte ich, um Zeit zu gewinnen.

»Das bin ich, Mentares. Wir haben die Dienstgrade abgeschafft. Wir werden uns später noch unterhalten. Jetzt wollte ich Sie nur von der Lage unterrichten und Ihnen mitteilen, daß die Kabinentür ab sofort un­verschlossen bleibt. Trotzdem möchte ich Sie bitten, nicht im Schiff herumzulaufen. Sie können aber jederzeit Kontakt mit mir aufnehmen, wenn Sie Wünsche haben. Ich hoffe, wir verstehen uns.«

»Wir sind also keine Gefangenen mehr?« vergewisserte ich mich.

»Betrachten Sie sich als unsere Gäste.« Mentares erhob sich. »Ich werde Ihnen den neuen Chefarzt schicken, sobald er mit den Verwundeten fertig ist. Ich nehme an, einige Stärkungsmittel werden Ihnen nicht scha­den. Wie geht es den beiden Frauen?«

»Wir können uns nicht beklagen«, sagte Ischtar, ehe ich antworten konnte. »Aber ei­nige Medikamente für mein Kind würden nicht schaden.«

»Ich werde Arthamor entsprechend infor­mieren«, versprach Mentares und verließ uns, ohne die Tür zu verschließen.

Ich warf Fartuloon einen Blick zu und wollte etwas sagen, schwieg aber dann, als ich sein Gesicht sah. Es verriet angestreng­tes Nachdenken und Konzentration. Dann huschte so etwas wie Erschrecken über seine Züge, vermischt mit Unsicherheit.

Ich entsann mich der letzten Worte des neuen Kommandanten. Hatte er nicht einen Namen erwähnt? Arthamor oder so ähnlich

…? Fartuloon winkte mir zu. Er saß auf sei­

nem Bett und deutete stumm auf den freien Platz neben ihm. Das bedeutete, daß er mit mir reden wollte, ohne daß jemand ein Wort verstand. Eiskralle und Corpkor mußten an­nehmen, daß es eine der üblichen Vorsichts­maßnahmen war, denn auch sie würden nichts hören können, wenn wir flüsterten.

Als ich neben ihm saß, sagte Fartuloon leise:

»Wenn ich nur genau wüßte, woher ich den Namen kenne! Es muß am Hof deines Vaters gewesen sein, vor vielen Jahren. Ich glaube, einer der Bauchaufschneider hieß so. Ja, Arthamor … jetzt erinnere ich mich. Hoffentlich erkennt er mich nicht wieder.«

»Das fehlte uns gerade noch«, gab ich er­schrocken zurück. »Aber wie kommt ein Arzt vom Hof auf dieses Schiff?«

»Er muß sich unbeliebt gemacht haben und wurde strafversetzt. Nun versucht er sich zu bewähren, und das könnte er in der Tat, wenn er mich erkennt und gut kombi­niert. Man weiß, daß ich damals floh und dich als Kind mitnahm, um dein Leben zu retten.«

Das war allerdings eine böse Überra­schung. Wenn die Meuterer erfuhren, wer wir wirklich waren, war es aus mit der gera­de erst begründeten »Freundschaft«. Die Be­lohnung, die Orbanaschol für meine Ergrei­fung ausgesetzt hatte, war zu hoch. Niemand würde einer solchen Versuchung widerste­hen können. Erst recht nicht die Meuterer, die durch meine Auslieferung ihren Kopf retten – und Reichtum dazu erlangen konn­ten.

»Es ist schon lange her, vielleicht erkennt er dich nicht«, flüsterte ich in Fartuloons Ohr. »Kriech unter die Decken. Ich werde behaupten, du schliefest. Vielleicht gibt er sich damit zufrieden.«

»Ich kann es ja versuchen …« Er legte sich ins Bett, während ich zu

Ischtar ging. Chapat sah mir mit seinen klu­gen Augen entgegen, die mehr Intelligenz verrieten, als er in seinem Babyalter besitzen

16

durfte. Das war ein weiterer Gefahrenpunkt, den ich nie außer acht lassen durfte.

»Was habt ihr geflüstert?« wollte Ischtar wissen.

Ich schüttelte den Kopf. »Nichts von Bedeutung, meine Liebe.

Versuche jetzt zu schlafen, bis der Arzt nach uns sieht. Du wirst müde sein.«

»Ich fühle mich frisch und munter, Paren­don«, erwiderte sie und betonte mit Nach­druck meinen falschen Namen. »Sind wir nun keine Gefangenen mehr?«

»Die Strafversetzten haben sich ihrer Fes­seln entledigt und ihre Peiniger eingesperrt. Uns wird nichts geschehen, sorge dich also nicht. Bald werden auch wir wieder frei sein, Mentares ist ein gerecht denkender Mann.«

Davon war ich zwar nicht so ganz über­zeugt, aber ich wollte Ischtar und Crysalgira nicht beunruhigen.

Eiskralle und Corpkor vertrieben sich die Zeit mit einem mir unbekannten Spiel, zu dem sie nichts als ihre Finger brauchten. Ich beobachtete sie eine Weile, dann legte ich mich auf mein Bett und dachte nach.

*

Arthamor war nicht ganz so beleibt wie Fartuloon, aber immerhin sah man ihm jetzt noch an, daß er bei Hof nicht schlecht gelebt hatte.

Er kam allein und schloß die Tür. Ich sah ihm entgegen.

Er begegnete meinem Blick und lächelte breit.

»Nun, junger Mann, wie fühlen Sie sich? Ich bin der neue Chefarzt und damit für Ihr Wohl verantwortlich.

Ist der Dicke da krank?« Mit dem Dicken meinte er Fartuloon, des­

sen Körpermasse sich nur zu deutlich unter den Decken abzeichnete. Hastig sagte ich:

»Er ist nur müde, Chefarzt Artharnor. Er schläft. Es gibt keinen hier, der gesünder wäre als er.«

Er betrachtete mich forschend.

Clark Darlton

»Sie kennen meinen Namen?« »Mentares kündigte Ihren Besuch an.« »Ah, Mentares. Ich dachte, wir wären uns

schon früher einmal begegnet.« Seine Stim­me wurde lauernd. »Wäre das möglich …?«

»Kaum«, meinte ich gleichmütig. »Ich war bisher noch nie an Bord eines Kriegs­schiffs.«

Er gab sich nicht damit zufrieden und bohrte weiter.

»Sie haben eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Mann, den ich vor vielen Jahren einmal kannte. Er lebt nicht mehr. Seltsam, aber ich habe vergessen, wer es war.«

»Sie wissen, daß er tot ist, aber Sie kön­nen sich nicht mehr an den Namen erinnern? Das ist unwahrscheinlich.«

»Das ist es nicht. Ich kannte zu viele Männer, die sterben mußten.« Er studierte mein Gesicht mit einer Sorgfalt, die mir un­heimlich wurde. Ob er meinen Vater wirk­lich gekannt hatte? Möglich war es schon, denn Fartuloon erinnerte sich an seinen Na­men. »Doch das ist schon lange her. Nun ja, vielleicht ist es auch nur ein Zufall.«

Er kümmerte sich um die anderen, und ich war überzeugt, daß er auch in ihren Gesich­tern bekannte Züge zu entdecken hoffte. Dann blieb er vor Fartuloons Bett stehen und zog an der Decke.

Ich begann allmählich zu schwitzen. »Nun wach schon auf, Dicker! Der Onkel

Doktor ist da.« Fartuloon mochte wohl einsehen, daß er

sich noch verdächtiger machte, wenn er wei­terhin den Schlafenden spielte. Er grunzte und richtete sich unwillig auf.

»Der Bauchaufschneider? Warum denn, ich fühle mich so wohl wie selten in meinem Leben.«

Arthamor starrte ihn verblüfft an, und ich wußte in der selben Sekunde, daß er Fartu­loon erkannt hatte. Vielleicht kannte er sei­nen Namen nicht mehr, aber er mußte wis­sen, daß er ihn gesehen hatte.

Endlich fand er die Sprache wieder. »Natürlich, am Hof des Imperators! Wer

sind Sie?«

17 Raumschiff der Meuterer

»Turoon ist mein Name. Was wollen Sie von mir? Sie tun ja so, als wären wir alte Bekannte.«

»Ich glaube, das sind wir auch. Ihr Name ist nicht Turoon!« Er deutete auf mich. »Und das ist auch nicht Parendon, oder wie immer er sich nennen mag. Bei allen Uni­versen, das ist eine Überraschung! Der Sohn Gonozals lebt! Und Sie, Faruton … nein, Fartuloon! Sie waren damals der Leibarzt des Imperators und flohen mit seinem klei­nen Sohn, als sein Vater bei der Jagd verun­glückte.« Er war so erschüttert, daß er sich setzen mußte. »Das ganze Imperium sucht Sie beide – und ausgerechnet ich finde Sie! Das nenne ich aber Glück …«

Leugnen war zwecklos, das wußte ich. Uns blieb nur noch der Versuch, ihn auf un­sere Seite zu ziehen, aber ich zweifelte dar­an, daß es uns gelingen würde. Arthamor war zu geldgierig.

»Sie könnten sich irren«, sagte ich ruhig. »Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn sie uns Orbanaschol auslieferten und es würde sich herausstellen, daß Sie ihn nur täuschen wollten. Sie haben sich auf die Sei­te der Meuterer geschlagen und wollen sich rehabilitieren – und haben sich geirrt! Es gä­be keine Strafe, die ausreichend genug wä­re.«

»Sie sind Atlan!« sagte Arthamor mit ei­ner Festigkeit, die keinen Platz für Zweifel ließ. »Solche Zufälle gibt es überhaupt nicht. Ich habe Fartuloon erkannt, und Ihre Ähn­lichkeit mit Ihrem Vater ist kaum zu überse­hen. Jedes Leugnen ist zwecklos.«

»Ich könnte der Imperator sein«, erinnerte ich ihn und beschloß, nun mit offenen Kar­ten zu spielen. »Und es ist möglich, daß ich es auch eines Tages sein werde. Sie könnten an den Hof zurückkehren und eine bedeuten­de Stellung bekleiden. Der Imperator wäre Ihr Freund.«

Arthamor schien wirklich einen Augen­blick mit dieser verführerischen Aussicht zu liebäugeln, aber dann machte er eine abweh­rende Geste.

»Ich bin keine Spielernatur. Was ich in

der Hand halte, das gehört mir auch. Sie kennen die Losung Orbanaschols: Bringt mir seinen Kopf! Und genau das werde ich auch tun.«

Er ging zur Tür, drehte sich dort noch ein­mal um und zeigte auf mich.

»Keine Sorge, ich werde Sie lebendig nach Arkon bringen, aber nur dann, wenn Sie sich ruhig verhalten. Jetzt muß ich mit Mentares sprechen.«

»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun«, knurrte Fartuloon.

»Und warum nicht?« »Sie wären gezwungen, mit ihm und den

anderen zu teilen.« Arthamor dachte darüber nach, dann sagte

er: »Das muß ich in jedem Fall, denn was

nützt mir mein Geheimnis, wenn Sie frei herumlaufen können? Früher oder später würden Sie mich hereinlegen. Nein, da teile ich lieber. Außerdem ist Mentares mein Freund, und Freunde betrügt man nicht.«

Er trat auf den Korridor und verschloß die Tür.

Wir waren abermals gefangen. Doch un­sere Lage hatte sich nun erheblich ver­schlechtert, und ich begann mir ernsthafte Sorgen um die Zukunft zu machen. Auf der anderen Seite würden auch die Meuterer ihre Probleme haben. Sie hatten ein Verbrechen begangen, das sofort mit dem Tod bestraft wurde. Das wußte auch Mentares. Wer ga­rantierte ihm, daß Orbanaschol ihn schonte, auch wenn er mich auslieferte?

»Nun können wir wenigstens offen spre­chen«, unterbrach Fartuloon das bedrücken­de Schweigen und deutete vage gegen die Decke, an der er wahrscheinlich die Abhör­vorrichtung vermutete. »Ich hoffe nur, Men­tares ist klüger als Arthamor mit seiner ver­pfuschten Laufbahn. Ich konnte ihn schon damals nicht leiden. Er war zu ehrgeizig und verriet seine Freunde um des eigenen Vor­teils willen. Ich bin überzeugt, daß er auch Mentares betrügen wird.«

»Höchstwahrscheinlich ist das seine Ab­sicht«, unterstützte ich Fartuloons Bemü­

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hungen, Zwietracht zu säen. Ischtar ging mit dem Kind auf dem Arm

in der geräumigen Kabine hin und her. Ich empfing Chapats Gedanken sehr intensiv. Er hatte die Lage begriffen und dachte über die Rettungsmöglichkeiten nach. Er hatte damit genauso wenig Erfolg wie ich.

»Was geschieht nun?« fragte Ischtar und blieb vor mir stehen.

Ich zuckte die Schultern. »Ich fürchte, wir werden es bald erfahren

…«

*

Mentares wirkte ruhig und überlegen, als er in Begleitung von drei bewaffneten Män­nern erschien. Arthamor war nicht zu sehen.

»Ihre Identität ändert natürlich die Situati­on«, begann er ohne Einleitung. »Wir wer­den Sie ausliefern, obwohl damit einige Schwierigkeiten verbunden sind. Bis dahin haben Sie sich wieder als unsere Gegange­nen zu betrachten. Es tut mir leid, aber es gibt keine andere vernünftige Lösung.«

»Es gäbe eine«, schlug ich vor und ver­suchte, überzeugend zu wirken. »Sie verges­sen, wer wir sind, und setzen uns irgendwo ab. Sie selbst ziehen sich mit der ZENTAR­RAIN auf einen unbekannten Planeten zu­rück und warten, bis Orbanaschol gestürzt ist. Dann kehren Sie rehabilitiert nach Arkon zurück und haben für alle Zeiten ausgesorgt. Nun …?«

Er schüttelte den Kopf. »Das klingt verlockend, zugegeben, aber

wer garantiert mir, daß Sie Ihr Ziel jemals erreichen? In dieser Hinsicht denke ich reali­stisch. Ich jage keinen Hirngespinsten nach. Wir nähern uns dem arkonidischen Stütz­punkt Varlakor. Dort werden wir versuchen, den offiziellen Auftrag zu erhalten, Sie nach Arkon zu bringen. Das allein rehabilitiert uns bereits.«

»Und Sie glauben, daß man mit Meute­rern überhaupt noch spricht? Ich muß sagen, Sie sind sehr naiv, Mentares, kein Mann je­denfalls, der es wagen dürfte, dem Großen

Clark Darlton

Imperium zu trotzen – und genau das ist es doch, was Sie tun wollen.«

»Sie unterschätzen mich, Atlan. Ich habe nur der ungerechten Behandlung durch Le­rathim und seine Handlanger getrotzt, nicht dem Imperium. Ich bin ein treuer Diener des Imperators, und ich wäre ebenso der Ihre, wenn Sie Imperator wären.«

Ich sah ein, daß es wenig Sinn hatte, ihn umstimmen zu wollen. Er hatte sich ein Ziel gesetzt, und er würde es unter allen Umstän­den zu verfolgen suchen, was immer auch geschah. Tief im Unterbewußtsein machte sich bei mir allerdings der Verdacht breit, daß Arthamor seine eigenen Pläne hatte, von denen Mentares nichts ahnte. Wenn das stimmte, konnte sich daraus ein Vorteil für uns ergeben.

In der Tür erschien ein Mann, den ich vorher noch nicht gesehen hatte.

»Mentares, wir nähern uns Varlakor. Die vorgeschobenen Funkposten verlangen Iden­tifikation. Kommst du?«

Mentares scheuchte die drei Wachtposten aus unserer Kabine. An der Tür wandte er sich um und sagte zu mir:

»Was immer auch geschieht, es würde wenig Sinn haben, wenn Sie irgend jeman­dem auf Varlakor etwas von einer Meuterei auf der ZENTARRAIN erzählen. Niemand wird Ihnen glauben, dafür sorgen wir schon.«

Ich starrte Sekunden später gegen die ver­schlossene Tür.

Fartuloon seufzte: »Und das alles nur, weil ich meinen

dicken Bauch noch habe! Ich hätte versu­chen sollen, abzunehmen, dann hätte mich dieser verdammte Bauchaufschneider nicht wiedererkannt. In Zukunft werde ich weni­ger essen.«

»Wenn es für uns eine Zukunft gibt«, murmelte Eiskralle mutlos. »Jedenfalls wer­de ich versuchen, Orbanaschol die Hand zu drücken, wenn er uns zum Tode verurteilt. Das wird der schönste Augenblick meines Lebens sein, wenn ich sehe, wie er sich in einen Eiskristall verwandelt.«

19 Raumschiff der Meuterer

»Soweit ist es noch nicht«, dämpfte ich seinen makabren Optimismus. »Vor uns liegt Varlakor. Wer weiß, was der Komman­dant des Stützpunkts von der ganzen Sache hält …«

*

Mentares befand sich tatsächlich in einer Zwangslage. Sein ursprünglicher Plan, einen unbekannten Planeten außerhalb der Gren­zen des Großen Imperiums aufzusuchen und den Rest seines Lebens in Ruhe und Frieden in einer paradiesischen Umgebung zu ver­bringen, geriet ins Wanken.

Atlan befand sich in seiner Hand, der meistgesuchte Mann des arkonidischen Ster­nenreichs. Aber wenn er dieses Faustpfand seiner eigenen Sicherheit leichtfertig aus der Hand gab, war er verloren. Natürlich war er an einer Rehabilitierung unter diesen Um­ständen interessiert, wenn sie auch die er­wünschten Vorteile mit sich brachte. Das aber war eben das große Problem.

Der Kommandant von Varlakor war ein gewisser Daftokan Jalvor. Er kannte den Mann nur dem Namen nach. War mit ihm ein Geschäft zu machen – oder nicht? Konn­te er ihn bluffen? Würde der andere versu­chen, ihn hereinzulegen, um die sagenhafte Belohnung für sich allein zu kassieren?

Das alles waren Fragen, die Mentares jetzt beschäftigten und unsichermachten. Und schließlich waren sie auch die Ursache für seine Entscheidung, auf keinen Fall mit der ZENTARRAIN auf Varlakor zu landen. Er würde auch darauf verzichten, die wahre Identität der Gefangenen preiszugeben.

Sein Entschluß stand plötzlich fest. »Kurrentos, rufe Arthamor über Interkom.

Ich will mit ihm sprechen.« »Ist es wegen der Gefangenen?« »Du hast es erraten. Er war es schließlich,

der sie erkannte, also soll er auch versuchen, Jalvor hereinzulegen.«

»Den Kommandanten von Varlakor? Ob er das schafft?«

»Mit unserer Hilfe – bestimmt.«

»Der Funkposten von Varlakor hat auf unsere Identifikation positiv reagiert. Wir konnten passieren. Es scheint also so zu sein, wie wir vermuten. Der Rest unseres Verbandes hat noch keine Warnung gefunkt. Vielleicht sind sich die einzelnen Komman­danten auch nicht einig.«

»Es könnte auch eine Falle sein«, vermu­tete Mentares düster. »Warten wir, bis der Stützpunkt Verbindung aufnimmt. Man wird wissen wollen, warum wir allein kommen. Da haben wir eine gute Begründung: die Ge­fangenen.«

Arthamor kam in die Kommandozentrale. Er war sich seiner plötzlichen Bedeutung durchaus bewußt und benahm sich dement­sprechend. Großspurig setzte er sich und streckte die Beine weit von sich, als gehöre ihm bereits das ganze Schiff.

»Du wolltest mich sprechen, Mentares?« »In kurzer Zeit werden wir Kontakt mit

Jalvor erhalten, der mit Sicherheit eine Er­klärung verlangt. Ich werde ihm sagen, daß unser Verband einen Auftrag erfüllt, wäh­rend wir wichtige Gefangene abliefern möchten. Ich weiß, daß Jalvor überlastet ist. Er wird keine Zeit haben, sich um die Ge­fangenen zu kümmern, aber er wird sie zu­mindest sehen wollen. Natürlich darf er nicht erfahren, wer sie wirklich sind. Ich bin überzeugt, er wird uns damit beauftragen, sie selbst nach Arkon zu bringen, und damit haben wir es geschafft.«

»Und wenn er es nicht tut?« »Das ist unwahrscheinlich. Variakor ist

ein weit vorgeschobener Stützpunkt. Immer wieder erfolgen Angriffe durch die Maahks, außerdem dürfte der ganze Laden überorga­nisiert sein. Bürokratie also, und damit über­flüssige Arbeit für die Verantwortlichen. Be­sonders für Daftokan Jalvor, dem alles in die Schuhe geschoben wird, wenn etwas nicht klappt. Der gibt uns den Marschbefehl und ist froh, wenn er uns wieder los ist.«

»Kennt er den Kommandanten der ZEN­TARRAIN persönlich?«

»Lerathim?« Mentares zögerte. Daran hatte er noch nicht gedacht. »Ich weiß es

20

nicht. Aber das ändert nichts. Wenn er nach ihm fragen sollte, so erklärst du ihm, Lerat­him sei krank und könne nicht erscheinen. Schließlich bist du Bauchaufschneider.«

Arthamor seufzte. »Ich beginne zu begreifen, daß es gar

nicht so einfach ist, eine Belohnung zu kas­sieren. Wann ist es soweit?«

»Es kann nicht mehr lange dauern. Suche dir inzwischen die Leute zusammen, die dich begleiten sollen. Lege Wert auf ordent­liche Uniformen und gepflegtes Erscheinen. Die Gefangenen werden gefesselt, die Frau-en natürlich nicht. Wir sind ja keine Barba­ren.«

Arthamor grinste hinterhältig. »Warum behalten wir die beiden Frauen

eigentlich nicht für uns? Wenn wir uns ir­gendwo ansiedeln wollen …«

»Ich glaube, wir werden unsere Absichten ändern. Und außerdem: Weißt du, ob die Frauen nicht eine extra Belohnung bringen? Für die Reichtümer, die wir erhalten, können wir uns tausend Frauen kaufen. Du mußt weiter denken, mein Freund. Und nun geh endlich. Es ist bald soweit.«

Arthamor verließ die Kommandozentrale. Seinem Gesicht war anzumerken, daß er nicht ganz zufrieden war. Eine Belohnung einzustecken war einfach, aber dafür ein Ri­siko auf sich zu nehmen, das war eine ande­re Sache …

»Er hat Angst«, faßte Kurrentos seinen Eindruck zusammen.

»Natürlich hat er Angst. Aber einer von uns muß gehen. Wenn die Sache schiefläuft, haben wir noch immer die Möglichkeit, mit der ZENTARRAIN zu fliehen.«

Wenig später, nachdem sie alle Wach­sperren hinter sich gelassen hatten, meldete sich die Hauptfunkstation von Varlakor. Sie gab die Landeerlaubnis für ein Beiboot be­kannt. Die ZENTARRAIN selbst sollte im Orbit bleiben.

»Sieht gut aus«, meinte Kurrentos erleich­tert. »Niemand hat verlangt, daß der Kom­mandant persönlich erscheint. Die werden nicht einmal vermuten, daß bei uns ein

Clark Darlton

Kommandowechsel stattgefunden hat.« »Hoffentlich«, murmelte Mentares, und er

war sich seiner Sache nicht so sicher wie Kurrentos. Aber schließlich war es Artha­mor, der das ganze Risiko auf sich nehmen mußte.

*

Fartuloon war der einzige von uns, der schon von Varlakor gehört hatte. Als ich ihn danach fragte, meinte er:

»Eigentlich unbedeutend, dieser Stütz­punkt. Aber die Erfahrung beweist, daß ge­rade die Kommandanten solcher abseits ge­legener Bastionen am ehrgeizigsten sind. Und auch am gefährlichsten. Sie alle wollen beweisen, daß sie zu Besserem geboren sind. Wenn man dort erfährt, wer wir sind, gibt es keine Rettung mehr – allerdings auch nicht für Mentares, Arthamor und Konsorten.«

»Was weißt du sonst noch von Varlakor?« drängte ich.

»Eigentlich eine verlorene Welt, um die sich niemand kümmern würde, läge sie nicht strategisch günstig. Der einzige Planet einer roten Zwergsonne, Sauerstoffatmosphäre, die jedoch künstlich angereichert werden muß, weil die natürliche Vegetation fast völ­lig vernichtet wurde. Also kein besonders angenehmer Aufenthaltsort für jemanden, der grüne Wälder und Steppen liebt. Ich war noch nie dort, aber ich hörte damals viel über Varlakor. Daftokan war schon immer Kommandant dort, einstmals Gonozal erge­ben, heute seinem Mörder.«

»Wie ist der Stützpunkt befestigt?« »Sehr gut. Die Oberfläche ist in Sektionen

eingeteilt, mehr weiß ich auch nicht. Nun, wir werden es ja bald herausfinden.«

Eiskralle und Corpkor verhielten sich un­gewöhnlich schweigsam. Sie beteiligten sich kaum an unseren Gesprächen, sondern wa­ren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Dann wurde ohne Ankündigung die Tür aufgestoßen. Arthamor erschien mit einigen Bewaffneten. In barschem Ton erklärte er:

»Die Männer werden gefesselt! Keine Ge­

21 Raumschiff der Meuterer

genwehr, wenn ich, bitten darf. Der Kom­mandant von Varlakor verlangt euch zu se­hen. Es kann nur euer Vorteil sein, wenn ihr die falschen Namen nennt. Macht also kei­nen Fehler!«

Natürlich begriff ich sofort, warum unsere wahre Identität geheim bleiben sollte. Der Kuchen sollte nicht noch mehr verteilt wer­den.

Widerstandslos ließen wir uns die Ma­gnetfesseln anlegen. Die auf uns gerichteten Energiewaffen ließen uns keine andere Wahl. Fartuloon allerdings konnte es nicht lassen, Arthamor als »verräterischen Dick­wanst« zu bezeichnen, was ihm einen Schlag ins Gesicht einbrachte.

Sie führten uns in den Hangar, wo ein großes Beiboot auf uns wartete. Mentares war nicht zu sehen. Er blieb also zurück und überließ Arthamor das Risiko.

Während des kurzen Fluges gab es Funk­verkehr mit den Bodenstationen, aber den knappen Mitteilungen und Anfragen war nicht viel zu entnehmen. Jedenfalls passierte das Beiboot sämtliche Kontrollen und setzte dann zur Landung an. Arthamor war längst nicht mehr so selbstsicher wie.an Bord der ZEN-TARRAIN. Immer wieder warf er uns Blicke zu, so als wolle er uns beschwören, Jalvor auf keinen Fall die Wahrheit zu sa­gen.

Ich war innerlich ganz seiner Meinung. Jalvor durfte nie erfahren, wer wir wirklich waren. Wir würden ihm die Piratengeschich­te auftischen.

Die Luke öffnete sich. Arthamor stieg als erster aus und grüßte die wartende Wacht­mannschaft so lässig, als sei er der komman­dierende Admiral einer arkonidischen Ein­satzflotte. Man gab den Gruß zwar zurück, aber ohne besondere Ehrerbietung. Schließ­lich hatte man es mit einem Mann zu tun, der sich bewähren sollte.

Wir wurden in Fahrzeuge verbracht und davongefahren.

Der Boden bestand aus einer Masse, auf der keine Pflanze Wurzeln fassen konnte. Darunter, so vermutete ich, lagen die unter­

irdischen Anlagen und Hangars. Am Hori­zont erkannte ich einige flache Gebäude, das war alles.

Eine künstliche Welt, die einstmals viel­leicht ein Paradies gewesen war.

3.

Abgesehen davon, daß Daftokan Jalvor in dienstlicher Hinsicht total überlastet war, war er auch noch auf die verrückte Idee ge­kommen, sich eine Freundin anzuschaffen. Piralla war eine sehr hübsche, junge Frau, die bei einer gesellschaftlichen Zusammen­kunft seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Daß sie mit einem höheren Beamten verhei­ratet war, störte ihn nur für einige Tage, dann wurde der Beamte versetzt und durfte seine Frau nicht mitnehmen. Jalvor nahm sich ihrer liebevoll an.

Das kostete nicht nur Zeit, sondern auch Nerven. Und mit denen war es nun wirklich nicht gut bestellt. Als die Nachricht eintraf, daß die ZEN-TARRAIN mit Gefangenen an Bord Varlakor anflog, befand er sich gerade in Gesellschaft von Piralla, der er verspro­chen hatte, alles in seiner Macht Stehende zu versuchen, ihren Gatten zurückzuholen – na­türlich nicht umsonst. Und Piralla bezahlte anstandslos, im wahrsten Sinne des Wortes.

Er verabschiedete sich ziemlich hastig, als er die Nachricht erhielt, das Beiboot des Schlachtschiffs sei gelandet. Mit der Rohr­bahn kehrte er in sein unterirdisches Haupt­quartier zurück und befahl, man solle die Gefangenen und die Begleitmannschaft zu ihm bringen.

Sein Erstaunen war nicht gering, als er feststellen mußte, daß nicht Wagor de Lerat­him selbst die Delegation anführte. Er hatte den Kommandanten einst kennengelernt und schätzte seine Gesellschaft. Der dicke Artha­mor gefiel ihm ganz und gar nicht.

»Das also sind wichtige Gefangene? Wer sind sie? Was haben sie verbrochen? Warum werden sie zu mir gebracht?«

Arthamor fühlte sich sofort überfordert. Mentares hatte es versäumt, ihm genaue In­

22

struktionen mitzugeben. Und tatsächlich: welcher Verbrechen sollte man die Gefange­nen beschuldigen, ohne ihre Identität zu ver­raten?

»Sie wurden uns übergeben, und zwar von den Maahks«, log er. »Wir kaperten eins ihrer Schiffe, und diese hier …«, er deutete auf mich und meine Gefährten, »… fanden wir an Bord. Sie waren frei, demnach kann es sich nur um Deserteure handeln, um Verräter. Ich bin überzeugt, daß sie dem Im­perator überaus wichtige Informationen ge­ben können.«

Jalvor streifte ihn mit einem verächtli­chem Blick. Und er hatte sich so auf den Abend mit Piralla gefreut …

»Denkt Wagor de Lerathim das auch?« Arthamor nickte eifrig. »Selbstverständlich, darum bin ich ja hier,

um Sie zu bitten, uns den Marschbefehl nach Arkon auszustellen. Wir wollten nicht selb­ständig handeln und …«

»Wer ist ›wir‹? Hat der Kommandeur ei­ner Schlachteinheit nicht die Befugnisse, selbständig zu handeln? Muß er mich fra­gen, wenn er nach Arkon fliegen will?« Er betrachtete Arthamor mißtrauisch. »Warum ist Lerathim nicht selbst gekommen? Was hält ihn davon ab, einen alten Freund zu be­grüßen?«

»Zur Zeit befindet er sich in der Kranken­station und wird behandelt. Aber er gab mir den Auftrag, Sie herzlich zu grüßen.«

»So, tat er das?« Ich sah, daß Jalvor noch mißtrauischer wurde. Er wußte, wie die Mannschaften der Schiffe am Rande des Im­periums zusammengesetzt waren. Er traute niemandem. »Wie wäre es, wenn ich ihm an Bord der ZENTARRAIN einen Besuch ab­statten würde? Jetzt gleich …«

Nun saß Arthamor endgültig in der Falle, aber ich hatte am wenigsten Grund, mich darüber zu freuen. Das sollte ich schnell er­fahren.

»Oh … Kommandant … Lerathim …« »Wagor de Lerathim!« korrigierte Jalvor

mit Nachdruck. »Natürlich, Wagor de Lerathim – aber er

Clark Darlton

ist krank. Er hat mir Grüße für Sie aufgetra­gen, aber von einem Besuch hat er kein Wort gesagt. Sein Stellvertreter ist Offizier Mentares.«

»Mentares? Nie gehört. Welchen Dienst­grad bekleidet er?«

Unsere Lage war ernst, sogar todernst, trotzdem begann mich das Verhör zu amü­sieren.

»Dienstgrad … ah, ich glaube … ich …« »Meuterer schaffen Dienstgrade ab, habe

ich mal gehört«, unterbrach ihn Jalvor eis­kalt. »Raus mit der Wahrheit! Was ist auf der ZENTARRAIN geschehen? Was ist mit den Gefangenen? Lebt Lerathim noch, oder habt ihr ihn umgebracht? Reden Sie, Artha­mor, Sie stehen unter Arrest!«

Die Begleitmannschaft Arthamors befand sich außerhalb des Raumes und konnte nicht eingreifen. Es wäre wohl auch sinnlos gewe­sen, denn Jalvor brauchte sicher nur auf einen Knopf zu drücken, um seine Leibgar­de zu alarmieren. Der Bauchaufschneider saß unrettbar in der Klemme. Die ZENTAR­RAIN aber noch lange nicht …

»Kommandant Jalvor, ich habe Ihnen eine äußerst wichtige Mitteilung zu machen. Ich gebe zu, daß wir die ZENTARRAIN durch eine Meuterei in unseren Besitz brachten und den Kommandanten wie seine Offiziere gefangensetzten. Sie sind gesund und wohl­auf. Wir werden sie auf einem unbewohnten Planeten absetzen, dessen Koordinaten wir noch bekanntgeben. Aber …«

»Ruhe!« brüllte Jalvor ihn an. Er holte tief Luft, ehe er fortfuhr: »Sie haben soeben Ihr eigenes Todesurteil gesprochen! Ist Ihnen das klar? Sind Sie denn verrückt geworden …? Ich verstehe überhaupt nichts mehr! Was hat das mit den Gefangenen zu tun?«

»Das versuche ich gerade, Ihnen zu erklä­ren, Kommandant. Wir haben gemeutert, zu­gegeben. Aber wir hatten auch Grund dazu. Die Behandlung zwang uns dazu. Wir waren Gefangene, die sich bewähren sollten. Wie kann das ein Mann, wenn er wie ein Verbre­cher behandelt wird? Warum behandelt man Leute, die sich eines Vergehens schuldig ge­

23 Raumschiff der Meuterer

macht haben, nicht wie Männer? Sie wären mutiger, tapferer und für den Feind gefährli­cher. So aber staute sich der Haß gegen die Vorgesetzten auf, und es mußte der Augen­blick kommen, in dem er sich entlud. Das ist geschehen.«

Daftokan Jalvor begann sich von seiner Überraschung zu erholen. Vor ihm stand ein Rädelsführer der Meuterer und berichtete ihm ohne Scheu von den Motiven. Er hatte Angst, aber keine Todesangst.

Warum? »Sie sind erledigt, alle sind erledigt! Ich

brauche nur zu befehlen, und die ZENTAR­RAIN hat aufgehört zu existieren.«

Zu meiner Überraschung ließ sich Artha­mor kaum davon beeindrucken.

»Wagor de Lerathim aber auch«, sagte er ruhig.

Jalvor starrte ihn wütend an. »Na schön, aber nun verraten Sie mir end­

lich, was der Trick mit den so überaus wich­tigen Gefangenen mit allem zu tun hat. Wa­rum sind Sie nicht geflohen? Warum haben Sie sich nicht in Sicherheit gebracht, statt hierher zu kommen?«

»Sie werden es gleich verstehen«, versi­cherte Arthamor, und ich begann zu ahnen, daß die Katastrophe bevorstand. »Die Ge­fangenen sind bedeutender als unsere Meu­terei, das können Sie mir glauben, Komman­dant Jalvor. Und wenn Sie klug sind, ist es durchaus möglich, daß Sie in Zukunft einen einträglicheren Posten bekleiden werden. Wissen Sie, wer der junge Mann dort ist, der neben dem Fettwanst sitzt und so unschuldig in die Welt schaut?« Er deutete auf mich. »Das ist der schon lange gesuchte Atlan, der Sohn Gonozals, auf dessen Kopf eine unge­heure Belohnung ausgesetzt wurde. Orbana­schol III. würde die Meuterei einer ganzen Flotte verzeihen, wenn man ihm Atlan über­brächte. Verstehen Sie nun, warum ich zu Ihnen kam?«

Nun war genau das geschehen, was ich hatte kommen sehen. Arthamor hatte uns und seinen neuen Kommandanten Mentares verraten, um sich selbst zu retten.

Das Gesicht Jalvors war nicht zu be­schreiben. Es machte sämtliche Stadien vom Unglauben bis zum höchsten Entzücken durch. Er starrte mich an wie einen Geist, und als er endlich seine Sprache wiederfand, fragte er mich nur:

»Stimmt das?« Es hatte wenig Sinn, jetzt noch leugnen zu

wollen. »Es stimmt«, gab ich zu und fuhr fort:

»Mein Vater Gonozal, der Imperator, wurde durch Orbanaschol umgebracht. Ich bin der rechtmäßige Nachfolger. Sie begreifen wohl, warum mein Kopf so wertvoll ist. Überlegen Sie sich Ihre Entscheidung gut, denn es könnte sein, daß ich mich später an sie erin­nere.«

Für eine Weile war er sprachlos, aber dann begriff er, welche schwere Entschei­dung er zu treffen hatte. Er sicherte sich nach allen Seiten ab.

»Sie bleiben in Haft, wer immer Sie und Ihre Freunde auch sein mögen. Der Fall muß untersucht werden. In wenigen Tagen wird eine Inspektionsflotte von Arkon hier erwar­tet. Ihrem Kommandeur werde ich den Fall vortragen. Wenn es stimmt, daß Sie der ge­suchte Atlan sind, muß ich die letzte Ent­scheidung dem Imperator überlassen.« Er wandte sich an den total überforderten Ar­thamor: »Ich habe Sie nie in meinem Leben gesehen. Kehren Sie zur ZENTAR-RAIN zurück und verschwinden Sie! Grüßen Sie Lerathim, falls er noch lebt. Ich habe immer gedacht, er wäre klüger, aber er hat sich von Meuterern überlisten lassen.«

»Aber der Gefangene … ich brachte ihn hierher und …«

»Sie werden ihn vergessen, so wie ich Ih­re Meuterei vergesse. Verschwinden Sie, ehe ich es mir anders überlege!«

Arthamor befand sich in einer verzweifel­ten Lage, wenn man von der meinen und der meiner Gefährten einmal absah. Er war Mentares Rechenschaft schuldig, der ihn mit dieser Aufgabe betraut hatte. Zweitens ver­lor er alles, was er sich durch meine Gefan­gennahme erhofft hatte. Rehabilitierung,

24

Ansehen und Reichtum – das alles ging an Jalvor, der nun am richtigen Drücker saß.

In diesem Augenblick hätte er mir fast leid getan, aber dann dachte ich daran, daß er nicht nur an seinem, sondern auch an un­serem Unglück schuld war. Hätte er von An­fang an den Mund gehalten, wäre es viel­leicht sein Vorteil gewesen, aber seine Hab­gier und sein unersättlicher Ehrgeiz hatten ihn in eine Sackgasse getrieben, aus der es nun keinen Ausweg mehr gab.

»Nun?« fragte Jalvor ungeduldig. »Haben Sie sich entschieden?«

Arthamor ging bis zur Tür. Sie öffnete sich automatisch.

»Ich habe noch eine Bitte«, sagte er fast unterwürfig. »Darf ich bis morgen bleiben?«

»Warum? Vielleicht ändere ich meinen Entschluß.«

»Wir waren viele Jahre im Schiff, und Varlakor soll Vergnügungen bieten …«

»Ich verstehe, Arthamor. Gut, bleibt bis morgen, aber wenn das Beiboot mittags noch nicht gestartet ist, werde ich meinen Leuten den Befehl geben, es zu kapern. Ich glaube, wir haben uns verstanden.«

»Danke, Kommandant«, erwiderte Artha­mor und verließ den Raum.

Ich war sicher, ihn nicht das letzte Mal gesehen zu haben.

Daftokan Jalvor betrachtete mich mit ei­ner Mischung aus Neugier und Mitleid. Er wußte, welches Schicksal mir bevorstand, wenn er mich auslieferte. Aber genau das war seine Absicht. Nie mehr würde sich ihm eine solche Chance bieten.

»Sind Sie wirklich der sagenhafte Atlan, der Sohn Gonozals?« fragte er schließlich. »Auch wenn Sie es abstreiten, werde ich den Fall untersuchen lassen, es hätte also wenig Sinn, leugnen zu wollen. Ersparen Sie sich und mir die Mühe.«

»Ich bin es«, erwiderte ich nur. Sein Blick fiel auf Fartuloon und dann auf

Eiskralle. »Und wer sind diese dort? Ihre Freunde,

nehme ich an. Der eine ist ein Chretkor – so nennen sie sich wohl. Die beiden Frauen,

Clark Darlton

was ist mit ihnen?« Ich erzählte ihm die Piratengeschichte. Es

genügte wahrhaftig, wenn er wußte, wer ich war. Fartuloons Identität kannte er nicht, weil Arthamor erst gar nicht so weit mit sei­nen Erklärungen gekommen war.

Er rief nach seinen Leuten. »Bringt sie in das provisorische Untersu­

chungsgefängnis. Für heute ist es zu spät, sie in das Fort zu schaffen. Und verdoppelt die Wachen! Wenn sie entkommen, geht es euch an den Kragen.« Er sah mich an. »Wir sprechen uns morgen noch, heute habe ich keine Zeit mehr dazu.«

Als wir das Gebäude verließen, das an der Oberfläche stand, konnte ich das Landefeld und das Beiboot der ZENTARRAIN erken­nen. Einige der Meuterer hielten sich in der Nähe auf. Einen Augenblick dachte ich dar­an, unsere vier Wachtposten niederzuschla­gen und den Versuch zu unternehmen, mit dem Beiboot zu flüchten, aber dann gab ich den Plan wieder auf. Mir allein wäre die Flucht vielleicht geglückt, aber nicht uns al­len zugleich.

Unser Ziel war ein flacher Bau unmittel­bar neben dem Landefeld. Die Fenster wa­ren elektronisch vergittert und abgesichert. Zwei Wachtürme verrieten den Zweck des Hauses.

Das provisorische Untersuchungsgefäng­nis.

Ehe sich das Tor öffnete, sah ich Artha­mor. Zusammen mit einem anderen Meute­rer stand er neben einem Flugtaxi am Rande einer breiten Straße, die wohl in die nahe Stadt führte. Er blickte zu uns herüber, gab aber keine Zeichen, wie ich es fast erwartet hatte. Seine Gefühle konnte ich mir vorstel­len. Seine ganze Zukunft und sein Reichtum verschwanden in einer ( Gefängniszelle.

Immerhin in einer provisorischen Gefäng­niszelle.

Plötzlich wußte ich, warum er sich ausge­beten hatte, bis zum anderen Tag bleiben zu dürfen. Nicht die Stadt und ihre zweifelhaf­ten Vergnügungen waren es, die ihn hielten, sondern ich. Er hatte noch nicht aufgegeben.

25 Raumschiff der Meuterer

Er plante, zumindest mich aus dem Gefäng­nis zu befreien.

Die vier Wachtposten trieben uns durch das Tor in einen Hof, dann führten sie uns in das Gebäude und sperrten uns in eine große Zelle, die nur spärlich eingerichtet war.

Die ganze Prozedur war vor sich gegan­gen, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Die Tür schloß sich, und wir waren uns selbst überlassen. Es gab auch nichts zu es­sen oder zu trinken, aber wir verspürten vor­erst weder Hunger noch Durst.

Fartuloon kam zu mir und setzte sich ne­ben mich. Wir unterhielten uns nur flü­sternd.

»Wir sitzen verdammt tief im Dreck, At­lan.«

»Das weiß ich auch, aber vielleicht gibt es einen Lichtblick. Arthamor ist viel zu geld­gierig, um den goldenen Fisch von der An­gel zu lassen. Außerdem hat er nun nichts mehr zu verlieren. Ich glaube nicht, daß Jal­vor sein Wort hält und ihn starten läßt.«

»Willst du damit andeuten, daß er versu­chen könnte, uns aus dem Gefängnis zu ho­len?«

»Allerdings. Aber nicht uns, sondern nur mich. Aber es ist sein Pech, daß wir zusam­mengeblieben sind.«

»Du meinst wirklich, daß er ein solches Risiko eingeht?«

»Für ihn ist es keins mehr. Wenn er ohne uns zur ZENTARRAIN zurückkehrt, läßt Mentares ihn ohne Raumanzug zwischen den Sternen Spazierengehen. Hierbleiben kann er auch nicht. Was also bleibt ihm üb­rig?«

Fartuloon nickte. »Du hast recht, er hat keine andere Wahl.

Wir sind seine einzige Chance. Wann, glaubst du? Heute nacht?«

»Natürlich. Bereiten wir uns darauf vor. Wir müssen die anderen unterrichten, aber leise. Vielleicht gibt es auch hier Abhöranla­gen.«

Es fiel weiter nicht auf, daß wir in kleinen Gruppen zusammensaßen und miteinander flüsterten. Ischtar zeigte sich Chapats wegen

besorgt. Ich beruhigte sie: »Wenn wirklich das geschieht, was wir

vermuten, nehme ich das Kind, damit du mehr Bewegungsfreiheit hast. Ich bin nur gespannt, wie Artharmor es schaffen will, unbemerkt in das Gefängnis einzudringen.«

»Er ist listig.« »Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet

…« Draußen mußte es schon dunkel sein, als

zwei Posten uns Essen und einen Krug Was­ser brachten. Ich versuchte, ein Gespräch mit ihnen zu beginnen, begegnete aber nur abweisenden Blicken.

Wir stärkten uns, dann riet ich meinen Freunden, ein wenig zu schlafen. Bald wür­den wir alle unsere Kräfte benötigen, um zu überleben.

*

Meiner Schätzung nach war es gegen Mit­ternacht, als mich ein Geräusch weckte. Je­mand war an der Tür.

Natürlich konnte ich die Ortszeit nur ab­schätzen, da mir Rotation und Zeiteinteilung von Varlakor unbekannt waren. Aber ich wußte ungefähr, wie lange ich geschlafen hatte. Schnell weckte ich Fartuloon, dann die anderen.

Die Tür öffnete sich, und herein trat Ar­thamor in der Uniform eines Chefarztes der arkonidischen Raumflotte. Er blinzelte mir zu, was die beiden Wachtposten, die hinter ihm standen, nicht sehen konnten. Mit herri­scher Stimme sagte er:

»Kommandant Jalvor hat eine medizini­sche Untersuchung angeordnet. Kommen Sie mit! Der Kommandant des Gefängnisses stellt seine Amtsräume zur Verfügung, so daß eine Überführung in die Stadt überflüs­sig wird.«

Das also war sein Trick! Er gab sich ein­fach als Beauftragter Jalvors aus. Wahr­scheinlich hielt sich dieser an einem unbe­kannten Ort auf und konnte nicht erreicht werden. Ich konnte nicht ahnen, daß meine Vermutung absolut richtig war. Jalvor war

26

bei Piralla. Solange ich die beiden Impulsstrahler

schußbereit hinter mir wußte, konnten wir nichts unternehmen. Wir folgten Arthamor, der seine erste Enttäuschung darüber, nicht mich allein mitnehmen zu können, bereits überwunden hatte. Er mußte sich vorher schon über die Örtlichkeiten informiert ha­ben, denn er tat ganz so, als sei er hier zu Hause.

Wir kamen im oberen Korridor an der Wachstube vorbei. Die Tür stand auf, und ich zählte drei weitere Posten. Das waren insgesamt fünf.

Fartuloon sah mich an. Den Blick kannte ich.

Unmerklich nickte ich. Wir hatten uns verstanden. Aber auch Corpkor und Eiskralle reagier­

ten blitzschnell, so als hätten wir den Über­fall in allen Einzelheiten genau geplant.

Ehe Arthamor überhaupt begriff, was ge­spielt wurde, und noch ehe er seine eigenen Absichten, die mir nicht ganz klar waren, in die Tat umsetzen konnte, drehte ich mich um und riß den beiden überraschten Posten die Waffen aus den Händen. Bevor sie rea­gieren konnten, schlug ich sie nieder und überzeugte mich davon, daß sie für längere Zeit bewußtlos waren. Dann kümmerte ich mich um Fartuloon und die beiden anderen.

Eiskralle hatte es natürlich nicht sein las­sen können, einem der drei Arkoniden in der Wachstube »die Hand zu drücken«. Der Un­glückliche überlebte es nicht. Den beiden anderen erging es besser. Fartuloon hatte sich mit seinem ganzen beachtlichen Ge­wicht auf sie geworfen und zu Boden ge­schleudert, ehe sie reagieren konnten. Corp­kor klopfte sie ab, um sich dann befriedigt aufzurichten und zu sagen:

»Mindestens für einige Stunden verneh­mungsunfähig.«

Das alles war so schnell gegangen, daß Arthamor noch immer regungslos im Korri­dor stand und versuchte, das Geschehen zu begreifen. Ich ging zu ihm und zog den klei­nen Nadler aus seiner Tasche, den er vor-

Clark Darlton

sorglich mitgenommen hatte. »Wir haben Ihnen zu danken«, sagte ich

zu ihm und versuchte dabei, nicht ironisch zu klingen. Der arme Kerl war keinen Schritt weitergekommen. »Bringen Sie uns zum Beiboot.«

Ich sah, wie er erleichtert aufatmete. Er nahm also an, wir wollten mit ihm an Bord der ZENTARRAIN zurückkehren, und ich ließ ihn in dem Glauben. Er ahnte nicht, was ich mir ausgedacht hatte.

Es war mir völlig klar, daß der unerlaubte Start des Beiboots Alarm auslösen würde. Man würde es verfolgen und stellen, denn eine Flucht schien mir unmöglich zu sein. Und dann saßen wir abermals in der Patsche.

Das aber wollte ich vermeiden. »Draußen sind noch zwei Wachtposten«,

erklärte Arthamor hastig. »Sie werden uns nicht passieren lassen, wenn sie keinen Be­fehl dazu erhalten. Ich war schon froh, daß sie mich hereinließen.«

»Keine Sorge, mit denen werden wir schon fertig«, beruhigte ich ihn.

Ungehindert konnten wir das Gefängnis verlassen. Der Hof wurde von Scheinwer­fern hell angestrahlt. Das Tor war geschlos­sen. Wir konnten die gleichmäßigen Schritte der Posten deutlich in der stillen Nacht hö­ren. Ich nickte Arthamor zu.

»Sagen Sie ihnen, sie sollen das Tor öff­nen, weil Ihre Mission beendet sei!«

Arthamor ging zwei Schritte weiter, dann rief er:

»Öffnen! Hier ist der Chefarzt, der die Gefangenen untersuchte.«

Das war nicht besonders einfallsreich, dachte ich mir, aber schließlich handelte es sich auch nur um ein provisorisches Unter­suchungsgefängnis. Da nahm man es nicht so genau. Jedenfalls dauerte es nur einige Augenblicke, dann öffnete sich tatsächlich das Tor.

Fartuloon, Eiskralle und ich waren inzwi­schen in Stellung gegangen. Kaum war der Spalt groß genug, uns durchzulassen, als wir nach vorn stürmten und die beiden ahnungs­losen Männer im Handumdrehen überwäl­

27 Raumschiff der Meuterer

tigten. Ihre Waffen nahmen wir an uns. Ein Knopfdruck bewirkte, daß sich das Tor wie­der schloß, nachdem wir die bewußtlosen Posten in den Hof geschafft hatten.

»Ich kenne den Weg zum Beiboot«, erbot sich Arthamor, ehe ich ihn erneut auffordern konnte, uns zu führen.

Wir folgten ihm, während ich versuchte, mir die Umgebung genau einzuprägen. Da es dunkle Nacht war, erkannte ich nur an den Lichtern die Lage der einzelnen Gebäu­de und der Stadt, die an der Oberfläche lag. Auch das Raumfeld war beleuchtet, aber nicht so sehr wie das Gefängnis, das nun hinter uns lag.

Während wir gingen, teilte ich Fartuloon meinen Plan mit. Arthamor ging voran, ne­ben sich Eiskralle und Corpkor. Er konnte nichts hören.

»Bist du sicher, daß es der beste We­gist,Atlan?«

»Auf jeden Fall. Das Beiboot wird viel­leicht abgefangen, und damit hätte sich nichts geändert. Und selbst wenn es uns ge­länge, damit zu fliehen, wohin sollten wir uns wenden? Wir könnten natürlich versu­chen, die ZENTARRAIN zu kapern, aber das halte ich für aussichtslos. Das Beiboot selbst verfügt nur über einen beschränkten Aktionsradius. Nein, ich glaube, wir bleiben hier.«

»Kein schöner Planet«, gab Fartuloon zu bedenken.

»Stimmt, aber er bietet uns eine Menge von Verstecken. Und ich bin ziemlich si­cher, daß wir hier auch ein Schiff finden, so­bald sich Jalvor über den Verlust seines Reichtums getröstet hat.«

»Hoffentlich behältst du recht«, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war warm und schwül, eine Folge der künstlichen Klimatisierung von Varlakor. »Ich bin froh, wenn ich mal wieder richtig ausschlafen kann.«

Wir erreichten das Landefeld. In der Fer­ne erkannte ich das Beiboot. Die am Rand des Feldes aufgestellten Scheinwerfer waren nicht in der Lage, das gesamte Gelände

lückenlos zu erhellen. Es gab Unterbrechun­gen und regelrechte Schattentäler.

»Äußerst günstig«, meinte Arthamor. »Allerdings!« gab ich ihm recht. Er schien sich keine Gedanken über den

Verlust seines Nadlers zu machen, den ich eingesteckt hatte. Natürlich mußte er anneh­men, daß wir froh waren, dem Gefängnis entflohen zu sein. An Bord der ZENTAR­RAIN würde er mir die Waffe wieder ab­nehmen lassen.

Er sollte sich täuschen! Unbemerkt erreichten wir das Beiboot.

Die Schleusenluke war geöffnet. Einer der Meuterer erwartete uns bereits.

»Alles in Ordnung?« fragte er. »Wir müssen mit Notstart abheben«, er­

widerte Arthamor. »Ist alles vorbereitet?« »Klerados sitzt schon hinter den Kontrol­

len.« »Gut.« Er wandte sich um und sagte zu

mir: »Los, steigt ein. Es wird höchste Zeit.« Ich warf Fartuloon einen Blick zu und

nickte unmerklich. Das sollte bedeuten, daß wir noch immer das taten, was Arthamor von uns verlangte. Im Beiboot befanden sich höchstens vier Meuterer, und die mußten wir ausschalten, wenn unser Plan gelingen soll­te.

Also stiegen wir ein. Ich hatte meinen Im­pulsstrahler Corpkor gegeben und nur den kleinen Nadler behalten, den man in die Ta­sche stecken konnte. Die Strahler waren zu schwer und zu groß, um sie später am Kör­per verstecken zu können.

Als wir im Boot waren, befahl Arthamor: »Gebt mir die Waffen! Meinen Nadler

auch, Atlan!« Zwei der Meuterer unterstrichen seine

Forderung mit ihren eigenen Strahlern, de­ren Mündungen allerdings auf den Boden gerichtet waren. Fartuloon und Corpkor hat­ten die ihren bereits auf Narkose geschaltet, denn wir wollten niemanden töten.

Ich unternahm nichts und überließ die drei Arkoniden meinen beiden Freunden, die spielend mit ihnen fertig wurden. Es dauerte nicht einmal drei Sekunden, da lagen sie be­

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wußtlos auf dem Boden des schmalen Korri­dors. Wir schoben sie in eine der angrenzen­den Kabinen und schlossen die Tür.

Die beiden übrigen Meuterer in der Kom­mandozentrale waren nun kein Problem mehr. Sie waren so überrascht, daß sie kei­nen Versuch der Gegenwehr unternahmen und sich fesseln ließen. Dann setzte ich mich hinter die Kontrollen und programmierte den Robotpiloten.

Es war nicht meine Absicht, das Beiboot in die ungewissen Tiefen des Universums zu schicken. Es sollte möglichst den Orbit der ZENTAR-RAIN erreichen und von dem Schlachtschiff aufgenommen werden. Das aber mußte geschehen, ehe der Alarm auf Varlakor ausgelöst werden konnte.

Und das, so hatte ich mir ausgerechnet, würde einige Zeit dauern, da niemand wuß­te, was geschehen war und welche Befehle Jalvor erlassen hatte. In der Zwischenzeit konnten meine Gefährten und ich ein siche­res Versteck suchen, während man auf Var­lakor annehmen mußte, uns sei die Flucht mit dem Beiboot gelungen.

Auf diesem Planeten jedenfalls, so kalku­lierte ich, würde man uns nicht mehr suchen.

Als ich aufstand, blieben uns nur wenige Augenblicke. Die Frauen und Eiskralle war­teten schon draußen, während Fartuloon und ich uns durch die Luke zwängten und sie schlossen.

»Richtung Stadt!« sagte ich. »Aber schnell!«

Wir hatten alle nur eine ungefähre Vor­stellung davon, wie es auf Varlakor aussah, aber bis jetzt hatte ich den Eindruck, es mit einem durchschnittlichen Stützpunkt des Im­periums zu tun zu haben. Das bedeutete in diesem Fall, daß sich die meisten Anlagen unter der Oberfläche befanden und die Kon­trollen ziemlich scharf waren.

Aber es würde auch Tausende von Ver­stecken geben.

Wir erreichten den Rand des Landefelds und die Straße zur Stadt. Hinter uns war das plötzliche Aufheulen des Antriebs, und dann sahen wir das Beiboot mit hoher Beschleuni-

Clark Darlton

gung in den Nachthimmel hinaufrasen. »Weiter!« keuchte ich atemlos. »Wir

müssen hier verschwinden!« Wir befanden uns vielleicht zehn Gehmi­

nuten vom Raumhafen entfernt, als dort die Hölle ausbrach. Unterirdische Energiege­schütze fuhren aus dem Boden und eröffne­ten mit Ferntorpedos das Feuer auf das uner­laubt gestartete Beiboot. Entweder hatte Jal­vor schneller reagiert, als ich angenommen hatte, oder seine Offiziere handelten eigen­mächtig. Jedenfalls begann eine gnadenlose Jagd auf das Beiboot, in dem man uns ver­muten mußte.

Die Ferntorpedos lenkten sich automa­tisch ins Ziel, und nichts vermochte ihnen zu entkommen, wenn es nicht rechtzeitig in Transition ging.

Ich hatte die Automatik nicht auf Transiti­on programmiert.

Das, was ich nun befürchten mußte, trat kurze Zeit später ein.

Im dunklen Nachthimmel grellte ein flam­mender Blitz auf. Eine Miniatursonne ent­stand, als der Antrieb des Beiboots explo­dierte und sich das kleine Schiff in seine Atome auflöste. Ich hoffte in diesem Augen­blick, daß Arthamor und seine Begleiter noch bewußtlos waren und nichts von dem wahrnahmen, was mit ihnen passierte.

»Nun muß Jalvor annehmen, wir seien tot«, sagte Ischtar, und ich spürte die Er­leichterung in ihrer Stimme. »Er wird nicht nach uns suchen.«

»Trotzdem müssen wir vorsichtig sein«, warnte ich und dämpfte ihren Optimismus. »Es kann lange dauern, bis wir ein Schiff finden, das uns mitnimmt. Das Leben in ei­nem vorgeschobenen Stützpunkt verläuft straff geregelt und organisiert. Ohne Kontakt zu zweifelhaften Charakteren, die es zum Glück überall gibt, wird man uns bald erwi­schen. Aber nun weiter! Verlieren wir keine Zeit mehr …«

Während wir marschierten, versuchte ich mir Jalvors Reaktion auszumalen. Er mußte annehmen, der endlich gefangene Atlan sei mit dem Beiboot geflohen und tot. Offiziel­

29 Raumschiff der Meuterer

len Stellen gegenüber würde er wohl alles verschweigen, denn er konnte niemals Orba­naschol gegenüber behaupten, Atlan getötet zu haben, ohne seinen Kopf als Beweis vor­zeigen zu können. Er würde nur den Zorn des Imperators auf sich ziehen, und das war sicherlich das letzte, was er wollte.

Fartuloon holte auf, bis er neben mir war. Eiskralle übernahm mit Corpkor und den Frauen die Führung. Die Straße war leer und ohne jeden Verkehr. Sie führte durch eine steinige und vegetationslose Ebene.

»Soweit ich mich erinnern kann, gibt es ein paar Flugstunden von hier entfernt einen Handelshafen, Sektion Elkinth genannt. Der eigentliche Stützpunkt hat damit kaum etwas zu tun, denn es ist ein ziviler Hafen. Was das bedeutet, weißt du …«

»Ich denke schon: zweifelhafte Existen­zen, verkrachte Offiziere und vielleicht so­gar gesuchte Schmuggler. Aber einige Flug­stunden sind eine hübsche Strecke, wenn man sie marschieren will. Und die Rohrbah­nen, die es wohl geben wird, können wir kaum benutzen. Roboter kontrollieren un­fehlbarer als Arkoniden.«

»Warten wir es ab, Atlan. Wir finden einen Weg.«

Das hoffte ich auch. Natürlich mußte ich froh sein, dem Mi­

krokosmos entkommen zu sein, der nicht viel mit unserem eigenen Universum zu tun hatte. Dort war ich meiner Aufgabe ferner denn je gewesen. Doch nun, zurück in mei­ner Galaxis und in meiner Zeit, hatten sich die Gefahren nicht verringert. Im Gegenteil, sie hatten eher noch zugenommen.

Ich nahm Chapat auf den Arm, um Ischtar zu entlasten. Sie lächelte mir dankbar zu und schritt schneller aus. Wir hatten Mühe, ihr zu folgen.

Hinter uns war plötzlich ein Licht. Fast geräuschlos holte ein offenes Fahrzeug auf, in dem nur der Fahrer saß. Er war ein Robo­ter, wie wir bald erkannten.

Der Wagen hielt neben uns. Mit der typischen emotionslosen Stimme

eines noch primitiven Roboters wurden wir

aufgefordert, Platz zu nehmen. Es mußte sich um ein ziviles Transportmittel handeln, sonst wäre die Frage nach Ausweisen unver­meidlich gewesen.

Wir stiegen ein, ich setzte mich neben den Fahrer. Er sah aus wie ein Arkonide, aber sein Metallkörper war unbekleidet.

»Wohin wünschen Sie gebracht zu wer­den?« fragte er mich.

»Wie groß ist der erlaubte Aktionsradi­us?« erkundigte sich Fartuloon, der unmit­telbar hinter mir saß, ehe ich etwas sagen konnte.

»Sektion Garthak bis Raumhafen«, lautete die Antwort.

Dagegen war nichts zu machen. Eine Ausdehnung der Fahrt hätte nur den Ver­dacht der automatischen Positronik hervor­gerufen, die vorprogrammiert worden war.

»Gut«, sagte Fartuloon, »dann bringe uns in die Stadt.«

Ich spielte mit dem Gedanken, den Robo­ter außer Gefecht zu setzen und das Fahr­zeug zu übernehmen, verwarf ihn aber sofort wieder. Mit Sicherheit standen alle Roboter in Funkverbindung mit einer zentralen Steu­erkontrolle. Jeder Ausfall würde automa­tisch registriert und aufgeforscht werden. Wir würden nicht weit kommen.

Die Lichter der Stadt kamen schnell nä­her. Sie waren nicht mehr so hell wie vorher, denn der Morgen begann bereits zu grauen. Es wurde höchste Zeit, daß wir ein sicheres Versteck fanden.

Die ersten Straßen, die wir überquerten, waren ebenfalls leer. So etwas wie ein Nachtleben schien es auf Varlakor nicht zu geben, wenigstens nicht in der Sektion Gar­thak, die als Rechenzentrum und Komman­dostelle des Stützpunkts galt.

Das Fahrzeug hielt an, als wir einen run­den Platz im Zentrum der Stadt erreichten. Wir stiegen aus und hüteten uns, dem Ro­botfahrer für seine Freundlichkeit, uns mit­zunehmen, zu danken. Das hätte nur den Verdacht der Kommandozentrale hervorge­rufen, mit der er in Verbindung stand. Wir konnten froh sein, wenn der unprogrammä­

30

ßige Transport nicht auffiel. Ein wenig ratlos standen wir auf dem

Platz und betrachteten die Fronten der fla­chen und langgestreckten Häuser, die den Eindruck erweckten, als seien sie nur ein Notbehelf.

»Wir müssen unter die Oberfläche, bevor es Tag wird«, riet Fartuloon, der sich besser auskannte als ich. Er hatte schon genügend solcher Stützpunkte gesehen. »Als Arkoni­den erregen wir zwar kaum Verdacht, aber Eiskralle mit seiner transparenten Figur wird einige Leute neugierig machen. Außerdem fällt es auf, wenn ständig einer von uns mit einem Baby im Arm herumläuft.«

Da hatte er natürlich recht. Aber wo war der Eingang zum unterirdi­

schen Teil der Sektion Garthak? Ich konnte keinen entdecken.

Wir irrten eine Zeitlang durch verschiede-ne Straßen, während es schnell heller wurde. Bald würde die rote Sonne aufgehen und die Stadt zum Leben erwachen. Bevor das ge­schah, mußten die beiden Frauen und Cha­pat von der Bildfläche verschwunden sein.

Leichter gesagt als getan. Wieder einmal war es Fartuloon, der

einen Erfolg für sich verbuchen konnte. Er deutete nach vorn:

»Los, und Beeilung! Ein Notausstieg, nehme ich an, dafür aber wahrscheinlich un­bewacht. Es kann uns höchstens passieren, daß wir vor einer verschlossenen Tür stehen, aber wozu haben wir die beiden Impuls­strahler?«

Wir rannten, bis wir den übertunnelten Niedergang erreichten. Die Stufen bewiesen, daß es sich in der Tat um einen Notausstieg handelte. Ein Lift oder ein Rollband waren nicht vorhanden.

Wir hasteten weiter und waren froh, als wir das beginnende Tageslicht nicht mehr sahen. Einige Abzweigungen irritierten uns, aber wir mußten Fartuloon recht geben, der meinte, es sei absolut gleichgültig, wohin wir uns wendeten. Eine Richtung war so gut wie die andere. Die Hauptsache war, wir fanden ein provisorisches Versteck.

Clark Darlton

Die befürchtete verschlossene Tür kam nicht. Ganz so streng, wie wir angenommen hatten, schienen die Kontrollen auf Varlakor nun doch nicht zu sein. Aber das konnte auch täuschen. Überall gab es vielleicht ver­borgene Kameras und Mikrophone, die sich automatisch dann einschalteten, wenn Licht­reflexe oder Laute wahrzunehmen waren.

Fartuloon und ich hatten nun die Führung übernommen. Corpkor und Eiskralle bilde­ten die Nachhut. Ischtar, Chapat und Crysal­gira blieben in der Mitte.

Wir folgten dem Hauptkorridor, der schwach beleuchtet war. Die Nebengänge lagen im Dunkeln. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, daß wir uns in der Richtung bewegten, aus der wir gekommen waren, aber das konnte auch eine Täuschung sein. Und, um ehrlich zu sein, es spielte auch kei­ne besondere Rolle. Wir mußten ein sicheres Versteck finden, das war die Hauptsache.

Und wir fanden es! Vom Hauptkorridor zweigte ein Gang ab,

der sich im ersten Augenblick nicht von den anderen unterschied, aber ich bemerkte das kleine Schild, das schlicht und einfach be­sagte, daß sich hier der Zugang zu den Not­unterkünften bei Angriffen aus dem All be­fand.

»Da ist jetzt bestimmt niemand«, flüsterte Fartuloon, als ich ihn darauf aufmerksam machte. »Und wenn wirklich ein solcher Angriff erfolgt, wird niemand auf uns ach­ten.«

Wir folgten dem Gang, der in einem Saal endete. Ohne Zweifel handelte es sich um eine Art Massenquartier. Wir suchten weiter und entdeckten kleinere Räume, die der ge­hobenen Schicht vorbehalten waren. Wir be­schlossen, hier unser vorläufiges Lager auf­zuschlagen.

Eiskralle entdeckte Lebensmittelvorräte in Hülle und Fülle, so daß wir auf keinen Fall verhungern würden. Die vorhandenen Bet­ten versprachen einen Luxus, den wir schon lange entbehrt hatten. Auch die Klimaanlage funktionierte einwandfrei. Die Luft war rein und nicht so warm wie an der Oberfläche,

31 Raumschiff der Meuterer

trotzdem froren wir nicht. »Wir ruhen uns ein paar Stunden aus«,

schlug ich vor. »Dann werden Fartuloon und ich auf Erkundung gehen. Wir sind am un­auffälligsten.

Eiskralle und Corpkor übernehmen hier die Wache und den Schutz von Ischtar und Crysalgira. Sie behalten die Impulsstrahler. Uns wird der Nadler genügen.«

Der Schlaf tat uns gut. Als ich einige Stunden später erwachte, saß Fartuloon be­reits munter auf seinem Bett und schien in die Ferne zu lauschen.

»Hörst du es auch?« fragte er, als er sah, daß ich mich aufrichtete. »Da muß eine Fa­brik in der Nähe sein.«

Jetzt hörte ich es auch. Das Stampfen und Brummen schwerer Maschinen war unver­kennbar.

»Werften«, vermutete ich. »Auf den Stützpunkten hier draußen wird gearbeitet. Man erhält die wichtigsten Fertigteile, die hier zusammengesetzt werden. Reparaturar­beiten werden ebenfalls durchgeführt. Es sollte mich nicht wundern, wenn auf Varla­kor ganze Raumflotten entstehen, die dann von hier aus direkt in den Einsatz gegen die Maahks gelangen. Das würde auch erklären, warum alle Strafversetzten auf dieser Welt landen.«

»Das sehen wir uns an«, schlug Fartuloon vor.

»Hegst du vielleicht die irre Hoffnung, hier ein Schiff für uns kapern zu können? Das schlage dir aus dem Kopf.«

Er grinste. »Natürlich nicht, aber vielleicht erhalten

wir einige Hinweise. Wir müssen mit den Leuten sprechen, sonst erfahren wir nie, wo unerlaubte Geschäfte gemacht werden. In meiner Tasche befinden sich noch Kredit­münzen, und zwar einige von sehr hohem Wert. Möchte den sehen, der nicht scharf darauf wäre.«

Wir weckten Eiskralle, der nun die Wache übernahm. Ich überprüfte den Nadler, der ei­ne absolut tödliche Waffe war und fast ge­räuschlos arbeitete. Er war voll geladen und

schußfertig. Ohne Schwierigkeit erreichten Fartuloon und ich den Hauptkorridor und folgten ihm in Richtung des deutlicher wer­denden Maschinenlärms. Mehrmals begeg­neten wir Männern und Frauen in Arbeits­kleidung, die jedoch kaum Notiz von uns nahmen. Wahrscheinlich hielten sie uns für Mitglieder irgendeiner Kommission, von de­nen es genug geben mochte. Die Außen­stützpunkte wurden regelmäßig von solchen Prüfgruppen aufgesucht.

Es dauerte lange, ehe wir uns entschlos­sen, jemanden anzusprechen. Natürlich durf­te es kein intelligenter Techniker oder gar einer der Aufseher sein, die durch besonders auffällige Rockaufschläge kenntlich ge­macht waren. Sie würden uns nach der Er­kennungsmarke oder einer Identitätskarte fragen.

Wir gerieten mitten hinein in eine Gruppe einfacher Arbeiter, die uns mit scheuen Blicken betrachteten und fast schüchtern un­seren Gruß erwiderten. Ich überließ es Far­tuloon, Kontakt aufzunehmen.

»Wir sind von der Inspektion, die gestern eintraf«, sagte er, als handele es sich um die natürlichste Sache der Welt. »Uns interessie­ren die Lebensbedingungen auf Varlakor. Können Sie uns da Informationen geben?«

Zwei oder drei gingen langsamer, die an­deren ließen sich nicht stören und eilten wei­ter. Sie schienen nicht schnell genug an ihre Arbeitsstätte kommen zu können.

»Wir sind zufrieden«, gab schließlich ei­ner der langsamer gehenden Arkoniden Aus­kunft. »Wir werden uns nicht beschweren.«

»Das verlangt auch niemand«, teilte Far­tuloon ihm fast väterlich mit. »Die Arbeits­zeit ist gesetzlich geregelt, die Verpflegung gut? Wo wohnen Sie? Oben in der Stadt?«

Der Mann blieb stehen und sah Fartuloon so verblüfft an, daß ich fürchtete, mein Freund habe einen Fehler gemacht. Dann sagte der Arbeiter:

»Wir wohnen in der Sektion Samorth, alle wohnen dort. In der Sektion Garthak leben nur die Beamten und Soldaten. Wir arbeiten nur hier.«

32

Fartuloon nickte beifällig, als habe er das bereits gewußt und wolle sich lediglich ver­sichern, ob es auch stimme.

»Ach ja, Samorth, richtig. Ziemliche Strecke, nicht wahr?«

»Mit dem Tunnelzug geht es schnell. Aber ich muß weiter, sonst komme ich zu spät. Meine Ablösung wartet sicher schon …«

Wir hielten ihn nicht auf. Als niemand mehr in Hörweite war, sagte Fartuloon:

»Tunnelsysteme und Unterdruckbahn – dachte ich es mir doch. Die Frage ist nur, ob man uns eine Fahrkarte aushändigt. Geld wird man kaum annehmen. Wahrscheinlich Robotkontrolle.«

Wir folgten dem Gang, aus dem die Ar­beitsgruppe gekommen war. Er mußte zu ei­ner der Bahnstationen führen, die wir uns ansehen wollten. Unterwegs sprachen wir ei­ne Frau an, von der wir einige andere wich­tige Einzelheiten erfuhren.

Sektion Samorth war die Wohnsiedlung der Arbeiter und sonstigen Zivilisten. Sie lag an der Oberfläche, war aber nur mit der Tunnelbahn zu erreichen, die ebenfalls zu dem weiter entfernten Handelshafen Elkinth führte. In Samorth gab es auch die Vergnü­gungsviertel, teilte sie uns mit gerümpfter Nase mit. Dort triebe sich allerhand Gelich­ter herum, und vielleicht wäre es sehr gut, wenn sich die Kommission einmal darum kümmern würde.

Wir versprachen es ihr und gingen weiter. »Scheint ja ein sündiges Dorf zu sein«,

vermutete Fartuloon. »Das sollten wir uns wirklich mal ansehen. Vielleicht finden wir dort, was wir suchen. Hast du übrigens eben den Luftzug verspürt? Das muß die Bahn sein. Scheint wieder Passagiere gebracht zu haben.«

Wir erkannten den Bahnhof vor uns an der hellen Beleuchtung. Der Zug war eben erst eingelaufen und entleerte sich. Die Ar­beiter beachteten uns nicht. Lediglich ein Aufseher schien sich zu wundern, daß wir die entgegengesetzte Richtung wie die ande­ren eingeschlagen hatten, aber er stellte kei-

Clark Darlton

ne Fragen. Aus anderen Gängen wiederum strömten

die Ablösungsmannschaften auf den unterir­dischen Bahnhof, um den Zug, der nach Sektion Samorth zurückfuhr, zu besteigen.

Und wir sahen das, was wir befürchtet hatten:

Jeder der langen, zylinderförmigen Wa­gen hatte nur eine Tür, und jede dieser Tü­ren wurde von einem unbestechlichen Robo­ter bewacht. Sie kontrollierten die Reisenden und ließen sich Marken vorzeigen, erst dann ließen sie sie passieren.

Wir konnten den Zug nicht benützen, oh­ne uns in größte Gefahr zu begeben.

4.

Ziemlich niedergeschlagen kehrten wir in unser Versteck zurück. Als wir berichtet hat­ten, sagte Corpkor zuversichtlich:

»Aber, Freunde, das ist doch alles halb so schlimm. Wir besorgen uns eben ein paar Marken, und dann fahren wir spazieren.«

»Und wie willst du die Marken besor­gen?« fragte ich. »So einfach wird das nicht sein. Wer trennt sich schon davon?«

»Freiwillig niemand, das ist klar. Wir nehmen sie jemandem ab.«

Das hörte sich ja ganz gut an, und wahr­scheinlich war es auch die einzige Möglich­keit, aus Garthak herauszugelangen. Fartu­loon und ich würden es bei Schichtwechsel versuchen. Es kam nur darauf an, zwei oder drei Arbeiter ein wenig abseits zu locken und zu betäuben. Dann mußten wir sie in unser Versteck bringen und ihnen Kleidung und Marken abnehmen.

Das war alles. Ich hatte nun ein wenig Zeit, mich um

Ischtar und Chapat zu kümmern. Meine »Goldene Göttin« hatte ihren Optimismus nicht verloren. Froh, endgültig dem Henker der Varganen entronnen zu sein, nahm sie nun gern die Strapazen einer ständigen Flucht vor den Häschern Orbanaschols in Kauf, wenn sie nur mit mir und unserem Sohn zusammen sein durfte.

33 Raumschiff der Meuterer

Nachmittags schlief ich sogar ein, obwohl Eiskralle und Corpkor ziemlich lautstark ihr seltsames Spiel mit den Fingern spielten. Fartuloon hockte dabei und versuchte, hinter den Sinn ihrer merkwürdigen Handbewe­gungen zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Keiner der beiden machte Anstalten, es ihm zu erklären.

Ischtar weckte mich auf. »Es ist soweit, Atlan. Fartuloon kam eben

von einem kurzen Erkundungsgang zurück. Die Ablösung ist eingetroffen und begibt sich zur Arbeit.«

Ich glättete meine Kombination und folg­te Fartuloon, der vorausging. Kurz bevor der Gang in den Hauptkorridor mündete, machte er eine Biegung, die nicht eingesehen wer­den konnte. Es war kaum damit zu rechnen, daß jemand den Gang vom Korridor her be­trat.

Eine Gruppe von Arbeitern kam vorbei. Wir warteten, bis die letzten die Gangmün­dung passierten, dann eilten wir hinterher. Wir hatten insofern Glück, als zwei der Männer ein wenig trödelten und hinter der Gruppe zurückblieben. Wir holten sie ein und hielten sie am Arm fest.

»Im Gang liegt ein Toter«, sagte Fartu­loon aufgeregt. »Gehört er zu eurer Schicht?«

Sie starrten uns ungläubig an, aber wir lie­ßen ihnen keine Zeit zum überlegen.

»Nun kommt schon mit, wir müssen ihn identifizieren!«

Mein Ton ließ keine Widerrede zu. Wahr­scheinlich hielten sie uns für Beamte in Sön­dermission, jedenfalls gehorchten sie und kamen mit. Fartuloon ging voran, dann die beiden Arkoniden, ich bildete den Abschluß. Die anderen Arbeiter waren längst ver­schwunden.

Der Rest war einfach. Tief genug im Gang überwältigten wir die

völlig Überraschten und zwangen sie, uns in das Versteck zu begleiten. Corpkor hatte den einen Impulsstrahler auf starke Narkose ge­schaltet und betäubte unsere beiden Opfer. Sie würden mindestens zwei Tage ununter­

brochen schlafen. Nicht lange, und man würde die Suche nach ihnen beginnen.

Hastig durchwühlte ich ihre Taschen, bis ich die beiden Metallmarken und auch etwas Kleingeld fand. Fartuloon zog sie aus, und wir wechselten die Kleidung. Unsere Kom­binationen ließen wir in der Obhut Ischtars zurück und beeilten uns, den Zug nach Sa­morth noch zu erreichen.

Es mußte der letzte Zug dieser Schicht sein, denn es stiegen kaum noch Passagiere ein. Der Roboter überprüfte unsere Marken und ließ uns passieren.

Wir fanden ein leeres Abteil und setzten uns. Fartuloon warf mir einen bezeichnen-den Blick zu, schloß die Augen und lehnte sich zurück. Er sah in der Tat aus wie ein Arbeiter, der froh ist, am Abend endlich nach Hause fahren zu können.

Der Wagen besaß keine Fenster. Sie wä­ren auch völlig überflüssig gewesen, denn die Bahn verkehrte nur unterirdisch. Als sich der Zug in Bewegung setzte, spürte ich einen enormen Andruck. Ich konnte an die­sem Andruck und an seiner Dauer die unge­fähre Geschwindigkeit abschätzen, die der Zug erreichte. Nun brauchte ich nur noch die Zeit festzustellen, die er bis Samorth benö­tigte, dann kannte ich auch die Entfernung zwischen den beiden Sektionen.

Fartuloon hatte die besseren Nerven. Er schlief ein und begann zu schnarchen. Ein­mal kam ein Arkonide in der Kleidung des Technikers vorbei, sah kurz zu uns herein und wandte sich indigniert wieder ab, als er uns »gewöhnliches Volk« erblickte.

Als der Zug mit starker Abbremsung hielt, wäre Fartuloon fast aus seinem Sessel gerutscht. Er starrte mich einen Augenblick fassungslos an, ehe er in die Wirklichkeit zurückfand.

»Na, dann los ins Vergnügen!« knurrte er und schob sich vor mir her durch den Gang. »Aha, wieder eine Kontrolle …!«

Wir zeigten unsere Marken vor und konn­ten den Zug verlassen. Eine typische Er­scheinung der bürokratisierten Gesellschaft, dachte ich bei mir. Ohne Marke kam man

34

nicht in den Zug, zusteigen während der Fahrt im Tunnel war unmöglich, aber beim Aussteigen wurde man abermals überprüft.

Von mir aus, bitte. Wir hatten ja die Mar­ken.

Ein Lift brachte uns nach oben. Und das, was uns da erwartete, verschlug uns für eini­ge Zeit den Atem.

Für die auf Varlakor verbannten Arkoni­den gab es so gut wie keine Erholung, aber auch Orbanaschol und seine Schergen wuß­ten, daß Sklaven auf die Dauer wertlos sein würden, wenn man ihnen nicht ein wenig harmlose Abwechslung bot.

Sektion Samorth war nicht nur die Wohn­siedlung der Arbeiter, sondern auch ihr Ver­gnügungsviertel. Straßen und Häuser waren in grelles und farbenprächtiges Licht ge­taucht. Leuchtreklamen und Plakate lockten Neugierige an, zu denen, wie ich bemerkte, auch Raumfahrer der Handelsflotte gehör­ten. Sie waren es, die wir suchten.

Wir mischten uns unter die langsam vor­beischiebende Menge, was weiter nicht auf­fiel. Viele der abgelösten Arbeiter gingen nicht erst nach Hause, sondern verschwan­den in Lokalen oder Videokinos.

Fartuloon deutete auf ein Haus, das von langsam nach oben steigenden und in allen Farben schillernden Rauchwolken eingehüllt war. Ich wußte nicht, was das bedeuten soll­te.

»Da gehen wir hinein, ich möchte mal wieder Urwald und Meer riechen.«

»Bist du übergeschnappt?« Er grinste. »Keineswegs! Kennst du kein Dufthaus?« »Dufthaus? Was ist denn das?« »Ein Dufthaus ist ein Dufthaus! Na,

komm mit, ich zeige es dir. Wundert mich nicht, daß sie so etwas hier haben. Der ganze Planet stinkt ja regelrecht nach Synthetik.«

Ich vermochte nicht, mir unter einem Dufthaus etwas vorzustellen. Aber schließ­lich war Fartuloon älter als ich und wahr­scheinlich auch mehr auf den Welten des Imperiums herumgekommen. Er hielt schon das Kleingeld bereit, um den Eintritt zu be-

Clark Darlton

zahlen. Aber der Roboter am Eingang wollte nicht nur Geld, er wollte auch unsere Marke sehen. Er prüfte, ob wir Freischicht hatten.

Im Innern gab es eine Menge Tische und fast ebensoviele hübsche Mädchen, die den Gästen das Geld aus der Tasche zu locken versuchten. Doch das war nicht der eigentli­che Sinn des Hauses.

Ich roch es sofort: Ozean! Salzwasser! Meeresluft!

Fartuloon zog mich zu einem freien Tisch und bestellte irgendein Getränk. Dann jagte er zwei Mädchen fort, die sich zu uns setzen wollten.

»Wir befinden uns jetzt auf einem para­diesischen Planeten«, begann Fartuloon zu schwärmen und verdrehte genießerisch die Augen. »Unmittelbar vor uns liegt ein gren­zenloses Meer mit klarem, sauberen Wasser – du kannst es riechen. Dann der Duft der blühenden Bäume am Strand – aha, da ist er schon.« Und nüchtern fügte er hinzu: »Wirklich gut organisiert, wie alles hier.«

Auf der gewölbten weißen Wand uns ge­genüber entstand genau das Bild, das Fartu­loon gerade geschildert hatte. Die Illusion war so täuschend, daß ich fast meine Umge­bung vergessen hätte. Aber man roch und sah nicht nur das Meer und die Bäume, son­dern man hörte auch das leise Gluckern der Wellen und das Rauschen der Zweige im Wind. Darüber spannte sich ein makellos blauer Himmel, wie ich ihn bisher nur selten gesehen hatte. Der Strand bestand aus fei­nem, gelben Sand.

»Wundervoll, nicht wahr?« erkundigte sich Fartuloon stolz, so als sei er der Besit­zer des Dufthauses. »Genieße es, denn bald kommt ein anderes Bild. Manchmal servie­ren sie einem auch unangenehme Dinge, da­mit man sich wieder über die Wirklichkeit freuen kann.«

Wir erlebten noch einen wilden Urplane­ten mit stinkenden Sauriern und muffigen Wohnhöhlen primitiver Eingeborener, wur­den in eine moderne Großstadt des Imperi­ums versetzt und rochen vor der Pause schließlich noch den Duft vieler Blumen.

35 Raumschiff der Meuterer

Ich war froh, daß es schummerig blieb und die Beleuchtung nicht voll eingeschaltet wurde. Das geschah wahrscheinlich mit Rücksicht auf jene Gäste, die Animiermäd­chen am Tisch hatten. Trotzdem war es noch immer hell genug, Einzelheiten erkennen zu können.

An einem Tisch saß eine ganze Runde ty­pischer Handelsfahrer. Sie schienen ziem­lich angeheitert zu sein, denn sie nahmen nur wenig Rücksicht auf ihre Umgebung. Das konnten sie sich auch erlauben, denn schließlich waren sie keine Strafversetzten, sondern freie Zivilisten. Allerdings hatten auch sie bei der Landung Erkennungsmar­ken erhalten, um sich ungehindert auf Varla­kor bewegen zu können.

»Interessant, meinst du nicht?« flüsterte Fartuloon mir zu. »Man sollte unauffällig mit ihnen ins Gespräch kommen. Es muß doch ein Schiff hier geben, das von illegalen Geschäften existiert.«

»Wir können ja mal dumm fragen«, schlug ich vor.

Davon jedoch riet Fartuloon erschrocken ab und meinte, wir müßten uns den Mann vorher genau ansehen. Ein einfaches Besat­zungsmitglied eines Frachters könne uns auch nicht weiterhelfen, wir müßten uns schon an den Kapitän wenden.

Die Frage war nur: wie fanden wir einen? Ich ließ die Gruppe nicht aus den Augen,

auch dann nicht, als der zweite Teil des Pro­gramms vor unseren Augen, Ohren und Na­sen abrollte. Dann erweckte jemand meine Aufmerksamkeit, der zur Eingangstür her­eingeschwankt kam und mit grölender Stim­me nach seinen Männern rief. Allgemeines Gebrüll der fröhlichen Runde antwortete ihm.

»Aufpassen!« riet Fartuloon, der den Vor­gang ebenfalls beobachtet hatte. »Das könn­te unser Mann sein …«

Er war stark und untersetzt gebaut und wirkte nicht gerade besonders intelligent, aber er war offensichtlich der Vorgesetzte der Gruppe, die wir den ganzen Abend schon beobachtet hatten.

Wir konnten fast jedes Wort verstehen, was an dem Tisch gesprochen wurde, denn die fröhliche Runde tat, als gehöre ihr das Etablissement.

»Hallo, Skipper!« rief jemand. »Fein, daß du da bist! Wie war es bei den Mädchen?«

Der so Angesprochene grinste von einem Ohr zum anderen.

»Frag nicht so dämlich! Wie soll es schon gewesen sein nach einer Ewigkeit auf unse­rem altersschwachen Kahn? Bestellt was zum Trinken, ich habe Durst. In wenigen Tagen sind wir wieder unterwegs.«

Nach einer Weile wußten wir auch, mit wem wir es zu tun hatten.

Der Untersetzte war Handelskapitän Bas­norek und Eigentümer eines Frachters, der zwischen den Welten des Randgebiets pen­delte und nicht immer ganz saubere Ge­schäfte machte – also ganz genau der Mann, den wir suchten. Trotzdem konnten wir ihn jetzt nicht einfach ansprechen, denn es war ja auch möglich, daß er lieber mit Jalvor als mit uns ein Geschäft abschloß.

Fartuloon und ich überlegten, wie wir am sichersten vorgehen sollten, und als wir uns entschieden hatten, bereiteten sich Basnorek und seine Leute auf den Aufbruch vor. Sie wohnten in einem billigen Hotel gleich um die Ecke, denn die Strecke bis Elkinth war zu weit, um sie jeden Tag zurückzulegen, wenn es nicht unbedingt notwendig war.

Wir zahlten ebenfalls und folgten dem lär­menden Haufen, der sich durch die engen Gänge zwischen den dicht stehenden Ti­schen zwängte.

Auf der Straße lockten die fröhlichen Männer Basnoreks sofort einen ganzen Schwarm geldhungriger Mädchen an, die mit freudigem Gebrüll begrüßt wurden. Gleichzeitig löste sich naturgemäß der Ver­ein auf, denn bei dieser Art von Abwechs­lung wollte jeder lieber für sich allein sein.

Basnorek blieb schließlich allein zurück. Er schien für heute genug zu haben. Er tor­kelte vor uns her und versuchte sich zu ori­entieren. Die Entgegenkommenden wichen ihm geflissentlich aus, denn er rempelte je­

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den an, der ihm nicht aus dem Weg ging. Einfach ansprechen wollten wir ihn noch

nicht, das wäre zu verdächtig gewesen, also warteten wir auf eine Chance.

Die kam auch prompt, wie wir es erwartet hatten.

Wir hatten vorausgesehen, daß es unver­meidlich war, denn Basnorek war inzwi­schen total betrunken. Zwei Möglichkeiten hatten wir uns ausgerechnet: entweder verlor er das Gleichgewicht und fiel hin, oder aber er begann Streit mit jemandem, der keine Angst vor ihm hatte. In beiden Fällen wür­den wir Gelegenheit erhalten, die Bekannt­schaft des Handelskapitäns zu machen.

Er fiel nicht hin, wenn es manchmal auch so aussah, dafür rannte er in eine Gruppe verkommen aussehender Gestalten, die ihn zuerst mit Hallo begrüßten, ihn dann jedoch verprügeln wollten, als er sie verfluchte. Es mußte sich bei den Männern ebenfalls um Raumfahrer handeln, aber sicherlich von ei­nem anderen Schiff.

»Nun aber ran!« knurrte Fartuloon und setzte sich in Trab.

Ich lief hinter ihm her und bereitete mich auf einen ordentlichen Faustkampf vor, aber ich kam um einige Sekunden zu spät. Basno­rek hatte zwei der ebenfalls nicht mehr ganz nüchternen Männer niedergeschlagen, als Fartuloon schnaubend heran war und den Rest niederwalzte.

Basnorek war sichtlich beeindruckt. Schwankend kam er auf Fartuloon zu und umarmte ihn stürmisch. Ich stoppte meinen vergeblichen Anlauf und kam gerade zu­recht, um Basnorek sagen zu hören:

»Freund und Retter, laß dich umarmen! Solche Männer wie dich könnte ich brau­chen. Dagegen sind die meinen Schwächlin­ge. Aber ich wäre auch allein mit den Kerlen da fertig geworden.« Er stieß einen, der sich gerade erheben wollte, mit dem Fuß zurück. »Kommt, wir müssen verschwinden, ehe je­mand die Polizei ruft. Wo ist denn nur mein Hotel?«

Da konnten wir ihm leider auch nicht hel­fen, aber als wir ein Stück gegangen waren,

Clark Darlton

entsann er sich wieder. »Ihr kommt mit, Freunde, dann trinken

wir noch einen Schluck zusammen. Der Abend ist noch früh.«

»Wir müssen morgen zur Schicht«, sagte ich. Innerlich war ich froh, eine vorläufige Unterkunft gefunden zu haben, denn vor dem nächsten Tag konnten wir nicht nach Garthak zurückfahren. »Aber wir haben nichts gegen einen guten Schluck einzuwen­den.«

Er sagte uns die Richtung, und wir führten ihn, damit er nicht stolperte.

Zum Glück befand sich das Hotel ganz in der Nähe der Bahnstation, so daß wir später nicht lange würden suchen müssen. Er be­stellte beim Robotportier einige Flaschen und schleppte uns auf sein Zimmer – das heißt, eigentlich schleppten wir ihn. Zuerst wollte er gleich im Lift schlafen und be­schwerte sich über die kleinen Buden, die man hier als Luxusräume anbot, doch dann konnten wir ihn überzeugen, daß wir noch nicht am Ziel angelangt waren.

Ein Robot brachte die Flaschen und Glä­ser und verschwand wieder. Ich wunderte mich, daß er vergaß, unsere Marken sehen zu wollen.

Basnorek fiel auf sein Bett und begann sofort zu schnarchen. Uns schien er völlig vergessen zu haben. Fartuloon winkte mir zu.

»Soll er sich ein wenig ausschlafen, das kann nicht schaden. Ein bißchen Ruhe tut uns auch gut, außerdem schlagen wir die Zeit so besser tot. Der erste Zug geht erst bei Morgengrauen.«

Wir machten es uns in den beiden Sesseln bequem, wurden aber nach einer Weile durch Lärm auf der Straße aufgeschreckt. Vorsichtig sah ich aus dem Fenster.

Eine uniformierte Patrouille hielt die Pas­santen an und kontrollierte die Erkennungs­marken. Da ihre Besitzer nicht mehr ganz nüchtern waren, kam es zu heftigen Diskus­sionen zwischen ihnen und der Polizei, Meist endete sie damit, daß der Angetrunke­ne trotz lautstarken Protests in ein Fahrzeug

37 Raumschiff der Meuterer

verfrachtet und davongefahren wurde. Unsere Befürchtung, daß man auch das

Hotel überprüfen würde, bewahrheitete sich zum Glück nicht. Aber Basnorek war wach geworden.

»Wo kommt ihr denn her?« fragte er und sah uns mit großen Augen erstaunt an. »Ist dies mein Zimmer oder nicht?«

Fartuloon setzte sich zu ihm ans Bett. »Aber Basnorek, hast du deine Freunde

schon wieder vergessen? Wir haben dir doch das Leben gerettet, weißt du denn nicht mehr …?«

Langsam kehrte seine Erinnerung zurück. Er nickte und wäre dabei fast aus dem Bett gekippt.

»Richtig! Stimmt!« Er deutete auf mich. »Und der Kleine war auch dabei?«

Ich war nicht gerade klein, aber im ge­trübten Blickfeld des Kapitäns und im Ver­gleich zu Fartuloon konnte ich die Bezeich­nung ohne Gegenargument gelten lassen.

»Das ist Epnor«, klärte Fartuloon ihn auf und benutzte die Namen, die auf den beiden erbeuteten Erkennungsmarken standen. »Und ich bin Tulonfar. Die Flaschen sind gekommen, willst du etwas trinken, bevor wir dich verlassen?«

Jetzt wurde Basnorek plötzlich munter. »Ihr wollt schon gehen? Jetzt, wo es ge­

mütlich wird? Nein, ihr könnt mich nicht im Stich lassen, jetzt nicht! Ich bin so froh, daß ich euch getroffen habe. Bleibt, trinken wir noch einen …«

Wir tranken nicht nur einen, sondern mehrere. Das Zeug hatte nur einen geringen Alkoholgehalt und schadete uns nichts, wohl aber Basnorek, der bereits mehr als genug getrunken hatte. Er wurde immer gesprächi­ger.

Und dann kam er endlich zu dem Punkt, den wir vorsichtshalber nicht selbst ange­schnitten hatten.

»Ihr arbeitet also auf Varlakor? Ihr müßt verrückt sein, oder habt ihr etwas verbro­chen?«

»Nicht der Rede wert«, erklärte ich ihm. »Aber du weißt ja, wie das so ist. Mißgunst

und so … und schon haben sie uns hierher verfrachtet. Was glaubst du, wie gern wir hier weg möchten?«

So, nun war es heraus. Basnorek brauchte einige Zeit, um das

Gehörte zu verdauen, dann setzte er eine halbvolle Flasche an und leerte sie in einem Zug. Er betrachtete uns mit glasigen Augen, aber ich hatte nicht das Gefühl, daß er nicht mehr denken konnte. Im Gegenteil, sein Ge­sicht verriet nur allzu deutlich, daß er in die­sem Augenblick sehr klar dachte.

»Ihr wollt hier weg?« vergewisserte er sich, und in seiner Stimme war etwas Lau­erndes. »Warum geht ihr dann nicht weg?«

»So einfach ist das auch nicht, Basnorek«, mischte sich nun auch Fartuloon ein, als wolle er damit bekunden, wie einig wir uns seien. »Praktisch werden wir hier gefangen­gehalten. Wie sollten wir auch wegkom­men? Passagierschiffe gibt es kaum, und die Kontrollen sind scharf. Man würde uns nicht an Bord lassen.«

Er betrachtete uns lange und forschend, aber noch zögerte er, mit seinem Angebot herauszurücken. Vielleicht war es kein Miß­trauen, das ihn davon abhielt, sondern seine angeborene Vorsicht, ohne die er wahr­scheinlich schon längst in einem Gefängnis gelandet wäre.

»Ich würde ein paar Männer wie euch brauchen«, wiederholte er schließlich das, was er schon einmal im Scherz gesagt hatte. Aber diesmal meinte er es ernst. »Vielleicht gibt euch die Behörde hier die Ausreisege­nehmigung, wenn ich ein gutes Wort einle­ge.«

Fartuloon wehrte mit beiden Händen ab. »Das kannst du dir aus dem Kopf schla­

gen, Kapitän. Die haben noch nie jemanden ausreisen lassen. Schade, wir hätten dir gern geholfen.«

Fartuloon war unverschämt genug, den Spieß umzudrehen.

Basnorek sank in die Kissen zurück. »Wißt ihr was?« fragte er und schloß die

Augen. »Ich muß das überschlafen. Habt Ihr Platz in den Sesseln? Dann schlaft auch.

38

Morgen reden wir weiter. Jetzt bin ich voll.« »Wir müssen morgen zur Arbeit«, erin­

nerte ich ihn. »Weckt mich rechtzeitig – mit kaltem

Wasser«, empfahl er uns. Wir sahen uns an. Fartuloon zuckte die

Schultern. »Schlafen wir auch ein paar Stunden. Wir

versäumen nichts.« Trotz der Ungewißheit gelang es mir nach

einiger Zeit, die Schnarchtöne meiner beiden Zimmergenossen zu ignorieren und eben­falls in einen unruhigen Schlummer zu ver­fallen.

Ich träumte von einem herrlichen Meeres­strand auf einer paradiesischen Urwelt.

5.

Als Fartuloon mich weckte, roch es nach allen möglichen Dingen, nur nicht nach ei­nem Paradies. Basnorek schlief noch. Ich stand auf, öffnete das Fenster und wusch mich. Mit einem Glas Wasser kehrte ich ins Zimmer zurück.

»Hoffentlich erschrickt er nicht.« »Laß mich das machen, At … Epnor.«

Fartuloon nahm mir das Glas ab und entleer­te es behutsam über des Kapitäns friedlichen Zügen. »So, das wird genügen.« Er gab mir das Glas zurück und rüttelte solange an des Schlafenden Schultern, bis dieser erwachte und sich aufrichtete. Diesmal erkannte er uns sofort.

»Aha, ihr seid noch da? Bestens! Da kön­nen wir ja noch einmal über die Sache re­den. Ich habe es mir überlegt.«

»Du hast geschlafen«, erinnerte ich ihn. »Dabei kann ich am besten denken«, be­

hauptete er. »Also, wenn ihr wollt, dann nehme ich euch mit. Ich bin ohnehin knapp an guten Leuten.

Abgemacht?« Fartuloon gab mir durch einen Blick zu

verstehen, daß ich den Rest ihm überlassen solle. Vielleicht hatte er recht, denn sein gestriger Auftritt hatte Basnorek ungemein imponiert.

Clark Darlton

»Da ist noch ein Haken an der Geschich­te, Basnorek. Wir sind nicht allein. Es sind noch andere, die weg möchten. Können wir sie mitbringen?«

»Wenn es gute Leute sind, habe ich nichts dagegen.«

»Es sind gute Leute, Kapitän. Ich verbür­ge mich dafür. Wie machen wir es nun? Bringst du uns nach Elkinth?«

»Unmöglich! Wie stellt ihr euch das vor? Offiziell darf ich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben, das ist doch klar. Ihr müßt schon selbst nach Elkinth kommen, wie, das ist mir egal. Dort erwarte ich euch in fünf Tagen. Einen Weg, euch unbemerkt ins Schiff zu bringen, finde ich schon. Aber das ist auch alles, was ich tun kann.«

»Wie weit ist es bis Elkinth?« »Mit der Tunnelbahn ungefähr vier Stun­

den.« Ich rechnete mir in Gedanken aus, daß

man zu Fuß für diese Strecke etwa einen Monat benötigen würde, keinesfalls fünf Ta­ge.

»Also gut«, sagte Fartuloon. »Dann ist es abgemacht. Wir sind in fünf Tagen in El­kinth.«

»Erwartet mich im Tauschbecken der Stadt. Verschafft euch andere Bekleidung, wenn möglich. Habt Ihr Geld?«

»Genug«, sagte Fartuloon, ehe ich »nein« sagen konnte.

Basnoreks Gesicht verriet noch mehr In­teresse als zuvor.

»Das ist sehr gut. Geld kann man immer gebrauchen.«

Wir tranken noch eine Flasche auf das Gelingen unseres Plans, dann nahmen wir Abschied von Kapitän Basnorek.

Unangefochten konnten wir das Hotel verlassen und mischten uns unter den Strom der Arbeiter, der dem Bahnhof zustrebte. Wir zeigten unsere Marken vor und bestie­gen den Zug, der sich wenig später in Bewe­gung setzte. Leider waren wir nicht allein in dem Abteil, so daß wir uns nicht unterhalten konnten. Aber das war jetzt auch überflüs­sig. Wir kannten unsere Rolle.

39 Raumschiff der Meuterer

Und vor uns lag ein wenig neue Hoff­nung.

*

Unser Optimismus erhielt einen schweren Schlag, als wir nach kurzem Absetzmanöver endlich unser Versteck erreichten.

Corpkor hatte am Abend des Vortags al­lein einen Erkundungsgang unternommen und war noch nicht zurückgekehrt. Er besaß keine Erkennungsmarke und würde bei jeder Kontrolle auffallen und festgenommen wer­den. Wahrscheinlich war das auch gesche­hen.

Wir drängten die Sorge um den vermißten Gefährten in den Hintergrund und berichte­ten von unserem bisher erfolgreichen Aus­flug. Die Frage war nur: wie gelangten wir nach Elkinth, ohne die Bahn zu benutzen?

Als wir alle Möglichkeiten durchgespro­chen hatten, kehrte die Sorge um Corpkor zurück. Wenn man ihn einem Hypnoverhör unterzog, würde er uns unweigerlich verra­ten, ob er wollte oder nicht.

Zum Glück ahnte er noch nichts von Ka­pitän Basnoreks Existenz. Aber unser Ver­steck war nun nicht mehr sicher. Wir muß­ten so schnell wie möglich ein anderes su­chen.

Da wir die Richtung nach Elkinth nun kannten – im Hotel hatte es eine entspre­chende Karte gegeben, die für jeden zugäng­lich an der Wand der Vorhalle hing –, war es vernünftig, diese auch gleich einzuschlagen und Corpkor einen versteckten Hinweis zu­rückzulassen.

Ich entsann mich eines uralten Spiels, das mich schon als Kind fasziniert hatte. Einer von uns hatte einen gewissen Vorsprung er­halten und mußte sich verstecken, die ande­ren sollten ihn suchen und finden. Bedin­gung war jedoch, daß der Gesuchte an wich­tigen Stellen eine Spur hinterließ und so Fin­gerzeige gab, wohin er sich geflüchtet hatte.

Im Falle Corpkors war es nun wichtig, daß wir eine Spur hinterließen, die nur er le­sen konnte, nicht aber eventuelle Häscher

Daftokan Jalvors. Wir hielten eine kurze Besprechung ab,

dann war alles klar. Eiskralle erklärte sich bereit, die unauffällige Spur zu legen, die je­doch für Corpkor offensichtlich sein mußte.

Gegen Mittag brachen wir auf und nah­men Lebensmittelvorräte mit. Ischtar trug unseren Sohn, während Fartuloon ihr Paket zu dem seinen packte. Da Corpkor ohne Waffe gegangen war, besaßen wir noch im­mer die beiden Strahler und den kleinen Nadler.

Eiskralle machte den Schluß, und das nicht ohne Grund.

Das erste Zeichen brachte er gleich im Versteck an, und zwar an der Wand über dem Platz, an dem Corpkor geschlafen hatte. Er konzentrierte sich und berührte die massi­ve Kunstmasse mit seiner fast durchsichti­gen Hand. Sofort entstand Rauhreif, ein we­nig Nebel stieg zur Decke empor, dann zog Eiskralle die Hand wieder zurück.

In der Wand war eine wenig auffällige Narbe entstanden, die ungefähr die Umrisse einer Hand aufwies. Niemand würde wissen, was das war und woher sie stammte, wohl aber Corpkor. Wenn er nicht verhört worden war, würde er allein zurückkehren und sich alles zusammenreimen. Hatte man ihn aber gefaßt, kämen die Häscher ohne ihn und standen vor einem Rätsel, falls sie den Ab­druck überhaupt entdeckten.

Bei jeder Richtungsänderung würde Eis­kralle einen solchen Abdruck hinterlassen.

Wir legten vorsichtig eine kurze Strecke auf dem Hauptkorridor zurück, bis wir eine größere Abzweigung in Richtung Elkinth fanden. Wir mußten immer aufpassen, daß uns niemand entgegenkam oder uns einhol­te, denn eine Gruppe wie die unsrige war auffällig.

Ich mußte an Epnor und Tulonfar denken, die wir in unserem bisherigen Versteck zu­rückgelassen hatten, nicht ohne ihnen eine zweite starke Dosis Narkosestrahlen zu ver­abreichen. Vor vier Tagen wachten sie be­stimmt nicht wieder auf und konnten bis da­hin auch keine Aussagen machen. Wenn

40

Corpkor sie fand, wußte er sofort, was ge­schehen war, und wenn seine eventuellen Häscher sie entdecken, würden sie vorerst nichts mit ihnen anfangen können.

Der Korridor war schwach beleuchtet und endete weit vor uns an einem großen Tor. Wir hielten an, um zu beraten.

»Wir müssen weiter«, drängte Fartuloon, der mein Zögern mißverstand. »Tor oder nicht Tor, wir können nicht mehr zurück. Dies ist die Richtung nach Elkinth! Irgend-wo finden wir später vielleicht ein Fahrzeug, das uns mitnimmt. Sehen wir uns das Tor an und finden wir heraus, was dahinter ist.«

Schon von weitem hörten wir, was hinter dem Tor war.

Die Geräusche verrieten es eindeutig. Dann standen wir vor dem Tor und such­

ten nach dem Öffnungsmechanismus, fan­den aber keinen. In Augenhöhe war ein schmaler Schlitz angebracht, der mich auf den richtigen Gedanken brachte. Ich nahm Epnors Marke aus der Tasche und schob sie vorsichtig bis zur Hälfte in den Schlitz hin­ein. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann ertönte ein leises Surren.

Das Tor glitt auf. Eiskralle hatte inzwischen sein Spurenzei­

chen neben dem Tor angebracht. Der eine Finger zeigte auf den Schlitz. Ein anderer auf den glatten Boden, auf den ich nun mei­ne Marke legte, damit Corpkor sie fand.

»Jetzt haben wir nur noch eine«, bemerkte Ischtar beunruhigt.

Ich gab keine Antwort. Wie erwartet befanden wir uns in einer

riesigen Montagehalle, in der kein einziger Arkonide zu sehen war, nur einige War­tungsroboter waren vorhanden. Sie kümmer­ten sich jedoch nicht um uns.

Die ganze Anlage arbeitete vollautoma­tisch und wurde positronisch gesteuert. Auf langen Laufbändern wurden die fertigge­stellten Teile abtransportiert. Es handelte sich meist um Waffenteile, die in einem an­deren Teil der unterirdischen Riesenfabrik zusammengesetzt wurden. Wahrscheinlich hatten Epnor und Tulonfar dort gearbeitet.

Clark Darlton

Wir gingen in der bisherigen Richtung weiter und kamen nun schnell voran, da wir hier kaum eine gefährliche Begegnung zu erwarten hatten und außerdem jederzeit schnell ein Versteck gefunden hätten. Eis­kralle versäumte es nicht, hin und wieder sein Zeichen anzubringen.

Mehrere Stunden marschierten wir durch die gewaltige Anlage, dann erreichten wir endlich wieder eine breite Straße, die zwei­fellos in Richtung Elkinth verlief. Eingelas­sene Steuerschienen verrieten, daß auf ihr auch ferngelenkte Fahrzeuge verkehrten.

Und dann entdeckte Fartuloon wieder das kleine Schild, das wir schon kannten.

Notunterkunft für den Fall eines Angriffs aus dem All!

Das bedeutete zugleich, daß sich in der Nähe ein Weg zur Oberfläche befand. Wir beschlossen, hier unser zweites Lager aufzu­schlagen.

Wir luden das Gepäck ab und hielten es für ratsam, zumindest den morgigen Tag hier abzuwarten, um Corpkor Gelegenheit zu geben, uns einzuholen.

Als ich neben Ischtar auf dem bequemen Lager Platz genommen hatte, fragte sie mich:

»Was meinst du, ob er uns findet? Wir können doch nicht ohne ihn weiter.«

Ich wußte keine Antwort auf ihre Frage, aber sicherlich hatte sie recht, wenn sie meinte, wir könnten Corpkor nicht im Stich lassen. Mehr als einmal hatte er mir das Le­ben gerettet und war in gefährlichen Situa­tionen immer ein zuverlässiger Freund ge­wesen.

»Wenn er morgen nicht auftaucht, gehe ich zurück und suche ihn«, versprach ich und schloß die Augen.

Aber ich konnte nicht einschlafen. Corpkors ungewisses Schicksal beschäf­

tigte zu sehr meine Gedanken.

6.

Natürlich war sich Corpkor darüber im klaren, daß er ein Risiko einging, wenn er

41 Raumschiff der Meuterer

sich selbständig machte, aber er verfolgte dabei ein ganz bestimmtes Ziel. Zwei Späh­trupps waren besser als einer, und der erste war nun schon zu lange unterwegs. Er wollte herausfinden, was mit ihm passiert war.

Er teilte Eiskralle und den Frauen seinen Plan mit und stieß nur auf geringen Wider­stand, als er versprach, bald wieder zurück zu sein.

Von uns wußte er ja, was wir vorhatten. Er wollte uns folgen.

Der Zufall brachte es mit sich, daß ihm ei­ner der überall herumstreifenden Aufseher begegnete, als er sich auf dem Weg zur Oberfläche befand. Der Beamte schöpfte so­fort Verdacht und hielt ihn an.

Corpkor faßte einen schnellen Entschluß. Er schlug den Aufseher nieder und schleppte ihn in einen Seitengang, nahm ihm die Mar­ke ab und zog ihn aus, um sich selbst die Uniform anzulegen. Seine eigene Kombina­tion behielt er darunter an, um sie nicht zu verlieren.

Vorsichtshalber richtete er dann den klei­nen Taschenstrahler auf den Kopf des ohne­hin schon Bewußtlosen und sorgte so dafür, daß er einige Zeit schlief.

Mit Uniform, Erkennungsmarke und Waf­fe ausgerüstet, setzte er dann seine Erkun­dung fort. Er stieg die Nottreppe hinauf und gelangte an die Oberfläche, aber bei Tages­licht sah Garthak noch trostloser aus als bei Nacht. Er kehrte um und ging zum Bahnhof.

Während der normalen Arbeitszeit ver­kehrten hier nur wenige Züge, und als ge­wöhnlicher Arbeiter hätte der Roboter am Wagen ihn sicherlich aufgehalten. Aber so konnte er ungehindert passieren, als er seine Marke vorzeigte.

Er fand ein leeres Abteil und wartete. Zu seinem Mißvergnügen blieb er jedoch nicht lange allein. Ein anderer Aufseher sah ihn, als er im Gang vorbeikam, öffnete die Tür und setzte sich zu ihm.

Corpkor gab den Gruß mit gezwungener Freundlichkeit zurück und tat so, als sei er müde von der anstrengenden Arbeit des Aufsehens.

Der andere schien aber nicht müde sein zu wollen.

»Wollen Sie auch nach Samorth?« begann er das Gespräch. »Manchmal muß man dort­hin, finden Sie nicht auch?«

»Ja«, gab Corpkor einsilbig zurück, ohne durchblicken zu lassen, daß er sein Gegen­über auf den nächsten unbewohnten Plane­ten wünschte.

»Ich kenne da ein paar nette Lokale und hübsche Mädchen«, blieb dieser jedoch hart­näckig. »Seltsam, daß ich Sie noch nie ge­troffen habe. Sie sind wohl noch nicht lange in Garthak?«

»Noch nicht sehr lange, stimmt.« »Wo machten Sie denn vorher Dienst?« »Elkinth.« »Oh, Elkinth, der Raumhafen!« schwärm­

te der lästige Reisende. »Wie gerne würde ich nach dort versetzt werden! Man be­kommt die abenteuerlichsten Burschen dort zu sehen, und wenn man klug ist, kann man auch einen guten Fang machen, der einem die Beförderung einbringt.«

»Hm …« »Ach, Sie haben damit wohl bisher kein

Glück gehabt? Sind Sie darum nach Garthak versetzt worden?«

»Möglich.« Wenn der nicht bald seinen Mund hält,

dachte Corpkor, gehen mir die Nerven durch. Der muß doch sehen, daß ich schla­fen will. Oder hat er vielleicht schon Ver­dacht geschöpft …?

Er beschloß, vorsichtiger und freundlicher zu sein.

»Ja, so ist das«, fuhr der fremde Aufseher unbeirrt fort. »Man erntet nur Undank – aber das dürfen Sie nicht laut sagen. Was glauben Sie wohl, warum ich nach Samorth fahre? Ich will es Ihnen verraten: um zu vergessen! Ich müßte schon längst Kommandant eines kleinen Stützpunkts sein, und was bin ich? Eine Art Polizist, nicht mehr und nicht weni­ger.«

»Jawohl, Sie haben völlig recht! Auch ich wurde so behandelt. Nur hatte ich noch nie Gelegenheit, nach Samorth zu fahren, ich

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bin erst einige Tage in Garthak.« »Das trifft sich ja ausgezeichnet! Ich wer­

de Ihnen alles zeigen, was Sie sehen wollen. Ich kenne mich da aus.

Meine Frau meint zwar, ich mache Über­stunden, aber Frauen müssen ja auch nicht alles wissen. Sind Sie auch verheiratet?«

»Ich habe keine Familie.« Und so ging das die ganze Fahrt, bis der

Zug endlich im Bahnhof von 'Samorth ein­lief und hielt. Corpkor ahnte, daß er den Aufseher so schnell nicht mehr los wurde und beschloß, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Vielleicht ergab sich später eine Gelegenheit, ihn einfach zu »verlieren«.

Torentok, so hieß der übereifrige »Kollege«, schleppte Corpkor in eine üble Kneipe mit sogenannten »Vorstellungen«. Es gab billigen Wein zu trinken, der nach Wasser schmeckte.

Corpkor langweilte sich entsetzlich bei den Verrenkungen der »Schauspielerinnen«, die sich auf der schmalen Bühne herum­drängten, denn er hatte ganz andere Sorgen. Er konnte ja auch nicht ahnen, daß Fartuloon und ich fast zur gleichen Zeit nicht weit ent­fernt im Dufthaus saßen.

»Gefällt es dir?« fragte Torentok, schon vertraulicher werdend.

»Sehr«, gab Corpkor zurück, obwohl es ihm überhaupt nicht gefiel.

»Gleich zeige ich dir einen anderen La­den, da wirst du staunen. Wenn meine Frau wüßte, daß ich hier Überstunden mache …«

Der Kerl gefiel Corpkor immer weniger. Er überlegte krampfhaft, wie er ihn loswer­den konnte, ohne seinen Verdacht zu erre­gen. Er wollte Erkundigungen einziehen, aber nicht mit so einem Wüstling seine kost­bare Zeit vertrödeln. Die anderen im Ver­steck würden sich schon Sorgen um ihn ma­chen.

»Ich habe noch eine Verabredung«, sagte er schließlich, als er glaubte, Torentok sei angetrunken genug, um nicht mehr klar den­ken zu können. »Es war nett von dir, mich eingeladen zu haben, aber nun muß ich wirklich gehen.«

Clark Darlton

Torentok blinzelte und meinte dann: »Verabredung? Mit wem denn? Ich mei­

ne, du bist fremd hier und kennst niemanden …?«

»Ein Bekannter aus Elkinth«, versuchte Corpkor den Fehler zu bereinigen. »Wir wollten uns heute hier treffen.«

»Und wo? Wie heißt der Schuppen?« Nun war Corpkor natürlich überfragt. »Ei, verflucht! Den Namen habe ich ver­

gessen.« »Auch den des Bekannten?« fragte Toren­

tok, mißtrauisch werdend. »Natürlich nicht. Aber das Lokal … oder

war es ein Hotel? Ich muß nachdenken. Vielleicht fällt es mir wieder ein …«

Torentok nippte zurückhaltender gewor­den, an seinem Wein.

»Du erzählst seltsame Geschichten, Corp­kor. Weißt du was? Ich glaube dir kein Wort!« Er stellte sein Glas auf den Tisch zu­rück und bekam schmale Augen. »Du lügst schon die ganze Zeit!«

Corpkor versuchte es im Guten. »Rede keinen Unsinn, Torentok! Warum

sollte ich dich belügen? Du bist nur betrun­ken, das ist alles. Ich habe mich wirklich mit einem Bekannten hier verabredet. Was kann ich denn dafür, daß ich den blödsinnigen Namen vergessen habe?«

»Vielleicht war es das Dufthaus«, schlug der Aufseher vor.

»Nein, das hätte ich behalten.« Es kamen noch andere Namen, aber Corp­

kor hütete sich, bei einem Ja' zu sagen. To­rentok wäre mitgekommen. Er mußte ihn anders loswerden. Aber wie nur?

Sie wechselten das Lokal, ohne daß sich eine Gelegenheit ergab, eine unverdächtige Trennung vorzunehmen. Corpkor begann Blut und Wasser zu schwitzen. Torentok schob ihn durch die Eingangstür.

»Das hier ist etwas vornehmer, hier ver­kehren fast nur Kollegen von uns, nicht das Arbeitervolk. Dort drüben sitzen ein paar Bekannte von mir. Ich werde dich ihnen vor­stellen.«

Das war natürlich das Allerschlimmste,

43 Raumschiff der Meuterer

was Corpkor passieren konnte, aber nun gab es kein Zurück mehr. Er bereute es nun, so eigenmächtig gehandelt zu haben.

Torentok wurde mit großem Hallo be­grüßt, auch Corpkor wurde freundlich, wenn auch mit Zurückhaltung, akzeptiert. Er be­antwortete einige belanglose Fragen, dann sagte jemand:

»In Elkinth war ich längere Zeit statio­niert, auch als Aufseher in der Lagerverwal­tung der Händler. Wie geht es dem alten Markendor in der Kantine?«

»Oh, ganz gut«, reagierte Corpkor schnell.

Leider hatte er den Fehler begangen, nicht darauf zu achten, daß Torentok vorher mit dem Fragesteller geflüstert hatte. Sonst wäre er mit seiner Auskunft vorsichtiger gewesen.

Und so war er zu Tode erschrocken, als der Mann sagte:

»Es geht ihm gut? Das ist aber erfreulich zu hören. Er ist nämlich schon vor längerer Zeit gestorben. Das wußten Sie nicht?«

»Ich … ich komme nur selten in die Kan­tine«, versuchte er sich herauszureden.

Die anderen Arkoniden am Tisch waren aufmerksam geworden. Sie unterbrachen ih­re Gespräche und hörten zu. Torentok sagte:

»Er kam mir von Anfang an verdächtig vor, dieser Corpkor. Ich bin überzeugt, daß er lügt. Vielleicht wird er sogar von der Po­lizei gesucht.«

»Das haben wir gleich«, erbot sich je­mand und stand auf. »Ich kenne jemanden in der Fahndungsabteilung.

Ein Anruf genügt, und wir wissen Be­scheid. Ich bin gleich wieder da.«

Corpkor sah mit gemischten Gefühlen hinter ihm her. Niemand kannte seinen Na­men auf Varlakor. Aber warum war er auch so leichtsinnig gewesen, diesem Schnüffler Torentok nicht den Namen anzugeben, der auf seiner erbeuteten Marke stand? Viel­leicht half eine Ausrede.

»Laßt doch den Blödsinn, Freunde! Na­türlich habe ich Torentok einen erfundenen Namen genannt. Es muß ja niemand wissen, daß ich nach Samorth gefahren bin – oder

möchtet ihr gern, daß eure Frauen von euren Besuchen hier erfahren? Na also!« Er griff in die Tasche und warf die Marke auf den Tisch. »So heiße ich nun wirklich, und jetzt werdet endlich vernünftig!«

Torentok griff nach der Marke und be­trachtete sie.

»Barraskont also …! Hättest du auch gleich sagen können. Niemand von uns wür­de dich verraten. Ah, da kommt Jerkos schon zurück. Was macht er nur für ein Ge­sicht?«

Jerkos blieb stehen. »Ein Corpkor wird nicht gesucht, denn es

gibt überhaupt keinen Aufseher, der so heißt. Dafür wurde ein gewisser Barraskont soeben in Garthak gefundenen der Nähe ei­nes Notausstiegs. Er wurde niedergeschla­gen und halbnackt liegengelassen. Seine Marke fehlt.«

Torentok warf sie zurück auf den Tisch. »Das ist sie! Er hatte sie bei sich!« Corpkor wollte in die Tasche greifen, um

den Strahler herauszuholen, aber die anderen reagierten schneller als er. Vereint fielen sie über ihn her, entwaffneten ihn und führten ihn aus dem Lokal. Einer bezahlte die Ge­tränke und folgte nach.

»Ich habe ihn entdeckt!« rief Torentok. »Wenn eine Belohnung ausgesetzt ist, steht sie mir allein zu.«

»Und ohne mich würdest du jetzt noch mit ihm saufen«, hielt Jerkos ihm entgegen. »Ich schlage vor, wir teilen uns alle die Be­lohnung, wenn es überhaupt eine gibt.« Er bog Corpkors Arm zurück. »Na, wie ist es? Bist du wertvoll genug, daß es sich lohnt?«

Corpkor hatte beschlossen, keinen Ton mehr von sich zu geben. Sollten sie ihn doch zur Polizei schleppen und dort abliefern. Er würde schon einen Weg finden, wieder frei­zukommen. Wenn es doch wenigstens Tiere auf diesem verdammten Planeten gäbe. Die konnte er in seinem Sinne beeinflussen, sie würden ihm helfen.

Was immer seine ehemaligen »Freunde« auch beschlossen, die Entscheidung wurde ihnen aus der Hand genommen. Eine der

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Streifen kam mit einem Fahrzeug die Straße entlang und hielt, als sie Corpkor und seine Begleiter erblickten. Sie schienen wohl an­zunehmen, es handele sich um eine begin­nende Prügelei, wie es sie hier oft geben mochte. Die Beamten stutzten zwar, als sie feststellten, daß es sich ausschließlich um Aufseher handelte, aber sie kannten ihre Pflicht.

»Was ist hier los?« wollte einer von ihnen wissen und klopfte auf den Kolben seiner Dienstwaffe, wobei er Corpkor durchdrin­gend ansah. »Warum halten sie dich fest?«

Ehe Corpkor antworten konnte, kam ihm der fixe Jerkos zuvor:

»Er hat Barraskonts Marke. Wir haben ihn erwischt. Gibt das eine Belohnung?«

Nun kam auch der Beamte dahinter, daß es sich nicht um eine der gewöhnlichen Schlägereien handelte. Ob es eine Beloh­nung gab, wußte er natürlich auch noch nicht, aber wenn es eine gab, dann würde er sie kassieren. Dementsprechend sagte er:

»Das wird noch entschieden. Übergebt ihn mir und meinen Leuten. Falls ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt ist, werdet ihr benachrichtigt. Zeigt mir eure Marken.«

Er notierte sici. die Namen und Nummern und gab die Marken zurück. Während Corp­kor abgeführt und zum Wagen gebracht wurde, hörte er die Zurückbleibenden mit­einander streiten. Wahrscheinlich ging es um die zu erwartende Belohnung.

Wenn seine Lage nicht so bedrohlich ge­wesen wäre, hätte er schadenfroh sein kön­nen. So war er nur wütend, daß seine Missi­on ein so jähes Ende gefunden hatte.

Die Fahrt ging an der Oberfläche entlang. Bald ließen sie die Stadt hinter sich und er­reichten ein einsames Gebäude, das von ei­ner stabil aussehenden Mauer umgeben war. Am Tor stand ein Posten, der zuerst grüßte und dann öffnete.

»Aussteigen!« Corpkor befolgte den Befehl und wunder­

te sich, daß man ihm noch keine Fesseln an­gelegt hatte. Man führte ihn in eine kahle Stube. Hinter einem Tisch saß ein höherer

Clark Darlton

Polizist, wahrscheinlich der Kommandant des Polizeipostens.

»Wen bringt ihr denn da?« »Haben wir in Samorth aufgegriffen,

Kommandant. Muß der Mann sein, der Bar­raskont niederschlug, denn er hat seine Mar­ke und seine Uniform. Vielleicht wollte er von Varlakor fliehen.«

Der Kommandant blätterte durch eine Ak­te und sah Corpkor an.

»Gestehen Sie?« Corpkor wußte, daß er seine Lage kaum

noch verschlimmern konnte. Störrisch schüt­telte er den Kopf.

»Ich sage überhaupt nichts!« Der Kommandant lehnte sich zurück. »So, Sie wollen nichts sagen? Na schön,

das hat auch Zeit bis morgen, dann wissen auch wir mehr über den Vorfall. Aber damit Sie es schon wissen: Sie werden im Keller eingesperrt, dort werden Ihnen die Rebbchen Gesellschaft leisten. Viel Vergnügen bis da­hin …«

Corpkor hatte nicht die geringste Ahnung, wer die Rebbchen waren. Vielleicht ein spe­zieller Ausdruck für Landstreicher oder Gauner, die man festgenommen hatte. Ihm konnte es gleich sein, wer ihm Gesellschaft leistete, wenn sie nur den Mund hielten, da­mit er ungestört nachdenken und einen Fluchtplan entwickeln konnte.

Sie brachten ihn eine Treppe hinunter, öffneten eine Holztür, was auf dieser fast völlig synthetischen Welt geradezu einem Wunder gleichkam, und gaben ihm einen Stoß in den Rücken. Er stolperte in einen dunklen Raum und hielt sich an der Wand fest, um nicht den Halt zu verlieren und zu stürzen. Die Tür knallte zu, ein primitives Schloß schnappte ein, dann war Stille.

»Ist hier jemand?« fragte Corpkor vor­sichtshalber, weil er es vermeiden wollte, auf einen anderen Gefangenen zu treten, aber er bekam keine Antwort.

Allmählich nur gewöhnten sich seine Au­gen an die Dämmerung. In einer Ecke war eine trübe Lampe, mehr Beleuchtung gab es nicht. Sie genügte jedoch, ihn allmählich

45 Raumschiff der Meuterer

seine Umgebung erkennen zu lassen. Die Zelle war ziemlich geräumig Mehrere

leere Lagerstätten standen ringsum an den Wänden, aber von einem »Rebbchen« ent­deckte er keine Spur.

»Die spinnen, die Leute von Varlakor«, murmelte er schließlich und suchte sich ein Bett aus. Er setzte sich und streckte die Bei-ne von sich. »Möchte wissen, wie es den an­deren inzwischen ergeht. Mich jedenfalls sind sie vorläufig los …«

Er hatte vorher Appetit verspürt, aber der war ihm inzwischen gründlich vergangen. Nur Durst hatte er, und mit Wehmut dachte er an den billigen und schlechten Wein von Samorth zurück. Da es aber nichts gab, we­der zu essen noch zu trinken, legte er sich lang und versuchte zu schlafen, was ihm na­türlich nicht auf Anhieb gelang.

Während er so vor sich hindöste und ver­geblich versuchte, einen Ausweg aus der mehr als heiklen Lage zu finden, hörte er ein feines Geräusch.

Es klang wie das leise Schaben eines stumpfen Messers auf Stein.

Er lauschte eine Weile, dann gab er es auf, die Ursache zu ergründen. Vielleicht versuchte ein anderer Gefangener, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Es interessierte ihn vorerst nicht.

Etwas später schlief er ein.

*

Er wußte nicht, wie lange er geschlafen und was er alles für entsetzliche Dinge ge­träumt hatte, aber das schabende Geräusch weckte ihn. Es war lauter und intensiver ge­worden.

Nein, das konnte kein Mitgefangener sein. Das war überhaupt kein Arkonide, das war ein Tier – oder mehrere. Jedenfalls Nagetie­re.

DieRebbchen? Er blieb ganz ruhig liegen und versuchte

sich zu konzentrieren. Eine telepathische Verbindung war unmöglich, soweit hatte er es noch nicht gebracht. Es war vielmehr ein

einseitiger Hypnokontakt, dem er seinen Einfluß auf primitive Lebewesen zu verdan­ken hatte.

Er befahl das Aufhören des Nagens oder Schabens.

Es wurde sofort still. Kein Laut war mehr zu hören.

Corpkor entspannte sich und schöpfte neue Hoffnung. Nun kam es nur noch darauf an, wie groß diese Rebbchen waren und was sie alles konnten. Sie mußten zumindest un­angenehme Zeitgenossen sein, sonst hätte der Kommandant nicht hämisch auf sie hin­gewiesen.

»Kommt zu mir!« befahl Corpkor, sich erneut konzentrierend.

Das Schaben und Nagen begann erneut. Es war stärker als zuvor und kam näher. Corpkor rutschte von seinem Lager und ging dem Geräusch nach, bis er an die untere Sei­te der gegenüberliegenden Wand kam. Das Nagen war nun genau vor seinen Füßen.

Er bückte sich, um besser sehen zu kön­nen und bemerkte den feinen, mehligen Steinstaub, der aus einer schmalen Ritze fiel und den Boden zu bedecken begann. Es lag schon ein richtiger kleiner Haufen dort.

Aus der Ritze wurde langsam ein Loch, so groß wie eine Faust.

Und dann schaute ein kleiner, spitzer Kopf in das Gefängnis.

Corpkor mußte sich nun wieder konzen­trieren und dem Tier sanftmütige und fried­fertige Hypnoimpulse vermitteln, damit es ihn nicht auch noch anknabberte. Seine Be­mühungen wareu von Erfolg gekrönt. Nur war es nicht ein Rebbchen, das durch das Loch schlüpfte, sondern gleich ein volles Dutzend.

Sie tummelten sich in dem Raum und suchten allem Anschein nach etwas zu fres­sen. Corpkor begann sie zu bedauern, aber er hatte selbst nichts Nahrhaftes bei sich. Er überlegte fieberhaft, wie er die possierlichen Tierchen zu seiner eigenen Rettung einset­zen konnte.

Den Worten des Kommandanten nach zu urteilen, griffen die Rebbchen auch größere

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Lebewesen an. Wenn man sie auf die Polizi­sten hetzen konnte, war schon viel gewon­nen. Aber was würde das schon nützen? Mit den Energiestrahlern würde man ihnen den Garaus machen.

Es war überhaupt ein Wunder, daß man die Plagegeister nicht schon längst ausgerot­tet hatte. Aber die Station lag weit außerhalb der Stadt am Rand der dürftigen Steppe. Vielleicht gab es hier wirklich noch so etwas wie einen Rest Natur.

Wovon mochten sie leben? Viel Freßba­res konnten sie in dieser sterilen Landschaft nicht finden, und die meisten der strafver­setzten Arkoniden waren noch ärmer daran als sie.

Corpkors suchender Blick fiel auf die Tür. Sie war, wie er schon früher bewundert

hatte, aus Holz. Tiere, die Stein zernagen konnten, wurden

auch mit dem viel weicheren Holz fertig. Vielleicht fraßen sie es sogar.

Als er damit begann, erneut seine Impulse auszusenden, reagierten die kleinen, ellen­langen Nager sofort. Sie beendeten ihre Su­che nach Nahrung und blieben dort sitzen, wo sie sich gerade befanden. Es war, als lauschten sie den unhörbaren Anordnungen Corpkors.

Dort ist Holz, dachte dieser intensiv und ging zur Tür. Sanft strich er mit der flachen Hand darüber, damit kein Mißverständnis entstehen konnte. Ihr sollt es fressen! Er zog einen Kreis mit dem Finger um die Stelle, an der das Schloß auf der anderen Seite sitzen mußte. Hier ist es am besten …

Die Rebbchen sprangen wie besessen auf ihn zu, schlüpften zwischen seinen Beinen hindurch und stürzten sich auf die Tür. Ihre Krallen waren so scharf, daß sie in dem Holz Halt fanden, dann begannen ihre fei­nen, spitzen Nagezähne zu arbeiten, als wür­den sie von unermüdlichen Motoren ange­trieben.

Corpkor stand staunend dabei und bewun­derte die Schnelligkeit, mit der die Tiere ihre Aufgabe erfüllten. Sie fraßen das Holz tat­sächlich, so daß es kaum Sägemehl gab.

Clark Darlton

Aber in der Stille der Nacht mußte man das Nagegeräusch ziemlich weit hören können. Hoffentlich wurde kein Polizist darauf auf­merksam.

Um das Türschloß herum entstand ein Halbkreis, während das vorher dort vorhan­dene Holz spurlos verschwand. Es war Cor­pkor klar, daß die Rebbchen zum erstenmal Holz fraßen, sonst wären die Türen längst durch metallene ersetzt worden. Jetzt fielen sie mit einem wahren Heißhunger darüber her.

Schließlich konnte er die Hand durch die Öffnung stecken und den Riegel zurück­schieben. Der Schlüssel steckte, er drehte ihn herum. Die Tür öffnete sich.

Kommt mit! befahl er den Rebbchen. Bleibt bei mir!

So leise wie möglich stieg er die Treppen empor, die zur Wachtstube und den Räumen des Kommandanten führte. Die Tiere blie­ben dicht hinter ihm und bewegten sich na­hezu geräuschlos. Sie gehorchten immer besser.

Licht fiel auf den Korridor. Die Tür zur Wachtstube war halb geöffnet. Vorsichtig sah Corpkor hinein und entdeckte nur einen einzigen Mann, der mit aufgeknöpfter Jacke in einem Stuhl saß, den Kopf auf den Tisch gelegt und anscheinend schlafend.

Auf Zehenspitzen näherte er sich ihm und zog ihm den Strahler aus dem Gürtel. Der Mann schlief so fest, daß er nicht erwachte.

Corpkor fragte sich, ob draußen beim Tor nachts auch ein Wachtposten stand, oder ob man es hier draußen damit nicht so genau nahm. Um das herauszufinden, mußte er sei­nen Gefangenen aufwecken. Er tat es, indem er ihm den Mund zuhielt.

Der Mann war so erschrocken, daß er auch ohne diese Vorsichtsmaßnahme keinen Ton hervorgebracht hätte. Dafür sorgten schon die Rebbchen, die auf dem Tisch hockten und ihn lüstern betrachteten. Wahr­scheinlich würden sie ihn liebend gern auf­gefressen haben, wenn man es ihnen befoh­len hätte.

»Keinen Laut!« warnte ihn Corpkor.

47 Raumschiff der Meuterer

»Beantworte meine Fragen flüsternd, sonst lasse ich die Rebbchen auf dich los. Also: wieviel Posten sind beim Tor und wer ist sonst noch außer dir wach?«

Der vor Schreck halb Gelähmte schüttelte nur den Kopf, erst als Corpkor seine Frage wiederholte, gab er zu, daß die ganze Ver­antwortung auf ihm allein laste und alle an­deren schliefen oder auf Streife waren.

»Gut, dann wirst du einen Wagen nehmen und mich nach Samorth bringen. Vorher be­sorgst du mir eine Uniform und die entspre­chende Marke. Schnell, wir haben keine Zeit! Denk an die Rebbchen!«

Es dauerte nicht lange, bis Corpkor sich umgezogen hatte. Die Marke war in Ord­nung. Er steckte sie ein, dazu einen kleinen Taschenstrahler. Dann schob er den ver­schüchterten Polizisten vor sich her in den Hof. Die Rebbchen wollten folgen, aber sie erhielten den Befehl, in das Gebäude zu­rückzukehren und sämtliche Gegenstände aus Holz zu zernagen.

Damit erreichte Corpkor, daß auch die an­deren Gefangenen frei wurden und ihre Flucht Verwirrung stiftete. Er durfte damit rechnen, daß die Polizei in den nächsten Stunden genug damit zu tun hatte, sie wieder einzufangen.

Es war ein kleines, offenes Fahrzeug mit starken Scheinwerfern. Corpkor setzte sich neben den Fahrer und hielt die Waffe auf ihn gerichtet.

»Höchstgeschwindigkeit, wenn ich bitten darf! Und keine Dummheiten! Wenn uns die zurückkehrende Streife begegnet, Schein­werfer anlassen. Rufe ihnen zu, daß die Ge­fangenen entkommen sind und du in der Stadt Verstärkung holst. Und dann weiter­fahren, was immer man auch antwortet. Ver­standen?«

Der immer noch fassungslose Polizist nickte wortlos.

Er kam nicht über die Sache mit den Rebbchen hinweg.

Die Straße war eben und hatte kaum Kur­ven. Der Wagen entwickelte eine beträchtli­che Geschwindigkeit, was Corpkor auf der

einen Seite sehr gelegen kam, ihn auf der anderen jedoch beunruhigte. Er hatte das Gefühl, es nicht mit einem guten Fahrer zu tun zu haben. Mit Leitschienen hätte er sich wohler gefühlt.

Im Osten dämmerte rot der Morgen. Es wurde schnell Tag.

Endlich tauchte am Horizont die Silhouet­te von Samorth auf.

Und damit leider auch eine scharfe Kurve, die um einen Felsen herumführte. Der Fah­rer verlangsamte seine Geschwindigkeit nicht, und so mußte das Unvermeidliche passieren. Er verlor die Gewalt über den Wagen, der über die Böschung raste, ein Stück durch die Luft flog und dann wieder auf den Rädern landete.

Corpkor hatte die Waffe fallen lassen, um sich festzuhalten. Der Fahrer hingegen wur­de aus seinem Sitz geschleudert und beende­te seinen Flug zwischen einigen vertrockne­ten Büschen. Der Wagen selbst wurde wenig später durch einige größere Steine gestoppt und blieb stehen.

Corpkor prüfte nach, ob seine Knochen noch heil waren, nahm seine Waffe und klet­terte aus dem Fahrzeug. Er kümmerte sich um den Fahrer, der sich gerade wieder auf­rappelte. Es war ein Wunder, daß er den Sturz überlebt hatte.

»Das nächste Mal bringe ich dich um!« versprach ihm Corpkor, wütend über den Zeitverlust. »Los, wir müssen weiter!«

Aber der Antrieb blieb stumm. Außerdem sah das Fahrzeug so aus, als sei es gegen einen Panzer gefahren. Selbst wenn es noch bewegungsfähig sein würde, hätte es wenig Sinn gehabt, sich damit in die Stadt zu wa­gen. Die erste Streife hätte es unweigerlich angehalten.

»Na schön«, entschied Corpkor nach kur­zer Überlegung. »Dann gehen wir eben zu Fuß. Du bleibst bei mir, und vergiß nicht, daß ich eine Waffe in der Tasche habe. Wir fahren nach Garthak.«

»Warum muß ich denn …?« »Keine Widerrede! Komm schon!« Der Marsch war nicht ungefährlich, denn

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wenn der Streifenwagen zurückkehrte, konnte er sie kaum übersehen. Zwar gab es rechts oder links von der Straße manchmal Deckungsmöglichkeiten, aber eben nicht im­mer. Doch zum Glück war das Gelände eben, so daß man weit sehen konnte und rechtzeitig gewarnt wurde.

Als die ersten Häuser vor ihnen auftauch­ten, erblickte Corpkor auf der Straße vor sich einen Wagen. Er zog seinen unfreiwilli­gen Begleiter in den gerade vorhandenen Graben und setzte ihm die Mündung des Strahlers an den Hinterkopf. Es erübrigte sich, den Mann zu warnen, der stocksteif ne­ben ihm in der Deckung lag.

Es war tatsächlich der Streifenwagen. Er fuhr sehr langsam und war voll besetzt. Zwei Polizisten brachten sechs oder sieben Zivilisten in das Landgefängnis. Corpkor konnte sich ausrechnen, daß sie in etwa ei­ner knappen Stunde eine unangenehme Überraschung erleben würden, und dann würde es Alarm geben. Bis dahin mußte er bereits im Zug nach Garthak sitzen, denn zu­erst würden sie ihn wohl in Samorth suchen.

Sie gingen nun schneller und erreichten bald die Peripherie der Stadt. Der Polizist kannte den kürzesten Weg. Er schien es selbst eilig zu haben, endlich nach Garthak zu kommen, um seinen unheimlichen Be­gleiter loszuwerden.

Niemand hielt sie auf, aber sie wurden von jedermann respektvoll und ein wenig ängstlich gegrüßt. Alle schienen ein schlech­tes Gewissen zu haben, wenigstens wirkte es so. Eine kürzere Strecke benutzten sie, die Rollstege, die für privilegierte Personen vor­gesehen waren.

Endlich erreichten sie den Bahnhof. Seit ihrer Begegnung mit dem Streifenwagen war nicht ganz eine Stunde vergangen.

Es würde höchste Zeit. Sie passierten die Robotkontrolle und fan­

den ein Abteil. Der einzige Fahrgast, ein verspäteter Arbeiter, räumte es eiligst, als er sah, wer da kam.

Der Zug lief nach schneller Fahrt in Gar­thak ein, und sie verließen ihn nach aberma-

Clark Darlton

liger Kontrolle. Corpkor teilte seinem Ge­fangenen mit, daß er ihn noch ein Stück in das Labyrinth hinein begleiten müsse, um si­cher zu sein, daß die Verfolgung nicht sofort aufgenommen werde.

Bald kannte er sich wieder aus. Rechts war der Gang, in den er Barraskont ge­schleppt hatte. Der Polizist an seiner Seite schien davon gehört zu haben, denn er warf scheue Blicke in die entsprechende Rich­tung. Wahrscheinlich sah er sich im Geiste auch schon dort liegen.

Drei Aufseher kamen ihnen entgegen. Sie waren bewaffnet und schienen sehr aufge­regt zu sein. Mißtrauisch blieben sie stehen und warteten, bis Corpkor und sein Begleiter auf ihrer Höhe anlangten.

»Es wurde Fluchtalarm in Samorth gege­ben, seid ihr deshalb unterwegs?«

»Ja, wir wurden informiert. Aber es wird angenommen, die Entflohenen befinden sich noch in Samorth. Die Bahn soll überwacht werden.« Corpkor deutete auf ihre Strahler. »Sucht ihr sie hier?«

»Was heißt sie? Es ist doch nur einer ent­flohen …«

Also hatten die Rebbchen es doch nicht geschafft, dachte Corpkor enttäuscht, aber ihm blieb nicht viel Zeit, darüber nachzu­denken. Die Aufseher waren hellhörig ge­worden.

»Nur einer? Dann wurden wir falsch in­formiert.«

»Ja, nur einer, dazu in der Uniform eines Polizisten. Können wir eure Marke sehen? Wir haben das Recht zur Kontrolle in einem solchen Fall, das wißt ihr. Vielleicht ist einer von euch der Mann, den wir suchen.«

»Er ist es!« rief Corpkors Begleiter über­raschend und machte einen Satz zur Seite, ehe ihn jemand daran zu hindern vermochte. »Er hat mich gezwungen mitzugehen! Schnappt ihn euch!«

Für einen Augenblick waren die drei Auf­seher verwirrt, denn sie konnten nicht so schnell entscheiden, wer von den beiden der entflohene Verbrecher war. Aber Corpkor machte es ihnen leicht. Er riß seinen Strahler

49 Raumschiff der Meuterer

aus der Tasche und begann zu laufen. Dabei rannte er die Unschlüssigen zuerst einmal um, und ehe sie sich aufgerappelt hatten, war er schon ein paar Dutzend Meter ent­fernt.

Sie nahmen die Verfolgung auf und eröff­neten das Feuer auf ihn.

Nun blieb ihm keine Wahl. Als der Korridor eine Biegung machte,

blieb er stehen und duckte sich hinter den Vorsprung. Die drei Männer boten in dem Dämmerlicht ein nur undeutliches Ziel, aber Corpkor war ein ausgezeichneter Schütze. Ein besserer jedenfalls als die Arkoniden, wie sich bald herausstellte.

Zwei von ihnen wurden sofort getroffen und stürzten zu Boden. Der dritte huschte in einen Seitengang und bestrich Corpkors Deckung mit starkem Energiefeuer. Das Ge­stein begann zu schmelzen. Die Hitze wurde bald unerträglich. Hundert Meter weiter zweigte der Gang zum Versteck ab, aber Corpkor wußte, daß er es nur verraten wür­de, wenn er sich jetzt dorthin zurückzog. Ob er wollte oder nicht, er mußte zuerst den verbliebenen Verfolger unschädlich machen.

Er wartete, bis der andere eine Feuerpause einlegte, dann rannte er auf die andere Seite des Korridors und hielt sich dicht an der Wand, während er schnell den Weg zurück­lief, den er gekommen war. Wenn sein Geg­ner ihn aufhalten wollte, mußte er aus sei­nem Versteck heraus.

Und das tat er auch. Breitbeinig stand er plötzlich mitten in dem Hauptgang, die schwere Waffe in beiden Händen, um sicher Ziel nehmen zu können.

Corpkor warf sich seitlich auf den Boden und schoß sofort. Das schmale Energiebün­del traf den Aufseher mitten in die Brust, fuhr durch sie hindurch und prallte hinter ihm schräg in die Wandung des Korridors.

Noch während der Gegner stürzte, wandte sich Corpkor um und rannte zurück, bis er den Seitengang zum Versteck erreichte. Er hatte viel Zeit vergeudet, und es mußte be­reits Mittag sein. Die Frage war, ob Atlan und iFartuloon schon zurückgekehrt waren.

Er war sicher, keine Spuren hinterlassen zu haben, aber er fürchtete sich vor den Vor­würfen, die ihn mit Sicherheit erwarteten.

Und dann hielt er erschrocken den Atem an, als er das Versteck leer fand.

Sie waren ohne ihn weitergezogen. Aber … wohin?

*

Als er seinen ersten Schock überwunden hatte, begann er damit, den Raum systema­tisch zu untersuchen. Es war ihm völlig klar, daß es einen besonderen Grund dafür geben mußte, daß sie das sichere Versteck verlas­sen hatten. Zwar lagen die beiden Arbeiter immer noch bewußtlos in einer Ecke, aber das hatte nur wenig zu bedeuten.

Sie hatten ihm mit Sicherheit ein Zeichen hinterlassen.

Aber was für eins? Zuerst ging er zu seinem Platz, um nach­

zusehen, ob sie sein Bündel mit den Vorrä­ten mitgenommen hatten. Es war nicht mehr da. Dann entdeckte er den Handabdruck, maß ihm aber keine besondere Bedeutung zu. Erst später, als er den ganzen Raum nach einer Spur vergeblich durchsucht hatte, fiel ihm der Abdruck wieder ein.

War das die Hand eines Arkoniden gewe­sen, die sich – als das Material noch frisch und weich war – dort verewigt hatte?

Er ging noch einmal hin, und dann er­kannte er den Unterschied.

Eiskralles Hand! Daß er nicht gleich dar­auf gekommen war …!

Nun fiel ihm auch auf, daß einer der fein­gliedrigen Finger in Richtung des Ausgangs zeigte. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Sie waren gegangen, aber sie wiesen ihm den Weg.

Erleichtert atmete er auf. Atlan und Fartu­loon waren also heil und unversehrt zurück­gekehrt, aber wahrscheinlich wurden sie ver­folgt. Daher der überhastete Aufbruch, der einer Flucht glich. Er sah ein, daß auch er nun keine Zeit mehr verlieren durfte, denn die Häscher konnten jeden Augenblick er­

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scheinen. Gleich am Ende des Ganges fand er den

zweiten Handabdruck, und dann bei der Hauptabzweigung den dritten, der ihm die Richtung wies.

Die Mittagsschicht eilte zum Bahnhof, aber die Arbeiter kümmerten sich kaum um ihn. Im anderen Korridor war kein Betrieb. Corpkor erinnerte sich daran, was Fartuloon behauptet hatte: hier lägen die vollautomati­sierten Fabriken, und hier gäbe es wahr­scheinlich kaum Arbeiter, höchstens War­tungsroboter.

Er eilte weiter, bis er vor dem geschlosse­nen Tor stand. Nun allerdings war guter Rat teuer. Doch dann überlegte er sich, daß auch seine Freunde weitergegangen sein mußten, denn sonst hätte er ihnen begegnen müssen, oder zumindest hätte er einen entsprechen­den Hinweis gefunden.

Er entdeckte wieder Eiskralles Abdruck und fand die Marke. Er hob sie auf und schob sie in die Tasche, nahm seine eigene und steckte sie in den dafür vorgesehenen Schlitz. Wie erwartet öffnete sich das Tor. Schnell schlüpfte er hindurch und vergaß die Marke. Ehe er zurückkehren konnte, war der Spalt so klein geworden, daß er nicht mehr zurück konnte. Dann war das Tor wieder verschlossen.

Er nahm sich nicht mehr die Zeit, das Tor noch einmal mit seiner neuen Marke zu öff­nen, sondern spähte in die riesige Halle hin­ein, immer in der Hoffnung, seine Freunde zu sehen. Aber sie mußten einen großen Vorsprung haben.

Der nächste Handabdruck des Chretkors gab ihm die Gewißheit, daß es weiter gera­deaus ging. Die Wartungsroboter beachteten ihn nicht. Der Alarm schien noch nicht bis hierher vorgedrungen zu sein, oder er ging die Roboter nichts an.

Die Halle wollte kein Ende nehmen. Rie­sige Anlagen produzierten die Einzelteile schwerer Energiegeschütze, schoben sie auf Förderbänder, die sie weiterleiteten. Das En­de dieser Bänder war nicht abzusehen. Corp­kor hatte den Eindruck, daß sie erst auf der

Clark Darlton

anderen Seite des Planeten an ihr Ziel ge­langten.

Kurz bevor er die gegenüberliegende Sei­te der Fertigungshalle erreichte, ereignete sich ein Zwischenfall, der ihn beinahe zu ei­ner Unvorsichtigkeit verleitet hätte.

Einer der Wartungsroboter verließ seinen ihm zugeteilten Bezirk und kam ihm entge­gen. Corpkor steckte die rechte Hand in die Tasche, und seine Finger umklammerten nervös den Griff der Waffe. In der linken Hand hielt er seine Marke.

Wenige Meter vor ihm blieb der Roboter stehen und sagte:

»Sektion 294-BN hat einen Defekt. Ich bitte um Anweisungen.«

In die Erleichterung Corpkors mischten sich berechtigte Zweifel. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was Sektion 294-BN be­deutete und was in ihr hergestellt wurde. Na­türlich hätte er dem Roboter irgend etwas sagen können, damit er weitergehen konnte, aber das war zu riskant. Sie standen alle mit einer Kontrollstation in Verbindung, die sie ständig überwachte. Auch seine Worte wür­den genauestens registriert werden. Und wenn er etwas Falsches sagte, würde man auf ihn aufmerksam werden.

»Seit wann?« fragte er, um Zeit zu gewin­nen.

»Seit der letzten Schicht. Ich habe ver­sucht, den Schaden zu beheben, aber es sind Spezialisten notwendig. Es ist Vorschrift, daß Sie eine Inspektion vornehmen.«

»Ich bin im Dienst!« Endlich kam Corp­kor der rettende Gedanke, wenn er damit auch alles auf eine Karte setzte. »Außerdem habe ich nichts mit dieser Fertigungsabtei­lung zu tun. Ich bin auf der Suche nach ei­nem entflohenen Verbrecher, oder sieht man nicht, daß ich Polizist bin?«

Ohne jede Erwiderung drehte sich der Ro­boter um und kehrte an seinen Wartungs­platz zurück. Corpkor hatte keine Ahnung, ob er das auf Anweisung seiner Kontrollsta­tion tat, oder ob sein Logiksektor entspre­chend reagiert hatte.

Der Weg war wieder frei. Corpkor ging

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weiter und atmete auf, als er das Ende der Halle erreichte und damit die Straße, die doppelt so breit wie die Hauptkorridore war. Er fand sofort das in der Wand angebrachte Hinweiszeichen der Vorausgeeilten.

Das nächste war unter dem Schild, und als er ein Stück in den Seitengang eingedrungen war, hörte er Stimmen.

Er lauschte, und dann wußte er, daß er uns gefunden hatte.

7.

Am späten Nachmittag hatte ich den Ent­schluß gefaßt, allein aufzubrechen und nach Garthak zurückzugehen. Ich hoffte, daß man die beiden bewußtlosen Arbeiter weder ver­mißt noch gefunden hatte, aber ich ahnte na­türlich nichts von dem inzwischen durch Corpkor ausgelösten Alarmzustand.

Fartuloon wollte mich begleiten, und es kam zu einem heftigen Streitgespräch, das mit dem überraschenden Erscheinen von Corpkor endete.

Er kam in den Raum und sagte von der Tür her:

»Ihr schreit so laut, daß man euch bis Sa­morth hören kann!«

Meine Erleichterung war zu groß, als daß ich ihm hätte gleich zu Anfang Vorwürfe machen können. Fartuloon hingegen ging zu ihm, klopfte ihm kräftig auf die Schultern und meinte:

»Wegen dir hätte ich beinahe Ärger mit Atlan bekommen, schämst du dich nicht?«

Corpkor berichtete von seinem Abenteu­er, das fast mit seinem Tod geendet hätte. Aber immerhin brachte er auch einige neue Erkenntnisse über den Raumhafen Elkinth mit, die mir wertvoll erschienen.

Schließlich beruhigten wir uns alle ein wenig. Wir hatten nun die Gewißheit, daß wir weiterfliehen konnten, ohne auf jeman­den warten zu müssen.

Fartuloon setzte sich zu mir, als Ruhe ein­getreten war.

»Was hältst du von der ganzen Sache? Glaubst du, daß wir Elkinth noch rechtzeitig

erreichen? Es müssen an die zweitausend Meilen sein. Wenn wir keine Tunnelbahn nehmen oder kein Fahrzeug finden, schaffen wir es nicht.«

Ich war genauso ratlos wie er. »Die Straße, in die unser Gang mündet,

führt nach Elkinth, das ist alles, was wir wis­sen. Vielleicht nimmt uns jemand mit, das ist ja schon einmal geschehen. Außerdem haben wir zwei Marken, wenn auch nur so lange, bis sie für ungültig erklärt werden. Notfalls besorgen wir uns neue, und zwar für uns alle. Wir haben drei Strahler und einen Nadler, mehr als genug, um eine gan­ze Gruppe von Arbeitern zu überfallen.«

»Vielleicht müssen wir aber auch durch eine automatische Sperre, die uns nur dann passieren läßt, wenn wir die Waffen zurück­lassen. So etwas gibt es hier auch, habe ich mir sagen lassen.«

Das war eine Möglichkeit, die wir einkal­kulieren mußten. Und wir hatten nur noch vier Tage Zeit, diese gewaltige Strecke bis Elkinth zurückzulegen.

Kapitän Basnorek würde vergeblich auf uns warten, wenn wir es nicht schafften. Sein Schiff würde ohne uns starten, und wir waren um eine Hoffnung ärmer.

Vielleicht würde Varlakor uns nie mehr loslassen.

»Wir müssen durchkommen, und wir wer­den es auch!« sagte ich entschlossen. »Und wenn wir den ganzen Planeten gegen uns haben, wir werden es trotzdem schaffen. Aber das Gute ist, daß wir auch Freunde auf dieser Welt besitzen. Es gibt bestimmt nicht nur einen Basnorek!«

»Hoffentlich hast du diesmal recht«, sagte Fartuloon, aber es klang nicht besonders zu­versichtlich.

Ich unterhielt mich noch mit Ischtar, sch­lief zwei Stunden und mahnte dann zum Aufbruch. Es hatte wenig Sinn, noch mehr Zeit zu verlieren.

Wir packten unsere Vorräte und verließen das sichere Versteck, um einer ziemlich un­gewissen Zukunft entgegenzumarschieren. Aber wenn wir auch nicht wußten, was vor

52 Clark Darlton

uns lag, so waren wir doch alle ausnahmslos entschlossen, unter allen Umständen zu ver­suchen, Elkinth zu erreichen.

Elkinth … das klang in unseren Ohren nun fast wie ein Zauberwort, das neue Ener­gie und Zuversicht verlieh. Dabei konnte es kaum etwas anderes sein als ein mittelmäßi­ger Raumhafen, der abseits der üblichen Li­nien zwischen den Sternsystemen lag. Ich wußte, daß solche Häfen nur schlecht kon­trolliert wurden, aber auf dem Stützpunkt­planeten Varlakor war das anders. Hinzu kam, dal; die Vorgänge in Garthak und Sa­morth ein gewisses Aufsehen erregt hatten. Sicher, Daftokan Jalvoi würde niemals ver­muten, daß meine Freunde und ich dahinter­steckten denn uns mußte er für tot halten.

Es hätte mich interessiert, was mit der ZENTARRAIN passiert war? Ob sie recht­zeitig hatte fliehen können?

Für uns spielte das nun keine Rolle mehr. Wir mußten Arthamor sogar noch dankbar sein, denn sein unverhoffter Tod hatte uns einen Vorsprung verschafft, von dem ich heimlich hoffte, daß ihn niemand mehr ein­holen konnte.

Wir folgten der breiten Straße und gingen mehr als vier Stunden, ohne jemandem zu begegnen, dann standen wir abermals vor ei­nem metallenen Tor. Fartuloon öffnete es mit seiner Marke. Dahinter führte die Straße nach Elkinth in gerader Linie weiter, aber rechts und links erstreckten sich, soweit man sehen konnte, riesige Hangars mit startberei­ten Raumschiffen aller nur denkbaren Klas­

sen. Hier war eine gewaltige Flotte versam­

melt und wartete auf die Mannschaften und den Einsatzbefehl, der eines Tages unwei­gerlich eintreffen mußte. Der Krieg gegen die Maahks war noch lange nicht entschie­den.

»Schade«, meinte Fartuloon bedauernd, »daß wir uns nicht eines davon nehmen kön­nen. Dann wären wir alle Sorgen los.«

»Sie würden erst recht beginnen«, gab ich zurück. »Selbst wenn wir starten könnten, was der Sicherungen wegen unmöglich ist, würde uns die automatische Energieabwehr erwischen, noch ehe wir die Atmosphäre verlassen hätten. Nein, es gibt nur einen ein­zigen Weg, von Varlakor fortzukommen: ein unverdächtiger Frachter und ein korrupter Kapitän.«

»Basnorek …« »Er oder ein anderer, Fartuloon.« Schweigend setzten wir den Marsch zwi­

schen den Kolossen fort, bis wir endlich ein günstiges Versteck für die imaginäre Nacht fanden. Wir verkrochen uns in der noch nicht fertiggestellten Hülle eines Kreuzers.

Vier Tage blieben uns noch, um Elkinth zu erreichen.

Im Augenblick fühlten wir uns sicher. Die Sorgen hatten Zeit bis morgen.

ENDE

E N D E