2
2| Medizin 22. Juli 2015 | PFERDEWOCHE Rückenprobleme bei Reitern Der Rücken und seine Tücken Jasmin Spring* Unser Körper setzt sich aus dem aktiven und dem passiven Bewegungsappa- rat zusammen. Knochen, Gelenke und Knorpel (passiv) bilden unser Ge- rüst und die Muskulatur, Sehnen und Bänder (ak- tiv) stützen, schützen und ermöglichen unsere Bewe- gungen im Alltag. Das komplexe Zusammenspiel dieser Strukturen, das in der Kindheit mittels Bewe- gungsmustern geübt wird, ist für viele so lange selbst- verständlich, bis die ersten Probleme in Form von Schmerzen aufgrund von fehlerhaften Belastungen, Abnützung oder einer Ver- letzung auftauchen. Bei Problemen am Bewe- gungsapparat gilt es somit, zuerst abzuklären, welche Strukturen die Schmerzen verursachen. Diese Dia- gnose zu stellen, entpuppt sich in vielen Fällen als schwierig, da sich diese ver- schiedenen Strukturen im- mer gegenseitig beeinflus- sen. Die Frage, die unbe- dingt gestellt werden soll- te, lautet: Was hat die Pro- blematik ausgelöst? Der Alltag als Indikator Wichtige Informationen liefern bei der Ursachen- findung meist der Alltag und unsere Freizeitakti- vitäten. Welche Bewegun- gen und Bewegungsabläu- fe praktizieren Sie täglich und in welcher Form? Wie viele Stunden sitzen Sie pro Tag? Welchen Freizeit- aktivitäten gehen Sie nach? Sehr oft ergeben sich aufgrund solcher Fra- gen erste Eindrücke, wie man die Rückenbeschwer- den angehen könnte. Der Mensch und Bewegung Der Mensch ist ein Bewe- gungstier. Viele Jahrhun- derte lang war es unser All- tag, täglich viele Kilometer pro Tag zurückzulegen und einen Grossteil der Zeit in Bewegung zu sein. Die Veränderungen unseres täglichen Lebens von ge- henden zu meist sitzenden oder stehenden Tätigkei- ten haben massgeblich dazu beigetragen, dass ver- mehrt Probleme im Rü- ckenbereich auftreten. Die fehlende Aktivierung un- seres Bewegungsapparats und das nicht (korrekte) Beanspruchen der (Rü- cken-)Muskulatur ist eine der Hauptursachen für Rückenbeschwerden. Hin- zu kommen Fehlhaltun- gen, Verspannungen und Stress, die diese Problema- tik zusätzlich verstärken. Bei sitzender Tätigkeit Wer täglich viele Stunden sitzt, tut dies häufig in einer gebeugten Haltung. Da- rum ist es wichtig, bei einer sitzenden Tätigkeit im All- tag immer wieder aufzu- stehen, sich zu strecken, ei- nige Schritte zu gehen und dem Rücken damit eine Pause zu gönnen. Auch ein wichtiger Bestandteil, um Rückenschmerzen vorzu- beugen, ist es, den Arbeits- platz ergonomisch einzu- richten, sodass die Sitz- und Tischhöhe optimal aufeinander abgestimmt sind. Noch besser wäre ein verstellbarer Tisch, damit man seiner Arbeit auch ste- hend nachgehen kann. Das ständige Sitzen schwächt zu- dem das Gesäss, einen un- serer grössten und wich- tigsten Muskeln, wenn es darum geht, das Becken aufzurichten und eine ge- rade Haltung einnehmen zu können. Freizeitaktivität Gerade wenn eine sitzende Tätigkeit ausgeübt wird, ist es wichtig, in der Freizeit einen Ausgleich dazu zu schaffen. Aber auch bei körperlich arbeitenden Menschen sollte zu den täglichen Bewegungen, die oft einseitig sind, ein Aus- gleich geschaffen werden. Es ist nämlich keineswegs so, dass körperlich arbei- tende Menschen weniger von Rückenbeschwerden geplagt werden. Eine opti- male Vorbeugemassnah- me, die man jedem emp- fehlen kann, ist ein 20- bis 30-minütiges Krafttraining, das zwei- bis dreimal pro Woche sauber und korrekt durchgeführt wird. Wer sich und seinen Körper so vorbereitet, ist für den All- tag und viele weitere Sportarten bestens ge- wappnet. Wer bereit ist, et- was mehr Zeit aufzuwen- den, kann auch sporartspe- zifische Kraftübungen mit ins Training einbauen und Gelegentliche Rückenbeschwerden plagen einen Grossteil unserer Gesellschaft. Rückenprobleme sind eine der häufigsten Ursachen, wenn es um Arbeitsausfälle geht. Gründe für Rückenprobleme gibt es verschiedene und nicht in jedem Fall kann eine eindeutige Diagnose gestellt werden. Insbesondere sind auch viele Reiter davon geplagt, wie sich bei einer Online-Umfrage der «PferdeWoche» herausstellte. Viele Reiter werden regelmässig von Rückenschmerzen geplagt. Gemäss Leserumfrage auf www.pferdewoche.ch sind es über 80 Prozent. Foto: Annette Schelker

Rückenprobleme bei Reitern Der Rücken und seine Tücken...den jemand auf dem Pferd verbringt. Ausserdem kön-nen sich mit zunehmenden Alter, je nachdem wie stark die Belastung über

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Rückenprobleme bei Reitern Der Rücken und seine Tücken...den jemand auf dem Pferd verbringt. Ausserdem kön-nen sich mit zunehmenden Alter, je nachdem wie stark die Belastung über

2 | Medizin 22. Juli 2015 | PFERDEWOCHE

Rückenprobleme bei Reitern

Der Rücken und seine Tücken

Jasmin Spring*

Unser Körper setzt sichaus dem aktiven und dempassiven Bewegungsappa-rat zusammen. Knochen,Gelenke und Knorpel(passiv) bilden unser Ge -rüst und die Muskulatur,Sehnen und Bänder (ak-tiv) stützen, schützen undermöglichen unsere Bewe-gungen im Alltag. Daskomplexe Zusammenspieldieser Strukturen, das inder Kindheit mittels Bewe-gungsmustern geübt wird,ist für viele so lange selbst-verständlich, bis die erstenPro ble me in Form vonSchmerzen aufgrund vonfehlerhaften Belastungen,Abnützung oder einer Ver-letzung auftauchen. BeiPro ble men am Bewe-gungsapparat gilt es somit,zuerst abzuklären, welcheStrukturen die Schmerzenverursachen. Diese Dia-gnose zu stellen, entpupptsich in vielen Fällen alsschwierig, da sich diese ver-schiedenen Strukturen im-mer gegenseitig beeinflus-sen. Die Frage, die unbe-dingt gestellt werden soll -te, lautet: Was hat die Pro-blematik ausgelöst?

Der Alltag als IndikatorWichtige Informationenliefern bei der Ursachen-findung meist der Alltagund unsere Freizeitakti-vitäten. Welche Bewegun-gen und Be we gungs ab läu -fe praktizieren Sie täglichund in welcher Form? Wieviele Stunden sitzen Sie

pro Tag? Welchen Frei zeit -ak ti vi tä ten gehen Sienach? Sehr oft ergebensich aufgrund solcher Fra-gen erste Eindrücke, wieman die Rückenbeschwer-den angehen könnte.

Der Mensch und BewegungDer Mensch ist ein Bewe-gungstier. Viele Jahrhun-derte lang war es unser All-tag, täglich viele Kilometerpro Tag zurückzulegen undeinen Grossteil der Zeit inBewegung zu sein. Die

Veränderungen unserestäglichen Lebens von ge-henden zu meist sitzendenoder stehenden Tätigkei-ten haben massgeblichdazu beigetragen, dass ver-mehrt Probleme im Rü -cken bereich auftreten. Diefehlende Aktivierung un-seres Bewegungsapparatsund das nicht (korrekte)Beanspruchen der (Rü -cken-)Muskulatur ist eineder Hauptursachen fürRü cken be schwer den. Hin -zu kommen Fehlhaltun-gen, Verspannungen und

Stress, die diese Problema-tik zusätzlich verstärken.

Bei sitzender TätigkeitWer täglich viele Stundensitzt, tut dies häufig in einergebeugten Haltung. Da -rum ist es wichtig, bei einersitzenden Tätigkeit im All-tag immer wieder aufzu-stehen, sich zu strecken, ei-nige Schritte zu gehen unddem Rücken damit einePau se zu gönnen. Auch einwichtiger Bestandteil, umRückenschmerzen vorzu-beugen, ist es, den Arbeits-

platz ergonomisch einzu-richten, sodass die Sitz-und Tischhöhe optimalaufeinander abgestimmtsind. Noch besser wäre einverstellbarer Tisch, damitman seiner Arbeit auch ste-hend nachgehen kann. Dasständige Sitzen schwächt zu-dem das Gesäss, einen un-serer gröss ten und wich -tigs ten Muskeln, wenn esdarum geht, das Beckenaufzurichten und eine ge-rade Haltung einnehmenzu können.

FreizeitaktivitätGerade wenn eine sitzendeTätigkeit ausgeübt wird, istes wichtig, in der Freizeiteinen Ausgleich dazu zuschaffen. Aber auch beikörperlich arbeitendenMen schen sollte zu dentäglichen Bewegungen, dieoft einseitig sind, ein Aus-gleich geschaffen werden.Es ist nämlich keineswegsso, dass körperlich arbei-tende Menschen wenigervon Rückenbeschwerdenge plagt werden. Eine opti-male Vor beu ge mass nah -me, die man jedem emp-fehlen kann, ist ein 20- bis30-minütiges Krafttraining,das zwei- bis dreimal proWoche sauber und korrektdurchgeführt wird. Wersich und seinen Körper sovorbereitet, ist für den All-tag und viele weitereSport arten bestens ge -wapp net. Wer bereit ist, et-was mehr Zeit aufzuwen-den, kann auch sporartspe-zifische Kraftübungen mitins Training einbauen und

Gelegentliche Rückenbeschwerden plagen einen Grossteil unserer Gesellschaft.Rückenprobleme sind eine der häufigsten Ursachen, wenn es um Arbeitsausfällegeht. Gründe für Rückenprobleme gibt es verschiedene und nicht in jedem Fall kann eine eindeutige Diagnose gestellt werden. Insbesondere sind auch viele Reiterda von geplagt, wie sich bei einer Online-Umfrage der «PferdeWoche» herausstellte.

Viele Reiter werden regelmässig von Rückenschmerzen geplagt. Gemäss Leserumfrage auf www.pferdewoche.ch sind es über 80 Prozent. Foto: Annette Schelker

Page 2: Rückenprobleme bei Reitern Der Rücken und seine Tücken...den jemand auf dem Pferd verbringt. Ausserdem kön-nen sich mit zunehmenden Alter, je nachdem wie stark die Belastung über

Medizin | 3PFERDEWOCHE | 22. Juli 2015

wird nach kurzer Zeit eineVerbesserung der Bewe-gungsqualität feststellen.

Rückenschmerzen bei ReiternRückenschmerzen sindkein spezifisches Problemvon Reitern, können sichaber durch das Reiten ver-stärken. Wie bereits erläu-tert, ist es seit längerem be-kannt, dass zu wenig Bewe-

gung und zu langes Sitzenoder stehen vor allem beiunphysiologischer Körper-haltung zu Rückenschmer-zen führen können. Wer inseiner Freizeit dann zu-sätzlich einer sitzendenAktivität nachgeht, wie dasbei Reitern ein Stück weitder Fall ist, verstärkt die-sen Effekt ungewollt nochmehr. Bei Reitern kommterschwerend hinzu, dass

eine Erschütterung undStau chung der Wirbel-säule – besonders im Trab –fast nicht zu vermeiden ist.Besonders stark betroffensind ungeübte Reiter, Rei-ter mit schlechter Körper-haltung oder mit zu schwa-cher Rückenmuskulatur. Bei geübten Reitern oderReitprofis kann es zudemtrotz guter Körperhaltung,Reittechnik und einer star-ken Muskulatur zu einerÜberlastung kommen, jenachdem wie viele Stun-den jemand auf dem Pferdverbringt. Ausserdem kön-nen sich mit zunehmendenAlter, je nachdem wie starkdie Belastung über dieJahre hinweg war, Abnut-zungserscheinungen derBandscheiben bemerkbarmachen.

Rückenprobleme trotz AktivitätAber auch wenn wir uns imAlltag bewegen und sport-lich aktiv sind, kann es sein,dass Rü cken pro ble me auf-tauchen. Eine mögliche Ur-sache dafür kann die tiefer-liegende Muskulatur imBauch-, Rücken- und Ge-sässbereich sein, die demRücken die notwendigeStabilität geben sollte.Wenn diese Muskeln zuschwach sind, gar nichtmehr reagieren oder bei ei-ner entsprechenden Bewe-gung nicht zur rechten Zeitin Aktion treten, wird derRücken in der Bewegungnicht ausreichend stabili-siert. Diese Muskeln kön-nen ihre Funktion und das

Zusammenspiel un ter ei -nan der «verlernen» wegenFehlhaltungen, ein seitigenDauerbelas tun gen oder Be-wegungsmangel. Diese Dis-

funktion führt langfristig zuVerspannungen, Abnut-zungserscheinungen, bis hinzu Verletzungen undschliesslich zu Schmerzen.

Tipps für ReiterSpezifische Tipps für Reiter allgemein• Bei schwacher Rückenmuskulatur den Trab nicht allzu

lange am Stück aussitzen, sondern zwischendurch leicht-traben (ist weniger ermüdend für die Muskulatur). Trotz-dem immer wieder kurze Sequenzen aussitzen, um denRücken zu stärken.

• Korrekter, gerader und aufrechter Sitz auf dem Pferd, da-mit unsere doppel-S-förmige Wirbelsäule durchschwin-gen kann.

• Falls möglich taktklaren Tölt reiten. Tölt kann Blockadenlösen und schont den Reiterrücken.

• Die eigene Haltung auf dem Pferd regelmässig überprüfenlassen – von einem erfahrenen Reitlehrer und anhand vonVideoaufnahmen.

Spezifische Tipps für Reiter mit vorhandenen Beschwerden• Nach Möglichkeit keine «heftigen» Pferde reiten.• Keine Ausbildung von Jungpferden, die noch nicht im Takt

gehen können.• Das Pferd nicht auf die Hand reiten.

Allgemeine Tipps • Haltungsbeurteilung durchführen lassen: Verspannungen

lösen und an Schwachpunkten arbeiten.• Regelmässige Massagen.• Generell mehr Bewegung.• Gezieltes, regelmässiges Krafttraining für den Rücken.• Bei einer sitzenden Tätigkeit regelmässige Bewegungs-

pausen: kurz aufstehen, strecken, einige Schritte gehen.• Den Arbeitsplatz ergonomisch einrichten (Stuhl, Stuhl-

höhe, Pulthöhe), falls möglich Stehpult.• Bei körperlicher Arbeit oder zu Hause rückengerechtes

Heben und Tragen.• Geeignete Matratze.• Omega-3-Fettsäuren unterstützen den Körper unter ande-

rem, um gegen Entzündungen vorzugehen.

* Jasmin Spring, Fitness -trainerin und Gesundheits -managerin, konnten wir füreine neue «PferdeWoche»-Ko lum ne gewinnen. Unterdem Titel «Fit & Gesund» wird sie in loser Folge rundum die Themen Bewegung,Ernährung, Entspannung und Gesundheit schreiben.

[email protected]

In eigener Sache

21.7 % (blau) leiden täglich unter Rückenschmerzen; 22.1 %(rot) wöchentlich; 18.8% (grün) mehrmals pro Monat; 37.5 % (lila) unregelmässig oder bei starker Belastung.

22.9 % (blau) betätigen sich neben dem Reiten mit Ausgleichs -sport, sogar mehrmals pro Woche; 9.6 % (rot) betreiben ande-ren Sport mehrmals pro Monat; 35.3 % (grün) unregelmässig.32.2 % (lila) machen gar keinen Ausgleichssport.

Daten der Leserumfrage auf «PferdeWoche»-Online

• 302 Leser haben sich an derUmfrage der «PferdeWo-che» beteiligt.

• 90.4 % davon sind weiblich;9.6 % männlich.

• Mit 42.7 % war der grössteTeil zwischen 25 bis 39 Jahrealt; 36.8 % unter 25; 15.2 %zwischen 40 und 55; und5.3 % über 55.

• Mehr als zwei Drittel(67.1%) reiten fünf- bis sie-benmal pro Woche. 22.3%reiten ein- bis viermal proWoche und 10.6% unregel-mässig.

• Mit 61.6% reitet der grössteTeil ein Pferd pro Mal.Knapp ein Drittel reitenzwei, nur 11.6% der Teil-nehmer der Umfrage reitendrei und mehr Pferde proMal.

• 81.9% werden aktuell oderwurden schon einmal vonRückenschmerzen geplagt.18.1% leidet nicht darunter.

• Dabei werden die Schmer-zen im Mittel aller Umfra-geteilnehmer so stark ein-gestuft, dass sie deutlichspürbar, aber meistens

ohne Medikamente erträg-lich sind.

• 23.24% leiden im Zusam-menhang mit dem Reitenregelmässig oder gelegent-lich unter anderen Be-schwerden. Am häufigstenwerden dabei Bauch-schmerzen, Nacken, Knie,Hüfte, Adduktoren, Schul-tern und Fussgelen ke ge-nannt.

www.pferdewoche.chfacebook.com/pferdewocheTwitter: @pferdewoche

21.7 %

37.5%

18.8 %

22.1 %

32.2 %22.9 %

9.6 %

35.3 %