27
1 RECHT AKTUELL 2/2011 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, mit dieser druckfrischen Ausgabe von Recht Aktuell möchten wir Sie zur Jahresmitte über relevante Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung informieren. Auf den nachfolgenden Seiten haben wir Ihnen eine Auswahl an aktuellen Themen in einigen der von uns betreuten Rechtsgebiete zusammengestellt. Neben Beiträgen zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen informieren wir Sie über Neues u.a. aus dem Privaten Bau- und Architektenrecht, dem Öffentlichen Baurecht, dem Gewerblichen Rechtsschutz, dem Handels- und Gesellschaftsrecht sowie dem Vergaberecht. Wir hoffen, Ihnen mit dieser Ausgabe entscheidende Hinweise und Anregungen für Ihre geschäftliche Praxis lie- fern zu können und wünschen Ihnen eine Gewinn bringende Lektüre. Bei Fragen stehen Ihnen die Autoren sowie das gesamte Kaufmann-Lutz-Team sehr gerne zur Verfügung. Herzliche Grüße Ihre Kaufmann Lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbH EDITORIAL Recht Aktuell 2/2011

Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

1

Recht Aktuell 2/2011

Sehr geehrte leserinnen und leser,

mit dieser druckfrischen Ausgabe von Recht Aktuell möchten wir Sie zur Jahresmitte über relevante entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung informieren.

Auf den nachfolgenden Seiten haben wir Ihnen eine Auswahl an aktuellen themen in einigen der von uns betreuten Rechtsgebiete zusammengestellt. Neben Beiträgen zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen informieren wir Sie über Neues u.a. aus dem Privaten Bau- und Architektenrecht, dem Öffentlichen Baurecht, dem Gewerblichen Rechtsschutz, dem handels- und Gesellschaftsrecht sowie dem Vergaberecht.

Wir hoffen, Ihnen mit dieser Ausgabe entscheidende hinweise und Anregungen für Ihre geschäftliche Praxis lie-fern zu können und wünschen Ihnen eine Gewinn bringende lektüre. Bei Fragen stehen Ihnen die Autoren sowie das gesamte kaufmann-lutz-team sehr gerne zur Verfügung.

herzliche Grüße

Ihre kaufmann lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbh

edItoRIAl

Recht Aktuell 2/2011

Page 2: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

3

Arbeitsrecht Neue entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG)Insolvenz des Nachunternehmers – haftung des hauptunternehmers nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz

Privates Bau- und Architektenrecht Zum Risiko der vorzeitigen Verjährung von Forderungen aus Bürgschaften beim Bauvertrag Verhandlungsprotokoll kann kaufmännisches Bestätigungs-schreiben sein!Naht das ende der VoB/B? lG heidelberg kippt Zahlungs- und Verzugsregelungen der VoB/BMerkantiler Minderwert – Minderung des Verkaufswertes eines Gebäudes trotz ordnungsgemäßer MängelbeseitigungVom Vertrag abweichendes Bauen durch den unternehmer und die konsequenzen für die NacherfüllungAufrechnungsverbot in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Werkverträgen unwirksam

Öffentliches Baurecht Mobilfunkbasisstationen auch in reinen Wohngebieten zulässig

Gewerblicher Rechtsschutzunzulässige Werbung der Reparaturwerkstatt Atu mit der Bildmarke des Automobilherstellers VW

Handels- und Gesellschaftsrecht direkte eigenkapitalbeteiligung von Investoren – rechtliche RahmenbedingungenRechtsdurchsetzung gegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihre Gesellschafter

VergaberechtNeues zur dienstleistungskonzession

46

8

9

10

12

13

15

17

19

20

22

24

carsten huch-hallwachsdr. Susanne Adlberger

dr. Wolfgang Abel

dr. Robert castor

dr. Michael t. Stoll

dr. René Poew

dr. Sebastian Schwartz

Magdalena Götsche

dr. christian Braun

carsten huch-hallwachs

dr. Bernhard Noreisch

dr. christian dittert

dr. Mathias Mantler

INhAltSVeRZeIchNIS

Recht Aktuell 2/2011

Recht Aktuell 2/2011

Page 3: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

4Recht Aktuell 2/2011

ARBeItSRecht

1. Geschlechtsbezogene Benachteiligung bei tariflichem Vorruhestand (Urteil des BAG vom 15.02.2011, Az.: 9 AZR 584/09)

Benachteiligungen, die jemandem aus Gründen des Geschlechts widerfahren, sind nach §§ 7, 1 Allge-meines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu verhin-dern bzw. zu beseitigen. Insoweit sind auch tarif-vertragliche Regelungen, die Frauen wegen ihres Geschlechts unangemessen benachteiligen, unwirk-sam.

eine solche Benachteiligung kann nach Auffassung des BAG auch vorliegen, wenn ein Versorgungsver-hältnis nach einer tarifvertraglichen Vorschrift zu einem Zeitpunkt endet, zu dem der Versorgungs-empfänger vorzeitig Altersrente in Anspruch neh-men kann. denn das gesetzliche Rentenrecht regelt die Möglichkeit, vorzeitige Altersrente zu beziehen, für Männer und Frauen unterschiedlich. Während Frauen bestimmter Geburtsjahrgänge gemäß § 237a Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI nach Vollendung des 60. lebensjahres vorzeitige Altersrente bean-spruchen können, besteht diese Möglichkeit für Männer erst nach Vollendung des 63. lebensjahres. tarifvertragsparteien können diesen Nachteil besei-tigen, indem sie für die kürzere Bezugsdauer einen finanziellen Ausgleich schaffen.

In einer kürzlich vor dem BAG verhandelten Rechts-auseinandersetzung ist die klägerin im Jahre 2005 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus-geschieden. Nach einem in dem unternehmen der Beklagten bestehenden tarifvertrag bezog die klä-gerin im unmittelbaren Anschluss an das Arbeitsver-hältnis ein Jahr lang Versorgungsleistungen in Form von Übergangsgeld. Nach den tarifvertraglichen Re-gelungen sollte das Versorgungsverhältnis zu dem Zeitpunkt enden, zu dem der empfänger von Über-gangsgeld vorzeitig Altersrente in Anspruch nehmen

konnte. dies war bei der klägerin 2006 der Fall, nach-dem sie in diesem Jahr das 60. lebensjahr vollendet hatte. ungeachtet dessen begehrte die klägerin eine Gleichbehandlung mit den männlichen Versorgungs-empfängern, die wiederum hinsichtlich des Über-gangsgeldes bis zur Vollendung des 63. lebensjahres bezugsberechtigt sind. das Arbeitsgericht (ArbG) hatte die klage abgewiesen, das landesarbeitsge-richt (lAG) ihr stattgegeben. das BAG wiederum hat die entscheidung des lAG aufgehoben und die Sa-che zurückverwiesen. das BAG bestätigte in diesem Zusammenhang, dass die vorliegende Anknüpfung an das gesetzliche Rentenversicherungsrecht eine Benachteiligung für die Frauen darstellen kann, die nicht zu rechtfertigen ist. Allerdings hat das lAG noch abschließend zu prüfen, inwieweit die sonstigen tariflichen Regelungen und leistungen geeignet sind, diesen Nachteil des kürzeren Bezugszeitraums aus-zugleichen.

2. Sachgrundlose Befristung und „Zuvor-Beschäfti-gung“ (Urteil des BAG vom 06.04.2011, Az.: 7 AZR 716/09)

Nach § 14 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über teilzeitar-beit und befristete Arbeitsverträge („teilzeit- und Befristungsgesetz“ – tzBfG) ist die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nur bis zur dauer von zwei Jahren zulässig. Sofern allerdings mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsver-hältnis bestanden hat, ist auch diese Befristung ge-mäß § 14 Abs. 2 S. 2 tzBfG unzulässig.

das BAG hat nunmehr entschieden, dass der Mög-lichkeit, ein Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund bis zu zwei Jahre zu befristen, nicht eine frühere Beschäf-tigung des Arbeitnehmers entgegensteht, wenn diese mehr als drei Jahre zurückliegt. dies ergebe sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift unter Berücksich-

ARBeItSRecht

Neue Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

carsten huch-hallwachs | [email protected]

Page 4: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

5

ARBeItSRecht

Recht Aktuell 2/2011

tigung verfassungsrechtlicher Grundsätze. die Vor-schrift soll zum einen Arbeitgebern ermöglichen, auf schwankende Auftragslage und wechselnde Markt-bedingungen durch befristete einstellungen zu rea-gieren. Für Arbeitnehmer wiederum soll eine Brücke zur dauerbeschäftigung geschaffen werden. durch das Verbot der „Zuvor-Beschäftigung“ sollen in ers-ter linie Befristungsketten und der Missbrauch be-fristeter Arbeitsverträge verhindert werden. es darf aber nicht zu einem totalen einstellungshindernis für frühere Mitarbeiter führen. Gerade bei lange zurück-liegenden früheren Beschäftigungen rechtfertigt der Gesetzeszweck die Beschränkung der Vertragsfrei-heit der Arbeitsvertragsparteien und die damit ver-bundene einschränkung der Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers nicht mehr.

Während die herrschende Meinung noch früher die Auffassung vertreten hatte, dass jedes irgendwann in der Vergangenheit liegende Arbeitsverhältnis eine „Zuvor-Beschäftigung“ im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 tzBfG darstellt, ist deren Anwendung nach dem BAG nun nicht mehr erfasst, wenn ein früheres Arbeits-verhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. die Ge-fahr missbräuchlicher Befristungsketten besteht dann regelmäßig nicht mehr. dieser Zeitraum ent-spricht auch der gesetzgeberischen Wertung, die in der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist zum Ausdruck kommt.

die klägerin in der vorliegenden Rechtsstreitigkeit war beim beklagten Freistaat aufgrund eines befris-teten Arbeitsvertrags vom 01.08.2006 bis 31.07.2008 als lehrerin beschäftigt. Während ihres Studiums hatte sie bereits vom 01.11.1999 bis 31.01.2000 ins-gesamt 50 Stunden als studentische hilfskraft für den Freistaat gearbeitet. Mit ihrer klage hatte sie sich gegen die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt. die klage hatte allerdings in allen drei In-stanzen keinen erfolg. die mehr als sechs Jahre zurückliegende frühere Beschäftigung der klägerin stand der sachgrundlosen Befristung ihres Arbeits-vertrags nicht entgegen.

3. Widerruf einer in Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen (AGB) geregelten Zulage – ergänzende Vertragsauslegung in Altfällen (Urteil des BAG vom 20.04.2011, Az.: 5 AZR 191/10)

Seit der Schuldrechtsnovellierung mit Wirkung ab dem 01.01.2002 müssen die Gründe für den Wider-ruf einer leistung, die vormalig gewährt wurde, verständlich und nachvollziehbar in der jeweiligen Vertragsklausel dargelegt werden. Fehlen diese An-gaben, ist die klausel nach §§ 308 Nr. 4, 307 BGB unwirksam. Auch der Widerruf einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen versprochenen leistung des Arbeitgebers darf nicht grundlos erfolgen. die hier-durch entstandene Vertragslücke kann nur in vor dem 01.01.2002 vereinbarten klauseln im Wege er-gänzender Vertragsauslegung geschlossen werden.

ein kläger war bei dem beklagten Verein als tierarzt tätig. der Arbeitsvertrag von 1990, der vom Beklag-ten ausformuliert worden war, sah die Gewährung ei-ner widerruflichen Zulage vor, ohne die potenziellen Widerrufsgründe explizit zu benennen. Mit Schreiben vom September 2007 widerrief der Beklagte die- se Zulage zum 31.12.2007. hiergegen wendet sich der kläger. das ArbG hat die klage abgewiesen, das lAG ihr stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten ist die Sache an das lAG zur weiteren Sachaufklä-rung über die behaupteten wirtschaftlichen Gründe zurückverwiesen worden. die klausel ist nach dem BAG unwirksam, weil sie in formeller hinsicht den strengeren Anforderungen des Schuldrechtsmoder-nisierungsgesetzes nicht mehr genügt. Allerdings ist bei sogenannten Altfällen zur Verhinderung einer unzulässigen Rückwirkung und ungewollten Benach-teiligung zur Schließung der entstandenen Vertrags-lücke eine ergänzende Vertragsauslegung geboten und vorzunehmen.

Page 5: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

6Recht Aktuell 2/2011

ARBeItSRecht

1. Ausgangslage

In § 1a Arbeitnehmerentsendegesetz (AentG) a.F. bzw. § 14 AentG in der seit 01.04.2006 geltenden Fassung wird eine verschuldensunabhängige haftung des Ge-neralunternehmers für Nettomindestentgelte und Sozialkassenbeiträge eines von diesem beauftragten unternehmens normiert. diese haftung gleich einem Bürgen entsteht, sobald ein unternehmen Bauarbei-ten in Auftrag gegeben hat und die nach den Vorga-ben des AentG festgelegten Nettomindestentgelte vom beauftragten Sub- bzw. Nachunternehmer nicht gezahlt werden. Auch Subunternehmer, die ihrerseits Nachunternehmen beauftragen, werden ebenso wie Generalunternehmer erfasst. die haftung nach § 1a AentG a.F. (§ 14 AentG n.F.) soll den hauptunterneh-mer veranlassen, bei der Vergabe von Aufträgen an Nachunternehmer verstärkt auf deren Zuverlässig-keit zu achten und so dazu beizutragen, dass zwin-gende Mindestarbeitsbedingungen eingehalten wer-den. hierdurch wollte der Gesetzgeber Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft verhindern, mehr Arbeitsplätze schaffen und Schmutzkonkurrenz unterbinden, die kleinere und mittlere Betriebe in der Vergangenheit vom Markt gedrängt hatte. das Bundesarbeitsge-richt (BAG) hatte sich in seiner entscheidung vom 08.12.2010 (Az.: 5 AZR 95/10) damit zu beschäftigen, ob bei Insolvenz des Nachunternehmers die Bürgen-haftung des hauptunternehmers bei Zahlung von In-solvenzgeld durch die Bundesagentur für Arbeit wei-ter besteht und die zugehörigen Ansprüche auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen.

2. Entscheidung

In dem zu entscheidenden Fall hatte die Bundesagen-tur für Arbeit als klägerin die hauptunternehmerin als Beklagte wegen der leistung von Insolvenzgeld aus übergegangenem Recht nach § 1a AentG a.F. in Anspruch genommen. die Beklagte war ein Bau-unternehmen und führte über eine Arbeitsgemein-schaft (ARGe) ein Bauvorhaben durch. die ARGe beauftragte eine Nachunternehmerin h. mit der Aus-führung von Beton- und Stahlbetonarbeiten. Über das

Vermögen der h. wurde im April 2005 das Insolvenz-verfahren eröffnet. die Bundesagentur für Arbeit gewährte daraufhin 69 Arbeitnehmern der h. Insol-venzgeld und meldete mit Schreiben vom 08.04.2005 übergegangene Ansprüche auf Arbeitsentgelt in höhe von € 250.000,00 zur tabelle an. Mit Schreiben vom 14.12.2007 machte sie gegenüber der Beklag-ten einen Anspruch nach § 1a AentG a.F. in höhe von € 201.225,80 geltend. Mit ihrer klage hat die Bundes-agentur geltend gemacht, die 69 Arbeitnehmer der h., denen sie Insolvenzgeld gewährte, seien im Insolvenz- geldzeitraum auf dem Bauvorhaben S. beschäftigt gewesen. Ansprüche der Arbeitnehmer gegen die Beklagte aus § 1a AentG a.F. seien nach § 187 Sozi-algesetzbuch (SGB) III auf sie übergegangen. die Be-klagte hatte klageabweisung beantragt und die Auf-fassung vertreten, dass die haftung nach § 1a AentG nicht auf die Bundesagentur für Arbeit übergehe. das erstinstanzliche Arbeitsgericht hatte der klage statt-gegeben. das landesarbeitsgericht hat die klage auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen. die Re-vision der klägerin hatte keinen erfolg.

das BAG ließ in seinem urteil zunächst offen, ob ein Anspruch nach § 1a AentG a.F. überhaupt im Falle der Insolvenz des Subunternehmers gegeben ist. das BAG stellte jedoch fest, dass jedenfalls ein solcher Anspruch, wenn er überhaupt besteht, weder unmit-telbar nach § 187 S. 1 SGB III noch i.V.m. §§ 412, 401 Abs. 1 BGB auf die Bundesagentur für Arbeit als klä-gerin übergegangen ist. Nach Ansicht des BAG gehen gem. § 187 S. 1 SGB III zwar mit dem Antrag auf In-solvenzgeld Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, auf die Bun-desagentur für Arbeit über. Jedoch betrifft dies nur den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber, nicht aber die haftung nach § 1a AentG a.F., da diese selbst keinen Anspruch auf In-solvenzgeld begründet. Auch die Möglichkeit, dass der haftungsanspruch als Sicherungsanspruch zu dem gem. § 187 S. 1 SGB III übergegangenen lohn-anspruch mit übergeht, schließt das BAG aus. Zwar gehen grundsätzlich auch mit kraft Gesetzes über-gegangenen Forderungen die Nebenrechte wie hy-

Insolvenz des Nachunternehmers – Haftung des Hauptunter-nehmers nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz

dr. Susanne Adlberger | [email protected]

Page 6: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

7

ARBeItSRecht

Recht Aktuell 2/2011

potheken, Pfandrechte oder Rechte aus einer Bürg-schaft auf den neuen Gläubiger über. das BAG verneint jedoch, dass die haftung nach § 1a AentG a.F. eine im Sinne des § 401 BGB bestellte Bürgschaft ist. diese sei vielmehr nur eine gesetzlich angeordnete Bür-genhaftung, die nicht als Nebenrecht im Sinne des § 401 Abs. 1 BGB zu werten ist. Auch erfasst der § 401 BGB andere unselbstständige Sicherungsrechte sowie hilfsrechte, die zur durchsetzung der Forde-rung erforderlich sind. die haftung nach § 1a AentG ist zur durchsetzung des Mindestlohnanspruchs des Arbeitnehmers des BAG aber nicht erforderlich, denn mit dem Insolvenzgeld ist dem Arbeitnehmer in die-sem umfange die erfüllung seines Anspruchs gewiss. Ferner ist bereits aus dem Gesetzeszweck heraus die haftung nach § 1a AentG a.F. kein unselbstständiges Sicherungsrecht, da § 1a AentG a.F. nicht nur der Si-cherung der Arbeitnehmeransprüche auf Arbeitsent-gelt diene, sondern letztlich den präventiven Zweck verfolge, den hauptunternehmer zu veranlassen, bei der Vergabe von Aufträgen an Nachunternehmer ver-stärkt auf deren Zuverlässigkeit zu achten.

Nach Ansicht des BAG war damit weder über § 187 SGB III noch über §§ 412, 401 BGB ein Übergang der

haftungsansprüche auf die Bundesagentur für Arbeit gegeben.

3. Fazit

das BAG hat explizit offen gelassen, ob im Falle der Nichtzahlung des Arbeitsentgelts aufgrund Insolvenz des Nachunternehmers ein Anspruch aus § 1a AentG entsteht, d.h. ob der hauptunternehmer überhaupt bei Insolvenz für das Mindestentgelt haftet oder nur bei anderen Fällen der Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Nachunternehmers. diese Frage wird Gegenstand einer anderen entscheidung sein müssen. Zumindest wurde jedoch durch die Ver-neinung eines Übergangs der Ansprüche nach § 1a AentG a.F. das haftungsrisiko für den hauptunter-nehmer verringert. die haftung des hauptunterneh-mers erlischt nach entscheidung des BAG jedenfalls mit und im umfang der Zahlung von Insolvenzgeld durch die Bundesagentur für Arbeit. In höhe des In-solvenzgeldes scheidet damit eine haftung des Gene-ralunternehmers bei Insolvenz seines Subunterneh-mers aus.

Page 7: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

8

1. Problemstellung

Mit der einführung der kurzen Verjährung durch die Schuldrechtsmodernisierung gilt als regelmäßige Verjährungsfrist auch für Forderungen aus einer Bürgschaft die kurze Verjährung von drei Jahren zum Jahresende. Für die Verjährung einer Bürgschafts-forderung kann dies bedeuten, dass diese früher ver-jährt als die gesicherte hauptforderung, beispiels-weise aus einem Bauvertag über ein Bauwerk, weil dort die regelmäßige Verjährung fünf Jahre beträgt. In der Praxis kann dies also dazu führen, dass bei ei-ner Inanspruchnahme des Werkunternehmers kurz vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist die zur Sicherung übergebene Forderung aus der Bürgschaft bereits verjährt ist.

2. Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)

Bereits im Jahre 2008 hatte der XI. Zivilsenat des BGh entschieden, dass die Bürgschaftsforderung mit der Fälligkeit der hauptschuld entsteht, so dass zu diesem Zeitpunkt auch die Verjährungsfrist für die Bürgschaftsforderung zu laufen beginnt. der für Bauverträge zuständige VII. Zivilsenat hat sich dem jetzt in einem urteil vom 10.02.2011 (Az.: VII ZR 53/10) angeschlossen. Für die Praxis kann diese Frage da-mit als geklärt gelten.

entgegen einer teilweise in der literatur vertretenen Auffassung ist es demzufolge für den Beginn der Ver-jährung nicht erforderlich, dass der Bürge seinerseits – z.B. mit einer Zahlungsaufforderung – in Anspruch genommen worden ist. Vielmehr ist es ausreichend, dass die hauptforderung, also beispielsweise eine Forderung wegen Mängeln, entstanden ist. dabei kommt es nach der herrschenden Meinung für ein solches „entstehen“ von durch eine Mängelbürg-

schaft gesicherten Forderungen regelmäßig nur da-rauf an, dass hinsichtlich eines Mängelanspruchs ein auf Geldzahlung gerichteter Anspruch entstanden ist, was regelmäßig bereits dann der Fall ist, wenn eine angemessene Frist zur Mangelbeseitigung gesetzt wurde und diese fruchtlos abgelaufen ist.

3. Auswirkungen auf die Praxis

Für die Praxis bedeutet dies, dass bei der Verfolgung von Mängelrechten stets sorgfältig zu prüfen ist, wann hinsichtlich einer wegen solcher Mängelrechte vorhandenen Bürgschaft Verjährung droht. empfeh-lenswert dürfte eine selbstständige Fristenkontrolle im Rahmen der Gewährleistungsabwicklung sein.

um ein Beispiel zu bilden: Wurde wegen eines Man-gels, der bei der Abnahme festgestellt wurde, eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt, die fruchtlos abgelaufen ist, so würde der Anspruch gegen den Werkunternehmer in diesem Fall, sofern es um die errichtung eines Bauwerks geht, erst fünf Jahre nach Abnahme verjähren. demgegenüber wäre die Bürgschaftsforderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich nach Ablauf von drei Jahren zum Jahresende nach der Abnahme verjährt, sofern nicht dem Bürgen gegenüber verjährungshemmende Maß-nahmen ergriffen wurden.

4. Beschränkte Möglichkeiten zur Vertrags- gestaltung

Verbreitet sind neuerdings klauseln, in denen ver-sucht wird, die Verjährung von Bürgschaftsforderung und Forderung gegen den Werkunternehmer gleich-zustellen. diese klauseln unterliegen im Regelfall AGB-rechtlichen Bedenken, und zwar insbesondere für den Fall, dass die AGB-rechtlich maßgebliche,

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Zum Risiko der vorzeitigen Verjährung von Forderungen aus Bürgschaften beim Bauvertrag

dr. Wolfgang Abel | [email protected]

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

Page 8: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

9

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

kundenfeindliche Auslegung ergibt, dass auch ge-genüber dem hauptschuldner, dem Werkunterneh-mer, ergriffene hemmungstatbestände zu lasten des Bürgen wirken sollen. Mit einer derartigen Re-gelung wird nämlich vom gesetzlichen leitbild der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 768 Abs. 2 BGB abgewichen. hin-zu kommt, dass keine klarheit darüber besteht, ob überhaupt eine Verlängerung der gesetzlichen Ver-jährungsfrist von drei Jahren AGB-rechtlich zulässig ist. die Rechtsprechung war bislang mit solchen Ver-längerungen bei Bauverträgen zurückhaltend.

5. Praxistipp

Für die Praxis wichtig erscheint es daher in jedem Fall, auf die Wirksamkeit entsprechender AGB-klauseln nicht zu vertrauen. es sollten vielmehr vor-sorglich in jedem einzelfall die Verjährung der Bürg-schaftsforderung gesondert erfasst und gegenüber dem Bürgen verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden.

1. Leitsatz (BGH, Urteil vom 27.01.2011, Az.: VII ZR 186/09, vorgehend: OLG Frankfurt, Urteil vom 05.11.2011, Az.: 3 U 45/08)

„der Vertretene, der auf einladung zu einem termin zur Verhandlung über einen bereits geschlossenen Vertrag einen Vertreter ohne Vertretungsmacht entsendet, muss sich dessen erklärung nach den zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben entwi-ckelten Grundsätzen zurechnen lassen, wenn er den im über die Verhandlung erstellten Protokoll enthal-tenen und unterschriebenen erklärungen des Vertre-ters nicht unverzüglich nach Zugang des Protokolls widerspricht.“

2. Sachverhalt

Zwischen den Parteien des Rechtsstreits besteht ein Vertrag über holzbauarbeiten für ein Flachdach. die im ursprünglichen Vertrag vereinbarte Gewähr-leistungsfrist von vier Jahren (§ 13 VoB/B) wurde in einer nachträglichen Verhandlung auf fünf Jahre verlängert. Zu dieser Vertragsverhandlung, über die auch ein Verhandlungsprotokoll erstellt wurde, ent-sandte der Bauunternehmer einen nicht vertretungs-berechtigten Mitarbeiter. Nachdem es im Folgenden zu erheblichen Mängeln an der holzkonstruktion

gekommen ist, streiten die Parteien im Prozess über die dauer der Verjährungsfrist. Während der Bauherr die nachträglich festgelegte fünfjährige Verjährungs-frist in Anspruch nimmt, steht der unternehmer auf dem Standpunkt, eine entsprechende Vereinbarung sei nicht wirksam zustande gekommen, weil der Mit-arbeiter bei der Nachverhandlung des Vertrages kei-ne Vollmacht gehabt habe.

3. Entscheidung des BGH

das Gericht gibt dem Bauherrn Recht, da der unter-nehmer den Inhalt des nachträglich erstellten Ver-handlungsprotokolls gegen sich gelten lassen müs-se. Zunächst prüft das Gericht, ob die erklärungen des Mitarbeiters nicht schon nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht dem Auftragnehmer zu-gerechnet werden können. der BGh stellt insofern klar, dass derjenige, der einen Mitarbeiter zu einer Vertragsverhandlung entsendet, damit zum Aus-druck bringe, dass der Mitarbeiter auch bevollmäch-tigt sei, entsprechende erklärungen abzugeben. Auf diesen Rechtsschein könne der Vertragspartner regelmäßig vertrauen, wobei dies ausdrücklich nur für Besprechungen gelte, die erkennbar vertrag-liche Vereinbarungen zum Gegenstand haben. da diese Voraussetzung im konkreten Fall streitig war

Verhandlungsprotokoll kann kaufmännisches Bestätigungs-schreiben sein!

dr. Robert castor | [email protected]

Page 9: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

10

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

und nicht abschließend festgestellt werden konnte, prüft das Gericht im Folgenden eine entsprechende Anwendung der Grundsätze zum sogenannten „kauf-männischen Bestätigungsschreiben“: danach kommt eine Vereinbarung – auch abweichend von der wirk-lichen einigung – mit dem Inhalt des Bestätigungs-schreibens zustande, wenn die andere Vertragspar-tei dem Bestätigungsschreiben nicht unverzüglich widerspricht und die Abweichung nicht so wesentlich ist, dass mit einem einverständnis nicht gerechnet werden kann. diese Grundsätze sind nach Auffas-sung des BGh auch auf die Übersendung eines un-terschriebenen Verhandlungsprotokolls anwendbar, da hiermit eine Vertragsverhandlung bestätigt wer-de, die naturgemäß eine Vertretungsbefugnis der Anwesenden voraussetze. da der Bauunternehmer trotz kenntnis der fehlenden Vertretungsmacht sei-nes Mitarbeiters dem Verhandlungsprotokoll nicht widersprochen habe, müsse er den Inhalt des Bestä-tigungsschreibens also gegen sich gelten lassen.

4. Praxistipp

Für die Praxis ergibt sich aus der entscheidung des BGh Folgendes:

- Wird ein Vertreter ohne Vertretungsmacht zu einer Besprechung entsendet, die (möglicherweise auch) Vertragsverhandlungen zum Gegenstand hat, muss klargestellt werden, dass der Mitarbeiter keine Vollmacht hat. dies sollte ausdrücklich im Bespre-chungsprotokoll festgehalten werden. erfolgt eine solche klarstellung nicht, muss damit gerechnet werden, dass die erklärungen des vollmachtlosen Vertreters später zugerechnet werden (Anscheins- oder duldungsvollmacht).

- Wird ein Verhandlungsprotokoll über Vertragsver-handlungen übersendet und entspricht der Inhalt nicht den tatsächlichen Absprachen, so muss dem unverzüglich widersprochen werden. dies gilt auch im hinblick auf die im Verhandlungsprotokoll unter-stellte Vollmacht der Anwesenden zum Abschluss der Vereinbarung.

1. Entscheidung des LG Heidelberg

In einem vom landgericht (lG) heidelberg entschie-denen Sachverhalt (urteil vom 10.12.2010, Az.: 3 o 170/10) ist die vom Auftragnehmer erstellte Schluss-rechnung dem Auftraggeber am 25.03.2010 zugegan-gen. In der Schlussrechnung hatte der Auftragneh-mer vermerkt: „Zahlbar ohne Abzug bis 25.05.2010“. der Auftraggeber zahlte bis dahin nicht. ohne dass der Auftragnehmer eine Nachfrist zur Zahlung ge-setzt hatte, klagte der Auftragnehmer nunmehr Ver-zugszinsen ein.

das lG heidelberg gibt dem Auftragnehmer in wei-ten teilen Recht. es führt aus, dass die zweimonatige

Schlussrechnungsprüffrist nicht wirksam vereinbart sei, da die Regelung von der gesetzlichen Regelung abweiche. diese sieht vor, dass Fälligkeit des Werk-lohns mit der Abnahme eintrete. demgegenüber ver-schiebe die VoB/B die Fälligkeit um mehr als zwei Monate ab Rechnungsstellung nach hinten, was den Auftragnehmer unangemessen belaste. da vorlie-gend auf Grund vereinbarter Änderungen die soge-nannte AGB-rechtliche Inhaltskontrolle der VoB/B stattfinde, sei die Fälligkeitsregelung der VoB/B als unwirksam anzusehen, mit der Folge, dass an Stelle dessen die gesetzliche Regelung gelte. ebenso sei die Regelung in § 16 Abs. 5 Nr. 3 VoB/B unwirksam, nach der der Auftragnehmer erst Zinsen ab dem ende der Nachfrist verlangen kann. Auch dies sei eine Abwei-

Naht das Ende der VOB/B? LG Heidelberg kippt Zahlungs- und Verzugsregelungen der VOB/B

dr. Michael t. Stoll | [email protected]

Page 10: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

11

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

chung von dem gesetzlichen Grundgedanken, der einen automatischen Verzugseintritt bei entgeltfor-derungen 30 tage nach Rechnungszugang vorsieht (§ 286 Abs. 3 BGB).

da der Auftragnehmer in dem entschiedenen Sach-verhalt eine Zahlungsfrist bis 25. Mai 2010 gesetzt hatte, war das Gericht der Auffassung, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Vergütungsforderung gestun-det war und Verzugszinsen nicht anfallen konnten. Ab diesem Zeitpunkt hatte das lG heidelberg dem Auf-tragnehmer jedoch die Verzugszinsen zugesprochen, ohne dass die Voraussetzungen nach der VoB/B hier-für vorlagen.

2. Praxistipp

das lG heidelberg steht mit seiner Auffassung nicht alleine. Auch das oberlandesgericht (olG) München und das olG celle sind der Auffassung, dass die Fäl-ligkeitsregelungen der VoB/B den Auftragnehmer un-angemessen benachteiligen. der Bundesgerichtshof (BGh) hatte gar im Jahr 2009 (urteil vom 20.08.2009, Az.: VII ZR 212/07) schon die Verzugsregelung der VoB/B für unwirksam erklärt (bei Verwendung der VoB/B durch den Auftraggeber).

hintergrund hierfür ist, dass die Regelungen für All-gemeine Geschäftsbedingungen Anwendung finden, wenn die VoB/B gegenüber einem Verbraucher ver-wendet wird oder im kaufmännischen Verkehr Ab-weichungen von der VoB/B vereinbart sind. diese Regelungen besagen, dass diejenigen Vorschriften, die den Vertragspartner des Verwenders der VoB/B unangemessen benachteiligen, unwirksam sind. In diesen Fällen gilt die gesetzliche Rechtslage nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

die konsequenzen sind im hinblick auf die Fälligkeit des Werklohns und dessen Verzinsung gravierend:

hat der Auftraggeber die VoB/B (mit Abänderungen) gestellt, gilt im hinblick auf die Schlussrechnungs-stellung und die Verzinsung des offenen Vergütungs-anspruches, dass Verzug innerhalb von 30 tagen nach Zugang der Rechnung eintritt, ohne dass es einer

Mahnung oder Nachfristsetzung bedarf. der Auftrag-geber hat daher nurmehr 30 tage zur Rechnungs-prüfung und Zahlung Zeit. darüber hinaus kann der Auftragnehmer auch Abnahmezinsen in höhe von 5 % (unter kaufleuten) nach § 641 Abs. 4 BGB für die ver-einbarte Vergütung ab dem Zeitpunkt der Abnahme bis zur Zahlung bzw. zum Verzugseintritt verlangen.

eine Vorfreude der Auftragnehmer ob dieser im Raume stehenden Zinsforderung ist jedoch verfrüht. Sofern nämlich der Auftragnehmer die VoB/B in das Vertragsverhältnis einführt und Abweichungen von der VoB/B vereinbart sind, wird die Fälligkeitsrege-lung ebenfalls als unwirksam angesehen werden, da der Auftraggeber durch die Regelung gleichermaßen unangemessen benachteiligt wird: Schließlich hat es der Auftragnehmer in der hand, durch seine Rech-nungsstellung die Fälligkeit – und damit den Beginn der Verjährung seiner Vergütungsforderung – hi-nauszuzögern. hat der Auftragnehmer die VoB/B ge-stellt, so muss davon ausgegangen werden, dass die Verjährung der Vergütungsforderung mit dem ende des Jahres beginnt, in dem die leistungen des Auf-tragnehmers abgenommen wurden, und dass dem-gemäß die Verjährung drei Jahre später beendet ist. Stellt der Auftragnehmer nun die Schlussrechnung nicht in dem Jahr, in dem die Abnahme erfolgt ist, und verlässt sich der Auftragnehmer hierauf, so läuft er Gefahr, dass die Verjährung seiner Vergütungsforde-rung früher eintritt als er meint.

doch nicht nur die Fälligkeits- und Zinsregelungen der VoB/B sind nach den Maßstäben der Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam. Je nachdem, ob die Bestimmungen der VoB/B durch den Auftragnehmer oder durch den Auftraggeber gestellt werden, werden von den landgerichten, den oberlandesgerichten oder dem Bundesgerichtshof eine Vielzahl von Regelungen der VoB/B als unwirk-sam erachtet.

Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie die VoB/B in Ih-ren Bauverträgen regelmäßig verwenden und wissen wollen, auf welche Regelungen der VoB/B Sie sich besser nicht verlassen sollten.

Page 11: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

12

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

In der gerichtlichen Praxis tritt immer häufiger der Fall auf, dass ein Auftraggeber Schadensersatzan-sprüche darauf stützt, dass seine Immobilie, trotz Beseitigung aufgetretener Mängel durch den Auf-tragnehmer, im Verkaufsfalle einen geringeren Wert erzielen würde, als wenn der Auftragnehmer von An-fang an mangelfrei geleistet hätte.

1. Begriff

Bei einem merkantilen Minderwert handelt es sich um einen sogenannten Mangelfolgeschaden. dieser ist gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen. ersatzfä-hig ist der Minderwert, der trotz ordnungsgemäßer Nachbesserung verbleibt, weil ein potenzieller käu-fer nur bereit wäre, einen geringeren kaufpreis für die Immobilie zu zahlen. es geht um folgende kon-stellation:

- ein Auftragnehmer wird mit Bauleistungen beauf-tragt.

- der Auftragnehmer leistet mangelhaft.- die Mängel werden vom Auftraggeber gerügt.- der Auftragnehmer führt eine ordnungsgemäße

Nachbesserung durch.- der Auftraggeber verlangt dennoch Schadenser-

satz, weil er einen potenziellen käufer der Immo-bilie über die vorangegangenen Mängelbeseiti-gungsmaßnahmen unterrichten müsste und allein aufgrund eines Verdachts möglicher weiterer bzw. verborgener Mängel nur ein geringerer kaufpreis erzielt werden könnte (= Wertminderung der Immo-bilie).

2. Voraussetzungen

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGh) und der oberlandesgerichte (olG) wurden die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines mer-kantilen Minderwertes definiert.

Auch wenn Mängelbeseitigungsmaßnahmen ord-nungsgemäß durchgeführt wurden, kann ein mer-kantiler Minderwert verbleiben, wenn der Verkaufs-

wert der Immobilie durch den früheren, nunmehr behobenen Mangel beeinflusst wird (BGh, urteil vom 11.07.1991, Az.: VII ZR 301/90; urteil vom 09.01.2003, Az.: VII ZR 181/00). Bei Bauwerken entsteht ein ge-ringerer Verkaufswert häufig dadurch, dass auf dem Immobilienmarkt bei möglichen kaufinteressenten allein der Verdacht verborgen gebliebener Schäden bzw. ein geringeres Vertrauen in die Qualität des Gebäudes dazu führt, dass im Verkaufsfalle nur ein geringerer kaufpreis erzielt werden könnte (olG Stuttgart urteil vom 08.02.2011, Az.: 12 u 74/10; BGh, urteil vom 19.09.1985, Az.: VII ZR 158/84).

die Rechtsprechung nimmt die vorgenannte Voraus-setzung insbesondere beim Vorliegen von Mängeln im Bereich der hauskonstruktion an, bei denen eine vollständige Überprüfung von möglicherweise noch bestehenden Mängeln nicht möglich (oder kaufmän-nisch unzumutbar) ist. eine typische Fallgruppe bil-den Nachbesserungen hinsichtlich einer Feuchtig-keitsabdichtung im dach- oder kellerbereich, wenn dort undichtigkeiten aufgetreten sind und erhebliche Nachbesserungsarbeiten erforderlich wurden (olG Stuttgart a.a.o.).

Beispiel: In einer entscheidung aus dem Jahr 2011 hatte das olG Stuttgart über einen Fall zu befinden, in dem kurz nach der erstellung eines daches umfang-reiche Nachbesserungsarbeiten im dachbereich er-forderlich wurden. ein Sachverständiger bestätigte in diesem Fall, dass bei der gegebenen dachkonstruk-tion üblicherweise erst nach vielen Jahren Repara-turarbeiten dieses Ausmaßes anfallen. das Gericht ging davon aus, dass mögliche kaufinteressenten angesichts der erfolgten Mängelbeseitigungsmaß-nahmen Zweifel daran haben können, dass das dach die übliche lebensdauer haben wird. das Gericht stützte sich hierbei unter anderem auf die Aussage des Sachverständigen, dass ein wirklicher erfolg der Mängelbeseitigungsmaßnahmen in der Praxis nicht nachzuweisen sein werde, da hierfür eine erneute Öffnung des daches erforderlich sei. eine solche er-neute Öffnung des daches würde aber nicht unerheb-liche kosten und neue Risiken nach sich ziehen. das

Merkantiler Minderwert – Minderung des Verkaufswertes eines Gebäudes trotz ordnungsgemäßer Mängelbeseitigung

dr. René Poew | [email protected]

Page 12: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

13

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

olG Stuttgart ging in dieser entscheidung davon aus, dass sich potenzielle kaufinteressenten nur bei einer kaufpreisreduzierung für einen Ankauf der Immobilie interessieren würden (olG Stuttgart a.a.o.).

hervorzuheben ist, dass es nicht darauf ankommt, ob ein solcher Verdacht objektiv begründet ist (olG hamm, urteil vom 10.05.2010, Az.: 17 u 92/09). hier-bei handelt es sich um einen wesentlichen unter-schied gegenüber einem technischen Minderwert.

3. Keine Verkaufsabsicht erforderlich

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auch nicht darauf an, ob der Auftraggeber die Immobilie überhaupt verkaufen will. denn bei einem merkan-tilen Minderwert handelt es sich um eine Wertminde-rung der Immobilie. eine solche Wertminderung tritt unabhängig von einem Verkauf ein (BGh , urteil vom 19.09.1985, Az.: VII ZR 158/84; olG Stuttgart a.a.o.).

4. Wertminderung laut Sachverständigengutachten und/oder Schätzung

Zur Bemessung des merkantilen Minderwertes kann ein (gerichtliches) Sachverständigengutachten die-nen. lässt sich kein eindeutiger Betrag ermitteln, kann das Gericht die höhe des Minderwertes gemäß § 287 ZPo auch schätzen (olG Stuttgart a.a.o.).

5. Fazit

die Rechtsprechung billigt einem Auftraggeber ei-nen Schadensersatzanspruch wegen einer Wert-minderung der Immobilie bereits dann zu, wenn bei potenziellen kaufinteressenten ein (unbegründeter) Verdacht hinsichtlich verborgen gebliebener Schäden oder mangelnder Qualität besteht und hierdurch nur ein geringerer Verkaufspreis erzielt werden könnte.

1. Leitsätze des Verfassers

- ein Werk ist bereits mangelhaft, wenn die Ausfüh-rung der leistung nicht dem vertraglich geschul-deten leistungssoll entspricht.

- der unternehmer schuldet ein ordnungsgemäßes, funktionstaugliches und den allgemeinen Regeln der technik entsprechendes Werk.

- das Risiko, dass es in Zukunft möglicherweise zu einem auf der Mangelhaftigkeit des Werkes beru-henden Schaden kommt, trägt der unternehmer.

2. Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht)

der Besteller beauftragte den unternehmer mit Zimmereiarbeiten. Gegenstand des Vertrages war u.a. eine vom unternehmer aus holz zu fertigende dachkonstruktion. Ausweislich des zum Vertragsin-

halt gewordenen Angebots des unternehmers sollte dieser eine Sichtschalung anbringen, die aus 24 mm dicken Brettern besteht. tatsächlich verbaute der unternehmer eine Sichtschalung mit Brettern, die le-diglich 20 mm dick waren. der unterschied von 4 mm dicke war hier von ausschlaggebender Bedeutung. hätte der unternehmer die vertraglich geschuldeten Bretter verbaut, so wäre aus technischer Sicht jede dachkonstruktion in Betracht gekommen. Nachdem der unternehmer Bretter mit lediglich 20 mm dicke verbaute, beschränkte sich die technisch mögliche dachkonstruktion auf eine ganz bestimmte Bauweise.

3. Entscheidung des OLG München

Nach Ansicht des Berufungsgerichts (olG München, urteil vom 07.08.2007 – 13 u 2063/05) ist die dach-konstruktion bereits deshalb mangelhaft, weil der

Vom Vertrag abweichendes Bauen durch den Unternehmer und die Konsequenzen für die Nacherfüllung

dr. Sebastian Schwartz | [email protected]

Page 13: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

14

unternehmer diese abweichend von seinem zum Ver-tragsinhalt gewordenen Angebot gebaut hatte und sich diese Abweichung auf die Wahl der dachkon-struktion auswirkte.

die Mangelhaftigkeit der leistung führte im vor-liegenden Fall dazu, dass das Gericht dem Bestel-ler einen Anspruch auf kostenvorschuss für eine vollständige Neueindeckung des daches zubilligte. Bemerkenswert ist dies vor dem hintergrund der tatsache, dass der vom Gericht beauftragte Sachver-ständige angab, dass eine teilsanierung des daches ebenso zu einem funktionstüchtigen, nicht aber zu einem „fachgerechten Zustand“ führt. Bei einer Sa-nierung des daches sei lediglich „die Wahrschein-lichkeit des Auftretens weiterer Mängel größer als bei kompletter Neueindeckung“. Wahrscheinlich seien weitere Schäden indes nicht. Ausschließen konnte der Sachverständige diese aber auch nicht.

4. Stellungnahme

die entscheidung des Gerichts entspricht der konse-quenten Anwendung des subjektiven Mangelbegriffs. denn nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffen-heit hat. hier baute der unternehmer abweichend von dieser Vereinbarung. dieser für die Wahl der dach-konstruktion entscheidende umstand begründete die Mangelhaftigkeit.

Im hinblick auf den Vorschussanspruch gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass einzig eine Neuherstellung des daches zu einer vollständigen Mangelbeseitigung führt. Sei das Werk zwar funkti-onstauglich, nicht aber in „fachgerechter“ Bauweise hergestellt, verbleibe ein Risiko von Spätschäden. dieses Risiko von zukünftigen Schäden rechtfertige eine Neueindeckung. der unternehmer schulde „ein Werk ohne dieses Risiko“. dieses im vorliegenden Fall eher entfernte Risiko von Spätschäden gehe zu lasten dessen, der für die nicht fachgerechte Aus-führung des Werkes verantwortlich ist. das ist der unternehmer. das Berufungsgericht entschied so-mit, dass die kosten einer vollständigen Neueinde-

ckung zu den „erforderlichen Aufwendungen“ i.S.d. § 637 Abs. 3 BGB gehören.

Wie der Fall deutlich zeigt, kann den unternehmer ein eigenmächtiges Abweichen vom Vertrag teuer zu ste-hen kommen. dies gilt insbesondere dann, wenn die vom unternehmer gewählte Ausführungsart in quali-tativer hinsicht hinter der leistung zurückbleibt, die vertraglich vereinbart war. hier war es so, dass der unternehmer ohne Not von der auftraggeberseitigen Planung abwich.

ein solches Abweichen vom Vertrag kann grundsätz-lich nur in zwei Fallgestaltungen erforderlich wer-den:

die vom Besteller zur Verfügung gestellte Planung ist lückenhaft. dies führt in der Folge dazu, dass die ver-traglich vereinbarte Beschaffenheit zwar ausgeführt werden kann, im ergebnis aber mit Mängeln behaftet ist. Auf der leistungsebene ist der unternehmer in diesem Fall verpflichtet, über die Beschaffenheits-vereinbarung hinaus all die leistungen zu erbringen, die technisch erforderlich sind, um die nach dem Ver-trag vorausgesetzte Verwendung zu erreichen (hier-zu vertiefend Fuchs, BauR 2009, 404 ff.).

die zweite konstellation betrifft die Fälle, in denen die vom Besteller zur Verfügung gestellte Planung mangelhaft ist. hier darf sich der unternehmer nicht darauf beschränken, lediglich die mangelhafte Pla-nung umzusetzen. das Werkvertragsrecht ist vor allem erfolgsbezogen. die Auslegung des Vertrages ergibt daher regelmäßig, dass der unternehmer auf der leistungsebene darüber hinaus verpflichtet ist, das Werk insbesondere funktionstauglich zu bauen (hierzu vertiefend Fuchs a.a.o.).

Im vorliegenden Fall war die Planung weder lücken-haft noch wies sie einen Mangel auf. der unterneh-mer wich vielmehr eigenmächtig und ohne sachlichen Grund von der ihm vorgegebenen Planung ab und baute mit Risiken. dann aber muss er mit einer um-fangreichen Nacherfüllung bzw. mit einem entspre-chenden Vorschussanspruch gegen sich rechnen.

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

Page 14: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

15

1. Einführung

„eine Aufrechnung gegen den Werklohnanspruch ist nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig fest-gestellten Forderung zulässig.“ eine solche Regelung findet sich häufig in Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen (AGB) von Werkverträgen. Relevant wird das insoweit zwischen den Parteien vereinbarte Aufrech-nungsverbot insbesondere in den Fällen, in denen der Auftragnehmer Werklohnansprüche durchsetzen möchte, der Auftraggeber diesen jedoch Gegenforde-rungen, z.B. wegen Mängeln der leistung, insbeson-dere in Form von Schadensersatz wegen Mängelbe-seitigungskosten oder Fertigstellungsmehrkosten, entgegen hält. In dieser konstellation stellt sich die Frage, ob der Auftragnehmer seine Werklohn-forderung trotz der bestehenden Gegenansprüche durchsetzen kann, indem er sich auf das vereinbar-te Aufrechnungsverbot beruft. dies setzt jedoch die Wirksamkeit der klausel voraus.

2. Allgemeine Geschäftsbedingungen

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind für eine Viel-zahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Ver-tragspartei beim Abschluss eines Vertrages stellt (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie unterliegen einer Inhalts-kontrolle anhand der §§ 307 bis 309 BGB, die darauf abzielt, eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders zu verhindern, die sich aus der fehlenden Möglichkeit der einflussnah-me auf die Vertragsbedingungen ergibt. die §§ 307 bis 309 BGB stellen somit Schranken für die Gestal-tungsfreiheit der AGB des Verwenders dar, welche im Interesse einer weitgehend ausgewogenen Vertrags-beziehung zu berücksichtigen sind. 3. Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom

07.04.2011

Im hinblick auf ein in Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen eines „einheits-Architektenvertrages für Ge-bäude“ normiertes Aufrechnungsverbot hat der BGh

zuletzt mit urteil vom 07.04.2011, Az.: VII ZR 209/07, entschieden (amtlicher leitsatz):

„die von einem Architekten in den Allgemeinen Ge-schäftsbedingungen eines Architektenvertrages ver-wandte klausel „eine Aufrechnung gegen den hono-raranspruch ist nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung zulässig“ ist gemäß § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz unwirksam.“

Gegenstand der entscheidung war eine honorarkla-ge eines Architekten aus einem mit dem Bauherrn geschlossenen „einheits-Architektenvertag für Ge-bäude“. In den dem Architektenvertrag beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen war die zitierte klausel enthalten. der Bauherr hatte dem honoraran-spruch des Architekten Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Planung und Bauüberwachung entgegen gehalten, welche zu Schallschutzmängeln, Rissbildungen und Feuchtigkeit im keller geführt ha-ben. Mit diesen Ansprüchen rechnete er gegen den honoraranspruch des Architekten auf. der BGh stellt zunächst klar, dass etwaige Schadensersatzansprü-che des Bestellers nur im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden können. eine Verrechnung mit der Werklohnforderung des Architekten sei aus-geschlossen, da die Verrechnung kein gesetzlich vor-gesehenes Rechtsinstitut in den Fällen sei, in denen sich Werklohn und Anspruch wegen Nichterfüllung oder andere Ansprüche wegen Schlechterfüllung des Vertrages aufrechenbar gegenüberstehen (BGh, ur-teil vom 23.06.2005, Az.: VII ZR 197/03).

Im hinblick auf die Aufrechnung mit den streitge-genständlichen Schadensersatzansprüchen des Be- stellers erklärt der BGh weiterhin das in den Allge-meinen Geschäftsbedingungen des Architektenver-trages enthaltene Aufrechnungsverbot gemäß § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz (entspricht dem aktuellen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB) für unwirksam, da es den Bauherrn als Vertragspartner des Architekten entgegen den Geboten von treu und Glauben unangemessen be-nachteilige. eine solche Benachteiligung liegt nach Auffassung des BGh vor, wenn der Besteller durch

Aufrechnungsverbot in Allgemeinen Geschäftsbedingungenvon Werkverträgen unwirksam

Magdalena Götsche | [email protected]

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

Page 15: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

16

das Verbot der Aufrechnung in einem Abrechnungs-verhältnis eines Werkvertrages gezwungen würde, eine mangelhafte oder unfertige leistung in vollem umfang zu vergüten, obwohl ihm Gegenansprüche in höhe der Mängelbeseitigungs- oder Fertigstellungs-kosten zustehen. hierdurch würde in für den Bestel-ler unzumutbarer Weise in das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von leistung und Gegenleistung eingegriffen.

die klausel kann auch nicht hinsichtlich eines wirk-samen teils, namentlich des Ausschlusses der Auf-rechnung von unbedenklichen Gegenforderungen, aufrecht erhalten werden. Sie ist vielmehr insgesamt unwirksam (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BGh, urteil vom 08.12.2010, Az.. VIII ZR 86/10).

4. Fazit

Zwar betrifft die vorliegende entscheidung eine ho-norarforderung aus Architektenvertrag. Gleichwohl ist davon auszugehen – und dies ist letztlich auch der Argumentation des BGh zu entnehmen, der ausdrück-lich betont, dass es sich bei einem Architektenvertrag um einen Werkvertrag handelt –, dass die festgestell-te unwirksamkeit des streitgegenständlichen Auf-rechnungsverbotes auch für sonstige Werkverträge und somit auch solche unter Vereinbarung der VoB/B gilt (so bereits BGh, urteil vom 23.06.2005, Az.: VII ZR 197/03). der von den Instanzgerichten teilweise ver-tretenen Auffassung, wonach ein Aufrechnungsver-bot in der hier in Rede stehenden Ausgestaltung als wirksam angesehen wird (oberlandesgericht (olG) hamm, urteil vom 09.06.2004, Az.: 12 u 126/03; olG

Bamberg, urteil vom 29.04.2002, Az.: 4 u 26/01), wur-de somit endgültig eine Absage erteilt.

der BGh begründet seine entscheidung mit der Stö-rung des engen Gegenseitigkeitsverhältnisses zwi-schen Werklohnforderung und Forderung auf man-gelfreie herstellung des Werkes. offen gelassen hat der BGh die Frage, ob der Ausschluss der Aufrech-nung mit Ansprüchen, die nicht auf Fertigstellungs-mehrkosten oder Mängelbeseitigungskosten gerich-tet sind, mithin mit solchen Ansprüchen, die nicht äquivalent zueinander stehen, zulässig wäre.

Für die bauvertragliche Praxis bedeutet dies: Zur wirksamen Vereinbarung eines vertraglichen Auf-rechnungsverbotes in AGB ist zunächst der Wortlaut des § 309 Nr. 3 BGB einzuhalten. es kann also nur die Aufrechnung mit denjenigen Forderungen ausge-schlossen werden, die rechtskräftig festgestellt oder unbestritten sind. das Aufrechnungsverbot ist weiter-hin dahingehend einzuschränken, als es sich künftig nur noch auf solche Forderungen des Bestellers be-ziehen kann, die nicht auf unvollständige oder man-gelhafte leistungserbringung zurückzuführen sind. diesem umstand ist durch entsprechend eindeutige Formulierung der klausel Rechnung zu tragen. die in der bauvertraglichen Praxis auf Auftragnehmerseite derzeit verwendeten Vertragsmuster werden diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht. es emp-fiehlt sich daher, die eigenen Muster entsprechend anzupassen, um in Zukunft in den vom BGh nunmehr festgelegten Grenzen rechtswirksam Gegenforde-rungen des Bestellers abwehren zu können.

PRIVAteS BAu- uNd ARchItekteNRecht

Recht Aktuell 2/2011

Page 16: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

17

ÖFFeNtlIcheS BAuRecht

1. Einführung

die flächendeckende Mobilfunkversorgung der Be-völkerung erfordert ein relativ enges Netz an Mobil-funkbasisstationen (Antennenmasten mit zugehö-rigen Versorgungseinheiten). dies führt dazu, dass auch in reinen Wohngebieten entsprechende Anlagen aufgestellt werden müssen, damit keine Versor-gungslücken bestehen bleiben. Bei den betroffenen Anwohnern stößt dies auf wenig Akzeptanz und führt zu entsprechenden klagen gegen die zugelassenen Mobilfunkanlagen. die Frage, ob die errichtung von Mobilfunkanlagen durch die betroffenen Nachbarn abgewehrt werden kann, beschäftigt daher regelmä-ßig die Verwaltungsgerichte.

Für Nachbarklagen gegen Mobilfunkanlagen gelten die allgemeinen Vorgaben des baurechtlichen dritt-schutzes. danach genügt es für eine klage nicht, dass die Mobilfunkanlage gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. die Nachbarn einer Mobilfunk-basisstation können deren Zulassung vielmehr nur dann erfolgreich abwehren, wenn durch die Zulas-sung öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt wer-den, die zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dienen. Zu der Frage, wann eine solche Verletzung drittschützender Normen in Betracht kommt, hat der Verwaltungsgerichtshof (VGh) München (urteil vom 19.05.2011, Az.: 2 B 11.397) eine, zumindest für Bayern, richtungsweisende entscheidung getroffen.

2. Verletzung des Rücksichtnahmegebotes

die Mobilfunkbetreiber haben sicherzustellen, dass von den Mobilfunkanlagen keine gesundheitlichen Gefahren für die umgebung ausgehen. Gesundheit-liche Gefahren für die Bevölkerung müssen hier selbstredend dazu führen, dass die geplanten Mobil-funkanlagen wegen Verstoßes gegen das in § 15 Abs. 1 S. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVo) verankerte

bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unzu-lässig sind. Schädliche umwelteinwirkungen gelten aber als ausgeschlossen, wenn die in der notwen-digen Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur vorgegebenen Abstandsflächen zwischen Mobilfunk-anlage und Wohnbebauung eingehalten werden. die Mobilfunkantennen werden in aller Regel so dimen-sioniert und ausgerichtet, dass die vorgegebenen Abstandsflächen beachtet werden. Für die Anwohner besteht dann insoweit keine Abwehrmöglichkeit.

die optisch wenig ansprechende erscheinung einer Antennenanlage müssen die Nachbarn hinnehmen. diese Rechtsposition ist baurechtlich nicht geschützt. Im Übrigen sind Mobilfunkmasten zwischenzeitlich als ortsübliches erscheinungsbild einzustufen. das Rücksichtnahmegebot kann insoweit allenfalls noch in Ausnahmesituationen in drittschützender Weise verletzt sein, z.B. wenn die Mobilfunkantenne eine Größe erreicht, die für den angrenzenden Nachbarn „erdrückende Wirkung“ hat. Mobilfunkbasisstationen erreichen allerdings in der Regel keine Größe, die es den Anwohnern ermöglicht, sich auf eine von der Mo-bilfunkanlage ausgehende erdrückende Wirkung zu berufen.

3. Verletzung des Gebietserhaltungsanspruches

dagegen ist es den von Mobilfunkanlagen betroffenen Anwohnern bisher zum teil gelungen, sich erfolg-reich auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsan-spruches zu berufen. der Gebietserhaltungsanspruch gewährleistet, dass die Festsetzung von Baugebie-ten im Sinne der Baunutzungsverordnung (§§ 2 bis 11 BauNVo) oder die faktische Bebauung, die einem der Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverord-nung entspricht, hinsichtlich der vorgegebenen Art der baulichen Nutzung (z.B. Wohngebäude, läden, Gewerbebetriebe etc.) nachbarschützende Wirkung zugunsten aller Grundstückseigentümer im jewei-

ÖFFeNtlIcheS BAuRecht

Mobilfunkbasisstationen auch in reinen Wohngebieten zulässig

dr. christian Braun | [email protected]

Recht Aktuell 2/2011

Page 17: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

18Recht Aktuell 2/2011

ligen Baugebiet entfalten. die verwaltungsgericht-liche Rechtsprechung geht für solche Baugebiete davon aus, dass hier bauplanungsrechtlicher Nach-barschutz aus dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses zu gewähren ist. die eigen-tümer der Grundstücke im Baugebiet sind auf solche Nutzungen beschränkt, die das jeweilige Baugebiet bereitstellt. diese Beschränkungen können sie auch gegenüber ihren Nachbarn im Baugebiet durchset-zen, wenn diese eine Nutzungsart (z.B. Gewerbe statt Wohnen) ausüben wollen, die das Baugebiet nicht vorsieht. die Beschränkung der Nutzungsmöglich-keiten des eigenen Grundstücks wird mithin dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentü-mer diesen Beschränkungen unterworfen sind (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), urteil vom 16.09.1993, Az.: 4 c 28/91).

Mobilfunkbasisstationen werden zum einen als Bestandteil eines gewerblich betriebenen Mobil-funknetzes und damit bauplanungsrechtlich als „gewerbliche Nutzung“ eingestuft. Gleichzeitig sind Mobilfunkbasisstationen „fernmeldetechnische Ne-benanlagen“ im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVo. die Vorinstanz (Verwaltungsgericht (VG) München, urteil vom 26.01.2009, Az.: M 8 k 08.789) ging im hinblick auf diese doppelnatur davon aus, dass eine Mobilfunkanlage einen Gewerbebetrieb darstellt, deren Zulassung im reinen Wohngebiet auch nicht ausnahmsweise in Betracht kommt und daher dem Gebietserhaltungsanspruch nicht gerecht wird. die von der Behörde ausnahmsweise zugelassene Mobil-funkantenne hätte vielmehr einer Befreiung von den Festsetzungen des faktischen Baugebiets bedurft. da die Behörde dies nicht erkannt habe, liege ein er-messensausfall vor. die Zulassung des Gewerbebe-triebes „Mobilfunkanlage“ könnte dazu führen, dass sich das hier gegebene allgemeine Wohngebiet in ein anderes Baugebiet umwandelt, was den Gebietser-haltungsanspruch des klagenden Nachbarn verlet-zen würde.

der VGh München hat dagegen entschieden, dass in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 BauNVo auch diejenigen Nutzungen zulässig sein können, die in den Spezialvorschriften der §§ 12 bis 14 BauNVo für alle Baugebiete zusammenfassend dargestellt wor-den sind. dies gilt insbesondere auch für die hier einschlägigen, in § 14 Abs. 2 BauNVo genannten speziellen Infrastruktursysteme, die für die entwick-lung und Versorgung der Baugebiete erforderlich und notwendig sind. die dort genannten Anlagen sind nach den Vorgaben der nunmehr maßgeblichen Bau-nutzungsverordnung 1990 in allen Baugebieten aus-

nahmsweise zulässig. die in § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVo genannten fernmeldetechnischen Nebenanlagen kön- nen mithin nicht der Art der vorgegebenen baulichen Nutzung widersprechen.

Im hinblick auf den Gebietscharakter eines reinen Wohngebiets folgt daraus, dass der kreis derjeni-gen baulichen Anlagen, die im reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sind, durch § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVo ausgeweitet wird, und zwar auch dann, wenn angrenzende Baugebiete mit versorgt werden. die gleichzeitige einstufung der Mobilfunkantenne als gewerbliche Nebenanlage ändert hieran nichts. dies rechtfertigt sich nach dem überzeugenden ur-teil des VGh München daraus, dass derartige Infra-struktursysteme, auch soweit sie nicht unmittelbar den Bewohnern des reinen Wohngebiets dienen, im öffentlichen Interesse erforderlich sind und die Mo-bilfunkbetreiber aus technischen Gründen auf die Inanspruchnahme von Flächen auch in einem reinen Wohngebiet angewiesen sein können.

der VGh München hat hierzu darauf hingewiesen, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber, um eine ungewollte häufung von Mobilfunkanlagen zu ver-meiden, für diese Anlagen in § 14 Abs. 2 BauNVo den Weg der ausnahmsweisen Zulassung und damit je-weils eine singuläre Zulassungsprüfung vorgesehen hat. diese einzelfallprüfung hat jedoch nicht auf der ebene des Gebietserhaltungsanspruchs, sondern auf der ebene des Rücksichtnahmegebotes und der er-messensentscheidung der Behörde zu erfolgen.

4. Zusammenfassung

Nach dem aktuellen urteil des VGh München wird es den Nachbarn von Mobilfunkanlagen in Zukunft ver-wehrt sein, sich auf eine Verletzung des Gebietser-haltungsanspruches zu berufen, wenn im Baugebiet eine zur Versorgung des jeweiligen Netzbetreibers erforderliche Antenne errichtet wird. Nebenanlagen, die in allen Baugebieten ausnahmsweise zulässig sind, gehören zur zulässigen Art der baulichen Nut-zung des jeweiligen Gebiets und können daher in der Regel weder den Gebietserhaltungsanspruch noch das Rücksichtnahmegebot verletzen. hier sind bei der vorzunehmenden wertenden Betrachtung ins-besondere auch der geringe Platzverbrauch und die untergeordnete gewerbliche Nutzungsintensität der Mobilfunkantenne zu berücksichtigen. Allenfalls bei ungewöhnlich großen oder einer Vielzahl von Mobil-funkanlagen desselben Betreibers innerhalb eines Baugebietes kommt eine Verletzung der genannten Rechtspositionen überhaupt noch in Betracht.

ÖFFeNtlIcheS BAuRecht

Page 18: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

19Recht Aktuell 2/2011

der Bundesgerichtshof (BGh) hat in einem noch nicht vollständig veröffentlichten urteil vom 14.04.2011, Az.: I ZR 33/10, entschieden, dass es ein Automobil-hersteller einer markenunabhängigen Reparatur-werkstatt aufgrund seines Markenrechts untersa-gen kann, mit der Bildmarke des herstellers für die angebotenen Reparatur- und Wartungsarbeiten zu werben.

die klägerin, die Volkswagen AG, ist Inhaberin der für kraftfahrzeuge und deren Wartung eingetragenen Bildmarke, die das VW-Zeichen in einem kreis wie-dergibt. die Beklagte, die Atu Auto-teile-unger han-dels Gmbh & co. kG, betreibt mehrere hundert mar-kenunabhängige Reparaturwerkstätten und hat für ihre Werbung für die Inspektion von VW-Fahrzeugen u.a. auch die Bildmarke der klägerin verwendet.

das klagebegehren von VW hatte in allen Instanzen erfolg, so dass Atu verboten wurde, die Bildmarke von VW zu verwenden.

der BGh hat insoweit eine Verletzung der eingetra-genen Marke der klägerin bejaht. die Beklagte habe mit der in ihrer Werbung für Inspektionsarbeiten an

VW-Fahrzeugen angeführten Bildmarke der klägerin ein mit der klagemarke identisches Zeichen für iden-tische dienstleistungen (Wartung von Fahrzeugen) verwandt. dadurch habe die Beklagte die Werbe-funktion der klagemarke beeinträchtigt. Mit der Ver-wendung des bekannten Bildzeichens der klägerin sei ein Imagetransfer verbunden, der die klagemarke schwäche.

Zwar sieht das Markenrecht auch vor, dass ein Mar-keninhaber einem dritten die Verwendung der Mar-ke als notwendigen hinweis auf den Gegenstand von dienstleistungen des dritten nicht verbieten könne, solange die Benutzung nicht gegen die anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und handel verstoße. In der vorliegenden Rechtsauseinandersetzung vertrat der BGh aber die Auffassung, dass die Vorausset-zungen dieser Schutzrechtsschranke nicht erfüllt sind, weil Atu zur Beschreibung des Gegenstands der von ihr angebotenen dienstleistungen ohne wei-teres lediglich auf die Wortzeichen „VW“ oder „Volks-wagen“ zurückgreifen hätte können und nicht auf die offenbar besonders werbewirksame Verwendung des VW-Bildzeichens angewiesen war.

Unzulässige Werbung der Reparaturwerkstatt ATU mit der Bildmarke des Automobilherstellers VW

carsten huch-hallwachs | [email protected]

GeWeRBlIcheR RechtSSchutZ

GeWeRBlIcheR RechtSSchutZ

Page 19: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

20Recht Aktuell 2/2011

1. Einführung

Nicht erst seit der Finanzkrise kommt der ausrei-chenden eigenkapitalausstattung von unternehmen gesteigerte Bedeutung zu. Auch in der jetzigen Phase der wirtschaftlichen erholung haben gerade mittel-ständische unternehmen aufgrund ungenügender eigenkapitalausstattung Schwierigkeiten, ihren Be-darf an Working capital über primäres Fremdkapital zu decken. Bei einigen Mittelständlern wird dieser druck dadurch noch weiter erhöht, dass die vor eini-gen Jahren üblichen Standard-Mezzanine-Produkte nach und nach zur Rückzahlung fällig werden und entsprechender Refinanzierungsbedarf besteht. Zur deckung dieses Bedarfs kommt die Zuführung von eigenkapital im Rahmen der Außenfinanzierung, wie z.B. über Venture capital oder Private equity, in Be-tracht. der entsprechende eigenkapitalzufluss er-weitert in der Folge auch die Spielräume für kredit-finanzierungen zu günstigeren konditionen.

Mittelständische unternehmer haben allerdings oft-mals erhebliche Vorbehalte gegen die Beschaffung von Beteiligungskapital durch Aufnahme von Inves-toren in den Gesellschafterkreis. diese Vorbehalte sind sicherlich zum teil berechtigt. der einstieg eines geeigneten Finanzinvestors kann allerdings zusätz-lich zur beschriebenen Verbesserung der eigenkapi-talquote auch erhebliche Vorteile mit sich bringen. Zu denken ist z.B. an die Professionalisierung der inter-nen Verwaltungs- und entscheidungsstrukturen, die Generierung zusätzlichen know-hows und die Nut-zung neuer kontakte und Netzwerke des Investors.

entscheidend für den späteren erfolg einer eigenka-pitalbeteiligung – und zwar sowohl für den Investor als auch für das Zielunternehmen und dessen Gesell-schafter – sind neben der klärung und kompatibilität der jeweiligen wirtschaftlichen Ziele die belastbare

einigung auf den der Beteiligung zugrunde liegenden unternehmenswert der Zielgesellschaft und eine ausgewogene Gestaltung des Beteiligungsvertrages.

2. Prozedere der Investorenbeteiligung

der Verlauf von Beteiligungsverhandlungen hängt maßgeblich davon ab, wie planmäßig und struktu-riert der gesamte Prozess durchgeführt wird. dieser beginnt mit den Vorgesprächen, im Rahmen derer zwischen Investor und Altgesellschaftern sowie Ma-nagement der Zielgesellschaft grundsätzliche einig-keit über die allgemeinen Grundsätze der unterneh-mensführung und den zeitlichen Beteiligungshorizont des Investors hergestellt sein sollte. es schließt sich eine Phase intensiver Prüfung des Zielunternehmens durch den Investor im Rahmen einer sogenannten „due diligence“ an. Neben den rechtlichen Aspekten des Zielunternehmens werden dabei üblicherweise zumindest auch technische, finanzielle und steuer-liche Gesichtspunkte des Zielunternehmens über-prüft. das Management des Zielunternehmens kann hier durch die geordnete und vollständige Bereit-stellung der wesentlichen unterlagen einen ganz entscheidenden Beitrag zu einer zügigen und den unternehmenswert positiv beeinflussenden Abwick-lung des due-diligence-Prozesses leisten. es emp-fiehlt sich oftmals im Rahmen einer intern durch das Zielunternehmen veranlassten und durchgeführten sog. „Vendor due diligence“ bereits im Vorfeld der Prüfung durch den Investor mögliche Ansatzpunkte für die Identifizierung rechtlicher oder wirtschaft-licher Risiken auszuschließen und damit erneut die dynamik des Prozesses zu fördern und die höhe des unternehmenswerts nachteilig beeinträchtigende Risiken auszuschließen.

die sich meist an den Abschluss der due-diligence-Prüfung des Investors anschließenden Verhand-

hANdelS- uNd GeSellSchAFtSRecht

Direkte Eigenkapitalbeteiligung von Investoren – rechtliche Rahmenbedingungen

dr. Bernhard Noreisch | [email protected]

hANdelS- uNd GeSellSchAFtSRecht

Page 20: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

21Recht Aktuell 2/2011

lungen über den unternehmenswert der Zielgesell-schaft sind selbstredend wirtschaftlich betrachtet sehr entscheidend, da hierdurch die spätere Beteili-gungsquote des Investors bestimmt wird.

Neben den Modalitäten der eigenkapitalbeteiligung selbst, sprich der durchführung der entsprechenden kapitalerhöhung beim Zielunternehmen sowie der Zeichnung und Übernahme der neuen Anteile durch den Investor, wird im Rahmen der dann zu verhan-delnden Beteiligungsdokumente das Verhältnis der Altgesellschafter und Investoren untereinander während der Beteiligungsdauer eingehend geregelt. dabei geht es im kern um eine interessen- und bei-tragsgerechte Verteilung der chancen und Risiken. So werden üblicherweise bestimmte Meilensteine definiert, von deren erreichen die Bereitstellung der meist in tranchen aufgeteilten Investitionsmittel des Investors abhängig ist.

Zudem wird über bestimmte Sonderrechte des Inves-tors verhandelt. diese dienen zum einen dem Schutz des sich in der Regel lediglich im umfang einer Min-derheitsbeteiligung engagierenden Investors und re-geln zum anderen die Modalitäten und Möglichkeiten des exits des Investors nach Ablauf der geplanten Beteiligungsdauer.

Neben kontroll- und Informationsrechten sowie dem Recht zur entsendung von Mitgliedern in Auf-sichtsräte oder Beiräte bzw. die Mitwirkung bei der Bestellung der Geschäftsführer/Vorstände kommen insofern Vetorechte des Investors bei bestimmten maßgeblichen Beschlüssen der Gesellschafterver-sammlung in Betracht.

um dem Investor die Möglichkeit zu geben, sich nach Ablauf der geplanten Beteiligungsdauer wieder ge-winnbringend von seiner Beteiligung zu trennen, se-hen die Beteiligungsdokumente vielfach einerseits sog. Mitverkaufspflichten (drag along Rights) vor, die unter bestimmten Voraussetzungen auch andere Gesellschafter zum Mitverkauf verpflichten. Ande-rerseits werden sog. Mitverkaufsrechte (tag along Rights) vereinbart, die verhindern sollen, dass der In-vestor als Minderheitsgesellschafter nicht an einem exit beteiligt wird. Schließlich versuchen Investoren regelmäßig über die Vereinbarung sog. liquidations- bzw. exitpräferenzen, ihr finanzielles Risiko aus-zugleichen und einen vorrangigen Rückfluss ihres investierten kapitals im Falle eines unternehmens-verkaufs sicherzustellen. die Gestaltungsmöglich-keiten sind hier vielschichtig.

um im Fall einer späteren down Round, also einer Fi-nanzierungsrunde, bei der der Gesellschaft weiteres eigenkapital auf Grundlage einer niedrigeren unter-nehmensbewertung zugeführt wird, eine Verwäs-serung der Beteiligung des Investors zu vermeiden, werden vielfach auch sog. Anti-dilution-Regelungen vereinbart. diese berechtigen, je nach Ausgestal-tung, den Investor zur begünstigten Nachzeichnung weiterer Anteile zum Nominalbetrag und führen damit mittelbar zu einer Nachbewertung seines ur-sprünglichen Investments.

All diese klauseln wirken auf einen mittelstän-dischen unternehmer zunächst abschreckend. Im Markt für Beteiligungskapital in deutschland sind allerdings eine Vielzahl seriöser und wirtschaftlich nachhaltig denkender Investoren tätig, die zum einen in den Verhandlungen über den Beteiligungsvertrag keine überzogenen Forderungen im hinblick auf die vorgenannten Sonderrechte stellen und zum anderen in der lage sind, neben ihrer kapitalzuführung auch durch die Bereitstellung von erheblichem Branchen-know-how, erfahrungswissen und wertvollen kon-takten dem Zielunternehmen einen echten Mehrwert für dessen künftige wirtschaftliche entwicklung zu bieten.

3. Praxistipp

die entscheidung eines mittelständischen unter-nehmens, einen Finanzinvestor als Gesellschafter aufzunehmen, will gut überlegt sein. der erfolg eines solchen Projekts hängt ganz entscheidend von der kompatibilität der wirtschaftlichen erwartungen des Investors einerseits und der Altgesellschafter sowie des Managements des Zielunternehmens an-dererseits ab. Fast ebenso wichtig ist ein geordneter und strukturierter transaktionsprozess, der mit der gründlichen Aufbereitung und Prüfung der unter-lagen des Zielunternehmens beginnt und mit der einigung über den Beteiligungsvertrag und dessen Vollzug endet. Mit dem richtigen Investor und dem richtigen rechtlichen Berater erweisen sich die an-fänglichen Bedenken oftmals als unbegründet, und es zeigt sich, dass Beteiligungskapital auch und ge-rade für mittelständische unternehmen wahrgenom-men werden sollte und ein geeignetes element einer ausgewogenen unternehmensfinanzierung darstellt. Bei guter Vorbereitung lässt sich ein derartiges Fi-nanzierungsprojekt in der Regel in rund drei Monaten abwickeln.

hANdelS- uNd GeSellSchAFtSRecht

Page 21: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

22

hANdelS- uNd GeSellSchAFtSRecht

Recht Aktuell 2/2011

1. Einführung die Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder BGB-Gesellschaft hat im Rechtsverkehr große praktische Bedeutung. Man bedenke etwa die sog. „Arbeitsge-meinschaften“ (ARGe) bei Bauprojekten unter Betei-ligung verschiedener unternehmen.

Mit urteil vom 29.01.2001 (Az.: II ZR 331/00) hat der Bundesgerichtshof (BGh) im Gesellschaftsrecht eine bahnbrechende neue Weichenstellung getroffen und die partielle Rechtsfähigkeit der (Außen-)Gesell-schaft bürgerlichen Rechts (GbR) anerkannt. Fak-tisch wurde so die GbR zu einem eigenen Rechtssub-jekt und weitgehend der offenen handelsgesellschaft (ohG) gleichgestellt. eine von vielen praktischen Auswirkungen dieser Neuerung ist, dass Rechtsver-hältnisse im Rechtsverkehr nunmehr mit der GbR selbst als eigener Rechtspersönlichkeit bestehen und deren Gesellschafter analog § 128 S. 1 hGB für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften. Im Gegensatz dazu war es zur durchsetzung von Ansprüchen gegen eine GbR früher notwendig, gegen die Gesellschafter-gesamtheit vorzugehen; eine klage „gegen die GbR“ war nach früherer Rechtsauffassung nicht möglich.

Mit dieser Verselbstständigung der GbR als eigen-ständiges Rechtssubjekt sind einige Fragestellungen verbunden, die seit der leitentscheidung aus dem Jahr 2001 die Gerichte und auch den BGh wiederholt und kontrovers beschäftigt haben. So nahm etwa das Bayerische oberste landesgericht (BayoblG) an, die GbR sei nicht grundbuchfähig, wurde insoweit aber später vom BGh korrigiert (zuletzt BayoblG, urteil vom 08.09.2004, Az.: 2Z BR 139/04; dagegen BGh, ur-teil vom 04.12.2008, Az.: V ZB 74/08). eine praktische Fragestellung, die im Geschäftsverkehr bei der An-spruchsdurchsetzung gegenüber einer GbR immer wieder auftaucht, ist das Problem, gegen wen konkret vorgegangen bzw. wer verklagt werden soll: die GbR oder deren Gesellschafter oder GbR und Gesellschaf-ter zusammen. Von nicht zu unterschätzender Bedeu-tung ist in diesem Zusammenhang etwa, dass oftmals ein Schuldner aus der Schuldnergesamtheit heraus-

gegriffen wird, weil er besonders solvent ist. des Weiteren müssen jedoch auch zwingend rechtliche Überlegungen in diesem Zusammenhang einfließen, wie eine aktuelle entscheidung des BGh zeigt.

2. Sachverhalt

dem urteil des BGh vom 22.03.2011 (Az.: II ZR 249/09) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

die beklagte Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihre vier Gesellschafter hatten der klägerin das An-gebot zum kauf einer Grundstücksteilfläche unter-breitet. die klägerin nahm das Angebot an. Allerdings hatte die beklagte GbR es zuvor bereits anderweitig veräußert, wobei der dritterwerber auch als eigentü-mer im Grundbuch eingetragen wurde. die klägerin machte daraufhin aufgrund der Nichterfüllung des Grundstückskaufvertrags entgangenen Gewinn gel-tend, der bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung ihr gegenüber und anschließender Weiterveräußerung des Grundstücks hätte realisiert werden können.

diesen Schadensersatz klagte die klägerin in einem ersten Prozess ausschließlich gegen die vier Gesell-schafter der GbR als Gesamtschuldner analog § 128 S. 1 hGB ein. diese erste klage wurde rechtskräftig abgewiesen.

In einem zweiten Prozess, über den nunmehr der BGh zu befinden hatte, verfolgte die klägerin den Scha-densersatzanspruch gegen die GbR selbst. In erster Instanz wurde die klage als unbegründet abgewie-sen, das Berufungsgericht hielt sie für unzulässig. das Berufungsgericht stützte seine entscheidung im Wesentlichen auf das Argument, der zweiten klage gegen die GbR stehe die Rechtskraft des im Prozess gegen sämtliche Gesellschafter der GbR ergangenen urteils (erstprozess) entgegen.

3. Entscheidung des BGH

der BGh hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück.

Rechtsdurchsetzung gegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihre Gesellschafter

dr. christian dittert | [email protected]

Page 22: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

23Recht Aktuell 2/2011

hANdelS- uNd GeSellSchAFtSRecht

der BGh geht zunächst von dem allgemeinen Grund-satz aus, dass die Rechtskraftwirkung einer gericht-lichen entscheidung im Normalfall die Parteien des Rechtsstreits betrifft und sich nicht auf dritte er-streckt. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutete dies grundsätzlich, dass der erstprozess zwischen klägerin und GbR-Gesellschaftern ohne Beteiligung der GbR selbst geführt worden war und demzufolge der Zweitprozess der klägerin gegen die GbR nicht durch entgegenstehende Rechtskraft im erstprozess gehindert sein konnte (vgl. § 325 ZPo).

Allerdings erkennt der BGh an, dass in Ausnahmefäl-len die Rechtskraft einer gerichtlichen entscheidung auch auf am Verfahren nicht beteiligte dritte erstreckt sein kann. der BGh führt dazu aber wörtlich aus:

„eine durchbrechung des Grundsatzes, dass ein dritter an ein ohne seine Mitwirkung zustande ge-kommenes gerichtliches erkenntnis grundsätzlich nicht gebunden sein soll, kommt nur in Betracht, wenn dies im einzelfall vom Gesetz ausdrücklich an-geordnet oder zumindest nach dem Sinn einer Geset-zesvorschrift geboten ist […].“

der BGh prüft in diesem Zusammenhang die Vor-schriften des § 129 Abs. 1 hGB und des § 736 ZPo, kommt aber in beiden Fällen zu dem ergebnis, dass hiernach eine Rechtskrafterstreckung von einem Verfahren gegen die GbR-Gesellschafter auf die GbR selbst nicht in Betracht kommt.

Sehr anschaulich und von großer praktischer Bedeu-tung wirkt die Argumentation des BGh dabei in Be-zug auf § 129 Abs. 1 hGB analog: § 129 Abs. 1 hGB regelt den umgekehrten Fall der Bindungswirkung eines gegen die Gesellschaft ergangenen urteils für die Gesellschafter und schneidet diesen die einwen-dungen ab, die im erstverfahren bereits der Gesell-schaft abgesprochen wurden. dies ist mit dem BGh notwendiger Ausdruck der akzessorischen haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesell-schaft. Akzessorietät bedeutet dabei, dass die haf-tung der Gesellschafter analog § 128 S. 1 hGB den Bestand der haftung der GbR voraussetzt, da die Gesellschafter „für die Verbindlichkeiten der Ge-sellschaft“ haften. umgekehrt besteht jedoch keine

akzessorische haftung der Gesellschaft für Verbind-lichkeiten ihrer Gesellschafter. es kann demnach in der hier vorliegenden konstellation eines erstpro-zesses gegen die Gesellschafter dazu kommen, dass ein Anspruch gegen diese wegen einer Verbindlich-keit der Gesellschaft rechtskräftig abgewiesen wird. In einem Zweitprozess kann jedoch ein Gericht zu der Auffassung gelangen, dass die Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft selbst besteht und die- se entsprechend verurteilen. Nun würden die Ge-sellschafter grundsätzlich analog § 128 S. 1 hGB für diese gerichtlich ausgeurteilte Gesellschafts-verbindlichkeit wiederum akzessorisch haften. dem steht jedoch die Rechtskraftwirkung im erstprozess entgegen, wo eine entsprechende klage gegen die GbR-Gesellschafter bereits rechtskräftig abgewie-sen wurde. der BGh stellt in diesem Zusammenhang ausdrücklich klar, dass es systemimmanent sei, dass bei getrennten klagen gegen die Gesellschaft und die Gesellschafter unterschiedliche entscheidungen über die durchsetzbarkeit eines Anspruchs ergehen können.

4. Fazit

Mit Blick auf letztere Folgerung sollte bei der An-spruchsdurchsetzung gegenüber einer GbR und ih-ren Gesellschaftern stets genauestens überlegt wer-den, gegen wen und ggf. in welcher Reihenfolge die Anspruchsdurchsetzung angegangen wird, sofern im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen nicht ohnehin gegen GbR und Gesellschafter gemeinsam geklagt wird. Insbesondere muss man sich der ein-schneidenden konsequenz bewusst sein, dass eine rechtskräftige entscheidung in einem getrennten Verfahren gegen die GbR-Gesellschafter für die GbR selbst nicht bindend ist, sehr wohl aber für die Gesell-schafter als Parteien des Rechtsstreits. Wird dann der Anspruch in einem Zweitverfahren direkt gegen die Gesellschaft durchgesetzt, kann die – der Sache nach nicht notwendig gleichlautende – entscheidung den Gesellschaftern nicht entgegen gehalten werden. Aus anwaltlicher Sicht wird man im Regelfall dazu raten, die GbR und die Gesellschafter zusammen in Anspruch zu nehmen, sofern nicht gewichtige Gründe hiergegen sprechen.

Page 23: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

24

VeRGABeRecht

1. Einleitung

dienstleistungskonzessionen sind unter anderem deswegen für öffentliche Auftraggeber von beson-derem Interesse, weil sie von den vergaberecht-lichen Regelungen der einschlägigen eu-Richtlinien 2004/18/eG und 2004/17/eG sowie auf nationaler ebene von GWB, SektVo, VgV und Vol/A nicht direkt erfasst werden. Auftraggeber haben in diesem Zu-sammenhang also in gewisser hinsicht mehr Frei-heiten bei der Vergabe als im Geltungsbereich der vorbezeichneten Bestimmungen. Bekanntermaßen können derartige dienstleistungskonzessionen aber auch nicht im „rechtsfreien“ Raum vergeben wer-den, sondern unterliegen zumindest den aus dem europäischen Primärrecht herzuleitenden Grund-prinzipien von Wettbewerb, diskriminierungsverbot und transparenz. In mehreren wichtigen aktuellen entscheidungen hat sich die Rechtsprechung zu Fra-gen der dienstleistungskonzession im Vergaberecht geäußert.

2. Entscheidungen

a) Urteil des EuGH zum Rettungsdienst

der europäische Gerichtshof (euGh) hat im Fall „pri-vater Rettungsdienst- und krankentransport Stadler“ (urteil vom 10.03.2011, Az.: c-274/09) bezüglich des unter anderem in Bayern im sogenannten „konzessi-onsmodell“ organisierten Rettungsdienstes entschie-den, dass diese organisationsform tatsächlich dazu führen kann, dass der Rettungsdienstträger (z.B. ein Zweckverband) eine dienstleistungskonzession und nicht einen dienstleistungsauftrag vergibt. der euGh grenzt insoweit ab, dass ein dienstleistungsauftrag eine Gegenleistung umfasst, die – wenn sie auch nicht die einzige Gegenleistung darstellt – vom öffentlichen Auftraggeber unmittelbar an den dienstleistungser-bringer gezahlt wird. Im Falle einer dienstleistungs-

konzession wird dagegen die Gegenleistung für die erbringung der dienstleistung in dem Recht zur Nut-zung der dienstleistung, ohne oder zzgl. der Zahlung eines Preises, gesehen. Ist also der Rettungsdienst – wie in einigen Bundesländern – so organisiert, dass der Rettungsdienstträger unmittelbar einen Vertrag über die Rettungsdienstleistung mit einem privaten Rettungsdienstunternehmen schließt und dieses da-für bezahlt (sogenanntes Submissionsmodell), han-delt es sich um einen dienstleistungsauftrag. Ist es jedoch wie in Bayern so, dass der Rettungsdienstträ-ger das private Rettungsdienstunternehmen für die leistungen nicht direkt bezahlt, sondern letzteres die entgelte mit dem Sozialversicherungsträger ver-einbart und von einer zentralen Abrechnungsstelle, welche die entgelte bei den Nutzern erhebt, vergütet erhält, liegt darin eine wesentliche Voraussetzung für eine dienstleistungskonzession. Beim dienstleis-tungsauftrag bezahlt der Auftraggeber das entgelt also direkt an den Auftragnehmer, während der Auf-tragnehmer bei einer dienstleistungskonzession das entgelt von dritten, den Nutzern, vereinnahmt.

darüber hinaus ist nach Auffassung des euGh für eine dienstleistungskonzession weiter erforderlich, dass der konzessionär das Betriebsrisiko der frag-lichen dienstleistungen übernimmt. der euGh hält fest, dass der öffentliche Auftraggeber das volle von ihm getragene Risiko oder zumindest wesentliche teile davon auf den Auftragnehmer übertragen muss, damit von einer dienstleistungskonzession ausge-gangen werden kann. Insbesondere dann, wenn der dienstleister ausschließlich von dritten vergütet wird, reicht die Übertragung eines „erheblich einge-schränkten“ Betriebsrisikos durch den öffentlichen Auftraggeber für die Annahme einer dienstleistungs-konzession aus.

hintergrund dieser Argumentation des euGh ist, dass in vielen Bereichen der öffentliche Auftraggeber

VeRGABeRecht

Neues zur Dienstleistungskonzession

dr. Mathias Mantler | [email protected]

Recht Aktuell 2/2011

Page 24: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

25

VeRGABeRecht

selbst nur einem eingeschränkten Betriebsrisiko un-terliegt, z.B. weil die entgelterlangung durch gesetz-liche Bestimmungen abgesichert wird. In solchen Fällen soll es dem öffentlichen Auftraggeber dennoch möglich sein, die dienstleistung im Wege der dienst-leistungskonzession zu vergeben und dieses – einge-schränkte – Risiko zu übertragen. Mit anderen Wor-ten soll allein die tatsache, dass ein Betriebsrisiko durch bestimmte umstände eingeschränkt ist, dem öffentlichen Auftraggeber nicht die Möglichkeit der Vergabe einer dienstleistungskonzession nehmen.

das Betriebsrisiko definiert der euGh dabei als das Risiko, den unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein, das sich z.B. im Risiko der konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, im Risiko eines un-gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, im Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten dienstleistungen schul-den, im Risiko einer nicht vollständigen deckung der Betriebsausgaben durch die einnahmen oder im Ri-siko der haftung für einen Schaden im Zusammen-hang mit einem Fehlverhalten bei der erbringung der dienstleistung äußern kann. Im Falle des Rettungs-dienstes im bayerischen konzessionsmodell hat der euGh festgehalten, dass der dienstleistungser-bringer Gefahr laufe, mit den Sozialversicherungs-trägern nicht vollständig kostendeckende entgelte vereinbaren zu können. differenzen zwischen den Ausgaben und den einnahmen könnten auch allen-falls zum Gegenstand der nächsten Verhandlungen für das Folgejahr gemacht werden, eine Garantie für einen vollständigen Ausgleich bestehe jedoch nicht. Im Übrigen bestehe auch das Risiko des Ausfalls der Schuldner der transportierten Personen, wenn die-se nicht sozialversichert sind. diese charakteristika reichten für die Annahme einer dienstleistungskon-zession auch aus.

b) Beschluss des BGH zum Schienenpersonen-nahverkehr (SPNV)

der BGh hat entschieden (Beschluss vom 08.02.2011, Az.: X ZB 4/10), dass die Übertragung des S-Bahn-Betriebes ein vergabepflichtiger dienstleistungs-auftrag ist, wenn neben dem Recht zur Nutzung der dienstleistung (durch die erhebung von Fahrtentgel-ten) vom öffentlichen Auftraggeber (Verkehrsver-bund) zusätzlich eine Zuzahlung (in diesem Fall in höhe von ca. 64 % der Gesamtkosten) geleistet wird. der BGh hält fest, dass dann nicht mehr von einer dienstleistungskonzession ausgegangen werden könne, wenn die zusätzliche Vergütung oder (Auf-

wands-)entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschuss-charakter mehr beigemessen werden kann, sondern sich darin zeigt, dass die aus der erbringung der dienstleistung möglichen einkünfte allein ein entgelt darstellen würden, das weitab von einer äquivalenten Gegenleistung läge.

der BGh grenzt also mit anderen Worten die dienst-leistungskonzession vom dienstleistungsauftrag in „fließender“ Weise ab und weist darauf hin, dass eine rechnerische Quote in Bezug auf die Zuzahlungen wegen der unterschiedlichkeit der möglichen Fallge-staltungen nicht geeignet sei, einen festen Abgren-zungsmechanismus zu schaffen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang weiter, dass der BGh für die Vergabe von Schienenpersonenver-kehrsleistungen in Form eines dienstleistungsauf-trages die Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB und damit die Vergabe in einem klassischen Vergabeverfahren nach dem 2. Abschnitt der Vol/A bejaht. die Anwend-barkeit der Sektorenverordnung (SektVo) wird vom BGh nicht angesprochen. darüber hinaus betrachtet der BGh die Vergabe nach den klassischen Verga-bebestimmungen offensichtlich auch als vorrangig gegenüber dem Sondervergaberecht in § 5 Abs. 3 der eu-Verordnung Vo 1370/2007 über öffentliche Per-sonenverkehrsdienste auf Schiene und Straße. Aus-drücklich für vorrangig hält er die nationale Regelung insoweit auch in Bezug auf § 5 Abs. 6 Vo 1370/2007, die eine direktvergabe von dienstleistungsaufträgen im eisenbahnverkehr mit Ausnahme anderer schie-nengestützter Verkehrsträger wie untergrund- oder Straßenbahnen für eine höchstlaufzeit von zehn Jah-ren im Regelfall gestattet, wenn nationales Recht nicht entgegen steht. letzteres nimmt der BGh hier an.

c) Entscheidung des OLG Düsseldorf zum ÖPNV mit Bussen

In einem Fall der Vergabe von Busverkehrsleistungen hat demgegenüber das olG düsseldorf in einer ent-scheidung vom 02.03.2011, Az.: VII Verg 48/10, eine dienstleistungskonzession angenommen, weil im dortigen Fall die Fahrgeldeinnahmen mehr als 50 % der kosten decken sollten, der Zuschussanteil also weniger als die hälfte der kosten ausmachte. Im Ge-gensatz zum BGh berücksichtigt das olG düsseldorf durchaus Berechnungen anhand prozentualer An-teile. Weiter begründet das olG die Annahme einer dienstleistungskonzession insbesondere auch damit, dass die höhe der Ausgleichsleistungen – im unter-

Recht Aktuell 2/2011

Page 25: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

26

schied zum vom BGh entschiedenen Fall – vom Ver-kehrsbetreiber abgesenkt werden kann.

d) Beschluss der VK Düsseldorf zur Abfall- beseitigung

die Vergabekammer (Vk) düsseldorf hat mit Be-schluss vom 16.05.2011, Az.: Vk-12/2011-l, einen Fall entschieden, in dem eine Gemeinde eine dienstleis-tungskonzession zur Abfallentsorgung vergeben hat. die Vk düsseldorf hat insoweit jedoch eine dienst-leistungskonzession verneint und einen öffentlichen Auftrag bejaht, weil die für die dienstleistungskon-zession erforderliche wirtschaftliche Freiheit und das unternehmerische Risiko des konzessionsnehmers nicht erkennbar seien. eine dienstleistungskon-zession scheitere daran, dass für den konzessions-nehmer aufgrund der vertraglichen Regelung keine nennenswerten Spielräume verblieben. er sei an das bestehende erfassungssystem gebunden, solle die von der Auftraggeberseite gestellten Sammelbehäl-ter verwenden und müsse die gegebene Abfallsat-zung durchführen. der Spielraum beschränke sich im Wesentlichen auf die Festsetzung der Abfuhrtage. der Auftragnehmer müsse auch keine konzessions-spezifischen Investitionen tätigen oder Abnehmer in einer konkurrenzsituation gewinnen (aufgrund eines bestehenden Anschluss- und Benutzungszwanges) und habe keine nennenswerten Zahlungsausfälle zu erwarten. darüber hinaus stellt die Vk düsseldorf auch darauf ab, dass die Wahl einer dienstleistungs-konzession allein zu dem Zweck, die klassischen Vergabevorschriften, die für dienstleistungsaufträge gelten, nicht anwenden zu müssen, vergaberechtlich unzulässig sei. eine konzession könne aus sachlichen Gründen dann vergeben werden, wenn die erbringung der betreffenden gemeinwirtschaftlichen leistungen so am besten sicherzustellen ist, nicht aber in der Motivation der Vermeidung von Vergabepflichten.

Schließlich prüft die Vk noch einen Verstoß gegen § 16 krW-/AbfG. die Vergabekammer bejaht insoweit ihre Prüfungsbefugnis, auch wenn es sich nicht um eine originär vergaberechtliche Rechtsmaterie han-delt. die Vergabekammer schildert insoweit die ver-tretenen Meinungen, die eine dienstleistungskonzes-sion im Bereich des Abfallrechts als mit § 16 Abs. 1 krW-/AbfG nicht vereinbar ansehen, bringt hierzu jedoch als Gegenargument vor, dass die diesbezüg-lichen gesetzlichen Vorschriften zum Ziel haben, die Verwertung und Beseitigung von Abfällen unter klarer Zuordnung der Pflichtigkeit und Aufrechter-haltung der notwendigen Sorgfalt sicherzustellen,

was auch durch eine konzessionsvereinbarung er-füllt werden kann. letztlich kam es jedoch auf diese Fragestellung nicht an, weil in diesem Fall eben keine konzession vorlag.

e) Beschluss des OLG München zum Breitband-ausbau

In seinem Beschluss vom 25.03.2011, Az.: Verg 4/11, hat das olG München einen Vertrag von Gebietskör-perschaften mit einem Netzbetreiber als dienstleis-tungskonzession angesehen. Vorausgegangen war ein Ausfallverfahren nach Nr. 6.4 der Richtlinie zur Förderung der Breitbanderschließung in ländlichen Gebieten (Breitbandrichtlinie) zur Identifizierung eines Netzbetreibers, der mit öffentlichem Zuschuss den Aufbau und Betrieb eines leitungs- oder funk-basierten Breitbandnetzes im definierten Bedarfs-gebiet realisieren sollte. das olG München nimmt Bezug auf die oben unter Ziffer 2 lit. b) dargestell-te entscheidung des BGh. Im Gegensatz zum BGh nimmt das olG jedoch für den vorliegenden Fall der Breitbandkabelversorgung eine dienstleistungskon-zession an, weil der Auftragnehmer hier wesentliche Betriebsrisiken übernehmen müsse. So sei es nach errichtung des Breitbandkabelnetzes Aufgabe des Auftragnehmers, ausreichend kunden zu gewinnen, welche mit ihm entsprechende Verträge abschlie-ßen. eine Anpassung der tarife sei auch bei fehlender Auslastung nicht einfach möglich, andere Anbieter könnten mit anderer technik ebenfalls anbieten, und der Auftragnehmer trage darüber hinaus das Insol-venzrisiko. obwohl hier wie im Fall des BGh auch eine Zuschusszahlung erfolgt, wird das Risiko vorliegend nach dem olG München nicht vollständig ausgegli-chen. denn es handele sich um eine einmalige An-schubfinanzierung, welche auf Basis einer Prognose der voraussichtlichen unterdeckung definiert werde. da die Verhältnisse auch abweichend von der Pro-gnose eintreten könnten, sei der Vertrag nicht so konzipiert, dass ein Bieter bei Abgabe des Angebots mit einer wirtschaftlich risikolosen Auftragsdurch-führung rechnen könnte. Aus diesen Gründen sei von einer dienstleistungskonzession auszugehen.

3. Fazit

Wie den unterschiedlichen vorgenannten entschei-dungen entnommen werden kann, sind das Vorliegen einer dienstleistungskonzession und ihre Abgren-zung zum dienstleistungsauftrag in den verschie-denen Rechtsbereichen von erheblicher Relevanz. es ist jeweils eine genaue einzelfallbetrachtung

VeRGABeRecht

Recht Aktuell 2/2011

Page 26: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

27

erforderlich, ob und unter welchen umständen eine dienstleistungskonzession angenommen werden kann. die entscheidung ist regelmäßig für die ein-schlägigen Vergabevorschriften von großer Bedeu-tung. Im Bereich des SPNV/ÖPNV knüpfen an diese Frage auch Folgefragen zur Anwendbarkeit des Son-

dervergaberechts gem. europäischer Vo 1370/2007 an. Jeder öffentliche Auftraggeber bzw. Sektorenauf-traggeber sollte daher im Vorhinein sorgfältig seinen Beschaffungsbedarf analysieren und bezüglich der rechtlichen einordnung als dienstleistungskonzessi-on oder dienstleistungsauftrag achtsam bewerten.

VeRGABeRecht

Recht Aktuell 2/2011

Page 27: Recht Aktuell 2/2011 › download › RA_2011_2.pdf · carsten huch-hallwachs dr. Bernhard Noreisch dr. christian dittert dr. Mathias Mantler INhAltSVeRZeIchNIS Recht Aktuell 2/2011

28

Fragen, Anmerkungen und Wünsche zu Recht Aktuell?

Wir freuen uns über Ihre Fragen, Anmerkungen und Wünsche bezüglich unserer Informationsschrift Recht Aktuell. Sie können uns gerne eine e-Mail zusenden unter [email protected].

Recht Aktuell 2/2011